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Sofia liebt ihren Kommissar. Aber den Alex mag sie auch! Ist halt ihr Jugendfreund. Dumm nur, dass darum der Haussegen auf dem Campingplatz mächtig schief hängt. Und das in der Adventszeit. Noch dümmer ist aber, dass in Alex‘ Brauerei "Stöcklbräu" eine Leiche liegt. Und geradezu saudumm ist: Alles deutet auf Alex als Täter! Bevor also ihr fescher Kommissar den Alex verhaftet, muss Sofie sich auf die Suche nach dem wahren Mörder machen. Dass auf dem Campingplatz noch immer keine Winterruhe eingekehrt ist, macht ihre Ermittlungen nicht gerade leichter. Und woher hat Evelyn plötzlich das Geld, um ihr Café zu eröffnen? Das geht doch alles nicht mit rechten Dingen zu!
"Der Tod kriegt niemals kalte Füße" ist der siebte Teil der erfolgreichen Bayern-Krimi-Reihe "Sofia und die Hirschgrund-Morde" von Susanne Hanika. Krimi trifft auf Humor, Nordlicht auf bayerische Dickschädel, Wieder-Single-Frau auf Jugendliebe und feschen Kommissar - dazu jede Menge Leichen, Mörder und Ganoven. Und all dies vor herrlich bayerischer Kulisse!
eBooks von be Thrilled - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 216
Blaues Wasser, klare Luft, in der Ferne bei schönem Wetter die Alpen – das ist der Hirschgrund, ein idyllischer See mitten in Bayern. Nebenan der gleichnamige Campingplatz. Doch die Idylle trügt – denn diese Saison wird mörderisch.
Kaum ist die neue Besitzerin Sofia auf dem Platz angekommen, stolpert sie über den ersten Toten. Sofia ist entsetzt! Und dann neugierig. Bald schon entdeckt sie ihr Talent fürs Ermitteln und fängt an, in der bayerischen Idylle so einiges umzukrempeln …
Sofia liebt ihren Kommissar. Aber den Alex mag sie auch! Ist halt ihr Jugendfreund. Dumm nur, dass darum der Haussegen auf dem Campingplatz mächtig schief hängt. Und das in der Adventszeit. Noch dümmer ist aber, dass in Alex’ Brauerei »Stöcklbräu« eine Leiche liegt. Und geradezu saudumm ist: Alles deutet auf Alex als Täter! Bevor also ihr fescher Kommissar den Alex verhaftet, muss Sofia sich auf die Suche nach dem wahren Mörder machen. Dass auf dem Campingplatz noch immer keine Winterruhe eingekehrt ist, macht ihre Ermittlungen nicht gerade leichter. Und woher hat Evelyn plötzlich das Geld, um ihr Café zu eröffnen? Das geht doch alles nicht mit rechten Dingen zu!
Susanne Hanika, geboren 1969 in Regensburg, lebt noch heute mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in ihrer Heimatstadt. Nach dem Studium der Biologie und Chemie promovierte sie in Verhaltensphysiologie und arbeitete als Wissenschaftlerin im Zoologischen Institut der Universität Regensburg. Die Autorin ist selbst begeisterte Camperin und hat bereits zahlreiche Regiokrimis veröffentlicht.
SUSANNE HANIKA
Der Tod kriegt niemals kalte Füße
Ein Bayernkrimi
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Meike Frese
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: U1berlin / Dunja Berndorff unter Verwendung von Motiven © muha04 / depositphoto.com, © prapann / shutterstock, © ppart / shutterstock, © VikaSuh / shutterstock, © Robert Neumann / Shutterstock, © Thomas Soellner / Shutterstock, © lcrms / Shutterstock, © Litvalifa / Shutterstock, © Mirco Vacca / Shutterstock, © Standret / Shutterstock; VikaSuh / Shutterstock; ppart / Shutterstock; prapann / Shutterstock; maximmmmum / Shutterstock; kenzo885 / Shutterstock; Andy Griffin / Shutterstock; Eric Isselee / Shutterstock; Lytvynenko Bohdan / Shutterstock;
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-6964-9
www.be-ebooks.de
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So weit das Auge reichte, erstreckten sich die Kiefernwälder am anderen Ufer des Hirschgrundsees. Von hier aus sahen sie fast schwarz aus. Das Außenthermometer zeigte zwei Grad, und es fing zu regnen an. Alles wirkte ziemlich ungemütlich draußen. Wie schön, das nur durch die Fensterscheibe zu betrachten, vor sich die Adventsdeko, die mit falschem Schnee bestäubt war.
