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Sofia und ihre Camper sind am Boden zerstört: Evelyn will den charmanten Franzosen Pierre heiraten - und zu ihm auf sein Weingut ziehen. Für ihr Café auf dem Campingplatz hat Evelyn sogar schon eine neue Pächterin gefunden: Frau Neiss, die leider gar nicht so nice ist und nur noch Grünkohl-Smoothies und andere gesunde Sachen anbietet. Doch dann wird Pierre ermordet! Jetzt ist Evelyn am Boden zerstört. Witwe! Noch vor der Hochzeitsnacht! Sofia macht sich sofort auf die Suche nach dem Mörder - tatkräftig unterstützt von den anderen Campern. Obwohl die eigentlich nur Frau Neiss loswerden wollen, um wieder Kaffee und Kohlenhydrate zu bekommen. Doch was sie dann herausfinden, hat es in sich ...
"Der Tod reist mit Verspätung an " ist der sechzehnte Teil der erfolgreichen Bayern-Krimi-Reihe "Sofia und die Hirschgrund-Morde" von Susanne Hanika. Krimi trifft auf Humor, Nordlicht auf bayerische Dickschädel, Wieder-Single-Frau auf Jugendliebe und feschen Kommissar - dazu jede Menge Leichen, Mörder und Ganoven. Und all dies vor herrlich bayerischer Kulisse!
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 226
Blaues Wasser, klare Luft, in der Ferne bei schönem Wetter die Alpen – das ist der Hirschgrund, ein idyllischer See mitten in Bayern. Nebenan der gleichnamige Campingplatz. Doch die Idylle trügt – denn diese Saison wird mörderisch.
Kaum ist die neue Besitzerin Sofia auf dem Platz angekommen, stolpert sie über den ersten Toten. Sofia ist entsetzt! Und dann neugierig. Bald schon entdeckt sie ihr Talent fürs Ermitteln und fängt an, in der bayerischen Idylle so einiges umzukrempeln …
Sofia und ihre Camper sind am Boden zerstört: Evelyn will den charmanten Franzosen Pierre heiraten - und zu ihm auf sein Weingut ziehen. Für ihr Café auf dem Campingplatz hat Evelyn sogar schon eine neue Pächterin gefunden: Frau Neiss, die leider gar nicht so nice ist und nur noch Grünkohl-Smoothies und andere gesunde Sachen anbietet. Doch dann wird Pierre ermordet! Jetzt ist Evelyn am Boden zerstört. Witwe! Noch vor der Hochzeitsnacht! Sofia macht sich sofort auf die Suche nach dem Mörder - tatkräftig unterstützt von den anderen Campern. Obwohl die eigentlich nur Frau Neiss loswerden wollen, um wieder Kaffee und Kohlenhydrate zu bekommen. Doch was sie dann herausfinden, hat es in sich …
Susanne Hanika, geboren 1969 in Regensburg, lebt noch heute mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in ihrer Heimatstadt. Nach dem Studium der Biologie und Chemie promovierte sie in Verhaltensphysiologie und arbeitete als Wissenschaftlerin im Zoologischen Institut der Universität Regensburg. Die Autorin ist selbst begeisterte Camperin und hat bereits zahlreiche Regiokrimis veröffentlicht.
SUSANNE HANIKA
Der Tod reist mitVerspätung an
Ein Bayernkrimi
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Meike Frese
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: U1berlin/Patrizia di Stefano unter Verwendung von Motiven © Shutterstock.com
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-1561-4
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Wir hatten drei Tage Nieselwetter hinter uns, ein Tag scheußlicher als der andere, und noch hingen graue Wolken tief über dem Hirschgrunder See. Sie hüllten die Pappeln am Ufer in einen dicken, düsteren Mantel. Der Wetterbericht hatte uns Hoffnung auf ein paar Sonnenstrahlen gemacht, was ich kaum glauben konnte, wenn ich mir die momentane Bewölkung ansah. Ich ließ den Blick vom Esszimmerfenster aus über meinen Campingplatz schweifen. Er lag da wie ausgestorben. Denn die wenigen Campinggäste jetzt im Frühjahr machten es sich heute so kuschelig wie möglich! Zu meinen Gästen zählten zwei Rentnerehepaare, die zum Wandern gekommen waren und weder ins Café noch in den Campingladen gingen. Sie hatten sich anscheinend schon vorher mit Vorräten eingedeckt. Außerdem war noch ein alleinstehender Mann in einem Kastenwagen da, den alle nur »Den Grantlhuber von Platz 29« nannten, da er vor allem durch seine griesgrämige Miene auffiel. Gerade ging der Grantlhuber mit gesenktem Blick auf das Klohäusl zu, wo er meinem dienstältesten Dauercamper auswich, der gerade mit beschwingten Schritten Richtung Seeufer ging.
