Diätsafari - Marita Loew - E-Book

Diätsafari E-Book

Marita Loew

4,9

Beschreibung

Annabell ist es leid. Sie will endlich abnehmen. Und nebenbei am besten noch einen Traummann abstauben. Das kann doch nicht so schwer sein! Doch wo immer sie auftaucht, lauert auch schon das nächste Fettnäpfchen, in das sie mit Schwung hineinspringt. So stolpert sie gemeinsam mit ihrem Kater Othello von einem Erlebnis in das nächste, und findet sich plötzlich auf einer Abenteuerreise wieder, die ihr den Blick öffnet für das, was sie eigentlich sucht: ihr ganz persönliches Glück.

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Zum Buch

Annabell ist es leid. Sie will endlich abnehmen. Und nebenbei am besten noch einen Traummann abstauben. Das kann doch nicht so schwer sein! Doch wo immer sie auftaucht, lauert auch schon das nächste Fettnäpfchen – in das sie mit Schwung hineinspringt. So stolpert sie gemeinsam mit ihrem Kater Othello von einem Erlebnis in das nächste, und findet sich plötzlich auf einer Abenteuerreise wieder, die ihr den Blick öffnet für das, was sie eigentlich sucht – ihr ganz persönliches Glück.

Zur Autorin

Schon immer haben ihre Geschichten viele große und kleine Zuhörer in ihrer Familie und ihrem Bekanntenkreis begeistert. Jetzt endlich hat sie eine davon aufgeschrieben, um sie einem größeren Publikum vorzustellen.

Marita Loew lebt mit ihrem Mann und ihrem Kater im Saarland.

Inhaltsverzeichnis

Sportmausi

Biotonne

Schönheitskönigin

Einbrecher

Carlo, mmh...

Katzenfutter mit Hund

Home Sweet Home

Badespaß

Lovesea

Verliebt

Weg

Afrika, ich komme!

Malaau

Samuel

„Skorpion morde“

Campleben

Endlich Antoine

Neubeginn

Heia Safari

Roman

Indisches Projekt

Sportmausi

Mein Blick geht an spargeldünnen Stangen vorbei, aber etwas verwehrt mir die freie Sicht.

Hin und her.

Bambussträucher wiegen sich im Wind.

Hin und her.

Ich spüre ein Gefühl von Freude und Glück.

Ich möchte meine Augen schließen, nur weiter ruhen, genießen - einfach so.

In meine Brust schießt ein gewaltiger Atem. Gewaltig hebt und senkt sich mein Brustkorb, ich spüre die strömende Luft und bin glücklich.

Glückliches Atmen - toll.

Es ist so einfach, warum können nicht alle glücklich sein. Ich bin jetzt glücklich.

Ich dehne meinen Körper, spüre den wohligen Schmerz ganz leicht an meinem rechten Bein. Meine Muskeln arbeiten. Ich bin eine Maschine.

Ich werde eine definierte Muskelmasse und versuche beim Ausatmen leicht den Bauch einzuziehen.

Oh ja, es fühlt sich fest und jugendlich an, denke ich, träume ich.

Ich lausche entfernter Musik und träume weiter.

Von Johnny Depp. Verwegen schwingt er seinen leichten durchtrainierten Körper an einem Seil hängend von einer Schiffsseite zur nächsten. Der feurige Blick des hübschen Piraten erfasst die zerbrechliche Prinzessin. Wird er sie erringen oder muss er sich gewaltsam ihre Liebe stehlen. Ich atme schwer.

Mir wird warm. Wärmer.

Leicht schwitze ich bei der Vorstellung des umwerfenden Piratenkusses. Meine gesamten Körperhaare richten sich auf und versuchen meinen Sinnen auf die Sprünge zu helfen. Mein Kopf schaukelt leicht vor und zurück und mein Herz schwingt im Takt.

Johnny legt seine Piratenhand auf meine niedliche Wespentaille, umfasst mich eng und will mich aufrichten. Ich spüre seinen Atem und seine Wimpern streicheln mein Gesicht.

