Der Vernichter. Costermano, das Leben des Christian Wirth. Band 2 - John Wyttmark - E-Book

Der Vernichter. Costermano, das Leben des Christian Wirth. Band 2 E-Book

John Wyttmark

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Beschreibung

Erzählt wird die fortlaufende Geschichte des Band I. Nachdem die Euthanasie abgeschlossen ist, findet sich für Christian Wirth und seine Männer der T4 eine neue Aufgabe. Doch bevor er seine neue Dienststellung im Generalgouvernement antritt, besichtigt er das Getto Litzmannstadt (Lodz) und das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno nad nerem). Die Kanzlei des Führers stimmt sich mit dem Reichsführer SS ab und „verleiht“ Christian Wirth und seine Männer an den SS-Brigadeführer Odilo Globocznik mit Sitz in Lublin, Generalgouvernement. Das erste Gespräch ist noch angespannt. Schnell wird man sich einig. Wirth bekommt einen Hügel an der Straße Zamoscz – Lemberg im Ort Belzec zugewiesen und beginnt mit dem Aufbau des Lagers. Hier besuchen ihn SS-Sturmbannführer Höfle (Aktion Reinhardt) und SS-Sturmbannführer Eichmann. Am 17. März 1942 beginnen die ersten Massentransporte aus Lemberg und Lublin nach Belzec. Wirth ist Kommandant von Belzec und probiert mehrere Mordmethoden aus. Am 03. Mai 1942 wird das Vernichtungslager Sobibor bei Wlodawa eröffnet, es folgt am 23.07.1942 Treblinka II. Aufgrund der grausamen „Erfolge“ erhält Christan Wirth die Aufgabe des Inspekteurs der Lager der Aktion Reinhardt. Das Jahr 1942 fordert 2 Millionen Opfer aus Polen, der Sowjetunion und aus Westeuropa. 1943 beginnt die Aktion 1005 mit den Wetterstellen in Treblinka II, Belzec und Sobibor, die Feuer brennen monatelang und verschlingen die Opfer. Aufgrund des Rückgangs der Vernichtungen bekommt Wirth die Aufgabe des Inspekteurs aller Zwangsarbeitslager übertragen. Auch hier geht er hart und gnadenlos vor. Spätestens im September 1943 folgt er dem jetzigen SS-Gruppenführer Globocznik nach Triest. Wahrscheinlich ist er in Stuttgart im Urlaub, als ihn die Nachricht erreicht, sofort nach Lublin zu reisen. Dort angekommen leitet er die grausame „Aktion Erntefest“ mit 42.000 ermordeten Juden in Majdanek , Trawniki und Poniatowa. Er begründet auch hier wieder Wetterstellen zum Verbrennen der Leichen. Zurück gekehrt nach Triest beginnt er sofort, wieder Juden zu fangen, zu quälen und zu ermorden. Die Amerikaner kommen näher. Globocznik legt fest keine Juden mehr zu verfolgen und so wird Christinan Wirth Sicherungskommandant der Karststr. Am 28.05.1944 stirbt Christian Wirth durch Partisanen – Oder waren es eigene Soldaten?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Warnung vor dem Buch!

Erläuterungshinweis

Danksagungen

1941

§ 211 Mord

1942

Das Kaddisch

17. März 1942

Die Rede

3. Mai 1942

23. Juli 1942

1943

1944

26. Mai 1944

1947

Prozesse in der BRD – Auszug

Der Kniefall von Warschau

1988

Umgang mit Quellen und Quellensicherheit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Legende, Begriffserklärungen, Abkürzungen

Epilog – Das Ende handelnder Personen (Auszug)

Empfehlung

Eine Reise in die Vergangenheit

Quellenachweise Fotos

Anmerkungen

Der Vernichter – Costermano,

das Leben des Christian Wirth, Band I John Wyttmark

John Wyttmark: Lokführer des Todes

Sparkys Edition

John Wyttmark

Der Vernichter

Costermano,

das Leben des Christian Wirth

Band II (1941–1944)

Historischer Roman

Impressum

Dies ist ein dokumentarischer Roman, der das Leben einer Person der Zeitgeschichte beschreibt.

Alle Rechte unterliegen dem Urheberrecht.

Verwendung und Vervielfältigung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Rebecca Keller

Korrektorat: Rebecca Keller

Umschlaggestaltung: Designwerk Kussmaul Herstellung und Verlag: Sparkys Edition,

Zu den Schafhofäckern 134, 73230 Kirchheim/Teck

Druck: Stückle Druck Ettenheim Quellennachweis Bild Staatsarchiv München

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2025 Sparkys Edition

ISBN: 978-3-949768-41-5

Vernichter

Annihilator

Niszczyciel

Destructeur

Vernietiger

Разрушитель

Distrugător

Ničitelדימשמה

Annientatore

Gewidmet den Opfern

Ein dokumentarischer Roman zur historischen Bildung

„das große geschieht im kleinen“, eine Reise in das Unvorstellbare

Von der Banalität des Grausamen

Warnung vor dem Buch!

Gefahrenhinweis (Triggerwarnung)

Bücher haben keine Altersfreigabe, da sie als Printmedien nicht dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag für Telemedien unterliegen – gemäß Verlag der Zukunft.

Lesen Sie diesen Roman bitte nicht, wenn Sie die Realität von Grausamkeiten und Morden nicht ertragen können.

Der Autor warnt vor diesem Roman. Es gibt nichts, was Menschen anderen Menschen nicht antun.

Dieser Roman wird vom Autor erst ab einem Mindestalter von 18 Jahren bzw. bei genügender Lebenserfahrung empfohlen.

Erläuterungshinweis

Dies ist der Versuch eines dokumentarischen Romans, in dem ein Teil der Sittengeschichte des nationalsozialistischen Deutschlands (und in Teilen davor) beschrieben wird. Christian Wirth ist der rote Faden dieses Romans, da er an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Funktionen ein tätiger Massenmörder war. Er erscheint in diesem Werk in romanhaften Sequenzen im historischen Kontext der Zeit. Es werden stark herabsetzende Begriffe, Redewendungen und Euphemismen der damaligen Zeit verwendet. Diese dienten der Tarnung von industrialisiertem, staatlichem Verwaltungsmassenmord und werden, wie zu dieser Zeit üblich verwendet. Da, wo nötig erklärt sich die reale Inhaltsbegründung im Roman. Dies sind vor allem Umschreibungen und Schmähungen für jüdische Menschen, behinderte Menschen und andere Opfer, Bezeichnungen für ermordete Opfer oder Umschreibungen für den Verwaltungsmassenmord selbst.

Alle dargestellten Fakten sind recherchiert und oft mit Quellen hinterlegt. Mit diesen Begriffen identifiziert sich der Autor nicht. In diesem Buch wird aus historischen Gründen nur die männliche Form verwendet.

Dieses Werk ist keine psychologische Bewertung, geschweige denn eine Rechtfertigung für das Handeln des grausamen, tätigen Massenmörders Christian Wirth. Es ist der Versuch der Darstellung historischer Wahrheit. Die Begrifflichkeit der „Banalität des Grausamen“ ist bewusst in Anlehnung an Hannah Arendt gewählt worden. Schuld am Morden sind nie die oft ahnungslosen Opfer, sondern immer die heimtückischen Täter.

Es werden Abkürzungen aus dieser Zeit verwendet und am Ende des Werkes erklärt.

Hinweis: Im Text finden sich eingeschobene Kästchen mit tatsächlichem Quellenhinweis mit folgenden Daten: Datum, Alter von Christian Wirth zu dieser Zeit, Inhalt, Bezeichnung der Quelle. Der Inhalt wurde von der Quelle übernommen, ohne diese zu verändern, dies betrifft auch etwaige Fehler in Ausdruck, Grammatik und Rechtschreibung.

Wenn vor allem als Opfer auf behinderte Menschen (Euthanasie) und Juden abgestellt wird, liegt dies im Handeln des tätigen Massenmörders Christian Wirth gerade bei diesen Opfergruppen begründet. Dem Autor ist bewusst, dass das faschistische Deutsche Reich eine Vielzahl von Opfern als Feinde des Reiches definierte und ermordete.

„Auch wenn du, John, sagst du bist kein Historiker, so bist du doch ein großer Geschichtsforscher, der viele Dinge, auch neue Dokumente, gefunden hat.“

Michael Tregenza im Gespräch mit John Wyttmark bei Eva Koper, Leiterin der Gedenkstätte in Belzec.

Danksagungen

Ich danke meinem englischen Freund Michael Tregenza, Lublin, Republik Polen/Großbritannien für die fachliche Betreuung und Hilfe beim Werden dieses Werkes und die ständige Bereitschaft zur Diskussion.

Ich danke Frau Sara Berger für das Recht, die Begrifflichkeit „T4-Reinhardt-Männer“ verwenden zu dürfen (Genehmigung vom 16.01.2021) und die Beantwortung von Nach fragen zu ihrem großen Werk Experten der Vernichtung.

Ebenso danke ich Herrn Harald Kächler, Ortschronist der Gemeinde Balzheim.

Ich danke dem Polizeihistorischen Verein Stuttgart e. V., Herrn Michael Kühner.

Ich danke dem Oberbürgermeister meiner Heimatstadt, Herrn Dr. Manfred Wilde (Historiker).

Ich danke den Archivaren der von mir besuchten Staatsarchive, allgemeinen Archive und Gedenkstätten in Deutschland, Österreich, Tschechien, Polen und Italien sowie dem Bundesarchiv Berlin für ihre wichtige Arbeit.

Christian Wirth (1885–1944)

„Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“

Epheser 4,15

Konfirmationsspruch Christian Wirth, 1899

1941

Es begannen Massendeportationen von Juden aus dem Reich nach Riga und Minsk.

Der Zug hielt auf offener Strecke. Dort warteten schon SS- und Polizeiformationen auf die Ankommenden. Alle wurden mit grausamer Gewalt herausgetrieben, vollkommen ahnungslos, wo sie waren und was sie erwartete. Ging es nicht schnell genug, wurde auf die Opfer eingeschlagen. Dann marschierte man nicht weit zu einem Massengrab.

