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Die 16 Lebensmotive haben in den letzten Jahren Einzug in Training, Coaching und Beratung gehalten und sind heute aus der Personalentwicklung nicht mehr wegzudenken. Was die von Prof. Steven Reiss entwickelten 16 Lebensmotive sind, wie sie wirken und angewendet werden können, darüber können am besten jene berichten, die das Reiss-Profil in ihrer täglichen Arbeit einsetzen. Erfahrene Reiss Profile Master veranschaulichen in diesem Band die verschiedenen Anwendungsbereiche der Lebensmotivanalyse. Gehen Sie mit auf eine Reise in die Praxis der Lebensmotivanalyse und erfahren Sie, was Sie wirklich antreibt und wie Sie die individuellen Motivatoren im beruflichen und privaten Alltag nutzen können!
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Seitenzahl: 386
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http//dnb.d-nb.de abrufbar
Lektorat: Friederike Mannsperger, GABAL Verlag GmbHUmschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de
Reiss Profile® ist eine eingetragene Wortmarke der Reiss Profile Europe B.V.
©2011 GABAL Verlag, Offenbach
©2015 GABAL Verlag GmbH, OffenbachDas E-Book basiert auf dem 2011 erschienenen Buchtitel „Die 16 Lebensmotive in der Praxis“ von Markus Brand und Frauke Ion, ©2011 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-239-7ISBN epub: 978-3-86200-968-8
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
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Liebe Leserin, lieber Leser,
wo soll es hingehen – und was motiviert uns dazu? Diese Frage stand für uns an einem schönen Nachmittag im Sommer 2006 im Vordergrund. Im Garten saßen wir zusammen, um die Zukunftsvision für unser frisch gegründetes, gemeinsames Unternehmen zu schärfen. Bis dahin wussten wir vor allem eines: Mit dem Institut für Lebensmotive wollten wir unser Wissen um die Lebensmotivanalyse vertiefen und die praktische Anwendung des Reiss Profiles in Training, Coaching und Beratung noch stärker in den Vordergrund unserer Arbeit stellen.
Als wir begannen, unsere Ziele für das Institut für Lebensmotive auf Moderationskarten zu schreiben und auf dem Rasen zu sortieren, zeigte sich erneut die Unterschiedlichkeit in unseren beiden Motivstrukturen. Ein sehr weites Feld tat sich auf, denn wir teilen zwar die Begeisterung für die Forschungsarbeit von Prof. Steven Reiss und das von ihm entwickelte Tool – aber aus ganz unterschiedlichen Motivatoren heraus. Dennoch begann sich zunehmend eine gemeinsame Schnittstelle abzuzeichnen: Wir beide wollten unsere Expertise der 16 Lebensmotive nicht nur erweitern, sondern auch mit anderen teilen! Schritt für Schritt entstand das Bild eines Hauses, in dem wir Gast- und Wissensgeber zugleich sind. Da es uns vor allem um die Idee ging, störte es uns nicht, dass Markus dabei eine Finca auf Mallorca und Frauke eine Villa in Köln im Kopf hatte.
Im Sommer 2010 war es dann soweit: Wir bezogen unsere »Villa of Values« im Kölner Süden! Nach Jahren des Wissens- und Auftragswachstums haben wir uns heute eine Umgebung geschaffen, die uns und unsere Kunden jeden Tag aufs Neue zum Austausch und zur Weiterentwicklung motiviert. Und nicht nur das: Darüber hinaus finden einige unserer regelmäßigen Ausbildungen zum Reiss Profile Master sowie die jährliche Reiss Profile Refresher- und Vertiefungskonferenz in einer Finca auf Mallorca statt …
Ein weiteres fassbares Ergebnis unserer Vision ist das Buch, das Sie gerade in Ihren Händen halten. Zwar wird das Reiss Profile inzwischen seit mehr als zehn Jahren in den verschiedensten Trainings-, Coachingsund Beratungskontexten erfolgreich angewendet. Doch während es bereits zahlreiche Publikationen zur Theorie der 16 Lebensmotive allgemein oder zum Einsatz des Reiss Profiles in einem speziellen Anwendungsfeld gibt, fehlte es bislang an einem Werk, das die praktischen Möglichkeiten des Tools übergreifend darstellt und als Nachschlagewerk und Ideenpool für ein breites Publikum verfügbar macht.
Die 16 Lebensmotive in der Praxis – genau darum wird es auf den nächsten Seiten gehen! Zahlreiche Reiss Profile Master teilen ihr Erfahrungswissen und ihre fachliche Perspektive mit Ihnen. So ist in der Summe ein praxisorientierter und vielfältiger Überblick zu den Anwendungsmöglichkeiten der Lebensmotivanalyse in Training, Coaching und Beratung entstanden:
∎ Im 1. Teil Einführung in die Theorie der 16 Lebensmotive stellen wir Ihnen kurz die Grundlagen der Motivationstheorie von Prof. Steven Reiss und das Reiss Profile als Diagnostik-Instrument vor.
