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Der spannende zweite Teil handelt von Literatur und Ruhm und versetzt den Leser in eine andere Welt.Christopher Marlowe und Robert Greene sind beide gestorben, doch unwissentlich haben sie genau das erreicht, was sie sich gewünscht hatten: Dichterischer Nachruhm und Ansehen. Während William Shakespeare im ersten Teil nur indirekt erwähnt wurde, kreist dieses Werk insbesondere um den berühmten Schriftsteller, der sich als Schreiber der beiden vorherigen Protagonisten herausstellt.-
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Seitenzahl: 241
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Ludwig Tieck
Saga
Dichterleben - Zweiter Theil
Coverbild/Illustration: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Shakespeare_and_His_Contemporaries.jpg
Copyright © 1825, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728016008
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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(Der Dichter und sein Freund.)
An einem warmen und heitern Sommertage stand der Wirth zur Krone in Oxford in der Thür seines großen Hauses, um die Kühlung zu genießen. Die Studirenden wandelten in ihren Mänteln im Schatten der Häuser, um sich vor der Stadt zu ergötzen. Ein großer lebhafter Mann, in der schwarzen Tracht des Gelehrten, kam mit eiligen Schritten die Straße herunter und blieb vor dem alten ehrsamen Bürger stehn, indem er sagte: Euer Haus ist wieder leer, guter Mann, und es reisen nur wenige Menschen jetzt.
Nicht immer kann alles gleich seyn, erwiederte der Wirth, eine große Feierlichkeit der Universität, eine Reise unsrer Königin Elisabeth, ein Fest in der Nähe, bringt dann einmal wieder alles doppelt und dreifach ein.
Man sagt, erwiederte der Gelehrte, es soll wieder eine Krankheit, eine ansteckende, und ein großes Sterben in London ausgebrochen seyn, da werden sich wohl viele vom Adel und der reichen Bürgerschaft auf das Land hinaus begeben, und Eurer Krone wird es nicht an Gästen fehlen.
Ihr sprecht aber gar nicht mehr bei uns ein, verehrter Herr Cuffe, antwortete der Gastwirth: sonst versammeltet Ihr Euch so oft bei mir mit andern gelehrten Herren, und nebenher, daß ich schöne Kronen verdiente, erhört' ich noch so manches gelehrte Wort bei der Aufwartung, so manchen Gedanken über Kirche und Staat, vielfältige Nachricht vom Zustand der Dinge in Europa, daß diese Abende zu den frohesten meines Lebens gehören. Auch könnt Ihr mir nicht nachsagen, daß ich mich aufgedrängt hätte, wenn ich merkte, Ihr wolltet allein seyn, und noch weniger, daß ich an andere dumme Menschen das verschwatzt, was ich von Euch lernte.
Der Gelehrte, welcher das Ansehn eines Mannes von einigen dreißig Jahren hatte, schien plötzlich verdrüßlich zu werden, denn er grüßte einen Professor, der so eben vorüber ging, kaum, und sagte dann mit finstrer Miene: seht, Freund, seit ich auch Professor geworden bin, ist meine Jugend und mit ihr mein Frohsinn verschwunden. Wie vielen Verdruß ich schon überstanden habe, daß ich nicht seyn kann wie meine ältern und jüngern Collegen, wißt Ihr selbst. Ist man einmal verhaßt oder beneidet, so weiß der lauernde Argwohn aus den gleichgültigsten Dingen etwas Verdächtiges heraus zu lesen; jeder Einfall, jeder Scherz wird dann wieder erzählt, durch Zusätze entstellt, den Vorgesetzten und Protektoren mit höhnischen Bemerkungen mitgetheilt, und man ist gefährlich, gottlos, Verläumder, bittrer Satiriker – und, was weiß ich, Alles, – bloß, weil man so ganz natürlich sich hat gehn lassen, und seiner augenblicklichen Laune ohne Berechnung nachgegeben. Gehe ich mit den älteren Herren wie mit meines Gleichen um, so nennen sie mich anmaßend: thu' ich dasselbe mit den jüngern, oder gar den Studirenden. so will ich mir eine Parthei machen, so will ich sie wohl gar gegen diesen und jenen aufwiegeln.
