... der werfe den ersten Stein - Karin E. Burianski - E-Book

... der werfe den ersten Stein E-Book

Karin E. Burianski

4,8

Beschreibung

In jeder Erzählung sind zwei bis fünf Protagonisten schicksalshaft miteinander verwoben. Sie täuschen und werden getäuscht; hassen, weil nicht Liebe in ihrem Herzen obsiegt, sondern Trägheit die Herzen dominiert. So in der Erzählung "Der Pelzmantel", in der sich zwei Menschen - einst liebend verbunden - von einander so weit entfernen, dass gegenseitige Täuschung alltäglich wird. Anders in der Erzählung "Vergissmeinnicht", wo die Liebe eines Mannes stärker ist als der Mann selbst. Glück wird oft nur als eine kurzfristige Attitüde erlebt, die Chaos hinterlässt, weil man das Scheitern noch nicht beherrscht. Wie in frühen Lebensjahren erworbenes Urvertrauen gegen die Anfeindungen des Lebens immunisiert, beschreiben die Erzählungen "Daniel" und "Ein reines Mädchen". In der Erzählung "Das Inserat" stürzt eine Liebe an den Fehlbarkeiten früherer Protagonisten in den Abgrund. Gelungen ist das Leben immer dann, wenn die Menschen im Besitze der Liebe waren. Zwar lauert auch ihnen das Schicksal auf, aber es zeigt sich versöhnlich- so in der Erzählung" Frau Josefine Meyer - eine unbegabte Mutter". Nichts Menschliches ist den Figuren fremd. Dass Mut und Vertrauen in die "heilende Wirkung der Wahrheit" ungeahnte Kräfte freisetzen können, wird in "Spontanheilung" geschildert. Das Schicksal schlägt nicht ungerecht und blind zu, es hat nur andere Pläne, die sich jedoch willentlich vom Menschen durchkreuzen lassen. So kann in der Erzählung "Die Liebe des Kaplans" unbeschadet von der vorherrschenden Sexualmoral eine "sündige" Liebe glücklich gelebt werden. Dagegen muss "Die Saat der Mutter" zum Verhängnis werden, weil sie sich das Recht nimmt, das Schicksal dritter zu manipulieren. Wie eine Demenzerkrankung die Vertrautheit einer langjährigen Ehe bis zum gegenseitigen "Würdeverlust" zerstört, erzählt gleichnamige Geschichte, dagegen kann die Flucht in eine Verrücktheit von den Bedrängnissen des Lebens befreien, wie in der Erzählung "Emanuel" geschildert. Jede Erzählung endet mit einer unerwarteten Pointe, die den Leser daran erinnert, dass sich das Leben nicht vorherbestimmen lässt. Es hält sowohl Glücksmomente als auch traumatische Überraschungen bereit, die jeden jederzeit aus seinem bisherigen Dasein herausschleudern können, ihn wieder "erden" lassen, so er sich dem Daseinskampf stellt.

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Inhaltsverzeichnis

Spontanheilung

Der Pelzmantel

Der lange Arm Allahs

Vergissmeinnicht!

Die Saat der Mutter

Die Liebe des Kaplans

Das Inserat

Frau Josefine Meyer – eine unbegabte Mutter

Daniel

Ein reines Mädchen

Verlust der Menschenwürde

Emanuel -- ein bedrängtes Leben

Ein Quäntchen Glück

Autorin:

Karin E. Burianski

...der werfe den ersten Stein (1)

Spontanheilung

Sie hatte ihren Sohn zu sich rufen lassen. Seit Jahren hielten sie keinen Kontakt mehr.

Mag sein, dass die Lebenslüge, die zwischen ihnen stand, zu dieser Entfremdung geführt hatte.

Nun, da ihr Leben zu Ende ging, wollte sie Klarheit schaffen.

Er war gekommen, saß an ihrem Bett und hörte ihr zu.

„Ich habe dich in dem Glauben großgezogen, dass dein Vater durch einen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sei. Du warst, als du nach deinem Vater fragtest, noch zu jung für die Wahrheit.

Dein Vater lebt seit 30 Jahren in einer psychiatrischen Klinik. Er hat seinen Bruder in einem unzähmbaren Wutrausch mit einem Hammer erschlagen, weil er glaubte, sein Bruder und ich hätten ein Verhältnis miteinander und dieser wäre der Vater des Kindes das ich in mir trug.

