Der weiße Maulwurf - Walther Kabel - E-Book

Der weiße Maulwurf E-Book

Walther Kabel

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. "Einen Kriminalfall mit einem verzwickten Vorspiel dem Leser mundgerecht zu machen, ohne ihn durch die nackte Wiedergabe von Polizeiberichten und Auszügen aus Tageszeitungen zu ermüden, ist stets dann äußerst schwierig, wenn man selbst – in diesem Falle Harst und ich – erst in einem späteren Stadium aktiv auftritt."

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Seitenzahl: 82

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 Der weiße Maulwurf

Walther Kabel

Inhaltsverzeichnis
Der weiße Maulwurf
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
Das alte Fräulein Födösy
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
Impressum

Der weiße Maulwurf

1. Kapitel.

Der Fall „Tussi Berkamp“.

Einen Kriminalfall mit einem verzwickten Vorspiel dem Leser mundgerecht zu machen, ohne ihn durch die nackte Wiedergabe von Polizeiberichten und Auszügen aus Tageszeitungen zu ermüden, ist stets dann äußerst schwierig, wenn man selbst – in diesem Falle Harst und ich – erst in einem späteren Stadium aktiv auftritt.

Ich wähle daher hier die Form einer unpersönlichen Erzählung, der ich immerhin einige Reize zu verleihen vermag.

– Der Abend des 13.Mai war mild und windstill.

In der Parkstraße des Berliner Vorortes Dahlem saßen auf den Bänken der Kinderspielplätze dieses breiten, urwüchsigen Waldstreifens vereinzelte Pärchen und lauschten den Tönen eines Lautsprechers der nahen Villen, der bei offenen Fenstern in voller Tonstärke die Hauptmotive aus dem „Rosenkavalier“ von Strauß wiedergab.

Auch die große Villa des Generaldirektors Lüning lag einem dieser Spielplätze schräg gegenüber, die Fensterfront war jedoch dunkel, nur neben dem Wintergarten schimmerten ein paar helle Streifen: Die Fenster des Salons der Gattin des Generaldirektors, die soeben den Freund des Hauses, Doktor Gerbert für einige Zeit beurlaubt hatte.

Er wollte mit seinem Motorrad noch schnell im Postamt Grunewald eine dringende Depesche aufgeben.

Das war etwa zehn Minuten vor zehn …

Gleich darauf bemerkte ein jüngerer Mann, der mit seiner derzeitigen Braut auf einer der Bänke saß, ein gewisser Baluschewski, im Gebüsch etwas Blankes liegen, – es war ein Motorrad.

Herr Baluschewski nahm an, daß es einem Jüngling gehörte, der in der Nähe wartend auf und ab schritt und mit dem er später ins Gespräch kam.

Ziemlich genau um zehn Uhr kehrte Generaldirektor Lüning in der kleinen Limousine seiner Stieftochter Tussi Berkamp aus der City heim.

Er hatte für den Abend seine beiden Chauffeure beurlaubt, und Tussi sollte ihn sofort wieder in die City zurückbringen, wo er mit einigen amerikanischen Finanzgrößen eine Konferenz verabredet hatte.

In dem Auto lag eine Aktentasche, die 200 000 Mark in Devisen enthielt. Lüning brauchte die Summe für die geplanten Transaktionen mit den Amerikanern.

Das Auto hielt vor der Pforte des Parkes der Villa, der sehr ausgedehnt war, der Generaldirektor eilte ins Haus, um noch einige Akten zu holen, überließ die wertvolle Tasche jedoch nur für kurze Zeit der Aufsicht seiner Stieftochter.

In der Villa kam ihm nämlich wie immer der unlängst erst von einer leichten Fleischvergiftung genesene Diener Josef Strahl entgegen, und er befahl dem noch etwas blassen Manne, durch den Seitenausgang – der Hauptausgang war für das Personal verboten – auf die Straße zu eilen und auf das Geld mit acht zu geben.

Er selbst begab sich in sein Arbeitszimmer. –

Tussi Berkamp, ein frisches, junges Mädchen, machte sich der wertvollen Tasche wegen weiter keine Gedanken. Sie war etwas müde von der Frühjahrsluft, und ihr junges, heißes Herz beschäftigte sich mit anderen Dingen …

Urplötzlich tauchte da neben dem Auto ein bärtiger Mann auf, öffnete die Tür, Tussi stieß zwei leise Angstschreie aus und sank schwer verletzt in sich zusammen, während der Räuber mit der Tasche ebenso blitzschnell das Weite suchte.