Die Erhöhung des Standes, sagte der Wirth bedächtig, die Autorität erfordert freilich Zwang und Einschränkung, und wie ich mich dazumal verheirathete und Bürger hier in Oxford wurde, habe ich auch erfahren, wie schwer es mir in den ersten Monaten wurde, mich mit einer gewissen Würde zu betragen, denn es ist wie ein Spiel, das man lernen muß, diesen Schein, diese Aeußerlichkeit sich zu eigen zu machen. Hat man das Ding erst weg, so muß man sich nur hüten, nicht des Guten zu viel zu thun, und darinnen zu schwelgen, denn es ist doch nichts so anmuthig und bequem, als sich vor den Leuten ein rechtes Ansehn zu geben, daß sie sich gleichsam fürchten, und Gedanken, Einsicht und treffliches Wissen in so einem armen Kopf, wie der meinige ist, vermuthen, bloß weil er vorn im Gesicht ein Aushängeschild von Weisheit und Tugend mit großen Buchstaben schweben läßt.
Hübsch und wahr, sagte der Professor; doch werde ich mir niemals ein solches Bierzeichen malen lassen. Schade um die Wand, die dadurch entstellt wird. – Doch gebt uns, Freund, heut Abend das große Zimmer, denn ich denke mit einigen frohen Leuten mir einmal wieder eine gute Stunde zu machen.
Der Professor entfernte sich und der Wirth schmunzelte und sagte für sich: vielleicht ist denn diese Herablassung auch nur eine andere Art des gelehrten Hochmuthes. Ohne Eitelkeit und Hoffarth lebt denn doch fast kein Mensch, wie das die tägliche Erfahrung giebt, und zu wissen, wo die Eitelkeit dieses und jenes liegt, ob in der Autorität, oder in der Gelehrsamkeit, oder in der Schönheit und im Reichthum, heißt den Menschen schon großentheils erkannt haben.
Ein klepperndes Pferd, dessen Gang Müdigkeit ankündigte, ließ sich vernehmen. Bald ward der Reiter sichtbar, der sich bemühte, seinem Pferde neuen Muth einzuspornen, doch konnte er es nicht möglich machen, anders, als in einem Trab, der fast ein lahmer Paß war, vor dem Gasthof anzulangen. Er hielt; ein Aufwärter half ihm vom Roß, das der Diener sogleich in den Stall führte.
Der Fremde war vom Reiten erhitzt, er schien ein Mann von ohngefähr dreißig Jahren, war von mittlerer Größe, schlank gebaut und von freundlichem Wesen. Als der Wirth ihn begrüßte und der Gast den Hut abnahm, zeigte sich eine freie, heitre Stirn, von schlichten, dunkelbraunen Haaren umlegt. Im Verhältniß zum wohlgebauten Körper erschienen die Beine fast um etwas zu dünn; auch war der Tritt und Gang nicht so kräftig, als man dem sonst rüstigen Manne zutraute.
Es macht heiß, sagte der Wirth, und nach dem Roß zu urtheilen, habt Ihr, geehrter Herr, heut schon eine weite Tagereise gemacht.
Das Roß, erwiederte jener, ist nicht von den stärksten und schnellsten, aber freilich hat es arbeiten müssen, denn ich habe vorgestern um Mittag erst London verlassen. Räumet mir, wenn Ihr könnt, zwei Zimmer ein, denn ein Freund von mir wird heut noch eintreffen, und laßt meinen Mantelsack auf meine Stube bringen.
Der Wirth verbeugte sich, und trat schnell in das Haus, um den Auftrag auszurichten. Der Fremde stand noch lange und betrachtete sinnend die Gebäude und die Stadt, dann ging er wie tiefdenkend vor dem Hause auf und ab, und schritt endlich langsam die Treppe hinauf, um sein Gemach aufzusuchen.
Nun? – sagte der Wirth im untern Zimmer zu einem magern, hochgewachsenen alten Mann, dessen Antlitz blaß und eingefallen war, die Lippen waren ihm so schmal, daß sie sich kaum zeigen konnten, und die kleinen Augen, von denen das rechte etwas schielte, funkelten mit blitzendem Feuer aus der blassen Maske des Gesichtes – nun? alter Baptista, wie Ihr Euch am liebsten nennen hört, guter Freund und großer Philosoph, der Ihr alle Menschen aus dem Aeußern, Gesicht, Händen, Haltung, Gang und Mienen erkennen wollt: – was urtheilt Ihr von unserm so eben eingekehrten Fremden, den wir beide so genau beobachtet haben?
