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H. P. Lovecraft: "Welcher Schriftsteller kann schon mit Howard mithalten, wenn es um pure, lebendige Angst geht?" Robert E. Howard (1906–1936) gilt mit seinen Geschichten um Helden wie Conan von Cimmerien, Red Sonja und Solomon Kane als der Begründer der modernen 'Schwert und Magie'-Fantasy. Er war ein Schriftsteller von gewaltiger visionärer und literarischer Kraft. Obwohl Howard sehr jung starb, haben seine fantastisch-historischen Erzählungen bis heute eine enorme Fangemeinde gefunden. Festa veröffentlicht erstmals auf Deutsch seine unheimlichen Geschichten (5 Bände), darunter einige die zu H. P. Lovecrafts 'Cthulhu-Mythos' gezählt werden können. Das Bonusmaterial bilden Briefe zwischen H. P. Lovecraft und Robert E. Howard sowie Essays zu Leben und Werk des Texaners. Stephen King: "In Howards besten Erzählungen steckt eine so unglaubliche Energie, dass geradezu Funken sprühen!" Robert Bloch: "Hinter Howards Erzählungen lauert eine dunkle Poetik, und die zeitlose Wahrheit der Träume."
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Seitenzahl: 527
Veröffentlichungsjahr: 2013
Aus dem Amerikanischen von Michael Weh
1. Der Mörder im Dunkeln
Ägyptische Finsternis! Diese Formulierung lässt Bilder im Kopf entstehen, bei denen man sich zutiefst unwohl fühlt. Sie weckt nicht nur die Vorstellung von absoluter Dunkelheit, sondern auch von unvorstellbaren Erscheinungen, die in den düstersten aller Schatten lauern und die Sonne meiden wie der Teufel das Weihwasser. Gestalten, die jenseits der Grenzen der gewöhnlichen menschlichen Existenz auf Raubzug gehen.
Derlei fatalistische Gedanken gingen mir in jener Nacht durch den Kopf, während ich dem schmalen Pfad folgte, der sich durch die tiefen Kiefernwälder wand. Sie begleiteten wohl jeden, der es wagte, in völliger Abwesenheit von Tageslicht in jene dicht bewaldete Flusslandschaft einzudringen, welche die Schwarzen aus unerfindlichen Gründen Ägypten getauft haben.
Diesseits des lichtlosen Abgrunds der Hölle gibt es keine Finsternis, die so absolut ist wie die Finsternis dieser Kiefernwälder. Ich musste den Weg, der sich zwischen Mauern aus massivem Ebenholz entlangschlängelt, halb erahnen. Ich folgte ihm sowohl mit dem Instinkt eines Waldbewohners als auch unter Einsatz sämtlicher Sinnesorgane.
Ich ging so rasch, wie ich mich traute, aber in meine Eile mischte sich Heimlichkeit, und meine Ohren waren vor lauter Wachsamkeit geschärft wie ein Messer. Diese Vorsicht rührte nicht von den unheimlichen Überlegungen her, die die Dunkelheit und Stille ausgelöst hatten. Es gab gute und konkrete Gründe, auf der Hut zu sein. Meinetwegen konnten Geister die Wälder mit blutigem, offenem Rachen und Hunger auf Menschenfleisch durchstreifen. Die Geister waren es nicht, die ich fürchtete.
Ich fürchtete mich. Lauschte auf Zweige, die unter kräftigen Füßen zerbrachen, und auf jegliches Geräusch, das einen aus den schwarzen Schatten zuschlagenden Mörder ankündigen mochte. Die Kreatur, von der ich befürchtete, dass sie Ägypten heimsuchte, bereitete mir weitaus mehr Sorgen als irgendein schnatterndes Phantom.
An jenem Morgen war der schlimmste schwarze Schurke im ganzen Bundesstaat dem starken Arm des Gesetzes entkommen, und er zog eine grausame Leichenspur hinter sich her. Unten am Fluss bellten Bluthunde im Dickicht, und entschlossene Männer mit Gewehren suchten die Sträucher ab.
Sie hielten in der Abgeschiedenheit der verstreuten schwarzen Wohnsiedlungen nach ihm Ausschau, weil sie vermuteten, dass er sich dort verstecken könnte. Aber ich kannte Tope Braxton besser. Ich wusste, dass seine Handlungen nicht vorhersehbar waren. Er erschien mir äußerst primitiv und rückständig genug, um in die unbewohnte Wildnis einzutauchen und wie ein blutrünstiger Gorilla in Einsamkeit zu leben. Jeder normale Mensch wäre vor dieser Vorstellung entsetzt zurückgeschreckt.
Während sich also die Verfolger in eine andere Richtung fortbewegten, ritt ich alleine nach Ägypten. Aber ich ließ mich nicht nur deswegen auf diese abgelegene Gegend ein, um nach Tope Braxton zu suchen. Meine vordringliche Aufgabe war es, jemanden zu warnen. Tief in dem Kiefernlabyrinth lebte ein Mann alleine mit seinem Diener, und es wäre jedermanns Pflicht gewesen, ihn vor einem Mörder mit Blut an den Händen zu bewahren, der möglicherweise um seine Hütte herumschlich.
Vielleicht war es dumm von mir, die Gegend zu Fuß zu durchqueren, aber Männer, die den Namen Garfield tragen, geben für gewöhnlich nicht so schnell auf, wenn sie sich etwas vorgenommen haben. Als mein Pferd unerwartet lahmte, ließ ich es an einer der Hütten zurück, die am Rande von Ägypten standen, und ging zu Fuß weiter. Unterwegs holte mich die Nacht ein, und ich hatte vor, bis zum Morgen bei dem Mann zu bleiben, den ich warnen wollte – Richard Brent.
Er war ein wortkarger Einsiedler, misstrauisch und eigenwillig, aber er würde sich wohl kaum weigern, mich bei sich aufzunehmen. Er galt als mysteriöse Erscheinung. Niemand wusste, weshalb er sich in einem im Süden gelegenen Kiefernwald versteckt hielt. Seit etwa sechs Monaten wohnte er in der alten Hütte im Herzen von Ägypten.
Plötzlich, während ich mir meinen Weg durch die Dunkelheit bahnte, wurden meine Gedanken an den geheimnisvollen Einsiedler unterbrochen und verschwanden jäh aus meinem Geist. Ich erstarrte. Die Nerven in meinen Handrücken kitzelten. Ein unerwarteter Schrei aus den Schatten kann so etwas bewirken, vor allem, wenn sich Schmerz und Grauen in ihm niederschlagen. Er drang von einer Position irgendwo vor mir an meine Ohren. Auf den Schrei folgte atemlose Stille; eine Stille, in der der Wald die Luft anzuhalten schien und die Dunkelheit mich noch tiefer umschloss.
Da wiederholte sich der Schrei, diesmal ganz in meiner Nähe. Ich hörte das Trampeln nackter Füße auf dem Pfad, und eine Gestalt warf sich mir aus der Dunkelheit entgegen.
Ich hielt meinen Revolver in der Hand und streckte ihn instinktiv aus, um den unbekannten Angreifer abzuwehren. Das Einzige, was mich davon abhielt, den Abzug zu betätigen, waren die Geräusche, die mein Gegenüber ausstieß – ein Keuchen und Schluchzen, das auf Angst und Schmerzen hindeutete. Es musste sich um einen Mann handeln, und er war offensichtlich schwer mitgenommen. Er stürzte mir entgegen, schrie erneut und fiel längs auf den Boden, während er ohne Unterlass geiferte und jammerte.
»Mein Gott, rette mich! Oh Gott, hab Gnade mit mir!«
»Was zum Teufel ist mit Ihnen los?«, verlangte ich zu wissen. Angesichts der Qualen in der haspelnden Stimme richteten sich meine Nackenhaare auf.
Der arme Tropf erkannte meine Stimme und grapschte nach meinen Knien.
»Oh, Meister Kirby, beschützen Sie mich vor ihm. Er hat schon meinen Körper getötet, und jetzt will er auch meine Seele! Ich bin’s, der arme Jim Tike. Lassen Sie nicht zu, dass er mich erwischt!«
Ich zündete ein Streichholz an und stand staunend da, während es bis zu meinen Fingern herunterbrannte. Vor mir kauerte ein schwarzer Mann im Staub. Seine Augen waren derart verdreht, dass ich nur das Weiße darin erkennen konnte. Ich kannte ihn gut. Einer der Farbigen, die am Rand von Ägypten in ihren winzigen Holzhütten lebten. Er war mit Blut bespritzt, und ich hielt ihn für tödlich verwundet.
Nur dank einer unnatürlichen Energie, die wilder Panik entsprang, hatte er noch so weit laufen können. Blut strömte aus zerfetzten Adern und Arterien in Brust, Schulter und Hals, und die Wunden waren grausam zugerichtet. Es handelte sich um klaffende Risse, wie sie keine Kugel und kein Messer verursacht haben konnten. Eines seiner Ohren hing abgerissen herunter, ein gewaltiger Hautfetzen baumelte zwischen Kinn und Hals, als hätte ein riesiges Tier ihn mit seinen Reißzähnen abgebissen.
»Was in Gottes Namen hat Ihnen das angetan?«, stieß ich hervor, als das Streichholz erlosch und der Mann sich zu einem unbestimmten Schemen in der Dunkelheit vor mir verwandelte. »Ein Bär?« Schon als ich die Worte sprach, wusste ich, dass man seit 30 Jahren keinen Bären in Ägypten gesichtet hatte.
