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Raumpatrouille Orion ist eine Kult-Fernsehserie der späten 1960 Jahre. Es war die erste gelungene SF-Serie aus Deutschland. Die in schwarz-weiß gehaltenen Sendungen waren das, was man einen Straßenfeger nannte. Millionen saßen vor den Fernsehern und folgten der Crew von Alastair McLane alias Dietmar Schönherr.
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 4
Deserteure
Saphir im Stahl
Raumpatrouille Orion 4
Hanns Kneifel - Deseteure
e-book Nr: 278
Erste Auflage 01.02.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Crossvalley Smith
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 4
Deserteure
Saphir im Stahl
EINS
Luna secunda ... Der tote Satellit eines unfruchtbaren, atmosphärelosen Planeten lag im Raumkubus Drei/Ost 109. Er stellte nichts anderes dar als eine der verblüffenden Ungesetzmäßigkeiten des Kosmos. Innerhalb der Raumkugel von 900 Parsek Durchmesser, in deren absolutem Mittelpunkt das Sonnensystem mit dem Planeten Terra lag, gab es – ein kosmischer Zufall? – zwei völlig identische Monde. Der Mond der Erde und Luna secunda, den Zweiten Mond. Jede einzelne Kleinigkeit war doppelt vorhanden. Jeder Krater, jedes Meteorfeld, die gesamte Topographie. Bahnabstände vom Planeten, Umdrehungsgeschwindigkeit, Schwerkraft und sämtliche anderen Daten waren identisch.
Luna secunda war absolut leblos, unbewohnt ... und war raummilitärisches Sperrgebiet. Nur einige vollrobotische Nachrichtengeräte waren im Mondboden verankert. Cliff Allistair McLane war ein erfahrener Raumfahrer, aber jedes Mal packte ihn ein Bild dieser Art aufs Neue. Es war fast unheimlich, wie sich aus der sternübersäten Dunkelheit des Kosmos plötzlich eine sichelförmige Linie abzuzeichnen begann. Aus der Linie wurde, je näher das Schiff an den Körper heranflog, eine Halbkugel mit einer scharfen Trennlinie von Licht und Schatten. Krater taten sich auf, Krater in sämtlichen Größen, Höhen und Durchmessern.
Eine schweigende Welt, tagelang von Hitze bestrahlt und ebenso lange von Kälte zerfressen, bildete sich auf dem großen runden Zentralschirm, vor dem McLane saß. Ein scharfgestochener geschwungener Rand schob sich ins Bildfeld. Der „Südpol“ des Zweiten Mondes. Die ORION VIII raste weiter in einer gewaltigen bogenförmigen Bahn mit rund neunhundert Kilometern Abstand zur Oberfläche des Trabanten. Die Duplikate der bekannten Krater des nordöstlichen Mondviertels wurden sichtbar; die ausgeprägten ringförmigen Aufwerfungen der Krater Kopernikus, Plato, Aristyllus und Archimedes. Die Riesenfläche des Mare Imbrium – des Regenmeeres – weitete sich aus, in stechendem Sonnenlicht liegend.
Es gab dennoch einen Unterschied zum irdischen Mond: Das Licht, das er wiedergab, war von kaltem Blau. Die Sonne, die dieses Licht, mehr als eine Astronomische Einheit entfernt, aussandte, war ein blauer Stern. Und das grelle Licht auf sämtlichen Flächen des Trabanten machte aus dem verlassenen Mond mit hoher Albedo eine Gespensterlandschaft voller Risse und Grabenbrüche, voller Staubmeere und scharfkantiger Gebirge. Die Tonbandstimme des Kursautomaten ertönte.
„Objekt zeichnet. Ziel erkannt.“ McLane blickte von der farbigen Holoprojektion auf und erkannte das magere Gesicht von Silvan Rott neben sich. Rott war Waffenoffizier und flog seit drei Tagen mit McLane.