Gehe zu ihm und sage ihm, dass ich immer nur ihn geliebt habe, dass du sein Sohn bist.

Das wird ihn am Leben halten.

Du musst mir diesen letzten Wunsch erfüllen- nein, es ist kein Wunsch-es ist ein letzter Auftrag an dich. Wirst du ihn ausführen?“

Ja, das werde er tun, zumal er sehr daran interessiert sei, den Menschen kennenzulernen, der zu einer so leidenschaftlichen Tat fähig war.

„Gut, dann wäre das geklärt- und nun die Wahrheit:

Ich habe den Bruder deines Vaters geliebt. Er ist dein Vater.

Dein Vater ist also tot.“

Sie griff nach einer kostbaren Armbanduhr, die auf dem Nachttisch lag, reichte sie ihm mit den Worten: „Sie gehörte deinem Vater. Es ist das Einzige was ich von ihm aufbewahrt habe.

Sie gehört jetzt dir.

Und nun geh und erfülle dein Versprechen!“

*

Nachdem er Tage später die Wohnung seiner Mutter aufgelöst und ihre Papiere geordnet hatte, fand er sowohl die Prozessakten als auch die Kontaktdaten der Psychiatrischen Klinik.

Mit dem leitenden Arzt vereinbarte er einen Besuchstermin, bat zugleich auch um ein Beratungsgespräch von dem er sich erhoffte Klarheit zu erlangen. War er Sklave eines Versprechens, das er seiner Mutter gegeben hatte, bevor er die Wahrheit kannte?

Der leitende Arzt versprach ihm, sich genügend Zeit für ein Gespräch zu nehmen.

*

Er hatte sein Navigationsgerät eingeschaltet. So fuhr er entspannt in die kleine Kreisstadt im Westen der Republik, die über eine moderne Psychiatrische Klinik in historischen Gemäuern verfügte.

„Sie haben Ihr Ziel erreicht. Das Ziel liegt links“, sagte die elektronische Stimme.

*

Nachdem er seinen Wagen auf einem gepflegten Parkplatz abgestellt hatte, hielt er Ausschau nach einer Eingangspforte, die sich in dem die Klinik umgebenden Gemäuer befinden müsste. An der Pforte angekommen betätigte er die Taste: Besucher! Eine Stimme fragte nach seinem Namen

„Sie werden erwartet“, war die Antwort. Wenige Minuten später öffnete sich die Pforte und eine resolute Person nahm ihn in Empfang.

„Ihrem Vater geht es heute erstaunlich gut. In dreißig Jahren hat er keinen Besuch bekommen. Er freut sich auf Sie.“ Dann führte sie ihn in das Sprechzimmer des Chefarztes und bat ihn Platz zu nehmen. Nervös kramte er nach seinen Zigaretten. Bevor er sich eine anzünden konnte, verwies sie ihn darauf, dass im gesamten Gebäude das Rauchen verboten sei. Dann verließ sie den Raum.

Er sah sich um. Urkunden zierten die Wände, die über die zusätzlich erworbenen Qualifikationen des Chefarztes Auskunft gaben. Sie sollten wohl die Besucher beeindrucken.

Eine gegenüberliegende Tür öffnete sich, ein Mann kam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und stellte sogleich Fragen: „Kennen Sie Ihren Vater? Haben Sie jemals ein Bild von ihm gesehen? Besaß Ihre Mutter ein Fotoalbum mit Erinnerungen an Ihren Vater?“ Alle Fragen beantwortete er mit „nein“. „Setzen wir uns und tun wir etwas Verbotenes. Haben Sie eine Zigarette?“

Er griff in seine Hosentasche und stellte einen verschließbaren Aschenbecher auf den Tisch. Erstaunt reichte der junge Mann seinem Gegenüber die Zigarettenschachtel, dabei erblickte dieser die Armbanduhr.

„Das ist eine besonders interessante Uhr, die Sie tragen. Darf ich sie einmal genauer betrachten?“, fragte er und streckte die Hand danach aus.

Er besah sie lange und wendete sie nach allen Seiten.

„Sicher ein Erbstück Ihres Vaters“, sagte er und gab sie dem jungen Mann zurück.

Rauchend genossen beide die entspannte Atmosphäre - kaum wahrnehmbare Geräusche aus dem Nebenzimmer.

„Was wollen Sie mit Ihrem Vater besprechen. Sie haben ihn nie gesehen?“ wurde das Schweigen unterbrochen.