»Er war’s!« Das schluchzende Gemurmel drang durch die Schwärze. »Der weiße Mann, der zu meiner Hütte kam und mich bat, ihn zu Mister Brents Haus zu führen. Er behauptete, er hätte Zahnschmerzen und trug einen Verband um den Kopf. Aber der Zellstoff rutschte herunter, und ich konnte sein Gesicht erkennen. Er tötete mich, weil ich sein Geheimnis kannte.«
»Sie meinen, er hat Hunde auf Sie gehetzt?«, erkundigte ich mich, denn ich hatte ähnliche Wunden bei Tieren gesehen, die von Wölfen angegriffen worden waren.
»Nein«, wimmerte die zunehmend schwächere Stimme. »Er hat es selber getan ... aaaggghhh!«
Aus dem Murmeln formte sich ein Schrei, als er seinen Kopf kaum sichtbar in der Finsternis drehte und in die Richtung zurückstarrte, aus der er gekommen war. Der Tod musste ihn inmitten des Schreis ereilt haben, denn er brach beim höchsten Ton ab. Er sackte zuckend zusammen wie ein Reh, das von einem Lastwagen angefahren wurde, und lag dann reglos da.
Ich strengte meine Augen an und konnte in ein paar Metern Entfernung undeutlich eine Gestalt auf dem Weg ausmachen. Sie stand aufrecht, die Statur eines groß gewachsenen Mannes. Sie verursachte keinerlei Geräusch.
Ich öffnete meinen Mund, um den unbekannten Besucher herauszufordern, aber ich brachte keinen Laut hervor. Ein unbeschreibliches Frösteln überkam mich, und meine Zunge fror am Gaumen fest. Es war nackte Angst in ihrer Ursprünglichkeit und Unvernunft. Ich fühlte mich wie gelähmt, verstand aber nicht, warum diese stille, reglose Silhouette – finster, wie sie war – mir solch ein ursprüngliches Grauen einjagen konnte.
Dann huschte der Schatten plötzlich rasch auf mich zu, und ich fand endlich meine Stimme wieder: »Wer ist dort?«
Keine Antwort. Aber der Unbekannte eilte weiter in meine Richtung. Als ich hektisch nach einem Streichholz tastete, hatte er mich schon fast erreicht. Mit einem wilden Knurren warf sich die Gestalt gegen mich und schlug mir das aufflammende Hölzchen aus der Hand. Es verlosch. Seitlich in meinem Hals regte sich ein scharfer, pochender Schmerz. Mein Colt schoss beinahe ohne mein Zutun und ohne zu zielen. Das aufblitzende Mündungsfeuer blendete mich und tarnte die einem Mann ähnelnde Gestalt eher, als dass es diese enthüllte. Dann, in einem krachenden Sprint durch die Bäume, war mein Angreifer verschwunden, und ich taumelte alleine über den Waldweg.
Ich fluchte wütend und suchte nach einem weiteren Streichholz. Von meiner Schulter tropfte Blut herunter und sickerte durch mein Hemd. Als das Licht erneut aufflammte, kroch ein weiteres Frösteln über meine Wirbelsäule. Mein Hemd war zerrissen und das Fleisch darunter leicht aufgeschlitzt. Die Wunde kaum mehr als ein Kratzer, aber der Umstand, dass sie denen ähnelte, die ich vor wenigen Minuten am Körper des armen Jim Tike gesehen hatte, rief ein namenloses Entsetzen in mir hervor.
2. »Tote Männer mit zerfetzten Kehlen!«
Jim Tike war tot. Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze aus seinem eigenen Blut. Die rot verschmierten Gliedmaßen streckte er noch im Jenseits weit von sich. Ich starrte unbehaglich in den Wald, der mich umgab und dem Wesen Deckung bot, das ihn getötet hatte. Ich wusste, dass es sich um einen Mann handelte. Die Umrisse waren in dem kurzen Schein des Streichholzes undeutlich, aber eindeutig als menschlich hervorgetreten.
Doch welche Art von Waffe konnte eine Wunde wie das gnadenlose Schnappen des Mauls eines kräftigen Raubtiers herbeiführen? Ich schüttelte meinen Kopf und rief mir den Einfallsreichtum der Menschen in Erinnerung, was die Erschaffung von Tötungsinstrumenten betraf. Ich dachte über ein weitaus dringenderes Problem nach. Sollte ich mein Leben weiter riskieren, indem ich meinen Weg fortsetzte, oder in die Welt dort draußen zurückkehren und Männer und Spürhunde anfordern, damit sie die Leiche des armen Jim Tike von hier wegschafften und Jagd auf seinen Mörder machten?
Ich verschwendete nicht viel Zeit mit Unentschlossenheit. Ich war aufgebrochen, um eine Aufgabe zu erfüllen. Wenn sich außer Tope Braxton noch ein mörderischer Verbrecher in dem Kiefernwald herumtrieb, galt es, die Männer in jener einsamen Hütte schnellstmöglich zu warnen. Was die Gefahr betraf, in der ich selber schwebte, so hatte ich schon die Hälfte des Weges zurückgelegt. Ob ich nun umkehrte oder weiterging, machte keinen Unterschied. Wenn ich den Rückweg antrat und lebend aus Ägypten entkam, mochte in der abgelegenen Hütte unter den schwarzen Bäumen alles Mögliche passieren, bevor ich mit einem Hilfstrupp zurückkehrte.
Also ließ ich Jim Tikes Leiche auf dem Pfad zurück und setzte meine Mission fort. Ich hielt den Colt in der Hand, meine Nerven schienen aufgrund der drohenden Gefahr zum Zerreißen gespannt zu sein. Nicht Tope Braxton hatte ihn auf dem Gewissen, so viel stand fest. Laut dem Sterbenden war sein Angreifer ein geheimnisvoller weißer Mann gewesen. Der flüchtige Blick, den ich auf ihn erhascht hatte, bestätigte, dass es sich nicht um Tope Braxton handeln konnte. Dessen gedrungenen, affenähnlichen Körper würde ich selbst im Dunkeln sofort erkennen. Der Täter aber war groß und schlank gewesen. Die bloße Erinnerung an seine hagere Erscheinung ließ mich frösteln.
Es ist keine sonderlich angenehme Erfahrung, alleine einen düsteren Waldweg entlangzulaufen, wenn nur die Sterne durch das dichte Geäst ein wenig Helligkeit spenden. Vor allem aufgrund des Wissens, dass ein skrupelloser Mörder ganz in der Nähe lauert. Vielleicht versteckte er sich nur eine Armlänge hinter einem Baumstamm! Die Erinnerung an den abgeschlachteten schwarzen Mann brannte lebhaft in meinem Gedächtnis. Schweißtropfen überzogen mein Gesicht und meine Hände. Ich wirbelte ein paarmal herum und blickte in die Schwärze, in der meine Ohren glaubten, das Rascheln von Blättern oder Umknicken von Zweigen vernommen zu haben. Wie sollte ich wissen, ob es sich um die natürlichen Laute des Waldes oder die heimlichen Bewegungen eines Schwerverbrechers handelte?
Einmal blieb ich stehen und bekam eine Gänsehaut, weil ich in weiter Ferne ein schwaches Leuchten wahrzunehmen glaubte. Es ruhte nicht, sondern bewegte sich, war aber zu weit entfernt, um die Quelle erkennen zu lassen. Mir standen die Haare zu Berge, während ich eine gefühlte Ewigkeit auf der Stelle verharrte. Aber bald verschwand das rätselhafte Licht, und ich war dermaßen hypersensibilisiert für übernatürliche Ereignisse, dass mir erst später aufging, dass es schlicht von einem Mann stammen konnte, der mit einer Holzfackel durch den Wald lief.
Ich eilte weiter und verfluchte mich für meine Ängste, die mich umso mehr verwunderten, als dass sie so nebulös und unbestimmt waren. In diesem Land, in dem jahrhundertealte Fehden und Gewalt über Generationen weiterloderten, war mir die Gefahr eine alte Vertraute. Die Bedrohung durch Kugeln oder Messer – offen oder aus dem Hinterhalt – hatte meine Nerven bislang noch nie sonderlich strapaziert. Aber jetzt wusste ich, wovor ich mich fürchtete: vor etwas, das ich nicht begreifen oder erklären konnte.
Ich seufzte erleichtert auf, als ich die Lampen in Richard Brents Hütte durch die Kiefern schimmern sah, aber ich blieb wachsam. Schon viele Männer waren der Gefahr entkommen, nur um im letzten Moment, kurz vor dem Erreichen der sicheren Zuflucht, niedergestreckt zu werden. Ich klopfte an die Tür und trat zur Seite. Dabei spähte ich in die Schatten, welche die kleine Lichtung ringförmig umgaben und das schwache Licht hinter den geschlossenen Fensterläden abzuweisen schienen.
»Wer ist da?«, drang eine tiefe, raue Stimme aus dem Inneren. »Bist du das, Ashley?«
»Nein, ich bin’s – Kirby Garfield. Machen Sie die Tür auf.«
Die obere Hälfte der Tür schwang nach innen. Richard Brents Kopf und Schultern tauchten in der Öffnung auf. Das Licht hinter ihm beließ sein Gesicht größtenteils im Schatten, der aber sein hageres Antlitz und das Glänzen in seinen freudlosen, grauen Augen nicht verdecken konnte.
»Was wollen Sie nachts um diese Zeit?«, wollte er mit der für ihn typischen Kratzbürstigkeit wissen.
Ich antwortete kurz angebunden, denn ich mochte den Mann nicht sonderlich. Die Höflichkeit zählte in unserem Teil des Landes zu den Pflichten, denen sich kein Gentleman entzog.
