Der psychotherapeutische Prozess -  - E-Book

Der psychotherapeutische Prozess E-Book

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Beschreibung

Während die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlung vielfach empirisch belegt wurde, werden die Wirkfaktoren des therapeutischen Prozesses in der wissenschaftlichen Gemeinschaft noch umfassend diskutiert. Mit Kapiteln zu Veränderungsprozessen in der Psychotherapie, Prozess-Monitoring und therapeutischem Feedback, der Bedeutung der therapeutischen Beziehung im therapeutischen Prozess sowie Gestalt und Gestaltung dieses Prozesses leistet das vorliegende Werk einen Beitrag zu einer integrativen Psychotherapie und gibt Anstöße zur Überwindung einer schulenorientierten Psychotherapie.

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Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik

 

Herausgegeben von

Gerhard Dammann

Isa Sammet

Bernhard Grimmer

Isa SammetGerhard DammannGünter Schiepek (Hrsg.)

Der psychotherapeutische Prozess

Forschung für die Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-024814-4

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-024815-1

epub:    ISBN 978-3-17-024816-8

mobi:    ISBN 978-3-17-024817-5

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Reihenvorwort»Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik – Münsterlinger Reihe«

 

 

Der psychotherapeutische Ansatz gewinnt gegenwärtig in der Psychiatrie und Psychosomatik neben dem dominierenden neurobiologischen und psychopharmakologischen Modell (»Biologische Psychiatrie«) wieder zunehmend an Bedeutung. Trotz dieser Renaissance gibt es noch vergleichsweise wenig aktuelle Literatur, die psychiatrische und psychosomatische Störungsbilder unter vorwiegend psychotherapeutischem Fokus beleuchtet.

Die Bände dieser neuen Reihe sollen dabei aktuelle Entwicklungen dokumentieren:

•  die starke Beachtung der Evidenzbasierung in der Psychotherapie

•  die Entwicklung integrativer Therapieansätze, die Aspekte von kognitiv-behavioralen und von psychodynamischen Verfahren umfassen

•  neue theoretische Paradigmata (etwa die Epigenetik oder die Bindungstheorie und die Theorie komplexer Systeme in der Psychotherapie)

•  aktuelle Möglichkeiten, mit biologischen Verfahren psychotherapeutische Veränderungen messbar zu machen

•  die Entwicklung einer stärker individuellen, subgruppen- und altersorientierten Perspektive (»personalisierte Psychiatrie«)

•  neu entstehende Brücken zwischen den bisher stärker getrennten Fachdisziplinen »Psychiatrie und Psychotherapie« sowie »Psychosomatische Medizin« und »Klinische Psychologie«

•  eine Wiederentdeckung wichtiger psychoanalytischer Perspektiven (Beziehung, Übertragung, Beachtung der konflikthaften Biographie etc.) auch in anderen Psychotherapie-Schulen.

Die Bücher sind eng verbunden mit einer Tagungsreihe, die wir in Münsterlingen am Bodensee durchführen. Die 1839 gegründete Psychiatrische Klinik Münsterlingen, die heute akademisches Lehrkrankenhaus ist, hat, in der schweizerischen psychiatrischen Tradition stehend, eine starke psychotherapeutische Ausrichtung und in den letzten Jahren auch eine störungsspezifische Akzentuierung erfahren. Hier entwickelten und entdeckten der Psychoanalytiker Hermann Rorschach um 1913 den Formdeuteversuch und der phänomenologische Psychiater Roland Kuhn im Jahr 1956 das erste Antidepressivum Imipramin.

Die Bände der Reihe »Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik« sollen jedoch mehr als reine Tagungsbände sein. Aktuelle Felder aus dem Gebiet der gesamten Psychiatrie und Psychosomatik sollen praxisnah dargestellt werden. Es wird keine theoretische Vollständigkeit wie bei Lehrbüchern angestrebt, der Schwerpunkt liegt weniger auf Ätiologie oder Diagnostik als klar auf den psychotherapeutischen Zugängen in schulenübergreifender und störungsspezifischer Sicht.

Gerhard Dammann, Bernhard Grimmer und Isa Sammet

Vorwort

 

 

Der psychotherapeutische Prozess ist ein komplexes Geschehen. Schon 1913 schrieb Sigmund Freud, dass »die außerordentliche Verschiedenheit der in Betracht kommenden psychischen Konstellationen, die Plastizität aller seelischen Vorgänge und der Reichtum an determinierenden Faktoren«1 eine Mechanisierung der therapeutischen Technik unmöglich macht. Mit dem vierten Band der Münsterlinger Reihe Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik widmen wir uns dieser Thematik, die heute noch so aktuell ist wie vor über 100 Jahren.

In der langen Geschichte der Psychotherapie sind im Bemühen um ein Verständnis des therapeutischen Geschehens und seiner Wirkungen mehrere Theorien und therapeutische Orientierungen entstanden, die den therapeutischen Prozess unter unterschiedlicher Perspektive beleuchten. In zahlreichen Studien ist deren empirische Evidenz untersucht worden.

In der aktuellen Ausgabe des Handbook of Psychotherapy and Behavior Change (herausgegeben von Michael J. Lambert, 2013), dem Standardwerk der Psychotherapieforschung, wird geschätzt, dass bereits bis 2004 über 2.000 Prozess-Ergebnis-Studien veröffentlicht worden waren. Diese Studien liefern ein breites Spektrum an Erkenntnissen zu den Wirkmechanismen des therapeutischen Prozesses, die in ihrer detailreichen Fülle nur noch schwer überblickbar sind. Dass die Befunde teilweise widersprüchlich sind, ist nicht überraschend. Dies erklärt sich zum einen aus der Vielfalt der methodischen Zugänge (nomothetisch und idiografisch, quantitativ und qualitativ, usw.). Zum anderen entspricht diese Vielfalt dem heterogenen Forschungsfeld, auf dem sich Störungsbilder, Behandlungssettings, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Patienten- und Therapeutenpersönlichkeiten sowie die Auffassungen über wirksame therapeutische Interventionen sehr unterscheiden können. Entsprechend ist es schwer, den Überblick zu behalten und die eigene Position innerhalb der komplexen Therapielandschaft zu bestimmen. Metatheorien der Psychotherapie, die sich auf theoretisch und empirisch fundierte Befunde beziehen, können helfen, die Orientierung zu behalten und die Kernelemente des therapeutischen Prozesses zu erkennen.