Da spaltet mich ein unglaublicher Schmerz im Bein, ein Krampf hat mich ereilt.

Was hat Johnny gemacht?

Der Schmerz zerreißt mich in zwei Teile. Mein Bein wird hart und ich versuche eine Drehung nach rechts, um mich auf die Seite zu rollen. Eine Meisterleistung bei meiner Körpermasse. Oh Gott! So ein Schmerz.

Ich reiße die Augen auf. Das Rechte öffnet schneller als das Linke und ich erstarre.

Keine zwei Meter von mir entfernt springen spindeldürre Gestalten zu tonloser Musik.

Ich halluziniere oder so.

Das Headset verhilft ihnen einen Rhythmus einzuhalten, den sonst kein normaler Mensch zu Wege bringen würde.

Hoch, runter, rechts, rechts, links, hoch, runter...

Bambusstangen eben, im Wind.

Nach zwei Minuten sehe ich klarer. Ich bin zurück.

Leider. Ich liege mit meinem speckigen runden Körper und starkem Übergewicht auf einer Turnmatte, im Gymnastikstudio für Frauen. Ich weiß, ich muss was tun, damit ich abnehme. Die Beweglichkeit ist schon besser geworden, aber die Fülle legt sich wie ein Alptraum um mich herum.

Meine Bambusstangen entpuppen sich als wild tanzende Fitnessgruppe, die ich durch eine Glaswand erblicke. Scheiße, alle sind hier dünn, nur ich nicht.

Dafür bin ich aber hübsch. Kleiner Trost.

Warum nur habe ich die Augen geöffnet. Ich kann nur wabbernden Nebel in meinem Gehirn feststellen. Alles unwirklich.Total merkwürdig.

Befinde ich mich in der ärmsten Region der Welt?

Springen hungrige, ausgemergelte Frauen zu rituellen Tänzen um ein Feuer? Ist es der Hunger, der alle steuert?

Hohle Wangen, hohle Augen, dünne hängende Arme und keine schwingende Beinhaut.

Voodoo in Deutschland! Nein, ich beneide alle Hüpfer und ich, ja ich habe wieder Hunger.

Da spüre ich den blanken Stahl von einem Schwert in meinem rechten Bein. Ein megastarker durchdringender Schmerz zerreißt mein dämmerndes Hirn. Aua! Johnny, wo bist du. Johnny, rette mich. Heb dir ruhig einen Bruch bei meinem Gewicht.

Hebe mich auf und trage mich auf dein Schiff. Weit weg von diesen bizarren Figuren.

Johnny kommt nicht. Meine Augen gewöhnen sich an die Umgebung. Sie sind gewohnt, was ich sehe.

Ein schwarzer Bogen spannt sich über mein Gesicht.

Vielleicht beginnender grüner Star?

Nein.

Ich liege auf einer türkisfarbenen Turnmatte unter einem Bauchtrainingsgerät. Das Training mache ich zwei Mal die Woche. Leicht wippend hängt mein Kopf auf einem gepolsterten Bügel. Ich stöhne. Der Schmerz heult immer stärker auf und ich versuche mich aus der blöden Maschine zu winden.

Die Bambusstangen von nebenan würden mit einem Hüpfer in den Stand gelangen, ich nicht. Ich liege schwer wie Eisenerz verrenkt in diesem Bauchroller und versuche mich dahingehend zu konzentrieren, den Schmerz erst zweitrangig einzuordnen, um nicht wie ein Idiot zu schreien. Eine gewaltsame Schwingung meines Oberkörpers in die Höhe.

Ich rolle mich auf die Seite, stelle meine Beine an und beiße die Zähne zusammen.

Welch ein Schmerz! Das linke Knie steht auf der Matte, drückt nach oben und ich ergreife den Heizkörper neben mir, der sich, gelangweilt rumhängend, meinen Händen nicht entziehen kann.