»Ich bin gekommen, um Sie darüber zu informieren, dass sich ein gefährlicher Mann in der Gegend herumtreibt. Tope Braxton hat Constable Joe Sorley und einen seiner Gehilfen umgebracht. Heute Morgen brach er aus dem Gefängnis aus. Ich vermute, dass er hierher nach Ägypten geflüchtet ist. Ich dachte, ich sollte Sie besser warnen.«
»Tja, jetzt haben Sie mich gewarnt«, schnappte er in seinem kurz angebundenen Ostküsten-Akzent. »Warum verschwinden Sie dann nicht?«
»Weil ich nicht die Absicht habe, heute Nacht durch diesen Wald zurückzugehen«, antwortete ich wütend. »Ich kam hierher, um Sie zu warnen, nicht weil ich Sie besonders mag, sondern weil es sich so gehört. Sie könnten mich wenigstens bis zum Morgen in Ihrer Hütte beherbergen. Ich brauche nur ein Lager auf dem Boden, Sie müssen mir nicht einmal etwas zu essen geben.«
Letzteres war eine Beleidigung, die ich mir in meinem Ärger nicht verkneifen konnte. Zumindest galt es in dieser Umgebung als Beleidigung. Aber Richard Brent ignorierte die Anspielung auf seine Armut und Unhöflichkeit. Er starrte mich nur finster an. Ich konnte seine Hände nicht sehen.
»Haben Sie Ashley unterwegs irgendwo gesehen?«, fragte er schließlich.
Ashley war sein Diener, eine düstere Gestalt, ähnlich wortkarg wie sein Meister. Einmal im Monat fuhr er in das weit entfernte Dorf am Fluss, um Vorräte einzukaufen.
»Nein. Vielleicht war er dort und ist nach mir aufgebrochen.«
»Schätze, ich muss Sie reinlassen«, grummelte er widerwillig.
»Dann beeilen Sie sich«, verlangte ich. »Meine Schulter ist verwundet, und ich will mich waschen und umziehen. Tope Braxton ist nicht der einzige Mörder, der heute Nacht sein Unwesen treibt.«
Da unterbrach er sein Hantieren an der unteren Tür, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich.
»Was meinen Sie damit?«
»In etwa zwei Kilometer Entfernung liegt ein toter Mann auf dem Weg. Sein Mörder hat versucht, mich ebenfalls umzubringen. Es würde mich nicht sonderlich wundern, wenn er auch hinter Ihnen her wäre. Er wurde von dem Toten hierhergeführt.«
Richard Brent fuhr zusammen. Sein Gesicht erblasste.
»Wer ... Was meinen Sie?« Seine Stimme überschlug sich in einem unerwarteten Falsett. »Was für ein Mann soll das sein?«
»Ich weiß nicht. Jemand, der seine Opfer wie ein Hund zerfleischt ...«
»Ein Hund!« Er brüllte die Worte regelrecht heraus. »Jetzt verstehe ich. Ich weiß, warum Sie sich Zugang zu meinem Haus verschaffen wollen. Sie elender Teufel! Er hat Sie geschickt. Sie sind sein Spion. Gehen Sie!« Er wirkte hysterisch. Seine Hände schoben sich über die untere Hälfte der Tür. Ich starrte in die gähnende Tiefe des Doppellaufs einer abgesägten Schrotflinte. »Gehen Sie, bevor ich Sie erschieße!«
Ich trat von der Veranda zurück. Mir schauderte bei dem Gedanken an einen Schuss aus diesem mörderischen Zerstörungswerkzeug, zudem aus nächster Nähe. Die schwarzen Gewehrläufe und die fahle, verzerrte Fratze dahinter ließen den Eindruck aufkommen, es könnte jederzeit etwas Furchtbares geschehen.
»Sie verfluchter Dummkopf!«, knurrte ich und forderte mit meinem Zorn eine Katastrophe heraus. »Seien Sie vorsichtig mit dem Ding! Ich gehe ja schon. Lieber lasse ich mich auf einen Mörder ein als auf einen Wahnsinnigen.«
Brent antwortete nicht. Er rang nach Luft und zitterte wie ein Fieberkranker. Über seine Schrotflinte gebeugt, beobachtete er mich, wie ich mich umdrehte und die Lichtung überquerte. Dort, wo die Bäume begannen, sich in die Höhe zu schrauben, hätte ich herumwirbeln und ihn gefahrlos erschießen können, denn mein 45er-Colt hatte eine größere Reichweite als seine verkürzte Flinte. Aber ich war hierhergekommen, um den Dummkopf zu warnen, nicht um ihn abzuknallen.
Die obere Türhälfte wurde zugeschlagen, als ich zwischen die Bäume trat, und das Licht im Inneren der Hütte erlosch abrupt. Ich zog meine Waffe und begab mich auf den dunklen Rückweg. Meine Ohren waren wieder gespitzt und lauschten nach Geräuschen, die zwischen den schwarzen Ästen hervordringen mochten.
Meine Gedanken kehrten zu Richard Brent zurück. Der Mann, der nach seiner Hütte Ausschau hielt, war sicherlich kein Freund. Brents manische Furcht grenzte an Wahnsinn. Ich fragte mich, ob er sich in diesen einsamen Landstrich mit Kiefernwäldern und dem Fluss zurückgezogen hatte, weil er vor dem Mann fliehen wollte. Mit Sicherheit wollte er vor irgendetwas fliehen, denn aus seinem Hass auf das Land und seine Verachtung gegenüber den Einheimischen, egal ob mit schwarzer oder weißer Hautfarbe, hatte er nie einen Hehl gemacht. Die Idee, er könnte ein Verbrecher sein, der sich vor dem Gesetz versteckte, war mir bisher nie gekommen.
Das Licht versank hinter mir zwischen dem schwarzen Geäst. Ein seltsames, bedrückendes Gefühl bemächtigte sich meiner, als hätte der Wegfall der Beleuchtung, ungeachtet ihrer feindlich gesinnten Quelle, die letzte verbliebene Verbindung zwischen diesem albtraumhaften Abenteuer und der heilen, menschlichen Welt gekappt. Eisern riss ich mich zusammen und folgte dem Pfad. Aber ich war noch nicht weit gekommen, als ich erneut stehen blieb.
Dieses Mal war es unverkennbar das Geräusch von rennenden Pferden. Das Rollen von Wagenrädern vermischte sich mit dem Trampeln von Hufen. Wer, außer Ashley, würde des Nachts mit einer Kutsche über diesen Weg fahren? Aber sogleich begriff ich, dass sich die Hufe in die falsche Richtung bewegten. Die Geräusche wurden schnell schwächer und waren schon bald nur noch undeutlich aus der Ferne zu vernehmen.
Schwer verwundert beschleunigte ich meine Gangart. Dann hörte ich eilige, stolpernde Schritte vor mir sowie ein rasches, atemloses Keuchen, das auf Panik schließen ließ. Ich konnte die Bewegungen von zwei Leuten unterscheiden, aber in der tiefen Dunkelheit nichts erkennen. An dieser Stelle wuchsen die Äste über dem Weg ineinander und formten einen schwarzen Bogen, durch den nicht einmal die Sterne hindurchdrangen.
»He, dort drüben!«, rief ich vorsichtig. »Wer seid ihr?«
Sofort verstummten die Geräusche, und ich malte mir aus, wie die zwei dunklen Gestalten angespannt innehielten.
»Wer ist da?«, fragte ich noch einmal. »Keine Angst, ich bin es, Kirby Garfield.«
»Rühren Sie sich nicht von der Stelle!«, entgegnete eine harte Stimme, die ich als die von Ashley erkannte. »Sie klingen wie Garfield ... aber ich will mir sicher sein. Bleiben Sie, wo Sie sind, sonst verpasse ich Ihnen eine Kugel!«
Ich hörte ein kratzendes Geräusch, und eine winzige Flamme loderte auf. In ihrem Schein war eine menschliche Hand zu erkennen, direkt dahinter das kantige, brutale Gesicht von Ashley, der in meine Richtung starrte. Das Licht fiel auf eine Pistole, die er in seiner Rechten hielt. Auf dem Arm ruhte eine weitere Hand – dünn und blass. An einem der Finger glitzerte ein Edelstein. Schwach konnte ich die schlanke Gestalt einer Frau ausmachen. Ihr Gesicht kam mir vor wie eine fahle Blüte in der Finsternis.
»In Ordnung, Sie sind es«, grunzte Ashley. »Was treiben Sie hier?«
»Ich wollte Brent vor Tope Braxton warnen«, antwortete ich knapp. Mir gefiel es nicht sonderlich, mich für mein Handeln rechtfertigen zu müssen. »Sie haben natürlich davon gehört? Hätte ich gewusst, dass Sie in der Stadt sind, hätte ich mir die Reise sparen können. Was machen Sie beide hier zu Fuß?«
»Unsere Pferde sind vorhin davongelaufen«, antwortete er. »Auf dem Weg lag ein toter Schwarzer. Den Pferden jagte aber etwas anderes weitaus mehr Angst ein. Als wir ausstiegen, um nachzusehen, schnauften und keuchten sie und gingen mit der Kutsche durch. Wir mussten zu Fuß weiter. Das war ziemlich unangenehm. Allem Anschein nach hat ein Rudel Wölfe den Mann getötet, und der Geruch erschreckte die Tiere. Wir rechneten jeden Moment mit einem Angriff.«
»Wölfe jagen nicht in Rudeln und schleifen Menschen durch den Wald. Jim Tike wurde von einem anderen Mann ermordet.«
Im schwindenden Schein des Streichholzes starrte mich Ashley erstaunt an. Dann sah ich, wie die Verwunderung aus seinen Zügen wich und sich stattdessen Entsetzen darin abzeichnete. Langsam schwand die Farbe aus seinem gebräunten Gesicht, das dadurch so aschfahl wie das seines Herrn wirkte. Das Streichholz erlosch, und wir standen schweigend da.