∎ Im 2. Teil Ausgewählte Anwendungsgebiete geben Ihnen die einzelnen Autoren über Beispiele, Übungen und Abbildungen einen praxisnahen Überblick zum Einsatz des Reiss Profiles in Teamentwicklung, Life-Balance, Verkauf, Karrierecoaching und Recruiting, betrieblichem Gesundheitsmanagement, Fitness und Gesundheit sowie Mentoring.
∎ Im 3. Teil Methoden und Tools steht die methodische Ebene im Vordergrund. Mit konkreten Verfahren zur emotionalen Vertiefungsarbeit, erfahrungsorientiertem Erlernen der 16 Lebensmotive mit den METALOG training tools sowie dem Ablauf einer Innovationskonferenz stellen Ihnen die Autoren drei Ansätze vor, wie das Reiss Profile innovativ und erlebbar eingesetzt werden kann.
∎ Im 4. Teil Praxisbeispiele machen die Autoren über konkrete Fallstudien zu den Themen Führungskräfte-Coaching, Imagekommunikation und Motivmarketing, Qualitätsmanagement sowie Unternehmensübergabe deutlich, welche zentralen Effekte der Einsatz des Reiss Profiles auf Einstellungs-, Kommunikationsund Handlungsebene bewirkt.
∎ Im 5. Teil Die 16 Lebensmotive im Alltag wird abschließend anhand zahlreicher Beispiele eines Autors vorgestellt, wie Sie sich über sprachliche Äußerungen den Motivausprägungen anderer annähern können.
Bei der Vielzahl der Anwendungsmöglichkeiten der 16 Lebensmotive können und wollen wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir selbst haben bei der Herausgebertätigkeit wieder einmal in einem neuen Kontext erfahren, wie wertvoll ein motivorientierter Umgang miteinander ist. Indem Autoren und Herausgeber offen mit ihren individuellen Motivatoren umgegangen sind, konnten wir einerseits bewusst auf die Bedürfnisse des anderen eingehen (Zitat eines Autors: »Merci – auch für das Bedienen meines Anerkennungsmotivs!«) und andererseits die in den Motiven begründeten Stärken gezielt nutzen (»Können Sie mir mit Ihrer hohen Ziel- und Zweckorientierung noch bei einem knackigen, überzeugenden Fazit helfen?«). Wir freuen uns, wenn wir auch Sie über dieses Buch zu einem Einsatz der Motivanalyse inspirieren können. Und wer weiß: Vielleicht stellen Sie Ihre praktischen Erfahrungen mit den 16 Lebensmotiven demnächst bei einem Vortrag in unserem Institut, unserem MasterClub für Reiss Profile Master oder einem Folgeband vor …
Wir möchten noch die Gelegenheit ergreifen, uns bei all denen zu bedanken, ohne die dieses Buch niemals seinen Weg in Ihre Hände gefunden hätte:
∎ Den Autoren Dietmar Baum, Christine Breitbach, Brunello Gianella, Daniele Gianella, Stephan Gingter, Regina Höck, Dr. Ratimir Janekovic, Steve Kroeger, Steffen Powoden, Ilja Rep, Dr. Lothar Seiwert, Joachim Simon, Dr. Ralf Teichgräber, Markus F. Weidner, Sonja Wittig und Marion Zupancic-Antons für ihre Expertise, die gelungenen Artikel und die tolle Zusammenarbeit. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg und freuen uns auf den weiteren Austausch mit euch!
∎ Dem Team des GABAL Verlags für seine hervorragende Begleitung und Unterstützung – nicht nur bei diesem Band, sondern auch den vorhergegangenen Veröffentlichungen.
∎ Martina Bruhns, Sigrid Klein und Ursula Stenzel für den wertvollen Beitrag, den sie jeden Tag leisten. Ohne euch wäre das Institut für Lebensmotive nicht das, was es ist – ihr seid premium!
∎ Sonja Wittig, die mit ihrem Elan, ihrer Ausdauer und ihrem herausragenden Autorentalent das Projekt maßgeblich realisiert hat.
Nun aber wünschen wir Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, viel Freude und spannende Erkenntnisse beim weiteren Entdecken des Reiss Profiles und seiner Anwendungsmöglichkeiten! Welche Motivation auch immer Ihr Grund war, dieses Buch in die Hand zu nehmen – wir hoffen, Sie finden, was Sie suchen.
HerzlichstMarkus Brand und Frauke Ion
Bereits im 19. Jahrhundert, zu Beginn der Psychologie als eigenständige akademische Disziplin, haben die Harvard Professoren William James und William McDougall darauf hingewiesen, dass wir Menschen spezifische Ziele besitzen, die einen Großteil unseres Verhaltens bestimmen. Viele dieser Ziele – auch Instinkte, Bedürfnisse oder Motivatoren genannt – teilen wir mit unseren nahen Verwandten in der tierischen Welt. In seinem Buch Grundlagen einer Sozialpsychologie beschreibt McDougall acht grundlegende Instinkte der menschlichen Natur und argumentiert, dass sie zentrale Aspekte unseres emotionalen, religiösen und sozialen Lebens bedingen.
