Der zerbrochene Krug - Heinrich von Kleist - E-Book

Der zerbrochene Krug E-Book

Heinrich Von Kleist

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Beschreibung

Heinrich veröffentlichte 1811 eine überarbeitete Form des Zerbrochenen Kruges, nachdem eine erste, unter Goethes Leitung aufgeführte, Fassung 1808 durchgefallen war. Die Komödie, die aufgrund eines Wettstreites mit Autorenkollegen entstand, gehört zu den bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Aufgrund eines zerbrochenen Kruges beginnt ein Gerichtsverfahren, in dessen Verlauf allerlei menschliche und gesellschaftliche Besonderheiten und Schwächen zutage treten.

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Personen:

Walter, Gerichtsrat

Adam, Dorfrichter

Licht, Schreiber

Frau Marthe Rull

Eve, ihre Tochter

Veit Tümpel, ein Bauer

Ruprecht, sein Sohn

Frau Brigitte

Ein Bedienter, Büttel, Mägde usw.

Die Handlung spielt in einem niederländischen Dorf bei Utrecht

Inhalt

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

Elfter Auftritt

Zwölfter Auftritt

Letzter Auftritt

Erster Auftritt

Adam sitzt und verbindet sich ein Bein. Licht tritt auf.

Licht

Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!

Was ist mit Euch geschehn? Wie seht Ihr aus?

Adam

Ja, seht. Zum Straucheln brauchts doch nichts als Füße.

Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier?

Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt

Den leid'gen Stein zum Anstoß in sich selbst.

Licht

Nein, sagt mir, Freund! Den Stein trüg jeglicher –?

Adam

Ja, in sich selbst!

Licht

Verflucht das!

Adam

Was beliebt?

Licht

Ihr stammt von einem lockern Ältervater,

Der so beim Anbeginn der Dinge fiel,

Und wegen seines Falls berühmt geworden;

Ihr seid doch nicht –?

Adam. Nun?

Licht

Gleichfalls –?

Adam

Ob ich –? Ich glaube –!

Hier bin ich hingefallen, sag ich Euch.

Licht

Unbildlich hingeschlagen?

Adam

Ja, unbildlich.

Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein.

Licht

Wann trug sich die Begebenheit denn zu?

Adam

Jetzt, in dem Augenblick, da ich dem Bett

Entsteig. Ich hatte noch das Morgenlied

Im Mund, da stolpr ich in den Morgen schon,

Und eh ich noch den Lauf des Tags beginne,

Renkt unser Herrgott mir den Fuß schon aus.

Licht

Und wohl den linken obenein?

Adam

Den linken?

Licht

Hier, den gesetzten?

Adam

Freilich!

Licht

Allgerechter!

Der ohnehin schwer den Weg der Sünde wandelt?

Adam

Der Fuß! Was? Schwer! Warum?

Licht

Der Klumpfuß?

Adam

Klumpfuß!

Ein Fuß ist, wie der andere, ein Klumpen.

Licht

Erlaubt! Da tut Ihr Eurem rechten unrecht.

Der rechte kann sich dieser – Wucht nicht rühmen,

Und wagt sich ehr aufs Schlüpfrige.

Adam: Ach, was!

Wo sich der eine hinwagt, folgt der andre.

Licht

Und was hat das Gesicht Euch so verrenkt?

Adam

Mir das Gesicht?

Licht

Wie? Davon wißt Ihr nichts?

Adam

Ich müßt ein Lügner sein – wie siehts denn aus?

Licht

Wie's aussieht?

Adam

Ja, Gevatterchen.

Licht

Abscheulich!

Adam

Erklärt Euch deutlicher.

Licht

Geschunden ists,

Ein Greul zu sehn. Ein Stück fehlt von der Wange,

Wie groß? Nicht ohne Waage kann ichs schätzen.

Adam

Den Teufel auch!

Licht bringt einen Spiegel.

Hier! Überzeugt Euch selbst!

Ein Schaf, das, eingehetzt von Hunden, sich

Durch Dornen drängt, läßt nicht mehr Wolle sitzen,

Als Ihr – Gott weiß wo? – Fleisch habt sitzen lassen.

Adam

Hm! Ja! 's ist wahr. Unlieblich sieht es aus.

Die Nas hat auch gelitten.

Licht

Und das Auge.

Adam

Das Auge nicht, Gevatter.

Licht

Ei, hier liegt

Querfeld ein Schlag, blutrünstig, straf mich Gott,

Als hätt ein Großknecht wütend ihn geführt.

Adam

Das ist der Augenknochen. – Ja, nun seht,

Das alles hatt ich nicht einmal gespürt.

Licht

Ja, ja! So gehts im Feuer des Gefechts.