Die hagre Gestalt stemmte den Ellbogen auf, und legte das eingefallene Gesicht in die Hand, indem er lange die Decke des Zimmers anstarrte. Der alte Wirth und dessen Frau waren in Erwartung, welche Aufschlüsse diesem langen Nachsinnen folgen würden; doch jener Physiognomiker, der es seinen Freunden angewöhnt hatte, ihn, nach seinem berühmten Zeitgenossen Baptista della Porta, Baptista zu nennen, sagte endlich feierlich und mit gemessener Stimme: liebe, wißbegierige Menschen und Freunde, daß ich nach dem herrlichen Buch des Porta keine unnützen Studien gemacht habe, könnt Ihr mir bezeugen, da Euch meine Urtheile mehrmals überrascht, und meine Entdeckungen zuweilen erschreckt haben, denn die Wissenschaft kann nicht trügen. Aber dieser nicht große und nicht kleine, nicht dünne und nicht dicke Mann giebt mir zu schaffen und macht mich zwar nicht irre, aber doch sehr nachdenklich. Es giebt nun ein doppeltes Erkennen: ein verneinendes und ein bejahendes; und wenn das letzte auch nur das eigentliche ist, so darf man das erste, welches bestimmt aussagt, was ein Mensch nach seiner Gestaltung nicht ist und nicht seyn kann, schon eine Vorrede, Einleitung, oder Vorbereitung zum bejahenden nennen. Dieser Mann also, in dem einfachen schwarzen Anzuge, der ohne alle Bedienung reiset, ist gewiß kein vornehmer Graf, oder Lord, denn alle seine Bewegungen sind bescheiden, und seine behende Wendung und Gangweise zeugt eher von angewöhnter Unterwürfigkeit. Er ist aber auch kein Schneider, denn seine Kleider sitzen etwas nachlässig, er sah auch den Schnitt des Rockes von zwei Vorübergehenden nicht an. Ein Mann, der Vieh einkauft, ist er ebenfalls nicht, noch ein Seefahrer, denn er ist zu tiefsinnig und nicht gleichgültig gelaunt, wodurch sich diese Leute immerdar auszeichnen.
Er ist auch kein Gastwirth, unterbrach ihn der Wirth, denn er sah nicht einmal nach dem Stall, wie der beschaffen ist; er ist auch kein Weinhändler, denn – –
Still! rief Baptista, Ihr fahrt mir ohne Noth zwischen meine Betrachtungen, denn so ist es nicht gemeint, sonst könnte ich auch hinzufügen, er sei kein Koch, oder kein Bäcker, noch weniger ein Kärrner oder Müller. Ich will ja mit meiner Rede nur andeuten, daß dieser Mann nichts Gewöhnliches, allgemein Herkömmliches sei, sondern irgend einen Beruf erfülle, den die Gesellschaft zu den seltenen rechne. – Habt Ihr denn wohl, Ihr Freunde, als er seinen Reithandschuh auszog, seine feingeformte, weiße, liebliche Hand gesehn? Ach! was kann der Menschen-Beobachter aus den Händen alles lesen, ahnden, fühlen und fürchten! Ihr spracht vorher mit unserm verehrten Herrn Cuffe, Professor der griechischen Sprache im Merton-Collegium allhier; dieser noch junge Mann, dem so viele ältere Gelehrte wegen seines großen Wissens aufsäßig sind, hat die schönste Hand, die ich in meinem Leben gesehn habe, so weiße, wie längliche Säulen gedrechselte Finger, die Knöchel bei jeder Bewegung wie Helfenbein hervor glänzend, – ich könnte diese Hand immerdar in Liebe küssen, und schaudre doch vor dieser Schönheit zurück.
Wie so, Herr Philosoph? fragte die Frau in Angst.
Immer, fuhr Baptista fort, glänzen mich in diesen Knöcheln Todtenschädel und die gebleichten Gebeine von Leichnamen an; mir ist immer zu Muth, als müsse der, der so wundersame Hand ausstreckt, eines gewaltsamen und frühen Todes sterben; auch deutet darauf seine Lebenslinie hin, die nur sehr kurz ist, und schon mitten in der Hand seltsam abbricht.
Laßt den jachzornigen, heftigen Mann nur nichts von Euren Grillen merken, sagte der Wirth.
Ei was! erwiederte der Philosoph, sein Schicksal, dem er die leuchtenden Hände entgegen reicht, wird ihn schon ohne mein Zuthun ereilen. Aber, wieder auf unsern Fremden zu kommen: ich vermuthe, er ist etwa ein Rechnungsführer, oder Haushofmeister bei einer alten, reichen und vornehmen Dame. Sein Charakter ist mir aber völlig unverständlich, weil er eben so ganz wie ein Mensch aussieht.