Aber welche Ziele teilen wir Menschen konkret? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, habe ich gemeinsam mit meinem Team die erste wissenschaftliche Studie überhaupt durchgeführt, die untersucht, was Menschen individuell motiviert. Im Ergebnis deckten wir 16 Lebensmotive oder Bedürfnisse auf. Jeder von uns besitzt jedes Lebensmotiv, aber wir priorisieren sie unterschiedlich. Die spezifische Ausprägung unserer Lebensmotive macht uns zu Individuen, indem sie unser Verhalten und unsere Persönlichkeit beeinflusst.
Nachdem wir die Gültigkeit der 16 Lebensmotive bewiesen hatten, erwarteten wir, dass sie von der Fachwelt begeistert aufgenommen wurden – was nicht geschah. Eine Kollegin drückte es so aus: »Die 16 Lebensmotive sind wirklich interessant. Schade, dass man sie für nichts nutzen kann!« Ihre Worte machten mir klar, dass wir über die Grenzen der Wissenschaft hinaustreten und praktische Relevanz zeigen mussten, wenn wir wirklich etwas erreichen wollten. So nahm ich mir erneut das Werk von James und McDougall vor, um herauszufinden, wie sie mit der Frage nach der praktischen Anwendung ihrer Bedürfnistheorie umgingen. Henry Murray und andere Nachfolger integrierten die Bedürfnistheorie auf Basis der Psychodynamik in die klinische Diagnostik, aber ihr Werk hat nur noch wenig Relevanz für heutige Diagnoseschemen. David McClelland fokussierte sich auf die Erfolgsmotivation. Davon abgesehen habe ich kaum frühere Ansätze gefunden, die Bedürfnistheorien praktisch anwendeten.
Dieses Buch ist vermutlich der detaillierteste Band, der jemals zur praktischen Arbeit mit menschlichen Bedürfnissen erschienen ist. Während frühere Generationen stets an ihre Grenzen gestoßen sind, wenn sie Bedürfnistheorien in die Praxis bringen wollten, haben die 16 Lebensmotive im letzten Jahrzehnt insbesondere in den USA und Europa mit beachtenswertem Erfolg eine breit angelegte Verwendung gefunden: Lebenszufriedenheit, Berufsberatung, Verkauf, Fitness, Unternehmertum, Marketing und vieles mehr.
Markus Brand und Frauke Ion sind Management-Berater mit mehr als einem Jahrzehnt Erfahrung in der Anwendung der 16 Lebensmotive. Ihre Energie und Expertise spielen heute eine signifikante Rolle in der Ausweitung und Professionalisierung der Anwendungsfelder. Mit diesem Band haben sie die seltene, vielleicht sogar einzigartige Leistung erbracht, die praktische Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse über menschliche Ziele im Allgemeinen und der 16 Lebensmotive im Speziellen zusammenzutragen und auch für andere verfügbar zu machen.
Dr. Steven Reiss
Emeritierter Professor für PsychologieOhio State UniversityColumbus, Ohio
»Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.«ARTHUR SCHOPENHAUER
Ganz im Sinne dieser berühmten These von Arthur Schopenhauer machen die 16 Lebensmotive eines Menschen sichtbar, was er in seinem Leben wirklich will. Aber um zu erkennen, was wir mit diesen Motiven in unserem Alltag tun können, helfen uns Trainer, Coachs oder Berater. Sie sind die Experten, die durch ihre Erfahrungen die Chancen und Möglichkeiten aufzeigen können, die sich aus einer Kenntnis der eigenen Motivstruktur ergeben. Dieses Praxiswissen geben führende Reiss Profile Master in den späteren Beiträgen dieses Sammelbands an Sie weiter. Wir machen den Anfang mit einer Einführung in die Theorie der 16 Lebensmotive und des Reiss Profiles.