Adam

Gefecht! Was? – Mit dem verfluchten Ziegenbock

Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ichs.

Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam

Ertrunken in den Lüften um mich greife,

Fass' ich die Hosen, die ich gestern abend

Durchnäßt an das Gestell des Ofens hing.

Nun fass' ich sie, versteht Ihr, denke mich,

Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt

Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,

Und häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr ich auf

Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock

Die Nase an der Ecke vorgestreckt.

Licht lacht. Gut, gut.

Adam

Verdammt!

Licht

Der erste Adamsfall,

Den Ihr aus einem Bett hinaus getan.

Adam

Mein Seel! – Doch, was ich sagen wollte, was gibts

Neues?

Licht

Ja, was es Neues gibt! Der Henker hols,

Hätt ichs doch bald vergessen.

Adam

Nun?

Licht

Macht Euch bereit auf unerwarteten

Besuch aus Utrecht.

Adam

So?

Licht

Der Herr Gerichtsrat kömmt.

Adam

Wer kömmt?

Licht

Der Herr Gerichtsrat Walter kömmt, aus Utrecht.

Er ist in Revisions-Bereisung auf den Ämtern,

Und heut noch trifft er bei uns ein.

Adam

Noch heut! Seid Ihr bei Trost?

Licht

So wahr ich lebe.

Er war in Holla, auf dem Grenzdorf, gestern,

Hat das Justizamt dort schon revidiert.

Ein Bauer sah zur Fahrt nach Huisum schon

Die Vorspannpferde vor den Wagen schirren.

Adam

Heut noch, er, der Gerichtsrat, her, aus Utrecht!

Zur Revision, der wackre Mann, der selbst

Sein Schäfchen schiert, dergleichen Fratzen haßt.

Nach Huisum kommen und uns kujonieren!

Licht

Kam er bis Holla, kommt er auch bis Huisum.

Nehmt Euch in acht.

Adam. Ach, geht!

Licht

Ich sag es Euch.

Adam

Geht mir mit Eurem Märchen, sag ich Euch.

Licht

Der Bauer hat ihn selbst gesehn, zum Henker.

Adam

Wer weiß, wen der triefäugige Schuft gesehn.

Die Kerle unterscheiden ein Gesicht

Von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist.

Setzt einen Hut dreieckig auf mein Rohr,

Hängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter,

So hält so'n Schubjak ihn, für wen Ihr wollt.

Licht

Wohlan, so zweifelt fort, ins Teufels Namen,

Bis er zur Tür hier eintritt.

Adam

Er, eintreten! –

Ohn uns ein Wort vorher gesteckt zu haben.

Licht

Der Unverstand! Als obs der vorige

Revisor noch, der Rat Wacholder, wäre!

Es ist Rat Walter jetzt, der revidiert.

Adam

Wenn gleich Rat Walter! Geht, laßt mich zufrieden.

Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen,

Und praktisiert, wie wir, nach den

Bestehenden Edikten und Gebräuchen.

Licht

Nun, ich versichr Euch, der Gerichtsrat Walter

Erschien in Holla unvermutet gestern,

Vis'tierte Kassen und Registraturen,

Und suspendierte Richter dort und Schreiber,

Warum? ich weiß nicht, ab officio.

Adam

Den Teufel auch? Hat das der Bauer gesagt?

Licht

Dies und noch mehr –

Adam. So?

Licht

Wenn Ihrs wissen wollt.

Denn in der Frühe heut sucht man den Richter,

Dem man in seinem Haus Arrest gegeben,

Und findet hinten in der Scheuer ihn

Am Sparren hoch des Daches aufgehangen.

Adam

Was sagt Ihr?

Licht

Hilf inzwischen kommt herbei,

Man löst ihn ab, man reibt ihn, und begießt ihn,

Ins nackte Leben bringt man ihn zurück.

Adam

So? Bringt man ihn?

Licht

Doch jetzo wird versiegelt

In seinem Haus, vereidet und verschlossen,

Es ist, als wär er eine Leiche schon,

Und auch sein Richteramt ist schon beerbt.

Adam

Ei, Henker, seht! – Ein liederlicher Hund wars –

Sonst eine ehrliche Haut, so wahr ich lebe,

Ein Kerl, mit dem sichs gut zusammen war;

Doch grausam liederlich, das muß ich sagen.

Wenn der Gerichtsrat heut in Holla war,

So gings ihm schlecht, dem armen Kauz, das glaub ich.

Licht

Und dieser Vorfall einzig, sprach der Bauer,

Sei schuld, daß der Gerichtsrat noch nicht hier;

Zu Mittag treff er doch ohnfehlbar ein.