Als ich hinter mir ein Geräusch hörte, drehte ich mich vom Fenster weg. Jonas kam aus dem Schlafzimmer, er war mit seinen Krücken zum Bad unterwegs und gab sich alle Mühe, keinen Gesichtsausdruck wie drei Tage Regenwetter zu machen. Dabei hatte er allen Grund dazu! Denn er trug am linken Fuß eine Knöchelschiene, Bänderriss.
»Ich hole uns Frühstück«, kündigte ich an.
»Danke«, sagte er und gab der Badtür mit der Krücke einen kleinen Schubs, um sie zu öffnen. »Ich würde dir gerne Frühstück machen.«
Ja, ein Frühstück zu organisieren war tatsächlich angenehmer als eine Fußverletzung. Jonas hatte sich ein Außenband gerissen. Nicht im Dienst, sondern hier auf dem Campingplatz. Auf dem Steg in den See, wo sich schmieriges Laub zu einer fatalen Mischung verklebt hatte. Und vielleicht hatte auch ein aufgeweckter Hundewelpe eine Rolle gespielt. Hinter der Yucca-Palme stürzte sich eben dieser Hundewelpe hervor – bestimmt hatte Lola nur darauf gewartet, dass endlich wieder das tolle Krückenspiel losging, denn sie stellte sich energisch vor Jonas, um seine Krücken anzukläffen. Dabei hob fast ihr Hintern vom Boden ab, so sehr engagierte sie sich beim Bellen.
»Ich weiß«, antwortete ich und gab ihm einen schnellen Kuss.
»Ich würde dir sogar lieber einen Mordfall lösen, als hier festzusitzen«, machte er schlecht gelaunt weiter.
»Mal den Teufel nicht an die Wand!«, erwiderte ich entsetzt, da er schon viel zu oft hier auf meinem Campingplatz ermittelt hatte. »Damit macht man keine Späße.«
»Du hast recht«, nickte er und humpelte ins Bad.
Ich schnappte mir ein Tablett aus der Küche und polterte mit meinen Hunden die Treppe hinunter. Vorneweg lief Lola, mein süßes Hundebaby, dicht gefolgt von ihrer Mutter. Hinter mir schlurfte Milo, mein Hundeopa, der mittlerweile kaum noch etwas sah und hörte und hin und wieder in mich hineinlief. Im Vorbeigehen schnappte sich Lola noch einen Socken, der in einem meiner Schuhe steckte, und tobte voraus.
Danach ging es weiter, quer über den Campingplatz. Die hohen Birken und die Pappeln hatten frisch ausgetrieben, noch hing der Nebel in den Blättern, aber durch ein heiß ersehntes Wolkenloch fielen tatsächlich die ersten Sonnenstrahlen und brachten die Regentropfen auf den Blättern zum Funkeln. Die Vögel sangen so laut, dass mir das Herz juchzte. Besonders ein Buchfink, der auf einer der drei Birken beim Klohäusl saß, schmetterte sein Lied wie ein Weltmeister!
Vor seinem Wohnwagen hatte sich der Hetzenegger seinen Campingstuhl in Liegeposition gebracht und Richtung Sonne ausgerichtet. Dort lag er jetzt – noch in Jacke, aber mit nackten Füßen in seinen Crocs – und hatte die Augen geschlossen. Einen Stellplatz weiter hatte sich auch der Schmidkunz, ein weiterer meiner Dauercamper, in Stellung gebracht: Obwohl es nicht sehr warm war, saß der Apotheker schon vor seinem Campingtisch, eine große Tasse Kaffee neben und eine riesige Süddeutsche Zeitung vor sich.
Ich lächelte.
Ich liebte es, wenn es so friedlich auf unserem Platz war!
Als ich über die Treppe hinunter zum See lief, hingen dort die Nebelschleier wie leichte Gespinste über dem Wasser. Dort, wo sie sich langsam auflösten, erstrahlte die Wasseroberfläche. Beschwingt riss ich die Tür zum Café auf.
»Morgen!«, rief ich hinein.