Das friedliche Bild der stillen Parkstraße war mit einem Male gänzlich verändert.

Der Diener Josef Strahl, der infolge seiner geschwächten Kräfte angeblich nicht sofort Lärm geschlagen und soeben erst den Vorgarten erreicht hatte, meldete Lüning halb ohnmächtig vor Schreck das Geschehene, und als die Kriminalpolizei eintraf, war die durch Messerstiche schwer verletzte Tussi längst in das nahe Dahlem-Sanatorium geschafft worden, der Diener Strahl erlitt während seiner Vernehmung einen schweren Anfall von Herzschwäche und mußte gleichfalls in das Sanatorium gebracht werden, den Räuber hatte niemand so recht zu Gesicht bekommen, niemand sah, wohin er flüchtete, alle Nachforschungen blieben ergebnislos, inzwischen war auch Doktor Gerbert zurückgekehrt, doppelte Trauer war in das Haus Lüning eingezogen, vor kurzem war in dem Ostseebade Zinnowitz Frau Lünings Tante plötzlich verstorben, ein altes Fräulein namens Vilja Födösy, und nun lag auch Tussi Berkamp mit dem Tode ringend in dem weißen Krankengemach. –

Über alledem waren vier Tage verstrichen.

Die Zeitungen hatten über den Raubmordversuch sehr eingehend berichtet, die fleißigen Reporter hatten viel Material zusammengetragen, und besonders eins der kleineren Blätter Berlins, das notgedrungen auf grobe Sensation sich eingestellt hatte, der „Allerweltskurier“, schien über Dinge informiert zu sein, die nicht gerade an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden brauchten.

Zum Glück waren die Stichverletzungen Fräulein Berkamps doch nicht lebensgefährlich, der Diener Strahl tat bereits wieder Dienst, und in diesem Stadium der Angelegenheit wurden wir am 18. Mai durch den Besuch einer in tiefe Trauer gekleideten Dame überrascht, die sich als Frau Geraldine Lüning vorstellte und dann mit einiger Nervosität ihr unklares Anliegen vorbrachte.

Wir beide hatten den Fall Berkamp natürlich genau verfolgt, Harald war jedoch nicht dazu zu bewegen gewesen, sich auf eine bestimmte Annahme hinsichtlich des Täters festzulegen, da hier Familienverhältnisse mitsprachen, die er bei seinem ausgesprochenen Reinlichkeitsgefühl nicht mit in seine Schlußfolgerungen einbeziehen wollte. Der „Allerweltskurier“ hatte da von drei anonymen Briefen gesprochen, von denen er der Polizei nur noch die Abschriften vorlegen konnte, da die Originale stets verbrannt würden. In einem der Briefe war auch Herr Baluschewski erwähnt worden, in einem anderen schien Doktor Gerbert eine Rolle zu spielen.

Und nun saß eine der Mitbetroffenen dieser Tragödie hier vor uns und fand offenbar nicht den Mut, ihre Wünsche und Befürchtungen in schlichte Worte zu kleiden.

Harald fragte denn auch schließlich:

„Ich verstehe noch immer nicht recht, gnädige Frau, weshalb Sie sich in dieser Sache an uns wenden. Die Kriminalpolizei ist an der Arbeit, und ich bin überzeugt, daß sie es an dem nötigen Eifer nicht fehlen lassen wird. Ihr Gatte ist ein sehr bekannter Großkaufmann.“

Frau Geraldine Lüning, in zweiter Ehe mit Siegfried Lüning, Generaldirektor der Lüning-Werke, seit zehn Jahren verheiratet, war eine schlanke Dame, die sich getrost für dreißig ausgeben durfte. Wir wußten, daß an diesen dreißig in Wahrheit neunzehn fehlten.

In ihrem Benehmen ganz große Dame, unterstrich sie noch über Gebühr jene müde Vornehmtuerei, die immerhin ein Gutes hat: Sie ist ein dichter Schleier für all die Charakterschwächen, die bei temperamentvollem Auftreten so leicht zur Bloßstellung des eigenen Ichs führen.

Haralds Frage konnte diese Frau nicht verwirren. Dazu war Frau Geraldine zu abgeklärt, zu stark gewappnet gegen jeglichen Angriff.

„Ich würde kein Mittel unversucht lassen, den Täter vor Gericht zu bringen“, erwiderte Frau Lüning und ordnete den langen schwarzen Schleier, um ihre schönen Hände und kostbaren Ringe wieder einmal zu zeigen.