»Nun«, sagte ich ungeduldig, »erzählen Sie schon! Wer ist die Dame, die Sie begleitet?«
»Das ist Mr. Brents Nichte«, kam es klanglos über seine Lippen.
»Ich bin Gloria Brent«, stieß sie hervor. Ihr kultivierter Akzent ging selbst durch das Zittern, das unüberhörbar darin lag, nicht verloren. »Onkel Richard hat mir ein Telegramm geschickt, ich solle sofort zu ihm kommen ...«
»Ich habe das Telegramm gesehen«, murmelte Ashley. »Man hat es mir gezeigt. Aber ich weiß nicht, wie er es übermittelt hat. Soweit ich weiß, war er seit Monaten nicht mehr im Dorf.«
»Ich bin so schnell wie möglich aus New York angereist«, sagte Gloria Brent. »Ich verstehe nicht, warum er ausgerechnet mir telegrafiert hat, und nicht jemand anderem aus der Familie.«
»Ihr Onkel hat Sie von allen Verwandten immer am meisten gemocht, Miss«, entgegnete Ashley.
»Als ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit im Hafen an Land ging, sah ich Ashley. Er wollte gerade zurückfahren. Er war überrascht, mich zu sehen, nahm mich aber selbstverständlich mit. Und dann dieser ... dieser tote Mann ...«
Das Erlebnis schien ihr ziemlich zugesetzt zu haben. Es war offensichtlich, dass sie in einer sehr vornehmen und behüteten Atmosphäre aufgewachsen war. Wäre sie, so wie ich, in den Kiefernwäldern zur Welt gekommen, hätte der Anblick eines toten Mannes sie vermutlich nicht derart aus dem Gleichgewicht gebracht.
»Der ... der tote Mann«, stotterte sie und erhielt eine fürchterliche Antwort.
Aus den dunklen Wäldern neben dem Pfad ertönte ein furchteinflößendes, kreischendes Gelächter. Darauf folgten sabbernde Geräusche, die so abgehackt klangen, dass ich sie zunächst nicht für menschliche Worte hielt. Ihre Artikulation, fernab alles Vertrauten, ließ mich schaudern.
»Tote Männer!«, sang die unmenschliche Stimme. »Tote Männer mit zerfetzten Kehlen! Noch ehe die Sonne aufgeht, wird es tote Männer zwischen den Kiefern geben! Tote Männer! Narren, ihr seid allesamt tot!«
Ashley und ich schossen in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und in dem krachenden Echo unserer Schüsse ging der unheimliche Gesang unter. Doch das seltsame Lachen ertönte erneut, diesmal tiefer aus den Wäldern. Dann breitete sich Stille wie ein schwarzer Schleier über uns, aus dem ich das erstickte Keuchen des Mädchens hören konnte. Sie hatte Ashley losgelassen und klammerte sich nun verzweifelt an mich. Ich konnte spüren, wie sich ihr schmaler Körper zitternd gegen meinen drängte. Wahrscheinlich war sie nur ihrem weiblichen Instinkt gefolgt, beim Stärksten Schutz zu suchen. Im Licht des Streichholzes hatte sie gesehen, dass ich größer und kräftiger als Ashley war.
»Beeilung, um Himmels willen!« Ashleys Stimme klang erstickt. »Es kann nicht mehr weit bis zur Hütte sein. Beeilung! Kommen Sie mit uns, Mr. Garfield?«
»Was war das?«, keuchte das Mädchen. »Was war das bloß?«
»Ich glaube, ein Wahnsinniger«, entgegnete ich und schob ihre zitternde kleine Hand unter meinen linken Arm. Aber in meinem Hinterkopf regte sich die grausige Einsicht, dass kein Wahnsinniger dieser Welt solch eine Stimme besaß. Sie klang – mein Gott! – wie eine bestialische Kreatur, die menschliche Worte formte, aber nicht mit einem menschlichen Mund.
»Gehen Sie rechts von Miss Brent, Ashley«, wies ich ihn an. »Halten Sie sich so weit wie möglich von den Bäumen fern. Wenn sich dort etwas rührt, schießen Sie erst und fragen später. Ich halte es auf dieser Seite genauso. Und nun los!«
Ohne zu antworten, tat Ashley, was ich ihm sagte. Seine Furcht schien sogar noch größer als die des Mädchens zu sein, sein Atem kam in zitternden Stößen. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, die Dunkelheit wirkte bodenlos. Auf beiden Seiten des Weges verfolgte uns die Angst und grinste hinter unseren Rücken. Bei dem Gedanken an eine Kreatur mit dämonischen Klauen und Fängen, die sich auf meine Schultern stürzte, bekam ich eine Gänsehaut.
Die kleinen Füße des Mädchens berührten kaum den Boden, da wir sie gemeinsam beinahe trugen. Ashley war beinahe so groß wie ich, wenn auch nicht so schwer, und halbwegs kräftig gebaut.
Vor uns schimmerte endlich ein Licht durch die Bäume, und Ashley drang ein stürmischer Seufzer der Erleichterung über die Lippen. Er beschleunigte seine Schritte, bis wir beinahe rannten.
»Da ist die Hütte, Gott sei Dank!«, japste er, als wir auf die Lichtung traten.
»Rufen Sie Ihren Arbeitgeber«, grunzte ich. »Er hat mich heute Abend schon einmal mit seiner Schrotflinte verjagt. Ich will nicht erschossen werden, weil dieser alte ...« Ich blieb stehen, weil mir das Mädchen wieder einfiel.
»Mr. Brent!«, rief Ashley. »Mr. Brent! Machen Sie schnell die Tür auf. Ich bin’s, Ashley!«
Sofort drang der Schein einer Lampe aus der Tür heraus, als die obere Hälfte geöffnet wurde. Brent sah mit der Schrotflinte in den Händen hinaus und blinzelte in die Dunkelheit.
»Beeilen Sie sich und kommen Sie rein!« Seine Stimme vibrierte immer noch vor Panik. »Wer ist das neben Ihnen?«, schrie er wütend.
»Mr. Garfield und Ihre Nichte, Miss Gloria.«
»Onkel Richard!«, rief sie, und ihre Stimme verebbte zu einem Schluchzen. Sie riss sich von uns los, lief voraus und warf ihren zierlichen Körper halb über die Schwelle. Sie schlang ihre Arme um Brents Hals. »Onkel Richard, ich habe solche Angst! Was geht hier vor sich?«
Er schien wie vom Blitz getroffen zu sein.
»Gloria!«, sagte er. »Was um alles in der Welt machst du hier?«
»Aber du hast mich doch zu dir gerufen.« Sie fischte ein zerknicktes gelbes Telegramm aus der Tasche. »Schau! Du hast mir geschrieben, ich soll sofort kommen.«
Er wurde wieder lebendig.
»Das habe ich niemals geschrieben, Gloria! Meine Güte, warum sollte ich dich in meine persönliche Hölle mit hineinziehen? Hier geht etwas Teuflisches vor sich. Komm rein, komm schnell rein.«
Er riss die Tür vollständig auf und zog sie ins Innere der Hütte hinein, wobei er die Schrotflinte keine Sekunde aus den Augen ließ. Er wirkte fahrig und aufgewühlt. Ashley trat als Nächster ein und rief mir zu: »Kommen Sie rein, Mr. Garfield! Kommen Sie, kommen Sie!«
Ich machte keine Anstalten, ihnen zu folgen. Als mein Name erwähnt wurde, ließ Brent – der meine Anwesenheit vorübergehend vergessen zu haben schien – das Mädchen mit einem Aufschrei los und riss die Schrotflinte in die Höhe. Aber diesmal war ich vorbereitet. Meine Nerven schienen zu angespannt, als dass ich noch weitere Schikanen hingenommen hätte. Bevor er das Gewehr in Position bringen konnte, blickte er in den Lauf meines Colts.
»Nehmen Sie das Gewehr runter, Brent«, blaffte ich. »Werfen Sie es auf den Boden, bevor ich Ihnen den Arm breche. Ich habe genug von Ihren idiotischen Verdächtigungen.«
Er zögerte, starrte mich wild an, und hinter ihm schlich sich das Mädchen davon. Ich vermute, dass ich so, wie ich da gerade vor der Tür stand, keinen sonderlich vertrauenserweckenden Eindruck hinterließ. Mein Körper mochte kräftig sein, war aber alles andere als gut aussehend, mein Gesicht finster und von vielen brutalen Kämpfen am Fluss vernarbt.
»Er ist unser Freund, Mr. Brent«, mischte sich Ashley ein. »Er hat uns im Wald geholfen.«
»Er ist ein Teufel!«, wütete Brent. Er hielt sein Gewehr fest umkrallt, auch wenn er keinen neuerlichen Versuch machte, mich ins Visier zu nehmen. »Er ist hier, um uns umzubringen. Er hat gelogen, als er behauptete, er wolle mich warnen. Welcher Mann wäre schon so dumm, Ägypten nachts zu betreten, um einem Fremden Gefahr zu ersparen? Mein Gott, hat er euch beide etwa zum Narren halten können? Ich sage euch, er trägt das Mal des Hundes!«
»Dann wissen Sie, dass er hier ist!«, rief Ashley.