Alle, die hier ankamen, wurden erschossen.

Ab Oktober 1941 gab es Massendeportationen von Juden aus dem Reich in das Getto Litzmannstadt. Walter Jacobsohn aus dem damals kleinen anhaltinischen Städtchen Delitzsch war unter ihnen. Im Staatspogrom, bezeichnet als „Reichskristallnacht“, verlor er sein Konfektionsgeschäft und zog nach Berlin-Charlottenburg, bis er seine Deportationsverfügung nach Litzmannstadt erhielt.

Parallel ging die Gettoisierung in sogenannten Judenwohnbezirken im Generalgouvernement (GG) weiter voran.

Am 15. Oktober 1941 wurde die 3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen (von Juden) für den Distrikt Lublin erlassen, hier hieß es:

„§ 2 – Es darf sich kein Jude im Distrikt Lublin ohne polizeiliche Erlaubnis außerhalb eines Judenwohnbezirks auf halten oder diesen verlassen. Andere Personen dürfen sich vom 1. Dezember ab in einem Judenwohnbezirk nur mit polizeilicher Erlaubnis aufhalten.“

Schon wenige Tage später wurde unter Leitung des Generalgouverneurs eine Regierungssitzung durchgeführt. Unter anderem waren auch der Gouverneur Zörner und SS-Brigadeführer Globocznik, beide aus dem Distrikt Lublin, Teilnehmer dieser Beratung. Hans Frank sprach von der katastrophalen Ernährungslage und davon, dass zweieinhalb Millionen Juden „unproduktive Esser“ im GG seien und man etwas dagegen unternehmen müsse. Später wurden bewusst Ernährungspläne ohne Juden aufgestellt.

Der Mord an den Juden wurde auch hier euphemistisch als „Aussiedlung nach Osten“, „Abschiebung nach Osten“, „über den Bug schicken“ oder als „Sonderbehandlung“ um schrieben. Aber immer öfter und offener sprach man von Vernichtung. Als offizielle, selbst hervorgerufene und bewusst beabsichtigte Gründe galten weiterhin Schmuggel, die Verbreitung von Seuchen und die Umsiedlung Volks deutscher nach Zamość.

Globocznik sprach offiziell nie vom Liquidieren, sondern immer nur vom „Verschieben“ der Juden in den Osten.

Am 25. Oktober 1941 fand sich im Dienstkalender des Reichsführer SS (RFSS) ein Treffen von Himmler und Globocznik im Gasthof Friedrichsruh, im ostpreußischen Gansenstein, unweit der Wolfsschanze. Himmler legte hier den Bau eines Vernichtungslagers mit einer Kapazität von 4000–5000 täglich zur Ermordung bestimmter Juden fest.

Es war die Geburtsstunde des Vernichtungslagers Belzec.

***

Am 24. August 1941, der Tag, an dem Hitler die bisherige „Erwachseneneuthanasie“ stoppte, ordnete er auch die Errichtung von Ersatzbauten für beschädigte Krankenhäuser in luftkriegsgefährdeten Städten an. Hierfür sollte die Organisation Todt Ausweichkrankenhäuser bauen, die an die Heil- und Pflegeanstalten angeschlossen werden sollten („Todt-Aktion“). Hinzu kam, dass alle freien Pfleger und Ärzte dem Sanitätsdienst der Wehrmacht unterstellt werden sollten, um vor allem an der Ostfront Dienst zu tun.

Ende 1941 traf dies auch die Pfleger und Ärzte der T4 (Tiergartenstr. 4, Sitz der Aktion T4). Viktor Brack leitete die Organisation und Umsetzung von Seiten der Kanzlei des Führers (KdF) und der T4. Der Einsatz erfolgte als Sanitäter in Feldlazaretten bei Minsk, Kursk und Charkow. Dr. Horst Schumann leitete einen Arztstützpunkt. Im Rahmen der Organisation Todt wurde Dr. Eberl im Januar 1942 an der Ostfront für die Versorgung und den Transport von Verwundeten in rückwärtige Lazarette eingesetzt. Die Unterbringung der Verwundeten erfolgte provisorisch in einer Möbelfabrik, hier baute man 330 Betten auf. Mit Dr. Horst Schumann baute er eine Krankensammelstelle am Güterbahnhof auf.

Christian Wirth gehörte nicht dazu, er war in dieser Zeit schon woanders eingesetzt.

Oft so dargestellt, aber wenig wahrscheinlich ist, dass es die Aufgabe, der von der T4 abgeordneten Sanitätskräfte war, Euthanasie an Schwerverletzten im Kriegsgebiet durchzuführen. Die Triage, also das Festlegen, wen man noch retten konnte und wen nicht, war keine Erfindung der T4, sondern normaler Standard auf Regimentsverbandsplätzen der Wehrmacht.

Der Schriftverkehr von Dr. Eberl an seine Frau ist erhalten geblieben. Er schrieb voller Zuversicht und mit großem Respekt von der Infanterie. Ihm hatte es dort gefallen.

1941 (56 Jahre alt)„Ende 1941 wurden wir nach Berlin kommandiert und in OT-Uniformen eingekleidet und anschließend beauftragt Verwundete aus dem Mittelabschnitt zurückzuführen.“Aussage Kurt Bohlender im Ermittlungsverfahren, 29. Mai 1961.

Wichtig war, dass diese besonderen Pfleger mit ihrem besonderen Wissen um die Euthanasie im Deutschen Reich nicht an der direkten Front eingesetzt und möglicherweise in Gefangenschaft geraten sollten. Diese erhielten jeder eine rote Kennzeichnung in den Wehrpässen (ähnlich der späteren Aktion 1005).

Nach Abschluss des Einsatzes Ende März/Anfang April 1942 wurden Teile der T4-Pfleger entlassen, der Rest ging zurück in den Wartestand in die Mordzentren der Euthanasie, wieder andere gingen danach nach Polen in das GG und fanden sich bei Christian Wirth wieder.

Gauleiter Greiser hatte SS-Sturmbannführer Müller, Leiter des Referates IVb4 beim Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Koppe, zu sich befohlen. Er stimmte sich kurz mit ihm hinsichtlich der Betreuung des Hauptmanns der Schutzpolizei von der KdF, Wirth, ab.

Nachdem Wirth alles geregelt hatte, fuhr er wahrscheinlich Anfang Oktober 1941 nach Posen. Er durfte seinen Dienstwagen behalten. Bouhler und Brack forderten von ihm Berichte über die Möglichkeiten, die die Aktionen des Gauleiters Greiser beinhalteten.

Aber so weit war es noch nicht. Er fuhr direkt von seiner Pension in Berlin über Frankfurt an der Oder nach Posen. Die Fahrt ging sehr früh los und zog sich hin. Es ging über Landstraßen, kleinere Dörfer und Städte, bis nach einer gefühlten Ewigkeit Posen in Sicht war. Er hielt mehrmals an Gasthöfen, um Pause zu machen. Gegen 15:00 Uhr hielt er vor dem Dienstgebäude des Gauleiters Greiser und meldete sich bei ihm an. Vorgesehen war ein Gespräch um 15:30 Uhr. Abgeholt wurde er von jenem SS-Sturmbannführer Müller. Wirth knallte die Hacken zusammen und schrie „Heil Hitler“, dabei den Arm zum Hitlergruß emporgereckt. Müller nahm Wirth erst einmal mit in den großzügigen Empfangsraum des Gauleiters. Beide kamen schnell ins Gespräch. Für Wirth gab es Kaffee und etwas zu essen, er sei ja lange unterwegs gewesen, meinte Müller. Dann flog die Tür auf und der Gauleiter sowie der HSSPF Koppe betraten den Raum. Wirth und Müller sprangen auf und schrien „Heil Hitler“.

„Meine Herren, behalten Sie bitte Platz. Herr Hauptmann, der Reichsleiter hat mich ja über Ihr Kommen informiert. Ich hoffe, Sie sind gut hergekommen. Sie haben sich beide ja schon bekannt gemacht. Mein lieber Müller, zeigen Sie Hauptmann Wirth alle Sachen, die mit der Sonderbehandlung zu tun haben. Sollte es Fragen geben, melden Sie sich bitte direkt bei mir oder SS-Gruppenführer Koppe“, dabei zeigte er nach rechts. Koppe nickte nur kurz.

Damit war die Begrüßung durch den Gauleiter auch schon erledigt. Greiser wird vielleicht Christian Wirth nur deshalb begrüßt haben, weil ihm nicht klar war, welche Stellung Wirth hatte und er es sich nicht mit der KdF verderben wollte, auch wenn er selbst ein starker Gauleiter war und ein sehr gutes Verhältnis zum Führer hatte.

Wirth wurde von Sturmbannführer Müller erst einmal in einem Hotel untergebracht, losgehen sollte es am nächsten Tag. Abends nahm Müller Wirth mit. Beide gingen essen und tranken Alkohol, so dass der Ton lockerer wurde. Man lachte viel. Müller meinte noch, dass Wirth, wie das der Gauleiter sagte, sich alles ansehen dürfe. Er müsste aber schon ein harter Hund sein, für Weicheier und Schlappschwänze sei das nichts. Doch das war für Wirth kein Problem. Vorsorglich erhielt Wirth von Müller einen Sonderausweis zum Betreten aller geheimen Anlagen.

Jacobsohn wohnte jetzt in Berlin, immer in großer Angst davor, entdeckt und deportiert zu werden. Er wechselte regelmäßig die Wohnungen und schlief zum Schluss in einer Laubenkolonie. Oft wurde er gewarnt, wenn Gestapo und Polizei wieder das Umland nach versteckten Juden durchkämmten. Die anderen aus seiner Familie wurden woanders versteckt, man dachte sich, es wäre besser so. Helfer waren nicht nur andere Juden, sondern auch Arier. Letztere auch auf die Gefahr hin, selbst ins KZ zu kommen.