„Entschuldigen Sie, gnädige Frau, - das glaube ich Ihnen nicht recht“, meinte Harald mit fataler Offenheit … „Ich bin nun einmal ein Mensch, der seine Mitmenschen sehr bald durchschaut. Ich behaupte, Sie haben einen ganz bestimmten Verdacht gegen eine Person, die in den Zeitungsartikeln ebenfalls erwähnt wurde, natürlich mit der nötigen Vorsicht … In dieser Hinsicht sind die Reporter modernste Diplomaten: Alles andeuten, aber nichts Bestimmtes verlauten lassen! Kitzel für die Leser … Jeder mag sich das Gedruckte auslegen, wie er will ..!“

Der Hieb saß. Die Frau verlor die Maske für Sekunden, errötete tief und schaute zur Seite.

Harald lächelte unmerklich.

„Ich will ehrlicher sein wie Sie … Ich denke an Doktor Gerbert“, fügte er rücksichtslos hinzu. „Gerbert ist ständiger Gast in Ihrer Villa, und gewisse Blätter haben dies weidlich ausgeschlachtet.“

Die Dame ließ den schwarzen Schleier fallen.

Sehr praktisch …

Ihr einziges Kind lebte noch, lag schwer verletzt in einer Klinik, und die Tante, die dort vor kurzem in Zinnowitz gestorben, rechtfertigte diese düstere Tracht erst recht nicht.

Frau Lüning beschränkte sich auf vieldeutige, sehr theatralische Handbewegungen. Die Stimmung wurde dadurch noch ungemütlicher. Weshalb verabschiedete die Dame sich nicht? Wir hatten ihr nichts mehr zu sagen.

Sie blieb …

Merkwürdig genug, sie wurde immer nervöser. Und dann warf sie all diese lächerlichen Mätzchen urplötzlich ab und wurde Mensch, Weib, gequältes Wesen.

„Herr Harst, ich ertrage das nicht länger … Sie lassen Doktor Gerbert beobachten ..! Um Gotteswillen, sagen Sie mir die Wahrheit, verdächtigen Sie ihn wirklich?! Ich spreche hier als Mutter, – Gerbert verehrt Tussi …“

Harald duldete es, daß sie nach seiner Hand gegriffen hatte und daß sie diese Hand verzweifelt umklammerte. Er duldete es und blieb höflich-gemessen.

„Als Mutter ..?! Nur das … Eine Bewerbung über den Umweg über die Mutter kann sehr leicht falsch ausgelegt werden. Zwischen Ihnen und Gerbert bestehen irgend welche Beziehungen, die höchst unklar sind.“

Antwort?!

… Ein mutloser leiser Seufzer, ein leichtes Zusammensinken der bisher gestrafften Gestalt.

Sie gab Harsts Hand frei, und sie fiel wieder zurück in die frühere Gekünsteltheit, erhob sich sehr langsam, streifte die Handschuhe über und meinte nur:

„Es ist zwecklos … Verzeihen Sie, daß ich Sie ohne stichhaltige Gründe in Anspruch nahm, Herr Harst.“

Wir standen gleichfalls auf, Haralds Verbeugung war sehr abgezirkelt. „Die Gründe kenne ich nun, gnädige Frau. Sie hören noch von mir.“ Es klang ohne jede Wärme. „Schraut wird Sie hinausbegleiten … Auf Wiedersehen …“

Sie neigte den Kopf, – das war alles, – sie wandte sich zur Tür, und als sie diese bereits halb durchschritten hatte, drehte sie sich nochmals um.

„Wissen Sie etwas über den weißen Maulwurf, Herr Harst?“

Bisher hatte sie uns nicht überraschen können, durch nichts, ihr Besuch war farblos gewesen wie eine Anstandsvisite. Jetzt im letzten Augenblick warf sie eine Frage hin, die auch Harald nicht zu deuten wußte. Ich merkte es ihm an, und er entgegnete auch nachdenklich-gedehnt:

„Weißer Maulwurf? – Nein …“

Ein seltsames kurzes Auflachen ertönte hinter dem schwarzen Schleier, dann verließ sie ohne jedes weitere Wort unser Haus und fuhr in ihrer dunklen Limousine davon. –

Dieser Besuch hatte immerhin zur Folge, daß Harald sofort unsere altbewährten Helfer von der Detektei Argus gründlich in Bewegung setzte. Wir wußten, daß zwischen Frau Lüning und dem alten Fräulein Födösy in Zinnowitz starke Unstimmigkeiten geherrscht hatten, Frau Lüning hatte nicht einmal an dem Begräbnis teilgenommen, und es gab da vieles auf unsere Art aufzuklären.