Der Pudding des armen Mannes und die Brosamen des Reichen - Herman Melville - E-Book

Der Pudding des armen Mannes und die Brosamen des Reichen E-Book

Herman Melville.

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Beschreibung

Das Werk "Der Pudding des armen Mannes und die Brosamen des Reichen" enthält die beiden Kurzgeschichten "Der Pudding des armen Mannes" und "Die Brosamen des Reichen" von Herman Melville. Herman Melville, geboren als Herman Melvill (* 1. August 1819 in New York City, New York; † 28. September 1891 ebenda) war ein amerikanischer Schriftsteller, Dichter und Essayist. Melvilles "Moby-Dick" gilt als einer der bedeutendsten Romane der Weltliteratur.

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Herman Melville

Der Pudding des armen Mannes und die Brosamen des Reichen

Erstes BildDer Pudding des armen Mannes

»Sie sehen«, sagte der Dichter Blandmour enthusiastisch, als wir vor etwa vierzig Jahren gegen Ende März durch weiches, feuchtes Schneegeriesel die Landstraße hinunter gingen, »Sie sehen, mein Freund, unsere gesegnete Wohltäterin, die Natur, ist in allem gütig und nicht nur das, sie ist auch so weise in ihrer Mildtätigkeit, wie es nur irgendein vernünftiger menschlicher Philantrop sein kann. Dieser Schnee hier, der so ungelegen zu kommen scheint, ist tatsächlich gerade das, was der arme Landmann braucht. Mit Recht nennt man den weichen Märzschnee, der dicht vor der Saatzeit fällt, mit Recht nennt man ihn ›den Dünger des armen Mannes‹. Von einem freundlichen Himmel auf die Erde herabrieselnd durchdringt er mild und nährend jede Scholle, jede Furche, jeden Rain. Dem armen Landmann bringt er soviel Nutzen wie der Dünger des reichen Bauernhofs. Und der Arme braucht sich nicht zu bemühen, ihn auszubreiten, was doch der Reiche tun muß.«

»Möglich«, antwortete ich ohne dieselbe Begeisterung und strich mir ein paar feuchte Flocken von der Brust. »Vielleicht ist es so, lieber Blandmour. Aber was sagen Sie dazu, daß der Wind ganze Wehen ›Dünger des armen Mannes‹ hier von dem zwei Morgen großen Ackerstückchen des armen Coulter wegtreibt und dort auf dem Zwanzig-Morgen-Acker des reichen Gutsbesitzers Teamster aufhäuft?«

»Oh! Gewiß – jawohl. Ich denke mir, Coulters Feld wird ohne weitere Bewässerung feucht genug sein. Es ist ja schon ein Fest, genug zu haben, wissen Sie.«

»Ja«, entgegnete ich, mir wieder ein ganzes Gestöber feuchter Flocken abschüttelnd, »wenigstens von dem nassen Zeug. Dieser warme Frühlingsschnee mag ja, wie Sie meinen, ganz nützlich sein, aber was sagen Sie zu dem vielen kalten Schnee in den langen, langen Wintern hier?«

»Wie? Erinnern Sie sich nicht der Worte des Psalmisten? ›Denn der Herr gibt Schnee wie Wolle‹, womit nicht nur gemeint ist, daß der Schnee so weiß ist wie Wolle, sondern auch so warm wie Wolle. Und zwar, wie ich annehme, aus demselben Grunde, aus dem Wolle so angenehm, weil die zwischen ihren Fasern eingeschlossene Luft die Wärme bewahrt. Genau dasselbe ist es, wenn Sie im Dezember auf einem mit solchem Schneevließ bedeckten Feld die Temperatur messen; ohne Zweifel werden Sie sie um einige Grade höher finden als die der Luft. Sie sehen also, sogar der Winterschnee ist eine Wohltat. Tatsächlich wärmt er unter dem Vorwand von Frost, wie ein barscher Philanthrop, die Erde, die später von diesen milden Märzflocken befruchtend befeuchtet wird.«

»Ich höre Ihnen gern zu, lieber Blandmour, und kann unter dem Einfluß Ihres gütigen Herzens dem armen Coulter nur recht viel von diesem ›Dünger des armen Mannes‹ wünschen.«

