Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Des Reiches Krone ist eine historische Novelle von Wilhelm Raabe, die Anfang bis Mitte des 15ten Jahrhunderts spielt. Auszug: Am dreiundfünfzigsten Tage der Belagerung - anderthalb Jahrtausende nach dem Untergange der römischen Republik, neunhundertsiebenundsiebenzig Jahre, nachdem der König der Heruler den Knaben Romulus Augustulus auf das Landgut des Lucull in Kampanien gesendet hatte, - war Konstantinopel gefallen. Zwei Kaisertümer und zwölf Königreiche gab Gott in die Hand des zweiten Mohammed, Morads Sohn. Was die Christenheit in dumpfem Stumpfsinn, sich selber zerfleischend in Religionskriegen und Fehden der Fürsten und Völker, nicht abwehren wollte, das war nun vollendet. Der große Schrecken war da. Am Tage des heiligen Laurentius in diesem Jahre 1453 sitzt in einem engen Gemach in einem Hause am Paniersberge in Nürnberg ein greiser Mann, der schreibt, was wir nachher lesen. Das tiefe Fenster ist dem Hausgärtlein und darüber hin der Stadtmauer zugewendet. Das Stüblein ist kahl und ohne jeglichen Schmuck, doch über dem Garten liegt die Sonne, und der Tag ist freundlich und der Himmel blau.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 82
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Am dreiundfünfzigsten Tage der Belagerung – anderthalb Jahrtausende nach dem Untergange der römischen Republik, neunhundertsiebenundsiebenzig Jahre, nachdem der König der Heruler den Knaben Romulus Augustulus auf das Landgut des Lucull in Kampanien gesendet hatte, – war Konstantinopel gefallen. Zwei Kaisertümer und zwölf Königreiche gab Gott in die Hand des zweiten Mohammed, Morads Sohn. Was die Christenheit in dumpfem Stumpfsinn, sich selber zerfleischend in Religionskriegen und Fehden der Fürsten und Völker, nicht abwehren wollte, das war nun vollendet. Der große Schrecken war da. –
Am Tage des heiligen Laurentius in diesem Jahre 1453 sitzt in einem engen Gemach in einem Hause am Paniersberge in Nürnberg ein greiser Mann, der schreibt, was wir nachher lesen. Das tiefe Fenster ist dem Hausgärtlein und darüber hin der Stadtmauer zugewendet. Das Stüblein ist kahl und ohne jeglichen Schmuck, doch über dem Garten liegt die Sonne, und der Tag ist freundlich und der Himmel blau.
Es ist still und doch nicht still. Freilich ist das Gemach des Schreibers der Stadt und den Gassen abgewendet; aber ein seltsam Tönen und Summen schwirrt durch die Lüfte, und die alten tapfern, hohen Schutzmauern und Türme werfen den Schall gar eigen zurück; – es ist auch das Gemach des Schreibers mit dem Summen und Klingen, dem wunderlichen Rauschen gefüllt. Wer nicht seiner Gedanken und seiner Feder sicher und mächtig wäre, der möchte heute in Nürnberg wohl schwerlich ein künstlich Werk mit Griffel, Dinte Papier und Pergament vollenden.
Der graue Mann stützt wohl auch dann und wann die Stirn mit der Hand und horcht dem Getön; aber wahrlich, es hat nicht die Macht, ihn zu wirren; sein Auge sucht nur zeitweilig ein wenig nachdenklicher den lichten Himmel, aber er legt die Feder nicht nieder; er weiß mit Schreiberskunst Bescheid und hat wohl etwas zu sagen, was auch seine Macht behalten mag ob allem Schall und Farbenspiel der Erden.
Tolle! lege! Nimm und lies! Siehe, so schreibt der heilige Augustinus: »Siehe, da hörte ich von einem nahegelegenen Hause her eine singende, immer sich wiederholende Stimme, als wenn sie von einem Knaben oder Mädchen käme: ›Tolle, lege! Nimm und lies!‹, und die Farbe entwich mir, und ich sann, ob etwa in einem Kinderspiel diese Worte vorkämen, und konnte mich nicht erinnern, sie jemals gehört zu haben. Und die Tränen stockten mir plötzlich, ich stand auf und deutete es als eine göttliche Stimme!« – – Siehe, das ist es! Durch die große Vergünstigung, durch die Gnade Gottes habe auch ich die singende Stimme, halb wie die eines Kindes und halb wie die eines der Boten des Höchsten, vernommen und das Wort gefunden, das mir der Welt Wirrwarr deutete und mir den Frieden gab. Wie Divus Aurelius Augustinus habe ich von mir getan der circensischen Spiele Lust, des Kaisers Waffenglanz und Ehre und alle Pracht von Rom.
