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Berenice ist Tierkommunikatorin und kann mit schwierigen Pferden telepathisch Kontakt aufnehmen – behauptet sie zumindest. In Wirklichkeit schummelt sie sich durchs Leben und zieht den Leuten mit ihren Lügengeschichten das Geld aus der Tasche. Bis sich eines Tages tatsächlich ein sprechendes Pony bei ihr meldet: Berenice soll helfen, einen verschwundenen Pferdekumpel aufzuspüren. Ehe sie sich versieht, ist sie einem handfesten Skandal auf der Spur, stolpert von einer peinlichen Situation in die nächste und verknallt sich in den Tierarzt.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Der Supergaul
HELENE BOCKHORST ist Comedienne und Autorin. Im Januar 2018 gewann sie den Hamburger Comedy Pokal – als erste Frau in der Geschichte des Wettbewerbs. Ihre Soloprogramme liefen erfolgreich in Kleinkunsttheatern im gesamten deutschsprachigen Raum und wurden fürs TV aufgezeichnet. Im März 2020 erschien ihr Debütroman Die beste Depression der Welt im Ullstein Verlag. Für ihre Kurzgeschichten wurde sie zuvor bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet und als Stipendiatin des Literatur Labor Wolfenbüttel ausgewählt.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht –selbst wenn er mit dem Pony sprichtBerenice ist Tierkommunikatorin und kann mit schwierigen Pferden telepathisch Kontakt aufnehmen – behauptet sie zumindest. In Wirklichkeit schummelt sie sich durchs Leben und zieht den Leuten mit ihren Lügengeschichten das Geld aus der Tasche. Bis sich eines Tages tatsächlich ein sprechendes Pony bei ihr meldet: Berenice soll helfen, einen verschwundenen Pferdekumpel aufzuspüren. Ehe sie sich’s versieht, ist sie einem handfesten Skandal auf der Spur, stolpert von einer peinlichen Situation in die nächste und verknallt sich auch noch in den Tierarzt. Der hält von ihrer Quacksalberei herzlich wenig und lenkt sie außerdem von ihren Ermittlungen ab. Wie kommt sie nun erhobenen Hauptes aus all der Schummelei wieder heraus?
Helene Bockhorst
Kein Pferderoman
Ullstein
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Die Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Sollte es Ähnlichkeiten mit real existierenden Reiterhöfen und Pferden geben, ist das nicht beabsichtigt.
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: Favoritbuero, MünchenTitelabbildung: © NotionPic /Shutterstock (Pony)Autorinfoto: © Enrico MeyerE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-3147-8
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Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel x
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Glossar
Danksagung
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1
»Jeder hat das Pferd, das er verdient.«
Bent Branderup
»Hat er schon was gesagt?!«, fragt die Besitzerin ungeduldig. Sie hat einen ganz roten Kopf und schnauft, nachdem wir ungefähr fünfzig Meter zurücklegen mussten, um zu ihrem Pferd zu kommen. Unsportlich, denke ich, während ich ihren drallen, in die neueste Pikeur-Kollektion gezwängten Körper betrachte. Unsportlich, mit wenig Verstand und viel verfügbarem Einkommen. Also genau meine Zielgruppe.
»Moment, ich versuche, Kontakt aufzunehmen«, sage ich. Die Besitzerin nickt beeindruckt. Ich gehe um das Pferd herum, lege ihm an zufällig ausgewählten Körperstellen meine Hand aufs Fell, bleibe regungslos stehen, schließe die Augen und zähle bis fünf. Hals. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Schulter. Eins, zwei, drei, vier, fünf.
Ich lege die Hand auf den Rücken, und das Pferd zuckt zusammen.
»Was sagt er?«, fragt die Besitzerin. Dass du aufhören sollst, ihm ständig mit deinem ganzen Gewicht in den Rücken zu plumpsen, denke ich, sage aber nichts. Kruppe. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Schweifrübe. Eins, zwei, drei, vier, fünf.
