Der Prozess - Franz  kafka - E-Book

Der Prozess E-Book

Franz kafka

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Beschreibung

»Jemand mußte Josef K. verleumdet haben« ist einer der bekanntesten Anfangszeilen eines Romans. So vielfältig wie seine Schreibweisen (»Der Proceß« oder »Der Prozeß«) sind auch die Interpretationsmöglichkeiten - der Roman, der nie wirklich beendet wurde, ist ohne jeden Zweifel ein Stück Weltliteratur und inspirierte zahlreiche Hörfunk und Filmadaptionen. Diese Ausgabe enthält den vollständigen Text des Romans aus der Erstausgabe, sowie eine einleitende Interpretation aus jüdischer Sicht. Sie stellt den Roman in einen Kontext mit dem, was Kafka über »jüdisches« in seinen Tagebüchern beschrieben hat. Sie ist »eine« mögliche Lesart. Kurt Tucholsky schrieb über den Roman: »Ein solcher Wille begründet Sekten und Religionen - Kafka hat Bücher geschrieben, einige wenige, unerreichbare, niemals auszulesende Bücher. Hätte sich der Schöpfer anders besonnen, und wäre dieser in Asien geboren: Millionen klammerten sich an seine Worte und grübelten über sie, ihr Leben lang.«

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Der Prozess

Der ProzessEinführung und eine mögliche jüdische InterpretationErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebentes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelImpressum

Der Prozess

 Der vollständige Text und eine Einleitung mit einer möglichen jüdischen Interpretation.

Einführung und eine mögliche jüdische Interpretation

Geschrieben und Besiegelt

Eine Geschichte erzählt von einem Menschen, der bei dem Zaddik Rabbi Mardochaj von Nadvorna – es sein seiner zum Segen gedacht- studierte. Vor Rosch haSchanah bat er darum, vom Unterricht befreit zu werden.

Der Zaddik fragte ihn:

»Warum bist Du so in Eile?«

Und er antwortete:

»Ich bin Vorbeter und muss noch einen Blick in das Gebetbuch für die Festtage werfen, um meine Gebete in Ordnung zu bringen.«

Der Zaddik sagte zu ihm:

»Das Gebetbuch ist dasselbe wie letztes Jahr. Es wäre besser für Dich, wenn Du einen Blick auf Deine Taten wirfst und Dich selber in Ordnung bringst.«

– Schmuel Josef Agnon (1888-1970)

Die Jamim Noraim, die ehrfurchtsvollen Tage, zwischen Rosch haSchanah (dem »Neujahrsfest«) und Jom Kippur (dem »Versöhnungstag«)) und der, in dieser Zeit liegende, Schabbat Schuwah sind seit jeher eine Zeit der Rückschau und Besinnung. Jeder einzelne Jude und jede einzelne Jüdin ist dazu aufgerufen, sich umzuschauen und das vergangene Jahr zu betrachten. Im »Untane Tokeff« aus dem Mussaf-Gebet von Rosch haSchanah heißt es, dass an Rosch haSchanah G-tt Gericht hält, jedoch erst an Jom Kippur (zehn Tage später) das Urteil besiegelt:

Wie die Prüfung der Herde durch den Hirten. So wie er sie ziehen lässt unter seinem Stabe, so lässt Du ziehen, und zählst und prüfst. Du wägst die Seele jedes Lebewesens und bestimmst die Enden all Deiner Geschöpfe – und schreibst nieder das Maß ihres Urteils.

Am Neujahrstag wird es geschrieben und am Versöhnungstag besiegelt, wieviele vergehen und wieviele entstehen, wer leben wird und wer sterben, wer an sein Ende gelangt und wer nicht an sein Ende gelangt. Wer in Wasserflut, wer in Flammenglut, wer vom Schwert zerrissen, wer vom Tier zerbissen. Wer in Hungersnot, wer vom Durst bedroht. Wer in des Bebens Rot, wer im Seuchentod, wer erwürgt und wer zerschmettert. Wer in Ruhe bleibe und wer unsteht treibe. Wer in Frieden sitze und wer getrieben durch Verfolgers Hetze, wer in Glück und wer in Qual, wer arm wer reich, wer sinkt, wer steigt. Aber Umkehr und Gebet und Liebeswerke, wenden ab das Böse des Verhängnisses, denn so wie Dein Name, so ist Dein Ruhm: Schwer zu erzürnen und leicht zu versöhnen! Denn nicht hast Du Gefallen am Tod des Sterblichen, sondern dass er umkehre von seinem Wege und lebe. Und bis zum Tage seines Todes wartest Du auf ihn, wenn er nur sich wende zu Dir, sofort nimmst Du ihn an. Wahr ist all dieses, denn Du bist ihr aller Schöpfer. Du kennst doch ihren Trieb, und dass sie Fleisch und Blut.

– Aus dem Untane Tokef Gebet zu Rosch ha Schanah und Jom Kippur

Vielleicht ist gerade diese Zeit der Besinnung, Rückschau und Umkehr die beste, um sich mit einer literarischen Figur zu beschäftigen, die das »böse Verhängnis« nicht abwenden konnte – die es nicht geschafft hat, in das Buch des Lebens eingetragen zu werden. Die Anzahl der Interpretationen von Franz Kafkas Roman »Der Proceß« sind unüberschaubar und vielfältig, die Deutungsmuster und Vorgehensweisen sind es ebenfalls. Eine Lesart, die uns gerade während der Jamim Noraim beschäftigen sollte ist diejenige, das Kafka in seinem Roman die himmlische Gerichtsbarkeit schildert. Gerade der »Proceß« ist eine gute Einstimmung auf die Jamim Noraim und vielleicht kann diese Einführung in Kafkas Text ein wenig dabei helfen, die Bilder im »Proceß« einzuordnen und sich so bereit zu machen für die Tage der Umkehr.

Den Prozeß verlieren

Herr K. wird an seinem dreißigstem Geburtstag plötzlich in seiner Wohnung verhaftet. Er solle in seinem Zimmer warten, ein Verfahren sei eingeleitet worden. Natürlich erkundigt sich K. nach dem Anklagegrund. Der zu ihm gesendete Aufseher sagt, er wisse es selber nicht.

Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird wie im Gesetz heißt von der Schuld angezogen und muß Wächter ausschicken.