Es war Abend, man hatte alles in der Laube verdunkelt. Eine Freundin hatte sich in der Nacht heimlich hierher geschlichen, in ständiger Angst, entdeckt zu werden, und brachte etwas Brot und Wurst. Jacobsohn war ausgezehrt. Er sah durch einen Schlitz in der Gardine und sah, dass die ihm bekannte Frau noch eine andere Frau zur Hilfe mitbrachte. Diese trug ebenfalls einen Korb. Als es klopfte, ließ er beide ein. Seine Bekannte sprach leise und stellte ihre Begleitung vor. Eine sehr schöne, arisch aussehende Frau mit blonden Haaren. Ihr Name war Stella Goldschlag. Sie setzten sich an den Tisch, aßen und unterhielten sich locker. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. Als beide weg waren, löschte er das Licht und legte sich zum Schlafen hin.

Gegen 3:00 Uhr früh klopfte es laut an der Tür und riss ihn aus dem Schlaf. Er schreckte panisch hoch und konnte sich zuerst nicht orientieren. Da wurde die Tür der Laube eingetreten. Überall Männer mit Taschenlampen in den typischen Ledermänteln der Gestapo. Mit Stöcken schlugen sie auf Jacobsohn ein und schrien: „Raus, du Judensau! Du Ratte!“ Er wurde festgenommen. Als er die Laube verließ, sah er am Gartentor die schöne Frau vom gestrigen Tag. Sie stand ruhig da und beobachtete rauchend das Geschehen. Stella Goldschlag war etwas Besonderes. Um ihre Familie zu schützen, wurde sie eine jüdische Greiferin, die andere Juden an die Gestapo verriet. Es wird ihrer Familie nicht helfen. Auf dem Sammelplatz traf Jacobsohn kurz seine Helferin wieder, die auch von der Greiferin verraten wurde.

Wie lange die Fahrt von Berlin nach Litzmannstadt dauerte, wusste Jacobsohn nicht mehr. Walter Jacobsohn war ein alleinstehender, älterer, jüdischer Mann. Aller Rechte beraubt und von der Gesellschaft ausgegrenzt und als Staatsfeind bekämpft. Der Zug kam am Bahnhof Radegast (Radogoszcz) bei Litzmannstadt (Lodz) an. Das Wetter war schrecklich, kalt und nass. Der Winter kündigte sich an. Hier gab es wieder das gleiche Prozedere wie schon bei Ester. Als alle ausgestiegen waren, bewegte sich der Tross in Richtung des Gettos.

Der Judenälteste Rumkowski versuchte immer wieder, gegen die vielen Transporte aus dem Reich, aber auch die anderen Zuweisungen durch Auflösung kleiner Gettos zu protestieren. Aber in dieser Position war er nicht und die SS interessierte es nicht. Die Sterblichkeit im Getto erreichte hohe Zahlen und Nahrung fehlte überall. In dem Moment, als der Transport das Tor des Gettos passiert hatte, war der Judenrat für sie zuständig. Den Menschen wurden Straßen und Wohnungen zugeteilt, obwohl diese Wohnungen schon weit überfüllt waren. Irgendwie versuchte man, essen zu organisieren.

Irgendwann stand Jacobsohn in einer Wohnung, eher nur ein Zimmer. In diesem Zimmer lebte aber schon eine Zigeunerfamilie mit zehn Personen. Jacobsohn war verzweifelt und vollkommen hilflos. Die anderen Zimmer der Wohnung waren ebenfalls überfüllt. Walter verstand die Sprache der polnischen Zigeuner nicht, er kannte sich nicht aus, er litt Hunger und Durst und war vollkommen überfordert. Er saß ruhig und depressiv auf seinem Koffer und wusste überhaupt nicht, wie es weiter gehen sollte. In dieser Situation sprach ihn eine ältere Frau aus einem der überfüllten Nachbarzimmer an. Es war Ester Rosenblatt, die hier mit ihrer Mutter wohnte. Sie hatte bemerkt, dass er deutsch konnte und völlig überfordert war. Von dem wenigen Essen, was sie hatte, gab sie ihm etwas ab. Jacobsohn war froh. Ester versuchte, ihm zu erklären, wie das Leben im Getto funktionierte.

„Versuchen Sie, unbedingt an Arbeit zu kommen. Wer nicht arbeitet, bekommt kein Brot und verhungert.“ Er fing an zu weinen. Doch was sollte Ester zu ihm sagen? Ihre Mutter im anderen Zimmer war krank, einen Arzt gab es entweder nicht oder er war nicht zu bezahlen, und an Medikamente war ohnehin nicht zu denken. Ester hatte sich im Grauen des Gettos eingelebt. Ester und ihre Mutter hatten nur eine Ecke in ihrem von Läusen überzogenen Zimmer. Doch das war bei den Zigeunern genauso. Jacobsohn begann, sich zu kratzen, die Läuse griffen an. Ester hatte versucht, sich von den anderen Fremden abzugrenzen, um etwas Intimität herzustellen. Doch was galt hier schon Intimität? Was sollte sie ihm sagen? Dass ihr Vater verschwunden war, wahrscheinlich verhaftet oder tot?

Am Morgengrauen des nächsten Tages zogen sich Ester und Jacobsohn an und machten sich auf den Weg. Unterwegs sahen sie immer wieder Razzien in den Häusern. Man sah, wie jüdischer Ordnungsdienst, polnische Polizei, aber auch SS mit großen Stöcken bewaffnet auf die völlig hilflosen Opfer einschlugen und sie verhafteten und zusammentrieben. Sie sahen, wie Menschen mit Kopfschüssen niedergestreckt oder erschlagen wurden und stiegen über verhungerte Kinder. Was sie erleben mussten und sahen, war unvorstellbar und nur schrecklich. Überall liefen teilweise verrückt gewordene Menschen umher, schrien oder folgten ihren Wahnvorstellungen.

Dann kamen sie zum Eingang des Gettos. Ester erklärte, dass man nur herauskomme, wenn man Arbeit habe. Draußen könne man etwas mehr zu essen bekommen und vielleicht schmuggeln. Anschließend gingen sie zum Schwarzmarkt. An sich war dieser überall. Jeder versuchte, etwas zu verkaufen und zu Geld zu machen oder zu tauschen, und immer war das Ziel zum Ende hin Essen, nur Essen, um zu überleben. Alle Menschen sahen heruntergekommen und schmutzig aus. Die Sanitäranlagen funktionierten nicht und Wasser, stark rationiert, brauchte man zum Trinken.

Als sie weitergingen, merkten sie, wie alle auseinanderstoben. Jeder versuchte, sich in einem Hauseingang zu verstecken. Es war unwirklich, auf einmal war die gerade noch mit Menschen vollgestopfte Straße wie leergefegt. Auch Ester und Jacobsohn versteckten sich. Dann sahen sie sie. Ein Lkw mit SS und Polizei. Mit grausamer Hand trieben sie die Juden aus ihren Häusern zum Transport. In den letzten Tagen habe diese erst angefangen, meinte Ester. Das hier war so ein Abtransport. Das, was sie dann sahen, ließ Jacobsohn und Ester ihr Blut in den Adern gefrieren. Die SS und Polizei umstellten einen Häuserkomplex aus Holzhäusern, so dass keiner der Juden flüchten konnte. Überall Chaos und Geschrei. Aus den Fenstern warf man kleine Kinder und Babys, die den Transport nur behindern würden. Man hörte Schüsse, wahrscheinlich wurden hier alte und behinderte Menschen gleich erschossen, wenn nicht totgeschlagen. Die Menschen strömten auf die Straße, weg vom Morden, und fingen an, sich unter den Schlägen zu einer Marschkolonne zu formieren. Mancher, der darauf hinwies, dass er kriegswichtige Arbeiten bei einem Unternehmen des Gettos erledigen musste, bekam eine Kugel in den Kopf. Es interessierte niemanden. Als die Räumung fertig war, begannen SS und Polizei auf die Menschen der Kolonne einzuschlagen und sie anzutreiben. Und so wie das Verderben über die Menschen des Blocks kam, so schnell verschwand die Kolonne. Ester und Jacobsohn verhielten sich ruhig in ihrem Versteck.

Irgendwann begann wieder vorsichtiges Leben auf der Straße. Woher auch immer kam ein Karren vom Totengräberkommando. Wie normal sammelten sie zuerst die Kinderleichen auf den Karren und gingen dann in die Häuser, um die dort Ermordeten aufzunehmen. Sie verschwanden namenlos im Massengrab. Die Lebenden kamen auf die Straße, als wäre es das Normalste auf der Welt. Das Leben ging weiter. Ester und Jacobsohn gingen, sich vorsichtig umsehend, zurück in ihre „Wohnungen“. Der Judenrat hatte nun wieder Räume für neue Transporte. Wohin die Juden kamen, wusste niemand.

Auch später wird es schwer, dies herauszufinden, da das Getto Litzmannstadt nur das Transit-Getto für Kulmhof sein wird. Lange werden Ester, ihre Mutter und auch Jacobsohn nicht mehr im Getto leben.

***

Christian Wirth stand auf dem Balkon des Hotels und genoss den neuen Tag. Es war leicht frisch. Er ließ noch einmal für sich den gestrigen Tag Revue passieren. Ihm gefiel, auf welcher Ebene er sich befand und wie er selbst von einem Gauleiter empfangen wurde. Das alles hatte er der KdF zu verdanken. Heute ging es nach Litzmannstadt.

Wirth sah unten vor dem Hotel einen VW-Kübel vorfahren. Der Fahrer stieg aus und öffnete die hintere Tür für SS-Sturmbannführer Müller. Nachdem Wirth seine Sachen gepackt hatte, verließ er das Hotel, man begrüßte sich kurz und er verstaute seine Sachen auf dem Rücksitz. Heute sollte es in das Getto gehen und dann weiter nach Kulmhof. Vorgesehen waren eine Besichtigung und Begleitung der Sonderbehandlung, so wie abgesprochen. Müller meinte nur: „Lassen Sie ihr Fahrzeug ruhig hier stehen, wir bringen Sie nachher wieder hierher zurück.“ Die beiden Offiziere saßen hinten und ließen sich chauffieren. Sie fuhren durch die Stadt, er sah auch das Gebäude des Gauleiters wieder. Die Gebäude zogen an ihnen vorbei.