Ich habe gehört und gesehen – Dinge, wunderbar zu erzählen und zu beschreiben. Da ich noch jung war, hab auch ich ein helles Licht im Trübsal gesehen; – da ich noch jung war, hat sich auch mein Leben wenden müssen.
Was will Benedikta auf Sankt Sebald mit ihrem feierlichen Ruf? Was wollen die andern Glocken auf allen Türmen meiner Vaterstadt? Ich höre sie durcheinander nah und fern; ich höre meine Brüder und Schwestern sich drängen in den Gassen und über die Märkte mit Psalmen und Wehklagen – wie ein fernes großes Wasser im Aufruhr höre ich das Volk.
Nach Sankt Sebaldus Kirchhof strömt's auf den ehernen Ruf: Vox ego sum vitae, voco vos, orate, venite! Bruder Johannes Kapistranus stehet auf dem steinernen Predigtstuhl an der Mauer der Kirchen, zu predigen von der Heiden Sieg, des oströmischen Kaisers Fall, von des Antichrists Nahen und dem Untergange der Welt. Sein Ruf zur Buße ist über alle Glocken erklungen; in allen Städten, durch welche er gezogen ist, hat man Feuer angezündet und des Tages Tand und Eitelkeiten – Würfel und Brettspiel, Schellen und Schlitten, Wulsthauben und spitzige Schuhe – mit Geschrei und Weinen hineingeschleudert: so wird man heute auch in Nürnberg tun, hundertfache Üppigkeit von sich abstreifen und – in Hoffart und Lust der Welt sich morgen wiederfinden, wie man gestern war und heute ist.
Wahrlich, der eifrige franziskanische Mönch redet gut; alle Christenheit, zu der er gesprochen hat, hat das erfahren. Er redet nicht um Lob und Dank der Toren und Schwachen, er greift den Stärksten an das Herz, er schonet nicht. Die Männer im Harnisch packt er, und die eisernen Platten auf ihrer Brust werden wie das linde Gewand über den Brüsten der Weiber. Er fasset zu, und die, so gekrönte Helme tragen, müssen nieder auf die Kniee wie die Frauen, so von den Wiegen ihrer Kinder hergekommen sind, wie die Jungfrauen, so vom Kranzwinden und Sträußleinpflücken, von der Spindel oder dem Webstuhl kamen. Der Bruder Johannes redet gut, er übertönet die Glocken; aber mit welcher Zunge müßte er reden, wenn er die sanfte Stimme übertönen wollte, die vordem zu mir gesprochen hat?!
Ich habe nicht mehr Brettspiel und Würfelspiel, Schnabelschuhe und Geckengewand in die Flammen zu werfen; es ist nicht not, daß ich mich mit den andern auf Sankt Sebaldi Kirchhofe dränge; aber gewaltig ist der feuerige Mönch Johannes Kapistranus! Die große Unruhe, welche er über der Stadt Gemüter brachte, hat auch mich ergriffen; ich habe mich ihrer nicht erwehren mögen, und so sitze ich an diesem Tage Sancti Laurentii im Jahre, da Byzantium gefallen ist, und schreibe nieder, was ich erlebte in meiner Jugend, da auch des deutschen Volkes Krone beinahe verlorenging und da ich mit den andern stritt für die Krone. Während die Stadt sich bewegt und rauscht wie ferne Meeresflut, schreibe ich auf, was die sanfte Stimme sagte, die so frühe mich auf dem Wege durchs Erdenleben umrief und die auch aus wildester Zeit und verworrenstem Schrecknis mir zu Ohr und Herzen drang. –
Ich bin aus altem, ratsfähigem, nürnbergischem Geschlechte, habe die Rechte nicht ohne Fleiß und Verstand studieret zu Prag, bis ich bei begonnenen hussitischen Wirren auszog mit den andern gen Leipzig. Ich habe das Schwert geführt für die Stadt und das Reich, habe der Stadt Gleven befehligt in harten Schlachten und bin der Stadt Gesandter gewesen bei der Republik Venedig und bei der Königin von Neapolis, der zweiten Johanna. Marsilius Ficinus hat mich seinen Freund genannt, und Kosmus, der Mediceer, hat mich zu Florenz in seine Platonische Akademie aufgenommen. Ich bin der Herr meines Leibes und meines Hauses, ich bin ein reicher Mann und bin des Lebens müde.
Des Lebens müde?.... Nein; aber ich bin seit langen, langen Jahren des Lebens erfahren, und Bruder Johannes heute bei Sankt Sebald hat mir nichts zu sagen.
Ich bin wahrlich nicht des Lebens müde; aber wie der heilige Bischof von Hippo, Aurelius Augustinus, weiß ich, daß die Spiele der Erwachsenen Geschäfte genannt werden, und wie ich frühe die Spiele der Jugend von mir getan habe, so habe ich nun auch des Alters Spielen entsagt. Ich bin zur Ruhe gekommen durch die Gnade Gottes.