Im ersten Kapitel wird dann das Zimmer K.s beschrieben; unter anderem wird auch erwähnt, dass K. sich Äpfel und Honig bereitgelegt hat (Symbole für Rosch haSchanah). Seine erste Untersuchung findet exakt zehn Tage später statt, in einem Raum, der an eine Synagoge erinnert:

K. glaubte in eine Versammlung einzutreten. Ein Gedränge der verschiedensten Leute – niemand kümmerte sich um den Eintretenden – füllte ein mittelgroßes zweifenstriges Zimmer, das knapp an der Decke von einer Galerie umgeben war, die gleichfalls vollständig besetzt war und wo die Leute nur gebückt stehen konnten und mit Kopf und Rücken an die Decke stießen. […] Zwischen zwei Männern hindurch, die sich unmittelbar bei der Tür unterhielten – der eine machte mit beiden weit vorgestreckten Händen die Bewegung des Geldaufzählens, der andere sah ihm scharf in die Augen – faßte eine Hand nach K. Es war ein kleiner rotbäckiger Junge. „Kommen Sie, kommen Sie“, sagte er. K. ließ sich von ihm führen, es zeigte sich, daß in dem durcheinanderwimmelnden Gedränge doch ein schmaler Weg frei war, der möglicherweise zwei Parteien schied; dafür sprach auch daß K. in den ersten Reihen rechts und links kaum ein ihm zugewendetes Gesicht sah, sondern nur die Rücken von Leuten, welche ihre Reden und Bewegungen nur an Leute ihrer Partei richteten. Die meisten waren schwarz angezogen, in alten lange und lose hinunterhängenden Feiertagsröcken. Nur diese Kleidung beirrte K., sonst hätte er das ganze als eine politische Bezirksversammlung angesehn.

In einem Tagebucheintrag vom 14. September 1914 (das war der 23. Elul 5674), beschreibt Kafka den Besuch bei einem Zadik, die Parallelen zu der oben zitierten Stelle aus dem Proceß sind offensichtlich:

Tagebucheintrag: (4. September 1915) mit Max und Langer Samstag beim Wunderrabbi. Žižkov, Harantova ulice (Die Harantova Straße im Stadtteil Žižkov existiert heute nicht mehr. Sie lag in der Nähe des heutigen Komenského-Platzes.). Viele Kinder auf dem Trottoir und den Treppenstufen. Ein Gasthaus. Oben vollständig finster, blindlings paar Schritte mit vorgehaltenen Händen. Ein Zimmer mit bleichem Dämmerlicht, weißgraue Wände, einige kleine Frauen und Mädchen, weiße Kopftücher, blasse Gesichter, stehn herum, kleine Bewegungen; Eindruck des Blutleeren.

Der Proceß: Er störte beim Hinaufgehn viele Kinder, die auf der Treppe spielten und ihn, wenn er durch ihre Reihe schritt, böse ansahn.

Tagebucheintrag: Nächstes Zimmer. Alles schwarz, voll mit Männern und jungen Leuten. Lautes Beten.Der Proceß: Die meisten waren schwarz angezogen, in alten lange und lose hinunterhängenden Feiertagsröcken. Nur diese Kleidung beirrte K., sonst hätte er das ganze als eine politische Bezirksversammlung angesehn.

Tagebucheintrag: Wir drücken uns in eine Ecke. Kaum sehen wir uns ein wenig um, ist das Gebet zu Ende, das Zimmer leert sich.

Ein Eckzimmer mit zwei Fensterwänden mit je 2 Fenstern.

Der Proceß: füllte ein mittelgroßes zweifenstriges Zimmer, das knapp an der Decke von einer Galerie umgeben war, die gleichfalls vollständig besetzt war und wo die Leute nur gebückt stehen konnten und mit Kopf und Rücken an die Decke stießen.

Tagebucheintrag: Wir werden zu einem Tisch gedrängt, rechts vom Rabbi. Wir wehren uns, „Ihr seid doch auch Juden.“ Das stärkste väterliche Wesen macht den Rabbi. Alle Rabbi sehen wild aus, sagte Langer. Dieser im Seidenkaftan, darunter schon Unterhosen sichtbar. Haare auf dem Nasenrücken. Mit Fell eingefaßte Kappe, die er immerfort hin und her rückt. Schmutzig und rein, Eigentümlichkeit intensiv denkender Menschen. Kratzt sich am Bartansatz, schneuzt durch die Hand auf den Fußboden, greift mit den Fingern in die Speisen – wenn er aber ein Weilchen die Hand auf dem Tisch liegen läßt, sieht man das Weiß der Haut, wie man ein ähnliches Weiß nur in Vorstellungen der Kindheit gesehn zu haben glaubt. Damals allerdings waren auch die Eltern rein.

Der Proceß: Er stand eng an den Tisch gedrückt, das Gedränge hinter ihm war so groß, daß er ihm Widerstand leisten mußte, wollte er nicht den Tisch des Unersuchungsrichters und vielleicht auch diesen selbst vom Podium hinunterstoßen.

Den Gerichtssaal ausfindig zu machen, gestaltet sich für Josef K. außerordentlich schwierig, denn der Aufstieg zum Gericht, das sich in einem Privathaus befindet, ist mühsam. Josef K. muss viele Stufen hinaufsteigen und in vielen Zimmern suchen:

K. wandte sich der Treppe zu, um zum Untersuchungszimmer zu kommen, stand dann aber wieder still, denn außer dieser Treppe sah er im Hof noch drei verschiedene Treppenaufgänge und überdies schien ein kleiner Durchgang am Ende des Hofes noch in einen zweiten Hof zu führen. […] Schließlich stieg er doch die erste Treppe hinauf und spielte in Gedanken mit einer Erinnerung an den Ausspruch des Wächters Willem, daß das Gericht von der Schuld angezogen werde, woraus eigentlich folgte, daß das Untersuchungszimmer an der Treppe liegen mußte, die K. zufällig wählte. […] Im ersten Stockwerk begann die eigentliche Suche. Da er doch nicht nach der Untersuchungskommission fragen konnte, erfand er einen Tischler Lanz – der Name fiel ihm ein weil der Hauptmann, der Neffe der Frau Grubach, so hieß – und wollte nun in allen Wohnungen nachfragen, ob hier ein Tischler Lanz wohne, um so die Möglichkeit zu bekommen, in die Zimmer hineinzusehn. Es zeigte sich aber, daß das meistens ohne weiters möglich war, denn fast alle Türen standen offen und die Kinder liefen ein und aus. Es waren in der Regel kleine einfenstrige Zimmer, in denen auch gekocht wurde. […] Viele glaubten es liege K. sehr viel daran den Tischler Lanz zu finden, dachten lange nach, nannten einen Tischler, der aber nicht Lanz hieß, oder einen Namen, der mit Lanz eine ganz entfernte Ähnlichkeit hatte, oder sie fragten bei Nachbarn oder begleiteten K. zu einer weit entfernten Tür, wo ihrer Meinung nach ein derartiger Mann möglicherweise in Aftermiete wohne oder wo jemand sei der bessere Auskunft als sie selbst geben könne. Schließlich mußte K. kaum mehr selbst fragen, sondern wurde auf diese Weise durch die Stockwerke gezogen. Er bedauerte seinen Plan, der ihm zuerst so praktisch erschienen war. Vor dem fünften Stockwerk entschloß er sich die Suche aufzugeben, verabschiedete sich von einem freundlichen jungen Arbeiter, der ihn weiter hinaufführen wollte, und gieng hinunter. Dann aber ärgerte ihn wieder das Nutzlose dieser ganzen Unternehmung, er gieng nochmals zurück und klopfte an die erste Tür des fünften Stockwerks. Das erste was er in dem kleinen Zimmer sah, war eine große Wanduhr, die schon zehn Uhr zeigte. »Wohnt ein Tischler Lanz hier?« fragte er. »Bitte«, sagte eine junge Frau mit schwarzen leuchtenden Augen, die gerade in einem Kübel Kinderwäsche wusch, und zeigte mit der nassen Hand auf die offene Tür des Nebenzimmers.