Dann kamen sie an das Haupttor des Gettos. Der SS-Mann salutierte und ließ den Wagen passieren. SS-Sturmbannführer Müller war hier bekannt. „Ich zeige Ihnen das Getto und dann mal sehen … Wir haben noch eine Räumung.“ Wirth nickte. Sie fuhren bis zum Gebäude des Judenrates und stiegen aus. Wirth wird diese Menschen als baldige Opfer vielleicht nicht einmal wahrgenommen haben. Er habe hier das Judentum in der untersten Form gesehen, so referierte er später selbst immer, wenn er abends seine langen Vorträge hielt, bevor der Alkohol in Strömen floss.

Die beiden Offiziere schlenderten durch die Straßen und Müller erklärte, wie es im Getto ablief. Der Fahrer war zur Sicherung immer mit dabei. Ein alter Jude lief den beiden auf dem Bürgersteig entgegen, als er es bemerkte, wurde er bleich, zog seinen Hut herunter, verbeugte sich und wollte vorbeigehen. Müller nutzte dies für eine Lehrvorführung, die Wirth aber nicht wirklich brauchte. „Halt, du Judensau.“ Der hilflose Mann mit seinem gelben Davidstern blieb mit gesenktem Kopf stehen. Er war aus Magdeburg und erst seit zwei Tagen hier. „Du weißt wohl nicht, wie man deutschen Offizieren zu begegnen hat. Los, du Judensau, hinlegen.“ Der Jude tat wie geheißen. „Auf, hinlegen, auf, hinlegen!“ Dies ging hin und her. Andere Passanten machten einen großen Umweg um diese Gruppe. Der alte Mann konnte nicht mehr und blieb vollkommen erschöpft liegen. „Dir werde ich es zeigen, du Judenschwein.“ Dabei trat er dem alten Mann immer wieder ins Gesicht. Die Nase und der Kiefer brachen, Zähne wurden ausgetreten. Müller war wie im Exzess. Der SS-Mann sah sich gelangweilt um. Wirth bekam einen harten Gesichtszug, der nicht mehr weggehen würde und er stellte sich an die Seite, um zu rauchen. Er wartete, bis Müller mit dem alten Mann fertig war. Müller ordnete seine Kleidung. „Wenn wir dem Juden auch nur eine Handbreit überlassen, ist das hier der Untergang. Der Jude versteht nur harte Strafen.“ Dann nickte Müller dem SS-Mann zu. Der ging zu dem Mann hin, riss seinen Kopf an den Haaren hoch, setzte ihm die Pistole an die Stirn und löschte das Leben dieses unschuldigen Mannes aus. Für alle drei nur eine kleine Abwechslung. Die Leiche blutete vor sich hin, man ging weiter.

Anders als beim letzten Einsatz der SS und Polizei, gab es jetzt einen Aushang, der alle Juden bestimmter Straßenzüge aufforderte, sich am nächsten Tag um 10:00 Uhr in Kolonne vor dem Haus zum Abtransport aufzustellen. Jeder dürfe nur wenig Gepäck mitnehmen. Hier betroffen war auch der Straßenzug von Ester und Jacobsohn.

Es war leicht frisch an diesem Tag. Ester, ihre Mutter und auch Jacobsohn wurden langsam wach. Keiner wusste, was der Tag noch bringen sollte. Man machte sich Gedanken, wo man hingehen könnte. Rachel Rosenblatt hustete, es ging ihr nicht gut. Man überlegte, ob man flüchten oder sich vor dem Abtransport verstecken sollte. Aber die kleine Notgemeinschaft war sich klar, sich zum Abtransport zu stellen, denn alles sei besser als hier.

Wirth und Müller befanden sich jetzt in der Nähe des Gebäudes, in dem die drei untergebracht waren. Es war noch ruhig. Nichts deutete auf das hin, was gleich passieren würde. Müller führte Wirth an ein Gebäude an der Ecke Ulica Zielna. Hier hatte man einen Überblick über die gesamte Straße und den Gebäudekomplex. Müller stieg in das erste Geschoss eines der wenigen doppelgeschossigen Häuser, hier war eine eingetretene Tür. Die beiden Offiziere gingen hinein. Eine verwüstete Stube und Juden, die mit Angst in der Ecke standen. Beide traten hinaus auf den Balkon. Dort stand ein mit weißem Tuch gedeckter Tisch, darauf Wurst, Brot, eine Flasche polnischer Wodka und zwei Gläser. Müller und Wirth setzten sich, genossen den neuen Tag und stießen an. Unter ihnen hielt ein Lkw mit Ordnungspolizei. Dann gab Müller das Zeichen. Der Pfiff einer Trillerpfeife durchschnitt messerscharf den Tag. Sofort schlugen die Polizisten mit ihren Schlagstöcken an die Häuserwände und schrien herum. Das Chaos breitete sich aus. So schnell es ging, versuchten alle aus den Häusern zu kommen und sammelten sich auf der Straße. Da, wo es nicht so schnell ging, gab es unbarmherzig Schläge. Dazwischen immer wieder das Geschrei: „Raus, ihr Judenschweine! Raus, los, los, antreten!“ Ewas Ruhe hatte man erst in der Kolonne. Ester und Jacobsohn halfen Esters Mutter, aufzustehen. Auf einmal stand ein junger Polizist, nicht älter als zwanzig Jahre, mit einem Karabiner im Zimmer und schrie: „Raus, los! Lasst die Alte hier!“ Er zielte auf Esters Mutter und noch ehe Ester oder Jacobsohn etwas sagen konnten, schoss er Esters Mutter in die Brust. Diese fiel durch die Wucht des Schusses nach hinten auf das Bett. Ester verstand nichts, sie schrie nur noch, doch das interessierte den Polizisten nicht. Auch im Nachbarzimmer hörte man Schüsse. Kleine Kinder wurden mit dem Karabinerkolben erschlagen. Es wurden viele schon hier ermordet, die den flüssigen Transport und die spätere Ermordung behindern würden. Ester stand unter Schock und schrie nur, ein anderer Polizist kam herein und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Sie verlor zwei Zähne.

„Los, du Judensau, raus in die Kolonne!“ Und so trieb er Ester und Jacobsohn in die Reihe der Opfer. Ihre Mutter blieb zurück und verblutete in dem nun leeren, geräumten Zimmer. Müller hatte einen schweinischen Witz erzählt, dabei Wirth zuprostend, beide lachten herzhaft. Unten war das Chaos. Irgendwann stand die Kolonne. Der Leiter der Aktion kommandierte „Abmarsch“ und wie Hyänen streiften die Polizisten mit ihren Karabinern, Pistolen und Schlagstöcken um die Kolonne der Opfer herum. Keiner sollte entkommen. Jeder war dem Tod geweiht. Trat jemand von den Todgeweihten aus der Reihe oder hielt nicht Schritt, gab es sofort Schläge, so dass sich alle nach innen drängten, um den Schlägen zu entgehen.

Das Totenkommando holte die Leiche von Esters Mutter ab und verscharrte sie im Massengrab, die Wohnungen waren nun frei für neue Juden. Auch diese werden nur kurz hier leben und dann in den Massengräbern von Kulmhof verschwinden.

Wirth hatte ein vom Schnaps hochrotes Gesicht. Er sah versoffen aus. Die Nase und das Gesicht rot, wie bei Trinkern üblich. Müller und Wirth standen auf und gingen hinunter zum VW-Kübel. Der Fahrer wartete schon und riss die Tür auf. Er hatte den Auftrag, neben der Kolonne bis zum Bahnhof Radegast herzufahren. Das tat er. Auf den letzten Metern jedoch überholte er und fuhr vor bis zum Bahnhof. Müller und Wirth stiegen aus und erwarteten die Kolonne. Man hörte Schüsse, die näher kamen. Jeder Schuss war der Tod eines völlig unschuldigen Menschen, das Auslöschen eines Lebens.

Am Bahnsteig stand ein Zug mit Waggons, der die Menschen aufnahm. Es waren Güterwaggons. Stroh vermengt mit Chlorkalk wartete auf die Opfer und führte zu zusätzlicher Qual. Durch die 100 und oft mehr Menschen im Waggon entstand Wärme, die das Chlor verdampfen ließ und zu schweren Erstickungsanfällen und Reizungen führte. Beim Einwaggonieren herrschte wieder Gewalt. Man trieb die Juden der Kolonne in die Waggons. War einer voll, wurde er verschlossen und der nächste wieder gefüllt. Der Lokführer trank auf seinem Bock entspannt ein Bier. Er kannte das Prozedere und auch seine Fahrtroute nach Koło. Es war zwar erst sein dritter Transport, aber schon hier war der Ablauf gleich, und ja, die Juden schrien ja sowieso immer. Kein Mitleid.

Müller und Wirth besahen sich den Ablauf, blieben aber nicht bis zum Schluss, sondern fuhren in das Offizierskasino zum Mittag. Beide besprachen dann, dass Wirth am nächsten Tag selbstständig nach Kulmhof fahren würde. Herbert Lange, Chef und Namensgeber des Sonderkommandos (SK), würde ihn dann bereits erwarten.

Als alle Todgeweihten verladen waren, fuhr der Zug an. Bis Koło waren es nur ungefähr 100 Kilometer, aber durch die ständigen Truppentransporter wurde man immer auf ein Nebengleis geschoben, so dass man für diese doch kurze Strecke fast sechs Stunden brauchte. Dann fuhr der Zug in Koło ein. Hier standen Helfer, aber auch Polizei, die das Entladen überwachten. Wieder Schläge und Schüsse. Gewöhnte man sich daran? Nein, eher war es die ständige Angst, zu sterben und der Versuch, zu überleben.

