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Wilhelm Raabe

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Beschreibung

In seinem meisterhaft komponierten Werk "Deutscher Mondschein" entführt Wilhelm Raabe den Leser in eine schillernde, zugleich melancholische Welt, die von der deutschen Romantik und dem Realismus geprägt ist. Der Roman thematisiert die Suche nach Identität und Heimat in einer Zeit des Wandels. Durch bildreiche Sprache, prägnante Dialoge und tiefgründige Charakterzeichnungen erzeugt Raabe eine atmosphärische Dichte, die sowohl die romantischen Ideale als auch die sozialen Realitäten seiner Zeit reflektiert. Die Erzählung verknüpft poetische Beschreibungen der Natur mit der inneren Zerrissenheit der Protagonisten, die in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne agieren müssen. Wilhelm Raabe, geboren 1831 in Zwintschen, Abendland, gilt als eine der schillerndsten Figuren der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Seine tiefenpsychologischen Einsichten und das Gespür für die Nuancen des menschlichen Lebens spiegeln sich in seiner Lebensbiografie wider, die von einem ständigen Streben nach künstlerischem Ausdruck geprägt war. Raabes Erlebnisse und Beobachtungen während seiner Reisen und die kritische Auseinandersetzung mit seiner Zeit fanden ihren Niederschlag in diesem Werk, das die Suche nach Authentizität und Sinn aufs prägnanteste einfängt. "Deutscher Mondschein" ist ein unverzichtbares Werk für alle, die sich für die Verflechtungen von Individuum und Gesellschaft im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts interessieren. Es lädt zur Reflexion über die eigene Identität und die zeitlosen Fragen des Lebens ein. Leser, die eine Liebe zur poetischen Sprache und tiefgründigen Charakterstudien hegen, werden in Raabes erzählerischer Kunst ein ergreifendes und nachdenkliches Leseerlebnis finden.

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Wilhelm Raabe

Deutscher Mondschein

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066110260

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text
"

Eine Erzählung von Wilhelm Raabe (1831-1910)

Erzählen wir ruhig und ohne alle Aufregung. Ich bin ein selbst für Deutschland außergewöhnlich nüchterner Mensch und verstehe es, meine fünf Sinne zusammenzuhalten. Außerdem bin ich Jurist, der Mann meiner Frau und der Vater meiner Söhne. Weder zur Zeit der Holunderblüte noch zur Zeit der Stockrosen, Sonnenblumen und Astern pflege ich mich sentimentalen oder romantischen Anwandlungen ausgesetzt zu fühlen. Ein Tagebuch führe ich nicht; aber sämtliche Jahrgänge meines Terminkalenders halten in meiner Bibliothek wohlgeordnet ihren Platz fest. Diese alles vorausgeschickt, teile ich mit, daß ich mich im Jahre 1867 auf ärztlichen Rat, der Seeluft und des Meerwassers wegen, auf der Insel Sylt befand und daß ich daselbst eine Bekanntschaft machte—eine ganz außerordentliche Bekanntschaft.

Selbstverständlich kann ich mich nicht dabei aufhalten, das oft Empfundene und noch häufiger Geschilderte und in Briefen oder durch den Druck Verbreitete von neuem durch eine schriftliche Wiedergabe meiner eigenen Erfahrungen und Gefühle zu berichtigen oder zu bekräftigen. Wogenschlag, Sandhafer und Sandroggen, Möwenflug und vor allem der Westwind machten auf jeden, der von einer deutschen Beamtenexistenz den Schweiß und den Staub abzuspülen hat, einen angenehmen, erfrischenden Eindruck. Sie verfehlten ihre Wirkung auch auf mich nicht, zumal da die Anstrengungen, die der erwähnten Erfrischung vorangingen, nicht gering waren.

Ich wohnte auf der Grenze der beiden Dörfer Tinnum und Westerland und hatte also, um zum Strande und in die heilige Salzflut zu gelangen, einen Weg von mindestens einer halben Stunde zurückzulegen. Ein nicht kürzerer Weg führte dann zu dem edlen Mann, der uns allmittäglich für einen soliden Preis von innen aus wieder auferbaute. Auf häuslichen Komfort oder gar Luxus mache ich als an Genügsamkeit gewöhnter deutscher Staatsdiener überhaupt keinen Anspruch. Da ich von meinen einundzwanzig Pfeifen sieben mit mir führte, würde ich mich selbst in einem Hünengrabe behaglich eingerichtet haben.

Gut—ich wohnte bei einem Bäcker, der seinen Backofen mit Strandholz, das heißt dem in den Strandauktionen von gestrandeten Schiffen erstandenen Gebälk und Sparren- und Balkenwerk heizte. Ich half ihm dann und wann, dieses Holz zu spalten, und fühlte mich hier gemütlich dadurch angeregt—daheim widme ich mich dem Geschäft mehr aus sanitätischen Gründen.

Daheim säge und spalte ich in meinen Mußestunden mein Brennholz, hier trieb ich Allotria oder studierte einige vorsichtigerweise im Gepäck mitgeführte Abhandlungen über die braunschweigische Erbfolge. In den Geschäftsstunden ging ich am Strande spazieren.

Bei einem solchen Badeaufenthalt zieht sich alles in die Länge. Zu Hause wandle ich jeglichen Tag und in jedem Wetter rund um die zu Spaziergängen eingerichteten Wälle meiner Amststadt; auf Sylt speiste ich, hielt eine Stunde auf einer Düne Siesta und lief dann geradeaus gen Norden den Strand entlang, manchmal bis zum Roten Kliff, jedoch gewöhnlich nur bis zu den Badehütten von Wenningstedt.

Da das Meer wie ein Waschweib beiderlei Geschlechts nichts bei sich behalten kann, sondern alles wieder auswirft, so waren diese Gänge nie ohne ihre Reize; denn wenn ich auch ein Mann der Prosa bin, so kann ich doch einen toten Seehund mit einer gewissen Melancholie vom Rücken auf den Bauch wenden und meine Gedanken dabei haben.

Gut—oder diesmal vielmehr: besser! Ich befand mich ungefähr drei Wochen auf dieser lang von Süden nach Norden oder umgekehrt hingestreckten Insel, als ich die zu Anfang meiner Relation erwähnte Bekanntschaft machte.

Es war gegen Abend. Die Sonne war untergegangen, und ich kam—heute —vom Roten Kliff zurück, und zwar nicht wenig müde, denn die Ebbe hatte den Weg am Strande nach besten Kräften für alle auf Sylt anwesenden am Unterleib leidenden Patienten gangbar gemacht. Wenn man zehn Schritte lang auf ziemlich festgeschlagenem Sande wandelte, versank man während der nächsten zweihundert Schritte desto tiefer, und die Gattin, Tochter, Cousine oder Geliebte meiner Leser, die über diesen der Gesundheit so ungemein ersprießlichen Pfad graziös weggeglitten wäre, würde ich in der Tat gern einem Poeten zur lyrischen oder epischen Verwendung empfehlen, wenn mir ein solcher außer dem Kreisrichter Löhnefinke unter meinen Kollegen und sonstigen Freunden und Feinden bekannt wäre.