Hier, in einem Nebenzimmer vom Stöcklbräu, war es wirklich sehr gemütlich. Strumpfsockig, mit den Füßen auf der Nachbarbank, galten die einzigen Überlegungen dem, ob man noch ein bisschen Speck- oder Käsebrot essen sollte.
Gerade hatten Alex und ich noch auf der Terrasse gestanden und gefroren. Ich hatte mich weit über die Brüstung gelehnt und versucht, meinen Campingplatz hinten im letzten Winkel des Hirschgrundsees zu erspähen. Aber von der Terrasse aus hatte man keine Chance, der See machte einen Knick, und mein Campingplatz lag gut geschützt vor neugierigen Blicken im »wilden« Winkel, dort, wo es nur noch die Natur gab – und eben meinen Campingplatz.
»Wie findest du es?«, fragte mich Alex gerade, und seine Augen blitzten neugierig, als ich noch ein Schlückchen von seinem »Weihnachtsbier« probierte. Er hatte mir reichlich von seiner neuen Kreation eingeschenkt, die den vollmundigen Namen »Chocolate Stout« trug.
Chocolate, weil das zu Weihnachten passte und weil das Bier so schwarz war wie dunkle Schokolade.
Nach einem ordentlichen Schluck tendierte meine Urteilsfähigkeit bereits gegen null. Alex erkannte das Problem und schob mir grinsend die Platte mit dem Geräucherten und dem Bauernbrot zu, um die nötige Grundlage zu liefern.
»Lecker«, sagte ich und nickte beifällig. »Hat einen ganz besonders hopfigen Geschmack.« Prüfend hielt ich das Glas gegen das Licht und bewunderte den wunderbar klaren Braunton.
»Du könntest es in deinem Campingladen verkaufen«, schlug Alex vor. »Da gehen die Leute eher hin als in unseren Laden.«
Das stimmte seltsamerweise, denn obwohl es zum nächsten – und günstigeren – Supermarkt so weit nicht war, kauften unsere Camper am liebsten im Campingladen ein. Und wie mir ständig von meinen Gästen gesagt wurde, war unser Angebot durchaus noch ausbaufähig.
»Wir könnten eine Verkostung vor Ort machen«, sinnierte ich weiter. Ich wusste zwar nicht, wie meine Nonna das gesehen hätte, meine Oma war als Italienerin ja eher eine Weintrinkerin gewesen. Aber sie hatte sich nicht gegen die bayerischen Gepflogenheiten gesträubt, als sie vor vielen Jahren mit meinem Großvater hier den Campingplatz gegründet hatte.
Jetzt führte ich ihn, den Campingplatz, und manchmal musste man eben neue Wege gehen. Und Bier aus der Nachbarschaft war doch tatsächlich eine Bereicherung für die Gäste, es war lokal, nachhaltig und außerdem irre lecker, wie ich gerade feststellte. Zufrieden schob ich mir ein kleines Stückchen Speck in den Mund.
Jetzt im Dezember über die neue Campingsaison ab dem Frühjahr nachzudenken, machte tatsächlich richtig Spaß!
»Und Evelyn könnte auf Instagram Werbung für dich machen«, schlug ich vor und schmierte mir ein Butterbrot. »Sie ist schon wieder unglaublich aktiv.«
Ich legte das Messer weg und holte mein Handy hervor. »Ich muss das ganz regelmäßig kontrollieren. Ich habe immer das Gefühl, dass ihr das bald entgleist.«
Und wer dann hauptsächlich darunter zu leiden hatte, war natürlich nicht sie, sondern ich, als Inhaberin des Campingplatzes, den Evelyn freiwillig auf Social Media inszenierte. Alex stand auf und setzte sich neben mich auf die Bank. Zusammen sahen wir uns Evelyns neueste Story an: Sexy.Hirschin, wie sie sich nannte, war heute trotz des schlechten Wetters unterwegs gewesen. Sie trug einen olivgrünen Parka mit einer fellbesetzten Kapuze und eine Hose, die sehr nach Tarnhose der Bundeswehr aussah.