Ein Ruck und ich kann das schmerzende Bein aufstellen und mich mit einem fulminanten Schwung nach oben stemmen. Der Heizkörper knackt gefährlich.

Habe ich jetzt die Heizung abgerissen? Ich stehe auf meinen Füßen und denke nach.

Als erstes brauche ich Magnesium. Dieses Allerheilmittel lässt Wadenkrämpfe verschwinden. Ich liebe das Zeug.

Ich hinke zur Fensterbank und angele mir aus meiner Trainingsjacke zwei kleine Tüten. Schnell, schnell.

Aufreißen, auf die Zunge schütten, warten.

Stunden..... (gefühlt). Endlos.

Der Krampf lässt nach und ich kann wieder durchatmen.

Im Spiegel der Fensterscheibe erblicke ich meine Gestalt. Stämmig, kompakt, nicht riesig, eher mittelgroß, rundlich, speckig, mit etwas Taille und ausladenden Kurven. Mein hübsches rundliches Gesicht mit Apfelbäckchen wird von kastanienbraunem halblangem Haar umflattert. Als Kind hatte ich viele Locken, aber momentan hängen sie etwas lustlos herum. Kräftige Arme und Beine runden den Bergbauernlook ab.

Eine stolze Figur, würde man auf den Fidschi-Inseln sagen. Aber bei uns in Deutschland sind die magischen Rundungen aus der Mode.

Am besten denke ich, lasse ich mich einfrieren bis sich die Mode ändert und Rubensmodelle wieder in sind. In allen Museen der Welt räkeln sich stattliche Figuren in den Glasvitrinen. Megadicke Oberschenkel hindern jegliche Luft am stürmischen Wirbeln. Überall Speck, da fndet die Luft keinen Durchlass. Die weibliche Scham ruht weich und erhitzt in einer sturmfreien Tabuzone. Ich wünsche mir auch den Wind. Zwischen den Oberschenkeln angenehme Kühle statt reibendem Speck. Ich leide unter meinem Gewicht, meinem speckigen Körper. Ich muss was tun.

Ich habe meinen Tabuzonen den Kampf angesagt, nach tausend Versuchen endlich abzunehmen. Einfach nur normal sein. Kein Übergewicht mehr, wunderbar.

Gewicht verlieren fängt im Kopf an.

Sagt man.

Genau, stimmt - und zwar im Vorderkopfbereich genannt dem Schnabel oder Mäulchen.

Wenn es wirklich so wäre, dass bei der Nahrungsaufnahme selbst, die Anzahl der Kaubewegungen eine gewichtsreduzierende Wirkung hätten, wäre ich dünn, sehr dünn sogar.

Ich kann den ganzen Tag essen.

Natürlich nur Ausgesuchtes und Feines. Keine Berge billigen Schrotts wie Fastfood oder so. Nein ich esse gern Leckerfood und Schokolade jeglicher Art.

Um den ganzen Genuss auch magenfreundlich zu gestalten, neutralisiere ich das viele Süße mit frischem Baguette und reichlich Butter.

Aber auf zu neuen Ufern. Jetzt wird’s Zeit.

Kopf einschalten, Mäulchen zu und bewegen. Hüpfen, hüpfen, hüpfen.

„Sport wird ein wesentlicher Bestandteil meines neuen Verhaltens,“ sage ich mir als neuen Leitsatz ständig auf. Auch auf meiner Couch versuche ich, daran zu denken. Diese Gymnastikgruppe vorhin ist nichts für mich. Es gibt keine Anreize.

Ich kann aussehen wie ich will – Verständnis.

Ich kann die Übungen so lasch machen wie ich will – Verständnis.

Diese Gymnastikburgen outen sich als Eldorado für alle, die sowieso schon motiviert sind.

Ich bin noch nicht so weit.

Am Liebsten hätte ich einen kleinen Zengarten.

Schwarzer und gelber Sand, grob der gelbe und feinporig der schwarze. Leichte Kreise könnte ich mit meinem Zenrechen kehren. Rechts herum und links herum. Herrlich.