Nachdem ich das Pferd einmal umrundet habe, stelle ich mich an seinen Kopf, schaue ihm in die Augen und zähle bis dreißig. Dann nicke ich bedeutungsschwanger.
»Es war nicht leicht, einen ersten Kontakt hinzubekommen; er ist niemand, der sich einem sofort offenbart, aber wenn man erst mal sein Vertrauen gewonnen hat, sicher ein Freund fürs Leben«, sage ich, und die Besitzerin hängt an meinen Lippen und nickt zu jedem Wort wie ein Wackeldackel. Das wollen sie alle immer hören – dass ihr Pferd es mir schwer gemacht hätte, mit ihm zu kommunizieren. Niemand will eine Pferdeschlampe, die alles sofort ausplaudert.
»Er sagt, dass er manchmal Probleme mit den Hufen hat, stimmt das?«
»Ja, ja! Wir haben hin und wieder mit Strahlfäule zu kämpfen! Das hat er gesagt, ist ja Wahnsinn!«
Ich seufze und schaue wieder das Pferd an, einen schmalbrüstigen Schimmel mit schlechter Rückenmuskulatur, dessen Hufe in einer Mischung aus Matsch, Pferdeäpfeln und Pisse versinken. Bei der mangelnden Hygiene ist es kein Wunder, dass das Pferd Strahlfäule hat. Mal abgesehen davon, dass »hatte mal Probleme mit den Hufen« heutzutage bei den meisten Pferden ein Glückstreffer ist.
Ich lege dem Pferd eine Hand auf die Stirn und schließe die Augen. Eine »Session« dauert bei mir fünfzehn Minuten. Nicht, weil ich wirklich fünfzehn Minuten brauchen würde, sondern, weil Menschen es nicht einsehen, jemandem für weniger als fünfzehn Minuten so viel Geld zu geben, wie ich gerne haben möchte.
Das heißt, man muss die Zeit irgendwie füllen. Manchmal denke ich an die Sachen, die ich mir von dem Geld kaufen möchte, oder plane den nächsten Urlaub. Manchmal denke ich an Jörp und Drusla, meine beiden Islandpferde. Und ganz manchmal vielleicht auch an Dr. Lazik, den Tierarzt …
»Was sagt er noch? Können Sie ihn fragen, ob er glücklich ist?«
Ich seufze, verziehe das Gesicht und atme scharf ein. »Sie müssen jetzt ganz stark sein …« Die Besitzerin sieht mich gebannt an. »Starlight Express hat Burn-out!«
»Was?!«
Ich nicke und lasse den Kopf hängen. »Er liebt Sie sehr. Aber mit dem Reiten ist es ihm im Moment zu viel! Er hat mich angefleht, es Ihnen nicht zu sagen. Weil er Angst hat, dass Sie ihn dann weniger mögen. Aber ich denke, Sie sollten es wissen.«
»Mein armes Babylein … Burn-out … ich hatte ja keine Ahnung!«, stammelt die Besitzerin und drückt ihr Gesicht in die schüttere Mähne ihres Schimmels. »Und was kann man da machen?«
Ich schließe wieder die Augen. Meine schauspielerischen Fähigkeiten sind nicht so ausgeprägt, wie ich sie gerne hätte, aber ich habe festgestellt, dass man das ausgleichen kann, indem man die meiste Zeit mit geschlossenen Augen herumsteht und viel raunt und flüstert.
»Oh! Er schickt mir ein Bild«, hauche ich. »Es ist frühmorgens, Sie sind zu zweit unterwegs, nur Sie und er … aber nicht zum Ausreiten, sondern Sie führen ihn am Strick, ganz locker. Und Sie joggen gemeinsam den Berg hinauf. Oben angekommen, machen Sie eine kleine Pause und blinzeln in die Morgensonne … schauen herunter auf den Hof, der ganz friedlich und verträumt daliegt. Und dann joggen Sie wieder zurück nach Hause.«
»Joggen …?«, meint die Besitzerin zweifelnd.