Wie ein Mensch! sagte der Wirth und lachte so heftig, daß er sich schüttelte. Da habt Ihr in der That ein großes Geheimniß herausgebracht, daß er aussieht, wie wir Alle. Und Rechnungsführer, Haushofmeister ist auch kein so absonderliches oder höchst seltnes Gewerbe.
Meinethalben, antwortete Baptista empfindlich, ich sprach dies nur obenhin, aber jenes erste Wort habt Ihr völlig mißverstanden, und lacht ganz ohne Ursache. Das Buch meines verehrten Freundes Baptista della Porta ruht großentheils auf jenen Beobachtungen, von denen ich Euch schon sonst erzählte, wie die Gestaltungen der Thierköpfe sich in der Physiognomie des Menschen wiederholen, veredeln, oft parodiren und über sich selbst spotten: oder auch das Tragische im Ausdrucke des Thieres im Angesichte des Menschen klar und bestimmt aussprechen. Wie mancher Löwe, Tieger, Adler grinzt, blickt und brüllt uns aus wohlbekannten edlen oder verworfenen Menschen an! So seh' ich völlig einem abgemergelten, durch Hunger gezähmten Habicht ähnlich. Betrachtet mich genauer und Ihr müßt Euch davon überzeugen. Ihr, Freund Leopold, habt ganz das unverkenntliche Ansehn eines Hundes, und zwar eines Bullenbeißers: seht in den Spiegel und stellt Euern Hofhund neben Euch, und Ihr findet dieselben Runzelfalten auf der Stirn, dieselben hängenden Wammen von den Wangen zum Hals hinunter, im finstern Blick der zusammengezogenen Augen dieselbe Gutmüthigkeit und Treue. Eure gute Frau da ist völlig wie eine transmigrirte Gans, bloß sind die ausgedehnten Schnabelfutterale etwas mehr zu sogenannten Lippen zusammengezogen.
Ei was! sagte die Frau sehr verdrüßlich: laßt uns seyn, wie uns Gott geschaffen hat, dessen Sache ist es, wenn er seine Allmacht beschränkt, und in das menschliche Wesen hinein die Wiederholung und Nachahmung seiner andern Creaturen schreibt.
Die Philosophie, sagte Baptista, ist nicht dazu da, um unsern Sinnen oder der Eigenliebe zu schmeicheln. Wer hoch steigen will, darf die Treppen nicht scheuen. Wir selbst lügen uns schon hinreichend einander vor, die unsterbliche Wissenschaft muß sich nicht eben auch also erniedrigen. – Aber, auf unser Thema zurück zu kommen – wie es so viele, vielleicht alle Thierbildungen sind, die sich im Menschen wieder abspiegeln, so muß sich doch auch das edelste Thier, der Mensch selbst, als solcher im Menschen wieder finden. Und diese eigenthümliche, diese wahre Menschenheits-Linie richtig zu erkennen, ist für den Beobachter wohl die allerschwerste Aufgabe. Denn er muß die feine geistige Schrift lesen können, die Geheimschrift dem Ungeweihten ist und bleibt. Wenn Diogenes mit der Laterne am hellen Tage einen Menschen suchte, so kann im Gegentheil oft ein ganzes Chor von Chaldäern und Magiern den Menschen, der vor ihnen steht, nicht entziffern oder erkennen. Die Kanzleischrift jener Eselskinnbacken und Mohrenstirnen, der Kameel-Nasen und Affenblicke, der Hammel-Dumpfheit und Katzen-Lauersamkeit wird noch wohl zusammen buchstabirt und mitunter vom Blatte schnell weg gelesen: – aber die ächte Form des wahren, natürlichen, einfachen und ungefälschten Menschen, dem nicht, wie die Farce in der Pastete, Thiergemengsel eingerührt und angeheftet ist, diese Schädel, Blicke, Wangen und Lippen, diese höchste Formation wird nur zu oft von den Menschen unbedeutend, gleichgültig, nichtssagend, mittelmäßig und wie noch genannt und gescholten, weil es die gelindeste Figur ist, die zarte Linie, die sich dem Menschenkenner offenbart. Und ein solcher ist unser Fremder. Er wird im Marktgewühl des Lebens weder als schön noch edel auffallen, und dennoch ist er nach meiner Einsicht beides. Fragt sich nun, wenn ich hierin Recht habe, wie es denn keinen Zweifel leidet, ob diese Menschen-Linie, wie ich sie nenne, nur eine und dieselbe sei, ob es verschiedene, und wie viele Formationen es giebt, und dies zu entdecken und zu unterscheiden, ist gerade noch im Geheimniß der geheimnißvollste Punkt.