Renommierte Experten, Forscher und Kliniker stellen in diesem Band wichtige Aspekte aus ihren Arbeiten vor. Es besteht nicht der Anspruch, damit einen Überblick über den aktuellen Stand der Psychotherapie-Prozessforschung zu geben. Vielmehr werden ausgewählte, bedeutsame Facetten des therapeutischen Prozesses dargestellt. Wir schlagen eine metatheoretische Einordnung einiger Befunde vor, die Praktikern unabhängig von ihrer therapeutischen Ausbildung zur Orientierung im therapeutischen Prozess dienen soll.

Ein besonderes Anliegen ist es für uns, auf die dynamischen Aspekte des Veränderungsprozesses zu fokussieren. Im Teil I wollen wir zeigen, dass viele Prozesse z. B. plötzliche Veränderungen, angemessen beschrieben und verstanden werden können, wenn sie unter der Perspektive der Theorie komplexer Systeme betrachtet werden. Insbesondere wird dabei postuliert, dass sich Veränderungen »aus dem Patienten selbst« heraus nach dem Prinzip der Selbstorganisation entwickeln, wenn der Therapeut hierfür die geeigneten Bedingungen schafft. Es werden die Grundgedanken dieser Theorie und ihre weitreichenden Implikationen für das Verständnis des therapeutischen Prozesses aufgezeigt.

Im Teil II werden Studien vorgestellt, in denen die metatheoretischen Prämissen der Theorie komplexer Systeme inhaltlich präzisiert und empirisch überprüft oder kasuistisch diskutiert werden. Methodische Basis dieser Studien ist ein hochfrequentes Monitoring des therapeutischen Prozesses mit dem Synergetischen Navigationssystem (SNS). Dieses liefert auch die Basis für Feedback-Informationen an den Patienten, deren Rolle im Rahmen des Prinzips der Selbstorganisation diskutiert wird.

Der Teil III widmet sich der Dynamik der therapeutischen Beziehung als anerkannten wichtigen Wirkfaktor des therapeutischen Prozesses. Hier steht die Entwicklung der therapeutischen Beziehung unter dem Aspekt der motivorientierten Beziehungsgestaltung im Mittelpunkt, wobei die aktive Rolle von Patient und Therapeut insbesondere in Bezug auf die Herstellung interpersoneller Sicherheit herausgearbeitet wird.

Im Teil IV werden qualitativ und mikroprozessanalytisch erhobene Befunde zur dynamischen Beziehungsgestaltung referiert. Es werden Konzepte und Vorschläge zur therapeutischen Prozessgestaltung für Patienten mit strukturellen Störungen aufgezeigt, u. a. auf der Basis der Operationalisierten Psychodynamische Diagnostik (OPD).

»Die Art der Beleuchtung einer Sache ändert nichts an ihrem Wesen«, behauptet Stanislaw Lec, polnischer Schriftsteller. Stimmt das? Wir hoffen jedenfalls, unsere Scheinwerfer so eingestellt zu haben, dass sich die Konturen wichtiger Kernelemente des psychotherapeutischen Prozesses abzeichnen.

Isa Sammet

Münsterlingen, im November 2014

Gerhard Dammann

Günter Schiepek

1     Freud S (1913) Zur Einleitung der Behandlung. Weitere Ratschläge zur Technik der Psy-choanalyse (I). (Separatabdruck). Leipzig und Wien, Hugo Heller. Separatabdruck aus: Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, 1913, 1(1):1–10. Meyer-Palmedo/Fichtner 1913c.

Inhalt

 

 

Reihenvorwort

Vorwort

I

Veränderungsprozesse in der Psychotherapie: komplex und selbstorganisierend

1

Der psychotherapeutische Prozess unter der Perspektive der Theorie komplexer Systeme: eine Einführung

Günter Schiepek

1.1 Ausgangslage

1.2 Zeitskalen und Abtastfrequenzen

1.3 Theorien und Modelle

1.4 Psychotherapie als selbstorganisierender Prozess bio-psycho-sozialer Systeme – Mehrebenen-Forschung

1.5 Ausblick

2

Therapeutisches Chaos – empirische Einblicke in die Komplexität menschlichen Verhaltens anhand des »Schmetterlingseffekts« psychotherapeutischer Prozesse

Guido Strunk, Wolfgang Aichhorn und Günter Schiepek

Einleitung

2.1 Studiendurchführung

2.2 Ergebnisse

2.3 Diskussion

3

Die Bedeutung von Krisen in der therapeutischen Beziehung

Antje Gumz

3.1 Krisen in der therapeutischen Beziehung

3.2 Krisen in einzelnen Sitzungen

3.3 Krisen über mehrere Sitzungen

3.4 Krisen aus dem Blickwinkel der Theorie nichtlinearer dynamischer Systeme

3.5 Fazit

II

Prozessmonitoring und therapeutisches Feedback

4

Das Synergetische Navigationssystem (SNS)

Benjamin Aas und Günter Schiepek

4.1 Die »eierlegende Wollmilchsau«

4.2 Das Synergetische Navigationssystem

4.3 Synergie aus empirischer Forschung und therapeutischer Praxis

5

Therapeutische Selbstorganisation in der stationären Psychotherapie: Veränderungsprozesse in Fallvignetten

Helmut Kronberger

5.1 Die Station als Bühne der Begegnung

5.2 Fallbeispiele

5.3 Stationäre Therapie als selbstorganisierender Prozess

6

Idiographisches Systemmonitoring in der Suizidprävention

Clemens Fartacek, Martin Plöderl und Günter Schiepek

6.1 Hintergrund

6.2 Nichtlineare Dynamik

6.3 Erfassung und Analyse suizidaler Prozesse

6.4 Das Problem der Erhebungskongruenz

6.5 Das idiographische Systemmonitoring

6.6 Der wissenschaftliche und therapeutische Nutzen des idiographischen Systemmonitorings

6.7 Abschließende Bemerkungen

7

Komplementäre Beschreibungen – die Kombination von OPD, Ressourcenerfassung, Systemmodellierung und Prozessmonitoring in der Psychotherapie

Brigitte Matschi und Günter Schiepek

7.1 Der Blick auf strukturelle Störungen: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD)

7.2 Fallbeispiel: »Ich will so sehr und scheitere«

7.3 Der Blick auf Kompetenzen und Ressourcen

7.4 Der Blick auf systemische Zusammenhänge

7.5 Therapieziele und Behandlungsschwerpunkte

7.6 Der Blick auf den Veränderungsprozess

7.7 Der Blick in die Zukunft: Nachsorge

7.8 Fazit

8

Nutzung des Real-Time-Monitoring zur Begleitung von Re-Integrationsprozessen

Raphael Calzaferri

8.1 Der Praktikabilitätstest in der »casa fidelio«

8.2 Systemmodellierung und Real-Time-Monitoring

8.3 Der Nutzen des Real-Time-Monitoring: Ein Fallbeispiel

8.4 Fazit

9

Feedback in der Psychotherapie – aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussion

Benjamin Kraus

Einleitung

9.1 Überblick über Feedbacksysteme

9.2 Empirische Evidenz

9.3 Wirkfaktorenforschung

9.4 Diskussion

9.5 Ausblick

10

Emotionsregulation und emotionsfokussiertes Prozessmonitoring in der Suchttherapie

Judith Patzig und Günter Schiepek

10.1 Der therapeutische Prozess in der Suchttherapie

10.2 Die therapeutische Beziehung

10.3 Rückfälle

10.4 Emotionen und Emotionsregulation

10.5 Therapiefeedback in der Suchttherapie

III

Die Bedeutung der therapeutischen Beziehung im therapeutischen Prozess

11

Therapeutische Beziehung zwischen Grundlagenforschung, Prozessforschung und Praxis

Franz Caspar

Einführung

11.1 Aus der Geschichte der Beschäftigung mit der Beziehung in der Verhaltenstherapie

11.2 Wissenschaftliche Grundlagen

11.3 Matching versus Responsiveness

11.4 Motivorientierte Beziehungsgestaltung

11.5 Konfrontation

11.6 Schluss

12

»Wenn man mich braucht, dann komme ich«. Zur Relevanz von nahen Beziehungen im psychotherapeutischen Prozess

Martin Rufer

12.1 Zu (m)einem Verständnis von Psychotherapie

12.2 Zur Bedeutung der Methode in der Psychotherapie

12.3 Der Einbezug von Angehörigen als »spezifische Methode«

12.4 Beziehungen als Angelpunkt für Selbstorganisationsprozesse

12.5 Mit Dritten im Bunde – von der Dyade zum ›triadischen Therapiesystem‹

13

Warum es dem Patienten plötzlich besser geht: Therapeutischer Prozess und therapeutische Beziehung unter tiefenpsychologischem und synergetischem Blickwinkel

Isa Sammet

Einführung

13.1 Der synergetische Blick auf den therapeutischen Prozess

13.2 Plötzliche Veränderungen der Befindlichkeit unter Perspektive der psychodynamischen Control-Mastery-Theorie

13.3 Sprunghafte Veränderungen der Befindlichkeit nach Tests

13.4 Fallbeispiel

13.5 Diskussion

13.6 Fazit

IV

Gestalt und Gestaltung des therapeutischen Prozesses

14

Psychotherapeutischer Prozess und Persönlichkeitsstörungen

Gerhard Dammann

Einleitung

14.1 Besonderheiten der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

14.2 Ergebnisse der Prozessforschung

14.3 Kontroversen

14.4 Die Debatte um die Deutung

14.5 Umgang mit Projektiver Identifikation/Synchronisierungsprozessen

14.6 Zusammenfassung und Herausforderungen für die Zukunft

15

Konflikt oder Struktur? Die Erfassung von OPD-Foki in Psychotherapien

Henning Schauenburg, Antonia Friedrich, Johannes C. Ehrenthal, Manfred Cierpka und Ulrike Dinger

Einführung

15.1 Die Entwicklung der Heidelberger Therapiefokusliste (HTFL)

15.2 Besonderheiten bei der Arbeit mit der HTFL

15.3 Pilotstudie zu Reliabilität und Validitätsaspekten der HTFL

15.4 Diskussion

16

Interaktive Beziehungsmuster und psychotherapeutischer Prozess

Eva Bänninger-Huber

16.1 Emotionale Prozesse und psychische Störungen

16.2 Methodisches Vorgehen

16.3 Aktuelles Forschungsprojekt

16.4 Interaktive Beziehungsmuster

16.5 Fallvignette

16.6 Interaktive Beziehungsmuster und produktiver therapeutischer Prozess

16.7 Fazit

17

Psychotherapie als Gespräch – kommunikative und interaktive Prozesse

Bernhard Grimmer

Einleitung

17.1 Gesprächsanalysen psychodynamischer Psychotherapien

17.2 Die Rekonstruktion von Rollenzuweisung und Rollenübernahme

17.3 Die Verkörperung von Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen

18

Typische Phasen des therapeutischen Prozesses unter der Perspektive von Prochaskas Transtheoretischem Modell und Grawes Allgemeiner Psychotherapie

Johannes Mander

18.1 Integrative Ansätze in der Psychotherapie

18.2 Allgemeine Psychotherapie nach Grawe

18.3 Das Transtheoretische Modell

18.4 Zusammenhänge zwischen Motivation und Intervention

18.5 Empirische Evidenz

18.6 Zusammenfassung

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Stichwortverzeichnis

 

 

 

 

Teil I    Veränderungsprozesse in der Psychotherapie: komplex und selbstorganisierend

1          Der psychotherapeutische Prozess unter der Perspektive der Theorie komplexer Systeme: eine Einführung

Günter Schiepek

1.1       Ausgangslage

Gesteht man zu, dass narrative Kasuistiken einen Beitrag zum Verständnis von Therapieprozessen leisten, dann ist die Prozessforschung so alt wie die Psychotherapie selbst. Im engeren Sinne empirische Prozessforschung und kombinierte Prozess-Outcome-Forschung gibt es seit mindestens 60 Jahren (für einen Überblick s. Orlinsky und Howard 1986; Orlinsky et al. 2004). Dennoch wissen wir wenig über die Dynamik menschlicher Veränderungsprozesse, sowohl was das Erleben und Verhalten von Klienten als auch was biologische Prozesse und die Synchronisation zwischen diesen Ebenen betrifft. Dies hat schlichtweg damit zu tun, dass es erst seit neuester Zeit intensive Bemühungen gibt, Veränderungsprozesse detailliert und engmaschig zu erfassen und die entsprechende Systemdynamik zu studieren.

Der mit Abstand größte Teil aller durchgeführten Psychotherapiestudien dient dem Nachweis der Wirksamkeit. Es handelt sich um Outcome-Studien, die mit oder ohne Vergleichs- und Kontrollgruppen darauf abzielen, die Effekte von Therapieansätzen und Therapietechniken zu belegen. Bis heute gelten Randomized Controlled Trials als der Goldstandard in der Therapieforschung, also experimentelle Studien mit Zufallszuweisung von Klienten zu den Behandlungs- bzw. Kontrollbedingungen sowie mit standardisierter, d. h. in der Regel manualisierter Therapiedurchführung. Prozesse werden dabei so gut wie nie erfasst. Dabei gibt es eine Reihe von Gründen, die für eine Intensivierung der Prozessforschung bzw. der kombinierten Prozess-Outcome-Forschung sprechen:

1.    Nach Maßgabe des Dodo-Bird-Effekts, der sich als empirisch robustes Phänomen herausgestellt hat (Wampold 2010; Sparks und Duncan 2010), sind die Effekte unterschiedlicher psychotherapeutischer Ansätze ähnlich.