Anschließend betritt Josef K. den bereits beschriebenen Raum in dem das Gericht tagt. Die Beschreibung der zahllosen Räume und Zimmer, zu denen man hinaufsteigen muss, erinnert an die Schilderung Schlomo Ibn Gabirols in Keter Malchut (Keter Malchut ist Bestandteil des Machzor für Jom Kippur):

Wer vermag deine Geheimnisse zu enthüllen, dass du im Himmel Gemächer und Kammern geschaffen, aus denen die uns berichteten gewaltigen Taten hervorgehen, das Wirken deiner Allmacht.

Im siebenten Kapitel wird der Bezug zu den Hohen Feiertagen dann offensichtlich, denn eine Auswirkung des Prozesses deutet der Onkel K.s an:

Willst Du den Proceß verlieren? Weißt Du was das bedeutet? Das bedeutet, daß Du einfach gestrichen wirst.

Unklar ist zunächst, woraus gestrichen werden soll. Wenn man den Roman jedoch konsequent in einem jüdischen Kontext liest und den Jom haDin – den Tag des Gerichts wörtlich nimmt, an dem man sich einschreiben lassen kann für das Buch des Lebens, wird klar, woraus der Verlierer des Prozesses gestrichen wird. So kann man in dem Text, die um Schuld und Urteil kreisende Liturgie wiederfinden. An Rosch HaSchanah ist es bezeichnenderweise Brauch, dass man einander wünscht in das Buch des Lebens eingetragen zu werden. Es heißt weiter, dass an Jom Kippur das Urteil besiegelt wird. Kafka war vielleicht kein observanter Jude, hatte aber ausreichende Kenntnisse der jüdischen Religion und das er zu den Feiertagen in die Synagoge ging, kann man seinen Tagebüchern entnehmen. In seinem Tagebuch vom 7. Juli 1912 hält er fest, dass er auch auf Reisen auf der Suche nach der jüdischen Gemeinde ist:

Im Park mit kleinen Mädchen auf einer Bank, die wir als Mädchenbank gegen Jungen verteidigen. Polnische Juden. Die Kinder rufen ihnen Itzig zu und wollen sich nach ihnen nicht gleich auf die Bank setzen. Jüdische Gastwirtschaft Nathan Eisellsberg mit hebräischer Aufschrift. Es ist ein verwahrlostes schloßartiges Gebäude mit großem Treppenaufbau, das aus engen Gassen frei hervortritt. Ich gehe hinter einem Juden, der aus der Wirtschaft kommt, und spreche ihn an. Nach 9. Ich will etwas über die Gemeinde wissen. Erfahre nichts. Bin ihm zu verdächtig. Immerfort schaut er auf meine Füße. Aber ich bin doch auch Jude. Dann kann ich bei Eiselsberg logieren. – Nein ich habe schon eine Wohnung. – So. – Plötzlich geht er nahe an mich heran. Ob ich nicht vor 1 Woche in Schöppenstedt gewesen bin. Vor seinem Haustor verabschieden wir uns; er ist glücklich, daß er mich losgeworden ist; ohne daß ich danach frage, sagt er mir noch, wie man zur Synagoge geht. – Leute im Schlafrock auf der Türstufe. Alte sinnlose Inschriften. Die Möglichkeiten durchdacht, auf diesen Gassen, Plätzen, Gartenbänken, Bachufern aus dem Vollen unglücklich zu sein. Wer weinen kann, soll am Sonntag herkommen. Abend nach 5 stündigem Herumgehn in meinem Hotel auf der Terasse vor einem kleinen Gärtchen. Am Tisch nebenan die Wirtsleute mit einer jungen, witwenhaft aussehenden, lebhaften Frau. Wangen unnötig mager. Frisur geteilt und aufgebauscht.

Soweit entfernt vom Judentum, wie oft behauptet wird, war Kafka also keinesfalls. Wir wissen, dass er Hebräisch gelernt hat, zu Vorträgen in die Synagoge ging und mit der orthodoxen Jüdin Dora Diamant liiert war.

In der Alt-Neu-Synagoge beim Mischnavortrag.Mit Dr. Jeiteles nachhause. Großes Interesse an einzelnen Streitfragen. 19.06.1915

Vier Jahre zuvor schreibt er über die Hohen Feiertage:

Montag 1.Oktober (Sonntag 1911) Altneusynagoge gestern. Kolnidre. Gedämpftes Börsengemurmel. Im Vorraum Büchse mit der Aufschrift: „Milde Gaben im Stillen, besänftigen den Unwillen.“ Kirchenmäßiges Innere. Drei fromme offenbar östliche Juden. In Socken. Über das Gebetbuch gebeugt, den Gebetmantel über den Kopf gezogen, möglichst klein geworden. Zwei weinen, nur vom Feiertag gerührt? Einer hat vielleicht nur wehe Augen, an die er das noch gefaltete Sacktuch flüchtig legt, um das Gesicht gleich wieder nahe an den Text zu halten. Nicht eigentlich oder hauptsächlich wird das Wort gesungen, aber hinter dem Wort her werden Arabesken gezogen aus dem haardünn weitergesponnenem Wort. Der kleine Junge, der ohne die geringste Vorstellung des Ganzen und ohne Orientierungsmöglichkeit, den Lärm in den Ohren, sich zwischen den gedrängten Leuten hinschiebt und geschoben wird. Der scheinbare Commis, der sich beim Beten rasch schüttelt, was nur als Versuch einer möglichst starken, wenn auch vielleicht unverständigen Betonung jedes Wortes zu verstehen ist, wobei die Stimme geschont wird, die überdies in dem Lärm eine klare große Betonung nicht zustande brächte. Die Familie des Bordellbesitzers. In der Pinkassynagoge war ich unvergleichlich stärker vom Judentum hergenommen.

