Diagnose Nierenkrebs - Marion Sturm - E-Book

Diagnose Nierenkrebs E-Book

Marion Sturm

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Beschreibung

Im August 2012 wurde bei der Autorin Nierenkrebs fest gestellt. Sie gab trotz diese niederschmetternden Diagnose, die einem Todesurteil gleich kam, nie auf. Sie holte sich nach ihrer Operation ihr Leben zurück. Liebt und lebt es, mit ihren fünf Kindern und drei Enkelkindern in vollen Zügen. Sie möchte allen Menschen, die in irgendeiner Weise betroffen sind Mut machen. Ihnen zeigen, dass das Leben noch lange nicht zu Ende ist, nur weil es heißt: "Sie haben Krebs". Mit ihrer Lebensfreude, Lebenseinstellung und ihrere Lebenskraft ist sie oft Vorbild für andere Menschen, stößt aber auch des öfteren auf Unverständnis. Sie beschreibt in diesem Buch ihre Hoffnung und den Glaube an sich selbst, bescheibt wie ihre positive Einstellung alle Rahmen gesprengt hat.

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Dieses Buch widme ich meinen Kindern Olaf, Ailine, Jens, Luisa und Lena sowie meinen Enkelkindern Steffen, Julien und Joanna.

*Ich werde immer bei euch sein!

Auch wenn ich diese Welt schon längst verlassen und eine neue unbekannte betreten habe und ihr nach mir ruft, dann schaut in die Sterne und zum Mond.

Hört das Flüstern des Windes, das Rauschen des Wassers. Spürt die Liebe, das Licht und die Kraft in euch, dann werdet ihr wissen, ich bin bei euch…. Erinnert euch…...

Auch meinen Freunden, die immer für mich da waren und sein werden, widme ich dieses Buch.

Sage: “DANKE“

*Freunde sind Wegbegleiter und so werde auch ich immer euer Wegbegleiter sein.

Der Tot ist nur ein weiterer Schritt auf unserem Weg…

Vielen Dank auch an meine Ärzte und dem Pflegepersonal, die mich in den letzten Monaten so toll begleitet und betreut haben.

Inhalt

Prolog

Als alles begann

Endlich Urlaub

Diagnose Nierenkrebs 02.08.2012

Hurra ich lebe noch

Lungenembolie

Endlich wieder zuhause

Mein erster Besuch im Markt

Meine Freunde

Der Druidenstab

Betriebsratswahlen

Die erste Kontrolluntersuchung

Metastasen in der Lunge

Die Unbeschwertheit ging verloren

Fassungslosigkeit macht sich breit

Die erste Tablette

Das vielleicht letzte Weihnachten

Bluthusten

Bitterer Beigeschmack beim Kaffeeklatsch

Ärger mit der Krankenkasse

Neues Medikament, neue Hoffnung

Sonntag, mein 46. Geburtstag

Angst macht sich breit

Auf meine Ärzte war Verlass

Zwiegespräch mit einem Engel

Die erste Infusion

Entscheidungen müssen getroffen werden

Besuch beim Palliativmediziner

Stress mit dem EX

Chaos auf der ganzen Linie

Ein Lichtblick, kaum zu fassen…….

Mein Jugendschwarm

Eine unerklärliche Verbindung

Die Arbeit und ich….

Grenze überschritten

Ein Traum

Im Krankenhaus schon fast zu Haus…

Mein ehemals bester Freund

Ich war so stolz auf meine Kinder

2. Januar 2014

Sigi, eine ehemalige Arbeitskollegin

Informationen zur Autorin

Prolog

Das Zimmer sonnendurchflutet, leise Geräusche dringen vom Flur zu mir herüber. Ich sitze am Fenster, die Sonnenstrahlen kitzeln auf meiner Haut. Ich liebe es, die Sonne auf meiner Haut zu spüren, ihre Wärme in meinem Körper aufzunehmen. Gedankenverloren sitze ich da, beobachte die Vögel in den Bäumen und denke an gestern. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, doch dieses Mal ist es kein fröhliches Lächeln, so wie man es sonst von mir kennt.

Die Traurigkeit, die ich bei dem Gedanke an meine Kinder, an meine Freunde und Bekannten empfinde, die ich zurücklassen werde, liegt darin.

Ich erinnere mich an die erst kürzlich vergangene Zeit, die mir so viele schöne, freudige Ereignisse schenkte.

Ich bin dankbar für diese Zeit, für die Möglichkeiten, die sich mir boten.

Der Gedanke gehen zu müssen, ohne eine Wahl zu haben, schmerzt mich.

Ich habe mein Leben lang immer selbst entschieden wie es weitergeht, welchen Weg ich gehe. Doch nun bleibt mir nur noch die Entscheidung, WIE ich meinen letzten Weg gehen werde…………….

Wie es dazu kam, welche unerwarteten Erfahrungen ich bis heute machte, will ich dir in meiner Geschichte erzählen.

Bevor ich aber mit meiner Geschichte beginne, möchte ich mich dir erst einmal ein wenig vorstellen, damit du weißt, mit welchem Menschen du es zu tun hast.

Als alles begann

Ich bin 45 Jahre jung, Mutter von fünf Kindern (29/26/23/14/12) und Oma von drei Enkelkindern (11/8/2). Ich bin seit fast acht Jahren alleinerziehend, was ich sehr zu schätzen weiß.

Meine beiden jüngsten Kinder sind noch zu Hause, die drei Großen haben bereits ihren eigenen Haushalt.

Ich bin ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch, der ständig unter Strom steht.

Habe einen Job der mir Spaß macht, bin Mitglied in unserem örtlichen Betriebsrat und gehöre als Ersatzmitglied zu unserem Gesamtbetriebsrat.

Durch meine Arbeit, die Seminare oder auch durch Dienstreisen, bekomme ich immer wieder neue Eindrücke/Perspektiven, entwickle mich ständig weiter. Ich habe eine natürliche Neugierde in mir, die mich aufgeschlossen anderen Menschen gegenüber sein lässt. Alles Neue und Unbekannte sauge ich in mir auf, ohne dass es den Menschen in meiner Umgebung bewusst wird. Habe den Drang vieles zu erfahren und zu lernen…ich sage immer, man kann nie genug lernen/wissen.

Bin für alles Neue offen und doch kenne ich meine Grenzen, über die ich aber auch gern mal hinausgehe, denn nur so erweitere ich meine eigenen Fähigkeiten und meinen Horizont….

Meine Kinder sind für mich das Wichtigste! Mit ihnen verbunden zu sein, bedeutet mein größtes Glück. Ich verbringe viel Zeit mit ihnen, was aber nicht heißt, dass ich keine Zeit für mich habe. Ich nehme sie mir, so wie ich sie brauche, mache dann das, wonach mir zu Mute ist. Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit Heilkräutern und arbeite mit ihnen. Auf Anfragen meiner Kolleginnen stelle ich auch schon mal Teerezepte zusammen oder stelle eine Salbe für sie her.

Ich schreibe Texte/Bücher, fahre Inliner, gehe gern schwimmen und tanzen. Beim tanzen tauche ich völlig in den Rhythmus der Musik ein. Das ist mein Ausgleich zu allem anderen. Ich erhole mich dann von den Strapazen des Alltags. Es ist, als wenn ich in eine andere Welt eintauche. Somit kannst du dir vorstellen, dass das tanzen ein wichtiger Bestandteil meines Lebens ist. Genauso wie die Natur, in der ich mich gern bewege.

Ich baue Kindermöbel, erst nur aus der Notwendigkeit heraus, dann auf Bestellung. Mittlerweile sind die Möbel, die ich baue, größer geworden, so wie die Ansprüche meiner Kinder. Kurzum, ich bin ein sehr aktiver und vielfältig begabter Mensch.

Ich habe sowohl negative als auch schöne Erfahrungen in meinem Leben gemacht, wie es wohl jedem Menschen im Laufe seines Lebens ergeht. Wobei die negativen Erfahrungen bis vor wenigen Jahren überwogen.

