Der Weg durch den Traum - Efraim Frisch - E-Book

Der Weg durch den Traum E-Book

Efraim Frisch

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Beschreibung

Lorearts Lesehupferl präsentiert wiederentdeckte Texte heute fast vergessener, mehr oder weniger unbekannter oder unterschätzer Schriftsteller und ist eine Einladung an Leser auch mit diesen Schriftstellern bei Gelegenheit (am besten jetzt!) eine gute Lesestunde zu verbringen. Es sind noch viele Entdeckungen zu machen. Steigen Sie mit ein. "Wann das Gift in ihn eingetreten war, Reinhold hätte es nicht sagen können. Vielleicht wußte er es kaum, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. War es die Aufeinanderfolge der bedrückenden sonnenlosen Wintertage gewesen, die mit ihrer nebligen Trübe lastend seinen Sinn verdüsterten, oder hatte es damals begonnen, als er aus einem kurzen halbwachen Nachmittagsschlaf durch etwas aufgerissen ward und plötzlich fühlte, wie schwer er in die Welt zurückfand...." So beginnt Efraim Frischs (1873 - 1942) Erzählung Der Weg durch den Traum, estmals geruckt im Juni 1919 in »Der Neue Merkur« - Monatsschrift für geistiges Leben. Efraim Frischs literarisches Werk umfasst Romane, Erzählungen und Essays. Daneben übersetzte er aus dem Französischen, Englischen, Polnischen und Jiddischen. Im Reese Verlag wurde sein Roman Zenobi im letzten Jahr als E-Book neu herausgegeben.

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Seitenzahl: 44

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Der Weg durch den Traum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Über den Autor

Impressum

Hinweise und Rechtliches

E-Books Edition Loreart:

Vorschau Lorearts Lesehupferl

Efraim Frisch

Der Weg durch den Traum

Erzählung

Der Weg durch den Traum

1

Wann das Gift in ihn eingetreten war, Reinhold hätte es nicht sagen können. Vielleicht wußte er es kaum, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. War es die Aufeinanderfolge der bedrückenden sonnenlosen Wintertage gewesen, die mit ihrer nebligen Trübe lastend seinen Sinn verdüsterten, oder hatte es damals begonnen, als er aus einem kurzen halbwachen Nachmittagsschlaf durch etwas aufgerissen ward und plötzlich fühlte, wie schwer er in die Welt zurückfand. Seit damals war er immer tiefer in die dämmergraue Region wesenlosen Leids hinabgestiegen. Stumm anwachsend ballten sich die Wolken des Kummers immer dichter und dichter zusammen, und der heißgelaufene Kopf, müde und weitabgewandt, vermochte es fast schon, auf ihnen auszuruhen. Der reifgewordene Schmerz hatte seine Erreger verzehrt und wollte nur noch sich selbst. Doch das Leben haspelte sich wie von selbst weiter ab und verlangte kaum noch von ihm die Gebärde der Freiwilligkeit; die sich dann auch zur Zeit auf Geheiß und träge genug einstellte.

Als Reinhold aus seiner Wohnung auf die Straße trat, überfiel ihn wie schon oft in diesen letzten Wochen aufs neue jene dumpfe Ratlosigkeit, die jeden Entschluß zur Qual macht. War es nicht gleich, ob er sich nach rechts oder nach links wandte? Reinhold lenkte seine Schritte gewohnheitsmäßig in die stille Gasse, in der sein Freund Gregor wohnte und freute sich fast, die Fenster bei ihm erleuchtet zu sehen. Und als er bedachte, daß er eine schwere Stunde mit sich selbst hätte verbringen müssen, wenn er den Freund nicht angetroffen hätte, stieg er erleichtert die Treppe hinauf. Das behagliche Zimmer, die ruhige Freundlichkeit Gregors gaben ihm bald ein Gefühl melancholischer Geborgenheit. Und wie das Gespräch mit dem Freunde lebhafter wurde, ihn allmählich von sich selbst entfernte und doch wieder zu ihm zurückführte als zu einem Menschen, der schließlich nicht anders als andere seinen Anteil an der Mannigfaltigkeit des Lebens hat, wollte es ihm plötzlich scheinen, als hätte ihn nur seine freiwillige Vereinsamung in die Verwirrung hineingebohrt, in der er sich vor einer Stunde noch befand. Und es drängte ihn dunkel, den Zipfel irgendwelcher Vorgänge zu erfassen - sie schienen ihm weit zurückzuliegen - deren Folge dieser ihn bis zum Rand erfüllende Kummer war. Aber schon als er anfing, merkte er, daß er in einem weiten Bogen ausgewichen war und nichts zu fassen bekommen hatte als einen flatternden Irrwisch, vielleicht den fernen Flammenschein nur einer unsichtbaren Feuersbrunst, wer weiß wo!