„Das Ziel ist der Krater Harpalus“, flüsterte Rott. Er war an Bord, um mit dem erfahrenen Commander eine neue Waffe auszuprobieren. Man fand kein besseres Zielgebiet als diesen Mond, auf dem nichts zerstört wurde außer Felsformationen, die ihr Entstehen anderen Arten der Zerstörung zu verdanken hatten.
„Ich weiß“, erwiderte McLane ebenso leise. „Der Abflugkurs ist programmiert worden.“
Rott nickte schweigend.
„Harpalus“, sagte Mario de Monti und deutete auf ein Blatt des dicken Handbuches, „ist ein tiefer Krater von fünftausenddreihundert Metern. Eine zentrale Aufwerfung fehlt. Südlich davon liegt der Sinus Iridum. Der Krater Harpalus hat einen Durchmesser von fünfunddreißig Kilometern.“
McLane pfiff durch die Zähne. „Beachtlich!“ sagte er. Er betätigte einen Schalter. Das Bild auf dem runden Zentralschirm überzog sich mit einem Gitternetz, dessen innerstes Element eine Zieleinrichtung enthielt. Dahinter schwebte ein Ausschnitt der blauleuchtenden Kugel. Rott und McLane blickten sich an.
„Fertig, Commander?“ fragte Rott.
„Wir können beginnen“, erwiderte McLane ernst. „Was versprechen Sie sich davon?“
Rotts schmales, fast asketisches Gesicht blieb unbewegt. „Eine Demonstration einer neuartigen Waffe“, sagte er. „Einer Waffe, die wir hoffentlich niemals anzuwenden brauchen.“
„Warum“, fragte Hasso Sigbjörnson ruhig, „wurde sie dann entwickelt?“
„Um eine Wiederholung der grauenvollen Stunden unmöglich zu machen, in denen sich ein brennender Planet dem System näherte und es zu zerstören drohte. Wenn die Fremden weiter fortfahren, Angriffe gegen die Erde zu richten, müssen wir uns wehren können.“
„Ich verstehe“, sagte Hasso. Cliff flog mit der ORION VIII eine enge Kurve und entfernte sich wieder vom Zielgebiet. Einige Minuten lang verharrte der schlanke Diskus mit den beiden Werfernadeln auf dem Oberteil auf der Fluchtlinie, dann wurde die Geschwindigkeit abermals abgebremst; McLane hatte die manuelle Steuerung benutzt.
„Entfernung, Atan?“ fragte er.
„Elfhundert Kilometer.“
„Ich übergebe an Overkill-Steuerung.“ Schalter klickten, und der Digitalrechner begann hinter den dicken Abschirmwänden zu arbeiten. Im Eingabeelement leuchteten die Lichtreihen auf, und summende Geräusche erklangen.
„Wir fliegen jetzt“, erklärte Rott leise, „vollkommen automatisch. Bei Abstand eintausend Kilometer beginnt die Steuerung einzusetzen, bei Abstand fünfhundert wird Overkill eingesetzt.“
Cliff McLane griff rechts neben sich und umfasste den Kopf des Fahrthebels; eine silbern glänzende Kunststoffkugel. Dann schob der Commander den Hebel nach vorn. Mit einem klickenden Laut rastete der Hebelarm ein, und die ORION beschleunigte mit der gesamten Kraft ihrer neuen Maschinen.
„Eintausendfünfhundert Kilometer ...“, meldete der Astrogator Atan Shubashi. Der schlanke Diskus raste in einer mathematisch exakten Geraden auf den Wall des Kraters Harpalus zu. Nur das Summen der Maschinen war zu hören, sonst nichts.
„Eintausend Kilometer ...“ Das gestochen scharfe Bild auf dem runden Schirm begann sich zu verändern; die Ränder flossen auseinander. Die fünfunddreißig Kilometer des Harpalus blieben in der Mitte des Bildes, unter dem Gitternetz mit seiner Feineinteilung und den selbstleuchtenden Zielkreisen.
„Computer übernimmt!“ sagte Mario de Monti. Man hatte in die ORION VIII eine komplette Steuerung eingebaut, die über den Bordrechner, eine veritable KI, lief und einen optimalen Kurs errechnete. Der Einsatz einer Waffe, die nahezu jede Art von Materie in Gas verwandelte, erforderte Sorgfalt und Schnelligkeit.