Die negativen Erfahrungen, die ein Mensch in der Regel auf ein Leben verteilt macht, habe ich bereits in frühen Jahren erfahren müssen. Aber genau DAS machte mich zu dem Menschen, der ich heute bin. Durch meine Erfahrungen wurde ich zum „Einzelkämpfer“ und zum „Familienoberhaupt“. Ich vertraute immer nur mir selbst, wenn es wichtige Dinge gab, die zu regeln waren. Ich machte/mache vieles im Alleingang, kam/komme gar nicht auf die Idee, dass da vielleicht jemand ist, der mir helfen könnte/möchte (das lerne ich gerade). Und trotz dieser Erfahrungen bin ich heute ein aufgeschlossener, glücklicher Mensch. Denn wenn du gezwungen bist, dich mit dir selbst zu beschäftigen und du mit dir selbst ins Reine kommst, brauchst du niemanden zum glücklich sein.

Du allein trägst dein eigenes Glück in dir.

Dieses zu erkennen, kann ein sehr langer und schwerer Weg sein.

Seit vielen Jahren habe ich diese Vorahnung, dass ich keine fünfzig Jahre alt werde. Ich habe es einer meiner Schwestern und meinen Freundinnen erzählt, diese sagten: “Sag so etwas nicht, du spinnst ja.“

Bei jedem, wo ich diesen Satz fallen ließ (was nicht viele sind), kam die gleiche Antwort oder ähnliches, was ich ihnen nicht verübeln kann. Es drückt schließlich nur aus, dass sie mich nicht verlieren möchten oder nicht an Vorahnungen glauben. Obwohl ich die letzten zwanzig Jahre immer gesund war (außer vielleicht mal eine Erkältung), blieb diese Ahnung. Ich sagte immer: „Wenn ich die Fünfzig erreiche, feiern wir ein großes Fest.“

Weil ich diese Ahnung aber nicht ignorieren wollte, so wie bei dem Tod meines Sohnes, erzog ich meine Kinder recht früh zur Selbständigkeit. Meine Erziehung und der Umgang mit meinen Kindern und Enkelkindern zielt/zielte darauf ab, dass ich ihnen meine Lebensweise, meine Lebenseinstellung vermitteln wollte/möchte. Sicher sind sie jetzt noch zu jung, um vieles zu verstehen, aber sie werden es, wenn es erforderlich ist.

Ich versuche ihnen meine ganze Liebe zu geben, jeden Tag (was nicht heißt, dass wir uns nicht zoffen). Versuche ihnen zu vermitteln, was es heißt zu leben und sich selbst treu zu sein.

Mit all dem für und wider………………….

Ich wollte/will, dass sie allein zurechtkommen, falls sich meine Vorahnung doch bewahrheitet.

Ich weiß aber auch, dass ich sie nicht auf den Tag X vorbereiten kann….

Denn wenn ich für immer gehe, wird für sie eine Welt zusammenbrechen!!

Ich hatte nie Angst in Bezug auf meine Vorahnungen, klammere mich nicht an Dinge, die ich vielleicht verlieren könnte.

Nehme die Dinge wie sie sind und versuche immer das Beste daraus zu machen.

Lebe schon so lange mit den Vorahnungen, um auch zu wissen, dass sich einige nicht bewahrheiten, einfach weil ich/sich unbewusst irgendetwas verändert habe/hat. Nun bin ich aber in einer Situation, in der es tatsächlich danach aussieht, dass sich diese Vorahnung bewahrheiten wird.

Oder………….

Ich verändere etwas durch mein Handeln und es geschieht dadurch nicht.

Wir werden sehen, die Zeit wird es uns zeigen………………

Um in meiner Geschichte durchzublicken, was gar nicht so einfach ist, gebe ich dir zuerst ein paar Hintergrundinformationen zu den Personen, die genannt werden.

Meine Kinder: Olaf 29, Ailine 26, Jens 23, Luisa 14, Lena 12…….

Björn, er verstarb 1988 im Alter von sechs Monaten.

Meine Enkelkinder: Steffen 11, Julien 7, Joanna 2

Meine Schwestern: Susanne(42), Sabine (44), Nicole (39), Karin (46)

Meine engen und besten Freundinnen:

Ulrike ist meine langjährige Freundin, wir sind uns sehr ähnlich im Wesen und im Denken.

Vielleicht ist es gerade das, was diese tiefe Freundschaft/Verbundenheit zueinander erklärt.

Sie wohnt in meiner Nähe, ist verheiratet und hat eine Tochter.

Silke habe ich vor fünf Jahren als beste Freundin meiner Schwester Nicole kennen gelernt. Aus der einstigen Bekanntschaft wurde irgendwann eine enge Freundschaft.

Silke war damals Single und ist nun Ersatzmutter von vier Kindern und lebt mit ihrem Lebenspartner zusammen. Sie wohnt 100km entfernt.

Die Männer meiner Freundinnen gehören ebenfalls zu meinen Freunden.

Meine Arbeitskolleginnen, mit denen ich befreundet bin: Andrea, zu ihr habe ich ein festeres freundschaftlicheres Verhältnis, als zu den anderen.

Silke B., Manuela St., Manuela M., Kerstin B., Nadine, Nun will ich aber mit meiner Geschichte beginnen………………

Endlich Urlaub

Ich habe drei ziemlich stressige Wochen hinter mir und freue mich auf meinen Urlaub.

Im Betrieb habe ich nach meiner normalen Arbeit (Wareneingangsleiterin) noch Urlaubsvertretung für meine Mitarbeiterin gemacht. Was eine Arbeitszeit von 8,5 Stunden bedeutete.

Dazu kam noch, dass unser Betriebsrat durch personelle Maßnahmen „gesprengt“ wurde und wir dadurch nicht mehr vollzählig waren. Keiner von den verbliebenen Mitgliedern (4 von 7, wobei eine freigestellt war) außer mir, wusste wie es weitergehen sollte/musste.

In solchen Situationen wird meine analytische Seite geweckt. Ich erfasse und analysiere die Situation, reagiere sofort darauf und werde nicht von den Ereignissen umgehauen, so wie die Anderen (Was kein Vorwurf sein soll, denn nicht alle Menschen sind gleich). Also blieb alles an mir hängen.

Es ist nicht so, dass ich es nicht könnte oder wollte. Die BR-Arbeit macht mir sehr viel Spaß, ich war Betriebsrat mit Leib und Seele, aber alles so ganz allein zusätzlich zu meiner Arbeit zu machen, fand ich schon sehr anstrengend.

Vor allem mussten wir Fristen einhalten, um eine Neuwahl einzuleiten, worüber die anderen sich scheinbar überhaupt keine Gedanken zu machen schienen.

Da unsere stellvertretende Vorsitzende sich völlig überfordert fühlte (mit der Situation in ihrer Abteilung und dann noch BR Arbeit), übernahm ich nach ihrer Bitte und dem Einverständnis der anderen BR-Mitglieder den Vorsitz.

So fand ich mich in der Situation wieder, den Vorsitz zu haben, den Wahlausschuss zu leiten und alle organisatorischen Dinge zu erledigen, die notwendig waren, um die BR Arbeit zu erledigen und die Wahlen vorzubereiten. Meine BR-Kolleginnen entlastete ich soweit es ging, denn sie zeigten Anzeichen eines Burnouts. Aber nun hatte ich Urlaub und wollte diesen genießen, ohne mir Gedanken über meine Arbeit zu machen.

Wir wollten am 12.08.2012 in den Urlaub fahren. Vorher hatte ich aber noch ein paar Dinge zu erledigen. Dinge für die ich sonst keine Zeit hatte oder die ich immer wieder verschoben habe. Die Vorbereitungen für unseren Urlaub hatte ich mir für die zweite Urlaubswoche gelassen, so dass ich keinen Zeitdruck hatte.

Die ersten zwei Tage habe ich einfach nur genossen, keine Termine, nichts Wichtiges, um das ich mich kümmern musste. Bis auf die Tatsache, dass Luisa am Montag Geburtstag hatte und wir diesen fröhlich feierten. Mittwochs hatte ich einen Termin zur allgemeinen Vorsorgeuntersuchung. Diese wollte ich unbedingt erledigt haben, bevor wir in den Urlaub fahren würden.