Kafka entgeht aber auch nicht der Niedergang des Judentums innerhalb des neuen Bürgertums in der Stadt. Vielleicht hat er sich auch gerade deshalb mit dem chassidischen Judentum auseinandergesetzt. Seine Begegnung mit Martin Buber war vielleicht einer der Anstöße dazu.

Heute vormittag Beschneidung meines Neffen. Ein kleiner krummbeiniger Mann, Austerlitz der schon 2800 Beschneidungen hinter sich hat, führte die Sache sehr geschickt aus. Es ist eine dadurch erschwerte Operation, daß der Junge statt auf dem Tisch auf dem Schoß seines Großvaters liegt und daß der Operateur, statt genau aufzupassen, Gebete murmeln muß. Zuerst wird der Junge durch Umbinden, das nur das Glied frei läßt, unbeweglich gemacht, dann wird durch Auflegen einer durchlochten Metallscheibe die Schnittfläche präcisiert, dann erfolgt mit einem fast gewöhnlichen Messer einer Art Fischmesser der Schnitt. Jetzt sieht man Blut und rohes Fleisch, der Moule [5] hantiert darin kurz mit seinen langnägeligen zittrigen Fingern und zieht irgendwo gewonnene Haut wie einen Handschuhfinger über die Wunde. Gleich ist alles gut, das Kind hat kaum geweint. Jetzt kommt nur noch ein kleines Gebet, während dessen der Moule Wein trinkt, und mit seinen noch nicht ganz blutfreien Fingern etwas Wein an die Lippen des Kindes bringt. Die Anwesenden beten: „Wie er nun gelangt ist in den Bund, so soll er gelangen zur Kenntnis der Tora, zum glücklichen Ehebund und zur Ausübung guter Werke“. Als ich heute den Begleiter des Moule zum Nachtisch beten hörte und die Anwesenden abgesehn von den beiden Großvätern die Zeit in vollständigem Unverständnis des Vorgebeteten mit Träumen oder Langweile verbrachten, sah ich das in einem deutlichen unabsehbaren Übergang begriffene westeuropäische Judentum vor mir, über das sich die zunächst Betroffenen keine Sorgen machen, sondern als richtige Übergangsmenschen das tragen, was ihnen auferlegt ist. Diese an ihrem letzten Ende angelangten religiösen Formen, hatten schon in ihrer gegenwärtigen Übung einen so unbestrittenen bloß historischen Charakter, daß nur das Verstreichen einer ganz kleinen Zeit innerhalb dieses Vormittags nötig schien, um die Anwesenden durch Mitteilungen über den veralteten frühern Gebrauch der Beschneidung und ihrer halbgesungenen Gebete historisch zu interessieren. –Tagebucheintrag vom 24.7.1911

Kafka besucht das jiddische Theater, hält selber Vorträge über das Jiddische, besucht gar einen Wunderrebben. Immer wieder notiert sich Kafka jüdisches in seine Tagebücher:

In der Alt-Neu-Synagoge beim Mischnavortrag.Mit Dr. Jeiteles nachhause. Großes Interesse an einzelnen Streitfragen. – 19.06.1915

Anblick der polnischen Juden, die zum Kol Nidre gehn. Der kleine Junge, der, unter beiden Armen Gebetmäntel, neben seinem Vater herläuft. Selbstmörderisch nicht in den Tempel zu gehn. – 16. September 1915

Erzählungen Langers: Einem Zadik soll man mehr gehorchen als Gott. Balschem sagte einmal einem seiner liebsten Schüler, er solle sich taufen lassen. Er ließ sich taufen, kam zu Ansehn, wurde Bischof. Da ließ ihn Balschem zu sich kommen und erlaubte ihm zum Judentum zurückzukehren. Er folgte wieder und tat wegen seiner Sünde große Buße. B. erklärte seinen Befehl damit, daß der Schüler wegen seiner ausgezeichneten Eigenschaften vom Bösen sehr verfolgt gewesen sei und daß die Taufe den Zweck gehabt habe, den Bösen abzulenken. B. warf den Schüler selbst mitten ins Böse, der Schüler tat den Schritt nicht aus Schuld sondern auf Befehl und für den Bösen schien es hier keine Arbeit mehr zu geben. Alle 100 Jahre erscheint ein oberster Zadik, ein Zadik Hador. Er muß gar nicht bekannt sein, kein Wunderrabbi sein und ist doch der oberste. B. war nicht Zadik Hador in seiner Zeit, das war vielmehr ein unbekannter Kaufmann in Drohobisz. Dieser hörte, daß B. wie dies auch andere Zadiks taten, Amulette schrieb und hatte den Verdacht, daß er Anhänger des Sabbatai Zewi sei und dessen Name auf die Amuletts schreibe. Deshalb nahm er ihm, ohne ihn persönlich zu kennen, von der Ferne aus die Macht jene Amuletts zu geben. B. erkannte bald die Machtlosigkeit seiner Amuletts – er hatte aber immer nichts anderes auf die Amuletts geschrieben, als seinen eigenen Namen – und erfuhr auch nach einiger Zeit, daß der Drohobyscer die Ursache dessen war. Als einmal der Dr. in die Stadt Balschems kam, – es war an einem Montag – ließ ihn B. ohne daß er es merkte einen Tag verschlafen; der Dr. blieb infolgedessen in der Zeitrechnung immer um einen Tag zurück. Freitag abend – er dachte es wäre Donnerstag – wollte er nachhause fahren, um die Feiertage zuhause zu verbringen. Da sieht er die Leute in den Tempel gehn und merkt den Irrtum. Er beschließt hier zu bleiben und läßt sich zu B. führen. Dieser hat schon am Nachmittag seiner Frau den Auftrag gegeben, ein Mahl für 30 Personen herzurichten. Als der Dr. kommt, setzt er sich nach den Gebeten gleich zum Essen und ißt in kurzer Zeit das für 30 Personen bestimmte Essen auf. Aber er wird nicht satt, sondern verlangt weiteres Essen. B. sagt: „Einen Engel ersten Grades habe ich erwartet, auf einen Engel zweiten Grades war ich aber nicht vorbereitet.“ Er ließ nun alles Eßbare bringen, was im Hause war, aber auch das genügte nicht. B. war nicht Zadik Hador, aber er war noch höher. Zeuge dessen ist der Zadik Hador selbst. Dieser kam nämlich einmal abends in den Ort, wo die künftige Frau Balschems als Mädchen wohnte. Er war Gast in dem Hause der Eltern des Mädchens. Ehe er auf den Dachboden schlafen gieng, verlangte er ein Licht, aber es war keines im Hause. Er gieng also ohne Licht hinauf, aber als das Mädchen später vom Hofhinaufsah, war es oben hell wie bei einer Illumination. Da erkannte sie, daß es ein besonderer Gast war und sie bat ihn, sie zur Frau zu nehmen. Sie durfte so bitten, denn ihre höhere Bestimmung erwies sich darin, daß sie den Gast erkannt hat. Aber der Zadik Hador sagte: „Du bist für einen noch Höheren bestimmt.“ Dies beweist, daß B. höher war als ein Zadik Hador. – 6.Okotber 1915