Geistig stelle ich mir vor, wie angenehm der kühle Sand durch meine Zehen gleitet. In einen leichten Kimono gewandet, kehre ich meine Sorgen weg. Aus dem Sand, aus dem Leben, einfach weggekehrt.

Wäre es nur so einfach. Ich war schon ein dickes Kind, ein stämmiges Baby.

Oh, wie niedlich hieß es immer. So süße Beinchen mit Babyspeck. So ein pausbäckiges gesundes Gesicht mit roten Wangen. Goldig.

Leider haben sich weder das Gesicht noch die stämmigen Beinchen geändert. Seit meiner Jugend hoffe und warte ich auf „den Schuss“. Bei uns zu Hause hieß es immer, wenn sie mal einen „Schuss“ macht, hat sie eine gute Figur. Nur, wann kommt der „Schuss“.

Mit annähernd drei Jahrzehnten müsste die Pubertät doch längst vorbei sein.

Am nächsten Morgen gehe ich zur Arbeit. Ich gehe eigentlich gerne hin. Ich sitze vor meiner Werkbank und habe die Schuhe ausgezogen. Der Fußboden ist angenehm kühl. Durch das stundenlange Sitzen sind meine Füße oft angeschwollen und meine Schuhe drücken mich. Nicht dass sie sonst schmal wären, nein leider, nur an kühlen Tagen ist es nicht so schlimm und es macht mir nicht so viel aus.

Da meine Beine stämmig sind, bevorzuge ich Schuhe mit Absätzen. Je höher, desto lieber. Bei hohen Schuhen fühlen sich die Beine schlank und drahtig an. Aber wie gesagt, nicht immer.

Heute drängen Flüssigkeitsmassen abwärts.

Ich fühle sie schon seit einer Stunde. Ausgerechnet heute. In einer halben Stunde ist eine Personalbesprechung in der Aula und ich will einen guten Eindruck machen. Wie immer. Perfekt gestylt, perfekt vorbereitet, perfekt doof.

Ich gehe in Gedanken noch einmal die neuesten Resultate unserer Testreihe durch und versuche mich zu konzentrieren. In meiner Handtasche trage ich einen Lippenstift und einige Schminkstifte mit, um mich jederzeit aufzufrischen. Ich ziehe meine Lippen nach und stelle fest, sie sind mit im Parterre. Dünne leblose Lippen, oh nein, gerade jetzt.

Kann das sein?

Waren die heute morgen nicht knackig und prall?

Ich trage den Lippenstift so dick wie möglich auf.

Schnell tusche ich meine Wimpern nach. Ausgerechnet heute stehen sie wie tote Mückenbeine kreuz und quer.

Oh Mann, was für ein Tag. Einen Biss in meinen Müsli-Nussriegel und ich hangele nach meinen Schuhen. Aber sie sind nicht mehr da.

Weggerutscht.

Ich hangele sie heran, aua, mein großer Zeh.

Eigentlich ja alles kein Problem. Ich habe mich daran gewöhnt. Aber heute stehe ich da, mit aufgequollenen Füßen und hochhackigen Lackschuhen, die absolut nicht zusammen kommen wollen. Egal, hineingequetscht, ich muss los. Ein kurzer Schmerz, geschafft.

Atempause – Luft holen. Ausatmen, einatmen, aus, ein, los geht’s.

Oh Gott, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich beeilen will.

In der Aula hat der Hausmeister einen Kreis aus Stühlen aufgestellt. Hell leuchtet die Sonne ins Atrium und schenkt gute Laune. Unsere Aula ist wirklich wunderschön gestaltet, wie ein kleiner Park. Viel Grün, herrliche Palmen und ein Rattangefäß mit bunten Orchideen. Um die Pflanzen wurde farbiger Mulch aufgehäuft. Eine entspannte Atmosphäre für berufliche Anspannungen.