Ich hatte den Arzt gewechselt, da ich bei meinem alten Arzt immer so lange warten musste. Aus diesem Grund hatte ich diese Untersuchung immer wieder hinaus geschoben (Ich war sechs Monate im Verzug mit meiner Untersuchung). So saß ich also bei diesem Arzt, es war eine sehr altmodische Praxis, die Geräte und Möbel stammten sicherlich aus den siebziger Jahren. Er war ein sehr netter älterer Mann, schlank, groß. Sein Alter schätzte ich auf mindestens siebzig. Ich fragte mich, warum meine Tochter zu so einem alten Arzt geht. Er nahm mir schließlich Blut ab, wir unterhielten uns und letztendlich sagte er mir, ich könne am folgenden Tag anrufen und mit ihm die Ergebnisse der Blutuntersuchung besprechen. Ich hatte ihn vorher über die Tatsache, dass meine Bauchaorta vergrößert war und jedes Jahr per Ultraschall kontrolliert werden müsse, aufgeklärt und fragte ihn danach. Da ich keinerlei Beschwerden hatte, hielt er es nicht für notwendig, diese Untersuchung sofort machen zu lassen. Ich hatte keinerlei Vorerkrankungen, war sportlich gebaut, voller Energie, hatte kein Übergewicht und fühlte mich insgesamt gut. Dennoch Bestand ich aber auf diese Untersuchung und bekam so einen Termin für den nächsten Tag in einer anderen Praxis, die dem Hausärzteverband in meiner Stadt angehörte. Zufrieden ging ich nach Hause und anschließend mit meinen Kindern Eis essen. Ailine erzählte ich, dass ich am folgenden Tag erst später ins Schwimmbad gehen würde, da ich den Termin erst um 11 Uhr hatte.

Lena und Steffen könnten aber schon mal vorgehen. Luisa war mit einer Freundin verabredet, mit der sie dann auch ins Schwimmbad gehen wollte. So hatte ich am nächsten Tag keinen Zeitdruck.

Diagnose Nierenkrebs 02.08.2012

Um 11 Uhr war ich bei der Ärztin und ahnte nicht, dass dieser Tag der Beginn einer sehr turbulenten Zeit sein würde. Ich kam recht schnell dran, betrat den Raum und sah mich einer etwa gleichaltrigen sympathisch wirkenden Frau gegenüber. Sie fragte nach meinem Befinden und ob ich irgendwelche Beschwerden hätte. Ich erzählte ihr von der Bauchaorta, woraufhin sie dann mit dem Ultraschall begann. Sie schaute sich meine Bauch-Schlagader genau an, vermaß sie, dokumentierte ihre Ergebnisse und erklärte:“ Soweit ist alles in Ordnung. Sie ist zwar erweitert aber tatsächlich nur soweit, dass man sie einmal im Jahr kontrollieren müsse. Und wo wir schon einmal dabei sind, schauen wir uns den Rest auch noch an.“

Sie ging mit dem Schallkopf zuerst zur rechten Niere, sagte es mir und ich schaute wieder auf den Monitor über mir. Durch die Ultraschalluntersuchungen bei meinen Schwangerschaften, war ich etwas geübt in dieser Sache und entdeckte dieses riesige Gebilde in meiner Niere. Es sah aus, als hätte jemand eine Apfelsine in meine Niere gestopft. Mehr als die Hälfte meiner Niere war von diesem Gebilde eingenommen.

Die Ärztin sagte:“ Das sieht aber gar nicht gut aus“. Sah mich an und erkannte, dass ich die Situation schon erfasst hatte. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf….Sollte sich meine Vorahnung tatsächlich bewahrheiten? War dies der Anfang von meinem Ende?

Ich hatte immer gehofft, dass diese Vorahnung nicht wahr wird.

Die Ärztin untersuchte sehr sorgfältig meine anderen Organe, die zum Glück keine Auffälligkeiten aufwiesen. Kontrollierte nochmal sehr sorgfältig die rechte Niere mit dem Tumor. Die ganze Zeit über erklärte sie mir genau was sie tat und sah. Ich stellte Fragen und war mir komischer weise der ernsten Lage, in der ich mich befand, sehr deutlich bewusst, ohne die Fassung zu verlieren. (Vielleicht gerade weil ich immer damit rechnete, dass so etwas kommen würde.)

Völlig gelassen unterhielt ich mich mit ihr darüber, was jetzt zu tun wäre, damit der Tumor so schnell wie möglich entfernt werden könnte. Sie sagte sofort, dass die gesamte Niere weg müsse. Da meine linke Niere gut funktionierte, sollte es von dieser Seite keine Schwierigkeiten geben. Bei der Kontrolle der Blutwerte vom Vortag viel als einziges auf, dass mein HB Wert nur 7,3 betrug. Sie teilte mir mit, dass der Wert so niedrig sei, dass man schon fast eine Bluttransfusion machen müsste. Dies sei wohl auf den Tumor zurückzuführen. Es wäre erstaunlich, dass es mir so gut ginge.

Sie organisierte mir noch am selben Tag um 14 Uhr einen Termin für eine Computertomographie. Ich sollte bereits um 13 Uhr dort sein, da ich für die Untersuchung Kontrastmittel schlucken musste. Dann nannte sie mir noch mehrere Urologen. Bei einem von diesen sollte ich mich mit dem Ergebnis des CT´s auf jeden Fall heute noch vorstellen, damit dieser den weiteren Verlauf bestimmen konnte.

Als ich die Praxis verlies, hatte ich noch ein wenig Zeit bis zum nächsten Termin und überlegte kurz, ob ich noch nach Hause fahren sollte. Dort bestand allerdings die Gefahr, Ailine über den Weg zu laufen, die nur fünf Häuser die Straße runter wohnt. Und bevor ich nicht alles geklärt hätte, wollte ich das auf keinen Fall.

Also fuhr ich in die Stadt, setzte mich in ein Cafe und bestellte einen Latte Macchiato und ein Milchbrötchen. Ich überlegte, wie es denn jetzt weiter gehen sollte, wie sage ich meinen Kindern, dass ich Krebs habe. Bei diesen Gedanken kämpfte ich mit den Tränen.

Wie würde es nach einer Operation weitergehen? Musste ich vielleicht sogar noch eine Chemo machen? Ich machte mir Sorgen um meine Kinder, nicht um mich. Dachte nicht einen Moment daran, dass ich jetzt schon sterben könnte. Ich beschloss montags operiert zu werden.

Stand auf ohne mein Bestelltes überhaupt angerührt zu haben und ging in den nächsten Buchladen. Dort kaufte ich mir ein Buch, welches mir die Wartezeit bei den Ärzten verkürzen sollte und was ich nach meiner OP im Krankenhaus weiterlesen konnte. Denn dass ich für längere Zeit außer Gefecht gesetzt werden würde, wusste ich. So fuhr ich also zu dem Krankenhaus, in dem das CT gemacht wurde. Ich musste zum Glück nur zwei Flaschen Wasser trinken und das Kontrastmittel blieb mir erspart. Während ich wartete, las ich mein Buch, schaute nur auf, wenn jemand das Wartezimmer betrat. Dann war ich endlich an der Reihe. Die Untersuchung ging recht schnell, allerdings musste ich anschließend wieder warten, bis die Bilder auf eine CD gespielt wurden. Als die Schwester mir die CD aushändigte, wünschte sie mir alles Gute für die Zukunft. Der Unterton in ihrer Stimme und ihr mitfühlender Blick sagten mehr als Worte. Es machte mir bewusst, wie schlimm es um mich stand.