Wieder standen Ester und Jacobsohn in einer Kolonne. Jetzt fingen sie an, alle mit Stöcken und Peitschen anzutreiben. Ester hatte gar keine Gelegenheit, um ihre Mutter zu trauern. Immer hieß es nur „Schnell, schneller, ihr Judensäue“. Und so fingen sie an, zu rennen, bis in die Ortsmitte von Koło, zur großen Synagoge. Das Tor der Synagoge stand offen und hier hinein trieb man die jüdischen Opfer. Die gesamte Inneneinrichtung der Synagoge war zerstört und verbrannt. Das Dach war undicht. Jeder suchte sich einen trockenen Platz. An Essen und Trinken war nicht zu denken. Und so saßen sie im hinteren Bereich an einer Wand. Ester, jetzt zur Ruhe gekommen, weinte hemmungslos. Jacobsohn konnte sie nur trösten. Die Situation war hoffnungslos. Die Synagoge war umstellt. Wieder hörten sie Schüsse. Irgendwie schliefen sie trotz der herrschenden Unruhe ein. Die Synagoge war der Vorhof von Kulmhof.

Wirth und Müller hatten reichlich gegessen und getrunken. Der Wodka stieg beiden zu Kopf. Und schließlich lag Wirth in seinem frisch bezogenen Bett im Hotel, schlief und schnarchte laut. Ihm hatte gefallen, dass man ihm mit so viel Ehre und Wertschätzung begegnete. Es war der lange Arm der KdF.

***

1941 (56 Jahre alt)Dr. Kallmeyer, Mitarbeiter von Dr. Widmann. KTI, RKPA erklärt, dass Christian Wirth in Kulmhof Gaswagen geparkt hätte. Wirth kommt nach Lublin, vorher ist er ein erfolgreicher Experte der Vernichtung in Kulmhof und lässt sich alles erklären.

Aussage Kallmeyer/Zusammenfassung Gerichtsverfahren Düsseldorf, UR I 8/56, VII/31/411;

Wolfgang Bonz, Der Holocaust, S. 109.

Es ist umstritten, ob Wirth tatsächlich in Kulmhof war, aber es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit. Denn die später von ihm entwickelten Abläufe ähnelten jenen in der Euthanasie und in Kulmhof sehr. Vor dem SS-Richter Konrad Morgen gab er damit an, dass er das System des Mordens aus sich selbst heraus entwickelt hatte. Vielleicht war letzteres auch nur Aufschneiderei und er hatte Teile von Kulmhof übernommen.

Wirth räkelte sich, stand auf und machte seine Morgentoilette im Bad, das sich am Ende des Flurs befand. Als er sich hergerichtet hatte – er war noch etwas derangiert vom gestrigen Abend –, ging er hinunter. Er aß mit viel Appetit das deutsche, herzhafte Frühstück.

Zur gleichen Zeit erwachte in Koło die Synagoge. Mit Essen oder Trinken rechnete niemand. Am schlimmsten war dies für Kinder, die mit dem gegen sie selbst gerichteten Hass und der Gewalt umgehen mussten. Sie erlebten die völlige Machtlosigkeit der Eltern, die ihre Kinder, egal wie groß oder klein, vor diesen mörderischen Fängen nicht beschützen konnten. Diese Situation war allen hier in der Synagoge klar. Vereinzelt hörte man ein Flüstern, was bei tausend Menschen mehr nach lautem Gemurmel klang. Man hörte, wie sich Ehepaare austauschten über Hoffnungen, wer weiß, was werden würde. Kinder weinten und baten ihre Eltern um Essen oder Trinken – etwas, was diese auch nicht hatten. Ester und Jacobsohn befanden sich in tiefer, depressiver Agonie und Hoffnungslosigkeit. Jetzt, wo es ruhig war, begriff Ester ihre Situation. Noch nicht vollumfänglich, aber sie ahnte nichts Gutes. Sie trauerte um ihre Eltern.

Christian Wirth startete seinen Dienstwagen. Er hatte sich eine Karte geben und sich den Weg zur Sicherheit noch einmal erklären lassen. Bis nach Kulmhof waren es nur 70 Kilometer mit dem Auto. Da es über Dorfstraßen ging, rechnete er mit ungefähr zwei Stunden Fahrt. Er tankte den Wagen noch auf, dann ging es los. Er brauchte nicht über Koło zu fahren. Die Fahrt ging an Emilia vorbei und dann fast immer geradeaus bis Dabie. Von Dabie bis Kulmhof war es nicht mehr weit. Als er die Dorfstraße entlangfuhr, sah er schon von Weitem die Kirche. Man hatte ihm gesagt, dass genau daneben das Schloss stehe, dort solle er sich melden. Das Dorf war typisch polnisch. Überall Panjewagen und Geschäftigkeit, auch an der Kirche. Die Polen hatten schnell bemerkt, dass sich am Schloss etwas tat. Einige von ihnen waren Teil des Vernichtungswerkes und beaufsichtigten das Ausziehen der Opfer. Es war ein ganz „normales“ Arbeitsverhältnis mit dem SK Lange.

Später sagte Kurt Möbius, ein Mörder aus Kulmhof, im Bonner Prozess aus, dass wohl manche Polen bei Bothmann, dem späteren Kommandanten, angefragt haben, ob man nicht hübsche Jüdinnen von den Transporten für das Wochenende bekommen könne. Diese armen Mädchen wurden im Keller des Schlosses gefangen gehalten, grausam vergewaltigt und am Montag darauf mit dem ersten Transport vergast.

Er fuhr die Hauptstraße entlang bis auf der rechten Seite die Kirche kam, wo ein SS-Mann als Wache stand. Das musste es sein. Er bog mit seinem Pkw ein und hielt beim Wachposten. Dieser sah sich die Sondergenehmigung an und ließ ihn passieren. Bei der Kontrolle durch den Posten fuhr gerade ein geschlossener Lkw vom Hof auf die Straße. Es war ein Saurer. Wirth fuhr weiter, und nach ungefähr 300 Metern stand er vor dem nächsten Posten. Als er passierte, war er nicht wenig erstaunt, dass er, wie bei der Euthanasie in Pirna-Sonnenstein, vor einem drei Meter hohen Bretterzaun mit Tor und Kontrolldurchlass stand. Dann konnte er auf den Hof fahren. Er konnte seinen Pkw hinten am Kornspeicher abstellen, stieg aus und ließ das Gelände auf sich wirken. Er sah das Schloss, welches beileibe kein Schloss war. Eher ein altes, heruntergekommenes Herrenhaus. Eine große Treppe führte hinein. Es lungerten ein paar Polizisten auf dem Hof herum und hatten nichts zu tun. Der nächste Lkw sollte erst in einer halben Stunde von Koło rüberkommen. Wirth nahm keiner richtig wahr. Das gefiel ihm nicht, war er nicht angemeldet worden? Dann kamen zwei Männer um die Ecke, lachten, rauchten und erzählten sich Witze. Der eine eher von gedrungener Gestalt, engstehende Augen, fast eine Fistelstimme, und der andere eher hochgewachsen und schon schütteres Haar. Beide in der Uniform eines SS-Offiziers. Sie hielten auf Wirth zu. „Sie müssen Hauptmann Wirth sein“, meinte der mit der gedrungenen Gestalt. Es war der Namensgeber dieses Sonderkommandos. Vor Wirth stand SS-Hauptsturmführer Herbert Lange, neben ihm stand Hans Bothmann, sein Stellvertreter und der spätere Chef dieses Sonderkommandos. Man begrüßte sich. Lange meinte: „Und, Hauptmann Wirth, sind Sie wirklich von der Schupo oder woanders her?“ Wirth musste verwirrt ausgesehen haben, uns so meinte Lange nur: „Ich war bei der Kripo, Bothmann übrigens auch“, dabei zeigte er auf seinen Stellvertreter. „Später dann Gestapo, dann Psychiatrien leerräumen und jetzt sitzen wir hier am Arsch der Welt. Aber wir wollen uns nicht beschweren, hätte schlimmer kommen können.“ Wirth nickte und stellte sich kurz vor.

Erst, als Wirth darauf hinwies, im vorigen Leben auch Kriminalkommissar gewesen zu sein, brach das Eis. Auch der Hinweis auf die Wilde Euthanasie von Lange zeigte, dass hier Mörder zusammenstanden, die keine Probleme mit dem Morden hatten. Man unterhielt sich auch über interessante Fälle.

Lange konnte sich sogar an Strößenreuther erinnern, das drang selbst bis zur Kripo nach Aachen. „Respekt, Wirth, nicht schlecht.“ Lange meinte: „Kommen Sie. Der nächste Transport kommt in dreißig Minuten. Sie haben bestimmt Hunger und Durst.“ Während des Spaziergangs meinte Lange weiter: „Der Gauleiter hat mir mitgeteilt, dass Sie sich alles ansehen können. So alles, was zur Sonderhandlung der Juden dazu gehört. Am Anfang haben wir uns die Juden aus dem Umland wie Koło, Dąbie, Sompolno, Kłodawa, Babiak und Kowale Pańskie geholt. Jetzt kommen Zigeuner aus Österreich und dann die Juden aus dem Getto Litzmannstadt. Waren Sie da schon?“

„Ja“, meinte Wirth. „Naja, nichts Besonderes eben.“

Wirth bekam mit, dass zwei Juden demütig in der Ecke standen. Beide hatten den Kopf gesenkt und warteten auf Befehle. Sie hatten einen Tisch gedeckt. Auch hier stand neben Brot, Speck, Wurst und Butter Schnaps auf dem Tisch. Man prostete sich zu. Lange sah zu Wirth und meinte:

„Hier werden alle sonderbehandelt. Spätestens abends sind dann alle Juden weg. Wir haben ja dann am nächsten Tag genug neue.“ Alle drei nickten. Wie es den beiden jüdischen Menschen ging, die hier mit dem ersten Transport ankamen und die merkten, dass es ihnen abends ans Leben gehen sollte, ist nicht einmal ansatzweise vorstellbar. Ansonsten nahm man die jüdischen Opfer nicht richtig wahr, sie waren schon jetzt und hier – obwohl noch am Leben – entmenschlicht.