Ich schlage die Augen wieder auf und schaue sie direkt an. »Es ist sein ausdrücklicher Wunsch«, sage ich kühl. »Er hat mir gesagt, dass das für ihn das schönste Morgenritual und der perfekte Liebesbeweis wäre.«
Das Bergauf- und Bergab-Laufen wird ihm helfen, Muskulatur aufzubauen, und du nimmst dann hoffentlich ein bisschen ab, denke ich und lächele die Besitzerin ermunternd an.
»Machen Sie das mal die nächsten Wochen, und dann sollten wir noch mal einen Folgetermin vereinbaren und schauen, ob es ihm besser geht. Ansonsten hat er nur noch gesagt, dass er sich mit seiner neuen Abschwitzdecke total unwohl fühlt. Er möchte die nicht mehr tragen. Das macht dann zweihundertfünfzig Euro, und ich würde Ihnen gerne noch eine Spezialtinktur für die Hufe anbieten.«
»Die Abschwitzdecke, aber – die ist aus der Eskadron-Heritage-Kollektion!«
»Nicht alles, was uns Menschen gefällt, tut auch den Pferden gut. Starlight Express hat gebeten, Sie mögen ihm das Ding so bald wie möglich aus den Augen schaffen. Er sagte wortwörtlich, der Anblick ließe ihn bedauern, dass Pferde bekanntlich nicht kotzen können.«
Wenig später brettere ich über die Landstraße, zünde mir eine Zigarette an und blase den Rauch aus dem Fenster. Das hat mal wieder wunderbar geklappt. Ich habe dreihundertfünfzig Euro eingenommen: zweihundertfünfzig Euro für die »Session«, die Besitzerin hat aus lauter Dankbarkeit auf dreihundert Euro aufgerundet, und dann habe ich ihr noch für fünfzig Euro meine spezielle Tinktur für die Hufe verkauft – ein handelsübliches Mundwasser, das ich literweise in der Drogerie kaufe und zu Hause in leere Nasentropfen-Fläschchen umfülle. Die Etiketten bedrucke ich mit chinesischen Schriftzeichen, die ich im Internet gefunden habe. Alles ist mindestens zehnmal so viel wert, wenn chinesische Schriftzeichen drauf sind – Pferdemuttis lieben Dinge, die sie nicht verstehen.
Im Rückspiegel sehe ich meine neue Abschwitzdecke aus der Eskadron-Heritage-Kollektion, die auf dem Rücksitz liegt. Die Besitzerin hatte es eilig, das Teil loszuwerden. Der Schimmel hat die Decke offensichtlich nur wenige Male getragen, und die Farbe wird meiner Drusla hervorragend stehen.
Bald darauf rollt mein klappriger alter Ford auf den Hof der Mountain Ranch. Natürlich könnte ich mir ein besseres Auto leisten. Manchmal juckt es mich in den Fingern, mir für sonnige Tage ein Cabrio zu gönnen. Aber wenn ich mit dem auf den Hof gefahren komme, könnte irgendjemand auf die Idee kommen, mal nachzurechnen, wie viel ich eigentlich verdiene …
Die nächste Pferdebesitzerin kommt mir schon entgegengelaufen. Jana ist Stammkundin bei mir und träumt davon, eines Tages auch Tierkommunikatorin zu werden. Stundenlang steht sie im Auslauf und grabbelt ihr Pferd an oder starrt ihm in die Augen. Die beiden führen dann lange Gespräche, aus denen sich jedes Mal Fragen und Probleme ergeben, die Jana nur mit meiner Hilfe klären kann. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden ist, dass Jana den ganzen Mist tatsächlich selber glaubt.