»Meine Güte«, sagte ich. »Das ist ja mal ein krasser Outfitwechsel.«
Evelyn, die nicht mehr die Jüngste war, liebte nämlich jede Form von Modeschmuck, je glitzernder, desto besser. Tarnung war nicht so das Ihre. Das mit Boomerang erstellte Videofilmchen, zeigte ihre Füße, die vor- und zurückliefen. Und diese steckten definitiv in Bundeswehrstiefeln.
»Ich glaube es einfach nicht«, sagte ich. »Was will sie denn jetzt damit?«
»Auch bei schlechtem Wetter ist unser See am Hirschgrund ein wunderbares Ausflugsziel!«, hauchte Evelyn ins Mikro. Hinter ihr sah man den See, der trotz des schlechten Wetters leicht türkis schimmerte. Außerdem wirbelten ein paar Schneeflocken durchs Bild, was dem Ganzen einen weihnachtlichen Touch verpasste.
»Es schneit?«, fragte Alex und sah zum Fenster hinaus.
»Nein. Es regnet«, sagte ich schlecht gelaunt. »Das ist nur für Instagram. Und die Dummköpfe, die das glauben, werden dann bei mir am Campingplatz stehen und feststellen, dass es keinen Spaß macht, bei drei Grad über null und Regen im Matsch zu stehen.«
Alex lachte und legte mir den Arm um die Schulter. Fast Wange an Wange sahen wir zu, wie sich Evelyn im Kreis drehte und so tat, als würde sie mit dem Mund Schneeflocken auffangen.
»Unsere Advents-Weeeeek«, quiekte sie dabei, »die wird einfach großartig! Mit vielen Sonderaktionen und richtigem Camperspaß!«
»Himmelherrgott«, sagte ich. Im Hintergrund des Videos lief gerade der Gröning vorbei. Das war mein dienstältester Camper, der unabhängig vom Wetter immer auf dem Campingplatz war und ganztags damit beschäftigt, sich im Wald herumzutreiben. Im Gegensatz übrigens zu Evelyn, die eigentlich keinen Fuß vor die Tür setzte, wenn sie es nicht unbedingt musste. Nur zu bestimmten Gelegenheiten, wie zum Beispiel, wenn sie sich vorgenommen hatte, Instagram-Filmchen zu drehen und so zu tun, als wäre sie leidenschaftlicher Outdoor-Fan. Es wurde echt Zeit, dass wieder Sommer wurde und wir viele Gäste hatten, dann war Evelyn abgelenkt und hatte weniger Zeit für solche Quatsch-Filme!
»Soll ich dir was sagen«, sagte Alex, »ich habe richtig Lust auf Campingurlaub im Winter bekommen. Advents-Weeeeek klingt doch richtig gemütlich!«
»Idiot«, sagte ich, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. Ich musste zugeben, dass Evelyns Videos wirklich Lust auf Camping bei schlechtestem Wetter machten.
Aber der Punkt war doch, dass sie mit der Realität kaum etwas zu tun hatten.
»Mit genügend Bier vom Stöcklbräu wird es noch gemütlicher«, fügte Alex mit einem hoffnungsvollen Tonfall hinzu. Jetzt hatte er ein sehr breites Grinsen im Gesicht. »Ich liefere dir das auch bis zur Haustür. Und räume es dir in die Regale.«
»Der Gröning trinkt kaum was«, sagte ich. »Und andere Camper habe ich momentan nicht auf dem Platz.« Außerdem war der Gröning momentan etwas schusselig und verlegte ständig Sachen. Da war mehr Alkohol nicht das Mittel der Wahl. Und Evelyn stand eher auf Ramazzotti, der in großen Mengen im Wohnzimmerschrank von Nonna stand. Im Gegensatz zu mir vertrug Evelyn nämlich unglaubliche Mengen an Alkohol. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass sie sich mit Begeisterung auf die neue Aufgabe »Vermarktung von neuen Stöckl-Biersorten« stürzen würde.