Das verstehe ich nicht, sagte der Gastwirth, dessen Frau sich schon während der letzten Rede entfernt hatte. Baptista fuhr, wie sich selbst belehrend, fort: sehe ich nun in unserm Gast Harmonie im Antlitz, Geist und Güte im Auge, den Adel in der Bildung des Hauptes, in den Lippen Scharfsinn, in Brust und Körper Verstand, Menschlichkeit, Kraft und Tugend – so, – o weh! so stören die zu dünnen, zu beweglichen, ganz matten Beine diesen schönen Eindruck der Uebereinstimmung und Vollendung. Und so wird es im menschlichen Leben immerdar seyn. Irgendwo wird das edle Gleichgewicht aufgehoben, durch welches der Mensch in der Reihe der Geister oben an steht; und so wird auch dieser Fremde neben seinen Vortrefflichkeiten seine Schwächen und Fehler haben, die sein Gutes stören, vielleicht zu Zeiten vernichten. Er mag auch wohl ein zu großer Freund der Weiber seyn, denn seine schwankenden Beine verrathen mir wenigstens, daß er jetzt in einer heftigen, wohl unmännlichen Verliebtheit befangen ist.
Wie? sagte der Gastwirth, und setzte sich dicht an den Redenden, indem er ihm starr in die Augen sah, an den Beinen erkennt Ihr das, tiefsinniger Forscher?
Ohne Zweifel, antwortete Baptista ganz ruhig; und am sichersten nur an den Beinen. Das Auge, die Stirne, Wange und Mund wird wohl auch von andern Affekten, von Bewunderung, großen Gedanken, oder Freuden an der Natur so in Bewegung gesetzt, daß der Unwissende den Liebenden erkennen möchte, von Seufzern, gen Himmel blicken, an die Brust schlagen und dergleichen mehr, gar nicht zu sprechen, die selbst durch Schulden, dringende Gläubiger und Furcht vor dem Gefängnisse erzeugt werden können. Wer aber recht leidenschaftlich verliebt ist, der bekommt, ohne es selbst zu wissen, einen ganz eigenthümlichen Gang. Indem Kopf und Herz ganz mit dem angebeteten Bilde angefüllt sind, die Hände arbeiten, schreiben, oder in der Nähe der Hauptwache oben sich mit anständigen, ruhigen Geberden bemühen, treibt die Leidenschaft und Schwärmerei, ohne Aufsicht gelassen, unten in den Beinen so recht dreist und vergnüglich ihr Wesen. Der Gang ist, wie auf einer feuchten, den Fuß hebenden Wiese, ein gewisser schwebender Rhythmus drückt sich in ihm aus, man möchte es Gesangesweise nennen: ginge der Liebende, wie die Alten, mit nacktem Fuß, so würden wir in jedem gekrümmten, zitternden, oder spielenden Zehen den Ausdruck der Leidenschaft im Kleinen noch merklicher erkennen.
So wie der Alte die Rede schloß, hörte man von fern wieder ein Pferd, das aber im schnellsten Galopp über das Pflaster klirrte, und heran sprengte ein Jüngling von so wundersamer Schönheit, daß beide Männer ihn und sich mit Erstaunen ansahen. Ihm folgte ein zierlicher Diener, und indem der Reitende diesem sein Pferd, das sich noch muthig bäumte, gab, ließ er sich vom Aufwärter zu dem Zimmer des Fremden führen, nach welchem er sich sogleich mit dem ersten Worte erkundigt hatte.
Seht Ihr, rief der Physiognomiker. wie richtig habe ich alles ergründet und gewahrsagt! da kommt unserm verliebten Fremden schon das allerschönste Mädchen des Landes nachgesprengt, die er aus einem vornehmen Hause entführt hat; gewiß die Tochter jener reichen hochadligen Wittwe, deren Vermögen der Gast dort oben verwaltete und nun auf diese Weise mit ihr Abrechnung und Schluß gemacht hat. Ihr werdet sehn, daß wir in diesen Tagen noch etwas recht Seltsames erleben, denn gewiß wird die Mutter so wie die Verwandten die Flüchtige aufsuchen lassen und wieder zurück bringen wollen.
Ihr seid ein scharfsinniger Mann, sagte der Wirth, wie Ihr das Alles so auf den ersten Blick erkennt. Aber hier in Oxford giebt es keinen einzigen Priester, der sie so schnell gegen den Willen ihrer Familie trauen wird. Die Verantwortung ist gar zu groß, wenn sie von vornehmem Geschlechte ist.