2.    Ebenso robust erwies sich der Befund eines vergleichsweise geringen Anteils von Interventionen und Behandlungstechniken an der Ergebnisvarianz (Ahn und Wampold 2001; Beutler et al. 2004; Wampold 2001), welche in der Outcome-Forschung jedoch im Mittelpunkt des Interesses stehen. Wampold kommt vor dem Hintergrund der Punkte 1 und 2 zu dem Schluss: »Clinical trials comparing […] treatments should be discontinued« (Wampold 2010, S. 71).

3.    Die erhebliche interindividuelle Varianz von Therapieverläufen ebenso wie von Therapieergebnissen ist in Prozessstudien besser oder sogar nur in diesen zu untersuchen.

4.    Der Fokus der Prozessforschung kann ebenso auf der Untersuchung von Einzelfällen wie von aggregierten Einzelfällen (Stichproben beliebiger Größe) liegen. In Outcome-Studien mit ihrer Fokussierung auf Gruppenstatistiken ist dagegen der Einzelfall meist kein Thema.

5.    Die Prozess- und kombinierte Prozess-Outcome-Forschung möchte weniger zeigen, dass Psychotherapie wirkt, als vielmehr wie sie wirkt. Obwohl vom Design eher korrelativ statt experimentell angelegt, lassen sich in Prozessstudien mediierende und moderierende Variablen ebenso wie Verlaufsmuster untersuchen, aber auch Theorien zur Funktionsweise von Psychotherapie prüfen (vgl. Haken und Schiepek 2010).

6.     Prozessforschung und (quasi-)experimentelle Designs müssen sich nicht widersprechen, sondern lassen sich kombinieren (vgl. Patzig und Schiepek in diesem Band).

7.    Schließlich ist die externe und ökologische Validität von Prozessstudien meist größer, da sie ohne eine Veränderung der Behandlungsroutinen in naturalistischen Settings begleitend durchgeführt werden können. In Randomized Clinical Trials dagegen muss die Behandlungsroutine in der Regel an das Studiendesign, die methodischen Vorgaben (z. B. spezifische Patientenselektion) und die manualisierten Treatments angepasst werden, was den Transfer in natürliche Settings erschwert.

1.2       Zeitskalen und Abtastfrequenzen

Wendet man sich den vorliegenden Prozessstudien zu, so stellt man fest, dass in den seltensten Fällen tatsächlich vollständige Prozesse untersucht wurden, sondern nur Merkmale (Therapeutenvariablen, Klientenvariablen, Meso-Outcome, etc.) zu bestimmten Momenten des Therapieverlaufs, also in Form von Zeitstichproben. Solche Zustandsaussagen, die irgendwo unterwegs zum mehr oder weniger gelungenen Therapieende gewonnen wurden, werden dann mit dem Effekt korreliert und/oder in Regressionsmodelle gepackt. Beliebt ist z. B., den Klienten Fragebögen vor oder nach einzelnen (längst nicht allen) Sitzungen vorzulegen oder einzelne Therapiesitzungen videobasiert zu analysieren. Eine Aussage über die zeitliche Dynamik des gesamten Veränderungsprozesses lässt sich damit nicht gewinnen. Die Dimension Zeit, so kann man feststellen, ist in der Psychotherapieforschung bislang noch nicht wirklich angekommen. Etwas pointiert ausgedrückt: Die prozessuale Gestalt psychotherapeutischer Prozesse ist immer noch eine Black Box.

Da sich Veränderungsprozesse auf unterschiedlichen Zeitskalen abspielen – von den Sekundenbruchteilen neuronaler Aktivität und neuronaler Synchronisation über Sekunden und Minuten im Bereich der interpersonellen Kommunikation und Koordination, Sekunden, Minuten und Stunden im Bereich von Hormon- und Immunregulationsprozessen, Stunden und Tagen im Bereich von Emotions-, Motivations- und Verhaltensänderungen bis hin zu Monaten und Jahren im Bereich der Veränderung biographischer Muster und Lebensentwürfe – hängt es vom jeweiligen praktischen und wissenschaftlichen Interesse ab, welche Zeitskala man für relevant und geeignet erachtet. Entscheidend ist dabei, dass die Abtastfrequenz, also die zeitlichen Abstände und die Häufigkeit, mit der eine Datenerfassung oder Messung erfolgt, in einem sinnvollen Verhältnis zur Eigenzeit und Eigendynamik des erfassten Systemverhaltens steht. Ein kleines Gedankenexperiment macht deutlich, was gemeint ist:

Stellen Sie sich eine runde Scheibe in einem komplett dunklen Raum vor, auf der sich ein Punkt mit einer bestimmten Kreisfrequenz im Uhrzeigersinn dreht. Mit einem stroboskopischen Licht wird der Punkt immer wieder ganz kurz beleuchtet und seine Position notiert. Leuchtet das Stroboskop immer dann auf, wenn der Punkt die 12-Uhr-Position passiert, erhält man den Eindruck, der Punkt steht. Leuchtet das Licht immer auf, wenn sich der Punkt in 6-Uhr- und in 12-Uhr-Position befindet, erhält man den Eindruck, der Punkt springt alternierend in vertikaler Richtung hin und her. Ist die Abtastfrequenz geringfügig höher als die Kreisfrequenz, d. h. die Beobachtungsabstände sind kürzer als die Zeit, die für eine Umdrehung gebraucht wird, erhält man den Eindruck, der Punkt bewegt sich langsam gegen den Uhrzeigersinn. Und so weiter. Mit anderen Worten: Je nachdem, in welchem Verhältnis die Kreisfrequenz der tatsächlichen Bewegung und die Abtastrate des Messsystems zueinander stehen, erhält man einen völlig anderen Eindruck von der Dynamik des Geschehens.