»Das wird sich bestimmt bald ändern«, lachte Alex nun ganz unverhohlen, und ich sah mit Schrecken, wie die Likes auf den Beitrag von Evelyn explodierten. Zunächst von Leuten, die ich kannte. Wie Fräulein Schmitts, das war unsere Bäckerin, oder Mohnschneckerl, im realen Leben meine Camperin Vroni, die nichts lieber konsumierte als die Mohnschnecken vom Meierbeck. Und natürlich der Rechtsmediziner Stein, der sich auf Instagram »Kiesel« nannte und überhaupt nichts postete. Glücklicherweise, denn wer wollte schon die Leichen sehen, die er so tagtäglich zu Gesicht bekam. Doch es gab noch jede Menge anderer Leute, die Evelyns Beitrag offenbar gut fanden und denen ich noch nie begegnet war.
»Herr im Himmel!«, stieß ich schon wieder hervor. »Das ist unglaublich. Ich dreh durch, wenn die alle im Winter kommen! Da ist doch Ärger vorprogrammiert!«
»Wem sagst du das«, murmelte Alex, seinem Blick nach zu schließen bezog sich sein Kommentar jedoch auf jemanden, der gerade angekommen war: Jonas Schneider, seines Zeichens Kriminalkommissar in Regensburg, stand an der Tür und schaute grimmig zu uns herüber. Nicht dienstlich grimmig, wie bei Bösewichten, die er festnahm, sondern ganz privat. Schließlich war ich seine Freundin und nicht die von Alex. Aber vielleicht wirkte es gerade ein klein bisschen so. Denn noch immer hatte Alex sehr freundschaftlich seinen Arm um meine Schulter gelegt.
»Du bist total besoffen«, beschwerte sich Jonas, als wir nach draußen gingen. Natürlich ließ er mich nicht mehr ans Steuer, und die Option, dass Alex mich nach Hause fuhr, kam auch nicht infrage.
»Nicht total«, entgegnete ich, während ich mich nun doch ziemlich kräftig bei ihm einhakte. Wie viel ich getrunken hatte, wusste ich nicht mehr. »Was machst du eigentlich hier?«
»Früher aus«, murrte er ärgerlich. »Und was sehe ich? Dein Auto vor dem Stöcklbräu.«
»Alex ist mein Jugendfreund«, erklärte ich ihm, als wüsste er das nicht.
Jonas hielt mir die Wagentür auf, während ich angestrengt überlegte, mit welchem Fuß ich zuerst einsteigen musste.
»Es geht doch nur darum, dass ich die neuen Biersorten mit verkoste. Alex braucht da objektive Anregung«, erklärte ich und merkte, dass meine Aussprache ziemlich verwaschen klang. »Alex bringt neuen Schwung ins Geschäft. Momentan probiert er ein bisschen herum, neue Biersorten. Das ist echt interessant! Er will Ales brauen. Und da hat er in kleinen Mengen …«
Ups, das Auto vor mir schwankte ziemlich und schien sich von mir wegzubewegen.
»… ein paar Literchen von dem Bier …«
Was wollte ich sagen?
»Und da will er natürlich wissen, ob es auch schmeckt.«
»Und nutzt die Gunst der Stunde, um mir meine Freundin auszuspannen«, sagte Jonas ziemlich eisig. Vielleicht auch deswegen, weil ihn fror und ich mich noch immer nicht darauf einigen konnte, welcher Fuß nun zuerst hineingehörte.
Ich kicherte.
»Evelyn trägt Bundeswehrstiefel, stell dir das mal vor. Ich sehe sie schon, wie sie Glitzerpailletten auf die Dinger klebt, weil sie ihr zu unauffällig sind.«
»Setzt du dich jetzt mal rein?«, fragte Jonas schlecht gelaunt.
Er war tatsächlich ziemlich ärgerlich auf mich, besonders weil ich nicht zu kichern aufhören konnte, als wir die Landstraße entlang zu meinem Campingplatz fuhren.
»Das ist nur ein Freundschaftsdienst«, sagte ich.
Jonas antwortete mir nicht, vielleicht, weil er unter »Freundschaftsdienst« etwas anderes verstand als ich.
Schweigend stapften wir zu meinem Haus, wo Jonas sich umgehend vor den Fernseher fläzte. Unten hörte ich kurz darauf die Tür zur Rezeption klappern, was nur bedeuten konnte, dass Evelyn gerade nach Hause kam. Auch Milo, mein alter schwarzer Riesenhund, hatte das bemerkt, denn obwohl er schlaff auf der Seite lag, hob er seinen Schwanz an und klopfte dreimal auf den Holzboden. Im nächsten Moment kam Evelyn auch schon hereingesegelt, mit roten Bäckchen und knallrot geschminkten Lippen. In der Hand trug sie eine Müslischüssel mit Cornflakes, die sie auf dem Couchtisch abstellte. Mit ein paar Handgriffen waren alle Zeitschriften vom Couchtisch weg, ein Stift verschwunden sowie die Autoschlüssel und das Handy von Jonas.