»Ja, dieser Unhold hat es mir verraten, als er versuchte, sich ins Haus zu mogeln. Oh Gott, Ashley, er hat uns aufgespürt, trotz unserer Vorsicht. Wir sitzen in der Falle. In einer Stadt könnten wir uns etwas zu unserem Schutz kaufen, aber hier, in diesem verfluchten Wald, wird niemand unsere Schreie hören oder uns zu Hilfe eilen, wenn sich der Teufel nähert. Wir sind Dummköpfe, weil wir ernsthaft glaubten, es sei möglich, sich vor ihm in dieser Wildnis zu verstecken.«
»Ich habe ihn lachen gehört«, erklärte Ashley schaudernd. »Er verhöhnte uns aus dem Gebüsch mit seiner bestialischen Stimme. Ich sah den Mann, den er umgebracht hat. Er war zerfleischt wie von den Fängen des Satans höchstpersönlich! Was ... was sollen wir jetzt tun?«
»Was können wir schon tun, außer uns zu verbarrikadieren und bis zum Letzten zu kämpfen?«, brüllte Brent. Seine Nerven befanden sich offenkundig in einem schrecklichen Zustand.
»Sagt mir bitte, worum es hier geht«, bat das zitternde Mädchen.
Mit einem verzweifelten Lachen streckte Brent den Arm aus und deutete auf die schwarzen Wälder hinter dem schwachen Licht. »Dort draußen lauert ein Teufel in Menschengestalt«, sagte er dann. »Er hat meine Spur über die ganze Welt verfolgt, und nun hat er mich endlich gefunden. Kannst du dich noch an Adam Grimm erinnern?«
»Der Mann, der vor fünf Jahren mit dir in die Mongolei gereist ist? Aber du hast gesagt, er wäre gestorben. Du bist ohne ihn zurückgekehrt.«
»Ich hielt ihn ja auch für tot«, murmelte Brent. »Pass auf, ich werde es dir erzählen. Zwischen den schwarzen Bergen der Inneren Mongolei, wohin kein Auswärtiger jemals vorgedrungen war, wurde unsere Expedition von fanatischen Teufelsanbetern angegriffen – den schwarzen Mönchen von Erlik, die in der vergessenen und verfluchten Stadt Yahlgan leben. Unsere Führer und Träger verloren dabei ihr Leben, und alle unsere Tiere, von einem kleinen Kamel abgesehen, wurden vertrieben.
Grimm und ich hielten sie den ganzen Tag in Schach. Wir suchten Deckung hinter den Felsen und feuerten, wenn sie auf uns zustürmen wollten. Nachts hatten wir vor, den Durchbruch zu wagen, auf dem verbliebenen Kamel. Aber mir war klar, dass uns das Tier nicht beide tragen konnte. Ein Einzelner hätte vielleicht eine Chance besessen. Als es dunkel wurde, schlug ich Grimm von hinten mit dem Gewehrkolben nieder, woraufhin er das Bewusstsein verlor. Dann kletterte ich auf das Kamel und flüchtete ...«
Er beachtete den angewiderten Ausdruck nicht, der in das hübsche Gesicht des Mädchens trat. Ihre weit geöffneten Augen starrten auf ihren Onkel, als ob sie den wahren Mann hinter der Fassade zum ersten Mal erkannte und entsetzt von dem war, was sie sah. Er fuhr fort und war zu besessen und von Angst überwältigt, als dass ihn gekümmert hätte, was sie von ihm dachte. Der Anblick einer menschlichen Seele, frei von jeglicher Maskerade und oberflächlicher Täuschung, ist nicht immer angenehm.
»Ich brach durch die Reihen der Belagerer und floh in die Nacht. Grimm fiel den Teufelsanbetern natürlich in die Hände, und jahrelang nahm ich an, er wäre umgekommen. Sie standen im Ruf, durch Folter jeden Fremden zu meucheln, den sie zu fassen bekamen. Viele Jahre vergingen, und ich hatte diese Geschichte schon beinahe vergessen. Dann, vor einigen Monaten, erfuhr ich, dass er lebte und nach Amerika zurückgekehrt war, um sich an mir zu rächen.
Die Mönche hatten ihn nicht getötet, sondern mit ihren verdammenswerten Künsten vielmehr verändert. Der Mann ist nur noch teilweise ein Mensch und seine Seele auf meine Zerstörung aus. Es hätte keinen Zweck gehabt, sich an die Polizei zu wenden. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sie in die Irre zu führen und dennoch seine Rache über mich kommen zu lassen. Über einen Monat lang floh ich wie ein gehetztes Tier vor ihm quer durchs Land. Als ich schließlich glaubte, ihn abgeschüttelt zu haben, nahm ich in dieser gottverlassenen Wildnis Zuflucht, unter diesen Barbaren, für die Kirby Garfield ein typisches Beispiel ist.«
»Ausgerechnet du redest von Barbaren!«, fauchte sie. Ihr Zorn hätte die Seele eines jeden Mannes erbeben lassen, der nicht so sehr von seiner eigenen Angst überwältigt war wie Brent in diesem Moment.
Sie wandte sich mir zu. »Bitte kommen Sie herein, Mr. Garfield. Sie dürfen den Wald nicht bei Nacht durchqueren, wenn dieser Unhold sich dort herumtreibt.«
»Nein!«, kreischte Brent. »Weg von der Tür, du kleine Närrin! Ashley, halten Sie den Mund. Er ist eine von Adam Grimms Kreaturen. Er darf diese Hütte auf keinen Fall betreten.«
Sie sah mich an, blass, hilflos und verlassen. Sie tat mir in gleichem Maße leid, wie ich Richard Brent verachtete. Sie sah so klein und verwirrt aus.
»Selbst wenn alle Wölfe der Hölle hier draußen heulten, würde ich nicht in Ihrer Hütte schlafen«, knurrte ich Brent an. »Ich gehe, und wenn Sie vorhaben, mir in den Rücken zu schießen, bringe ich Sie um, bevor ich krepiere. Ich wäre gar nicht erst zurückgekommen, aber diese junge Dame brauchte meinen Schutz. Den benötigt sie immer noch, aber es liegt an Ihnen, ihr diesen zu verwehren. Miss Brent«, sagte ich, »wenn Sie es wünschen, komme ich morgen mit einer Kutsche und bringe Sie ins Dorf. Es wäre besser, umgehend nach New York zurückzukehren.«
»Ashley wird sie schon zum Hafen fahren«, tobte Brent. »Verdammt noch mal, jetzt hauen Sie endlich ab!«
Mit einem verächtlichen Schnaufen, das Brent die Zornesröte ins Gesicht trieb, drehte ich mich um und eilte davon. Hinter mir wurde die Tür zugeschlagen, und ich lauschte seinem Fisteln, das sich mit der tränenreichen Stimme der Nichte vermischte. Das arme Mädchen – für sie musste es einem Albtraum gleichkommen: Sie war aus ihrem behüteten städtischen Leben herausgerissen worden und in einem Landstrich angekommen, der ihr seltsam und primitiv erscheinen musste, mit Menschen, die unglaublich roh und gewalttätig wirkten, inmitten einer blutigen Geschichte aus Verbrechen, Bedrohungen und Rache. Allein die tiefen Kiefernwälder würden einem Städter von der Ostküste merkwürdig und fremdartig vorkommen, und zu ihren finsteren Geheimnissen gesellte sich noch dieses grausame Phantom aus der unerwarteten Vergangenheit, als wäre es die Genesis eines nächtlichen Schreckens.
Ich drehte mich um, verharrte reglos auf dem schwarzen Weg und starrte zurück zu dem punktgroßen Licht, das unvermindert durch die Bäume schimmerte. Über der Hütte in der winzigen Lichtung waberte das Verderben, und es gehörte sich nicht für einen Mann, das Mädchen mit ihrem halb wahnsinnigen Onkel und seinem Diener als einzigen Beschützern zurückzulassen. Ashley sah wie ein Kämpfer aus. Aber Brent war schwer einzuschätzen. Ich war überzeugt, dass der Wahnsinn ihn ergriffen hatte. Seine ungezügelten Wutausbrüche und ebenso wahnwitzig anmutenden Unterstellungen deuteten darauf hin. Ich hegte keine Sympathien für ihn. Ein Mann, der bereit war, seinen Freund zu opfern, um sein eigenes Leben zu retten, verdiente den Tod.
Doch war Grimm offensichtlich geistig erkrankt. Die Tatsache, dass er Tike getötet hatte, verwies auf eine mörderische Unzurechnungsfähigkeit. Der arme Jim hatte ihm nie etwas zuleide getan. Allein für diesen Mord hätte ich Grimm bei sich bietender Gelegenheit umgebracht. Ebenso wenig wollte ich das Mädchen für die Sünden ihres Onkels büßen sehen. Wenn Brent – wie er schwor – das Telegramm nicht geschickt hatte, war das Mädchen anscheinend aus finsteren Motiven hierhergelockt worden. Nur Grimm konnte ihr geschrieben haben, damit sie dasselbe Unheil ereilte, das er für Richard Brent ausheckte.
Ich kehrte um und lief den Weg entlang. Wenn ich die Hütte schon nicht betreten konnte, so würde ich mich zumindest in den Schatten auf die Lauer legen, um im Notfall helfen zu können. Kurz darauf verbarg ich mich im Unterholz der Bäume, welche die Lichtung umgaben.
Immer noch drang Licht durch die Spalte in den Fensterläden. An einer Stelle war das Glas zu erkennen. Und gerade als ich dorthin sah, zersprang die Scheibe, als wäre etwas gegen sie geschleudert worden. Auf der Stelle schnitt eine Flammenzunge durch die Nacht, die in einem einzigen blendenden Aufblitzen durch die Türen und Fenster sowie aus dem Schornstein barst. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde ich gewahr, wie die Hütte sich schwarz vor den Flammen abzeichnete, die aus ihr herausglommen. Mit dem Aufblitzen kam mir der Gedanke, die Behausung sei möglicherweise gesprengt worden – doch nicht ein Geräusch begleitete die Explosion.