»Manchmal sind wir von unserem Alltag so in Anspruch genommen, dass wir das Gesamtbild aus den Augen verlieren und vergessen, uns zu fragen, wer wir eigentlich sind und was wir im Leben anstreben. […] Oft bedarf es erst eines einschneidenden Ereignisses, wie z. B. einer lebensbedrohlichen Erkrankung, […] damit wir über den Sinn unseres Lebens nachdenken« (Reiss 2009a, 11). Steven Reiss spricht aus eigener Erfahrung. Im Jahr 1995 wurde der Professor für Psychologie und Psychiatrie so krank, dass lange nicht klar war, ob er überleben würde. Im Krankenhaus dachte er viel über sich, das Leben allgemein und sein Leben im Speziellen nach. Als eine Krankenschwester seine Temperatur maß, stellte er sich die Frage, warum sie nicht etwas tat, was ihr eine größere Freude machte. Wenn wir nur aufgrund dessen handeln, was uns die meisten positiven und die wenigsten negativen Gefühle bringt, wie die Vertreter des Pleasure Principle behaupten – wer würde dann freiwillig in einem Krankenhaus arbeiten wollen? Mit all den kranken und sterbenden Menschen (vgl. Reiss 2009a, 16)? Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wuchs in Reiss die Überzeugung, dass Freude und Schmerzen unser Verhalten nicht halb so stark beeinflussen, wie viele Psychologen in der Vergangenheit angenommen haben. Freude ist vielmehr ein »Beiprodukt«, wenn wir bekommen, was wir uns wünschen. Zum Glück konnte Steven Reiss wieder vollständig genesen. Aber die Krankheit hatte seine Sicht auf die Welt verändert. Als er das Krankenhaus verließ, war er entschlossen, eine neue Theorie über menschliche Bedürfnisse zu entwickeln, die auf Sinnstiftung statt auf Wohlbefinden basiert (vgl. Reiss 2009a, 17).
Nur wenige wissen, dass eine große Zahl von Analysen über das menschliche Verhalten gar nicht auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht. Steven Reiss hingegen hatte den Anspruch, seine Theorie von A bis Z auf wissenschaftlich gültige Untersuchungen mit objektiven Messkriterien zu stützen. Im Gegensatz zu anderen Forschern hatte er auch keine Hypothese im Hinterkopf, die er mit seinen Studien beweisen oder widerlegen wollte. Vielmehr entwickelte er ein Test-design, mit dem er Menschen in den verschiedensten Lebensstadien und aus unterschiedlichen Kulturen zunächst offen fragte, was ihrem Leben einen Sinn verliehe. Die Liste mit 328 Werten, die er nach seiner Umfrage erhielt, reduzierte er gemeinsam mit seiner Kollegin Susan Havercamp über statistische Verfahren wie die Faktorenanalyse immer weiter. Sie identifizierten anfangs 15, später 16 voneinander unabhängige Variablen und damit die 16 Lebensmotive, die uns als fundamentale Werte motivieren: Macht, Unabhängigkeit, Neugier, Anerkennung, Ordnung, Sammeln / Sparen, Ehre, Idealismus, Beziehungen, Familie, Status, Rache / Kampf, Eros, Essen, Körperliche Aktivität und Emotionale Ruhe.
Jeder Mensch besitzt jedes Lebensmotiv, allerdings ist sein jeweiliges Bedürfnis danach im Vergleich zu anderen unterschiedlich ausgeprägt. Dabei sind die Ausprägungen eines Lebensmotivs niemals wertend zu betrachten: Es gibt keine guten oder schlechten, sondern nur unterschiedliche Prägungen. Über das Reiss Profile als Diagnostik-Instrument kann man die individuellen Ausprägungen der Lebensmotive eines Menschen im Verhältnis zur landestypischen, jeweils nach Geschlecht und Altergruppe differenzierten Vergleichsgruppe erheben.
Die persönliche Motivstruktur eines Menschen wird über einen Fragebogen mit 128 Aussagen ermittelt, wie z. B.: »Ich übernehme gerne eine dominierende Rolle« oder »Ich ärgere mich sehr, wenn ich in aller Öffentlichkeit einen Fehler mache«. Die Antworten werden von einem zertifizierten Reiss Profile Master über ein Onlinetool ausgewertet und in einem Balkendiagramm zusammengefasst. Dieses Diagramm stellt jedes Motiv in seiner individuellen Ausprägung als Balken zwischen den Werten - 2 und +2 dar (siehe Abb. 1).
Der mittlere Bereich »Durchschnitt« beinhaltet die Motive mit einer Ausprägung von - 0,8 bis +0,8. Das bedeutet, dass diese Motive ausgewogen ausgeprägt sind und situationsabhängig empfunden werden. Menschen mit dieser Motivausprägung kennen in der Regel beide Pole und leben das Motiv in unterschiedlichen Lebensbereichen und Situationen verschieden aus. Die Bezeichnung »Durchschnitt« bezieht sich auch auf die Verteilung dieser Motivausprägung in der Vergleichsgruppe, in der 68 Prozent eine Lebensmotivausprägung in diesem Bereich besitzen.
Der rechte Bereich »hoch« stellt die Spanne zwischen +0,8 und +2,0 und damit die stark ausgeprägten Motive dar. Zieht man die Auswertung der repräsentativen Vergleichsgruppe heran, zeigt sich: Nur 16 Prozent zeigen hier eine so starke Ausprägung. Liegt das Motiv über +1,7, so sind es sogar nur noch 3 Prozent der Bevölkerung.