»Hallo, ihr Süßen«, begrüßte sie uns und ließ sich neben Jonas aufs Sofa fallen. Wie nebenbei schaltete sie auch noch den Ton von den Nachrichten aus, die Jonas gerade ansah.
Oh, oh!
Da sägte gerade jemand gewaltig an dem Ast, auf dem er saß! Seufzend streifte sie sich weiße Puschelsocken mit roten Fersen über die Füße.
»Total durchgefroren«, flötete sie und hielt ihre Füße zusammen mit den Cornflakes in der dekorativen weiß-roten Schüssel in die Kamera. »Ein spätes Frühstück vor dem Kamin«, hauchte sie ins Mikro. Jonas warf ihr einen ziemlich schrägen Blick zu.
»Frühstück?«, fragte ich, weil es schließlich abends war. »Kamin?«
Evelyn schien fertiggefilmt zu haben, und ich legte den Schlüssel, die Zeitschriften und den Stift wieder auf den Couchtisch. Jonas schaltete den Fernseher wieder auf laut. Auf ziemlich laut.
»Einen Kamin hätte ich zumindest gerne«, erläuterte Evelyn mit ihrer normalen Stimme, die sich komplett anders anhörte als die rauchig-sinnliche, mit der sie auf Instagram sprach.
»Ich muss mehr Content für Instagram vorbereiten, sonst komme ich den Bedürfnissen meiner Follower nicht nach«, erklärte sie mir. »Übrigens, was hältst du von einem Kamin im Bootshaus?«
Auf dem Handy von Jonas ging eine Nachricht ein, und während er sie las, antwortete ich Evelyn: »Das Bootshaus ist aus Holz. Das brennt uns doch ab, wenn du da ein Feuerchen anzündest.«
»Was ist los?«, fragte ich Jonas, weil er abrupt aufgestanden war.
»Muss noch mal los«, sagte er ziemlich kurz angebunden und stürmte aus dem Haus.
»Der hat ja schlechte Laune«, stellte Evelyn erstaunt fest.
»Weil ich mit Alex Bier probiert habe.«
Evelyn nickte verständnisvoll, während ich aufstand und mich mit meiner Teetasse ans Wohnzimmerfenster stellte. Ich sah, dass Jonas im Auto noch ein Telefongespräch führte und dann den Motor startete. Seufzend sah ich zu, wie er rückwärts auf die Landstraße rangierte. Während Evelyn schon wieder irgendetwas hinter mir filmte, blickte ich über den Campingplatz. Der sah momentan etwas trist aus. Die letzten Tage hatte es nur ein paar Grad über null gehabt und Dauerregen. Dementsprechend aufgeweicht und schlammig war der Boden. Und dementsprechend froh war ich auch, dass außer dem Gröning kein Campinggast da war
»Es will einfach niemand campen«, sagte Evelyn schlecht gelaunt, »und das, obwohl ich so viel Werbung mache.«
»Kein Mensch will im Winter campen«, sagte ich, obwohl sich für nächste Woche die Hetzeneggers und die Schmidkunzens angekündigt hatten und ich wusste, wie vollmundig Evelyn ihr »Adventscampen« promotete samt der vielen »Aktionen«, von denen niemand wusste, was das sein sollte. Jedenfalls war ich heilfroh, dass sich kein Mensch dazu animiert sah, zu uns zu kommen. Kurz sah ich auf mein Handy, in der Hoffnung, dass Jonas etwas geschrieben hatte. So etwas wie: Ich komme bald wieder. Natürlich liebe ich dich über alles, und es ist o. k., wenn du mit Alex Bier probierst.
Stattdessen sah ich nur die tausend Nachrichten von den Hirschgrundis, der WhatsApp-Gruppe unserer Dauercamper, und fast zwanghaft tippte ich darauf, um sie zu lesen.
»Morgen soll es kalt werden!«, schrieb die Vroni. »Ich finde, wir sollten Nägel mit Köpfen machen und zu Sofia fahren. Sonst wird es vor Weihnachten nichts mehr.«
Sofia, das war ich.