Während die Flammen sich noch in meinen Augen widerspiegelten, erfüllte eine weitere Eruption das Universum mit gleißenden Funken. Diese wurde von einem Donnerhall begleitet. Mein Bewusstsein verdunkelte sich zu abrupt, als dass ich hätte begreifen können, wie mich etwas von hinten am Kopf traf, gänzlich ohne Vorwarnung.
3. Schwarze Hände
Als ich zu mir kam, loderte mir als Erstes ein flackerndes Licht entgegen. Ich blinzelte, schüttelte den Kopf und war plötzlich wieder hellwach. Ich lag auf einer Waldwiese auf dem Rücken, umgeben von turmhohen, schwarzen Bäumen, auf denen sich das Licht einer Fackel, die neben mir in die Erde gesteckt worden war, unbeständig spiegelte. Mein Schädel brummte, und Blut verklebte meinen Skalp. Die Hände waren vor mir mit Handschellen zusammengebunden. Meine Kleidung schien zerrissen und die Haut zerkratzt, als wäre ich brutal durch das Dickicht gezerrt worden.
Eine riesige dunkle Gestalt kauerte über mir – ein schwarzer Mann mittlerer Größe, der aber enorm breit und muskulös gebaut war. Er trug lediglich eine zerlumpte und schmutzige Reithose. Tope Braxton! In jeder Hand hielt er eine Waffe, und er zielte abwechselnd mal mit der einen, dann mit der anderen auf mich. Dabei kniff er über dem Lauf die Augen zusammen. Die eine Pistole gehörte mir, die andere einst dem Polizisten, dem er den Schädel eingeschlagen hatte.
Einen Moment lang blieb ich ruhig liegen und besah mir das Spiel des Fackellichts auf seinem mächtigen schwarzen Torso. Braxtons massiger Körper glänzte im flackernden Licht abwechselnd schwarz wie Ebenholz oder in schimmernden Bronzetönen. Seine Gestalt schien dem Abgrund nachempfunden, aus dem die Menschheit vor Urzeiten emporgeklettert war. Seine Wildheit zeigte sich in den hervortretenden Muskeln, die seine langen breiten Arme überzogen, in seinen herabhängenden Schultern und vor allem in seinem kugelförmigen Kopf, der auf einem säulenartigen Hals wurzelte. Die breite flache Nase, die düsteren Augen, die dicken Lippen, die sich über hauergleichen Zähnen aufbauten – all dies deutete auf die Verwandtschaft des Menschen mit dem Ursprünglichen hin.
»Wie zum Teufel passen Sie in diesen Albtraum?«, wollte ich wissen.
Er zeigte mir seine Zähne.
»Ich dachte, es würde Zeit, dass Sie aufwachen, Kirby Garfield«, grinste er. »Ich wollte, dass Sie aufwachen, bevor ich Sie töte, damit Sie wissen, wer Sie tötet. Dann geh ich zurück und sehe zu, wie Mister Grimm dem alten Mann und dem Mädchen den Garaus macht.«
»Was meinen Sie damit, Sie Teufel?«, fragte ich wütend. »Grimm? Was wissen Sie über Grimm?«
»Ich hab ihn im Wald getroffen, nachdem er Jim Tike umgebracht hat. Ich hörte einen Schuss und kam mit der Fackel, um nachzusehen – dachte, dass mich vielleicht jemand verfolgt. Da begegnete mir Mister Grimm.«
»Also waren Sie der Mann mit der Fackel, den ich beobachtet habe«, knurrte ich.
»Mister Grimm ist ein schlauer Mann. Er meint, wenn ich ihm helfe, ein paar Leute zu töten, hilft er mir bei der Flucht. Er schmeißt eine Bombe in die Hütte, die sie nicht ins Jenseits befördert, sondern nur vorübergehend lähmt. Ich beobachte den Weg und schlage Sie nieder, wenn Sie zurückkommen. Dieser Mann, Ashley, will einfach nicht ruhig liegen bleiben, also schnappt ihn sich Mister Grimm und beißt ihm die Kehle raus, wie er’s bei Jim Tike gemacht hat.«
»Wie meinen Sie das, er beißt ihm die Kehle raus?«
»Mister Grimm ist kein menschliches Wesen. Er geht wie ein Mann, aber er ist zum Teil ein Hund oder Wolf.«
»Sie meinen, ein Werwolf?« Mir sträubten sich die Nackenhaare.
Er grinste. »Ja, genau. Ganz früher gab es die noch.« Dann wandelte sich seine Stimmung jäh. »Genug geredet. Jetzt puste ich Ihnen das Gehirn aus dem Schädel.«
Seine dicken Lippen erstarrten zu dem freudlosen Grinsen eines Mörders, während er über den Lauf der Pistole in seiner rechten Hand hinweg Ziel nahm. Mein ganzer Körper war angespannt, während ich verzweifelt nach einem Ausweg suchte, um mein Leben zu retten. Meine Beine waren nicht zusammengebunden, aber die Hände gefesselt. Eine einzige Bewegung würde dazu führen, dass sich heißes Blei in meine Gehirnwindungen bohrte. In meiner Verzweiflung grub ich tief in schwarzer Folklore, um einen entfernten Aberglauben zu finden.
»Diese Handschellen gehörten einst Joe Sorley, oder?«, fragte ich.
»Hm, hm«, grinste er, ohne seinen Blick abzuwenden. »Ich nahm seine Pistole mit, nachdem ich ihm den Kopf mit einer Fensterstange zertrümmert hatte. Ich dachte, ich könnte sie mal gebrauchen.«
»Tja«, erklärte ich. »Wenn Sie mich töten, während ich sie trage, werden Sie auf ewig verflucht sein! Wussten Sie etwa nicht, dass Sie der Geist eines Mannes für alle Zeiten heimsuchen wird, wenn er bei seiner Ermordung ein Kreuz trägt?«
Plötzlich nahm er die Pistole herunter, doch anstatt zu grinsen, knurrte er wütend.
»Was meinen Sie damit?«
»Wie gesagt. In eine dieser Handschellen ist ein Kreuz eingraviert. Das habe ich schon tausendmal gesehen. Na los, erschießen Sie mich, ich werde Sie bis in die Hölle jagen.«
»In welcher Handschelle?« Er hob den Kolben der Pistole bedrohlich über meinen Kopf.
»Finden Sie es selber heraus«, spottete ich. »Machen Sie schon, warum schießen Sie nicht? Ich hoffe, Sie haben in letzter Zeit viel geschlafen, denn ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder einschlafen. Nachts, unter den Bäumen, wird mein Gesicht Sie anschielen. Sie werden meine Stimme in dem Wind hören, der durch die Äste der Zypressen ächzt. Wenn Sie im Dunkeln die Augen schließen, werden Sie meine Finger an Ihrem Hals spüren.«
»Halten Sie den Mund!«, brüllte er und schwenkte die Pistolen. Seine schwarze Haut hatte einen gräulichen Farbton angenommen.
»Sorgen Sie doch dafür, dass ich den Mund halte – wenn Sie es wagen!« Ich wollte mich aufrichten, taumelte aber fluchend rückwärts. »Verdammt, mein Bein ist gebrochen.«
Da verflüchtigte sich das Grau aus seiner ebenholzfarbenen Haut, und in seinen rötlichen Augen glomm eine spontane Eingebung auf.
»Ihr Bein ist also kaputt.« Er entblößte seine funkelnden Zähne zu einem Grinsen. »Dachte mir schon, dass Sie schlimm gestürzt sind, und danach hab ich Sie ganz schön weit über den Boden geschleift.«
Er legte beide Pistolen auf den Boden, weit außerhalb meiner Reichweite, erhob sich und beugte sich über mich. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche der Reithose. Seine Zuversicht war gerechtfertigt, denn war ich nicht unbewaffnet und hilflos, zudem mit einem gebrochenen Bein? Ich brauchte nicht gefesselt zu werden. Er beugte sich über mich, drehte den Schlüssel in den altmodischen Handschellen herum und riss sie mir ab. Wie zwei gleichzeitig zubeißende Schlangen schossen meine Hände an seine Kehle, umschlossen sie mit aller Kraft, die ich aufzubringen vermochte, und zogen den Mann auf mich.
Ich hatte mich immer gefragt, wie ein Kampf zwischen mir und Tope Braxton enden würde. Nun kam eine brutale Freude in mir auf, eine Befriedigung darüber, dass die Frage, wer von uns stärker war, ein für alle Mal geklärt sein würde. Dem Gewinner winkte das Leben, dem Verlierer der Tod.
Sobald ich ihn packte, begriff Braxton, dass ich ihn hereingelegt hatte – dass ich genauso wenig verkrüppelt war wie er. Auf der Stelle begann er wie ein heftiger Wirbelwind zu toben, der jeden zerstückelt hätte, der weniger stark war als ich. Wir rollten über die Kiefernnadeln und rangen miteinander.
Würde ich an dieser Stelle eine hübsche Romanze erzählen, käme jetzt die Stelle, wie ich Tope Braxton mit einer Kombination aus überlegener Intelligenz, Boxtalent und geschickter Technik besiegte, um seine raue Kraft zu bezwingen. Doch in diesem Bericht will ich mich an die Tatsachen halten.