OK, es geht los. Unser Chef taucht auf.

Einige Kollegen sind schon da und unterhalten sich laut. Als ich vorbeischreite, bricht die Unterhaltung kurz ab und ich werde freundlich begrüßt. Heute kann ich nicht gehen, nein, ich schreite. Ich muss schreiten, der Not gehorchend. Diese verdammten Schuhe.

Ich setze mich auf einen Stuhl und schaue professionell, das heißt, ich erstarre. Im Fernsehen habe ich das mal bei einer Talkrunde gesehen. Die Anwesenden setzen sich und erstarren, sie schauen gerade aus und wirken total konzentriert.

Also konzentriere ich mich und mein Daumen nebst Zeigefinger nehmen Position ein. Wenn ich mich konzentriere muß ich drehen.

Irgendeinen Knopf gibt es an jedem meiner Outfits, leider.

Dudel, dudel, dudel.

Schon als Kind hat sich diese Leidenschaft herausgestellt. Ein Erlebnis aus meiner Schulzeit zeigt meinen hemmungslosen Umgang mit Drehbarem. Ich wuchs in einer lebhaften gutbürgerlichen Familie auf.

Mutter, Vater, Oma, Opa und ich wohnten zusammen in einem kleinen Haus, das Opa zu seiner Hochzeit selbst aufgebaut hatte. Und wie man sich denken kann, wurde immer irgendwo gewerkelt. Wir hatten alles, was wir brauchten, mussten aber aufs Geld achten. Also gingen wir sehr pfleglich mit unseren Sachen um.

Beim Wechsel auf die höhere Schule, wie es damals hieß, kaufte Mutti mir einen wunderschönen bunten Mantel. Bunte Blüten rankten auf hellem Grund. Ein absoluter Blickfang waren vier große Knöpfe, die aus Perlmutt in der Sonne glänzten.

Ich war sofort in diesen Mantel vernarrt.

Schon beim Aufstehen freute ich mich. Heute wird mein großer Tag, die neue Schule ruft.

Ich kämmte meine Locken besonders gründlich und putzte mich fein heraus. Der Höhepunkt nach einem leckeren Frühstück war mein Blütentraum, das Mäntelchen mit den Perlmuttknöpfen. Meine Mutter half mir mit dem Schulranzen. Noch meine Fahrkarte und schon ging es los. Mutter blieb an der Bushaltestelle stehen und ich fuhr allein los, in die Stadt – oh, wie war ich aufgeregt. Das Einsteigen in den riesigen Bus fiel mir leicht. Schnell hüpfte ich die hohen Stufen empor und hatte sogleich einen Platz am Fenster. Beim Ablegen des Ranzens achtete ich sehr darauf, dass der Stoff nirgends einriss.

Klappte wunderbar. Interessiert nahm ich die vorbeirauschende Landschaft ins Visier. Es gab ja so viel zu sehen. Die netten Häuser unseres Dorfes mit den gepflegten Vorgärten. Ein kleines Waldstück mit einem Weiher, bunte Blumenwiesen und eilende Menschen machten meine Beobachtungen spannend. Ein großer Raubvogel hielt Ausschau nach seinem Frühstück. Was er wohl mochte? Ein Mäuschen. Ein helles Plong unterbrach meine Augenexkursion und ich sah meinen Perlmuttknopf in Richtung Füße rollen. Oh nein. Wie konnte das passieren?

Beladen mit dem sperrigen Kasten auf dem Rücken versuchte ich den Ausreißer zu erwischen. Nach langem Rumwuseln hatte ich ihn dann doch geschnappt.

Gott sei Dank. Nicht auszudenken, wenn ich nur mit drei Knöpfen nach Hause gekommen wäre. Sehr wahrscheinlich hätte es keinen Mantel mehr, sondern nur einen Anorak oder Schlimmeres gegeben. Also Annabell, pass auf.

In der Schule stellten wir Schüler uns auf. Je 30 gingen zusammen in eine Klasse.