Deutlich wurde dies an Bezeichnungen für die noch lebenden und dann ermordeten Opfer. Mordechai Podchlebnik und Motke Zaidl sprechen in der Dokumentation Shoah von Lanzmann von Figuren, Schmattes (Lumpen), Holzstücke, Dreck, Puppen. Marionetten. Jedwede vermeintliche Übertretung oder langsames Arbeiten der noch lebenden Opfer wurde mit Schlägen hart geahndet.

„So, dann wollen wir mal. Wir verarbeiten je Ladung so 100 Figuren, auch mal mehr. Je nachdem. Bei uns sind im Wechsel drei Sonderwagen im umschlagenden Einsatz. Aber das sehen Sie gleich. Kommen Sie, Hauptmann Wirth.“ Alle drei waren betrunken. Bothmann zog sich jetzt eine weiße Jacke an und setzte sich einen Hut mit Federn auf. Die drei bekamen einen Lachanfall.

Das große Tor der Synagoge in Koło wurde geöffnet. Ester und Jacobsohn wollten hier weg, woanders gäbe es vielleicht etwas zu essen. Und so schoben sie sich zum Ausgang. An der Tür war großes Geschrei. Einer der Polizisten schrie herum und verlangte eine geordnete Aufstellung in Reihe. Ester konnte einen Lkw vor dem Ausgang stehen sehen. „Kommen Sie, beeilen Sie sich. Es ist gleich geschafft.“ Dann standen sie in der Reihe. Hier standen alte und junge Menschen, eine Familie mit einem kleinen Mädchen und einem kleinen Jungen und eine hochschwangere Frau. An der Tür stand ein Polizist, der die zum Abtransport Bestimmten abzählte. Ester Rosenblatt und Walter Jacobsohn waren die Nummern 99 und 100. Damit schloss sich das Tor der Synagoge. Dann begann das Verladen auf den Lkw. Diejenigen, die die Synagoge bewachten, bewachten auch das Verladen auf den Lkw. Da niemand wusste, wo es hinging, würde auch keiner fliehen.

***

Auszug Strafgesetzbuch Deutsches Reich vom 15. Mai 1871, im Dritten Reich durch diesen Zusatz verschärft:

§ 211 Mord

[…]

2. Mörder ist, wer

aus Mordlust,

zur Befriedigung des Geschlechtstriebs,

aus Habgier oder

sonst aus niedrigen Beweggründen

heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

***

SS-Hauptsturmführer Lange stand mit Wirth und Bothmann an der Treppe des Herrenhauses. Alles fing an, sich aufzustellen. Wahrscheinlich würde der nächste Transport gleich kommen. Hinten an der Scheune standen drei Sonderwagen, davon waren jeweils einer vom Typ Opel Blitz und Diamand Renault mit 80–100 Personen und ein Magirus für bis zu 150 Personen. An einem dieser Wagen machte sich gerade Laabs, der Fahrer, zu schaffen und füllte Kraftstoff aus einem Kanister nach.

„Hey, Laabs, komm mal her“, rief Lange. Laabs kam diensteifrig angerannt und meldete sich mit dem üblichen Heil Hitler. „Und, wie läuft‘s, geht heute alles klar?“ Zu Wirth meinte er: „Wir hatten bei den ersten Transporten bei den Sonderbehandlungen immer Stücke, die noch am Leben waren, da musste man immer nachschießen. Aber das soll‘s ja nicht sein.“ Wirth nickte. „Und, Laabs, was ist?“

Der meinte: „Ich glaube schon. Gestern war doch dieser Doktor hier. Der hat uns gezeigt, wie wir den Motor laufen lassen sollen, damit es am besten funktioniert.

„Gut, ab. Bereiten Sie sich vor, der Transport kommt gleich.“

Laabs ging zu seinem Lkw und fuhr rückwärts rangierend an den unteren rechten Kellerausgang des Schlosses. Er rief einen der Polen, der mit einwies und half. Wirth konnte sehen, dass Laabs die Türen öffnete und mit dem Polen ein großes Brett vom Übergang des Kellers in den Lkw hineinlegte. Dann öffnete er noch, ähnlich wie Fensterläden, zwei Seitenbretter, so dass keiner derjenigen, die den Lkw besteigen würden nach rechts und links sehen konnte.

„Wir hatten gestern Besuch von Dr. Kallmeyer vom Kriminaltechnischen Institut des RKPA. Der hat uns gezeigt, dass Volllast überhaupt nichts bringt, da kotzen die Schweine drinnen nur alles voll, aber dann leben die noch. Und der Kallmeyer stellte sich mit einem Messgerät in den Aufbau und hat dann festgestellt, dass einfacher Leerlauf besser ist.“ Als Laabs alles aufgebaut hatte, gingen Lange und Wirth zu ihm. Wirth besah den Aufbau und ließ sich den Anschluss der Abgasrohre erklären. Die Polen gingen auf ihre Plätze im Hof, im Auskleide-Bereich und im Keller. Ein normaler Lkw fuhr vor die Treppe und Wirth sah vielleicht zwanzig Juden, die verladen wurden. Lange meinte nur: „Die fahren jetzt ins Waldlager, da fahren wir nachher hin.“ Mehr sagte er nicht. Laabs erinnerte sich noch an die erste Einweisung durch Bothmann: „So, jetzt ziehen Sie den Choke so weit, wie es geht und geben dann Gas, und zwar zehn Minuten. Also, damit alles klar ist, Maul halten – und im Übrigen wissen Sie ja, SS- und Polizeigericht.“

Ester und Jacobsohn standen auf dem Lkw. Der Wind zerzauste ihr Haar. Es war kalt, aber schön, doch dafür hatten beide keinen Blick und keine Gedanken. Sie fuhren nur wenige Kilometer, vor allem durch Wälder. Dann kam Kulmhof (Chelmno). Keiner kannte den Ort. Der Lkw fuhr jetzt rechts hinein. Kontrolliert werden musste der Lkw nicht. Dann öffnete sich das große Tor und der Lkw fuhr auf den Hof. Ester und Jacobsohn waren aufgeregt, sahen aber nichts Schlimmes. Ein schlossähnliches Gebäude, ein paar SS-Leute oder Polizei und Arbeiter. Alles unscheinbar und … heimtückisch. Man forderte alle zum Absteigen auf und half dabei. Es war unwirklich, man war sogar etwas höflich. Das ließ bei den Opfern die Hoffnung keimen, es möge doch noch alles gut werden. Die Kleinen hielten sich an ihren Müttern fest.

„Es geht los“, meinte SS-Hauptsturmführer Lange. Bothmann ging zur Treppe des Schlosses und stellte sich in Positur.

1941 (56 Jahre alt)Ansprache von Bothmann an die Opfer, teilweise klatschen die Opfer, Reden teilweise auch im Auskleide Raum.Aussage Strafsache gegen Gustav Laabs, Gerichte Rep. 195 Nr. 235, S. 1–13, 29.11.1960, LKA NRW, Bonn.

Als alle abgestiegen waren, sahen sie Bothmann auf der Treppe. Neben Bothmann standen zwei Dolmetscher für Polnisch und Jiddisch.

„Ihr Juden befindet euch hier in einem Durchgangslager. Ihr werdet nach Deutschland kommen, um zu arbeiten. Um Seuchen zu vermeiden, müssen alle baden gehen. Achten Sie auf Ihr Geld und Ihre Sachen, binden Sie diese bitte nachher zusammen, damit Sie diese dann wiederfinden. Geld und andere Dinge zusammenbinden mit Namen. Beeilen Sie sich mit dem Ausziehen, da Sie dann zum Baden gefahren werden.“

Es hörte sich alles logisch an, ja, arbeiten in Deutschland. Man war froh, baden zu fahren, wann hatte man das letzte Mal warmes Wasser? Einige klatschten.

Wirth wird diese Szenerie, gerade mit dem Klatschen, ungläubig beobachtet haben. Diese ganze heimtückische Täuschung war bei der Euthanasie nicht nötig. Er war erstaunt, wie schnell und ruhig bisher alles anlief. Er wird dies für später übernehmen.

Möglicher Methodentransfer 1

Wirth bekam die Ordnung mit, ein Fluch für die Opfer, die sich an jede vermeintliche, lebensrettende Ordnung klammerten. Aber hier waren die Abläufe nur dazu da, die Opfer zu täuschen und heimtückisch zu ermorden.

Dann gingen alle in das erste Geschoss in einen großen Saal. Man hielt alle an, sich nackt auszuziehen. Ester schämte sich vor Jacobsohn, aber es war hier und jetzt egal. Beide versuchten, sich schamhaft zu bedecken. Dann bedeuteten die Bewacher, ihnen zu folgen. Am Ausgang bekam jeder ein Handtuch und ein Stück Seife. Man hörte das Laufen nackter Füße. Wirth stand ruhig auf dem Flur und beobachtete das Laufen der nackten Menschen. Diese wurden mit Schneller-Schneller-Rufen angetrieben, es sollte dafür sorgen, dass sich niemand orientieren konnte. Zum Denken und Orientieren benötigte man Ruhe, wie Hannah Arendt später feststellte. Die gab es jetzt nicht mehr. Die Bewacher trieben die Menschen in den Keller. Ester und Jacobsohn waren die Letzten. Als alle im Kellergang waren, begann der Terror. Die anderen Bewacher, die sich im Kellergang aufhielten, schlugen jetzt mit Eisenstangen, Peitschen und Schlagstöcken auf die armen Opfer ein. Diese rannten in absoluter Panik den Gang entlang, überall standen die Schläger in den Nischen. Ohne Orientierung rannten die Ersten über die Rampe in den Aufbau des Wagens von Laabs. Ester und Jacobsohn versuchten, vor den Schlägen zu flüchten. Jacobsohn taumelte, als er einen Schlag auf den Kopf bekam. Ester schrie auf, als einer der Bewacher eine Peitsche auf ihr nacktes Fleisch niedersausen ließ. Schneller, schneller, immer schneller. Irgendwann waren alle, sehr eng stehend, im Aufbau. Dann schlugen Laabs und der Helfer schnell die hermetisch dichte Tür zu und verriegelten diese. Ester und Jacobsohn waren immer noch voller Angst und bekamen jetzt mit, dass sie hier eingesperrt waren. Sie wussten nicht, warum. Für das Baden, warum die Gewalt?