Würde sich schließlich der Punkt chaotisch bewegen – z. B. weil er nicht auf einer Scheibe, sondern auf dem zweiten Arm eines Doppelpendels angebracht ist-, so hätte man keine Chance, die Trajektorie des Punktes zu beschreiben, wenn nicht sowohl die Abtastfrequenz in Relation zur Eigendynamik ausreichend hoch, regelmäßig (äquidistant) und auch normiert wäre. Der Versuch, unbekannte, scheinbar erratische Bewegungsmuster mittels unbekannter, undefinierter und ungeeigneter Abtastfrequenzen zu erfassen, ist dem Versuch vergleichbar, eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten lösen zu wollen.

Welche Abtastfrequenz nun für psychotherapeutische Prozesse optimal ist, hängt, wie gesagt, vom Fokus und Erkenntnisinteresse des Beobachters ab. Setzt man zusätzlich noch das Kriterium der Praktikabilität und ökonomischen Realisierbarkeit von Datenerfassungen in der Therapiepraxis und im Feld an, so bewähren sich für Phänomenbereiche wie Emotionen, Motivation, Selbstwertdynamik, Therapiebeziehung, selbstbezogene Kognitionen, Symptom- und Beschwerdeintensität oder Alltagserfahrungen tägliche Datenerhebungen. Mit einem Internet-basierten System wie dem Synergetischen Navigationssystem (SNS, Aas und Schiepek in diesem Band) können derartige Aspekte des Erlebens eines Klienten valide und ökonomisch erfasst werden.

Aus der täglichen Datenerfassung entstehen Zeitreihen, in denen nichtlineare Eigenschaften und die Nichtstationarität (Musterwechsel bzw. Ordnungsübergänge) der Prozesse deutlich erkennbar sind. Bei selteneren Erhebungen sind diese Eigenschaften nicht mehr zu sehen. Phänomene wie kritische Instabilitäten (an den Fluktuationen der Zeitreihen, den lokalen Maxima der dynamischen Komplexität oder an der Säulenstruktur in den Komplexitäts-Resonanz-Diagrammen erkennbar), aber auch andere Merkmale nichtlinearer, selbstorganisierender Prozesse (Veränderung von Synchronisationsmustern, Rhythmen und Rhythmuskopplungen) gehen bei zu niederfrequenter Messung verloren. Abbildung 1.1 illustriert, wie eine Zeitreihe im Tagestakt praktisch alle relevante Information verliert, wenn der Systemzustand nur noch einmal pro Woche erfasst wird. Kleine Schwankungen um den exakten 7-Tages-Rhythmus vermitteln den Eindruck völlig unterschiedlicher, unkorrelierter Verläufe, obwohl sie ein und derselben Originaldynamik entstammen.

Um sinnvolle Analysen zu gewährleisten, ist es neben einer ausreichenden Abtastfrequenz zudem notwendig, äquidistante Messungen durchzuführen. Wenngleich auch Prozessstudien mit variablen Zeitstichproben ihre Berechtigung und Indikation haben (für eine vergleichende Diskussion s. Ebner-Priemer et al. 2009), beruht doch die Aussagekraft praktisch aller linearen und nichtlinearen zeitreihenanalytischen Methoden darauf, dass die einzelnen Werte eines Zeitsignals im gleichen zeitlichen Abstand vorliegen, vor allem wenn Aussagen im Frequenzbereich durchgeführt werden sollen (Analyse von Rhythmen, Rhythmuskopplungen, Frequenzwechsel, etc.). Obwohl mit Verfahren wie dem SNS

Abb. 1.1: Darstellung eines therapeutischen Prozesses mit täglicher Abtastfrequenz (oben links). Exemplarisch handelt es sich um die tägliche Selbsteinschätzung der Emotion »Trauer« einer Borderline-Patientin im Verlauf einer annähernd viermonatigen stationären Psychotherapie. Abszisse (x-Achse): Therapiedauer in Tagen (entspricht der Anzahl der Messzeitpunkte); Ordinate (y-Achse): Ausprägung der Emotion »Trauer« auf einer Skala von 0–100 (erfasst auf einer visuellen Analogskala). In den anderen Abbildungen (rechts oben, links und rechts unten) wurde nur jeder 7. Tag mit leichten Zufallsvariationen um diesen 7-Tages-Abstand erfasst, das heißt, es wurden Messzeitpunkte gewählt, die in etwa einem einwöchigen Therapieabstand entsprechen (wie in vielen Psychotherapiepraxen üblich). Man erkennt nicht nur, dass wesentliche dynamische Merkmale des Originalverlaufs verloren gehen, sondern auch, dass die Verläufe recht unkorreliert erscheinen. Die Abbildung entstand in Zusammenarbeit mit G. Strunk.

die Erfassungsfrequenz fast beliebig gewählt werden kann, scheint es auch unter Berücksichtigung von chronobiologischen Überlegungen (zirkadiane Rhythmen, etc.) sinnvoll, bei Therapiedauern von mehreren Wochen bis mehreren Monaten eine tägliche Eingabefrequenz zu wählen. Es wäre im Sinne der Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit von zukünftigen Forschungsergebnissen wünschenswert, hier zu einer einheitlichen Praxis zu kommen und vielleicht sogar einen internationalen Standard zu etablieren.

Speziell für nichtlineare Analysen liegen bislang nur eingeschränkte Datengrundlagen vor, die aus der Arbeit weniger Forschergruppen stammen. Dies ist ein klares Defizit der Therapieforschung, denn in den Untersuchungen, die entsprechende Daten bereitgestellt haben, lassen sich eindeutige Hinweise auf nichtlineare Prozesse finden (Selbstorganisation, Ordnungsübergänge, deterministisches Chaos; z. B. Haken und Schiepek 2010; Hayes et al. 2007a, b; Kowalik et al. 1997; Schiepek et al. 1997; Schiepek et al. im Druck; Strunk und Schiepek 2006; Strunk und Schiepek 2014; Tschacher und Grawe 1996; Tschacher et al. 1998). In internationalen Übersichtsarbeiten (z. B. Orlinsky et al. 2004) und Standardwerken (z. B. Duncan et al. 2010; Lambert 2013) sucht man aber nach einschlägigen Stichwörtern (z. B. chaos, synergetics, system dynamics, nonlinear dynamics, self organization, etc.) vergeblich.

