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Dies ist die komplett illustrierte Ausgabe mit 23 wunderschön gezeichneten Bildern von William Wallace Denslow. "Der Zauberer von Oz" war die erste Oz-Geschichte des amerikanischen Autors L. Frank Baum und, wie er selbst sagt "ein modernes Märchen, das voller Verwunderung und Freude steckt, aber die Alpträume außen vor lässt." Es ist die Geschichte von Dorothy, einem kleinen Mädchen aus Kansas, das von einem Wirbelsturm ins Märchenland von Oz getragen wird. Natürlich möchte sie wieder nach Hause und beschliesst, den Zauberer von Oz nach dem Weg zu fragen. Unterwegs trifft sie die Vogelscheuche, den Blechmann und den Löwen, die ebenfalls Wünsche an den Zauberer richten wollen. Nach vielen Abenteuern gelangen sie zur Smaragdstadt und müssen feststellen, dass der große Zauberer gar nicht so groß ist ..... Die Geschichte von Dorothy ist ein, wenn nicht der Klassiker unter den Kinderbüchern und gehört in jede gute Bibliothek.
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Seitenzahl: 185
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Der Zauberer von Oz
L. Frank Baum
Inhalt:
Der Zauberer von Oz
1. Der Wirbelsturm
2. Der Rat der Munchkins
3. Wie Dorothy die Vogelscheuche rettete
4. Die Straße durch den Wald
5. Die Rettung des Blechmanns
6. Der feige Löwe
7. Die Reise zum großen Oz
8. Der tödliche Mohn
9. Die Königin der Feldmäuse
10. Der Torwächter
11. Die wunderbare Smaragdstadt von Oz
12. Die Suche nach der bösen Hexe
13. Die Rettung
14. Die geflügelten Affen
15. Oz, der Schreckliche
16. Die Zauberkunst des Großen Schwindlers
17. Der Ballon hebt ab
18. Ab nach Süden
19. Der Angriff der Bäume
20. Das Porzellanland
21. Der Löwe wird König der Tiere
22. Das Land der Quadlinge
23. Die Gute Hexe erfüllt Dorothys Wunsch
24. Wieder daheim
Der Zauberer von Oz, L. Frank Baum
© 2014, Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849643409
www.jazzybee-verlag.de
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Alle Rechte vorbehalten, insbesondere Aufführung, Sendung, Kopie, Verleih, Übertragung auf elektronische Speichermedien, Internet-Einsatz, andere öffentliche Nutzung und Verbreitung nur nach vorheriger Absprache und Erlaubnis durch die Herausgeber.
Dorothy lebte zusammen mit ihrem Onkel Henry, einem Farmer, und seiner Frau, Tante Em, mitten in Kansas. Sie hatten ein kleines Haus, denn Bauholz musste hier in der Gegend mit dem Karren über viele Meilen herangeführt werden. Es gab nur einen Raum und der bestand aus vier Wänden, der Decke und dem Boden. Darin stand ein alter, verrosteter Herd, eine Vitrine für die Teller und Schüsseln, drei oder vier Stühle und die Betten. Onkel Henry und Tante Em hatten ein großes Bett in der einen Ecke des Raums, Dorothys kleines Bett stand in der gegenüberliegenden Ecke. Es gab keinen Dachboden oder richtigen Keller – nur ein kleines Loch, das sie den Wirbelsturmkeller nannten. Es war einfach in den Boden gegraben worden und nur durch eine Falltür und eine darunter liegende Leiter in der Mitte des Raums erreichbar – für den Fall, dass einer dieser Wirbelstürme aufzog, die hier alles vernichten konnten, was im Weg stand.
Wenn Dorothy hinaus schaute sah sie auf allen Seiten nichts als die endlose, graue Prärie. Weder ein einziger Baum noch ein Haus durchbrachen das Panorama des flachen Landes, das überall bis zum Horizont reichte. Die Sonne hatte den durchpflügten Boden ausgedörrt und mit kleinen Rissen durchzogen. Nicht mal das Gras war grün, denn die Sonne hatte die Spitzen der Halme solange bearbeitet bis sie das gleiche Grau hatten wie der Rest des Landes. Auch das Haus, das vor nicht allzu langer Zeit frisch gestrichen worden war, war so grau und eintönig wie der Rest, denn die Sonne hatte die Farbe zuerst verwittert und der Regen sie dann weggeschwemmt.