Das findet sich alles, erwiederte der Philosoph, denn es giebt immer verwegne Menschen. Ich wette, wenn sie sich diesem Professor Cuffe anvertrauen wollen, der ist tollkühn genug, irgend einen armen Geistlichen zu bereden und herbei zu schaffen. Aber seht, seht, schrie der Alte mit Enthusiasmus, wer da noch herbei geritten kommt!
Ei! ei! rief der Wirth lebhaft, unser allverehrter Herr Camden, der gewiß von seiner Reise aus Wallis zurück gekommen ist.
Das ist ein großer Mann! fuhr Baptista fort, er ist kaum vierzig Jahr alt, und hat schon so vieles geleistet. In Sprachen, Geographie, Geschichte, Kenntniß des Landes.
Dem muß ich selber den Steigbügel halten! sagte der Wirth, indem er eilig hinauslief, und dem neu angekommenen Gaste mit großer Ehrfurcht vom Pferde half. Baptista machte sich auch herbei, um dem Gelehrten seine Verehrung zu bezeigen, den er schon seit länger kannte. Ei! sagte der Wirth, wie wird sich der gelehrte Herr Cuffe freuen, wenn er hört, daß Ihr die Universität wieder durch Eure Gegenwart beglückt. Ihr erlaubt nur doch, gleich zu ihm zu senden, denn er hat immer von Euch gesprochen, seitdem Ihr im Frühjahr bei dem ungesunden Wetter nach Wallis hinein reisetet.
Ist mein junger Freund wohl? fragte Camden.
Ja wohl, erwiederte der Gastwirth: wie immer, ein recht erfreulicher Mann. Camden gab dem alten Baptista, der sich sehr um ihn bemühte, die Hand, und alle traten in das Haus.
Als es Abend geworden, kam der joviale Cuffe nach dem Gasthofe, um seinen ältern Freund Camden, den er so sehr hochschätzte, zu begrüßen. Er brachte zwei junge Leute mit sich, die nach Italien reisen wollten, um das Land und die Menschen kennen zu lernen. Der ältere, Smith, war ein Verehrer der italienischen Dichtkunst, und der jüngere, Wilton, hatte sich mit Glück in lateinischen Versen versucht. Als Camden und Cuffe hörten, daß noch zwei Fremde im Hause wohnten, die von London zu Pferde gekommen wären, so schickten sie den Wirth zu diesen, um sie einzuladen, am gemeinsamen Gastmahl Theil zu nehmen. Während der Abwesenheit des Wirthes erzählte Baptista von dem entführten vornehmen Mädchen, und wie der verdächtige Fremde schon im voraus ein Zimmer neben dem seinigen bestellt habe. Ehe man die Sache noch weiter erörtert hatte, kam der Wirth zurück und meldete mit schalkhaftem Lächeln, die beiden Fremden würden mit Dank die Einladung annehmen und sich sehr geehrt fühlen, einer so ausgewählten Gesellschaft beiwohnen zu dürfen, wenn es ihnen erlaubt sei, Stand und Namen zu verschweigen. Man bewilligte diesen Wunsch, und selbst der ältere Camden glaubte jetzt, daß an der Erzählung des schwärmerischen Baptista etwas Wahres seyn müsse. Alle sahen den beiden mit gespannter Erwartung entgegen, und als diese eintraten, wurden sie von den Anwesenden scharf geprüft und Stellung, Ton und Gestalt nach der Voraussetzung gemustert. Alle erstaunten über die Schönheit des Jünglings, den sie für ein flüchtiges, entführtes Mädchen hielten, und der lebhafte Cuffe beneidete dem Fremden den Besitz dieser wunderbaren Jungfrau, die sogleich bei ihrem ersten Erscheinen aller Herzen gewonnen hatte.
Wie mögt Ihr nur, hub Cuffe bei Tische an, theurer Wilton, Euch so abquälen, so vortreffliche lateinische Verse zu machen? Ich weiß wohl, daß Euch diese Geschicklichkeit bei hundert und wohl mehrern hundert Pedanten nicht nur in England, sondern in ganz Europa, mehr Ansehn verschafft, als wenn Ihr Ariost und Tasso in Eurer Person vereinigtet. Kann Euch an solchem Ruhm etwas liegen, und was habt Ihr selbst im eignen Gemüth für Genuß von dieser Geschicklichkeit? Wahrer Poet kann niemand in fremder, todter Sprache werden, er singt und dichtet nur für Gelehrte, die selbst halb oder ganz todt in ihren engen Stuben und unter den bestäubten Büchern sitzen. Ihr nehmt auch nur mit mehr oder minder Geschick und Glück die schon fertigen Reden und Wendungen aus dem Gedächtniß auf, statt aus der Phantasie, und das ganze Bestreben läuft auf eine Anstrengung, wie das Schauspiel, oder dem etwa Aehnliches, hinaus.