„Kommandant an Bordbuch: Overkill-Einsatz beginnt.“
Der Krater wurde größer, die einzelnen Strukturen der Felsen und der Zonen pulverisierter Mondmaterie wurden deutlicher.
„Neunhundert Kilometer ...“, sagte Atan deutlich. Es schien, als halte Rott, der neben McLane stand und sich mit beiden Händen auf das Steuerpult stützte, den Atem an. Der Eindruck der Gefahr, der von dem Bild ausging, war sehr überzeugend – man konnte denken, dass binnen weniger Sekunden die ORION genau auf den oberen Rand des Ringwalles aufschlug.
„Achthundert Kilometer.“ Die Stimme Shubashis klang ruhig, obwohl seine Geräte denselben Vorgang aufnahmen und er die Zahlen vor Augen hatte. Er wusste, was ein von de Monti programmierter Computer, an den die Steuerung angeschlossen war, leisten konnte. Das Schiff konnte Millimeter über der Gesteinskuppe dahinfegen, so genau arbeitete der Digitalrechner.
„Sechshundert Kilometer.“
Am Unterteil der ORION öffnete sich eine nachträglich angebrachte Klappe. Ein Stück Stahlblech, mit Beryllium legiert, schob sich in einen Spalt der Außenschale. Die leuchtenden Elemente einer kompliziert aussehenden Maschine wurden sichtbar. Neben einem rohrförmigen Schlussstück richtete eine Zielkamera ihre blauvergüteten Objektivaugen auf die Ebene im Harpalus.
„Vierhundert.“
Der Krater füllte jetzt fast den halben Schirm aus. Mit gesteigerter Geschwindigkeit fegte die ORION auf die Ebene zu. Einige Sekunden vergingen. Dann geschah es. Das Schiff stieg in einem steilen Winkel nach oben, während die Zieleinrichtungen das Bild erfasst hielten. Die Pfeiftöne, fünf an der Zahl, waren verklungen. Ein fahler Lichtblitz flammte auf. Noch diese Sekunde war die Ebene des Harpalus sichtbar gewesen. Dann hatte ein leichter Staubschleier sich über das Bild gebreitet und die Sicht getrübt.
„Verdammt ...!“ Entfuhr es McLane. Der Krater existierte nicht mehr. Er setzte sich am Innenhang des Ringgebirges fort. Statt der staubbedeckten Ebene mit einem Schwarm kleiner Meteoriteneinschläge erstreckte sich von den Rändern des Kraters ein umgedrehter Spitzkegel. Die Wände waren tief und zerfurcht, als habe ein gigantischer Bagger sie geformt.
„Lotung, Atan!“ bat McLane.
„Einen Moment!“ Atan setzte einen Entfernungsmesser für kürzere Distanzen ein und erhielt so genauere Zahlen.
„Durchmesser unverändert fünfunddreißig Kilometer“, sagte er beeindruckt. „Tiefe fünfzig Kilometer.“
Klick! Der Geschwindigkeitshebel der Manuellsteuerung glitt langsam nach vorn: Der Digitalrechner hatte das Schiff wieder an den Commander übergeben. Die ORION war bei fünfhundert Kilometern Entfernung in ihrem Anflug abgefangen worden, stieg jetzt senkrecht in die Höhe und entfernte sich immer mehr vom Zweiten Mond. Die robotischen Geräte verzeichneten das Beben, das durch ein spitzkegeliges Loch der Oberfläche und die zusammenbrechende statische Ausgewogenheit verursacht wurde.
Eine halbe Minute lang herrschte Schweigen in der Kanzel, während der Diskus steuerlos, aber nicht unkontrolliert weiterflog. Auf der Sichtscheibe erschien das runde Bild des Zweiten Mondes. Ein tiefes Loch klaffte inmitten von Luna secunda.