» … und ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll«, presst sie jetzt hervor, und eine Träne rollt ihre Wange herunter. Mist, ich sollte ihr besser zuhören. »Aber er fragt immer wieder nach! Ich versuche, das Gespräch auf andere Themen zu lenken, aber er blockt alles ab. Er sagt, wenn ich ihm nicht erkläre, wo Penthesilea ist, kann er mir nie wieder vertrauen!«
Wer zum Geier ist denn Penthesilea? Leider kann ich solche Fragen nicht stellen, denn dann würde auffallen, dass ich zum einen nicht richtig zugehört habe und zum anderen nicht einfach in einem beliebigen Pferdekopf nachschauen kann, um die nötigen Informationen zu bekommen.
Wir laufen zusammen über den Paddock zur Heuraufe, wo Puck, Janas Tinkerwallach, gerade ein anderes Pferd angiftet. »So was hat er doch früher nicht gemacht, da war er ganz anders!«
Ich ziehe meine übliche Show ab und lege noch eine Schippe Dramatik drauf, extra für Jana, die mich mit hungrigen Augen beobachtet. Hier ein Zucken, da ein Aufstöhnen – dann falle ich vor Puck auf die Knie.
»Ich spüre … sehr starke Emotionen«, stoße ich hervor.
»Ja! So ging es mir auch! Ich konnte mich auch kaum auf den Beinen halten!« Jana ist stolz.
»Puck sagt … er sagt, er will dahin, wo seine Penny ist!«
Jana bricht in Tränen aus. »Oh nein … bin ich dir denn nicht genug, Puck? Kannst du nicht bitte mir zuliebe am Leben bleiben?«
Oh, Kacke. Penthesilea ist tot – ich dachte, das Pferd wäre einfach nur in einen anderen Stall umgezogen. Das ist natürlich ungünstig.
»Er sagt, du bist sein einziger Halt in dieser Trauerphase«, beeile ich mich, zu sagen. »Und darum kannst du mir jetzt auch helfen, Puck zu helfen.«
Jana nickt eifrig. Ich gebe ihr eine weiße Perle und erkläre ihr, dass das eine Knochenperle ist, die Puck helfen soll, mit der Vergangenheit abzuschließen. Auf meine Anweisung hin drückt Jana die Perle ihrem Pferd auf die Stirn – »auf das dritte Auge«, murmelt sie beifällig – und flüstert Puck Erinnerungen an schöne gemeinsame Erlebnisse mit Penthesilea ins Ohr. Das dauert aber ganz schön lange. Ich schiele auf die Uhr. Was wird Puck denn schon groß mit seiner guten alten Freundin Penny erlebt haben? Fressen und scheißen und schlafen, und dann das Ganze wieder von vorne.
»So, das reicht jetzt, die Perle ist nun genug mit Erinnerungen aufgeladen«, sage ich. »Wir wollen sie ja auch nicht überfrachten. Wie viele Jahre haben sich Puck und Penthesilea gekannt?«
»Sechs Jahre«, sagt Jana und muss wieder weinen.
»Also zwölf Sonnenwenden. Teile eine Strähne aus zwölf Schweifhaaren ab und knote die Knochenperle damit in den Schweif. Mindestens einmal am Tag kraulst du ihm die Schweifrübe und stellst dir dabei bildlich vor, wie du ihn von Penthesilea wegschiebst, hinein in ein neues Leben. Wenn die Perle abfällt, weißt du, dass ihr die Trauerphase überwunden habt.«
Jana nickt ernst.
»Mit den Hufen haben wir auch wieder Probleme«, sagt sie. »Hast du noch was von der Tinktur für uns?«
Du hast keine Hufe, Janalein, denke ich. Warum sagen diese Pferdebesitzer immer »Wir«?
»Klar«, sage ich. »Für dich wie immer zum Vorteilspreis von fünfzig Euro, weil du meine treueste Kundin bist. Aber nicht weitersagen!«
»Wie viele Termine machst du eigentlich am Tag?«, fragt Jana, während wir zu meinem Auto gehen, um die Tinktur zu holen.