Sein Freund Löwy war selber ein »Jeschiwe-Bocher« und so ist davon auszugehen, dass Kafka mehr jüdische Bildung hatte, als ihm in der Forschungsliteratur zugestanden worden ist. Im Proceß enthalten ist auch die berühmt gewordene Parabel vom »Türhüter« vor dem Gesetz (Neuntes Kapitel, Im Dom).

Carolin Hannah Reese hat in ihrem Beitrag über Kafkas Judentum darauf hingewiesen , dass die Übersetzung einiger Begriffe, den jüdischen Leser ein ganzes Stück weiterbringt:

Auch die Übersetzung einiger von Kafka verwendeter Begriffe und Namen ins Hebräisch kann erstaunliche Ergebnisse hervorbringen: So heißt der Anwalt aus dem »Prozeß« mit Nachnamen »Huld« – die gängige Übersetzung für »Chesed«, die Eigenschaft, die nach chassidischer Vorstellung ein g’ttliches Gerichtsverfahren noch beeinflussen kann. Und der »Mann vom Lande«, der Zugang zum Gesetz verlangt, wird zum »Am Ha-Aretz«, eine häufige Umschreibung für jemanden, der die Torah nicht kennt. Womit die Frage, ob es sich um ein weltliches oder ein transzendentales Gesetz handelt, nach dem der Genannte strebt, von selbst beantwortet wäre.

Im Proceß heißt es:

In den einleitenden Schriften zum Gesetz heißt es von dieser Täuschung: Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht. Wenn es Dich so lockt, versuche es doch trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen. Ich nehme es nur an, damit Du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben. Was willst Du denn jetzt noch wissen“, fragt der Türhüter, „Du bist unersättlich.“ „Alle streben doch nach dem Gesetz“, sagt der Mann, „wie so kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat.“ „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Und im Neilah-Gebet, dem Schlussgebet von Jom Kippur heißt es

Öffne uns das Tor, Ehe das Tor sich uns schließt, Ehe die Nacht uns grüßt, Denn schon neigt sich der Tag. Da der Abend schon winkt Und die Sonne versinkt — Ehe sie schwindet dahin In dein Tor lass uns ziehen!

In einem weiteren Gebet heißt es:

Jetzt zur Abendzeit klopfen wir seufzend an die Pforten des Königs. Mögen nicht geschlossen werden die Tore des Erbarmens, dass wir das Angesicht des Königs aufsuchen können. Ja, zur Zeit des Wohlgefallens steige unser Weheklagen empor zum Tore des Palastes des Königs. […] Wir rüsten Gebete vor ihm, der erhört, am Tore vor dem König stehend. Von Abend bis Abend weichen wir nicht vom Tore, preisen die Ehre des Königs. […] Der Verzeiher vergibt denen, die an seine Tore kommen, G-tt, der König. – Aus dem Neilah-Gebet zu Jom Kippur

In der Pesikta Rabbati wird zu dem Vers »und Mosche stieg hinauf zu HaSchem. Und HaSchem rief ihn vom Berge« ( 2. Buch Mosche 19:3)  erzählt, dass Mosche auf seinem Weg in den Himmel zunächst auf den Engel Kemuel trifft, den Wächter des Tores zum Himmel, der über 12 000 Engel der Zerstörung gesetzt worden ist. Er gelangt an diesem vorbei und gerät an einen eindrucksvolleren Wächter, den Engel Hadarniel. Nur G-tt selber kann Mosche nun noch helfen, die Torah zu empfangen. Mosche überwindet so die Türhüter und gelangt zur Torah (dem Gesetz). Der Einlass begehrende Mann in der Geschichte, die wiederum in eine Geschichte eingebaut ist, gibt sich jedoch mit der Androhung »größerer« Gefahren zufrieden und versucht erst gar nicht, den ersten Türhüter zu überwinden. Im Sinne des modernen Judentums kann man sogar sagen, dass der Türhüter für die mündlichen Traditionen steht, die vor der eigentlichen Torah stehen.

Wie verhält sich K. in dieser Geschichte? K. versucht seit seiner Verhaftung, seine »Unschuld« zu beweisen, versucht Fürsprecher zu finden, einen Anwalt, nämlich Dr. Huld, oder hebräisch eben Chesed zu verpflichten, gegen die Maschinerie anzugehen. An den zehn Bußtagen sollen wir das Gegenteil von dem tun, was K. tut: Wir sollen unsere Fehler finden, eine Rückschau halten, uns schuldig bekennen, im Widduj-Gebet heißt es deshalb ja auch:

Unser G-tt und G-tt unserer Vorfahren, lass unsere Gebete dich erreichen. Sei nicht taub für unsere Bitte um Erbarmen. Denn wir sind nicht so hochmütig und nicht so stur, dass wir in deiner Gegenwart, unser G-tt und G-tt unserer Vorfahren, behaupten würden, wir seinen gerecht und hätten nicht gesündigt. Vielmehr bekennen wir: Wir und unsere Vorfahren haben gesündigt. — In der Übersetzung des Seder haTeffilot.