Es roch schon wahnsinnig appetitlich nach Semmelchen und buttrigen Croissants – die lagen in einem großen Weidenkorb, der mit einem rot karierten Tuch ausgeschlagen war, auf dem ersten Tisch im Café. Evelyn stand wie gewohnt hinter dem Tresen und beugte sich über einen Zettel. Die Sonne schien durch das Fenster und beleuchtete Evelyns aschblond gefärbtes Haar. Noch immer hatte ich mich nicht daran gewöhnt, dass ihre Haare nicht mehr das gewohnte Krachrot hatten.
»Guten Morgen«, sagte ich fröhlich. »Was machst du da?«
»Ich erstelle gerade meine Glücksliste«, sagte Evelyn, ohne aufzusehen. »Um herausfinden, was mich wirklich glücklich macht. Eine ganz einfache Übung, du musst nur jeden Tag alles notieren, was dich zum Lächeln bringt.«
Ich sah auf die Liste. Wie nicht anders zu erwarten, war das erste Wort, das dort stand, »Pierre«. Pierre war mit seinem Auto vor unserer Campingschranke liegen geblieben und seitdem Dauergast bei uns. Die beiden hatten sich so schnell ineinander verliebt, dass es direkt unheimlich war! Und obwohl er superreich war und superbeschäftigt, schaffte er es dank der Digitalisierung, alles von hier aus zu erledigen – seine Videocalls, Besprechungen, Unterschriften unter wichtige Dokumente und was weiß ich! Etwas erleichtert stellte ich fest, dass Evelyn nicht nur »Pierre« in tausendfacher Ausführung geschrieben hatte, sondern auch so Dinge wie: »Der perfekte Kaffee, der perfekte Abschluss des Tages. Der Ramazzotti im richtigen Moment. Ich will den verwunschenen Pfad finden, der mich zum glücklichen Leben führt.«
Sie sah aus dem Fenster und begann zu lächeln. Auch ich richtete meinen Blick nach draußen und entdeckte Pierre, der gerade die Treppe herunterkam. Wie immer war seine Frisur perfekt gestylt, und ich konnte nicht umhin anzunehmen, dass sie diesen verwunschenen Glückspfad zusammen mit Pierre zu gehen gedachte.
»Probier’s mal aus!«, schlug Evelyn vor, während Pierre bereits zur Tür hereinkam.
Mit seinem liebenswürdigen Akzent stieß er dramatisch hervor: »Bon jour, ma chérie, du großes Glück meines Lebens!«
Frühstück mit Jonas, machte ich mir meine persönliche Glücksliste im Kopf, während Pierre auf Evelyn zuschritt. Wippende Hundeohren. Ein Blick über den See im Sonnenschein. Es gab wirklich so viel, was mich glücklich machte. Auch ganz profane Dinge wie die Vorfreude auf meinen neuen Empfangstresen, an dem mein Jugendfreund Alex gerade tischlerte. Der alte war bei unserem letzten Mordfall in Flammen aufgegangen.
Evelyn und Pierre gingen hinaus auf die Terrasse, die jetzt richtig in der morgendlichen Sonne erglühte. Ich hörte Pierre sagen: »Was ’ast du nur gemacht mit deine Haar, dass du heute noch schöner als die Tag vorher?«
Hinter mir ging schon wieder die Tür auf, und die Vroni und die Schmidkunz kamen herein. Obwohl die Campingsaison offiziell eröffnet war, waren so früh im Jahr nur wenige Gäste hier. Aber die beiden waren Dauercamperinnen hier am Platz und liebten diese Zeiten, bevor es so richtig losging. Für das kommende Wochenende hatten sich bereits einige neue Gäste angemeldet, dann war es mit der Ruhe vorbei.
Ich lächelte den beiden Frauen zu, doch deren Miene erhellte sich nur kurz. Seit Pierre da war, waren sie eigentlich immer hochgradig besorgt. Sie blieben neben mir stehen, und die Schmidkunz sagte: »Also, ich bin mir sicher, Pierre ist überhaupt nicht reich und gebildet.«
»Aha«, sagte ich, weil mir ihre Verdächtigungen langsam wirklich auf den Senkel gingen.
Gestern hatte sie behauptet, er sei ein Schwerverbrecher, weil er immer freundlich lächelte und sich nie in die Karten sehen ließ. Ich fragte lieber nicht, weshalb sie ihn nicht für reich hielten, aber sie machte ungefragt weiter: »Er hat einen Smoking dabei und trägt dazu allen Ernstes eine …« Sie machte eine bedeutsame Pause, als käme gleich etwas unglaublich Skandalöses. »… eine Krawatte.«
»Und?«, fragte ich verständnislos.