Der linke Bereich ist mit »niedrig« überschrieben: Liegt die Ausprägung zwischen - 0,8 und - 2,0, ist das Motiv gering ausgeprägt. Das bedeutet, dass man nach dem Gegenteil des Motivs strebt – wer wie Bastian Beispiel (siehe Abb. 1) ein niedrig ausgeprägtes Unabhängigkeitsmotiv besitzt, hat das Bedürfnis, die Zugehörigkeit zu einem Team, Konsens und emotionale Verbundenheit mit anderen zu leben. Analog zu einer hohen Ausprägung besitzen nur 16 Prozent der Vergleichsgruppe eine niedrige Ausprägung, einen Wert von - 1,7 oder weniger weisen nur 3 Prozent der Bevölkerung auf.
Die unterschiedlichen Ausprägungen eines Lebensmotivs geben an, wie oft und wie stark man das Bedürfnis verspürt, das durch das jeweilige Motiv ausgedrückt wird. Das Lebensmotiv Macht steht beispielsweise für die Eigeninitiative in der Entscheidungsfindung. Bei einer niedrigen Ausprägung wird man seltener Impulse für eigene Entscheidungen verspüren, bei einer hohen Ausprägung deutlich häufiger Entscheidungen treffen und Lösungen finden wollen. Liegt eine durchschnittliche Ausprägung vor, wird man in Abhängigkeit von der Situation selbst den Impuls zur Entscheidung verspüren oder sich lieber an den Entscheidungen anderer orientieren. Je höher bzw. je niedriger ein Lebensmotiv ausgeprägt ist, desto stärker dominiert die jeweilige Motivation gegenüber dem gegenteiligen Bedürfnis (siehe Abb. 2).
Überträgt man diese Bipolarität nun auf alle 16 Motive, wird deutlich, wie unterschiedlich und einzigartig jedes Reiss Profile ist. Es ergeben sich mehr als eine Million mögliche Motivkonstellationen. Damit ist jedes Reiss Profile so individuell wie ein Fingerabdruck.
Abb. 1: Reiss Profile von Bastian Beispiel
Abb. 2: Bipolarität des Lebensmotivs Macht
Die Theorie der 16 Lebensmotive ist eine der wenigen Persönlichkeitstheorien, die testtheoretisch vollständig empirisch überprüft wurde. Die Testtheorie untersucht vor allem die Gütekriterien Validität und Reliabilität. Die Validität gibt an, ob der Test auch tatsächlich das Persönlichkeitsmerkmal misst, das er zu messen vorgibt. Für alle 16 Skalen des Reiss Profiles wurden hohe Validitätswerte ermittelt (vgl. Reiss 2008, 25 f.). Die Reliabilität gibt an, wie genau das Instrument misst. Kriterien hierfür sind beispielsweise die vierwöchige Test-Retest-Reliabilität sowie die interne Konsistenz der Fragen, also inwiefern die Probanden Fragen zu ein und demselben Motiv ähnlich beantworten. Die Test-Retest-Reliabilität des Instruments liegt im Durchschnitt bei .83, ebenso wie die durchschnittliche interne Konsistenz. Mit diesen hohen Reliabilitäts- und Validitätswerten hebt sich das Reiss Profile positiv von anderen gängigen Instrumenten ab. Zudem zeichnet sich das Reiss Profile durch eine geringe soziale Erwünschtheit aus. Diese bezeichnet die Tendenz von Probanden, falsche Antworten zu geben, um einen positiven Eindruck zu vermitteln. Dieses Verhalten tritt beim Reiss Profile nur in etwa 3 Prozent aller Fälle und damit äußerst selten auf.
Es existiert in Deutschland auch eine Business-Version des Reiss Profiles, bei der die Fragen zur Sexualität, die das Erosmotiv definieren, durch Fragen zur Schönheit ersetzt werden. Außerdem wird das Motiv Ehre in Ziel- / Zweckorientierung sowie das Motiv Unabhängigkeit in Teamorientierung umbenannt. Das Motiv Schönheit ist in dieser Form testtheoretisch nicht validiert, während die Motive Ziel- / Zweckorientierung und Teamorientierung in ihrer Kernbotschaft unberührt bleiben: Lediglich die Pole der niedrigen und hohen Ausprägung sind gedreht. Die Beiträge in diesem Buch beziehen sich je nach der im Praxisfall verwendeten Version des Reiss Profiles auf die Business- oder auf die Original-Version des Instruments.
Im Folgenden stellen wir Ihnen die 16 Lebensmotive mit ihren jeweiligen Ausprägungen im Detail vor. Wenn Sie noch kein individuelles Reiss Profile erstellt haben, kann eine Selbsteinschätzung ein erster Schritt zum besseren Verständnis Ihrer Persönlichkeit werden. Auf Seite 25 finden Sie eine Grafik, in die Sie Ihre Einschätzung eintragen können.1 Um eine wissenschaftlich fundierte Auswertung zu erhalten, die frei von Tendenzen sozialer Erwünschtheit ist, empfehlen wir Ihnen die Durchführung eines Reiss Profiles. Zugang dazu bekommen Sie durch einen Reiss Profile Master, z. B. durch die Autoren dieses Buchs.