Als Tante Em hierher kam war sie eine junge, hübsche Frau. Die Sonne und der Wind hatten auch sie verändert. Der Glanz ihrer Augen war einem nüchternen Grau gewichen und auch ihre roten Wangen und Lippen waren grau geworden. Sie wirkte dünn und ausgemergelt und lachte nur noch sehr selten.
Als Dorothy, die ein Waisenkind war, zu ihnen kam war sie so erschreckt vom fröhlichen Lachen des Kindes, dass sie jedes Mal wenn es ertönte zusammenfuhr und die Hand auf ihr Herz legte. Selbst heute noch wunderte sie sich darüber, dass das kleine Mädchen hier überhaupt etwas finden konnte, über das man lachen konnte.
Onkel Henry lachte nie. Er arbeitete jeden Tag von morgens bis spät in die Nacht und wusste gar nicht, was Freude war. Auch er erschien grau, von seinem Bart bis runter zu seinen verstaubten Stiefeln und schaute sehr ernst und sprach fast nie.
Es war Toto, der Dorothy zum Lachen brachte und sie davor bewahrte genau so grau zu werden wie ihre Umgebung. Toto war nicht grau; er war ein kleiner, schwarzer Hund mit langem, seidenem Fell und kleinen schwarzen Augen, die lustig links und rechts von seiner kleinen Nase funkelten. Toto spielte den ganzen Tag und Dorothy spielte mit ihm. Sie liebte ihn von ganzem Herzen.
Heute allerdings spielten sie nicht. Onkel Henry saß vor dem Eingang und schaute besorgt in den Himmel, der heute noch grauer als sonst erschien. Dorothy stand in der Tür und hielt Toto auf dem Arm. Auch sie schaute hinauf in den Himmel. Tante Em machte den Abwasch.
Aus dem fernen Norden steigerte sich der Wind zu einem leisten Heulen und Onkel Henry und Dorothy konnten sehen, wie sich das hohe Gras in Wellen vor dem herannahenden Sturm bog. Dann erfüllte ein scharfes Pfeifen aus südlicher Richtung die Luft und auch dort fing das Gras an sich rhythmisch zu bewegen.
Plötzlich stand Onkel Henry auf.
"Ein Wirbelsturm zieht auf, Em", rief er seiner Frau zu, "Ich werde nach dem Vieh sehen." Dann rannte er zu den Ställen, wo die Kühe und Pferde standen.
Tante Em ließ ihre Arbeit liegen und kam zur Tür. Ein Blick genügte ihr um zu wissen, welche Gefahr da auf sie zukam.
"Schnell, Dorothy", schrie sie, "lauf rüber zum Keller!"
Toto hüpfte runter von Dorothys Armen und versteckte sich unterm Bett, das Kind hinter ihm her. Tante Em, der die Angst im Gesicht stand, öffnete die Falltür im Boden und kletterte die Leiter hinunter in ein kleines, dunkles Loch. Schließlich hatte Dorothy Toto gefangen und folgte ihrer Tante. Auf halbem Weg zur Falltür aber heulte der Wind plötzlich auf und das Haus erbebte so mächtig, dass sie ihren Halt verlor und sich auf den Hosenboden setzte.
Dann geschah etwas Seltsames.
Das Haus drehte sich zwei oder drei Mal um die eigene Achse und stieg langsam in die Höhe. Dorothy fühlte sich, als ob sie in einem Ballon saß.
Die Nord- und Südwinde hatten sich exakt dort, wo das Haus stand, getroffen und es so zum Mittelpunkt des Wirbelsturms gemacht. In der Mitte eines Wirbelsturms, dem sogenannten Auge, ist die Luft normalerweise ruhig. Der hohe Luftdruck aber, der von allen Seiten herrschte, zog das Haus höher und höher bis es ganz oben auf dem Wirbelsturm saß; und dort blieb es auch und wurde Meile für Meile davon getragen als ob es eine Feder wäre.
Es war sehr dunkel und der Wind heulte schrecklich, aber Dorothy fühlte sich nicht unbehaglich. Nach den ersten heftigen Umdrehungen und einem kurzen Moment, in dem das Haus zu kippen drohte, fühlte sie sich eher, als ob sie in einer Wiege lag, die sie sanft schaukelte.
Toto gefiel es nicht so gut. Er rannte wie wild durch den Raum, von Ecke zu Ecke, und bellte wie toll; aber Dorothy saß ganz ruhig in der Mitte des Raums und wartete, was passieren würde.