„Eine grauenvolle, lautlose Waffe“, sagte McLane schließlich zu Silvan Rott. „Der Krater ist mindestens fünfzigmal so tief.“
„Entfernung dreitausend Kilometer“, sagte Atan. „Rückflug zur Erde?“
„Ja, Atan“, sagte McLane. „Es eilt nicht. Lass dir bitte von Mario die Kurskoordination geben.“
Rott nickte. „Eines Tages“, sagte er mit einer Stimme, die noch die Erschütterung enthielt, „eines Tages kommt es vielleicht zu einem entscheidenden Kampf mit den Extraterrestriern. Wir haben bei dem letzten Einsatz festgestellt, dass ihre Schirme gegen unsere Strahlwaffen fast immun sind.“ Er blieb an den Kommandotisch gelehnt stehen und betrachtete nachdenklich seine spitz zugefeilten Fingernägel.
„Soll das heißen, dass die Theoretiker der Meinung sind, unsere Werfer und Laserkanonen wären überholt?“
McLanes Stimmung war nicht die beste; er fühlte sich mit einer derart fürchterlichen Waffe an Bord nicht besonders wohl.
„Nicht gerade überholt“, antwortete Silvan Rott.
„Aber?“
„Aber mit Overkill sind wir in der Lage, angreifende feindliche Schiffe ab einer Entfernung von rund tausend Kilometern zu vernichten, trotz schwerer und starker Schirme. Zehn Schiffe können einen Planeten so verwüsten, dass nichts Lebendes mehr übrigbleibt.“
Cliff betrachtete Rott nachdenklich und schweigend. „Das scheint mehr Theorie als Praxis zu sein, Silvan“, sagte er schließlich. „Außerdem gefällt mir die Entwicklung nicht. Es wäre idiotisch zu behaupten, ich sei praktizierender Pazifist, aber wozu sollten wir mit zehn Schiffen einen Planeten zerstören? Soviel Planeten gibt es in unserem Kontrollbezirk auch wieder nicht.“
Rott lächelte eisig und erwiderte: „Ich brauche gerade Ihnen, Commander McLane, nicht zu sagen, welche Gefahren in dieser Zeit auf die Erde zugekommen sind und womöglich noch zukommen werden. Niemand hat Lust, diese Waffe auch nur einmal einzusetzen.“
„Außer Ihnen, Rott, der seit drei Tagen von nichts anderem spricht als von Anflugwinkeln, Verzögerungen und vergaster Materie.“
Überrascht drehte Hasso Sigbjörnson, der Raumingenieur der ORION, seinen weißhaarigen Kopf herum und musterte Cliff und Silvan.
„Sie flogen mit dem Schiff einen Einsatz, nicht mehr.“
Blitzschnell konterte der Commander. „Einen Einsatz, der zu nichts anderem als zur Zerstörung gut war.“
Rott nickte heftig. „Jawohl. Wir haben lediglich tote Materie zerstört. Wir haben niemandem auch nur ein Haar gekrümmt. Aber dafür haben wir eine sehr wertvolle Einsicht gewonnen, wenn wir in drei Tagen in Basis 104 landen.“
„Welche?“ fragte Cliff McLane kurz.
„Dass wir eine Waffe besitzen, mit der wir das Leben der Erde und aller Kolonisten schützen können, wenn es die Situation erfordert. Ist das nicht auch für Sie eine Beruhigung?“
„Wir wissen noch immer nichts Substantielles über die Fremden“, erwiderte Cliff. „Vielleicht haben sie eine Waffe, die Overkill überlegen ist?“
„Vielleicht!“ sagte Silvan Rott. Man hatte offensichtlich lange nach einer Bezeichnung für die neuartige Waffe gesucht und den Namen irgendwo in den Archiven gefunden, die sich mit der Waffentechnik des längst verflossenen zwanzigsten Jahrhunderts befassten. Die Möglichkeit, einem Gegner mehr Schaden zufügen zu können, als dieser einem selbst verursachen konnte, war damals mit overkill bezeichnet worden. Dieser Name war ausgegraben worden. Overkill ...