Möglicher Methodentransfer 2

Es kann sein, dass hier die Idee zur Vernichtung der Menschen mit Abgasen von Motoren bei Wirth entstanden ist. Bei der Euthanasie spielten Abgase von Motoren keine Rolle, dort war es Kohlenstoffmonoxid aus Stahlflaschen.

Möglicher Methodentransfer 3

Die Struktur, die Grundidee des Weges des Kellergangs hat Wirth übernommen. Der/die spätere „Schlauch/Schleuse“ war in der Grundstruktur identisch mit dem Kellergang. Ein Weg, der geradeaus ging, der voller Terror war und die Opfer zur Panik zwang und der kurz vor der Gaskammer einen Knick machte, so dass die Opfer vor einer neuen, überraschenden Situation standen und nicht anders konnten, als die Gaskammern zu betreten. Durch den Druck der Nachkommenden erhöhte sich die Füllgeschwindigkeit der Seelentöterkammern.

Laabs ging vor zum Führerhaus. Die Opfer fingen an, zu rufen und an die Wände zu hämmern. Manche machten unter sich. Später wird man deshalb einen Siphon einbauen. Laabs meinte eher zu sich „ihr schreit nicht mehr lange“. Er setzte sich hin und startete den Lkw. Er ließ ihn, wie von Dr. Kallmeyer festgelegt, im Leerlauf laufen. Der Helfer stand neben dem Fahrzeug und verband jetzt das Kopex-Rohr mit dem Stutzen am unteren Rand des Aufbaus. Der Kolben komprimierte das Gas-Kraftstoffgemisch, dann kam der Funke und brachte das Gemisch zum Explodieren. Anschließend suchten sich die Abgase des Benzinmotors den Weg über den Auspuff und das Kopex-Rohr in das Wageninnere. Ester und Jacobsohn drückten jetzt mit aller Kraft gegen die Tür, sie schrien wie wild, da jetzt klar war, dass es an ihr Leben ging. Alle drückten nach hinten gegen die Tür. Sie schrien um Hilfe – doch niemand kam. Laabs saß vorn und rauchte. Wirth und Lange standen neben dem Lkw und rauchten ebenfalls mit Bothmann eine Reemtsma. Der Lkw ruckelte hin und her. Man hörte das gedämpfte Schreien. Kein Ausweg. Kein Mitleid. Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis das Rumpeln des Lkw ruhiger wurde und schließlich aufhörte. Im Innern standen Ester und Jacobsohn. Beide waren erstickt, umfallen konnten sie nicht. Mit der Ladung fuhr Laabs los. Es ging in das sogenannte Waldlager. Wirth sah, als der Lkw von Laabs losfuhr, dass sich der nächste Gaswagen in Positur brachte. Wieder richtete der Fahrer alles her.

Die Juden aus dem Keller waren schon im Waldlager und warteten auf ihre Arbeit.

Laabs hatte zu tun. Der Lkw war vollbeladen. Hinten war es ruhig. Laabs hatte seine Probleme beim Fahren, da sich die Juden immer zur Tür drängten und so den Schwerpunkt des Lkw verlagerten. Aber Rauff vom RSHA kannte das Problem schon. Lange und Wirth fuhren mit einem VW-Kübel hinter Laabs her. Langsam bog er jetzt nach links auf die Landstraße ein, vorbei an Passanten, einem Polen, der mit einem Panjewagen Heu transportierte, und Kindern, die am Straßenrand Hopse spielten. Ein neuer Lkw mit Opfern fuhr an ihnen auf der anderen Straßenseite vorbei und bog zum Schloss ein. Der Gaswagen von Laabs nahm Fahrt auf. Bothmann wird die nächste Rede halten. So richtig schnell fuhr Laabs nicht. Wirth fragte nach der Sicherung des Transportes. Doch da meinte SS-Hauptsturmführer Lange nur, nicht nötig, das laufe hier ruhig ab, weil keiner Ahnung habe, was hier passierte.

Das wurde später anders. Eine große Aktion war der angekündigte Besuch einer Delegation der Gestapo. Der Besuch von Gauleiter Greiser und anderen war nichts Besonderes. Partisanen und Widerständler ahnten, dass in Kulmhof Menschen vernichtet wurden. Als die Delegation ankam, wurde sie von Bothmann empfangen. Dieser zeigte freimütig den gesamten Ablauf, ohne Scheu. Die Delegation reiste danach wieder ab. Eine Woche später jedoch kam eine erneute Delegation von der Gestapo. Jetzt wurde klar, dass die erste Delegation keine der Gestapo war. Fieberhaft suchte man nach den Partisanen.

Nach wenigen Kilometern bog der Lkw auf eine Waldstraße ein. Er legte sich gefährlich in die Seite. Später kippten auch Gaswagen um, Leichen fielen heraus. Alles sehr unangenehm.

Die Fahrt zum Jagen 77, einer großen Lichtung mitten im tiefen Wald, zog sich hin. Hier gab es keine befestigten Straßen. Schlimmer war es im Herbst und Winter. Der Lkw fuhr aus dem Wald auf die Lichtung heraus und steuerte auf eine große Grube zu. Zu dieser Zeit gab es noch keine Scheiterhaufen und Roste, die Leichen wurden nur verscharrt. Lange fuhr so, dass beide neben der Grube zum Stehen kamen. Laabs hatte zu tun, den Lkw über den unebenen Grund zu bugsieren. Servolenkungen gab es noch nicht, er musste sich mit ganzer Kraft ins Lenkrad legen, dann hielt er an.

1961

psychiatrisches Gutachten Gustav Laabs – voll verantwortlich, einfach strukturiert, nicht krank, keine besondere Gemütsarmut, sadistisch, keine Gemütskälte; psychiatrisches Gutachten zu Otto Walter Bock, keine Auffälligkeit;

psychiatrisches Gutachten zu Karl Albert Burmeister, keine Beeinträchtigung.

Prof. Dr. W. de Boor, Köln; Dr. Venzlaff, Uniklinik Göttingen;

Prof. Dr. Jürg Zutt, Uniklinik Frankfurt a. M.

Hinter dem Lkw standen schon die anderen SS-Bewacher und fingen an, die jüdischen Häftlinge des Sonderkommandos zu beschimpfen, zu treten und mit Peitschen anzutreiben. Ein SS-Scharführer rief: „Türen öffnen!“ Zwei der jüdischen Häftlinge öffneten zuerst die Verriegelung, dann die Türflügel. Heraus kam eine schwarze Gaswolke. Die beiden traten zur Seite. Langsam verzog sich die dunkle Wolke und das Elend war zu sehen. Ineinander verkrampft standen die erstickten Opfer. Vorn Ester und Jacobsohn. Niemand fiel hinaus. Ein anderer SS-Scharführer bestimmte zwei Juden, die hoch klettern mussten. Sie mussten die noch warmen Körper voneinander trennen und dann vom Wagen werfen. Unten stellten sich die anderen auf. Wirth stand am Rande des Massengrabes. Das kannte er noch von seiner Zeit im Ersten Weltkrieg. Er fing an zu zählen. Er schätzte, dass das Grab fünfzig Meter lang, zehn Meter breit und sieben Meter tief war. Er zählte die Leichen und wusste, dass hier schon über 2000 Leichen liegen mussten.

Ester und Jacobsohn. Nackt, entwürdigt, kaltblütig und heimtückisch ermordet. Beide wurden von oben heruntergestoßen. Sie fielen in den Matsch. Jeweils vier Hände fassten erst Ester und dann Jacobsohn. Zwei an den Beinen, zwei an den Händen und rannten. Da war der Tisch mit den Dentisten. Grob wurde nach Goldzähnen gesucht und mit einer Handwerkszange brutal herausgerissen. Ein anderer suchte in Geschlechtseilen oder im Anus nach verstecktem Gold oder Diamanten. Dann ging es weiter, immer im Laufschritt, schneller, schneller.

Die hochschwangere Leiche wurde heruntergeworfen. Die Leichenträger blieben stehen, versuchten innezuhalten. Sie bemerkten, dass sich im Bauch noch etwas bewegte. Das kleine, kämpfende Leben, hier zum Sterben verurteilt.

„Schneller, schneller!“ Die Peitschen schlugen auf die Rücken.

Die zwei kleinen Kinder lagen auf dem Boden. Zwar in Agonie, aber noch am Leben. Die beiden Juden des Sonderkommandos wussten nicht, was sie machen sollten. Dies bekam SS-Hauptsturmführer Lange mit, der Härte vor Wirth zeigen wollte: „Legt die Lappen hier ab“, er zeigte auf den Boden. Beide lagen nun nebeneinander. Zwei kleine, mit dem Tod ringende, vollständig unschuldige Kinder. Lange zog seine Pistole und zielte auf den Hinterkopf. Doch dann „Nein, es reicht. Die Stücke gehen so ins Grab. Die Munition können wir uns sparen“, meinte er lachend.

Ein Träger stand neben dem Lkw. „Nimm die zwei da. Du faule Judensau, das schaffst du allein“, rief eine SS-Hyäne dem Träger zu. Er hob seine Peitsche und schlug ihm quer übers Gesicht. Der, der so gekennzeichnet war, verließ diesen Platz nie mehr.

Möglicher Methodentransfer 4

Wirth beobachtete dies, übernahm es teilweise und baute es als Peitschensystem auf. Die so gekennzeichneten Juden verschwanden im Grab oder – wie in Treblinka üblich – im „Lazarett“. Aufgrund des größer werdenden Widerstandes ankommender Transporte ließ er später alle T4-Reinhardt-Männer und Trawniki mit Lederpeitschen ausstatten.