Da musste ich dann doch mit meiner Fassung kämpfen, schluckte die aufsteigenden Tränen herunter, nahm es erst einmal als gegeben hin und fuhr zum Urologen in meiner Nähe. Auch dort ging alles recht schnell. Ich saß DR. D., einem jungen Arzt Mitte dreißig, an seinem Schreibtisch gegenüber und berichtete ihm, was bisher geschehen war. Erklärte ihm auf seine Frage hin, dass ich überhaupt keine Beschwerden habe oder hatte. Er sagte mir, dass Patienten mit einem Nierentumor oft über Kreuzschmerzen klagten. Er machte einen Ultraschall um sich selbst ein Bild zu machen. Während der Untersuchung sagte er, dass die Niere auf jeden Fall so schnell wie möglich entfernt werden müsse. Riet mir, mich am folgenden Tag im Krankenhaus in der Urologischen Ambulanz vorzustellen.

Dort könnte ich direkt einen Termin für die OP vereinbaren. Wenn es mir aber lieber wäre, würde er auch einen Termin für mich vereinbaren. Ich war es so gewohnt alles allein zu regeln, dass ich genau wie immer in solchen Situationen reagierte. Teilte ihm mit, dass ich den Termin selbst vereinbaren würde. Im Gespräch sagte er mir, dass Frau DR. W. mir mit ihrer Diagnose das Leben gerettet hatte. Ich antwortete ihm, dass ich mir dessen sehr wohl bewusst sei und ich genau wüsste, in welcher Lage ich mich befand.

Er erklärte mir alles sehr genau und dann setze er dem Ganzen noch die Krone auf, in dem er mir sagte, dass es in vier oder fünf Wochen zu spät für eine Behandlung gewesen wäre. Ich saß anscheinend so gelassen in seinem Sprechzimmer, dass er vermutlich dachte, ich wüsste nicht wie lebensbedrohlich meine Situation war. Ganz ehrlich? Ich wunderte mich selbst über meine Gelassenheit, über dieses schnelle realisieren meiner Situation. Meine Gedanken beschäftigten sich bereits mit der Zukunft, mit dem was zu tun sei.

Was viele nicht wissen/verstehen ist, ich nehme Dinge als gegeben an und versuche immer das Beste daraus zu machen. Ich habe/hatte keine Angst vor dem Tod. Meine einzige Sorge galt nur meinen Kindern, wie sie mit der Situation umgehen. Ich hatte für mich bereits am Morgen entschieden wie es weitergehen sollte. Wusste, dass ich einen schweren Weg gehen musste, der meine ganze Kraft fordern würde, aber ich wusste auch, dass ich stark genug sein würde alles zu überstehen. Der Arzt verabschiedete sich von mir mit den Worten „Wir sehen uns wieder“. Er klang so zuversichtlich, dass ich zum ersten Mal seit dem ich die Diagnose bekam, wieder lächeln konnte und antwortete ihm:“ Ja, ganz bestimmt.“

Nun stand mir der schwerste Schritt an diesem Tag bevor. Ich musste Ailine von der Diagnose erzählen.

Sie ahnte schon, dass etwas nicht stimmte, dessen war ich mir sicher. Es war bereits später Nachmittag als ich nach Hause kam. Meine beiden jüngsten Töchter waren noch im Schwimmbad.

Ich rief also Ailine an, informierte sie, dass ich wieder zu Hause sei und mit ihr reden müsste. Sie kam sofort rüber und ich machte für uns einen Kaffee. So saßen wir dann in meiner Küche, tranken Kaffee und ich erzählte ihr ohne Umschweife in welcher Lage ich mich befand. Sie war geschockt und kämpfte mit den Tränen. Da konnte auch ich meine Fassung nicht mehr bewahren und mir traten ebenfalls die Tränen in die Augen. Wir umarmten uns, weinten und trösteten uns gegenseitig. Sie tat mir so entsetzlich leid. Die Angst mich zu verlieren, stand ihr deutlich im Gesicht geschrieben. Wir beschlossen erst einmal in die Stadt zu gehen, ein Eis zu essen und shoppen zu gehen. Wir nannten es frustshoppen, wobei ich schon darauf achtete, dass ich Sachen fürs Krankenhaus kaufte. Wir unterhielten uns darüber wie es weitergehen sollte und organisierten schon mal alles in Gedanken.

Später kehrten wir dann ganz normal nach Hause zurück. Jeder versorgte seine Kinder, ohne die Sorge, die uns nicht los lies, spürbar werden zu lassen.

Meine Tochter hatte eine ganz andere Sorge als ich, allerdings konnte ich ihr meine nicht mitteilen. Denn auch wenn sie schon erwachsen war, war sie auch mein Kind, um das ich mir genauso Sorgen machte, wie um die Anderen. Ich habe meine Kinder zur Selbstständigkeit erzogen, die jetzt auch gefragt sein würde. Alle mussten mithelfen, damit in meiner Abwesenheit alles funktionierte. Vorteil war dabei, dass gerade Ferienzeit war und auch meine beiden Jungs da sein würden, ich wusste dass alle zusammenhalten. Ich musste unbedingt mit jemanden reden, aber ich konnte keine meiner Freundinnen erreichen. Meine Schwester wollte ich noch nicht informieren, da ich noch nicht alles geklärt hatte. Meine Mutter wollte ich auf keinen Fall informieren, weil sie mit solchen Situationen nur sehr schlecht umgehen kann und sich am Ende selbst bedauern würde. Das konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.

So saß ich dann allein in meinem Wohnzimmer, die Mädels waren im Bett und schliefen und ich grübelte vor mich hin. Überlegte was zu tun war, für den Fall, dass ich diese Krankheit nicht überstehen würde. Was würde sein, wenn eine Nachbehandlung (Chemo) nötig wäre? So etwas wollte ich meinen Kindern ersparen. Ich wollte nicht, dass sie mich leiden sehen. Das machte mir ganz schön zu schaffen. Ich schrieb der Familie bei der wir die Ferienwohnung gebucht hatten eine Mail. Wir hatten schon im Vorjahr dort Urlaub gemacht. Ich schilderte ihnen meine Situation und bat um Informationen über die Stornokosten. Dann schrieb ich meiner Arbeitskollegin Andrea eine Mail. Sie war bis vor kurzem unsere BR Vorsitzende. Zu ihr und ein paar anderen BR Kolleginnen hatte sich durch unsere Zusammenarbeit ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Ich teilte ihr in dieser Mail mit, dass ich mich längere Zeit nicht melden würde. Erklärte ihr auch den Grund und bat sie darum, mit niemanden darüber zu sprechen. Ich wusste, dass ich viel von ihr verlangte, aber ich wusste auch, dass sie mir die Bitte erfüllen würde. Ich vertraute ihr.

Mittlerweile war es schon Nacht, hatte immer noch keine meiner Freundinnen erreicht und kam mir schrecklich allein vor.

Ich hatte keinen Partner, mein bester Freund hatte mir Anfang des Jahres die Freundschaft gekündigt. Wir waren über sieben Jahre eng befreundet, zwischen durch gab es Zeiten, in denen wir eventuell eine Beziehung hätten führen können, doch wir wollten nie zur selben Zeit das Gleiche. Ich erzählte ihm von meiner Vorahnung und er erklärte darauf hin:“Na dann haben wir ja noch ein paar Jahre, die wir gemeinsam verbringen können.“ Als er dies sagte, wusste ich nicht, dass wir verschiedene Ansichten über „gemeinsam verbringen“ hatten.

Wir waren für einander da, doch irgendwann merkte ich, dass er mich nach seinen Vorstellungen verändern wollte.

Das war für mich der Ausschlag gebende Punkt, keine Beziehung mit ihm zu führen. Denn Toleranz und Akzeptanz waren für mich sehr wichtige Dinge. Trotzdem war ich immer für ihn da, denn als Freund war er mir sehr wichtig und auch er hielt an unserer Freundschaft fest. Ich half ihm das letzte Jahr durch eine schwere Zeit. Doch als ich ihm nochmal ganz klar sagte, dass ich mir nicht vorstellen könnte, mit ihm eine Beziehung zu führen, besuchte er mich noch ein paar Mal und brach dann den Kontakt unter fahnenscheinigen Gründen ab. Ich hätte mir Ehrlichkeit von ihm gewünscht, aber dann hätte er seine Gefühle preisgeben müssen, wozu er nicht bereit war. Er hatte seinen Sorgerechtstreit so gut wie gewonnen und da ich nicht mit ihm zusammen ziehen wollte und er dann doch gezwungen war von der Wechselschicht auf Frühschicht zu wechseln, (was ihn finanzielle Einbußen brachte), war ich für ihn nicht mehr von nutzen. Ich fand es in diesem Moment so ungerecht niemanden zu haben, an den ich mich anlehnen konnte.