»Es ist scheußliches Wetter«, antwortete die Schmidkunz.
Danke!, dachte ich. Gut, dass die Schmidkunz vernünftig war!
»Stellt euch nicht so an«, hatte Evelyn geschrieben. Was etwas unfair war, denn obwohl sie Dauercamperin auf meinem Platz war, schlief sie jetzt schon seit eineinhalb Jahren bei mir im Haus und hatte überhaupt nicht unter dem schlechten Wetter zu leiden.
Es folgte eine längere Unterhaltung darüber, wie sehr sich alle darauf freuten, dass die Campingsaison wieder so richtig losging. Seufzend überflog ich den Rest und scrollte noch schnell durch Instagram, um zu prüfen, was Evelyn Neues hochgeladen hatte. Ich war einerseits dankbar, dass sie sich derart engagiert und vor allem ehrenamtlich um die Social-Media-Präsenz meines Campingplatzes kümmerte. Nur sprengte Evelyn leider regelmäßig die Grenzen des Zumutbaren.
»Winterstimmung am See«, zum Beispiel. Über dem See, der eigentlich trist grau war, hatte Evelyn mit irgendeiner App glitzernde Schneeflocken gelegt, was tatsächlich weihnachtlich aussah, aber mit der Realität überhaupt nichts zu tun hatte. Ich scrollte nach unten, um die Kommentare zu lesen, die Mohnschneckerl und Kiesel hinterlassen hatten. Die fanden das natürlich toll. Daneben fanden es aber auch noch ganz andere Leute toll!
»Sexy Hirschin, ich bin so froh, dich gefunden zu haben!«, hatte jemand mit dem Namen »Hamster« geschrieben. »Du bist ein großes Vorbild für mich!«
»So gerne würde ich deine Adventsaktionen miterleben! Wollen wir nicht ein großes Treffen machen? Mit unserer Sexy Hirschin?«, las ich mit Schrecken den Kommentar einer Person, die sich Outdoorfreaky2 nannte.
Schnell legte ich mein Handy zwischen den Weihnachtskaktus und eine Nussschale, die zur Krippe umgestaltet war. Dabei sah ich nach draußen und bemerkte, dass vor meiner halb kaputten Schranke ein weißer Lieferwagen hielt.
Im Licht der orangen Straßenlaterne stieg eine Frau mit einer riesigen bunten Strickmütze, einem seltsamen überdimensionalen Strickmantel und klobigen Stiefeln aus. Sie ging um den Wagen und öffnete die Beifahrertür. Eine Weile gruschte sie herum, dann schlug sie die Tür wieder zu und kam Richtung Rezeption. Ihre Hände steckten in einem weißen pelzigen Handmuff. Ich seufzte und wollte in die Flipflops meiner Großmutter schlüpfen, was wegen der Wollsocken, die ich trug, aber nicht möglich war. Also lief ich strumpfsockig los. Mannometer!
»Sie haben offen?«, fragte die Frau mit knarziger Stimme. Ihre Stiefel waren furchtbar schmutzig, als wäre sie auf einem sehr matschigen Weg spazieren gegangen.
»Prinzipiell schon«, sagte ich und warnte sie sofort: »Aber das Wetter ist nicht besonders einladend. Und soll sich auch nicht ändern!«
Mich persönlich würden keine zehn Pferde in einen Wohnwagen bringen!
»Das ist ja fantastisch«, sagte sie mit einer Stimme, als würde sie Wintercamping genauso schrecklich finden wie ich.
Ich nickte und ging hinter den Tresen. »Sie können sich einfach einen Platz aussuchen.«
Es war nämlich alles frei, bis auf die Plätze meiner Dauercamper, deren Wohnwägen unter dicken Plastikplanen versteckt darauf warteten, dass ihre Besitzer zurückkehrten. Vielleicht kamen sie aber jetzt im Winter auch gar nicht, nachdem das Wetter wirklich grauenhaft war. Ich hörte, wie eine Windböe Regentropfen an das Fenster prasseln ließ.
»Sie brauchen wahrscheinlich meinen Ausweis«, sagte die Frau und hustete.