„Was wir von den Extraterrestriern wissen“, schränkte Rott ein, „ist nicht viel. Zugegeben. Wir rätseln noch immer an der Technik herum, die in den Schiffen zutage tritt. Den Schiffen, die Sie und Ihre Männer auf MZ Vier entdeckt haben. Aber was wir inzwischen wissen, genügt uns, um auf alles gefasst zu sein. Denken Sie an den brennenden Planeten!“
Cliff schluckte schwer. Er dachte daran, und noch heute brach der Schweiß auf seiner Stirn aus, wenn er sich die langen Stunden der Versuche und den Aufenthalt im Hyperraum vergegenwärtigte.
„Sie haben eine feine Art“, sagte er und grinste etwas verzerrt, „meine Mannschaft und mich zu beruhigen. Schöne Aussichten. Das Leben in der Flotte scheint einiges von seinem Reiz eingebüßt zu haben, seitdem ich degradiert wurde.“
Rott zuckte ungerührt die schmalen Schultern.
„Helga?“ sagte Cliff und wandte sich an die Funkerin.
„Hier. Brauchst du mich?“
„Ja“, erwiderte er und deutete auf die Lampen ihres Funkpultes.
„Richte einen Hyperraumspruch an die Erde. T.R.A.V. und O.R.B.“
„Inhalt?“ fragte die schwarzhaarige junge Frau, Offizier der Raumüberwachung und die perfekteste Funkerin, die unter McLane je gearbeitet hatte.
„Ganz lakonisch: Experiment Overkill erfolgreich abgeschlossen!“
„Eine Sekunde“, sagte Helga und bog das Mikrophon zu sich herunter.
*
Luna secunda lag im Raumkubus Drei/Ost 109. Das bedeutete, dass die einsame Konstellation einer blauen Sonne, eines kältestarrenden und leblosen Planeten und seines schweigenden Begleiters drei Entfernungszonen von Terra weit im interstellaren Raum schwebte. Die Erde kontrollierte den Inhalt einer kugelförmigen Raumzone von neunhundert Parsek Durchmesser. Ein Parsek ist die Entfernung von 3,26 Lichtjahren; ein Lichtjahr umfasst eine Strecke von 9,46 mal 10 hoch 12 Kilometern. Luna secunda befand sich in einem annähernd würfelförmigen Stück Kosmos, rund einhundertdreißig Parsek von Terra entfernt. Jeder Schiffskommandant rechnete grob, bei normaler Fahrt mit den gebräuchlichen Maschinen und Schiffstypen rund vierundzwanzig Stunden von einer Entfernungslinie zur nächsten.
Man flog in knappen zehn Tagen von Terra bis an die Grenzen des kontrollierten Raumes. Jede Entfernungszone benötigte einen Hyperraumsprung. Das Schiff nahm Geschwindigkeit auf, bis es etwas langsamer als das Licht flog, also 299.750 Kilometer in der Sekunde, schaltete die Generatoren ein und verschwand im Hyperraum. Zwanzig oder vierundzwanzig Stunden später sprang das Schiff wieder in den Normalraum zurück und hatte fünfundvierzig Parsek zurückgelegt.
Auf diese Weise, nur wesentlich schneller, mit nur geringer Verzögerung, bewegten sich die Funkwellen fort. Der bestätigende Spruch der ORION VIII erreichte die Oberste Raumbehörde zwei Stunden nach der Vernichtung des Kraters Harpalus auf dem seltsamen Duplikat des terranischen Mondes.
*
Die ORION wurde abgefangen und ausgerichtet. Dann flossen die Steuerströme des Ausgabe-Elements des Digitalrechners in die Maschinen. Das Schiff beschleunigte und schlug den Kurs auf die Erde ein. Nach dreißig Minuten besaß die ORION fast Lichtgeschwindigkeit. Dann sprang sie in den Hyperraum. Cliff McLane stellte die Steuerung mit einem einzigen Handgriff um. Dann sah er, wie die Lichtleiste aufleuchtete, auf der in dicken, unübersehbaren Lettern Autopilot stand. McLane stand auf.