»Fliege!«, tadelte mich die Schmidkunz. »Dazu gehört einfach eine Fliege!«
»Und ein Kummerbund«, sagte ich und überlegte, ob ich Jonas dazu überreden konnte, sich einen Smoking, eine Fliege und einen Kummerbund zuzulegen und dann Sex mit mir zu haben. Das stellte ich mir ausgesprochen anregend vor. Verträumt sah ich nach draußen, in die immer lichter werdenden Nebelschleier, die einen Blick auf eine Schar Enten freigaben.
»Vielleicht hat er seine Fliege verlegt«, schlug ich schließlich vor, weil sie auf eine Antwort wartete.
»Kein anständig reicher Mann würde sich auf so etwas einlassen!«, behauptete Vroni, als würde sie sich mit reichen Männern total auskennen.
»Und ich dachte, ihr habt eure Ängste bezüglich des kriminellen Hintergrundes von Pierre überwunden«, sagte ich augenzwinkernd.
»Irgendetwas ist mit ihm faul, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Und wir sollten alles tun, um Evelyn zu schützen!«, erklärte mir die Schmidkunz ganz ohne Augenzwinkern.
Darauf fiel mir nichts ein. Pierre würde nie mein Freund werden, aber ein Krimineller war er sicher nicht! Da wir das schon so oft durchdiskutiert hatten, erwiderte ich nichts, sondern schaute mit den anderen stumm durchs Fenster auf die Terrasse. Sogar von hier aus hörten wir durch das gekippte Fenster, wie Pierre sagte: »Du bist die schönste Frau, die isch ’abe jemals gesehen.«
Vroni stemmte die Hände in die Seite. »Wenn der so dicht vor ihr steht, da sieht er das Gesicht doch eh nur unscharf. Ich kenn das doch, wenn ich meine Lesebrille nicht aufhabe … Wie kann er dann sagen …«
»Aber er hat sie ja vorher schon gesehen«, nahm ich Pierre in Schutz. »Er weiß doch auch so, wie sie aussieht.«
»Du hast die schönste Charaktär, die ich je gefunden bei eine Frau!«, machte Pierre weiter. »Isch weiß nicht, wie ich soll leben ohne disch!«
Ich nickte. Das Gefühl kannte ich auch. Ohne Evelyn war es meistens nur halb so lustig. Wir alle wussten nicht, wie wir ohne Evelyn leben sollten.
»Er ist ein Lügner«, sagte die Vroni.
»Ein Krimineller«, nickte die Schmidkunz.
»Ein verarmter …«
»Ein verarmter, krimineller Lügner«, fasste ich nicht ohne Ironie zusammen.
Und gleichzeitig sagte Pierre sehr laut: »Du, meine Göttin der Liebe, willst du werden meine Frau?«
Das war tatsächlich der Schocker des Tages – und es war erst früher Morgen. Uns blieb der Mund offen stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, Evelyn würde Nein sagen. Denn bis jetzt hatte sich Evelyn nie für längerfristige Beziehungen begeistern können.
Aber irgendwie wunderte es mich nach dem Verhalten der letzten Wochen nicht, dass sie nur nach Luft schnappte, um dann ganz laut »Ja, ich will!« zu rufen.
Nach einer Vielzahl von Küsschen und Umarmungen kam sie glücklich hereingesegelt und begann sofort den Cappuccino zu brauen, den ich noch gar nicht bestellt hatte. Aber sie wusste natürlich auch so, was ich wollte. Obwohl sie fast zu platzen schien wegen der guten Neuigkeiten, sagte sie nichts – wahrscheinlich, weil Pierre ihr nach drinnen gefolgt war und nun direkt vor ihr auf einem Barhocker saß und schmachtete.
Die Schmidkunz erklärte bestimmt: »Ich trinke meinen Kaffee heute vor dem Wohnwagen«, und dampfte ab.
Die Vroni schloss sich ihr an.
Ohne das Verhalten der beiden Damen zu kommentieren, stellte ich zwei Cappuccini auf ein Tablett und legte zwei Croissants dazu. Evelyn machte keine Einwände, dass ich den Kaffee nicht bei ihr trank. Sie strahlte von innen heraus und schien ganz laut seufzen zu wollen. Oder jubeln. Oder beides gleichzeitig.