Plötzlich kam Toto in die Nähe der Falltür und fiel hinein. Das Mädchen glaubte, es habe ihn verloren. Aber dann sah sie eines seiner Ohren durch das Loch spitzen. Der hohe Luftdruck hielt ihn oben und verhinderte, dass er fiel. Sie kroch rüber, schnappte Toto beim Ohr und zog ihn zurück ins Zimmer. Dann schloss sie die Falltür um zu verhindern, dass sowas nochmals passieren konnte.
Stunde um Stunde verging und Dorothy überwand langsam ihre Angst; aber sie fühlte sich allein und der Wind heulte so laut um sie herum, dass sie fast taub wurde. Zuerst hatte sie darüber nachgedacht, ob es sie in Stücke reißen würde, wenn das Haus am Boden zerschellte; aber als die Zeit verging und nichts Schreckliches passierte, vergaß sie ihre Sorgen und begann darüber zu grübeln, was die Zukunft wohl bringen würde. Schließlich kroch sie über den schwankenden Boden zu ihrem Bett und legte sich hinein. Toto folgte ihr und kuschelte sich an ihre Seite.
Obwohl das Haus immer noch heftig schwankte und der Wind lärmte fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein.
Sie wurde wach durch eine Erschütterung, die so plötzlich und heftig kam, dass sie sich sicher verletzt hätte, wäre sie nicht auf dem weichen Bett gelegen. Der Schlag ließ ihr den Atem stocken und sie fragte sich, was wohl passiert war. Toto rieb ihr seine feuchte Nase ins Gesicht und jaulte kläglich. Dorothy saß auf und bemerkte, dass sich das Haus nicht mehr drehte. Auch die Dunkelheit draußen war dem hellen Sonnenschein gewichen. Er kroch durchs Fenster und überflutete den kleinen Raum. Sie sprang aus dem Bett, Toto ihr auf den Fersen, und öffnete die Tür.
Das kleine Mädchen tat einen Jauchzer der Begeisterung und ihre Augen wurden größer und größer ob der vielen wundervollen Dinge, die sie sah.
Der Wirbelsturm hatte ihr Haus, für einen Wirbelsturm sogar sehr sanft, in einem Land von wundervoller Schönheit abgesetzt. Überall war grüner Rasen zu sehen und die Bäume hingen voller großer und köstlich aussehender Früchte. Das Grün war durchsetzt von herrlich blühenden Blumen und Vögel mit schillerndem Gefieder sangen in den Bäumen und Büschen. Etwas weiter weg suchte sich ein kleiner, sprudelnder Bach seinen Weg zwischen grünen Ufern und sein Rauschen versetzte das kleine Mädchen, das so lang in der trockenen, grauen Prärie gelebt hatte, in einen Zustand tiefer Dankbarkeit.
Während sie diese fremden und schönen Eindrücke in sich aufsog bemerkte sie, wie eine Gruppe der sonderbarsten Leute, die sie jemals gesehen hatte, auf sie zukam. Sie waren kleiner als die Leute, mit denen sie sonst zu tun gehabt hatte; aber sie waren auch nicht wirklich klein. Tatsächlich waren sie etwa so groß wie Dorothy, die für ihr Alter recht gut gewachsen war – aber sie waren deutlich älter als das Mädchen, sofern man das von ihrem Gesicht ableiten konnte.
Es waren drei Männer und eine Frau, und alle drei trugen seltsame Kleidung. Sie trugen runde Hüte, die dreißig Zentimeter über ihrem Kopf in einer Art Zipfel mündeten. An den Hutkrempen waren kleine Glöckchen befestigt, die leise klingelten, wenn sich die Leute bewegten. Die Hüte der Männer waren blau; die Frau trug einen weißen Hut und ihre weiße Robe fiel in Wellen von ihren Schultern. Sie war übersät mit kleinen Sternen, die in der Sonne wie Diamanten blitzten.
D
Die Männer trugen Gewänder in dem gleichen Blau ihrer Hüte und blitzblank polierte Stiefel. Dorothy dachte, dass die Männer ungefähr so alt sein müssten wie Onkel Henry, denn zwei von ihnen trugen ähnliche Bärte. Aber die kleine Frau war zweifellos viel älter: ihr Gesicht war von Falten durchfurcht, ihr Haar fast weiß und sie ging sehr steif.