»Das ist aber noch nicht alles«, erklärte Blandmour eifrig. »Haben Sie nie etwas von dem ›Augenwasser des armen Mannes‹ gehört?«

»Nie.«

»Nehmen Sie diesen weichen Märzschnee, schmelzen Sie ihn und füllen ihn auf Flaschen. Er hält sich rein wie Alkohol. Für schwache Augen das Beste von der Welt. Ich habe einen ganzen Ballon davon. Der ärmste an den Augen leidende Mann kann sich kostenlos zu diesem allgütigen Heilmittel verhelfen. Wenn das keine freundliche Fürsorge ist!«

»Dann ist ›der Dünger des armen Mannes‹ auch gleichzeitig ›das Augenwasser des armen Mannes‹?«

»Sehr richtig. Und was könnte sparsamer erdacht sein? Eine Sache, die zweierlei Zwecken entspricht – und noch dazu so verschiedenen.«

»Wirklich sehr verschiedenen.«

»Ja, das ist so Ihre Art, sich über ernste Dinge lustig zu machen. Tut nichts. Wir sprechen vom Schnee; aber gewöhnliches Regenwasser, wie es das ganze Jahr über fällt, ist noch viel gütiger. Nicht zu reden von seiner bekannten Eigenschaft, die Felder zu befruchten, betrachten Sie es in einem bescheideneren Licht. Bitte, haben Sie je vom ›Ei des armen Mannes‹ gehört?«

»Niemals. Was ist denn das wieder?«

»Nun, bei gewissen Vorbereitungen in der Küche mit Weizenmehl oder ähnlichem, wozu das Kochbuch Eier empfiehlt, kann man an Stelle der Eier einen Tassenkopf kaltes Regenwasser nehmen, das wie Hefe wirkt. So eine Tasse kaltes Regenwasser nennen die Hausfrauen dann das ›Ei des armen Mannes‹. Haushälterinnen reicher Leute verwenden es auch manchmal.«

»Doch nur, wenn sie gerade keine Hühnereier haben, nehme ich an, lieber Blandmour. Aber im Ernst gesprochen, was Sie da erzählen, gefällt mir sehr. Sprechen Sie weiter.«

»Dann gibt es noch das ›Pflaster des armen Mannes‹ für Wunden und andere körperliche Schäden, ein Heilmittel und Linderungsmittel, das aus einfachen, natürlichen Dingen besteht und also sehr billig ist, so daß es sich der ärmste Leidende leisten kann. Reiche Leute gebrauchen oft das ›Pflaster des armen Mannes‹.«

»Aber nicht ohne vorher gegen Honorar den sachverständigen Rat eines Arztes einzuholen, lieber Blandmour.«

»Ohne Zweifel, zuerst konsultieren sie ihren Arzt, was wohl unnötige Vorsicht ist.«

»Möglich. Ich will nicht widersprechen. Weiter.«

»Gut also, haben Sie je den Pudding des armen Mannes gekostet?«

»Noch nicht einmal etwas von ihm gehört habe ich.«

»Wirklich? Nun, jetzt sollen Sie ihn kosten. Und zwar sollen Sie ihn nicht eigens für Sie gemacht essen, sondern echt, von der Frau eines armen Mannes zubereitet, am Tisch eines armen Mannes, im Hause eines armen Mannes. Nur zu, und sagen Sie nach dem Essen nicht, daß der ›Pudding des armen Mannes‹ ebenso schmackhaft ist wie der eines Reichen, so will ich die ganze Sache fallen lassen, bei der es sich kurz und gut darum handelt, daß die gütige Natur dem Armen erlaubt, aus seiner Armut selbst Vorteil zu ziehen.«

Doch genug von unseren Gesprächen über diesen Gegenstand. Wir hatten deren verschiedene, denn ich war damals meiner Gesundheit wegen in dieser Gegend bei Blandmour zu Gast. Es möge genügen, daß ich mich an einem regnerischen Montagmittag (der Schnee war inzwischen aufgetaut) auf Blandmours Betreiben hin selbst in Coulters Haus vorstellte unter dem unschuldigen Vorwand, als Wanderer um ein oder zwei Stunden Ruhe und Erholung zu bitten.