Als ich hinausgehen wollte, sah ich, dass Lola das Handy von Evelyn im Maul hatte. Ich nahm es ihr ab, wischte es mit einem Küchentuch sauber und legte es auf den Tresen, wo Lola nicht hinkam. Als ich hinausging, hörte ich Pierre sagen: »Denk nur an all die Dinge, die wir noch wollen erleben … Hast du schon fertisch deine Liste des Glücks?«
Aha, das mit der Liste kam also auch von Pierre. Evelyn lächelte auch ohne die fertige Liste ziemlich glücklich, und ich tat noch zwei Semmeln, Butter und Marmelade auf das Tablett.
»Eine Nacht unter die Sterne der Sahara«, sagte Pierre, während ich hinausging. »Wir träumen immer, aber wir verwirklischen es nie. Lass uns alles lassen hinter uns! Lass uns das Leben leben, als wäre es unsere letzte Tag!«
Irgendetwas störte mich an der Aussage. Aber ich wusste nicht, was genau. Leise zog ich die Tür hinter mir zu.
Während ich am Geschirrspülhäusl vorbeiging, mit meinen Gedanken noch bei Evelyns Hochzeitsplänen, tauchte Elias Hetzenegger neben mir auf. Er war der Enkel der Hetzeneggers und sah seinem Großvater unglaublich ähnlich. Dieser war mit ihm aber sichtlich unzufrieden. Seit seiner Ankunft bei uns Hirschgrundis trug Elias nämlich nur ein blau-rotes Superman-Kostüm, das um seinen Bauch spannte. Wobei es mir so schien, als wäre das nicht das Hauptproblem für den Hetzenegger. Das Allerschlimmste war, dass er einen Enkelsohn zu Besuch hatte, der des Bayerischen nicht mächtig war und ständig nachfragte, was sein Großvater denn nun sagte! Auch der Hetzenegger sprach nicht tiefstes Bayerisch, aber im Gegensatz zum Großvater war der Enkel in Hannover aufgewachsen. Dementsprechend frei von Dialekt war auch seine Sprache.
Besonders mich schien Elias ins Herz geschlossen zu haben, was Vroni immer stolz betonte. Denn sobald er mich sah, verfolgte er mich auf Schritt und Tritt, meist hatte er, so wie jetzt, sein Tablet dabei, um zu filmen.
»Beethoven hatte Syphilis«, erzählte er mir begeistert, ohne Zeit für einen kurzen Gruß zu finden.
Dafür, dass er erst dreizehn Jahre alt war, hatte er ein in meinen Augen abnorm hohes Interesse an sexuellen Dingen. »Deswegen ist Beethoven taub geworden.«
»Aha«, machte ich, weil ich gerade andere Probleme an der Backe hatte als einen tauben Musiker, während er neben mir herging und das Tablet auf mich gerichtet hielt. »Wieso filmst du mich?«
»Ich muss ein Projekt über eine Person machen, die mir etwas aus ihrer Kindheit erzählt«, verriet er mir. »Und ich weiß noch nicht, wen ich interviewen werde.« Er glühte vor Stolz, als er erzählte: »Den Einstieg habe ich schon.«
»Was für einen Einstieg?«, fragte ich etwas desinteressiert.
»Damit die Leute ins Plaudern geraten«, erklärte er. »Ich erzähle ihnen immer irgendetwas, was nichts mit ihrer Kindheit zu tun hat.«
»Sofia«, rief glücklicherweise Evelyn in dem Moment über den Platz, sodass ich über diese seltsame Herangehensweise kein Wort verlieren musste. »Warte mal!«
Ich drehte mich um und wartete auf Evelyn. Sie hatte rote Bäckchen und strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
»Wir müssen reden«, sagte sie außer Atem.
»Ja«, fand ich auch.
»Ich werde heiraten!«, stieß sie hervor.
Enttäuscht darüber, dass ich ihn nicht mehr beachtete, drehte sich Elias von mir weg, auf der Suche nach einem neuen Opfer.
»Okay«, sagte ich, und irgendwie musste ich mich dazu zwingen zu lächeln. »Toll«, fügte ich verspätet hinzu und kam mir ganz schäbig vor, weil ich mich nicht richtig freuen konnte. »Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke«, strahlte sie und schien meine inneren Zweifel gar nicht zu bemerken. »Wir müssen überlegen, wie wir das mit meiner Nachfolgerin machen.«
»Nachfolgerin?«, fragte ich entsetzt.