∎Macht: Dieses Lebensmotiv steht für den Wunsch nach Einfluss, Führung, Kontrolle und Dominanz. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Machtmotiv übernehmen gerne Verantwortung. Sie suchen Herausforderungen, sind ehrgeizig und überzeugungsfähig. Sie treffen gerne Entscheidungen, die Mitarbeiter oder Prozesse beeinflussen, und übernehmen gerne Führungspositionen. Wer hingegen ein niedriges Machtmotiv besitzt, ist eher personen- und dienstleistungsorientiert. Er operiert lieber im Hintergrund und fühlt sich mit Verantwortung weniger wohl. Er lässt sich gern anleiten. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Machtmotiv fühlen sich häufig dort wohl, wo der Servicegedanke im Vordergrund steht.
∎Unabhängigkeit (Business-Version: Teamorientierung): Unabhängigkeit meint das Streben nach Freiheit und Autonomie. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Unabhängigkeitsmotiv leben gerne eigenverantwortlich und sind ungern auf andere angewiesen. Nach dem Motto »Verlass dich auf andere und du bist verlassen« erreichen sie ihre Ziele am liebsten allein und bringen Privates nur selten zur Sprache. Auf der anderen Seite werden Personen mit einem gering ausgeprägten Bedürfnis nach Unabhängigkeit durch Gemeinsamkeit motiviert. Für sie gilt: »Lieber gemeinsam als einsam«, denn sie haben ein starkes Streben nach emotionaler Verbundenheit und sind gerne Teil eines Teams. In der Business-Version des Reiss Profiles wird dieses Lebensmotiv Teamorientierung genannt. Die inhaltliche Aussage ist gleich, aber die Pole sind gedreht: Eine hohe Ausprägung des Motivs Teamorientierung beschreibt den Wunsch nach Gemeinschaft und Konsens, während eine niedrige Ausprägung das Bedürfnis nach Unabhängigkeit ausdrückt.
∎Neugier: Neugier steht für Wissbegierde und den Wunsch, etwas über die Welt und sich selbst zu erfahren. Dabei überwiegt bei einem hoch ausgeprägten Neugiermotiv die Lust am Lernen an sich. Im Vordergrund steht der Wunsch nach kognitiven Herausforderungen und danach, den Dingen auf den Grund zu gehen. Im Vergleich dazu wertet jemand mit einem niedrigen Neugiermotiv Wissen als Mittel zum Zweck. Nach dem Credo »Just do it« erlebt er sich als handlungsorientierten Umsetzer mit gesundem Menschenverstand.
Abb. 3: Arbeitsblatt zur Reiss-Profile-Selbsteinschätzung
∎Anerkennung:Das Anerkennungsmotiv sagt aus, ob eine Person ihre Selbstsicherheit eher vom Feedback anderer oder aus sich selbst heraus bezieht. Ist das Anerkennungsmotiv hoch ausgeprägt, wird das Selbstbild dieses Menschen stark durch andere definiert, sodass nach positivem Feedback gesucht und negative Kritik vermieden wird. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Anerkennungsmotiv beschreiben sich hingegen als selbstsicher und kritikfähig. Sie werten Fehler als Quelle des Lernens und wirken nach außen sehr direkt und manchmal auch unsensibel.
∎Ordnung: Das Motiv Ordnung beschreibt das Streben nach Struktur, guter Organisation, Planung sowie Sauberkeit und Hygiene. Menschen mit einem hohen Ordnungsmotiv leben das Motto »Ordnung ist das halbe Leben«, denn sie planen gerne und beschreiben sich als ordentlich, exakt und detailorientiert. Ist das Ordnungsmotiv dagegen niedrig ausgeprägt, steht für den entsprechenden Menschen ein Streben nach Flexibilität und Spontaneität im Vordergrund. Vorgegebene Prozesse werden hier als einengend empfunden, es wird gerne spontan und pragmatisch entschieden.
∎Sammeln / Sparen: Das Lebensmotiv Sammeln/Sparen zeigt, wie gern ein Mensch Dinge besitzt, aufhebt und bewahrt. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Sammeln/Sparen-Motiv fällt es schwer, Dinge wegzuwerfen. Stattdessen werden unnötige Ausgaben vermieden, das Eigentum gepflegt und Wirtschaftlichkeit hoch gewertet. Die gegenpolige Ausprägung des Sammeln / Sparen-Motivs hingegen steht für Großzügigkeit. Nach dem Motto »Das letzte Hemd hat keine Taschen« können Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Sammeln/Sparen-Motiv materiellen Besitz sogar als unnötige Belastung empfinden, die mit Inflexibilität und Gebundenheit gepaart ist.