»Unterschiedlich. Ich muss da auch auf meinen Energiehaushalt achten. Wenn es so eine intensive ›Session‹ war wie heute, muss ich mich danach natürlich erst mal hinlegen.«
Aus der Krankenbox, in der eine Warmblutstute steht, ertönt schallendes Gelächter. Kurz darauf kommt der Kopf von Dr. Lazik über der Umrandung zum Vorschein. »Na, Frau Blöchinger, das müssen ja anstrengende Arbeitstage sein für Sie«, ruft er mir zu. »Würde mich auch stressen, mir den ganzen Mist auszudenken!«
Seine lockigen Haare hängen ihm wirr in die Stirn, und er zwinkert uns mit seinen braunen Augen zu. Ich weiß ausnahmsweise mal nicht, was ich sagen soll.
»Berenice hat Puck wenigstens geholfen«, verteidigt mich Jana. »Im Gegensatz zu Ihnen!«
»Ich kann Puck nicht helfen, weil er nichts hat«, sagt Dr. Lazik. »Und ich ziehe niemandem Geld aus der Tasche für ein gesundes Pferd. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten.«
»War Penthesilea auch bei Ihnen in Behandlung? Dann würde ich mal sagen, der Behandlungserfolg spricht nicht gerade für Ihre Methoden«, stänkere ich zurück.
Dr. Lazik runzelt die Stirn. »Penthesilea starb bei einem Ausritt, ein Jäger hat das Pferd mit einem Wildschwein verwechselt und erschossen. Hat Ihnen das noch keiner Ihrer Klienten zugeflüstert?«
Ich habe plötzlich so ein fallendes Gefühl im Bauch. »Wie schrecklich!«
»Ja, ist es. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun«, sagt er und bückt sich wieder, um das Bein der Stute zu begutachten.
»Ich habe natürlich von den anderen Pferden, die bei dem Ausritt dabei waren, mitbekommen, dass ein Unglück passiert ist«, sage ich erklärend zu Jana, als wir an meinem Auto angekommen sind. »Aber was genau es war, konnte ich nicht sehen. Das haben die komplett abgespalten. So was kann schon mal vorkommen bei sehr traumatischen Erfahrungen.«
»Wäre es dann nicht wichtig, dass du die anderen Pferde bei ihrer Trauerarbeit begleitest? Und ihnen hilfst, das Trauma zu integrieren?«
»Klar«, sage ich. »Du kannst es den anderen Besitzern ja mal vorschlagen. Aber am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, ob sein Pferd ihm das wert ist.«
Ich parke vor dem Haus und trage die Ergebnisse meines heutigen Arbeitstages in den Flur. Eintausenddreihundertfünfzig Euro (für vier »Sessions«, zweimal Huftinktur, eine Keramikperle und eine Spezialsalbe, bestehend aus eingefärbtem Melkfett), eine Abschwitzdecke, eine Satteldecke von Equestrian Stockholm in der Farbe Mahogany Glimmer und ein Haas-Echtholzbürstenset, das meinem letzten Patienten angeblich zu kratzig war (»Reiß mir doch gleich mit einer rostigen Harke das Fell aus, wenn du mich so sehr hasst«, habe ich das Pferd zitiert, woraufhin die entsetzte Besitzerin das Bürstenset sofort in die Mülltonne an der Straße warf).
Keine schlechte Ausbeute für einen gewöhnlichen Montag. Trotzdem habe ich ein seltsames Gefühl. Ich wünschte, Dr. Lazik hätte nicht gehört, wie ich gesagt habe, dass ich mich nach einem intensiven Gespräch mit einem Pferd hinlegen müsste. Das war nicht für seine kritischen Ohren bestimmt gewesen, sondern für Jana, und ich bin peinlich berührt, dass er zugehört hat. Als hätte ich einem Kind einen Zaubertrick gezeigt und mich in dem Gefühl der Bewunderung gesonnt, bis dann ein Erwachsener gesagt hätte: »Du hast die Taube doch einfach nur platt gehauen.«
Na ja, wenn ich es mir recht überlege, war es ein anstrengender Tag. Ein heißes Bad wird mir jetzt guttun …
Ich liege in meinem Whirlpool und schaue verträumt die Badezimmerdecke an. Da oben habe ich Hunderte von kleinen Lämpchen einbauen lassen, die einen Sternenhimmel darstellen. Wenn man sich auskennt, kann man sogar die einzelnen Sternbilder erkennen.