Wenn man meine Unterstützung brauchte, war ich immer da, wenn ich es ermöglichen konnte. Mein Leben lang war es so, dass ich eine Schulter zum anlehnen suchte, aber nie die Richtige fand. Ich ließ die Traurigkeit, den Frust und die Sorge dieses eine Mal aus mir heraus, weinte hemmungslos und beruhigte mich nach einiger Zeit wieder. Versetzte mich selbst in einen völlig ruhigen Zustand und schlief langsam ein. Meine Gedanken galten zwei Freunden, die ich vermisste, sie aber schon lange kein Teil meines Lebens mehr waren. Ich brauchte sie in diesem Moment, war traurig und wütend darüber, dass sie nicht da waren. Das ich einer schwierigen Situation wieder allein gegenüberstehen musste.

Den nächsten Tag begann ich wie jeden anderen auch. Trank meinen Kaffee im Bett, unterhielt mich und scherzte mit meinen Mädels, die sich zu mir aufs Bett gesellten. Nach unserem gemeinsamen Frühstück ging ich duschen und machte mich für den Tag bereit.

Es war wieder ein schöner Sommertag, so dass Luisa und Lena wieder ins Schwimmbad gingen.

Als beide weg waren, machte ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Dort angekommen, erledigte ich die Formalitäten, gab meine CD mit den Untersuchungsergebnissen ab (die ich mir zu Hause auf meinem Laptop angesehen habe, leider konnte ich nur wenig erkennen) und machte mich schon mal auf eine längere Wartezeit gefasst. Das Wartezimmer war voller Menschen und zu meiner Überraschung rief man mich nach ca. fünf Minuten in ein Untersuchungszimmer. Der dortige Arzt hatte sich bereits die CD angeschaut und erklärte mir, dass die Niere schnellstmöglich entfernt werden müsse. Schilderte mir die Vorgehensweise der bevorstehenden OP, die Risiken und alles, was so passieren könnte. Ich fragte ihn, wann ich nach der OP wieder arbeiten gehen könnte. Er sagte ganz locker: „In fünf bis sechs Wochen können sie wieder arbeiten, wenn alles gut verläuft.“ Das machte mir ein wenig Hoffnung darauf, nicht allzu lange außer Gefecht gesetzt zu sein, passte aber irgendwie nicht so ganz zu dem, was er mir vorher erklärt hatte.

Zu guter Letzt erklärte er mir, wie schon Dr.D vorher, dass es in vier Wochen für eine Behandlung zu spät gewesen wäre. Er sagte mir dieses ziemlich locker, und wäre ich nicht der Mensch, der ich bin, hätte er mir mit seiner Art den Boden unter den Füßen weggerissen. Er fragte mich:“Wann wollen sie denn operiert werden?“ und ich antwortete:“ Am besten gestern.“ Er wies die Schwester an, mir einen Termin im OP zu besorgen, so in ein/zwei Wochen sagte er ihr. Ich dachte ich höre nicht richtig. Die Schwester verließ den Raum und ich schaute den Arzt, der noch recht jung war und nicht mit Gegenwehr rechnete, entgeistert an. Diskutierte mit ihm völlig ruhig aber bestimmt (und darauf war ich besonders stolz), wie es denn sein könnte, dass er mir sagt, in vier Wochen wäre es zu spät und auf der anderen Seite sollte ich erst in ein/zwei Wochen operiert werden. Er sollte doch mal vernünftig darüber nachdenken, was er mir sagte und nicht so larifari mit der Sache umgehen. Es ginge schließlich um mein Leben. Nach mehreren Minuten kam die Schwester wieder und teilte uns mit, dass ich einen Termin für den 17.08.2012 hätte, fragte, ob ich damit einverstanden wäre. Ich äußerte meine Bedenken noch einmal sehr deutlich und sagte mit Nachdruck: “ Nein, das bin ich nicht.“ Während ich sprach verlies der Arzt das Sprechzimmer und ich dachte; „ Das kann doch jetzt wohl nicht wahr sein.“ Der lässt mich doch wohl jetzt hier nicht so einfach stehen. Wollte ihm schon hinterher laufen, als er beim hinausgehen sagte: “ Ich zeige die Aufnahmen zur Sicherheit dem Oberarzt.“ Vor Erleichterung viel mir ein Stein vom Herzen. Als er wieder kam, unterhielt ich mich gerade mit der Schwester darüber, wie es denn organisatorisch abläuft, wenn ich ins Krankenhaus kommen würde. In dem Moment als die Schwester antworten wollte, betrat er den Raum und verkündete: Sie kommen Sonntag hierhin, melden sich auf der Station und werden montags operiert. Ich fragte ihn verblüfft, ob er den kommenden Sonntag (also zwei Tage später) meinte, und er nickte. Auf die Frage, ob ich damit einverstanden wäre, strahlte ich ihn an und sagte:

“Klar! So ist es wie ich es mag.“

Obwohl ich am vorigen Morgen für mich entschieden hatte montags operiert zu werden, hatte ich keinen weiteren Einfluss darauf. Es zeigte mir aber, wie dringend diese OP war, wenn selbst der Oberarzt seinen OP-Plan wegen mir änderte. Da ich Zeit hatte, wurden die ganzen Voruntersuchungen für die OP direkt im Anschluss gemacht. So war ich dann mit Allem um 13.30 Uhr fertig. Verlies das Krankenhaus, ärgerte mich noch über das Knöllchen (wegen Parkzeitüberschreitung) was unter meinem Scheibenwischer klemmte und fuhr nach Hause. Dort angekommen machte ich mir erst einmal einen Kaffee, wollte meine E-Mails lesen, in der Hoffnung, eine Antwort von Andrea bekommen zu haben. Ich öffnete gerade mein Postfach, als ich eine SMS von ihr bekam.

Sie schrieb, dass ich sie jeder Zeit anrufen könnte, egal wann, sie wäre da. Damit hatte ich nicht gerechnet….Ich rief sie an und erzählte ihr von den Geschehnissen. Es ging ihr sehr nahe und wir unterhielten uns eine ganze Weile darüber. Sie sagte mir, dass sie mich im Krankenhaus besuchen kommen würde und das Ailine sie auf jeden Fall anrufen sollte, wenn die OP beendet wäre. Ich versprach es ihr, sie wünschte mir noch alles Gute und sagte noch einmal, dass ich sie immer anrufen könnte, wenn mir nach reden sei. Ich war ihr sehr dankbar dafür und gerührt. Vor allem wusste ich bei ihr, dass es keine leeren Worte waren. Außer meiner Schwester und meinen beiden Freundinne, hatte ich keinen Menschen, der mir dies anbot. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Gedankenversunken trank ich meinen Kaffee, lies den Verlauf nochmal Revue passieren und freute mich darüber, dass alles bei den Ärzten so reibungslos geklappt hatte.

Nun hieß es alles vorzubereiten. Ich rief meinen Chef an und vereinbarte mit ihm einen Gesprächstermin für den nächsten Tag. Durchforstete anschließend meinen Schrank nach brauchbarer Kleidung für das Krankenhaus. Da ich nie krank war und immer nur zu den Geburten meiner Kinder im Krankenhaus war, stellte sich die Ausbeute als sehr mager da. Ich rief Ailine an, die dann auch rüber kam und wir besprachen alles. Später gingen wir in die Stadt und besorgten mir ein paar T-Shirts, Hemdchen und lockere, halblange Hosen. Es war ziemlich warm und für die kommende Woche hatten sie noch höhere Temperaturen angesagt. Die Klamotten hatte ich extra eine Nummer größer gekauft, da ich ja wusste, dass ich nach der OP an der Seite eine ziemlich lange Wunde haben würde.