Dann folgt eine Auflistung von Sünden derer wir uns bekennen müssen:

Wir haben uns verschuldet,

waren treulos,

haben geraubt,

haben böses geredet,

haben gefehlt und gefrevelt,

waren übermütig,

waren gewalttätig,

haben Lüge erdichtet,

haben schlechten Rat erteilt,

haben gelogen,

gespottet,

haben uns empört,

haben geschmäht,

waren widerspenstig,

handelten tückisch,

waren frevelhaft,

handelten feindselig,

waren hartnäckig,

waren Frevler,

waren verderbt,

verübten Gräueltaten,

gingen irre

und haben irre geführt. –Aus dem Widduj-Gebet zu Jom Kippur

»Und so können die Wir, in deren Gemeinschaft der Einzelne also in seiner nackten und bloßen Menschlichkeit vor Gott an seine Brust schlägt und in deren bekennendem Wir er sein sündiges Ich fühlt wie nie im Leben, keine engere Gemeinde sein als die eine der Menschheit selbst. Wie das Jahr an diesen Tagen unmittelbar die Ewigkeit vertritt, so Israel an ihnen unmittelbar die Menschheit«. – Franz Rosenzweig in »Der Stern der Erlösung« zum Widduj-Gebet

Die Tradition lehrt aber auch, dass wir uns bei Personen entschuldigen müssen, die wir verletzt haben und so aktiv unser Leben aufarbeiten. Der von Kafka beschriebene Prozeß schildert jemanden, der es nicht geschafft hat, in das Buch des Lebens eingetragen zu werden. Es geht nicht darum, eine weiße Weste zu haben, es geht darum, sich seiner Fehler klar zu werden und bereit zu sein, darüber Rechenschaft abzulegen – zurückzukehren zu G-tt und dem Weg den er uns mit der Torah gewiesen hat. Der Schabbat zwischen Rosch haSchanah und Jom Kippur heißt deshalb ja auch Schabbat Schuwah und Schuwah kann mit Rückkehr, Umkehr übersetzt werden. Genau ein Jahr nach seiner Verhaftung (am Erev Rosch haSchanah), wird K. hingerichtet, man könnte sagen, das Urteil vom Vorjahr wird vollstreckt. Die beklemmende Szene mag ein wenig an die Akedat Jitzchak erinnern, die Opferung Jitzchaks durch seinen Vater Abraham. Diese Stelle ist auch die Paraschah (1. Buch Mosche 22:1-19) für den ersten Tag Rosch haSchanah!

Und Awraham stand morgens früh auf, und sattelte seinen Esel und nahm seine beiden Knaben mit sich, und seinen Sohn Jizchak, und spaltete Holz zum Opfer, und machte sich auf und ging an den Ort, den ihm Gott angesagt hatte. Am dritten Tage, da erhob Awraham seine Augen, und sah den Ort von fern. Und Awraham sprach zu seinen Knaben: Bleibt hier bei dem Esel, und ich und der Knabe, wir wollen gehen bis dorthin; wenn wir angebetet, kehren wir zurück zu euch. Und Awraham nahm das Holz des Ganzopfers und legte es auf Jizchak, seinen Sohn, aber in seine Hand nahm er das Feuer und das Schlachtmesser; und sie gingen beide zusammen. Und Jizchak sprach zu Awraham, seinem Vater, und sagte: Mein Vater! Und er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier das Feuer und das Holz, wo aber ist das Lamm zum Opfer? Und Awraham sprach: Gott wird sich ersehen das Lamm zum Opfer, mein Sohn! Und sie gingen beide zusammen. Und sie kamen an den Ort, den ihm Gott angesagt hatte, und Awraham baute dort den Altar, und legte das Holz zurecht, und band seinen Sohn Jizchak, und legte ihn auf den Altar über das Holz.

Nur erhält K. in diesem Fall keine Hilfe. Im vorletzten Satz des folgenden Abschnittes fragt sich K. gar, wo seine Hilfe bleibt:

Nach Austausch einiger Höflichkeiten hinsichtlich dessen wer die nächsten Aufgaben auszuführen habe, – die Herren schienen die Aufträge ungeteilt bekommen zu haben – gieng der eine zu K. und zog ihm den Rock, die Weste und schließlich das Hemd aus. K. fröstelte unwillkürlich, worauf ihm der Herr einen leichten beruhigenden Schlag auf den Rücken gab. Dann legte er die Sachen sorgfältig zusammen, wie Dinge die man noch gebrauchen wird, wenn auch nicht in allernächster Zeit. Um K. nicht ohne Bewegung der immerhin kühlen Nachtluft auszusetzen, nahm er ihn unter den Arm und gieng mit ihm ein wenig auf und ab, während der andere Herr den Steinbruch nach irgendeiner passenden Stelle absuchte. Als er sie gefunden hatte winkte er und der andere Herr geleitete K. hin. Es war nahe der Bruchwand, es lag dort ein losgebrochener Stein. Die Herren setzten K. auf die Erde nieder, lehnten ihn an den Stein und betteten seinen Kopf obenauf. Trotz aller Anstrengung, die sie sich gaben, und trotz alles Entgegenkommens, das ihnen K. bewies, blieb seine Haltung eine sehr gezwungene und unglaubwürdige. Der eine Herr bat daher den andern ihm für ein Weilchen das Hinlegen K.’s allein zu überlassen, aber auch dadurch wurde es nicht besser. Schließlich ließen sie K. in einer Lage, die nicht einmal die beste von den bereits erreichten Lagen war. Dann öffnete der eine Herr seinen Gehrock und nahm aus einer Scheide, die an einem um die Weste gespannten Gürtel hing, ein langes dünnes beiderseitig geschärftes Fleischermesser, hielt es hoch und prüfte die Schärfen im Licht. Wieder begannen die widerlichen Höflichkeiten, einer reichte über K. hinweg das Messer dem andern, dieser reichte es wieder über K. zurück. K. wußte jetzt genau, daß es seine Pflicht gewesen wäre, das Messer, als es von Hand zu Hand über ihm schwebte, selbst zu fassen und sich einzubohren. Aber er tat es nicht, sondern drehte den noch freien Hals und sah umher. Vollständig konnte er sich nicht bewähren, alle Arbeit den Behörden nicht abnehmen, die Verantwortung für diesen letzten Fehler trug der, der ihm den Rest der dazu nötigen Kraft versagt hatte. Seine Blicke fielen auf das letzte Stockwerk des an den Steinbruch angrenzenden Hauses. Wie ein Licht aufzuckt, so fuhren die Fensterflügel eines Fensters dort auseinander, ein Mensch schwach und dünn in der Ferne und Höhe beugte sich mit einem Ruck weit vor und streckte die Arme noch weiter aus. Wer war es? Ein Freund Ein guter Mensch? Einer der teilnahm? Einer der helfen wollte? War es ein einzelner? Waren es alle? War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiß gab es solche. Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen der leben will, widersteht sie nicht. Wo war der Richter den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war? Er hob die Hände und spreizte alle Finger.

Abschließende Anmerkung für den jüdischen Leser und die jüdische Leserin

Der »Zufall« (vielleicht war es kein Zufall?) will es, dass der »Proceß« 10 Kapitel hat. Das entspricht den 10 Tagen von Rosch haSchanah bis einschließlich Jom Kippur. Vielleicht eine gute Gelegenheit, während der 10 Tage jeweils ein Kapitel zu lesen. Den Abschluss dann an Jom Kippur.