∎Ehre (Business-Version: Ziel- / Zweckorientierung): Ehre steht für die Orientierung an einem festen Wertesystem. Personen mit einem hohen Ehremotiv orientieren sich ganz nach dem Prinzip »Ehrlich währt am längsten« und beschreiben sich als verantwortungsbewusst und integer. Bei Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Ehremotiv hingegen erfolgt ein stärker situations- und kontextbedingtes Bewerten und Handeln. Durch die geringere Orientierung an Wertesystemen handeln sie meist ziel- und zweckorientiert, pragmatisch und flexibel. In der Business-Version des Reiss Profiles wird dieses Lebensmotiv Ziel- / Zweckorientierung genannt. Wie beim Lebensmotiv Unabhängigkeit ist die inhaltliche Aussage gleich, aber die Pole sind gedreht: Eine hohe Ausprägung des Lebensmotivs Ziel- / Zweckorientierung drückt das Bedürfnis nach einem pragmatisch-zweckorientierten Umgang mit Regeln aus, während eine niedrige Ausprägung den Wunsch nach gelebter Integrität beschreibt.
∎Idealismus: Das Idealismusmotiv steht für das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Weiterentwicklung. Wer ein hoch ausgeprägtes Idealismusmotiv besitzt, ist altruistisch motiviert, möchte etwas zum Wohle der Menschheit und der Gesellschaft beitragen und spendet und/oder engagiert sich häufig. Ist das Idealismusmotiv dagegen niedrig ausgeprägt, überwiegt eine realistische und pragmatische Lebenseinstellung und eventuell sogar eine Orientierung am persönlichen Vorteil.
∎Beziehungen: Mit dem Beziehungsmotiv wird der Wunsch beschrieben, mit anderen zusammen zu sein und Spaß zu haben. Im Unterschied zum Lebensmotiv Unabhängigkeit steht dieses Motiv für das Streben nach Kontakt und Gesellschaft, weniger für die emotionale Verbundenheit mit anderen. Menschen mit einem hoch ausgeprägten Beziehungsmotiv suchen Kontakt, Begegnungen und Nähe mit anderen. Sie beschreiben sich selbst als aufgeschlossen, lebendig und humorvoll. Ein niedrig ausgeprägtes Beziehungsmotiv hingegen weist auf den Wunsch nach sozialer Zurückgezogenheit hin.
∎Familie: Das Motiv Familie ist mit Blick auf die eigene gegründete oder zu gründende Familie zu sehen. Es umfasst das Streben nach Fürsorge gegenüber dem Partner und den eigenen Kindern: Wer ein hoch ausgeprägtes Familienmotiv besitzt, mag das Gefühl, gebraucht zu werden, und verbringt gerne viel Zeit mit seiner Familie. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Familienmotiv zeichnen sich im Unterschied dazu eher durch einen partnerschaftlichen Umgang mit ihren Kindern aus und möchten sich unabhängig, frei und unbelastet fühlen.
∎Status:Mit Status wird der Wunsch nach Prestige in der sozialen Hierarchie bezeichnet. Wer ein hohes Statusmotiv besitzt, möchte mehr haben oder können als andere und damit wahrgenommen werden. Er mag das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und lebt sein Statusbedürfnis materiell (Haus, Auto, Kleidung) oder immateriell (z. B. durch den Gebrauch eines Titels) aus. Auf der anderen Seite wollen Menschen mit einem niedrigen Statuswunsch als egalitär und bescheiden wahrgenommen werden. Sie bleiben von Statussymbolen anderer unbeeindruckt und bewerten diese Menschen als eher snobistisch und eingebildet.
∎Rache / Kampf: Der Wunsch nach Rache oder Kampf bedeutet, den Vergleich mit anderen aktiv zu suchen und dabei gewinnen zu wollen: »Auge um Auge« und »Rache ist süß« sind mögliche Glaubenssätze. Menschen mit einem niedrig ausgeprägten Bedürfnis nach Rache / Kampf sind dagegen eher harmonisierend und ausgleichend. Sie bezeichnen sich als kooperativ, friedliebend und nicht nachtragend.
∎Eros (Business-Version: Schönheit): Das Erosmotiv steht für das Streben nach einem erotischen Leben, Sexualität, Schönheit, Ästhetik und Design. Es umfasst nicht nur die körperliche Liebe, sondern das ganzheitliche Streben nach Schönem. Menschen mit einem stark ausgeprägten Erosmotiv haben meist ein ausgeprägtes Liebesleben und einen gut ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Zusammen mit Essen ist Eros eines der beiden Lebensmotive ohne Bipolarität. Ergibt das Reiss Profile eine niedrige Ausprägung dieses Lebensmotivs, beschreibt es keine Motivation zu einem asketischen Lebensstil. Es drückt lediglich aus, dass jemand nur einen gering ausgeprägten Wunsch nach Sinnlichkeit besitzt. In der Business-Version des Reiss Profiles wird das Lebensmotiv Eros durch den Platzhalter Schönheit ersetzt, da es unter Umständen kritisch sein kann, in einem Business-Kontext Aussagen zu Sexualität zu erheben. Die zugehörigen Items im Test sind jedoch wissenschaftlich noch nicht geprüft.