Ich, völlig Figur bewusst, kaufte Kleidung, die mir zu groß war. Machte meine Scherze darüber und meine Tochter fragte mich völlig entgeistert, ob ich nicht andere Sorgen hätte. Aber auch sie musste dann doch lachen.

Auch wenn der Grund für unsere Shoppingtour nicht erfreulich war, so hatten wir doch Spaß dabei. Es war mir immer wichtig, dass meine Kinder lachten. Egal was ist, man darf die Freude am Leben nicht verlieren….

Es war schon später Nachmittag als ich heim kam. Wir hatten ausgemacht, dass wir uns später alle bei mir treffen und ich meinen anderen Kindern und Enkelkindern erklären würde, was mit mir war.

Davor graute es mir am meisten. Wie erklärte ich meinen Kindern und Enkelkindern, dass ich Krebs hatte und ich die Operation vielleicht nicht überleben würde? Denn auch dies musste ich ihnen sagen. Meine beiden jüngsten Töchter musste ich fragen, wo sie leben möchten, im Falle meines Todes. Für diesen Fall musste ich alles klären und in die Wege leiten. Ich dachte zwar immer positiv, sah aber auch immer die anderen Notwendigkeiten.

Nach und nach fanden sich alle Kinder bei mir ein, bis auf meine Jungs (die verhindert waren, sie waren aber schon von Ailine informiert worden) waren alle anwesend. So saßen mir alle gegenüber und schauten mich erwartungsvoll und abwartend an. Sie wussten, wenn ich den kompletten Familienrat einberufe, ist es etwas sehr wichtiges, was mitgeteilt oder geklärt werden musste. Mein Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass von der Fröhlichkeit die jetzt noch herrschte, am Ende dieses Tages nichts mehr übrig bleiben würde.

Ich suchte krampfhaft nach den richtigen Worten, doch ich fand sie einfach nicht, denn diese gab es nicht….

So erzählte ich den Kindern ohne Umschweife was die Ärzte festgestellt hatten. Erklärte ihnen im groben die OP und das ich sonntags ins Krankenhaus gehen würde, damit montags die OP durchgeführt werden konnte. Alle waren geschockt und nicht einer sagte ein Wort. Alle sahen sich unsicher untereinander fragend an, so als wenn ich einen schlechten Scherz gemacht hätte und jemand würde gleich sagen,

----stimmt alles nicht------

Ich sah ihnen an, dass sie nach und nach begriffen, was ich eben gesagt hatte.

Jeder hatte Tränen in den Augen, mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wollte ihnen so gern weiteres ersparen, doch ich musste ihnen die volle Wahrheit sagen und sie auch damit konfrontieren, welche Risiken diese Operation barg. Um das Schweigen zu beenden, fragte ich, ob irgendjemand eine Frage hätte, ob ich eine Zeichnung machen sollte, damit sie verstehen, worum es ginge. Als einziger meldete sich Julien zu Wort. Ich machte ihm eine Zeichnung und erklärte genau was gemacht werden müsste, damit ich eine Chance hätte, diese Krankheit zu überleben. Als er es begriff, fing er haltlos an zu weinen und alle anderen mit ihm. Ich nahm ihn in den Arm und sagte ihm: Hey Julien, ich bin ganz stark, so leicht wirft mich nichts um. Aber ich brauche eure Hilfe. OK? Ich schaute in das Gesicht jedes Einzelnen und alle nickten unter Tränen zustimmend. Ich wünschte mir in diesem Augenblick die acht Arme der indischen Göttin zu haben, damit ich alle in den Arm nehmen und trösten konnte. Machte ein paar Scherze darüber, um alle wieder zum Lachen zu bringen. Lena und Luisa musste ich fragen, wo sie denn leben wollten, wenn ich es doch nicht schaffen sollte. Sagte ihnen, dass es nur eine Formsache wäre, diese aber eben auch geklärt sein müsste. Beide sagten sofort unter Tränen: „Wir wollen bei Ailine bleiben.“ Damit war die Sache entschieden. Wir unterhielten uns noch weiter und ich lenkte das Gespräch in andere Bahnen, auf andere Themen. Die Kinder konnten sogar wieder lachen und jeder fing an, seine Späße zu machen, doch ich wusste genau, tief in ihrem Innern hätten sie Alle am liebsten losgeheult, doch das hoben sie sich für später auf………..

Sie wollten es mir nicht noch schwerer machen.

Für jeden Einzelnen war es eine Achterbahn der Gefühle. Und ich konnte diese Achterbahnfahrt nicht stoppen, denn das war erst der Anfang....

Der Abend verlief dann sehr ruhig, jeder in sich gekehrt, bemüht einen Weg zu finden, mit der Situation umzugehen. Mir war klar, dass ich ihnen dabei nicht helfen konnte. Das machte mich sehr traurig, stärkte aber auch zugleich meinen Kampfgeist. Ich war schon immer eine Kämpfernatur, habe mich von nichts und niemanden unterkriegen lassen und so sollte es auch jetzt sein!! Mein Wille war stark und genau das würde mir helfen, dessen war ich mir sicher.

Ich versuchte immer wieder meine Freundinnen zu erreichen, leider ohne Erfolg. So hinter lies ich bei Ulrike eine Nachricht auf der Mailbox, dass ich mit ihr einen Kaffee trinken wollte. Sie möchte sich bitte mal bei mir melden.

Samstags gingen die Kinder wieder schwimmen, so als wäre nichts geschehen. Ich denke, wenn es mir schlecht gegangen wäre oder man hätte mir angesehen, dass ich krank war, wäre es anders gewesen. Ich war dankbar dafür, dass sie scheinbar zur Tagesordnung übergegangen waren.

Der Termin bei meinem Chef war um 11Uhr. Da ich etwas eher da war, klärte ich noch einige Betriebsratsangelegenheiten und unterhielt mich mit einigen Kollegen, bevor ich zum Chef hoch ging. In seinem Büro unterhielten wir uns erst einmal über allgemeine Dinge die den Markt betrafen, bis er dann fragte;“ Frau Sturm, was haben sie mir denn nun zu sagen?“

Als wir am Vortag telefonierten, hatte er schon gefragt, ob es etwas Schlimmes sei, was ich mit ihm besprechen wollte und ich sagte;“ Ja“. Damit hatte er nicht gerechnet.

Ich muss dazu erklären, dass ich ein recht gutes Verhältnis zu unserem Chef(Hausleiter) und VKL (Verkaufsleiter) hatte. (Wenn sie nicht beide meine Chefs gewesen wären, hätte ich mir gut vorstellen können, mit ihnen befreundet zu sein. So hielt ich aber immer einen gewissen Abstand). Ich war immer für offene, klare Worte, was beide wussten und schätzen. Ich sagte immer meine Meinung, egal wen ich gerade vor mir stehen hatte. Sicherlich nervte ich auch den einen oder anderen mit meiner Art. Ich kann nicht immer mit jedem einer Meinung sein und das will ich auch gar nicht, doch man kann respektvoll miteinander umgehen. So schätzte ich es auch, wenn von Seiten der Chefs klare, offene Worte kamen.

Also erzählte ich meinem Chef erst einmal, dass ich für ca. fünf bis sechs Wochen ausfallen würde. Darüber war er natürlich nicht erfreut. Ich leitete allein die Warenannahme und wir hatten keine vernünftige Vertretung für mich. Der Mitarbeiter, der die Vertretung für mich machte, hatte vor mir die Abteilung und wollte eigentlich auch nicht mehr dorthin zurück. Dann fragte mein Chef nach dem Grund. Ich erzählte ihm alles und er war sichtlich schockiert über das, was er da von mir hörte. Ich bat ihn darum, niemanden im Markt etwas zu sagen und er versprach es mir. Ich wollte nicht das Mitleid der andern und schon gar nicht damit im Focus stehen. Da ich sowieso Urlaub hatte, würde mich erst einmal niemand vermissen. Ich hoffte, dass ich zu den Betriebsratswahlen im Oktober wieder fit sein würde. Schließlich leitete ich die Wahlen.