Der junge Mann berichtete nun ausführlich von dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben habe, bevor er die Wahrheit erfuhr und von deren Widerruf!

„Welche der beiden Versionen, die nun auch Sie kennen, soll ich meinem Vater zumuten?

Welche wird der stärkere Impuls zum Weiterleben sein?“

„Sagen Sie Ihrem Vater die Wahrheit. Das wird ihm helfen“, antwortete dieser, streckte ihm die Hand entgegen, ergriff den Aschenbecher und verließ den Raum.

Wenig später öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer und die resolute Person fragte ihn erstaunt, auf wen er denn noch warte.

Er erwarte nun seinen Vater, entgegnete er. „Aber Sie haben sich doch die ganze Zeit mit ihm unterhalten. Verzeihen Sie, ich vergaß Ihnen mitzuteilen, dass der Chefarzt heute nicht im Hause ist.“

Wie betäubt zog der junge Mann Sekunden später die Armbanduhr von seinem Handgelenk, legte sie auf den Schreibtisch und wankte hinaus.

*

Monate waren seit der Begegnung mit seinem Vater vergangen.

Schuldgefühle plagten ihn seither. Damals war er planlos davon gefahren. Wenn er doch aufmerksamer gewesen wäre. Wenn er doch dessen Fragen, die Umgehung des Rauchverbots als eindeutige Signale wahrgenommen hätte.

Und nun hielt er einen Brief von der Psychiatrischen Klinik in Händen.

Panik überfiel ihn.

Was, wenn seine Achtlosigkeit seinem Vater jegliche Basis zum Weiterleben entzogen hätte, wenn sich dessen Krankheitsbild verschlechtert hätte?

*

Der Chefarzt teilte ihm die bevorstehende Entlassung seines Vaters aus der psychiatrischen Klinik wenige Tage vor Weihnachten mit.

Er las: Zu Ihrer Kenntnisnahme:

„Die vor Monaten unwissentlich erteilten Informationen haben bei Ihrem Vater den ihn drei Jahrzehnte fesselnden Aggressions- und Gewaltstau gelöst und dessen Psyche befreit!

Die Diagnose bestätigend hat Ihr Vater den Wunsch nach Ihrer Anschrift geäußert.

Die Klinikleitung bittet Sie um Genehmigung diese mitteilen zu dürfen.

Dass sie beide mit 99 prozentiger Sicherheit Vater und Sohn sind hat eine DNA- Analyse der Zigarettenkippen ergeben.“

Wir wünschen Ihnen beiden- vorausgesetzt Sie stimmen der Bitte Ihres Vater zu - ein fröhliches erstes gemeinsames Weihnachtsfest.“

...der werfe den ersten Stein (2)

Der Pelzmantel

Er liebte die Frauen nicht.

Er liebte sich in den Augen der Frauen und seine unzähligen Affären mit ihnen.

Stunden ohne jegliche Verantwortung- reiner Lustgewinn auf beiden Seiten. Selbstredend lebten die Frauen, die er kurzfristig beglückte, in festen Beziehungen

-unerfüllten Beziehungen.

Das war Voraussetzung!

Sie verhinderten kostspielige Restaurantbesuche, anstrengende Urlaube sowie ein gemeinsames Sitzen“ unter dem Tannenbaum“.

Nur zum Abschied gestattete er sich den Luxus der Großzügigkeit.

Wie hätten die Frauen diese Eskapaden ihren Männern auch erklären können?

Nicht, dass er diese Frauen suchte, nein, die Frauen fanden ihn; setzten sich in den Cafe`s an den Nebentisch, weil sie seine Bereitschaft spürten und er intuitiv ihr Verlangen wahrnahm.

Kurz darauf verließen sie gemeinsam die Lokalität.

Er war ein Gentleman.

Nahm eine Affäre Züge von Gewohnheit an; breitete sich gar in den Hotelbetten Höflichkeit aus, war der Abschied unausweichlich.

*

Sie erwartete ihn schon eine Weile in diesem kleinen Hotel außerhalb der Stadt.

Heute verspätete er sich.

Unruhe ergriff sie. War das schon das Ende?

Dass es unweigerlich nahte, ahnte sie bereits.

Dennoch- so schnell hatte sie es nicht erwartet.

Schritte im Flur. Er kam also doch noch. Sie fieberte ihm entgegen.

Seine Gestik und Mimik geboten ihr Einhalt. Wie gesagt: Er war ein Gentleman!