Ob Gregor wohl glaubte, daß ein Ereignis, scheinbar bedeutungslos, unerkennbar das Wesen eines Menschen völlig zersetzen könne? - Gregor lächelte: Es käme auf den Menschen an und auf das Ereignis. Und was das Stärkere sei. - Reinhold schwieg eine Weile. Bemühte sich, näher an die Brandstelle zu kommen. »Nun denn, gut«, sagte er. »Etwa jemand, der Worten stets mißtraut hat. Auch den eigenen. Sein Leben in wirklichem Einklang mit sich lebte. Nicht Grundsätzen oder vermeintlichen Pflichten unterordnete. Und gleich das erstemal, vor eine Entscheidung gestellt und entscheidend, erweist sich sein Gefühl als Trug, seine Harmonie als Einbildung -« Dies sei doch nichts Ungewöhnliches, unterbrach Gregor. Man nenne dies eben Erfahrungen machen. - »Erfahrungen«, wiederholte Reinhold verwirrt, als könnte er den einfachen Sinn des Wortes nicht fassen. Vor seinen Augen spielte sich in aller Lebhaftigkeit ein Vorgang ab, der gerade, weil er so einfach schien, nur um so rätselhafter war. Erst war etwas nicht sicher, dann war es geschehen und beanspruchte seinen Platz in der Welt und nahm ihn ein wie ein Körper, der den Raum füllt. Und er selbst befand sich mit ihm in dem gleichen Raum, wie dieser Lehnstuhl, in dem er saß, so und soviel entfernt von jenem dunklen Schrank. Und diese Beziehung wurde Erfahrung genannt?

Er schüttelte den Kopf. Nahm einen Anlauf und die Worte entrangen sich ihm schwer und fremd: »Nein. Nicht so. Mag sein, wir machen Erfahrungen, wie du sagst. Aber leben wir nicht von Gewißheiten?« - Nun fühlte er das Brennen ganz nahe, so daß es ihm die Haut sengte. Und er fuhr fort, obwohl er die Augen gesenkt hielt, als schäme er sich seiner Worte: »Eine mit der du deine vollkommene Menschwerdung erlebst, der bist du für immer zu eigen - das war meine Gewißheit. Nicht weil ich an die Ewigkeit der Liebe glaubte oder an eine Verpflichtung zur Treue. Ein Gefühl von solcher Gewalt ist nicht von Dauer, das wußte ich. Aber weil es einmal ist und so ist, wie es nicht wiederkehrt, dafür kann mit nichts Geringerem als mit dem Leben gezahlt werden, sonst ist es gemein und sinnlos. Du weißt, was geschehen ist. Was ist man, wenn dies erschüttert ist?«

Kaum daß er ausgesprochen hatte und noch als er sprach, stieg Bitterkeit in ihm auf, welche wie der schale Rest eines Trankes einen faden Ekel auf seine Lippen legte. Und er empfand seine Worte abgeschmackt, prahlerisch und voll versteckter Absicht auf den Zuspruch des Freundes.

Und der Zuspruch blieb nicht aus. Gregor, der Reinholds Zustand schon lange zu erkennen vermeinte, versuchte einen freundschaftlichen Eingriff. Selten ist unsere Empfindung aufrichtiger, als wenn sie dem andern zu etwas mehr Resignation verhelfen soll.