Er bat mich darum, mich zu melden, wenn es mir nach meiner OP besser gehen würde. Ich versprach es ihm, sagte ihm aber auch, dass sich meine Tochter mit ihm in Verbindung setzt, wenn ich die OP nicht überstehen würde. Das schockte ihn noch einmal, gerade weil ich es so direkt und offen sagte. Er antwortete darauf:“ Das will ich gar nicht hören, sie schaffen das schon. Wenn nicht sie, wer dann?“

Ich musste bei diesen Worten lächeln, denn in gewisser Weise hatte er Recht. Die Menschen in meinem Umfeld kannten mich als starke Person, die mit allem fertig wurde.

So war es bisher auch tatsächlich. Aber diese neue Situation machte mich hilflos. Hilflos, weil ich nichts beeinflussen konnte. Sie war für mich völlig unberechenbar.

Als ich mich dann verabschiedete, wünschte er mir alles Gute und sagte:“Lassen sie sich so viel Zeit, wie sie brauchen, werden sie nur wieder gesund.“

Ich war wirklich gerührt von seiner Anteilnahme.

Eigentlich wollte ich noch zu meiner Schwester Susanne fahren (sie wohnte in der gleichen Stadt, in der ich arbeitete) und sie über meine Situation in Kenntnis setzen. Sie war allerdings mit ihren Töchtern unterwegs zu einem Sommerfest, ich wollte ihr nicht die Stimmung verderben und fuhr deshalb nach Hause. Informierte sie nur durch eine SMS, dass ich am Abend anrufen würde. Zu Hause angekommen, machte ich mich ein letztes Mal auf den Weg in die Stadt. Ailine, Joanna und ich wollten noch einmal Eis essen gehen und den schönen Tag genießen. Mit keinem Wort erwähnten wir, was mir bevor stand. Wir genossen einfach das Zusammensein, trafen noch einen alten Schulkollegen von mir. Er setzte sich zu uns und wir unterhielten uns über belanglose Dinge.

Als Ailine und ich uns auf den Weg machten, begleitete er uns noch ein Stück, verabschiedete sich dann mit den Worten:“Bis zum nächsten Mal.“ Man sieht sich.“ Ich wollte erst antworten…..jetzt wohl eine ganze Weile erst mal nicht. Doch ich behielt es für mich, denn unweigerlich wäre die Frage nach dem warum gekommen.

Zu Hause angekommen, legte ich mir die Sachen für das Krankenhaus zurecht. Erledigte alle Aufgaben im Haushalt, damit für den nächsten Tag alles fertig war.

Später am Abend rief ich Susanne an. Sie vermutete schon, dass etwas nicht in Ordnung war.

Nach dem üblichen Gespräch, erzählte ich ihr dann, dass ich Krebs habe. Wie alle anderen auch, die diese Nachricht bekamen, war auch sie geschockt und konnte es erst einmal gar nicht fassen. Ich schilderte ihr alles, was sich ereignet hatte und bat sie darum, keinem in unserer Familie davon zu erzählen, besonders nicht unserer Mutter. Es ist bei uns in der Familie so… weiß es einer, wissen es bald alle. (Ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter es erfährt. Da wir nur wenig Kontakt hatten und der letzte Anruf 14 Tage her war, konnte ich es schaffen, dass sie von all dem gar nichts mitbekam.) Zu meiner Erleichterung respektierte Susanne meinen Wunsch und fragte, ob sie mir irgendwie helfen könnte. Da wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander hatten, wusste ich, dass ich sie jeder Zeit anrufen konnte. Sagte ihr, dass ich im Moment keine Hilfe benötigte, da schon alles organisiert war. Ich versprach ihr, dass Ailine sie sofort anrufen würde, wenn ich von der OP zurück wäre. Susanne sagte zum Abschied:“Marion, du schaffst das. Ich wünsche dir alles Gute, pass auf dich auf. Ich wusste, dass sie für mich ein unterstützendes Ritual durchführen würde.

Meine Mädels verhielten sich weit Gehens normal. Luisa schaute an dem Abend mit mir fern, was sie sonst nicht macht, da wir meist unterschiedliche Sendungen schauten. Lena blieb in ihrem Zimmer, was für sie aber auch normal war. Ich versuchte dann noch mal meine Freundin anzurufen, aber wieder ohne Erfolg. Was mich ziemlich frustrierte, ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein, sonst meldet sie sich doch auch immer zurück. Ich wollte ihr alles erzählen, wollte so viele Dinge loswerden, doch das musste erst einmal warten.

Als ich in meinem Bett lag, fühlte ich mich wieder schrecklich allein. Ich überlegte, ob ich Markus, einen Freund aus alten Zeiten, kontaktieren sollte. Wir hatten eine kurze, intensive Beziehung. Er war damals meine große Liebe. Als er die Beziehung beendete, versprachen wir uns Freundschaft ein Leben lang. Irgendwann war der Kontakt zwischen uns abgebrochen und doch ahnte ich, dass er sich zurückmelden würde, wenn er eine Nachricht von mir bekäme. Er würde wissen, dass ich ihn brauchte. So schrieb ich ihm eine SMS die lautete: „Freunde fürs Leben? Ein Freund braucht gerade ein paar gute Gedanken für einen schweren Weg.“ Ich überlegte noch lange, ob ich sie auch wirklich abschicken sollte, fragte mich, ob es wirklich richtig war. Konnte ich ihn nach all der Zeit wirklich mit dieser Situation konfrontieren, was würde es bringen? Ich brauchte ein wenig Trost, und wenn es nur ein paar Worte von einem Freund aus der Ferne waren. Ich erinnerte mich daran, wie er mich immer Engelchen nannte und er allein dadurch schon ein Lächeln auf meine Lippen zaubern konnte. Doch wie gesagt, wir hatten uns über fünf Jahre nicht gesehen und ca. vier Jahre nichts mehr von einander gehört…………. Ich schickte die SMS dann irgendwann ab. Nun war ich zumindest in dieser Angelegenheit beruhigt und konnte erstaunlicher Weise schnell einschlafen.

Am nächsten Morgen erwachte ich erholt und ausgeschlafen. Mein erster Gedanke war, wie der Tag wohl ablaufen würde. Wie würden die Mädels sich verhalten, wenn ich mich verabschiedete um ins Krankenhaus zu fahren?

Lena, Luisa und ich frühstückten in aller Ruhe. Sie stellten einige Fragen wie z. B: Wie lange ich im Krankenhaus bleibe, wie alles ablaufen sollte. Ich erklärte ihnen alles. Sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten und fragten schließlich als alles geklärt war, ob sie denn auch später schwimmen gehen dürften, da sie sich mit ihren Freunden verabredet hatten. Natürlich durften sie. Ich sagte ihnen aber auch, dass ich um 16.30Uhr ins Krankenhaus fahren würde. So verabschiedeten sich die Mädels ganz normal von mir und machten sich auf den Weg ins Schwimmbad. Meine Tasche war gepackt, alles war geregelt und mir blieben noch mehrere Stunden bis zu meinem Aufbruch. Ich versuchte noch einmal Ulrike zu erreichen, hinterließ ihr noch einmal eine Nachricht auf dem Handy, sie möchte sich bitte bei mir melden, aber auf jeden Fall noch am selben Tag. Ich wollte noch einmal mit ihr reden, sie noch einmal sehen, bevor es vielleicht zu spät dafür wäre. Diesen Gedanken hatte ich trotz meiner Zuversicht immer im Hinterkopf, denn man weiß ja nie, was passiert.

Silke erreichte ich dann endlich gegen Mittag, erzählte ihr alles und sie war einfach nur geschockt und sprachlos. Sie fragte ob sie mir irgendwie helfen könnte, ob sie vorbeikommen sollte, was ich verneinte. Es war niemanden geholfen, wenn sie hundert Kilometer führe, nur für einen Kaffee, denn mehr Zeit würde uns nicht bleiben. Ich versprach ihr, dass Ailine sie anrufen würde, sobald sie am nächsten Tag etwas Neues wusste.