Dieses Badezimmer ist ein kleiner Traum, den ich mir erfüllt habe. Alles ist in edlem dunklen Schiefer gehalten, und der Whirlpool mit Massagedüsen steht auf einem Podest. Eine Tür führt in meine Sauna, in der ich mich gerne nach langen Winterausritten aufwärme, und eine Tür führt nach draußen. Ich kann durch die Glastür meine Pferde sehen, die noch eine abendliche Kontrollrunde über den Paddock Trail machen, bevor sie sich in ihren Unterstand zurückziehen. Die Genehmigung für die Pferdehaltung direkt am Haus zu bekommen war nicht einfach. Ich musste dafür sorgen, dass das Gebiet als »Innenbereich im Außenbereich« ausgewiesen wurde; außerdem musste ich vierunddreißig Insektenhotels bauen, Ausgleichsbepflanzungen mit Sträuchern vornehmen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, sehr viel Sekt mit einem unattraktiven Herrn vom Genehmigungsausschuss trinken und ein ausschweifendes Gespräch mit der Katze der Bürgermeisterin vortäuschen. Aber es hat sich gelohnt: Seit ich Jörp und Drusla bei mir zu Hause habe, bekomme ich viel mehr von den beiden mit. Gerade zum Beispiel widmet sich Drusla mit großem Appetit einem frischen, dampfenden Haufen, den Jörp gemacht hat, und ich mache mir eine mentale Notiz, sie mal gründlich auf Mangelerscheinungen durchchecken zu lassen. Von einem richtigen Arzt natürlich.
Ich seufze, strecke mich im warmen Wasser aus und denke an Dr. Lazik. Ich wünschte, ich hätte ihn woanders kennengelernt. Auf irgendeiner Internetseite für verzweifelte Singles, ganz normal halt. Stattdessen kam er eines schönen Sommertages auf der Stallgasse auf mich zu, als ich gerade der Besitzerin eines völlig verfetteten Fjordpferdes hanebüchenen Unsinn erzählte.
»Na, so was, die Quacksalberin«, sagte er, gar nicht mal unfreundlich, und streckte mir die Hand hin. »Endlich treffe ich Sie mal persönlich. Hab schon allen möglichen Quatsch über Sie gehört!«
»Und Sie sind …?«
»Der Tierarzt.« Ich war überrascht. Die meisten Landtierärzte sind alt und schrullig und sehen aus, als hätte ein nicht besonders talentiertes Kind sie aus Kartoffeln gebastelt. Aber dieser hier war anders. »Wissen Sie, manche Leute studieren wenigstens, bevor sie Pferdebesitzern das Geld aus der Tasche ziehen!«
»Ich hab auch studiert!«
Er lachte, und zwei Grübchen erschienen in seinem sonnengebräunten Gesicht. »Ach ja? Was denn?«
»Kommunikationswissenschaft!«
»Und da lernt man, mit Gäulen zu sprechen?«
Nein, da lernt man, wie man Leuten Blödsinn erzählt, dachte ich, aber das sagte ich natürlich nicht. Stattdessen bückte ich mich nach meiner Tasche, faselte irgendwas von weiteren Terminen und wollte gehen.
»Was haben Sie denn da?«, fragte er und zeigte auf meine Tasche.
»Das ist eine Arzttasche im Stil der 1920er-Jahre aus Feinrindleder.«
»Nein, ich meine, was haben Sie dadrin? Eine Portion heiße Luft?«
Ich fing an zu schwitzen. Ich hätte gerne etwas Schlagfertiges gesagt, aber leider hatte Dr. Lazik recht, in meiner Arzttasche befand sich tatsächlich nichts.