Ich war etwas aufgeregt und drehte verlegen an einem Knopf. Nur ein wenig, eigentlich langsam, aber es reichte aus, ihn nach zehn Minuten in der Hand zu halten.

Na super, toll gemacht. Schnell steckte ich ihn in die Manteltasche.

Heute war alles neu, die Mitschüler, die Lehrer – einfach alles. Nach drei Stunden war der Unterricht vorbei und ich war erleichtert. Hat doch alles prima geklappt. Ich zog meinen Mantel an, schwang den Ranzen auf den Rücken und schon hörte ich ein leises Reissen, ein merkwürdiger Ton begleitete den katapultartigen Flug meines obersten Knopfes. Ich konnte es nicht glauben. Der obere Knopf war abgerissen. Ich hatte gar nichts gemacht.

Plopp – weg.

Egal.

Ich rannte zum Bus, fuhr nach Hause und betrachtete den sich eintrübenden Himmel. Hoffentlich hielt das Wetter und ich würde nicht nass werden. Doch welch ein Glück – ich schaffte es gerade bis zu unserer Haustür mit dem geschwungenen Kunstschmiedegitter.

Als ein Platzregen niederprasselte, drückte ich mich gegen die Tür und klingelte Sturm.

Zum Glück öffnete meine Mutter schnell die Tür und ich als ich merkte, dass ich hänge....

Es war nicht zu glauben, aber mein neuer wunderschöner Mantel verhedderte sich in der mittleren Kunstschmiedeschnecke und Mutters Schwung riss den Letzten der Mohikaner ab. Besser hätte es nicht kommen dürfen. Meine Mutter nahm meinen Mantel an sich und versprach, sämtliche Knöpfe zu kontrollieren und richtig fest anzunähen.

Ich griff in meine Manteltasche und legte drei Knöpfe dazu. Sie leuchteten wie Gold. Mutter und ich sahen uns an und wir prusteten los.

Wir lachten und lachten und lachten. Schließlich gingen wir eingehakt in die Küche und beim Essen konnte ich meine Erlebnisse erzählen. Es wurde ein ausgelassenes Essen, wir lachten bis uns die Tränen über die Wangen liefen und freuten uns miteinander über den ersten Tag an der neuen Schule.

Soviel zum Knopfdrehen.

Die Einleitung meines Chefs ist kurz, dann kann ich beginnen, die Statistik vorzulesen. Alle Augen ruhen auf mir. Mir wird heiß.

Geschmeidig wie eine Anakonda drehe ich mich in die Höhe und lege die Folie auf den Projektor. Alle schauen mich an. Ich hasse diese Situationen, in denen man bekennen muss. Also versuche ich, die Augen der Kollegen schnell auf die Projektionswand umzuleiten.

Ich tippe mit dem Laserpointer auf unser Firmenlogo und die Augen folgen.

Ich zeige auf die neuesten Ergebnisse und will gerade ein kurzes Statement abgeben, als ich merke, dass ich kleiner werde, ich versinke leicht und sacke ein.

Dummerweise habe ich mich auf das schöne bunte Mulchbeet gestellt und meine Absätze sinken nach unten. Sie dringen in den Mulch ein.

Gleichzeitig steigt ein leicht erdiger muffeliger Geruch auf. Oh nein, der Mulch ist frisch und ich latsche rein..

Es riecht nach Verwesung. Habe ich in die Hölle gepiekst? Toll gemacht, besser kann es nicht kommen.

Denkste, es kann besser kommen.

Ich versuche mein Gewicht nach vorne zu verlagern, um meine Absätze aus dem Mulch zu ziehen. Dabei rede ich gekonnt über die neueste Ergebnisreihe. Hätte gar nicht gedacht, dass ich so toll zweigleisig kann.

Kann ich auch nicht. Wusste ich aber nicht.

Ich rede und verlagere, als ich merke, wie ich den Halt verliere und nach vorne falle.