Erstes Kapitel

Verhaftung · Gespräch mit Frau Grubach · Dann Fräulein Bürstner

Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das, ähnlich den Reiseanzügen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen, Knöpfen und einem Gürtel versehen war und infolgedessen, ohne daß man sich darüber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. »Wer sind Sie?« fragte K. und saß gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine Erscheinung hinnehmen, und sagte bloß seinerseits: »Sie haben geläutet?« »Anna soll mir das Frühstück bringen«, sagte K. und versuchte, zunächst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und Überlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war. Aber dieser setzte sich nicht allzulange seinen Blicken aus, sondern wandte sich zur Tür, die er ein wenig öffnete, um jemandem, der offenbar knapp hinter der Tür stand, zu sagen: »Er will, daß Anna ihm das Frühstück bringt.« Ein kleines Gelächter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang nicht sicher, ob nicht mehrere Personen daran beteiligt waren. Obwohl der fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte, was er nicht schon früher gewußt hätte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: »Es ist unmöglich.« »Das wäre neu«, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hosen an. »Ich will doch sehen, was für Leute im Nebenzimmer sind und wie Frau Grubach diese Störung mir gegenüber verantworten wird.« Es fiel ihm zwar gleich ein, daß er das nicht hätte laut sagen müssen und daß er dadurch gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es schien ihm jetzt nicht wichtig. Immerhin faßte es der Fremde so auf, denn er sagte: »Wollen Sie nicht lieber hierbleiben?« »Ich will weder hierbleiben, noch von Ihnen angesprochen werden, solange Sie sich mir nicht vorstellen.« »Es war gut gemeint«, sagte der Fremde und öffnete nun freiwillig die Tür. Im Nebenzimmer, in das K. langsamer eintrat, als er wollte, sah es auf den ersten Blick fast genau so aus wie am Abend vorher. Es war das Wohnzimmer der Frau Grubach, vielleicht war in diesem mit Möbeln, Decken, Porzellan und Photographien überfüllten Zimmer heute ein wenig mehr Raum als sonst, man erkannte das nicht gleich, um so weniger, als die Hauptveränderung in der Anwesenheit eines Mannes bestand, der beim offenen Fenster mit einem Buch saß, von dem er jetzt aufblickte. »Sie hätten in Ihrem Zimmer bleiben sollen! Hat es Ihnen denn Franz nicht gesagt?« »Ja, was wollen Sie denn?« sagte K. und sah von der neuen Bekanntschaft zu dem mit Franz Benannten, der in der Tür stehengeblieben war, und dann wieder zurück. Durch das offene Fenster erblickte man wieder die alte Frau, die mit wahrhaft greisenhafter Neugierde zu dem jetzt gegenüberliegenden Fenster getreten war, um auch weiterhin alles zu sehen. »Ich will doch Frau Grubach –«, sagte K., machte eine Bewegung, als reiße er sich von den zwei Männern los, die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weitergehen. »Nein«, sagte der Mann beim Fenster, warf das Buch auf ein Tischchen und stand auf. »Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.« »Es sieht so aus«, sagte K. »Und warum denn?« fragte er dann. »Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe über meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede. Aber ich hoffe, es hört es niemand sonst als Franz, und der ist selbst gegen alle Vorschrift freundlich zu Ihnen. Wenn Sie auch weiterhin so viel Glück haben wie bei der Bestimmung Ihrer Wächter, dann können Sie zuversichtlich sein.« K. wollte sich setzen, aber nun sah er, daß im ganzen Zimmer keine Sitzgelegenheit war, außer dem Sessel beim Fenster. »Sie werden noch einsehen, wie wahr das alles ist«, sagte Franz und ging gleichzeitig mit dem andern Mann auf ihn zu. Besonders der letztere überragte K. bedeutend und klopfte ihm öfters auf die Schulter. Beide prüften K.s Nachthemd und sagten, daß er jetzt ein viel schlechteres Hemd werde anziehen müssen, daß sie aber dieses Hemd wie auch seine übrige Wäsche aufbewahren und, wenn seine Sache günstig ausfallen sollte, ihm wieder zurückgeben würden. »Es ist besser, Sie geben die Sachen uns als ins Depot«, sagten sie, »denn im Depot kommen öfters Unterschleife vor und außerdem verkauft man dort alle Sachen nach einer gewissen Zeit, ohne Rücksicht, ob das betreffende Verfahren zu Ende ist oder nicht. Und wie lange dauern doch derartige Prozesse, besonders in letzter Zeit! Sie bekämen dann schließlich allerdings vom Depot den Erlös, aber dieser Erlös ist erstens an sich schon gering, denn beim Verkauf entscheidet nicht die Höhe des Angebotes, sondern die Höhe der Bestechung, und weiter verringern sich solche Erlöse erfahrungsgemäß, wenn sie von Hand zu Hand und von Jahr zu Jahr weitergegeben werden.« K. achtete auf diese Reden kaum, das Verfügungsrecht über seine Sachen, das er vielleicht noch besaß, schätzte er nicht hoch ein, viel wichtiger war es ihm, Klarheit über seine Lage zu bekommen; in Gegenwart dieser Leute konnte er aber nicht einmal nachdenken, immer wieder stieß der Bauch des zweiten Wächters – es konnten ja nur Wächter sein – förmlich freundschaftlich an ihn, sah er aber auf, dann erblickte er ein zu diesem dicken Körper gar nicht passendes trockenes, knochiges Gesicht mit starker, seitlich gedrehter Nase, das sich über ihn hinweg mit dem anderen Wächter verständigte. Was waren denn das für Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Behörde gehörten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu überfallen? Er neigte stets dazu, alles möglichst leicht zu nehmen, das Schlimmste erst beim Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge für die Zukunft zu treffen, selbst wenn alles drohte. Hier schien ihm das aber nicht richtig, man konnte zwar das Ganze als Spaß ansehen, als einen groben Spaß, den ihm aus unbekannten Gründen, vielleicht weil heute sein dreißigster Geburtstag war, die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten, es war natürlich möglich, vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den Wächtern ins Gesicht zu lachen, und sie würden mitlachen, vielleicht waren es Dienstmänner von der Straßenecke, sie sahen ihnen nicht unähnlich – trotzdem war er diesmal, förmlich schon seit dem ersten Anblick des Wächters Franz, entschlossen, nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegenüber diesen Leuten besaß, aus der Hand zu geben. Darin, daß man später sagen würde, er habe keinen Spaß verstanden, sah K. eine ganz geringe Gefahr, wohl aber erinnerte er sich – ohne daß es sonst seine Gewohnheit gewesen wäre, aus Erfahrungen zu lernen – an einige, an sich unbedeutende Fälle, in denen er zum Unterschied von seinen Freunden mit Bewußtsein, ohne das geringste Gefühl für die möglichen Folgen, sich unvorsichtig benommen hatte und dafür durch das Ergebnis gestraft worden war. Es sollte nicht wieder geschehen, zumindest nicht diesmal; war es eine Komödie, so wollte er mitspielen. Noch war er frei. »Erlauben Sie«, sagte er und ging eilig zwischen den Wächtern durch in sein Zimmer. »Er scheint vernünftig zu sein«, hörte er hinter sich sagen. In seinem Zimmer riß er gleich die Schubladen des Schreibtischs auf, es lag dort alles in großer Ordnung, aber gerade die Legitimationspapiere, die er suchte, konnte er in der Aufregung nicht gleich finden. Schließlich fand er seine Radfahrlegitimation und wollte schon mit ihr zu den Wächtern gehen, dann aber schien ihm das Papier zu geringfügig und er suchte weiter, bis er den Geburtsschein fand. Als er wieder in das Nebenzimmer zurückkam, öffnete sich gerade die gegenüberliegende Tür und Frau Grubach wollte dort eintreten. Man sah sie nur einen Augenblick, denn kaum hatte sie K. erkannt, als sie offenbar verlegen wurde, um Verzeihung bat, verschwand und äußerst vorsichtig die Tür schloß. »Kommen Sie doch herein«, hatte K. gerade noch sagen können. Nun aber stand er mit seinen Papieren in der Mitte des Zimmers, sah noch auf die Tür hin, die sich nicht wieder öffnete, und wurde erst durch einen Anruf der Wächter aufgeschreckt, die bei dem Tischchen am offenen Fenster saßen und, wie K. jetzt erkannte, sein Frühstück verzehrten. »Warum ist sie nicht eingetreten?« fragte er. »Sie darf nicht«, sagte der große Wächter. »Sie sind doch verhaftet.« »Wie kann ich denn verhaftet sein? Und gar auf diese Weise?« »Nun fangen Sie also wieder an«, sagte der Wächter und tauchte ein Butterbrot ins Honigfäßchen. »Solche Fragen beantworten wir nicht.« »Sie werden sie beantworten müssen«, sagte K. »Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir jetzt die Ihrigen und vor allem den Verhaftbefehl.« »Du lieber Himmel!« sagte der Wächter. »Daß Sie sich in Ihre Lage nicht fügen können und daß Sie es darauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt wahrscheinlich von allen Ihren Mitmenschen am nächsten stehen, nutzlos zu reizen!« »Es ist so, glauben Sie es doch«, sagte Franz, führte die Kaffeetasse, die er in der Hand hielt, nicht zum Mund, sondern sah K. mit einem langen, wahrscheinlich bedeutungsvollen, aber unverständlichen Blick an. K. ließ sich, ohne es zu wollen, in ein Zwiegespräch der Blicke mit Franz ein, schlug dann aber doch auf seine Papiere und sagte: »Hier sind meine Legitimationspapiere.« »Was kümmern uns denn die?« rief nun schon der große Wächter. »Sie führen sich ärger auf als ein Kind. Was wollen Sie denn? Wollen Sie Ihren großen, verfluchten Prozeß dadurch zu einem raschen Ende bringen, daß Sie mit uns, den Wächtern, über Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes zu tun haben, als daß sie zehn Stunden täglich bei Ihnen Wache halten und dafür bezahlt werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir fähig, einzusehen, daß die hohen Behörden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über die Gründe der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen Irrtum. Unsere Behörde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen und muß uns Wächter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo gäbe es da einen Irrtum?« »Dieses Gesetz kenne ich nicht«, sagte K. »Desto schlimmer für Sie«, sagte der Wächter. »Es besteht wohl auch nur in Ihren Köpfen«, sagte K., er wollte sich irgendwie in die Gedanken der Wächter einschleichen, sie zu seinen Gunsten wenden oder sich dort einbürgern. Aber der Wächter sagte nur abweisend: »Sie werden es zu fühlen bekommen.« Franz mischte sich ein und sagte: »Sieh, Willem, er gibt zu, er kenne das Gesetz nicht, und behauptet gleichzeitig, schuldlos zu sein.« »Du hast ganz recht, aber ihm kann man nichts begreiflich machen«, sagte der andere. K. antwortete nichts mehr; muß ich, dachte er, durch das Geschwätz dieser niedrigsten Organe – sie geben selbst zu, es zu sein – mich noch mehr verwirren lassen? Sie reden doch jedenfalls von Dingen, die sie gar nicht verstehen. Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit möglich. Ein paar Worte, die ich mit einem mir ebenbürtigen Menschen sprechen werde, werden alles unvergleichlich klarer machen als die längsten Reden mit diesen. Er ging einige Male in dem freien Raum des Zimmers auf und ab, drüben sah er die alte Frau, die einen noch viel älteren Greis zum Fenster gezerrt hatte, den sie umschlungen hielt. K. mußte dieser Schaustellung ein Ende machen: »Führen Sie mich zu Ihrem Vorgesetzten«, sagte er. »Wenn er es wünscht; nicht früher«, sagte der Wächter, der Willem genannt worden war. »Und nun rate ich Ihnen«, fügte er hinzu, »in Ihr Zimmer zu gehen, sich ruhig zu verhalten und darauf zu warten, was über Sie verfügt werden wird. Wir raten Ihnen, zerstreuen Sie sich nicht durch nutzlose Gedanken, sondern sammeln Sie sich, es werden große Anforderungen an Sie gestellt werden. Sie haben uns nicht so behandelt, wie es unser Entgegenkommen verdient hätte, Sie haben vergessen, daß wir, mögen wir auch sein was immer, zumindest jetzt Ihnen gegenüber freie Männer sind, das ist kein kleines Übergewicht. Trotzdem sind wir bereit, falls Sie Geld haben, Ihnen ein kleines Frühstück aus dem Kaffeehaus drüben zu bringen.« Ohne auf dieses Angebot zu antworten, stand K. ein Weilchen lang still. Vielleicht würden ihn die beiden, wenn er die Tür des folgenden Zimmers oder gar die Tür des Vorzimmers öffnete, gar nicht zu hindern wagen, vielleicht wäre es die einfachste Lösung des Ganzen, daß er es auf die Spitze trieb. Aber vielleicht würden sie ihn doch packen und, war er einmal niedergeworfen, so war auch alle Überlegenheit verloren, die er jetzt ihnen gegenüber in gewisser Hinsicht doch wahrte. Deshalb zog er die Sicherheit der Lösung vor, wie sie der natürliche Verlauf bringen mußte, und ging in sein Zimmer zurück, ohne daß von seiner Seite oder von Seite der Wächter ein weiteres Wort gefallen wäre.