Auch mein Entsetzen kam nicht so richtig bei ihr an.
»Nun, Pierre will natürlich zurück nach Frankreich«, seufzte sie. »Und ich brauche das Geld, das ich in das Café investiert habe. Und das, was in der Wohnung steckt, übrigens auch.«
»Ähm«, machte ich und konzentrierte mich auf eine gleichmäßige Atmung. »ich befürchte … also Geld …«
Sie wusste doch, wie es finanziell bei mir aussah. Ich lebte nicht von der Hand in den Mund, aber sie hatte in die Renovierung der Obergeschosswohnung in meinem Haus das Geld von ihrer Versicherung gesteckt. Und soviel ich wusste, war diese Abfindung, die sie für ihr abgebranntes Wohnmobil erhalten hatte, für sie sehr günstig berechnet worden.
»Doch nicht von dir. Aber meine Nachfolgerin müsste da schon eine großzügige Ablöse zahlen.«
»Nachfolgerin?«, krächzte ich.
»Ja, Nachfolgerin … Das wäre schön, wenn die auch meine Wohnung übernehmen könnte.«
»Die Wohnung?«
»Ja, dann kannst du auch schön Miete verlangen.«
»Aber … Du hast doch jetzt so viel … Zeit und Geld investiert?«, stotterte ich. »Ich dachte, du liebst das Café und die Wohnung.«
»Ja, das tue ich.« Für einen kurzen Moment war Evelyns Gesicht ernst, dann strahlte sie wieder. »Aber – wie soll ich sagen? – manchmal muss man zu neuen Ufern aufbrechen, neue Türen öffnen, Mauern einreißen. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Du weißt doch, ich habe es bei euch immer geliebt …«
Dass sie das bereits in der Vergangenheitsform sagte, verschlug mir den Atem.
»Ich habe ja noch so viel zu tun vor meiner Abreise«, flötete sie und segelte weiter.
Ich starrte ihr hinterher. Mit einem lachenden Auge sah ich diesem Abschied definitiv nicht entgegen!
»Abreise!«, zischte jemand erschrocken hinter mir.
Elias hatte anscheinend nichts Besseres zu tun gehabt, als zu seiner Großmutter zu laufen und sie zu informieren.
»Das ist der Beweis!«, sagte auch die Schmidkunz hinter mir, gar nicht mal leise. Ich zuckte erschrocken zusammen.
Die Schmidkunz hatte sich inzwischen umgezogen und sah aus wie Lara Croft kurz vor ihrem Einsatz. Sie trug eine sehr enge Lacklederhose und ein eng anliegendes weißes Top. Ein vollkommen unübliches Outfit für sie!
»Du musst das verhindern!«, erklärte mir die Vroni resolut. »Man kann doch nicht mit jedem dahergelaufenen Kerl mitgehen! Das haben uns ja schon unsere Mütter beigebracht.«
»Dahergelaufen ist er nun nicht gerade«, schränkte ich ein. »Außerdem ist sie eine erwachsene Frau!«
Und drittens war ich nicht ihre Mutter.
»Wir wissen nichts über ihn!«, wurde die Vroni deutlich, mit leichter Panik in der Stimme. »Ich bin mir sicher, dass Evelyn in Gefahr ist.«
»Also, wenn sie nur mitgeht, wenn sie eine Ablösesumme bekommt, dann bleibt sie sowieso da. Wer zahlt ihr denn so viel Geld?«, beruhigte ich die beiden.
Bevor die Damen noch weitere, schlimmste Befürchtungen äußern konnten, ging ich mit meinem Tablett zum Wohnhaus, hinauf ins Schlafzimmer, wo Jonas seinen Fuß hochgelegt hatte. Ich reichte ihm seinen Cappuccino, der schon relativ kalt war. Ich war wohl ein bisschen zu oft stehen geblieben auf dem Weg hierher. Ausführlich und den Tränen nahe erzählte ich ihm von den Vorkommnissen der letzten Minuten.
»Meist wird nicht so heiß gegessen wie gekocht wird«, sagte Jonas schließlich und tauchte die Messerspitze in die Aprikosenmarmelade. Einen besseren Trost fand er offensichtlich nicht.
Während wir frühstückten, dingelte mein Handy unentwegt. Ich ignorierte es nach Leibeskräften, bis es dann noch zu läuten anfing. Jonas seufzte und sagte endlich: »Jetzt geh halt ran!«
Es war die Vroni.