Andrea rief noch an, wir unterhielten uns über alle möglichen Dinge, sie wünschte mir alles Gute und betonte noch einmal, dass Ailine sie morgen nach der OP anrufen sollte. Für mich war es erstaunlich, dass Andrea sich solche Sorgen machte, das kannte ich bisher immer nur von meinen drei Freundinnen (Ulrike, Susanne u. Silke). Und wieder beteuerte sie mir, dass ich sie jederzeit anrufen könne.

Eigentlich war ich immer die Person, die sich um andere sorgte und kümmerte, doch dieses Mal war es anders herum. Es war eine neue und schöne Erfahrung, wusste aber noch nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Die Kinder kamen um fünfzehn Uhr vom schwimmen zurück. Wir saßen alle noch einmal bei Kaffee und Kuchen zusammen unterhielten uns, die Kinder erzählten von den Erlebnissen beim schwimmen. Lena und Steffen gingen später gemeinsam rüber, sie verabschiedeten sich nicht wirklich….einfach nur…..tschüss Mama, tschüss Oma, wir gehe jetzt rüber.

Ich wusste das Lena ganz stark damit zu kämpfen hatte und sie mich besonders vermissen würde. Jedes Mal wenn ich zu einem Seminar fuhr, vermisste sie mich und vergoss auch schon mal eine Träne. Was sie natürlich gar nicht hören wollte. Sie wollte immer so unabhängig sein und am liebsten alles allein machen und entscheiden. Sie legte immer großen Wert darauf, groß zu sein. Und doch hing sie sehr an mir und konnte nicht ohne ihre Mama sein. Steffen überspielte seine Angst ebenfalls mit einem Lachen, sie taten mir unendlich leid. Ich verabschiedete mich also von allen mit den Worten. :“Es wird schon alles gut gehen.“

Uwe und Sabine, ein befreundetes Ehepaar fuhren mich zum Krankenhaus. Ich verabschiedete mich am Eingang von ihnen. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass es ihnen schwer viel, mich allein gehen zu lassen. Auch sie hatten mit der Situation zu kämpfen und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Ich habe solche Situationen immer allein bewältigt und so war es für mich selbstverständlich, dass ich diesen Weg auch alleine ging. Sie fragten nochmal, ob sie mich nicht doch bis auf die Station begleiten sollten, ich lehnte dankend ab.

Oben auf der Station wurde ich schon erwartet. Ich stellte mich der Schwester vor und sie sagte:„Ich bin auch eine Marion, deshalb konnte ich mir ihren Namen gut merken.“ Das machte sie mir sofort sympathisch.

Sie erklärte mir alles und zeigte mir mein Zimmer für die Nacht. Nach der Operation, wenn ich das Überwachungs-zimmer verlassen durfte, würde ich mein festes Zimmer bekommen. Also holte ich auch nur das Nötigste aus meiner Tasche. Ich hatte jetzt schon Langeweile. Machte es mir in meinem Zimmer bequem, nahm mein Buch und las eine Weile, bis es an der Tür klopfte. Ulrike kam herein und fragte: „Was machst du nur für Sachen.“ Und nahm mich in den Arm. Ich war unendlich froh sie zu sehen und drückte sie ganz fest. Sie erzählte, dass sie bei uns zu Hause angerufen hätte und Luisa ans Telefon bekam. Auf Ulrikes Frage, ob sie mich sprechen könnte, sagte Luisa ihr platt vor den Kopf, wie sie nun mal so ist, dass ich Krebs hätte und ins Krankenhaus gefahren sei. Ulrike völlig geschockt, rief bei Ailine an, sie informierte sie über die Situation.

Ulrike erzählte dies fassungslos ihrem Mann und er sagte:“ Ich gehe mal davon aus, dass ich das Auto nicht in die Garage stellen muss.“ (Sie waren gerade erst von einem Tauch-Wochenende zurückgekommen, als sie die Nachricht bekamen. Das war auch der Grund, warum ich sie nicht erreichen konnte.) Nein, das brauchte er nicht, sie machte sich sofort auf den Weg zu mir.

Nun saßen wir uns gegenüber und ich erzählte ihr, was sich die letzten Tage ereignet hatte, was die Ärzte festgestellt hatten und wie es weitergehen sollte. Wir unterhielten uns auch darüber, wie wir uns fühlten, wie perplex und fassungslos sie war, als sie alles hörte. Ich erzählte ihr, dass ich für mich persönlich gar nicht so geschockt war und sie sagte lachend:

„Na, dass du hier nicht am Boden zerstört sitzen würdest, das war mir schon klar. Ich wäre ja nicht anders.“ Wir sind uns sehr ähnlich und aus diesem Grund wusste sie auch, dass schon alles durchorganisiert war. Bot aber trotzdem ihre Hilfe an, was eigentlich überflüssig war, denn sie war meine beste Freundin und ich wusste, dass sie jeder Zeit für mich da sein würde.

Meine Vorahnung kam natürlich auch zur Sprache und genau wie bei mir, war auch ihr erster Gedanke: Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Sie kann doch wohl kein Recht haben. Das kann doch nicht wahr sein!“ Beide hofften wir natürlich, dass sich diese Vorahnung nicht erfüllte.

Nach dem wir uns ausgiebig darüber unterhalten hatten, schoben wir das Thema bei Seite und redeten über angenehmere Dinge. Sie erzählte von ihrem Urlaub, ich von den Ereignissen auf der Arbeit, wir lachten und scherzten zusammen. Das war genau das, was wir beide brauchten. So war es immer bei uns, wir sahen die Notwendigkeiten der Dinge, erledigten sie und lachten wieder.

Wir verstanden einander, wussten wie der andere reagiert, da wir in vielerlei Hinsicht gleich dachten. Ich denke genau das und unser Vertrauen zueinander machte unsere Freundschaft aus.

Ich brachte Ulrike noch zum Aufzug. Wir verabschiedeten uns voneinander mit den Worten:“ Wir sehen uns morgen.“ Sie sagte noch gespielt ernst:“ Und wehe nicht.“ Daraufhin mussten wir beide lachen und ich antwortete ihr:“ Na ganz bestimmt, ich mach das schon. Mach dir keine Sorgen.“ „ Na toll, du musst ja auch nicht auf den Anruf warten.“ entgegnete sie lachend.“ „Stimmt. Ich muss nur schlafen und wieder aufwachen.“ erwiderte ich grinsend. Die Aufzugtür öffnete sich. Ulrike stieg ein, drehte sich zu mir um und als die Türen sich wieder schlossen sagten wir gleichzeitig mit ungewohntem Ernst:“ Bis morgen.“

Später als ich wieder allein in meinem Zimmer war, sah ich noch ein wenig fern, legte mich irgendwann schlafen und hoffte, dass es meinen Kindern gut gehen würde. Bei all dem was bisher geschehen war, verspürte ich keinerlei Angst oder Verzweiflung. Ich wusste mit einer Selbstverständlichkeit, die bei genauer Betrachtung der Tatsachen keinerlei Begründung hatte, dass ich die OP überstehen würde. Mir stand ein schwerer Weg bevor, der meine ganze Kraft fordern würde, den ich aber dennoch gut meistern würde. Der Gedanke an die PDA, (Im Volksmund wird sie Rückenmarkbetäubung genannt) verursachte mir ein mulmiges Gefühl. Was eigentlich völlig lächerlich war, in Anbetracht dessen, dass mein Körper von der oberen hinteren rechten Seite bis zum Nabel aufgeschnitten werden würde, es sollte ein sogenannter Flankenschnitt gemacht werden. Ich legte mich früh schlafen, was gar nicht so einfach war. Der Pfleger kam gegen halb elf zu mir ins Zimmer und wollte mir etwas zur Beruhigung geben, damit ich besser schlafen könnte. Nachdem ich ihm klar gemacht hatte, dass ich nichts bräuchte, wünschte er mir eine gute Nacht und verließ das Zimmer. Er schaute mehrere Mal in der Nacht herein. Ich hörte jedes Mal wenn die Tür auf ging, schlief aber schnell wieder ein.

Hurra ich lebe noch

Montag, der 06.08.2012