Distanziert lächelnd legte er ihr einen kostbaren Pelzmantel um die Schultern,

küsste ihr galant die Hand und verließ sie wortlos.

Sie schaute ihm durch das verschneite Hotelfenster nach. Kein Blick zurück!

*

So stand sie da, fühlte den weichen Pelz auf ihren Schultern, den sie jedoch zunehmend als Belastung empfand..

Niemals würde sie ihn tragen können. Wie sollte sie ihrem Mann erklären wie sie in den Besitz eines so teuren Pelzmantels gekommen war, ohne sich zu verraten?

Was, wenn das seine Absicht war, sie mit diesem nur scheinbar großzügigen Abschiedsgeschenk in einen unlösbaren Konflikt zu treiben; sie zu bestrafen für seine Beziehungsunfähigkeit?

Gelegentlich hatte sie diesen waidwunden Blick an ihm entdeckt.

Wann hatte er sich diesen erworben?

Ihre Freundin wollte sie nicht einweihen.

Vielleicht könnte sie einen Tombolagewinn erfinden.

Aber das war nicht glaubhaft. Ihr Mann würde Genaueres wissen wollen.

*

Auf dem Weg zu dem kleinen Hotel hatte sie gelegentlich die Leuchtreklame eines Pfandverleihs wahrgenommen. So weit draußen, dachte sie dann. Schämten sich die Menschen so sehr, wenn sie in finanzielle Not gerieten?

Das war ihre Lösung!

Zunächst einmal musste sie den verräterischen Pelzmantel loswerden.

Später hatte sie vielleicht eine Eingebung, wie sie ihn dennoch für alle sichtbar tragen könnte.

*

Die Pfandverleiherin hob die Augenbrauen. „Ein kostbares Stück“ sagte sie, musterte die Dame vor ihrem Tresen und entschied sofort ihr nur eine kleine Summe anzubieten, versprach jedoch, den Mantel gut einzumotten. Das brauche Sie nicht, entgegnete die Besitzerin vielleicht schon morgen würde sie den Mantel wieder einlösen können, sie benötige nur kurzfristig etwas Geld.

*

Erleichtert fuhr sie nach Hause.

Die Eingebung kam rasch. Im Erfinden von Geschichten war sie ja geübt. Wie oft war ihr Erfindungsreichtum gefragt gewesen, wenn sie ihre stundenweise Abwesenheit ihrem Mann erklären musste.

„Stell dir vor“, so empfing sie ihren Mann am Abend, „ als ich heute in der Stadt war, überkam mich plötzlich eine Übelkeit. Ich nahm mir ein Taxi und ließ mich nach Hause fahren. Zwischen den Ritzen des Rücksitzes steckte dieser Zettel. Er ist ausgestellt von einem Pfandverleih. Ich bin ja so gespannt, was sich hinter diesem Zettel verbirgt. Gleich morgen werde ich ihn einlösen.“

Ihr Mann nahm ihr den Zettel aus der Hand und erkannte die Adresse, die in der Nähe des kleinen Hotels lag, wohin er seiner Frau sooft gefolgt war.

„Das ist ziemlich weit draußen“, sagte er. „Ich werde ihn morgen für dich einlösen, zumal es dir nicht gut geht.“ „Nein, das musst du nicht, das schaffe ich schon!“ rief sie fast verzweifelt. Er spürte ihr Entsetzen; steckte den Zettel ein und verbat sich jegliche weitere Diskussion.

Das war seine Chance. Nun würde er endlich das Geschenk seiner Freundin für alle sichtbar tragen können.

*

Fiebrig erwartete sie die Heimkehr ihres Mannes am folgenden Abend.

Schon von weitem, durch das Küchenfenster erkannte sie, dass er mit leeren Händen kam.

Bereits an der Haustür streckte er ihr seinen Arm entgegen und wies auf eine kostbare Armbanduhr an seinem Handgelenk. Eine Uhr, die er sich schon immer gewünscht hatte.

„Danke, Liebling“, sagte er. „Es tut mir leid für dich, hinter dem Pfandschein verbarg sich diese Herrenarmbanduhr, für schlanke Frauenhandgelenke völlig ungeeignet. Ich benötigte nur eine kleine Summe zum Einlösen dieser Kostbarkeit. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk hättest du mir nicht machen können.“

Sie sah sein böses Grinsen. Schwindelgefühle übermannten sie.

An dem Kloß in ihrem Hals drohte sie zu ersticken und konnte ihn dennoch nicht loswerden.