In diesem Kampf spielte Geisteskraft nur eine geringe Rolle. Sie hätte mir ebenso wenig geholfen wie einem Mann, der sich im Würgegriff eines Gorillas befand. Was die Technik betraf, so hätte Tope jeden Durchschnittsboxer oder Ringer mit Leichtigkeit in Stücke gerissen. Technik allein hätte der blendenden Geschwindigkeit, der tigerhaften Wildheit und der knochenzerschmetternden Stärke, die in Tope Braxtons furchteinflößenden Muskeln lauerte, nichts entgegensetzen können.
Es war, als kämpfte ich gegen ein wildes Tier, und ich schlug ihn mit seinen eigenen Waffen. Ich bekämpfte Tope Braxton so, wie die Flussbewohner es taten, wie die Wilden es taten, oder auch die Gorillas: Brust an Brust, Muskel gegen Muskel – eine eiserne Faust, die gegen einen harten Schädel schlägt, ein Knietritt zwischen die Beine, Zähne reißen an sehnigem Fleisch. Keine Regeln. Nur Schläge und Zerren. Wir vergaßen beide die Pistolen auf dem Boden, dabei mussten wir ein halbes Dutzend Mal über sie gerollt sein. Jeder von uns kannte nur ein einziges dringliches Verlangen: mit bloßen Händen zu töten, zu zerstören, prügeln und trampeln, bis der andere als bewegungslose Masse aus blutigem Fleisch und gebrochenen Knochen zurückblieb.
Ich weiß nicht, wie lange unser Duell währte. Die Zeit dehnte sich zu einer blutgetränkten Ewigkeit. Seine Finger waren wie eiserne Klauen, die durch das Fleisch rissen und die Knochen darunter zerkratzten. In meinem Kopf drehte sich alles, denn er war mehrfach gegen den harten Boden geschlagen. Die Schmerzen in meiner Seite verrieten mir, dass mindestens eine Rippe gebrochen war. Mein ganzer Körper brannte und schmerzte unter verdrehten Gelenken und Muskelrissen. Meine Kleider hingen in Fetzen von mir herab, mit dem Blut verschmiert, das aus dem abgerissenen Ohr quoll. Aber wenn ich auch schwer einstecken musste, so teilte ich ebenso kräftig aus.
Die Fackel war zu Boden gefallen und zur Seite getreten worden, aber sie brannte immer noch unbeständig, wodurch sie der verrohten Szenerie ein schwaches Licht spendete. Das Licht glomm weitaus weniger rot als die Mordlust, die meine Sicht vernebelte.
Inmitten eines roten Schleiers erkannte ich, wie Braxtons weiße Zähne qualvoll grinsend aufleuchteten. Seine Augen verdrehten sich in einer Maske aus Blut. Ich hatte ihm jegliche Ähnlichkeit zu einem Menschen aus dem Gesicht geprügelt. Von den Augen bis zur Hüfte war er mit dunklem Rot überzogen. Unser Schweiß machte uns schmierig, und unsere Hände rutschten ab, wenn sie zupackten.
Ich wand mich ein Stück aus seinem Würgegriff heraus und strengte jeden einzelnen Muskel hinter meiner Faust an, um sie ihm wie einen Hammer gegen das Kinn zu schlagen. Ein Knochen brach, Braxton stöhne unterdrückt auf, Blut spritzte und der gebrochene Kiefer sackte hinab. Auf die hängenden Lippen trat ein blutiger Schaum. Dann zögerten seine klauenartigen Finger zum ersten Mal. Ich spürte, wie der massive Körper, der sich gegen mich drängte, nachgab und zusammensackte. Und mit einem animalischen Schluchzen voll befriedigter Wildheit, das über meine zerplatzten Lippen drang, fanden meine Finger endlich seinen Hals.
Er fiel auf den Rücken, mit mir auf seiner Brust. Seine Hände tasteten nach meinen Handgelenken, aber sie versagten ihm den Dienst und wurden zunehmend kraftloser. Und ich würgte ihn, langsam und ohne Jiu-Jitsu- oder Catcher-Tricks, allein mit roher Gewalt. Ich bog seinen Kopf zwischen den Schultern vor und zurück, bis das dicke Genick knackend zerbrach wie ein morscher Ast.
Im Rausch des Kampfes wusste ich nicht, wann er starb, erkannte zunächst nicht, dass es der Tod war, der die eisernen Muskeln des Körpers eingeschmolzen hatte, der unter mir lag. Benommen richtete ich mich auf und stampfte auf seine Brust und seinen Kopf, bis die Knochen unter meinen Absätzen nachgaben und ich begriff, dass Tope Braxton nicht länger unter den Lebenden weilte.
Ich hätte umfallen und ohnmächtig werden sollen, aber mir wurde in meinem benommenen Zustand bewusst, dass meine Arbeit noch nicht getan war. Ich griff mit tauben Händen um mich und fand die Pistolen. Danach schwankte ich zwischen den Kiefern hindurch in die Richtung, in der mir, der ich im Wald aufgewachsen war, ein untrüglicher Instinkt den Weg zurück zur Hütte von Richard Brent wies. Mit jedem Schritt schienen die Kräfte in meinen abgehärteten Körper zurückzuströmen.
Tope hatte mich nicht weit durch den Wald geschleift. Seinen primitiven Wurzeln folgend, zog er mich lediglich vom befestigten Weg ein Stück in die Baumgruppen hinein. Ein paar Schritte führten mich zurück zu dem Pfad, und wieder sah ich das Licht der Hütte durch die Kiefern scheinen. Braxton hatte nicht gelogen, was die Bombe betraf. Immerhin hatte die geräuschlose Detonation die Hütte nicht zerstört, denn sie stand immer noch so da, wie ich sie zuletzt erblickt hatte. Offenbar war nichts zu Schaden gekommen. Durch die verschlossenen Fensterläden drang wie zuvor Licht. Aber dazu gesellte sich ein schrilles, unmenschliches Gelächter, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war dasselbe Lachen, welches uns abseits des in Schatten gehüllten Weges verspottet hatte.
4. Der Hund des Teufels
Durch die Schatten kriechend umkreiste ich die kleine Lichtung, um eine fensterlose Seite der Hütte zu erreichen. Es war stockdunkel, und kein Lichtstrahl konnte meine Anwesenheit verraten. Ich trat zwischen den Bäumen hindurch und näherte mich dem Gebäude. In der Nähe der Mauer stolperte ich über etwas Sperriges, das auf dem Boden lag, und wäre beinahe auf die Knie gesunken. Vor lauter Angst, das Geräusch könne mich verraten haben, raste mir das Herz. Aber das grausame Lachen drang unverändert aus der Hütte und mischte sich mit dem Winseln einer menschlichen Stimme.
Es war Ashley, über den ich gestolpert war, oder vielmehr seine Leiche. Er lag auf dem Rücken und starrte blicklos nach oben. Sein Kopf hing von den roten Überresten seines Halses. Die Kehle war ihm herausgerissen worden, vom Kinn bis zum Kragen klaffte eine gewaltige offene Wunde. Seine Kleidung war glitschig vom Blut.
Trotz meiner Erfahrungen mit brutalen Morden stieg Übelkeit in mir auf. Ich glitt zu der Wand der Hütte und suchte erfolglos nach einer Lücke zwischen den Brettern. Das Gelächter war verstummt, und jene angsteinflößende, unmenschliche Stimme ertönte, die mir die Haare zu Berge stehen ließ. Es fiel mir ebenso schwer wie zuvor, die Worte zu verstehen, die sie artikulierte.
»Also brachten mich die schwarzen Mönche von Erlik nicht um. Sie wollten sich lieber einen Scherz erlauben – einen aus ihrer Sicht gar köstlichen Scherz. Es wäre zu milde gewesen, mich einfach zu töten. Sie meinten, es wäre unterhaltsamer, eine Weile mit mir zu spielen, so wie Katzen es mit Mäusen tun, und mich dann mit einem Zeichen in die Welt zurückzuschicken, das ich nie mehr loswerde – dem Mal des Hundes. So nannten sie es. Und sie machten ihre Arbeit wirklich gut. Niemand kannte sich besser damit aus, jemanden zu verändern, als sie. Schwarze Magie? Pah! Diese Teufel sind die größten Wissenschaftler des Planeten. Das wenige, was die westliche Welt über Wissenschaft weiß, floss tröpfchenweise aus jenen schwarzen Bergen.
Diese Teufel könnten die Welt erobern, wenn sie nur wollten. Sie haben Kenntnis von Dingen, wie sie sich kein aufgeklärter Mensch zu erträumen wagt. Sie wissen, zum Beispiel, mehr über plastische Chirurgie als alle Wissenschaftler der Welt zusammen. Sie durchschauen die Funktionsweise von Drüsen so gut wie kein Europäer oder Amerikaner. Sie wissen, was zu tun ist, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen – und, mein Gott, was für Ergebnisse es sind! Sehen Sie mich an! Sehen Sie, verdammt, und verlieren Sie den Verstand!«
Ich huschte um die Hütte herum, bis ich ein Fenster erreichte, und spähte durch einen Spalt im Fensterladen.
Richard Brent lag auf einem Diwan in einem für diese schlichte Umgebung unpassend vornehm möblierten Raum. Er war an Händen und Füßen gefesselt. Sein Gesicht wirkte fahl und ließ sich kaum noch als menschlich bezeichnen. In seinen erstaunten Augen lag der Blick eines Mannes, der dem größtmöglichen Grauen ins Antlitz gesehen hatte. Ihm gegenüber befand sich das Mädchen, Gloria, mit ausgestreckten Gliedern auf einem Tisch, an Hand- und Fußgelenken festgebunden, sodass sie sich nicht bewegen konnte. Zudem völlig nackt. Ihre Kleidung lag wirr auf dem Boden verteilt, als wäre sie ihr brutal vom Leib gerissen worden. Ihr Kopf war zur Seite gedreht, während sie mit weit aufgerissenen Augen auf die große Gestalt in der Mitte des Raums starrte.