Damals hielt ich noch nicht viel von Requisiten. Die Tinkturen und Mittelchen, die magischen Steine und die Perlen, über die ich sagte, sie seien aus Knochen, entdeckte ich erst später. Ich war überzeugt, man müsste auch ohne solche Hilfsmittel in der Lage sein, eine starke Show abzuliefern. Heute weiß ich, da ist zwar was Wahres dran, aber nichts ist wirkungsvoller als ein kleiner Gegenstand, der die Besitzerin jeden Tag aufs Neue an die »Session« erinnert.
Die Tasche schleppte ich trotzdem mit mir herum, denn sie verlieh mir einen Hauch von Professionalität und hob mich von den normalen Pferdebesitzern ab. Woher sollte man sonst wissen, ob ich eine Freundin oder Reitbeteiligung war, gerade jetzt im Sommer, wo ich nur ein dünnes Top mit Spaghettiträgern und eine Leggings trug.
»Schauen Sie mal«, sagte er und hob seine eigene Arzttasche an, die meiner ziemlich ähnlich sah, nur dass sie deutlich verbeulter und abgenutzter war. »Ich hab da meine Sachen drin. Die ich für meine Arbeit brauche. An der Art, wie Sie Ihre Tasche tragen, sieht man, dass sie leer ist. Nur so als kleiner Tipp. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich werde nämlich gebraucht.«
Mit diesen Worten verschwand er und ließ mich rot vor Scham mit der Besitzerin des dicken Fjordis zurück. Ich faselte etwas darüber, dass man von außen nicht erkennen könne, wie leicht oder schwer etwas wäre, und dass es doch viel mehr darauf ankäme, ob man einer Aufgabe gewachsen sei; dass die ganze Begegnung eigentlich eine schöne Metapher dafür sei, wie manche Menschen immer versuchten, alles zu hinterfragen, aber dass die Wissenschaft eben auch irgendwo an ihre Grenzen käme. Aber es nützte nichts, ich wurde nie wieder zu dem Fjordpferd gerufen, und der hübsche Tierarzt beschäftigte von da an meine Gedanken.
Einmal gerieten wir aneinander. Das war, als ich entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten im Rennstall »praktizierte«.
Zwischen all den topfitten, durchtrainierten Vollblütern und geschäftig hin und her eilenden Menschen fühle ich mich fehl am Platze. Mein Revier sind die kleineren Pensionsställe in der Umgebung, wo Pferde stehen, die vor allem für Ausritte und ab und zu mal eine Privatreitstunde eingesetzt werden. Die Freizeitreiterinnen haben Probleme, die sie sich größtenteils nur einbilden und die man mit etwas Hokuspokus einfach aus der Welt schaffen kann. Ihr Pferd hat mal komisch geschaut oder mit dem Schweif gezuckt, oder es wollte nicht an einem Lkw mit flatternder Plane vorbeigehen, und zack, machen sie eine Identitäts- und Beziehungskrise daraus. Tatsächlich bin ich überzeugt, schon einigen geholfen zu haben. Denn wenn die Besitzerin fest daran glaubt, dass zum Beispiel der nächste Ausritt problemlos verlaufen wird, strahlt sie diese Sicherheit auch aus, und schon wird ihr Pferd ruhiger.
Anders sieht es aus, wenn es um messbare Leistungen geht, und deswegen meide ich die großen Turnierställe und den Rennstall normalerweise. Aber die Besitzerin des teuren Rennpferdes hatte mich angefleht, vorbeizukommen, und mir war auf die Schnelle keine gute Begründung eingefallen, warum ich ihrem Tier nicht »helfen« sollte.