»Ich bin mir sicher, er hat ihr keinen Ring geschenkt!«, sagte sie, ganz ohne Gruß.
Ich biss extra noch einmal ins Croissant, um dann mit vollem Mund sagen zu können: »Hm. Bin gerade beim Frühstück mit Jonas.«
»Lass es dir schmecken«, erwiderte die Vroni. »Denk da mal drüber nach! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Ich will echt nicht wissen, was das zu bedeuten hat!«
»Wahrscheinlich, dass er mit ihr als Allererstes nach Paris fährt und dort für schlappe Hunderttausend einen Ring springen lässt?«, überlegte ich und griff nach der Kaffeetasse.
»Dein Wort in Gottes Ohr«, antwortete Vroni und drückte das Gespräch weg.
Den Rest des Tages verdrängte ich das Thema so gut es ging. Erst am nächsten Morgen war ich so richtig beunruhigt. Denn als ich wieder meinen Cappuccino holen wollte und mit Schmidkunzens und Hetzeneggers ins Café trat, fiel mein Blick als Allererstes auf Evelyn, die am Tresen saß. Abgelenkt sagte sie »Guten Morgen« und sah weiter auf das Laptop vor sich.
Sie hatte ein Business-Kostüm an, einen hüftkurzen, gerade geschnittenen Blazer mit einem wadenlangen Bleistiftrock, und verbreitete französisches Flair. Die Mischung aus grün und crèmefarben sah nach Frühling und Savoir Vivre aus, die Frisur saß perfekt. Sie hatte bestimmt Stunden vor dem Spiegel verbracht, um diese lässige Eleganz auszustrahlen, die wirkte, als hätte sie überhaupt keine Zeit vor dem Spiegel verbracht.
Sie drehte sich schließlich halb zu uns und sagte begeistert: »Gute Nachrichten! Ich habe eine geeignete Nachmieterin gefunden!«
»Innerhalb eines Tages?«, wollte die Vroni fassungslos wissen und warf mir ihren Hab-ichs-nicht-gesagt-Blick zu.
»Sie hat schon jahrelang ein Café in Tübingen geleitet«, informierte Evelyn uns. »Sie will sich jetzt verändern und ist bereits seit Monaten auf der Suche nach einem Café im Grünen. Sie ist von den Bildern vom Fräulein Schmitts absolut begeistert!«
Wir standen so unter Schock, dass wir dazu überhaupt nichts sagen konnten!
»Sie hat schon sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie das Café zu leiten gedenkt.«
»Genaue Vorstellungen«, ächzte die Vroni.
»Sie ist zum Beispiel sehr gesundheitsbewusst und will das auch in dem Café umsetzen«, strahlte Evelyn, die sich normalerweise mit dem Thema Gesundheit nur am Rande auseinandersetzte.
»Was meint sie mit gesundheitsbewusst?«, fragte die Vroni misstrauisch und sah ein bisschen danach aus, als hätte sie extremes Herzrasen.
»Keine Ahnung«, zuckte Evelyn die Schultern und runzelte nun ebenfalls misstrauisch die Stirn. »Gesund ist ja etwas Gutes, oder?«
»Wir haben da ein Mitspracherecht«, wandte die Vroni energisch ein. »Wir als Dauercamper sollten ein Veto einlegen dürfen, wenn uns das nicht passt. Schließlich sind wir diejenigen, die jeden Tag in dieses Café gehen!« Vroni holte tief Luft und fügte hinzu: »Und wenn das alles zu gesund ist, dann stimme ich dagegen.«
Evelyn öffnete erstaunt den Mund und schloss ihn wieder.
»Ich auch«, behauptete die Schmidkunz, bei der es immer um gesund und bio ging.
Evelyn schnappte nach Luft. »Was meint ihr denn damit? Euch ist irgendetwas zu gesund?«
Vroni nickte etwas von oben herab.
»Ich bin ja froh, dass ich überhaupt jemanden gefunden habe, der auf meine Forderungen eingeht! Die meisten wollen nur pachten und überhaupt keine Ablöse zahlen«, erklärte uns Evelyn ärgerlich.
»Was meinst du mit, die meisten?«, bohrte ich nach, weil sich das anhörte, als würde sie seit Jahren suchen und hätte Hunderte von Bewerbern abgeklopft. »Wann hast du denn die Anzeige aufgegeben?«
Es stellte sich heraus, dass sie auf Anraten von Pierre sofort nach dem Heiratsantrag eine Anzeige im Internet aufgegeben hatte.