1.3       Theorien und Modelle

Für die erwähnte Black-Box-These psychotherapeutischer Veränderungsprozesse spricht auch, dass es zwar eine ganze Reihe von möglichen Variablen und theoretischen Konstrukten gibt, die diese Prozesse wahrscheinlich beeinflussen, mediieren und sogar konstituieren, aber kaum verbindliche Vorstellungen dazu, welchen Stellenwert diese prozesskonstituierenden Variablen haben, ob sie etwa allgemeiner, d. h. schulen- und settingübergreifender Art oder eher schulen- oder störungsbildspezifisch sind. Die Einteilung in spezifische und unspezifische Wirkfaktoren ist bis heute ebenso geläufig wie umstritten (z. B. Wampold 2001). Vor allem gibt es keine spezifische Idee dazu, wie diese Wirkfaktoren, Konstrukte oder Variablen zusammenspielen und aus diesem Zusammenspiel dann ihre Dy-namik entwickeln. Namhafte Autoren (z. B. Clarkin und Levy 2004, S. 215) weisen zwar darauf hin, dass sich die Wirkfaktoren in einem »dynamic and ever changing context« entfalten, also nichtlineare Systeme bilden, die höchst individuelle Verläufe produzieren, welche vor allem durch statische Prädiktoren zu Therapiebeginn nur sehr schlecht vorhergesagt werden können (vgl. Strunk et al. in diesem Band). Aber das Zusammenspiel der Wirkfaktoren kann man sich bislang nur sehr allgemein und unverbindlich ausmalen. Das so genannte Generic Model von Orlinsky und Howard (z. B. 1986) ist ein solches Gemälde, das von Orlinsky et al. (2004) um zusätzliche Aspekte ergänzt wurde (vgl. aktuell auch Strunk und Schiepek 2014). Interessant daran ist, dass in diesem Modell keine direkte Wirkung von Interventionen auf den Therapieeffekt eingezeichnet ist, sondern die Interventionen über die self-relatedness und Aufnahmebereitschaft des Klienten erst innere Prozesse anregen müssen, um sich in Mikro-Therapieeffekten zu manifestieren. Grawe hat in einer Arbeit von 1995 einen Vorschlag für das Zusammenspiel von Wirkfaktoren vorgelegt, den wir (Schiepek und Cremers 2003) zu dem in Abbildung 1.2 gezeigten Modell erweitert haben.

Die Pfeile zwischen den Konstrukten und Variabeln haben bislang eher symbolischen Wert. Wie die wechselseitigen Einflüsse genau aussehen, von welchen Parametern sie bestimmt werden und wie man das qualitative Modell in einen konkreten Formalismus (z. B. in ein System von Differenzen- oder Differentialgleichungen) übersetzen könnte, ist bislang ebenso unklar wie unversucht geblieben. Eine mathematische Modellierung der Therapeut-Klient-Beziehung wurde allerdings z. B. von der Arbeitsgruppe um Gottman vorgeschlagen (Peluso et al. 2012), die in der Vergangenheit bereits Modellierungen der Partnerschaftsinteraktion beschrieben hatte. Dies kann als erster Schritt gelten. Dass Systemmodelle prinzipiell in Gleichungssysteme übersetzbar sind und man damit klinische

Abb. 1.2: Netzwerkmodell therapierelevanter Konstrukte. Es kann angenommen werden, dass die nichtlinearen Wechselwirkungen zwischen den Variablen im Einzelfall den therapeutischen Prozess konstituieren. Eine genaue Spezifikation dieser Wechselwirkungen und der sie bestimmenden Parameter liegt allerdings in der Psychotherapieforschung bislang nicht vor (aus: Schiepek und Cremers 2003, S. 186).

Verläufe simulieren kann, wurde schon vor Jahren (unter anderem am Beispiel von Langzeitverläufen der Schizophrenie) gezeigt (Schiepek und Schoppek 1991). Die »Daten« waren dabei allerdings nur Schemazeichnungen unterschiedlicher Verlaufstypen der Schizophrenie, die sich in den unterschiedlich parametrisierten Simulationsläufen gut reproduzieren ließen. Heute nun könnte man konkrete empirische Daten zu den im Modell enthaltenen Variablen mittels SNS generieren, die Simulation auf die realen empirischen Ausgangswerte eines Therapieverlaufs einstellen und die Parametrisierung des Modells anhand der empirischen Daten justieren und testen.

1.4       Psychotherapie als selbstorganisierender Prozess bio-psycho-sozialer Systeme – Mehrebenen-Forschung

Der Mensch als komplexes bio-psycho-soziales System vollzieht Entwicklungs- und Veränderungsprozesse auf mehreren Ebenen. Von Interesse wäre es daher, auch die Psychotherapieforschung auf mehreren Systemebenen anzusetzen und diese in ihrer Synchronisation und Resonanz zu erfassen. Beispiele gibt es aus dem Bereich der Psychoneuroimmunologie, wo gezeigt werden konnte, wie das subjektive Erleben von Patienten (Emotionen, Krankheitserleben, Stress) mit Immunparametern (z. B. Neopterin) und Endokrinparametern (z. B. Cortisol) in Relation steht. Die Bestimmung von Neopterin und Cortisol erfolgte in Studien an der Universität Innsbruck im permanent gesammelten Harn von Patientinnen mit einer Autoimmunerkrankung (Lupus Erythematodes) (Schubert et al. 2003, 2006; Schubert und Schiepek 2003). Vor allem die dynamischen Komplexitäten (Schiepek und Strunk 2010) der psychologischen Zeitreihen sowie der von Neopterin und Cortisol erwiesen sich in den Einzelfallstudien als ausgeprägt synchron.

Im Bereich der funktionellen Bildgebung wurde damit begonnen, die neuronale Aktivität mit wiederholten fMRT-Scans im Psychotherapieprozess zu erfassen (Buchheim et al. 2012, 2013; Schiepek et al. 2009; Schnell und Herpertz 2007). Dabei konnten Bezüge hergestellt werden zwischen psychologischen Markern und der Veränderung neuronaler Aktivität. Buchheim et al. (2013) haben ein ausführliches klinisches Fallbeispiel geliefert und deutlich gemacht, dass qualitativ-klinische Beschreibungen (also der klassische Zugang der Kasuistik) und funktionelle Bildgebung aufeinander beziehbar sind und sich mit Gewinn ergänzen.