Adam

Zu Mittag! Gut, Gevatter! Jetzt gilts Freundschaft.

Ihr wißt, wie sich zwei Hände waschen können.

Ihr wollt auch gern, ich weiß, Dorfrichter werden,

Und Ihr verdients, bei Gott, so gut wie einer.

Doch heut ist noch nicht die Gelegenheit,

Heut laßt Ihr noch den Kelch vorübergehn.

Licht

Dorfrichter, ich! Was denkt Ihr auch von mir?

Adam

Ihr seid ein Freund von wohlgesetzter Rede,

Und Euren Cicero habt Ihr studiert

Trotz Einem auf der Schul in Amsterdam.

Drückt Euren Ehrgeiz heut hinunter, hört Ihr?

Es werden wohl sich Fälle noch ergeben,

Wo Ihr mit Eurer Kunst Euch zeigen könnt.

Licht

Wir zwei Gevatterleute! Geht mir fort.

Adam

Zu seiner Zeit, Ihr wißts, schwieg auch der große

Demosthenes. Folgt hierin seinem Muster.

Und bin ich König nicht von Mazedonien,

Kann ich auf meine Art doch dankbar sein.

Licht

Geht mir mit Eurem Argwohn, sag ich Euch.

Hab ich jemals –?

Adam. Seht, ich, ich, für mein Teil,

Dem großen Griechen folg ich auch. Es ließe

Von Depositionen sich und Zinsen

Zuletzt auch eine Rede ausarbeiten:

Wer wollte solche Perioden drehn?

Licht. Nun, also!

Adam. Von solchem Vorwurf bin ich rein,

Der Henker hols! Und alles, was es gilt,

Ein Schwank ists etwa, der, zur Nacht geboren,

Des Tags vorwitz'gen Lichtstrahl scheut.

Licht. Ich weiß.

Adam

Mein Seel! Es ist kein Grund, warum ein Richter,

Wenn er nicht auf dem Richtstuhl sitzt,

Soll gravitätisch wie ein Eisbär sein.

Licht. Das sag ich auch.

Adam

Nun denn, so kommt, Gevatter,

Folgt mir ein wenig zur Registratur;

Die Aktenstöße setz ich auf, denn die,

Die liegen wie der Turm zu Babylon.

Zweiter Auftritt

Ein Bedienter tritt auf. Die Vorigen. – Nachher zwei Mägde.

Der Bediente

Gott helf, Herr Richter! Der Gerichtsrat Walter

Läßt seinen Gruß vermelden, gleich wird er hier sein.

Adam

Ei, du gerechter Himmel! Ist er mit Holla

Schon fertig?

Der Bediente

Ja, er ist in Huisum schon.

Adam

He! Liese! Grete!

Licht

Ruhig, ruhig jetzt.

Adam. Gevatterchen!

Licht

Laßt Euern Dank vermelden.

Der Bediente

Und morgen reisen wir nach Hussahe.

Adam

Was tu ich jetzt? Was laß ich?

Er greift nach seinen Kleidern.

Erste Magd tritt auf.

Hier bin ich, Herr.

Licht

Wollt Ihr die Hosen anziehn? Seid Ihr toll?

Zweite Magd tritt auf.

Hier bin ich, Herr Dorfrichter.

Licht

Nehmt den Rock.

Adam sieht sich um.

Wer? Der Gerichtsrat?

Licht

Ach, die Magd ist es.

Adam

Die Bäffchen! Mantel! Kragen!

Erste Magd

Erst die Weste!

Adam

Was? – Rock aus? Hurtig!

Licht zum Bedienten.

Der Herr Gerichtsrat werden

Hier sehr willkommen sein. Wir sind sogleich

Bereit, ihn zu empfangen. Sagt ihm das.

Adam

Den Teufel auch! Der Richter Adam läßt sich

Entschuldigen.

Licht. Entschuldigen!

Adam. Entschuld'gen.

Ist er schon unterwegs etwa?

Der Bediente. Er ist

Im Wirtshaus noch. Er hat den Schmied bestellt;

Der Wagen ging entzwei.

Adam

Gut. Mein Empfehl!

Der Schmied ist faul. Ich ließe mich entschuldigen.

Ich hätte Hals und Beine fast gebrochen,

Schaut selbst, 's ist ein Spektakel, wie ich ausseh;

Und jeder Schreck purgiert mich von Natur.

Ich wäre krank.

Licht

Seid Ihr bei Sinnen? –

Der Herr Gerichtsrat wär sehr angenehm.

– Wollt Ihr?

Adam. Zum Henker!

Licht. Was?

Adam

Der Teufel soll mich holen,

Ists nicht so gut, als hätt ich schon ein Pulver!