»Vielleicht sollten wir dann noch ein wenig warten«, schlug ich vor, besonders angesichts einer Vroni, die kurz vor dem Hyperventilieren war. »Weniger als vierundzwanzig Stunden ist ja jetzt nicht besonders lange! Wer weiß, wie viele sich noch melden.«
Vielleicht auch Leute, die komplett ungesundes Zeug anbieten wollten und damit die Bedürfnisse meiner Dauercamper besser bedienten.
»Das Leben ist zu kurz zum Warten!«, stieß Evelyn entnervt hervor. »Das ist der erste Tag meines neuen Lebens. Von Abwarten halte ich nicht viel.«
Erschlagen von all diesen Informationen schwiegen wir eine Weile.
»Und wen haben wir zur Auswahl?«, fragte ich.
Eine Auswahl hatten wir sozusagen gar nicht. Denn in diesem Moment dingelte Evelyns Handy, und sie sagte nur knapp: »Sie ist da! Ich mach ihr die Schranke auf!«
Eilig schlappte ich ihr nach, weil ich das empörte Gezischel von der Vroni leid war. Als ich oben ankam, fuhr ein ziemlich fetter, glänzend schwarzer Mercedes auf den Platz. Der Motor verstummte, man hörte, dass die Musik im Inneren noch lief.
Feeling good von Michael Bublé.
Und obwohl im nächsten Moment die Musik erlosch, hatte ich das Gefühl, dass die Melodie in meinem Ohr weiterlief, als die Frau ausstieg. Vollkommen ihres Körpers bewusst, schwang sie ihre Beine in Nylonstrümpfen aus dem Wagen. Sie trug ein geblümtes rotes Kleid, das sich eng um ihre gute Figur wickelte, ihre Brüste waren enorm, und als sie den Blick zu uns hob, rutschte als Erstes eine riesige goldene Sonnenbrille vor ihre Nase. Sie fasste schnell noch nach hinten auf den Beifahrersitz, zog einen Sonnenhut vom Format eines Wagenrades hervor und drückte ihn sich auf ihre rotgoldenen Locken.
Wie alt sie war, war unmöglich zu sagen. Sie war auf jeden Fall ähnlich exaltiert gekleidet wie früher Evelyn, nur ein bisschen schlanker und gepflegter. Wie sie damit auf unserem Platz klarkommen wollte, wusste ich nicht so genau. Allein der Weg hinunter zum Café würde sich schwierig gestalten.
»Carmen Neiss. Sofia Ziegler«, stellte uns Evelyn einander vor, als würden die beiden sich schon kennen.
»Angenehm«, sagte ich, obwohl ich gerade das Gefühl hatte, dass das wirklich eine reine Höflichkeitsfloskel war.
Frau Neiss musterte mich von oben bis unten und erwiderte: »Nett, Sie kennenzulernen.«
Ich war heilfroh, dass ich bei der Rezeption benötigt wurde und mich nicht um Frau Neiss kümmern musste. Denn eben fuhr ein großes, neues Wohnmobil vor die Schranke und blieb dort stehen.
Die Vroni verfolgte mich und schien mich zurückhalten zu wollen.
»Die Frau kommt nicht infrage«, zischte sie halb hinter mir. »Die ist uns viel zu … drüber!«
»Evelyn ist auch drüber«, wandte ich ein, während ich die Rezeption betrat.
»Ja. Aber anders. Und außerdem ist Evelyn Evelyn.«
Wohl wahr.
Ich stellte mich hinter meinen provisorischen Tresen, ein uraltes Regal aus den Beständen der Brauerei Stöckl, das inzwischen etwas windschief wirkte, und begrüßte das Ehepaar, dem das Wohnmobil gehörte.
Sie kamen aus Frankreich und waren beide um die vierzig. Sie hatte strohblonde Haare, eine riesige Brille auf der spitzen Nase, und er sah ein bisschen aus wie Alain Delon als junger Mann. Er schien von unserer Unterhaltung wenig zu verstehen, aber da sie Deutsche – und der Sprache nach zu urteilen Schwäbin – war, machte das keine Schwierigkeiten.
»Suchen Sie sich einfach einen Platz aus. Ist ja noch nichts los«, sagte ich und ging mit ihnen raus vor die Rezeption.
Während ihr Mann Guilhem über den Platz ging und sich einen Stellplatz suchte, blieb Elisabeth bei mir stehen.