Theoriegeleitete Mehrebenen-Forschung verortet sich im Moment zunehmend mehr im Theoriespektrum komplexer dynamischer Systeme. Vor allem Chaostheorie und Synergetik liefern Modelle, aus denen sich zahlreiche Hypothesen zum psychotherapeutischen Prozess ableiten. Dies betrifft die komplexe

Abb. 1.3: Beispiel für einen Ordnungsübergang im Therapieprozess einer Patientin mit Waschzwängen (64 Tage entsprechen 64 Messzeitpunkten). Kurven im oberen Teil der Abbildung: Dynamische Komplexität der TPB-Faktoren I »Therapeutische Fortschritte/Zuversicht/Selbstwirksamkeit«, IV »Dysphorische Affektivität«, V »Perspektivenerweiterung/Innovation« und VII »Beschwerden/Symptomausprägung«. Darunter: Balken unter dem Maximum der Kurven: Kritische Instabilität (statistisch signifikante Ausprägung der dynamischen Komplexität). Balken rechts daneben: Zeitraum des Flooding (exposure with resonse prevention). Darunter das dazugehörige Komplexitäts-Resonanz-Diagramm, in dem die Ausprägung der dynamischen Komplexität in eine Farbskala übertragen ist (hier nur in Graustufen wiedergegeben). Hellere Grautöne stehen für hohe Komplexität. Das untere Diagramm zeigt den Verlauf der Y-BOCS, deren Ausprägung sich im Umfeld der kritischen Instabilität, aber noch vor dem Beginn der Expositionsphase (Flooding) deutlich reduziert.

dynamische Ordnung des Geschehens (Psychotherapie als chaotischer Prozess), dessen Spezifität, Individualität und begrenzte Vorhersehbarkeit, die Multistabilität der Dynamik, nichtstationäre Entwicklungen (Ordnungsübergänge), das Auftreten kritischer Instabilitäten im Umfeld solcher Ordnungsübergänge, die Rolle von Kontrollparametern sowie von Interventionen in der Therapie, Hysterese-Phänomene oder die konzeptuelle Rahmung verschiedener unspezifischer Wirkfaktoren in den so genannten generischen Prinzipien (vgl. Haken und Schiepek 2010; Schiepek et al. 2013a; Schiepek et al. im Druck; Strunk und Schiepek 2014). Im SNS können kritisch instabile Phasen und Ordnungsübergänge in der Therapie inzwischen auch für den Einzelfall kontinuierlich und auf der Höhe des Geschehens mitverfolgt werden (Abb. 1.3).

In einem Projekt zur Dynamik stationärer Psychotherapie bei Zwangspatienten konnten Ordnungsübergänge in Zeitreihen, die auf täglichen Selbsteinschätzungen beruhten (erfasst mit dem Therapie-Prozessbogen) und in wiederholten

Abb. 1.4: Exemplarische Darstellung des Therapieverlaufs einer Patientin des Projekts zur Therapiedynamik mit wiederholten fMRT-Messungen (Schiepek et al. 2009, 2013b). Graue Linie: Verlauf des Y-BOCS-Gesamtscores (Intensität von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, erfasst einmal pro Woche). Schwarze Kurve: Mittlere dynamische Komplexität aller Items des Therapie-Prozessbogens. Tägliche Einschätzungen. Die dynamische Komplexität wird in einem Gleitfenster von 7 Messpunkten berechnet. Vor dem steilsten Gradient der Symptomreduktion (Ordnungsübergang) etwa in der Mitte der Therapie ist ein deutlicher Anstieg der dynamischen Komplexität zu erkennen (kritische Instabilität). Die schwarzen Pfeile markieren die Zeitpunkte der fMRT-Scans (Tage 9, 30, 59). In diesem Fall fanden drei Scans statt.

fMRT-Messungen nachgewiesen werden (Schiepek et al. 2013b). Einbezogen wurden neun (mit einer Ausnahme) unmedizierte Patientinnen und Patienten, die primär an Waschzwängen mit Kontaminationsängsten litten, sowie neun nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad parallelisierte gesunde Kontrollpersonen. Einmal mehr wurde in diesen Verläufen deutlich, dass in Psychotherapien diskontinuierliche Übergänge auftreten, die unter anderem an der Ausprägung der Symptomatik (hier den Y-BOCS-Werten von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, Abb. 1.3 und Abb. 1.4) zu erkennen waren. Abbildung 1.4 verdeutlich an einem exemplarischen Therapieverlauf, wo die in Folge durchgeführten fMRT-Messungen im Prozess positioniert waren, und gibt auch die dynamische Komplexität (gemittelt über alle Items des TPB) sowie den Verlauf der Y-BOCS-Scores (Selbsteinschätzung einmal pro Woche) wieder. Ordnungsübergänge waren begleitet von lokalen kritischen Instabilitäten. Die deutlichste Veränderung in den neuronalen Aktivierungsmustern (Anzahl signifikanter Voxel in den Regions of Interest) trat im Prozess vor allem dort auf, wo Ordnungsübergänge in der psychologischen Dynamik stattfanden. Die Voxel-Veränderung war zwischen denjenigen Scans besonders (und auch statistisch signifikant) ausgeprägt, zwischen denen entsprechende Ordnungsübergänge lagen (Abb. 1.5). Außerhalb der Ordnungsübergänge waren die neuronalen Veränderungen deutlich geringer, und am unauffälligsten waren die Veränderungen zwischen den (zeitlich parallelisierten) Scans bei den gesunden Kontrollen, die auch keine Psychotherapie durchliefen.

Das Stimulationsparadigma der Studie benutzte individuelle zwangsauslösende Bilder, die im häuslichen Umfeld der Patienten/-innen aufgenommen worden waren. Diese wurden kontrastiert mit Ekelbildern und mit emotional neutralen Bildern aus dem International Affective Picture System (IAPS). In einer aktuellen Studie wurde das Stimulationsparadigma erweitert um standardisierte zwangsauslösende Bilder aus dem Maudsley Obsessive Compulsive Stimulus Set (Mataix-Cols et al. 2009). Hinzu kommt eine Resting State Phase im Scanner und ein Diffusion Tensor Imaging (DTI), um auch die funktionelle Konnektivität während des nicht-aktivierten Zustands (default mode) während der einzelnen Messungen und vor allem in der zeitlichen Abfolge der Messungen modellieren

Abb. 1.5: Unterschiede in der Veränderung neuronaler Aktivierungsmuster. Linke Säule (OT): Durchschnittliche Veränderung signifikanter Voxel zwischen fMRT-Scans, zwischen denen im Psychotherapieverlauf der Zwangspatienten ein Ordnungsübergang lag (Order Transition, OT). Mittlere Säule: Durchschnittliche Veränderung signifikanter Voxel zwischen fMRT-Scans, zwischen denen im Psychotherapieverlauf der Zwangspatienten kein Ordnungsübergang lag (No Order Transition, NOT). Rechte Säule: Durchschnittliche Veränderung signifikanter Voxel zwischen den fMRT-Scans der gesunden Kontrollen (Inter-Scan Intervals, ISI). Die Linke Graphik bezieht sich auf die durchschnittlichen absoluten Voxelveränderungen, die rechte auf relative prozentale Veränderungen (für Deatils s. Schiepek et al. 2013b). Senkrechte Linien: 95-%-Konfidenzintervall. Die Veränderung bezieht sich auf eine Mitteilung über die Regions of Interest: Anteriorer cingulärer Kortex (v. a. dorsaler Bereich) und supplementärer motorischer Kortex (ACC/CC), dorsolateraler präfrontaler Kortex (DLPFC) links und rechts, insulärer Kortex links und rechts, pariet aler Kortex links und rechts, Cuneus.