Ester und Jacobsohn waren schnell „verarbeitet“. Entehrt waren sie und Jacobsohn nicht. Beide waren hier und jetzt Märtyrer. Verbrecher waren hier nur die Mörder und Hyänen. Ester und Jacobsohn kamen im Massengrab zum Liegen. Bevor Sand aufgeschüttet wurde, schüttete man noch Chlorkalk auf die Ermordeten. Die Gräber fingen an, zu kochen, wenn Chlorkalk mit Wasser in Berührung kam, da reichte schon einfacher Regen oder Schweiß.

Monate später grub ein anderes Sonderkommando beide wieder aus. Juden des SK 1005 beraubten beide ihrer Totenruhe, gruben sie aus und verbrannten sie auf den großen Rosten. Einen Grabstein hatten beide nicht.

Lange und Wirth blieben im Wald und sahen Lkw um Lkw ankommen. Gegen 18:00 Uhr wurde es ruhiger und Lange fuhr dann mit Wirth zurück. Er fuhr nicht ins Schloss sondern ins Deutsche Haus. Hier gab es ein Casino. Vorher wurde noch geklärt, wo Wirth schlafen wird. Wirth war zufrieden. Danach traf man sich im Casino, aß Abendbrot und besoff sich ordentlich. Man schlug sich auf die Schulter, was man bisher weggeschafft hätte, sang deutsche Landser- und Volkslieder, erzählte sich schweinische Witze, spielte Karten und vergnügte sich mit polnischen Frauen im Ort. Es kamen weitere Kameraden im Casino hinzu. Doch am Tisch bei Wirth saßen nur Lange und Bothmann. Lange wusste, dass Wirth von der Euthanasie kam, das hatte der Adjutant von Gauleiter Greiser angedeutet und da hatte man ein weiteres Thema. Denn wie schon dargestellt, das war es, was Lange vorher machte. Nicht so verwaltungstechnisch strukturiert wie bei Wirth, aber zum Schluss beim Ermorden von Behinderten war es das Gleiche. Ein toller Abend. Betrunken fiel Wirth ins Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Tag nahm er ein Frühstück ein und fuhr zur Berichterstattung zurück nach Berlin zur KdF. Die KdF war zufrieden, wird Christian Wirth aber vorsichtig auf seine Aufgaben eingeschworen haben. Dies betraf die Masse der Juden, die desinfiziert werden sollten, aber auch, dass er nur der KdF gegenüber verpflichtet war. Vom SSPF Globocznik sollte es nur Hilfestellungen geben, Wirth war hier frei im Handeln. Dann erhielt er seinen Dienstreiseauftrag nach Lublin zu SS-Brigadeführer Odilo Globocznik.

***

13. Oktober 1941 (56 Jahre alt), 18:00–20:00 UhrGespräch RFSS mit Höherem SSPF Krüger und SSPF Globocznik in Berlin, Auftrag zum Aufbau eines Vernichtungslagers für arbeitsunfähige Juden, da gleichzeitige Neubesiedlung geplant war (Beginn Belzec).

Johannes Sachslehner, Zwei Millionen ham‘ma erledigt, S. 185;

Sara Berger, Experten der Vernichtung, S. 30; Dienstkalender RFSS, 1941/42, S. 233.

Joseph Oberhauser und Lorenz Hackenholt waren die ersten der 92 noch kommenden T4-Männer, die in den Osten abgestellt wurden. Beide fanden sich in Trawniki wieder. Sie wurden zuerst selbst eingewiesen und dann Ausbilder von Wachmannschaften. Zu dieser Zeit war der Aufbau von Vernichtungslagern schon in der Diskussion. Hauptzuständig für den tatsächlichen Aufbau wurde die Zentralbauverwaltung der SS unter Richard Thomalla. Zum Zeitpunkt des Baus mussten schon Ort, Planung und Ablauf klar gewesen sein.

Der SS-Brigadeführer Odilo Globocznik ließ sich von seinem Chauffeur abholen und zum Dienstgebäude in die Ostlandstraße in Lublin fahren. Um 09:00 Uhr war eine Beratung mit Claasen, Michalsen, Thomalla und Höfle geplant. Als Globocznik das Dienstgebäude betrat, salutierten alle und schrien: „Heil Hitler!“ Hier war Globocznik alles. Ein Alleinherrscher mit einer riesigen Machtfülle. Einer, der Pogrome genauso steuerte, wie SS- und Polizeiaktionen gegen Juden und Polen im Distrikt Lublin, oder den Erlass von Polizeiverordnungen auch für die Gettos. Da war nicht alles geordnet, oft überschritt er seine Kompetenzen und wird den Gouverneur des Distriktes Lublin, Zörner, seinen Vorgesetzten, den HSSPF Krüger, und schließlich auch den Generalgouverneur Hans Frank in Krakau zur Weißglut getrieben haben. Doch Himmler stand hinter ihm. Globocznik hatte immer Probleme mit Geld. Er war korrupt, auch bei der späteren Osti GmbH, die für die Zwangsarbeitslager der Juden zuständig war. Diese Korruptheit und Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Buchführung hatten ihn schon den Posten des Gauleiters von Wien gekostet. Es ärgerte ihn, dass später der ehemalige Kommandant des KZ Buchenwald, SS-Standartenführer Koch, ein neues KZ in seinem Bezirk, in Lublin-Majdanek aufbaute. Dieses blieb aber bei der Inspektion der KZ (IKL) und dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (SS-WVHA) und ging nicht an den SSPF Globocznik.

Jetzt saßen diese Mörder an einem mondänen Tisch.

Wahrscheinlich war dieser extra für den SSPF gebaut und aufgestellt worden. Man diskutierte zuerst die Sicherheitslage, dann kam man zum Wichtigsten.

„Meine Herren, Ihnen ist bekannt, dass der Führer die Endlösung der Judenfrage befohlen hat. Der Reichsführer hat uns mit der Umsetzung dieser Aufgabe betraut. Ihnen ist bekannt, wie viele Juden jetzt schon im GG sind, diese werden noch mehr, wenn die Transporte aus dem Reich und Westeuropa kommen werden. Wir brauchen für den Aufbau der Sonderbehandlung einen Ort, der leicht zu sichern ist. Gibt es von Ihrer Seite Vorschläge?“ Höfle meldete sich. „Höfle, ja?“

„Wie Sie wissen, war ich einige Zeit Kommandant in Belzec. Kleiner Ort, zentral, gerade auch für Galizien, Gettos gibt es rundherum genug, da könnte man immer wieder zuliefern. Ein Bahngleis, ich glaube Lublin-Lemberg, ist dort wohl auch.“

„Ja“, Globocznik lehnte sich zurück. „Haben wir da nicht Panzergräben gegen die Russen gebaut?“

„Na ja“, meinte Höfle, „eher Wasserwirtschaft, aber ja, später dann auch Panzergräben.“

„Na, die können wir doch jetzt gleich nutzen und ordentlich vollpacken.“ Die vier lachten.

Thomalla meinte: „Brigadeführer, das Lager mit den Panzergräben ist zu weit weg von der Bahn. Es gibt da einen kleinen Bahnhof und ich finde, man sollte die Anlagen nicht so weit davon weg bauen. Auch wegen der Fluchtgefahr und so.“

Wieder nickte Globocznik. „Höfle, Sie machen mir einen Vorschlag zum Ort und dem Aufbau der Anlagen. Thomalla, Sie klären das zusätzliche Material ab. Claasen und Michalsen, Sie bereiten langfristig mit Höfle und den Bereichen BuF der Kreishauptmannschaften Transportplanungen vor. Über die möglichen Kapazitäten, die verarbeitet werden können, müssen wir dann noch reden.“ Alle nickten.

Da meldete sich Höfle: „Brigadeführer, dafür werden wir nicht wenig Personal brauchen und die Trawniki kann man nicht allein laufen lassen.“

„Gut, dass Sie das noch ansprechen. Es gibt zwischen dem Reichsführer SS und der Kanzlei des Führers umfangreiche Gespräche zur Übernahme von Leuten der T4, das sind die, die bisher Krüppel und Idioten erfolgreich sonderbehandelt haben. Von dort können wir fähiges Personal übernehmen. Chef ist ein Hauptmann Wirth, dieser kommt in den nächsten Tagen zu mir. Höfle, Sie kommen dann mit dazu.“ Höfle nickte und dachte für sich, wer weiß, was das für einer ist.

Drei Tage später fuhren Thomalla und Höfle nach Belzec. Zuerst in das alte Lager, an der Hauptkreuzung rechts ab. Es war tatsächlich zu weit weg von der Bahn, wie Thomalla schon meinte. Sie fuhren dann auf der Hauptstraße in Richtung Lemberg weiter. Kurz hinter dem Bahnhof, auf der linken Seite, sahen sie einen Lokschuppen. Weiter daneben gab es einen seichten Hügel. Dieser Kozielsk-Hügel war früher ein Holzplatz für eine österreichisch-ungarische Holzfabrik. Am Fuß des Hügels gab es noch den Abzweig von Bahnschienen von der Haupttrasse und die alte Rampe zur Holzverladung. Thomalla und Höfle bestiegen den Hügel und überlegten Sicherheitsfragen. Hinzu kam positiv, dass gleich gegenüber Häuser standen, die man für die SS-Mannschaften requirieren könnte. Globocznik bestätigte den Ort. Es gab Beratungen mit der Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge (BuF), den Kommandeuren der SS- und Polizeieinheiten und dann begann der Bau. Zu Beginn arbeiteten Polen auf der Baustelle. Polen, die hier Geld verdienten, aber nicht einmal ansatzweise wussten, wofür diese Baracken gebraucht wurden.

***

Wirth hatte bei der KdF Bericht erstattet. Er wusste jetzt, dass es darum ging, im Generalgouvernement die Juden umzubringen. Ob ihm da die Masse schon klar war? Seine Loyalität zur KdF verschaffte ihm auch in Lublin eine starke Stellung. Er fuhr vorbei an Litzmannstadt, dann weiter über viele polnische Dörfer nach Warschau. Hier machte er einen Zwischenstopp, schlief und fuhr am nächsten Tag weiter nach Lublin. Auf seinem Dienstauftrag stand: „Meldung bei SS-Brigadeführer Globocznik, Ostlandstraße, Lublin.“