Zum Glück steht zu meiner Rechten ein kleiner Tisch mit Getränken und Fingerfood.

Eine wunderbare Sache, bei der man weder Teller noch Besteck braucht. Nur Servietten und die liegen reichlich bereit. Fingerfood ist für diese Art von Veranstaltungen super geeignet. Klein, fein, lecker.

Aber dann. Es kommt, wie es kommen muss. Ich kralle mich an der Tischkante fest, um meine Balance wieder herzustellen, als ein Hauch frisch gemahlenem Pfeffer meine Nase reizt. Mit einem lauten Nieser drückt sich die Tischplatte nach oben.

Es klirrt und scheppert, weiße Papierflieger überholen bunte Suppenlöffel. Kleine erlesene Kunstwerke der gehobenen Küche, drapiert auf einem gekrümmten Suppenlöffel schießen in alle Richtungen. Es herrscht Krieg am kalten Büffet.

Dann geschieht alles gleichzeitig.

Ich falle aus den Schuhen auf die Orchideeninsel.

Meine Schuhe stecken im Mulch fest.

Tief atme ich den erdigen Mulchgeruch ein. Eine lila Orchideenrispe hängt an meiner Schulter, auf meiner Stirn klebt eine Blüte. Ich fühle mich wie auf Hawaii.

Die Kollegen springen auf und versuchen die Flugobjekte zu fangen oder aufzuheben. Unser Chef springt nach hinten, um sich in Sicherheit zu bringen.

Na klar, er ist ein Held. Alle versuchen nicht in die Häppchen zu treten.

Ich bleibe einfach liegen.

Mir ist gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen zumute. Es herrscht eine tödliche Stille, nur die im Mulch verstreuten Sprudelflaschen zischen leise vor sich hin. Die dicke Anakonda schlängelt sich nach oben. Traurig hängen die Orchideenrispen um meinen Kopf.

Aloha – in Hawaii könnte ich so geschmückt zum Tanz.

In unserer Firma hat niemand ein Auge für diesen botanischen Schmuck. Alle schauen nur entsetzt.

Ich komme nicht hoch. Nirgendwo kann ich mich festhalten. Es braucht drei Kollegen, um mich nach oben zu ziehen.

Peinlich, peinlich, peinlich. Die Zusammenkunft findet weiter ohne mich statt. Ich trolle mich in mein Büro.

Durch das weit geöffnete Fenster atme ich die reine Luft, ohne Verwesung. Langsam beruhige ich mich.

Das kann ja jedem mal passieren. Ein Ausrutscher, ein Hinfallen, ein Missgeschick.

Nur bei dicken Leuten ist es peinlich. Ich wusste gar nicht, wie unbeweglich ich bin. Jetzt weiß ich es. Liege ich mal wie ein Kartoffelkäfer auf dem Rücken, ist es aus. Ich kann mich rollen, Beine anziehen, Bauch einziehen aber ich komme nicht mehr auf die Beine.

Nun ja, die Kollegen haben wieder Stoff zum Lästern.

Könnte mir egal sein, ist es aber nicht. Auf die gut gemeinten Ratschläge, Ernährungstipps und sonstigen Boshaftigkeiten habe ich keine Lust.

Ich werde was ändern. Freiwillig. Schon Morgen. Also, Dickie Hoppenstett, auf ins nächste Trainingscenter.

Gemischtes Center für Männer und Frauen.

Hausfrauen, Pensionäre und Arbeitnehmer mit Figurproblemen. Mulchtaucher und Fingerfood-Umherschiesser.

Ich finde im Internet ein geeignetes Fitnesscenter ganz in meiner Nähe.

Nachtigallenweg, Frankfurt Süd.

Auf, auf, ich fahre hin.

Schon geht der Stress los. Noch bevor ich auch nur einen Fuß in das Studio gesetzt habe.

Es gibt keinen Parkplatz!