Gelehrter Freund, antwortete Camden bedächtig, Eure unruhige Unzufriedenheit spricht da gegen alle gelehrte, ja vielleicht menschliche Thätigkeit. Ist denn eben jede Poesie viel etwas Anders? die Worte sind in der Sprache da, und Ihr könnt auch nur Gedanken mit diesen bekleiden: daß diese Gedanken aber groß und edel sind, mit Energie und Kürze, wohllautend und so ausgedrückt werden, daß sie sich leicht dem Gedächtniß einprägen, ist Euch, wenn Ihr Talent dazu habt, in jeder Sprache unbenommen, und vorzüglich in der römischen, deren vornehmer Anstand, ihr voller Ton, ihre gebildete Kürze und Virgilianische Süßigkeit oder leichte philosophische Geschwätzigkeit des Horaz in jedem von uns, der die Universitäten sah, schon von selbst die Erinnerung an alles Würdige weckt, so daß dem Poeten hier zumeist die Stimmung des Lesers schon entgegen kommt.
So ist es, rief der unbekannte Jüngling hinüber, wir selbst sind schon die halben Dichter, indem wir uns unsrer Erziehung und aller jener Eindrücke erinnern, die uns auf dem Wege der Verehrung und heiliger Dunkelheit die aufgeschlagenen Classiker zuführten. Das aber ist es gerade, was ich mit jenem geistreichen Herrn Cuffe am meisten tadeln möchte. Die Sprache selbst ist der Poet und eigentlich Neues kann in ihr wohl nicht gesagt werden. Wie anders, wer sich in der lebendigen, sich fortbewegenden Muttersprache kann vernehmen lassen. Eine neue Beziehung, die angeklungen, eine geistige Unterscheidung und Nebenbedeutung, welche angehaucht wird, können ein altes Wort zu einem neuen umschaffen: es bleibt unbenommen, aus dem gemeinen Leben das Bedeutsame in die Schriftsprache überzutragen, und Worte so zu veredeln, oder neu zu schaffen. So wächst die Rede, und mit ihr wird das, was in unserer Phantasie oder im Gefühl dunkel schwebt, deutlicher, der Poet ist selbst begeistert und begeistert auch seine Zuhörer, und so muß denn nach meiner Einsicht die wahre Dichtkunst etwas ganz Andres seyn und werden, als jene Tapetenwirkerei, die uns der verehrte Herr Camden für solche unterschieben wollte. Vergebt mir, werthe Herren, daß ich als der Jüngste am Tische, mich mit meiner Meinung vielleicht zu voreilig hervor gedrängt habe.
Die Uebrigen sahen sich erstaunt an und der alte Baptista rieb sich froh lächelnd die Hände. Der aufwartende Gastwirth sah den Jüngling mit dem größten Erstaunen an, daß ein Mädchen so gelehrt und noch dreister und zuversichtlicher als gelehrt seyn könne. Camden erwiederte nach einer Pause mit einem bedeutenden Blicke zum Sprecher hinüber: so anmuthige Jugend hat immerdar Recht, wenigstens ist es schwer, die rechten Argumente ihr gegenüber zu finden, die sie widerlegen könnten.
Nein, sagte Cuffe sehr lebhaft, so, Theuerster, müßt Ihr den jungen Mann nicht abweisen wollen, der sich in seinen Worten gleich als meinen Freund erwiesen und mein Herz für sich gewonnen hat. Denn eben darum handelt es sich ja, ob es eine ursprüngliche neulebendige Poesie in unsern Tagen geben könne, oder ob wir nur jenen Mustern des Alterthums nachlallen dürfen, wie das Kind der Amme. Daß Italien große, wahrhafte Gesänge erzeugte, die jeden, der Ohr und Sinn hat, begeistern, wissen und glauben wir alle, nur daran zweifeln die Meisten, und unter diesen vorzüglich die Gebildeteren, ob es uns Engländern noch einmal gelingen wird, die Muse herbeizurufen, daß sie sich in unsern einheimischen Tönen vernehmen lasse. Von wem, wie, bei welcher Veranlassung soll dies Wunderwerk hervorgebracht werden? Aus welcher Gegend unsers unfruchtbaren Bodens soll dieser neu belebende Quell entspringen? Wir haben manches versucht, aber in allem klingt und schmeckt hart oder fade der Ton und die Würze vor, die wir schon als verdorben von jenen Lateinern empfangen haben.