Als sich diese Leute dem Haus näherten, in dessen Flur Dorothy nach wie vor stand, hielten sie innen und flüsterten miteinander, als ob sie Angst hatten näher zu kommen. Dann aber lief die kleine Frau zu Dorothy hin, verbeugte sich und sagte mit einer süßen Stimme:
"Sei willkommen, höchst edle Zauberin, im Land der Munchkins. Wir sind dir ewig dankbar dafür, dass du die böse Hexe des Ostens getötet und unser Volk aus seiner Knechtschaft befreit hast."
Dorothy hörte mit großem Erstaunen zu. Was meinte die kleine Frau? Warum wurde sie eine Zauberin genannt? Und wen soll sie getötet haben? Die böse Hexe des Ostens? Dorothy war ein unschuldiges, harmloses kleines Mädchen das von einem Wirbelsturm meilenweit ihrer Heimat entrissen wurde – und sie hatte noch nie im Leben irgendetwas getötet.
Aber die kleine Frau wartete offensichtlich auf eine Antwort; also sagte Dorothy zögerlich:
"Du bist sehr nett, aber da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich habe nichts und niemanden getötet."
"Du nicht, aber dein Haus", antwortete die kleine Frau lachend. "Und das ist dasselbe. Schau!", fuhr sie fort und zeigte auf eine Ecke des Hauses; "dort siehst du ihre Schuhe, die immer noch unter dem Holz hervorschauen."
Dorothy sah hin und ließ einen kleinen Angstschrei. Tatsächlich schauten genau unter dem großen Holzbalken, auf dem das Haus ruhte, zwei Füße heraus, die in silbernen Schuhen mit spitzen Zehen steckten.
"Nein, oh nein", rief Dorothy und klatschte ihre Hände in Verzweiflung zusammen."Das Haus muss direkt auf sie drauf gefallen sein. Was kann ich nur tun?"
"Du kannst nichts mehr tun", sagte die kleine Frau ruhig.
"Aber wer war sie?", fragte Dorothy.
"Sie war die böse Hexe des Ostens, wie ich gesagt habe", antwortete die kleine Frau. "Sie hat all die kleinen Munchkins jahrelang unterdrückt und sie Tag und Nacht Sklavenarbeit verrichten lassen. Nun sind sie alle frei und dir zu großer Dankbarkeit verpflichtet."
"Wer sind die Munchkins?", erkundigte sich Dorothy.
"Sie leben hier im Land des Ostens, wo die böse Hexe regierte."
"Bist du auch ein Munchkin?", fragte Dorothy.
"Nein; aber ich bin ihr Freund, obwohl ich im Land des Nordens lebe. Als die Munchkins sahen, dass die böse Hexe des Ostens tot war, schickten sie schnell einen Boten nach mir und ich kam sofort. Ich bin die Hexe des Nordens."
"Du meine Güte!", rief Dorothy. "Du bist eine echte Hexe?"
"Oh ja", antwortete die kleine Frau. "Aber ich bin eine gute Hexe und die Leute lieben mich. Ich bin nicht so mächtig wie die böse Hexe, die hier regiert hat, sonst hätte ich die Munchkins selbst befreien können."
"Ich dachte alle Hexen seien böse", sagte das kleine Mädchen, etwas erschreckt darüber dass sie es mit einer echten Hexe zu tun hatte.
"Oh nein, das ist ein großer Aberglaube. Es gab nur vier Hexen im gesamten Land Oz und zwei von ihnen, die aus dem Norden und Süden, waren gute Hexen. Ich weiß, dass dies wahr ist, schließlich bin ich ja eine von ihnen. Die aus dem Osten und Westen waren tatsächlich böse Hexen; nachdem du nun aber eine von ihnen getötet hast gibt es nur noch eine böse Hexe – die aus dem Westen."
"Aber", sagte Dorothy nach einer kurzen Denkpause, "Tante Em hat mir erzählt dass alle Hexen tot sind, und zwar schon viele Jahre."
"Wer ist Tante Em?", fragte die kleine Frau neugierig.
"Sie ist meine Tante und lebt in Kansas, da wo ich auch hergekommen bin."
Die Hexe des Nordens dachte eine Weile nach, den Kopf nach vorne geneigt und angestrengt auf den Boden schauend. Dann schaute sie auf und sagte:
"Ich habe keine Ahnung, wo Kansas ist. Von diesem Land habe ich noch nichts gehört. Leben dort zivilisierte Menschen?"