Er stand mit dem Rücken zum Fenster, vor dem ich kauerte, und starrte Richard Brent an. Seine Gestalt war allem Anschein nach menschlich – ein großer schlanker Mann in dunkler, eng anliegender Bekleidung. Von seinen breiten, hageren Schultern hing eine Art Umhang. Aber bei seinem Anblick überkam mich ein seltsames Zittern, und endlich identifizierte ich das Grauen, das ich verspürt hatte, als ich auf dem dunklen Weg jene dünne Gestalt nahe der Leiche des armen Jim Tike erblickt hatte. Der Gestalt hafteten unnatürliche Züge an. Es fiel mir nicht sofort auf, während sie dort mit dem Rücken zu mir stand, aber etwas eindeutig Anormales war vorhanden, und meine Gefühle entsprachen dem Grauen und der Abscheu, die man normalerweise gegenüber einer Anomalie empfindet.
»Sie machten aus mir das Monstrum, das ich heute bin, und schickten mich dann fort«, jammerte er in seiner furchtbaren Stimme weiter. »Aber die Veränderung fand nicht innerhalb eines Tages oder eines Monats oder eines Jahres statt! Sie spielten mit mir, so wie Teufel mit einer schreienden Seele auf den Rostspießen der Hölle spielen! Immer wieder war ich dem Tode nah, trotz allem, aber der Gedanke an Rache hielt mich am Leben. Die ganzen langen, dunklen Jahre hindurch, wahnsinnig von Folter und Qualen, träumte ich von dem Tag, an dem ich es Ihnen heimzahlen würde. Richard Brent, Sie abscheuliche Ausgeburt des Teufels!
Also begann die Jagd. Als ich in New York ankam, schickte ich Ihnen ein Foto von meinem ... Gesicht und einen Brief, in dem ich beschrieb, was vorgefallen war – und was geschehen könnte. Dachten Sie Dummkopf wirklich, dass Sie mir entkommen könnten? Hätte ich Sie etwa gewarnt, wenn ich mir meiner Beute nicht sicher gewesen wäre? Ich wollte, dass Sie im Wissen um Ihren bevorstehenden Untergang leiden und ein Leben voller Angst führen, dass Sie fliehen und sich wie ein Wolf, der gejagt wird, in ein Versteck flüchten. Sie flohen, und ich jagte Sie von Küste zu Küste. Indem Sie hierherkamen, waren Sie kurzzeitig meinem Zugriff entzogen, aber es schien unausweichlich, dass ich Sie aufspüre. Als die schwarzen Mönche von Yahlgan mir das gaben« – seine Hand schien auf sein Gesicht zu pochen – »verliehen sie meinem Wesen auch etwas vom Geist der Bestie, die sie kopierten.
Es hätte nicht ausgereicht, Sie nur umzubringen. Ich wollte meine Rache voll und ganz auskosten. Deswegen habe ich Ihrer Nichte ein Telegramm geschickt, dem einzigen Menschen in der Welt, für den Sie etwas übrig haben. Mein Plan hat perfekt funktioniert – mit einer Ausnahme. Der Verband, den ich trug, seitdem ich Yahlgan verließ, blieb an einem Ast hängen, und ich musste den Trottel töten, der mich zu Ihrer Hütte führte. Niemand sieht mein Gesicht und darf weiterleben, abgesehen von Tope Braxton, der sowieso mehr einem wilden Tier gleicht. Ich stieß, kurz nachdem dieser Garfield auf mich geschossen hatte, auf ihn und vertraute mich ihm an, weil ich in ihm einen wertvollen Verbündeten erkannte. Er ist zu abgebrüht, als dass mein Aussehen ihn mit Grauen erfüllen würde. Er hält mich für eine Art Dämon, aber solange ich mich ihm gegenüber nicht feindselig verhalte, sieht er keinerlei Grund, weshalb er sich nicht mit mir verbünden sollte.
Es entpuppte sich als Glücksfall, ihn in die Angelegenheit einzubinden, denn Braxton schlug Garfield nieder, als er zurückkehrte. Ich hätte Garfield selber umgebracht, aber er war zu stark und ging zu geschickt mit seinem Revolver um. Von diesen Leuten hätten Sie etwas lernen können, Richard Brent. Sie führen ein gewaltsames Leben, sind aber so zäh und gefährlich wie Timberwölfe. Sie jedoch – Sie sind verweichlicht und viel zu zivilisiert. Ihr Tod dürfte ein Leichtes sein. Ich wünschte, Sie wären so unbeugsam, wie Garfield es war. Ich würde Sie gerne noch ein paar Tage am Leben halten und leiden lassen.
Ich gab Garfield die Chance zu entkommen, aber der Trottel kehrte zurück. Deshalb musste ich ihn erledigen. Die Bombe, die ich durch das Fenster schleuderte, hätte wenig Schaden bei ihm angerichtet. Sie beinhaltete eines der chemischen Geheimnisse, die ich in der Mongolei kennenlernte, aber ihre Wirksamkeit entfaltet sich nur in Relation zur Körperkraft des Opfers. Die Bombe konnte ein Mädchen und einen verwöhnten Schwächling wie Sie von den Füßen holen. Aber Ashley gelang es, aus der Hütte zu stolpern, und seine Kräfte wären rasch und vollständig zurückgekehrt, hätte ich mich nicht auf ihn gestürzt und ihn unschädlich gemacht.«
Brent stieß einen klagenden Schrei aus. In seinen Augen war keine Intelligenz mehr, nur noch grausame Angst. Von seinen Lippen spritzte der Schaum. Er war wahnsinnig – so wahnsinnig wie das furchteinflößende Ding, das in diesem Raum des Grauens posierte und jaulte. Nur das Mädchen, das sich erbärmlich auf dem ebenholzfarbenen Tisch wand, war geistig gesund. Alles andere wurde von Wahnsinn und Albträumen regiert. Und jäh verfiel Adam Grimm in ein vollständiges Delirium. Seine monotone Rede gipfelte in einen Schrei, der mir das Herz gefrieren ließ.
»Zuerst das Mädchen!«, kreischte Adam Grimm – oder vielmehr die Kreatur, die einst Adam Grimm gewesen war. »Das Mädchen soll geschlachtet werden, wie ich es in der Mongolei gesehen habe. Lebendig soll ihr die Haut abgezogen werden, ganz langsam! Sie soll bluten, damit Sie leiden, Richard Brent, leiden, wie ich im schwarzen Yahlgan litt. Sterben kann sie erst dann, wenn ihr Körper unter dem Hals von keinem einzigen Fetzen Haut mehr bedeckt wird. Sehen Sie zu, wie ich Ihre geliebte Nichte häute, Richard Brent!«
Ich glaube nicht, dass Richard Brent seine Worte begriff. Er war nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu begreifen. Er redete wirres Zeug, warf seinen Kopf von einer Seite auf die andere und spuckte unablässig Schaum von seinen blauen Lippen. Ich hob einen der Revolver in die Höhe, aber genau in diesem Moment wirbelte Adam Grimm herum, und als ich sein Gesicht erblickte, hielt ich wie gelähmt inne. Ich wage nicht, davon zu träumen, welch ungeahnte Meister namenloser Wissenschaft in den schwarzen Türmen Yahlgans hausen. Aber sicherlich hatte Schwarze Magie aus den Gruben der Hölle bei der Umgestaltung dieses Gesichts eine Rolle gespielt.
Die Ohren, Stirn und Augen waren die eines normalen Mannes, aber Nase, Mund und Kiefer dürften sich den Menschen selbst in ihren schlimmsten Träumen in dieser Form noch nicht offenbart haben. Ich sehe mich nicht in der Lage, sein Aussehen in treffende Worte zu fassen. Alles war scheußlich in die Länge gezogen, wie beim Maul eines Tieres. Er besaß kein Kinn. Ober- und Unterkiefer ragten hervor wie bei einem Hund oder Wolf, und die unter den bestialischen Lippen knurrend hervortretenden Zähne glichen glänzenden Fängen. Was ihn in die Lage versetzte, menschliche Laute auszustoßen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Aber die Veränderung setzte sich unter der Oberfläche nahtlos fort. In seinen Augen, die wie Kohle aus dem Höllenfeuer glühten, lag ein Schein, wie es ihn noch nie in menschlichen Augen gegeben hatte, weder in wahnsinnigen noch gesunden. Als die Teufelsmönche von Yahlgan Adam Grimms Gesicht veränderten, hatten sie auch eine Veränderung seiner Seele in Gang gesetzt. Er war kein menschliches Wesen mehr, sondern ein leibhaftiger Werwolf – so schrecklich, wie ihn jede mittelalterliche Legende beschrieb.
Das Wesen, das Adam Grimm gewesen war, eilte auf das Mädchen zu. In seiner Hand blitzte ein gebogenes Kürschnermesser. Ich schüttelte mich, um die Benommenheit abzustreifen, mit der mich das Grauen in seinen Klauen hielt. Ich schoss durch die Lücke im Fensterladen. Auf meine Treffsicherheit war Verlass. Ich sah, wie sein Mantel vom Einschlag der Kugel zur Seite gerissen wurde. Beim Krachen des Schusses taumelte das Monster zur Seite, und das Messer fiel ihm aus der Hand. Dann wirbelte Grimm ansatzlos herum und schoss quer durch das Zimmer auf Richard Brent zu. Blitzschnell hatte er begriffen, was vorgefallen war, und wusste, dass er nur ein Opfer mit sich nehmen konnte. Er traf seine Wahl auf der Stelle.