Wie kann es sein, dass sportive Menschen so dicht am Studio parken. Ich bin ja eine traurige Figur, Anfängerin im Sport und dazu noch in der Anfangsphase. Eine kleine Lücke direkt vor dem Eingang zum Fitnesscenter erweist sich als zu klein.

Selbst für mein Auto war sie zu klein.

Super.

Ich versuche es an einer anderen Stelle erneut. Ein paar Häuser weiter gibt es einen kleinen Park mit 2 Parkplätzen davor. Na prima, geschafft. Das Fitnesscenter liegt einladend und erleuchtet vor mir.

Nobel, nobel, denke ich. Passe ich dahin? Mit meinem VW Polo habe ich nur wenig zu bieten. Um den, aus dem Fenster blickenden Fitnesshühnern etwas zu bieten, lasse ich mein Dach automatisch aufklappen, schließlich ist mein Kleiner ja ein Cabrio, naja, das Dach lässt sich halt öffnen. Aber immer hin. Cabrio ist Cabrio.

Ich schließe meine Scheibe an der Fahrerseite und schwinge mich umständlich aus dem Wagen. Ich greife auf den Beifahrersitz, wo meine neue indische Ledertasche vom Flohmarkt steht. Diese darf mich ab jetzt zu meinem Training begleiten.

Ich bin aufgeregt und ängstlich. Habe ich Hemmungen?

Na klar, megaviele.

Ein forscher Blick in den Außenspiegel verrät mein ordentliches Make up und ich reibe meine Lippen gegeneinander, um den Glanz meines rosa Lippenstiftes zu erhöhen.

Ich fühle mich aufgeregt, hübsch zurecht gemacht, einfach unwiderstehlich. Positiv denken, Annabell! Meine Füße stecken in neuen Turnschuhen, die weiß vom strahlenden Türkis meines neuen Turnanzuges abstechen. Ich habe ja viel suchen müssen, um überhaupt einen Turnanzug zu bekommen. In Übergröße eine Rarität. Und dann auch noch in Türkis, der Himmel! Mit Schwung schließe ich die Autotür und meine neue Tasche entwickelt ein Eigenleben, sie springt in die Büsche. Na toll. Ich bücke mich und versuche die Tasche zu erreichen. Auf dem glitschigen Boden des Parks, direkt unter den Bäumen, gar nicht so einfach. Duftende Sträucher umgeben mich. Wie hübsch sie aussehen, diese kleinen bunten Blüten. Ein Schild weist auf den Namen hin, Pfaffenhütchen, wie nett.

Der Schönheit des Pfaffenhütchens wird man am schnellsten gewahr, wenn man ihm, wie ich auf dem Boden kniend, sehr nahe kommt.

Na prima. Ich stehe gebückt da, hangele nach der Tasche und biege die Zweige auseinander. Von oben streichelt ein kleiner Zweig mein Haar und schon hänge ich fest. Ich zerre an dem Zweig, indem sich meine Haare verfangen haben. Genau in diesem Augenblick klatscht mir ein kleines pinkfarbenes Pfaffenhutblümchen ins rechte Auge.

Nur nicht reiben, denke ich, aber es ist schon zu spät.

Genussvoll muss ich, vom Innersten getrieben, meine Speckfaust ans Auge reiben.

Kleine Tränen kullern über meine Wangen und versinken, leicht geschwärzt, im Ausschnitt meines neuen Turnanzugjäckchens. Meine linke Hand umklammert das Täschchen und ich schüttele mich aus dem Zweig. Jetzt sehe ich bestimmt super aus.

Ein Blick in den Außenspiegel lässt mich zusammenzucken. Ich wußte es.

Make up war mal schöner, Lippenstift verschmiert, Augen schwarz gerieben, aber nur außen, innen sind sie gerötet, als hätte ich mit einem Fernrohr in die Hölle geblickt.

Oh nein, jetzt soll ich so demoliert ins Training gehen?

Menschenskind, ich werde wütend – ich hasse Sport, ich hasse Fitnessstudios, ich hasse dünne Frauen, ich hasse mich.