zu können (zur Methode vgl. Deco et al. 2011, im Druck). Die Modellierung der funktionellen Konnektivität wird ergänzt um eine Analyse der effektiven Konnektivität (Dynamic Causal Modelling; Friston et al. 2003; Eickhoff und Grefkes 2011). An den Tagen der vier bis fünf fMRT-Messungen im drei- bis viermonatigen Therapieprozess wird Blut abgenommen, um den neuronalen Wachstumsfaktor BDNF als Indikator neuronaler Reorganisation (Koch et al. 2008) sowie Oxytocin und Cortisol bestimmen zu können. Über das SNS werden nicht nur tägliche Selbsteinschätzungen mit dem Therapie-Prozessbogen (42 Items: Haken und Schiepek 2010; Schiepek et al. 2012) erfasst, sondern es können auch Therapietagebücher geschrieben werden, die für qualitative und quantitative Textanalysen zur Verfügung stehen. Damit kombiniert sich die quantitative (Messen und Erklären) mit der qualitativen Ebene des Prozesses (Verstehen) sowie die psychologische Ebene mit der neuronalen (fMRT) und biochemischen (Endokrinologie, Immunologie).

1.5       Ausblick

Diese kurze Einführung in die Thematik dieses Bandes beabsichtigte nicht, einen Überblick über bestehende Forschungsansätze zu geben. Insbesondere auf die Forschung zur Therapeut-Klient-Interaktion, die sich auf zum Teil sehr hoher zeitlicher Auflösung den verbalen, non-verbalen und motorischen Mikrointeraktionen und -synchronisationen widmet (vgl. Bänninger-Huber in diesem Band; Kowalik et al. 1997; Ramseyer und Tschacher 2008; Schiepek et al. 1997; Walter et al. 2010) kann nicht eingegangen werden. Es sollte aber deutlich werden, dass sich unter Nutzung der aktuellen systemischen Neurowissenschaften und des Internet-basierten Prozessmonitorings ein faszinierendes Forschungsfeld auftut. Unterschiedliche Systeme lassen sich im theoretischen Rahmen komplexer, selbstorganisierender Systeme aufeinander beziehen und bieten die Möglichkeit zur Methodenintegration, aber auch zu einer Erklärung des psychotherapeutischen Veränderungsprozesses.

 

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2          Therapeutisches Chaos – empirische Einblicke in die Komplexität menschlichen Verhaltens anhand des »Schmetterlingseffekts« psychotherapeutischer Prozesse

Guido Strunk, Wolfgang Aichhorn und Günter Schiepek

Einleitung

Vor über 60 Jahren haben Miller, Galanter und Pribram (1960, 1973) die Frage nach der Komplexität menschlichen Verhaltens pointiert mit Bezug auf eine optimistische und eine pessimistische Betrachtung des Problems diskutiert. Die Optimisten seien davon überzeugt, dass menschliches Verhalten grundsätzlich verstanden werden könne. Ihre Perspektive ist in der Regel mechanistisch begründet. So wie Newton in seiner Principia Mathematica auf die Einfachheit aller Naturerscheinungen verweist (Newton 1846/1687, S. 384), sei auch menschliches Verhalten auf Naturgesetzlichkeiten – etwa die Gesetze der klassischen und operanten Konditionierung (z. B. Watson 1913) – rückführbar (ausführlich dazu Strunk und Schiepek 2006, Kap. 2). Demgegenüber verweisen die Pessimisten auf die ihrer Meinung nach beinahe unglaubliche Komplexität menschlichen Verhaltens. Sie schätzen die Möglichkeit einer mechanistischen Betrachtung menschlichen Verhaltens generell als wenig vielversprechend ein und gehen davon aus, »[…] dass wir es mit komplizierten, irreführenden und der Erforschung wenig entgegenkommenden lebenden Organismen zu tun haben« (Miller et al. 1973, S. 16). Die Argumente der Pessimisten sind ähnlich zu denen, die Heinz von Foerster anführt, um seine Unterscheidung zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen zu begründen (von Foerster 1970, 1985). Er verwies darauf, dass klassische behaviorale Ansätze davon ausgehen, dass es sich beim Menschen um eine triviale Maschine handle, bei der äußere Reize gesetzmäßig mit dem Output der Maschine, also dem gezeigten Verhalten verknüpft seien. Diese Annahme setze voraus, dass innerhalb der so genannten »Black Box« nichts geschieht, was die gesetzmäßige Verknüpfung zwischen Input und Output verändert (vgl. auch Watson 1913). Der Mensch wäre aber – so Heinz von Foerster (1970) – ein lernendes Wesen und die Black Box enthalte daher wahrscheinlich doch Mechanismen, die zu einer beständigen Veränderung der Input-Output-Beziehung beitrage. Im Rahmen eines Gedankenexperimentes stellt er eine einfache kybernetische Maschine vor, die ihre inneren Zustände verändert und damit auch die Input-Output-Beziehungen moduliert. Obwohl diese Maschine weder über ein »Seele« noch über einen »freien Willen« verfügt und vollständig im Computer simuliert werden kann, sind Input und Output hier nicht mehr nachvollziehbar miteinander verknüpft. Solange nicht bekannt ist, was innerhalb der Black Box vorgeht, kann das Verhalten des Systems unmöglich verstanden werden, auch dann nicht, wenn das Verhalten in der Black Box an sich trivial ist. Die Folgerung aus dieser Argumentation verwies auf die Würdigung der Mechanismen der Black Box. Ohne ihre Kenntnis könne menschliches Verhalten nicht adäquat beschrieben werden.

Aber auch von anderer Seite kam es in den letzten einhundert Jahren zu Zweifeln an der Vorhersagbarkeit des Naturgeschehens. Selbst die Newtonsche Beschreibung der Planetenbahnen stellte sich bei genauerer Betrachtung als unmöglich heraus. Um 1890 entdeckte Henri Poincaré Unregelmäßigkeiten in der Vorhersage von Planetenbahnen, was heute als Geburtsstunde der so genannten Chaosforschung