Wie anders, setzte Smith jetzt das Gespräch fort, ist es mit meinen geliebten Italienern. Wie schwimmt in diesem Strom des Wohllauts der dichtende Schwan und spielt im klaren Gewässer, in diesen lautern Sprachwellen, die schon seit Petrarka so süß und berauschend rieseln. Die Nation versteht und bedarf diesen Gesang, jedes Herz kommt ihm mit ganz andrer Sehnsucht entgegen, als der Gelehrte den lateinischen Versen meines Freundes. – Vergleiche ich mit Ariost und Tasso, was unser Spenser versucht hat, so finde ich bei allem Bestreben nach Licht und Zartheit nur Dunkel und ein schweres, ich möchte fast sagen, schläfriges Wort. Vom Sidney und dessen weitschweifiger Nüchternheit möchte ich lieber gar nicht sprechen, wenn ich jene glänzenden Geister des Südens nenne. Und soll eine wahre Poesie zugleich allgemein gültig und doch national seyn, so begreife ich eben so wenig, wie Herr Cuffe, von woher sie bei uns, wenigstens in diesen Tagen, ihren Ursprung nehmen soll.
Habt Ihr, sagte der schöne Jüngling, in London nicht Romeo und Julia gesehn?
Ich war lange nicht dort, antwortete jener.
Und ich eben so wenig, sagte Cuffe, aber ich kenne das langweilige erzählende Gedicht wohl, das in schlechter Sprache der Novelle eines Italieners nachgebildet ist; wie wir denn alles den Italienern nachahmen, ohne sie zu verstehen, noch weniger zu erreichen.
Was ich meine, erwiederte der Jüngling, ist eine Tragödie, die den Beifall besserer Kenner, als ich bin, davon getragen hat. Und dies Werk, wie einiges von unserm zu früh verstorbenen Green und des besseren Marlow verkündigen durch Glanz und Wärme einen schönen poetischen Frühling, der vielleicht bald anbricht.
Vom Theater, sagte Cuffe, erwartet Ihr, junger Herr, etwas Großes? Von dieser Anstalt, die bei uns so roh sich gebildet hat, die, wie die Bärenhetze, nur das gaffende müßige Volk herbei ziehen soll?
Und warum nicht? fuhr der Jüngling lebhaft fort; es ist schon viel geschehn und noch Größeres kann sich erfüllen. Ihr alle, meine Herren, scheint Euch um diese theatralischen Belustigungen, die Euch vielleicht nur für den Pöbel eingerichtet dünken, wenig oder gar nicht bekümmert zu haben. Euch schweben, auch dunkel vielleicht nur, die großen Gebilde der griechischen Bühne vor, oder gar die frostigen der Italiener, die sich eine so vornehme Miene geben und wahrlich das Volk niemals berührt haben. Und so begeht Ihr, Herr Cuffe, nach meiner Einsicht doch einen ähnlichen Fehler, wie jene, die nur die lateinischen Verse für Gedichte halten wollen, und welchen Irrthum Ihr eben so scharf rügtet, denn Ihr entzieht Euch ebenfalls der Kenntniß einer herrlichen Erscheinung, die Ihr verschmäht, weil sie so unmittelbar, ohne mit Gelehrsamkeit zu prunken, aus dem Volke aufwächst, ein nahes, immer wiederkehrendes Bedürfniß befriedigt und sich ohne Schutz der Großen, oder Anempfehlung der Gelehrten ausbildet.
Ihr mögt nicht Unrecht haben, antwortete Cuffe, denn ich bin in dieser Gegend unsrer Poesie, wenn Ihr die Sache so zu nennen beliebt, völlig unwissend. Was ich vor Jahren sah, schien mir unbedeutend und ganz verwerflich, im Druck ist von diesen Dingen fast nichts erschienen; und was so ein Gorboduk, ein steifgezimmertes Wesen, das die Universitäten preisen, Großes bedeuten kann, vermag ich nicht einzusehn.
Willy! rief der schöne Jüngling zu jenem Fremden, der bisher nicht mitgesprochen hatte, hinüber; Du sagst nichts?