"Aber sicher", antwortete Dorothy.
"Dann ist das die Lösung. In den zivilisierten Ländern gibt es keine Hexen mehr; und auch keine Zauberer, Zauberinnen oder Magier. Aber weißt du, das Land von Oz wurde nie zivilisiert, es ist sozusagen vom Rest der Welt abgeschnitten. Darum gibt es hier auch noch Hexen und Zauberer."
"Wer sind die Zauberer?", fragte Dorothy.
"Oz selbst ist ein großer Zauberer", erwiderte die Hexe und ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. "Er ist mächtiger als wir alle zusammen. Er lebt in der Smaragdstadt."
Dorothy wollte gerade eine weitere Frage stellen als die Munchkins, die bisher schweigend neben ihnen gestanden hatten, einen Schrei von sich gaben und zu der Ecke des Hauses zeigten, wo die Hexe gelegen hatte.
"Was ist los?", fragte die kleine Frau; und schaute selbst und begann zu lachen. Die Füße der toten Hexe waren verschwunden und nur noch die silbernen Schuhe waren übrig geblieben.
"Sie war so alt", erklärte die Hexe des Nordens, "dass sie in der Sonne sehr schnell ausgetrocknet ist. Das ist ihr Ende. Aber die silbernen Schuhe gehören nun dir und du musst sie tragen." Sie bückte sich, hob die Schuhe auf und übergab sie an Dorothy, nachdem sie den Staub heraus geschüttelt hatte.
"Die Hexe des Ostens war stolz auf diese Schuhe", sagt einer der Munchkins, "und es ist wohl ein Zauber damit verbunden. Aber wir haben nie mehr darüber erfahren können."
Dorothy trug die Schuhe ins Haus und legte sie auf den Tisch. Dann ging sie wieder hinaus zu den Munchkins und sagte:
"Ich würde gerne zu meiner Tante und meinem Onkel zurückkehren, sie werden sicher schon nach mir suchen. Könnt ihr mir dabei helfen?"
Die Munchkins und die Hexe schauten sich erst gegenseitig an und dann wieder zu Dorothy. Dann schüttelten sie die Köpfe.
"Im Osten, gar nicht weit weg", sagte ein Munchkin, "ist eine große Wüste und niemand hat sie je durchquert."
"Im Süden dasselbe", sagte ein anderer, "Ich war dort und habe es gesehen. Der Süden ist das Land der Quadlinge."
"Mir sagte man", meinte ein dritter Munchkin, "dass es genau so im Westen ist. Und dieses Land, wo die Winkies leben, wird von der bösen Hexe des Westens regiert, die dich sofort zu ihrem Sklaven machen wird, wenn du sie treffen würdest."
"Der Norden ist meine Heimat", sagte die alte Dame, "und an den Grenzen befindet sich dieselbe Wüste, die dieses Land von Oz umschließt. Ich befürchte, meine Liebe, dass du bei uns leben musst."
Daraufhin begann Dorothy zu schluchzen. Sie fühlte sich einsam unter all diesen fremden Leuten. Ihre Tränen schienen die sanftmütigen Munchkins zu rühren, denn sie zogen sofort ihre Taschentücher raus und begannen ebenfalls zu weinen. Die alte Frau aber nahm ihren Hut ab, balancierte seine Spitze auf ihrer Nase und begann feierlich zu zählen: "Eins, zwei, drei." Sofort verwandelte sich der Hut in eine Schiefertafel auf der mit weißer Kreide geschrieben stand:
"LASST DOROTHY ZUR SMARAGDSTADT GEHEN!"
Die kleine Frau nahm die Tafel von ihrer Nase und fragte, nachdem sie den Satz gelesen hatte:
"Ist dein Name Dorothy, meine Liebe?"
"Ja", antwortete das Mädchen, schaute auf und trocknete ihre Tränen.
"Dann musst du zur Smaragdstadt gehen. Vielleicht kann Oz dir helfen."
"Wo ist diese Stadt?", fragte Dorothy.
"Sie liegt ganz genau in der Mitte dieses Landes und wird von Oz regiert, dem großen Zauberer von dem ich dir erzählt habe."
"Ist er ein guter Mann?", wollte das Mädchen ängstlich wissen.
"Er ist ein guter Zauberer. Ob er ein Mann ist oder nicht kann ich dir nicht sagen, ich habe ihn nie gesehen."