»Wie heißt er denn?« Trotz ihrer eigentlich niedergeschlagenen Stimmung musste die Besitzerin kichern. »Rennbrandt! Verstehen Sie, wegen Rembrandt … nur mit doppeltem n! Wegen Rennen! Er läuft ja Rennen!«
»Hammer«, sagte ich und rang mir ein gequältes Lächeln ab. »Auf so was muss man erst mal kommen!« Wenn es eines gibt, was mir inzwischen richtig auf den Sack geht, dann sind es diese gewollt originellen Pferdenamen, die manche so toll finden. Ich finde, das hört in dem Moment auf, cool zu sein, wo man von anderen Menschen verlangt, mit dem Tier zu interagieren. Wenn du dein Pferd zu Hause im Garten hältst, wo es niemand zu Gesicht bekommt, nenn es meinetwegen Frittenbude, Wurstbrot oder Satan-Nadine, who cares. Aber zwing mich nicht, mit Popelnase oder Donnerbert Flutschhammer zu reden, das ist nämlich peinlich. Ich boykottiere das und nenne Pferde mit doofen Namen grundsätzlich Mausi oder Junge, genauso, wie ich beim Bäcker auch stumpf in die Auslage zeige und sage »ich will das da«, und nicht »bitte ein Kraftmeier« oder »bitte ein Lausbübli«.
»So ein braver Junge. Dann wollen wir mal sehen«, sagte ich und begann mein übliches Betatsch-Ritual.
»Ich glaube, Rennbrandt hadert im Moment mit seinem Beruf. Er hat einfach Motivationsprobleme!«, redete die Besitzerin dazwischen.
»Das würd ich gern von ihm selber hören, okay, Frau Papenberg?«
Ich hasse es, wenn die Besitzer mir alles vorsagen. Motivationsprobleme wollte ich sagen! Aber das hatte sie mir jetzt schon weggenommen.
Ich legte meine Hand auf die Schulter des Wallachs, kraulte ihn ein bisschen und merkte, dass er das nicht kannte. »Ich glaube, er muss lernen, dass er auch dann wertvoll ist, wenn er gerade keine Erfolge einbringt«, sagte ich.
Die Besitzerin sah mich entgeistert an. »Aber … das … stimmt nicht?!«, sagte sie verwirrt. Oh. Okay.
Aus reiner Verlegenheit hob ich den Huf an und untersuchte ihn. Überrascht sah ich, dass das Tier Strahlfäule hatte. Bei so einem teuren Pferd, das zudem in einer trockenen Box stand, sollte das eigentlich nicht vorkommen. Ich trug gerade meine »Spezialtinktur« auf, als ich eine laute Stimme hörte.
»Was machen Sie denn da?!« Dr. Lazik wirkte verärgert.
»Ich wurde zu … diesem Pferd gerufen.«
»Hören Sie mal, ich behandle …«, er zögerte kurz und schien mit sich zu ringen, ob er den Namen sagen sollte, »ich behandle … dieses Pferd. Das geht nicht, dass Sie da auch noch dran herumpfuschen!«
»Aber es gibt doch Situationen, wo die Schulmedizin an ihre Grenzen kommt«, warf die Besitzerin ein.
»Mag sein – aber das hier ist keine davon! Das Vieh hat Strahlfäule! Meine Güte, machen Sie halt täglich eine einfache Mundspülung drauf, wie ich es Ihnen gesagt habe.«
»Meine Tinktur …« Ich wusste gar nicht so genau, was ich sagen wollte. Basiert auf der Wirkung von Mundspülung? Ist streng genommen Mundspülung?
»Ihre Tinktur schmieren Sie besser nicht auf meine Patienten! Wenn Sie damit alles nur noch schlimmer machen, fällt das nämlich auf mich zurück. Gehen Sie meinetwegen auf die Mountain Ranch und machen Sie da Ihre Zaubertricks, aber halten Sie sich von den Rennpferden fern!«
»Ich kann unter diesen Bedingungen nicht mit Ihrem Pferd arbeiten, es tut mir leid!«, sagte ich zu der Besitzerin.
»Und ich werde Ihr Pferd in Zukunft nicht behandeln, wenn Sie eine Quacksalberin irgendwelche Tinkturen auftragen lassen. Sie können nicht beides haben!«, sagte er.