„Meine Lieben“, sagte er ruhig, „die nächsten zwanzig Stunden haben wir nichts zu tun. Freizeit. Ich ziehe mich in meine Kabine zurück.“
Sein Blick wanderte von Silvan Rott zu Hasso Sigbjörnson, von Atan Shubashi zu Mario de Monti und hinüber zu Helga Legrelle. Irgendwie fehlte ihm ein Gesicht, er vermisste es, obwohl durch das Fehlen die Stimmung in der Kommandokanzel besser wurde – wie er immer behauptete. Tamara Jagellovsk!
„Ich werde hier oben bleiben“, versicherte Mario und deutete auf ein Bündel Schaltpläne auf seinem Pult.
„Freiwillige Wache?“ erkundigte sich Atan sarkastisch. „Du bist doch sonst nicht so pflichtbewusst!“
Mario de Monti, Erster Offizier der ORION, grinste Atan an. „Kleiner“, sagte er, „halte deine spitze Zunge im Zaum. Ich werde diese Pläne hier studieren, um dir später berichten zu können, wie Overkill funktioniert.“
McLane nickte nach allen Richtungen, kontrollierte noch die Lichtsignale der Luftumwälzanlage und zog dann die halbrunde Tür des Lifts hinter sich zu. Der Lift brachte ihn nach unten in den Bereich des Schiffes, in dem die Kabinen lagen. Cliff holte sich in der Küche ein riesiges Glas Fruchtsaft aus dem Kühlbehälter und zog sich in seine Kabine zurück. Er las noch etwas, hörte ein Stück aus der Musikdatei des Schiffes und schlief dann ein.
Mario schlug die Pläne auf und blickte Helga nach, die ebenfalls auf Bandempfang schaltete und eine Leitung hinunter in ihre Kabine aktivierte. Dann nickte Mario und vertiefte sich in das Wirrwarr von Zeichnungen und Symbolen. Er hatte eine Stunde lang zugesehen, wie Rotts Techniker den Overkill-Projektor im Schiff montierten und verstand die Pläne aus diesem Grunde etwas schneller. Auch Rott, Atan und Hasso verließen die Kanzel.
Mario war allein. Er arbeitete sich, nachdem er einmal das Funktionsprinzip der neuen Waffe begriffen hatte, durch sämtliche Pläne durch. Er stellte fest, dass dieses Gerät in der Lage war, die atomaren Bindungen einer jeden Materie aufzulösen. Innerhalb eines Gebietes, dessen Umrisse willkürlich verändert werden konnten, kam dieser Effekt in einer maximalen Entfernung von tausend Kilometern am besten zustande. Viel näher als zweihundert Kilometer durfte man sich dem Ort der Vernichtung nicht nähern.
Overkill ... eine tödliche Waffe! Lautlos, ohne sichtbare oder hörbare Zeichen, wirkte dieser funkelnde Projektor im Unterschiff. Mario schauderte, als er daran dachte, mit welcher tödlichen Last die ORION flog. Später heftete er die Pläne zusammen und ging ebenfalls in seine Kabine. Sein Schlaf war unruhig.
*
Earth Outer Space Station IV übernahm das Schiff in Erdnähe. Funksprüche wurden gewechselt, und die ORION schwebte ein. Im Golf von Carpentaria an der gegabelten Nordspitze Australiens begann sich der riesige Strudel zu drehen, bis der freie Raum hinunter an die Schutzschirme über der Basis 104 reichte. Waagrecht flog die ORION nach unten, sank an den dunkelgrünen Wänden entlang und setzte schließlich auf dem Boden der großen Starthalle auf. Die Scheinwerfer leuchteten die glatten Wände des Stahlzylinders aus. Die ORION blieb auf ihren Strahlenpolstern stehen, und der Lift fuhr nach unten.
Die Mannschaft ging von Bord; mit ihr kam Silvan Rott, der die Pläne in seiner Bordtasche hatte. In einer der zahlreichen Schleusen blieben McLane und Rott stehen und sahen sich an.