"Wie komme ich dorthin?", fragte Dorothy.
"Zu Fuß. Es ist ein langer Weg durch ein Land, das manchmal freundlich, aber manchmal auch dunkel und schrecklich ist. Doch ich werde all meine magischen Künste einsetzen, um dich vor Schaden zu bewahren."
"Kannst du nicht mit mir gehen?", bat das Mädchen, die in der kleinen Frau nunmehr ihre einzige Freundin sah.
"Nein, das kann ich nicht tun", antwortete sie, "aber ich werde dir meinen Kuss mitgeben. Niemand wird es wagen, jemanden zu verletzen, der von der guten Hexe des Nordens geküsst wurde."
Sie kam ganz nahe an Dorothy heran und küsste sie auf die Stirn. Später fand Dorothy heraus dass dort, wo die Lippen der Hexe ihre Haut berührt hatten, eine runde, leuchtende Stelle zu sehen war.
"Die Straße zur Smaragdstadt ist mit gelben Steinen gepflastert", erklärte die Hexe, "du kannst sie nicht verfehlen. Wenn du zu Oz kommst, hab keine Angst vor ihm. Erzähl ihm deine Geschichte und ersuche ihn um Hilfe. Auf Wiedersehen, meine Liebe."
Die drei Munchkins verbeugten sich tief vor ihr und wünschten ihr eine gute Reise. Dann verschwanden sie durch die Bäume. Die Hexe nickte Dorothy freundlich zu, drehte sich dreimal auf ihrem linken Absatz und war urplötzlich verschwunden – ganz zur Überraschung von Toto. Der hatte sich vor lauter Angst nicht getraut, die Hexe anzuknurren und bellte nun umso lauter ihrem Verschwinden nach.
Nun, da Dorothy allein war, verspürte sie Hunger. Sie ging zum Küchenschrank und schnitt sich eine Scheibe Brot, die sie mit Butter bestrich. Auch Toto bekam etwas davon ab. Dann nahm sie einen Kübel vom Regal, lief hinunter zu dem kleinen Bach und füllte ihn mit klarem, sprudelndem Wasser. Toto lief rüber zu den Bäumen und begann die dort sitzenden Vögel zu verbellen. Dorothy ging ihn holen und sah auf dem Weg so lecker aussehende Früchte, dass sie sofort welche davon pflückte und so zu einem gesunden Frühstück kam.
Dann ging sie zurück zum Haus und gönnte sich und Toto jeweils ein schönes Glas des kühlen und klaren Wassers. Dann war sie bereit für die Reise in die Smaragdstadt.
Dorothy hatte nur ein weiteres Kleid, aber das hing zufälligerweise frisch gewaschen auf einem Bügel neben dem Bett. Es war aus Baumwolle und blau-weiß kariert; und obwohl gerade das Blau durch das viele Waschen schon ziemlich verblasst war machte es immer noch was her. Das Mädchen wusch sich sorgfältig, zog das saubere Kleid an und schnürte ihre rosafarbene Sonnenhaube fest. Sie nahm einen kleinen Korb und füllte ihn mit Brot aus dem Küchenschrank. Darüber legte sie ein weißes Tuch. Dann sah sie hinunter auf ihre Füße und bemerkte wie alt und schäbig ihre Schuhe waren.
"Sie taugen nicht für solch ein lange Reise, Toto", sagte sie. Und Toto schaute sie mit seinen kleinen schwarzen Augen an und gab mit Schwanzwedeln zu erkennen, dass er sie verstanden hatte.
In diesem Moment sah Dorothy auf dem Tisch die silbernen Schuhe der Hexe des Ostens liegen.
"Ich frage mich, ob sie mir passen würden", sagte sie zu Toto. "Sie wären genau richtig für so eine lange Wanderung, denn sie würden sich nicht abnutzen."
Sie zog ihre alten Lederschuhe aus und schlüpfte in die silbernen, die ihr so gut passten, dass man hätte meinen können, sie wären für sie gemacht worden.
Schließlich nahm sie ihren Korb auf.
"Komm mit, Toto", rief sie, "wir werden zur Smaragdstadt gehen und den großen Oz fragen, wie wir nach Kansas zurückkehren können."
Sie schloss die Tür, drehte den Schlüssel herum und steckte ihn dann sorgfältig in eine Tasche ihres Kleids. Und so begannen sie und Toto, der langsam hinter ihr her trottete, ihre Reise.