Zur Ruhe! Noch freue ich mich dieser meiner großen und trefflichen Vaterstadt, ihrer Kunst und Klugheit, ihrer Gunst und ihres Ruhmes bei den Nationen. Ich freue mich in der Erinnerung der Schönheit der Erden, wie ich das Glänzen des Tyrrhenischen Meeres im Sonnenlicht heut im Gedächtnis mir wecken kann. Ich freue mich der edlen Männer und Frauen, die mir begegnet sind unter Germaniens Himmel wie unter dem Himmel Italias. Wahrlich, ich sah vieles in der Welt, wahrlich, ich habe gelebt, und ich lebe; nur ist es heute nicht der Erden Gepränge, von welchem ich unter dem Glockengeläut des Bußpredigers bei Sankt Sebald schreibe.
Mit herzlicher Neigung habe ich immerdar an meiner Vaterstadt gehangen und sie keiner andern Stadt, sei sie noch so schön in Lorbeerwäldern gelegen gewesen, nachgesetzet. Mögen andere sich ihres Arno, ihrer blauen adriatischen Flut rühmen: ich preise die Stadt meines Vaters und meiner Mutter; – es ist immer still in mir geworden, wenn ich ihrer auf dem Wege gedacht habe. Ich preise hier an dieser Stelle und in dieser Stunde die Stadt, welche Mechthilden, die Grossin, geboren werden sah!
Als ich noch jung war, ist ein volkreich Leben in meines Vaters Hause gewesen; doch das ist nach und nach verstummet – eine Stimme nach der andern. Die alten Leute sind tot und die Brüder und Schwestern auch; ich bin allein übriggeblieben, und mein Tritt in dem alten Hause ist der einzige von vielen aus einer großen Freundschaft und Verwandtschaft, der den Widerhall erweckt auf den Stiegen und in den Gängen und Gemächern. Darum bin ich auch zurückgewichen aus den Gemächern, welche einst von so holdem Lärm erfüllt waren und welche in die bunte Gasse hinabsehen. Ich sitze wiederum in dem Stüblein, das mein gewesen ist, da ich ein Knabe und nachher, da ich ein Prager Student war. Ein enger Raum genügt mir, die ungeschmückte Wand ist mir lieber als die gezierte; ich liebe mein Gärtlein mehr als der Straßen Tumult, und die Baumwipfel, so bis zu meinem Gesims aufreichen, ergötzen mich mehr als aller Pomp der Aufzüge der Geschlechter und gemeinen Bürgerschaft, des Rates und der Geistlichkeit dieses erlauchten nürnbergischen Gemeinwesens.
Ich habe die stolzen Gemächer des Vorderhauses mit ihrem Geschmuck, Zierat, Schnitzwerk und aufgehängten Waffenwerk den Spinnen und Mägden überlassen: es ist die Jugendzeit, welche mich im hohen Alter in mein winzig Schülergemach zurückgezogen hat, es ist mein Garten und der, in welchem Mechthilde Grossin als ein klein Mägdlein spielte und als eine Jungfrau lustwandelte, die mich zu sich hinübergezogen haben.
Aber ich hauste damals auch nicht allein in dem kleinen Gemach. Im Jahre 1390 hatte Ritter Hans Groland mit seinem Bruder Ulrich seinen Burgstall Laufenholz der Stadt Nürnberg zu einem offenen Hause verschrieben, und verbunden hatten sich beide Brüder, daß weder sie noch einer ihrer Nachkommen das Haus an einen andern als einen Nürnberger Bürger oder eine Nürnberger Bürgerin verkaufen sollten. Als man aber im Jahr zweiundneunzig die große Schlagglocke auf Sankt Sebald einweihte, da sind schon beide Brüder gestorben gewesen, und des Ritters Hans Sohn, Michel Groland, ist meines Herrn Vaters Mündel geworden und zu uns ins Haus gebracht, da niemand sich seiner annehmen wollte. Mein Herr Vater aber hatte wenig mehr zu bemündeln als den wilden Junker selbst; denn das Geschlecht hatte von alten Zeiten her schlimm gewirtschaftet, und es war für den letzten daraus wenig übriggeblieben von Lehen und Allod, wie denn die Grossen schon seit Kaiser Ludwigs des Bayern Zeiten Burgglessen, so denen von Laufenholz eignete, innehatten.
Der wilde Junker Michel ist mein Freund gewesen, und Mechthilde Grossin die Braut des Junkers. Auch ihre Stimmen sind verstummt, ihre Fußtritte verhallet: Tolle! lege! – tolle! lege! –