„Danke, Commander!“ meinte Silvan Rott und streckte McLane die Hand entgegen. McLane erwiderte den Händedruck und fragte: „Wofür, Silvan Rott?“
Rott lächelte verhalten. „Dafür“, erwiderte er langsam, „dass ich unter Ihrem Kommando die Waffe ausprobieren konnte. Ich bin sicher, dass wir beide der Erde einen Dienst erwiesen haben.“
„Hoffentlich brauchen wir Overkill nicht einzusetzen“, sagte Cliff. „Ich jedenfalls wünsche es mir nicht.“ Sie trennten sich. Wochen später sollte sich Cliff dieser Worte erinnern. Sie würden für ihn noch eine fatale Bedeutung erhalten. Er fuhr mit dem Lift nach oben und ließ sich in seinen Bungalow auf Groote Eylandt bringen.
ZWEI
Der weibliche Ordonnanzoffizier ging vorsichtig, als trage er eine schwere Last, einige flache Stufen der kleinen Treppe hinunter, bog nach rechts ab und folgte dem Pfeil. In das Material des leuchtenden Wegweisers waren Buchstaben eingelassen. OBERSTE RAUMBEHÖRDE – Führungsstab (Marschall Wamsler) Die Frau, kaum älter als vierundzwanzig, ging ruhig und zielbewusst weiter, dreißig Meter eines leeren, lichterfüllten Korridors. Dickes filzartiges Material dämpfte den Klang der Stiefelabsätze. Dann versperrte eine Tür den Korridor. Die Ordonnanz betätigte einen Schalter.
Über ihrer Hand, die noch auf der waagrechten Leiste ruhte, erhellte sich ein kleiner Videophonschirm. Der Offizier aus Wamslers Vorzimmer war darauf zu sehen.
„Ja?“ fragte sie geschäftsmäßig.
„Ein Hyperraumspruch für Marschall Wamsler“, erwiderte die Ordonnanz.
„Von der Funkstelle?“ kam die nächste Frage. „Warum werden die Funksprüche nicht einfach hier hereingeleitet?“
Das Lächeln der Ordonnanz blieb gleichmäßig freundlich. „Marschall Wamsler rief vor einer Stunde bei uns an und bat uns, ihn nicht zu stören. Nur wirklich dringende Funksprüche sollten ihm persönlich überbracht werden. Der Führungsstab befasst sich mit dem XERXES-Fall.“
„Ich verstehe“, antwortete die junge Dame aus Wamslers Vorzimmer. „Kommen Sie herein.“
Das Schott bewegte sich zur Seite. Der Ordonnanzoffizier ging weiter, die Nachrichtenkapsel in der Hand.
„Sie können weitergehen, ich schalte die Barriere ab“, sagte Wamslers weiblicher Sekretär in Uniform freundlich. „Bitte.“
Die Ordonnanz ging ohne Eile weiter, bis sie dicht vor dem Vorhang aus bewegten Elektronen stand, der von einer Projektionsschwelle zur Decke züngelte. Das Farbenspiel erlosch, und das Mädchen ging weiter. Um den großen Konferenztisch in Raummarschall Wamslers Büro saßen die wichtigen Männer der Führungsspitze, deren Gesichter überall bekannt waren. Sir Arthur, Kublai-Krim, Woodrov Winston Wamsler, General Lydia van Dyke und Villa mit einem Stabsoffizier. Oberst Villa sprach gerade, drehte sich um und unterbrach sich, als er den Kurier sah.
„Marschall Wamsler“, sagte die junge Frau im Rang eines Fähnrichs halblaut. „Ein Hyperraumspruch.“
Wamsler blickte sie etwas befremdet an, dann begriff er. „Was? Wie?“
„Hyperraumspruch von der ORION VIII“, antwortete der Kurier halblaut.
„Und der Text?“
„Experiment Overkill erfolgreich abgeschlossen! Dazu Datum, Uhrzeit und Positionsangabe.“
Wamsler lehnte sich zurück und fragte: „Was soll ich jetzt damit?“
„Sie wollten sofort persönlich informiert werden. Der Hyperraumspruch lief vor ...“