»Stimmt, aber den können Sie auch später vorbeibringen«, antwortete ich freundlich. Gerne hätte ich gesagt, brauche ich nicht, denn im Grunde war mir das ziemlich egal. Aber seit hier auf dem Campingplatz ein paar Morde geschehen waren, musste ich immer daran denken, dass ich mich später vor der Polizei rechtfertigen musste!
»Das mache ich lieber gleich«, betonte sie und beugte sich über den Tresen. »Könnten Sie Clärchen mal bitte halten?«
Sie drückte mir den Fellmuff in die Hand, und für einen kurzen Moment dachte ich, dass die Frau komplett gaga war und ihrem Fellmuff einen Namen gegeben hatte. Aber dann sah ich, dass der Fellmuff in Wirklichkeit ein kleiner Hund war. Er sah mich mit riesigen Augen an und schien sich überhaupt nicht darüber zu freuen, in meine Arme gedrückt zu werden.
»Das hat keine Eile«, erwiderte ich eilig, um den Hund nicht nehmen zu müssen, und versuchte ihr das Hundchen wieder über den Tresen zuzuschieben.
»Das geht ganz schnell. Ich habe den Ausweis im Auto.«
Na dann, dachte ich mir und sank auf den Stuhl hinter dem Tresen, das Fellbündel in meinen Armen. Auch wenn es erst ziemlich dick ausgesehen hatte, in meinen Händen spürte ich, dass es nur Haut und Knochen war.
»Na du«, sagte ich zu dem kleinen Wesen, das so regungslos dalag, als würde es damit rechnen, von mir aufgefressen zu werden.
Von draußen hörte ich Motorgeräusche, und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich fragte, wieso die Frau auf der Suche nach ihrem Ausweis den Motor ihres Lieferwagens anschmiss. Wollte sie schon auf den Campingplatz fahren? Aber die Schranke war geschlossen. Und da sie immer noch kaputt war, würde es auch einen erheblichen Kraftaufwand bedeuten, sie zu öffnen. Es dauerte noch ein paar weitere Sekunden, bis ich kapierte, dass die Frau einfach das Auto wendete und wieder auf die Landstraße hinausfuhr. Ich stand auf und sah durch das Fenster. Aber da war nichts mehr, keine Frau, kein Auto.
Der Hundewelpe und ich starrten uns an.
»Vielleicht hat sie ihren Ausweis zu Hause vergessen«, sagte ich zu Clärchen.
»So ein Quatsch!«, sagte Evelyn kopfschüttelnd, als ich zurück im Wohnzimmer war und ihr die ganze Geschichte erzählte. »Du hättest den Hund einfach nicht annehmen dürfen.«
»Was heißt hier annehmen?«, fragte ich empört. »Zack, hatte ich ihn im Arm. Das war absolut unfreiwillig.«
»Die kommt nicht wieder.«
»Vielleicht wollte sie noch einkaufen oder so«, schlug ich hoffnungsvoll vor.
»Von wegen einkaufen«, erwiderte Evelyn. »Sie hat dir fünf Dosen Welpenfutter vor die Tür gestellt. Die hat dir den Hund dagelassen, so sieht’s aus. Der war das einfach zu viel. Schau dir das an, der bieselt dir gerade neben den Ficus. Das kann man doch echt nicht brauchen. Und das hat die natürlich sehr weitsichtig erkannt und wollte sich damit nicht belasten.«
»Wah«, sagte ich fassungslos. »Der ist nicht stubenrein?«
»Was denkst du, wieso die den Hund loshaben wollte? Doch nicht deshalb, weil das Tier komplikationslos ist!«
»Ich dachte, man setzt die an Autobahnraststätten aus«, murrte ich. »So war das früher immer.«
»Doch nicht bei dem Wetter!«, wandte Evelyn ein. »Das ist doch für das arme Tier unzumutbar. Und jetzt wisch das weg, sonst sickert es dir in den Holzboden und stinkt auf ewig.«
Schlecht gelaunt holte ich mir einen Putzlappen. Inzwischen war mein alter, geerbter Hund Milo erwacht und hatte entdeckt, dass wir Zuwachs bekommen hatten. Er stand auf und beschnupperte den dünnen weißen Welpen, der sofort wieder zu bieseln begann, diesmal aus Angst.
»Den Lappen kannst du gleich hierlassen«, schlug Evelyn vor.
»Den Hund bringe ich noch heute ins Tierheim«, sagte ich düster. »Sieh dir doch an, wie dürr der ist, wahrscheinlich ist er todkrank!«
Am nächsten Morgen wachte ich auf und bemerkte als Allererstes, dass kein Jonas neben mir lag. Vermutlich hatte er in seiner Regensburger Wohnung übernachtet. Oder er war schon wieder weg, denn es war sehr spät, bereits zehn Uhr, und ich hatte komplett verschlafen, weil ich dreimal in der Nacht draußen gewesen war. Unter den mitleidigen Blicken von Milo, der sich nicht dazu bequemt hatte, mitzugehen. Denn natürlich hatte ich Clärchen am Abend nirgends mehr hingebracht. Schließlich war es schon dunkel gewesen, und ich hatte keine Lust mehr gehabt, mich von der Couch wegzubewegen.
Bis ich mich angezogen und gefrühstückt hatte, war es fast Mittag, und ich hatte schon einmal in Erfahrung gebracht, wo das nächste Tierheim war. Und dass sie absolut keinen Platz hatten für Neuaufnahmen. Erst gestern seien einige sardinische Hunde angekommen, und alle Plätze seien belegt. Ich solle es beim nächsten Tierheim probieren.
Ich ging nach unten in die Rezeption, wo Evelyn vor dem Rechner saß.
»Eigentlich könntest du sie wegbringen«, schlug ich Evelyn vor. »Schließlich bin ich die ganze Nacht wach gewesen. Und habe gerade schon wieder eine Pfütze aufgewischt.«
Wahrscheinlich hatte Clärchen Blasenprobleme!
»Ja, und du warst so blöd und hast sie angenommen. Das wäre mir nie passiert«, behauptete Evelyn.
Bevor wir das ausdiskutieren konnten, kam der Gröning herein.
»Mein Kulturbeutel ist weg«, klagte er. »Ich nehm den immer nur ins Klohäusl und dann wieder zum Wohnwagen. Der ist einfach weg. Ich glaube, es gibt Diebe hier.«
Evelyn verdrehte die Augen. »Der steht drüben im Campingladen«, sagte sie und fügte an mich gewandt hinzu: »Den hat er stehen lassen, als er sich die Semmeln geholt hat.«
Mit grimmiger Miene holte sich der Gröning seinen braunen Cordstoff-Kulturbeutel Marke Sechzigerjahre und ging wortlos von dannen. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte ich erneut ein Motorgeräusch. Neugierig trat ich ans Fenster. Vielleicht war die Besitzerin ja wiedergekommen! Aber vor meiner kaputten Schranke hielt gerade ein rostiger alter VW-Bus, und ein Typ in Tarnkleidung sprang heraus.
»Der erste Wintercamper«, sagte Evelyn sehr zufrieden, die neben mich getreten war. »Hab ich’s nicht gesagt? Bald geht’s los!«
»Vielleicht will er den Hund abholen«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Du glaubst auch noch an den Weihnachtsmann«, erwiderte Evelyn.
Im nächsten Moment ging die Tür mit einem Dingeln auf, und ein hünenhafter Mann mit einem wilden roten Wikingerbart und einer roten Wikingermähne kam an den Tresen. Ein breites Grinsen breitete sich über seinem Gesicht aus, als er uns bemerkte.
»Sexy Hirschin!«, strahlte er, und an seiner Stimme merkte ich, dass er noch nicht besonders alt war. »Unsere Sonderbotschafterin!«
Sonderbotschafterin? Ich warf Evelyn einen fragenden Blick zu, aber sie hatte sofort wieder ihren sexy Flirtblick drauf und beachtete mich nicht weiter.
»Ich bin der Stefan«, erklärte er, und als keiner von uns etwas sagte, fügte er hinzu: »Outdoorfreaky2!«
Evelyn quietschte auf, als wäre das die tollste Nachricht ever, und umarmte Stefan Outdoorfreaky2.
»Ich kann’s nicht glauben!«, rief sie immer wieder. »Dass ihr tatsächlich gekommen seid!«
Wikinger-Stefan grinste nur breit.
»Dann wollen wir mal schauen, was wir noch frei haben!«, tönte Evelyn, obwohl wir alles frei hatten. Draußen hörte ich erneut Motorengeräusch, und zu meinem großen Erstaunen stauten sich vor meiner Schranke gerade die Fahrzeuge!