∎Essen:Dieses Lebensmotiv bezeichnet die Freude am Essen und das Streben, sich mit Nahrung in gedanklicher und realer Form zu beschäftigen. Für hoch ausgeprägte Esser ist Nahrungsaufnahme nicht nur eine biologische Notwendigkeit, sondern hat eine mit Genuss verbundene Bedeutung: Essen ist »Seelennahrung«. Wie Eros ist auch das Motiv »Essen« nicht bipolar. Wer dieses Lebensmotiv niedrig ausgeprägt hat, strebt nicht nach einem hungerstillenden Essverhalten. In diesem Fall ist Essen lediglich eine Nebensache, kein Selbstzweck.
∎Körperliche Aktivität:Mit Körperlicher Aktivität wird der Wunsch nach dem Spüren des eigenen Körpers ausgedrückt. Wer ein hoch ausgeprägtes Motiv der Körperlichen Aktivität besitzt, führt in der Regel einen aktiven Lebensstil und mag es, den eigenen Körper zu fordern. Menschen, die dieses Lebensmotiv hingegen niedrig ausgeprägt haben, leben ganz nach dem Motto »Sport ist Mord«, eher gemütlich und bequem.
∎Emotionale Ruhe: Dieses Lebensmotiv bezeichnet die Stärke des Wunsches nach emotionaler Sicherheit und Stabilität, die meist mit Angst vor Ungewissheiten und Risiken gepaart ist. Ein hoch ausgeprägtes Motiv der Emotionalen Ruhe steht für ein Streben nach Vorausschaubarkeit, daher werden Veränderungen in diesem Fall eher als Risiko denn als Chance betrachtet. Bei einem niedrigen Bedürfnis nach Emotionaler Ruhe dagegen liegt meist eine höhere Stresstoleranz vor. Menschen mit dieser Ausprägung des Lebensmotivs sind Abenteurer, die Abwechslung und Nervenkitzel suchen: »No risk, no fun.«
Unsere Lebensmotive drücken nicht nur unsere Motivation aus, sie sind auch ein »Wahrnehmungsfilter«, der uns die Dinge so sehen und annehmen lässt, wie es uns entspricht. Denn unbewusst gehen wir meistens davon aus, dass unsere eigene Sichtweise auf die Welt, andere Menschen oder Situationen die richtige ist. Diese natürliche Tendenz, die Welt gemäß der eigenen Wünsche und Interessen wahrzunehmen und die Bedürfnisse und Handlungen anderer Menschen entsprechend umzuinterpretieren oder sogar misszuverstehen, bezeichnet Steven Reiss als Self-hugging (Selbstbezogenheit oder Selbstverliebtheit). Dabei können grundsätzlich drei Ebenen des Self-hugging voneinander unterschieden werden:
∎Selbstillusion meint die Selbstverständlichkeit, mit der man davon ausgeht, dass man die »besseren« Werte und Motive hat.
∎Missverstehen bezeichnet das Unverständnis darüber, dass andere Menschen sich anders verhalten.
∎Wertetyrannei bezeichnet den ständigen Versuch, andere davon zu überzeugen, ihre »falschen« Motive fallen zu lassen und stattdessen die »richtigen« Motive anzunehmen.
Auf zwischenmenschlicher Ebene ist die Neigung zum Self-hugging also für viele Missverständnisse verantwortlich, denn »blinde Flecken« in unserem Verständnis für andere beeinträchtigen die Art und Weise, wie wir Mitarbeiter, Arbeitskollegen, Partner usw. einschätzen und behandeln. Insbesondere bei einem Wert unter - 1,7 bzw. über +1,7 kann dies zu »Wahrnehmungslücken« führen. Denn selbst wenn uns bewusst ist, dass es auch Menschen mit einer gegenteiligen Motivation gibt, können wir uns nur rational erklären, wie sich das Motiv »auf der anderen Seite« im täglichen Leben äußert. Wirklich nachempfinden können wir es kaum, da es uns selbst so fremd ist.
Aber warum genau beeinflussen uns die Lebensmotive so stark? Und wo genau setzen Training, Coaching und Beratung mit dem Reiss Profile im Vergleich zu anderen Instrumenten an? Um dies zu verstehen, möchten wir Ihnen eine Metapher an die Hand geben: Stellen Sie sich die menschliche Persönlichkeit als Zwiebel mit mehreren Schichten vor.
Abb. 4: Das Zwiebelmodell der menschlichen Persönlichkeit
Nach dem Modell der Neurologischen Ebenen von Robert Dilts beeinflusst jede Ebene die darüberliegende:
∎16 Lebensmotive: Die 16 Lebensmotive sind gemäß der Theorie von Steven Reiss der Kern unserer Persönlichkeit, sie bestimmen das »Warum« und das »Wofür« unserer Person. Sie sind das Wertesystem, mit dem wir durch unser Leben navigieren und machen uns zu dem einzigartigen Individuum, das wir sind.
∎Glaubenssätze:Glaubenssätze sind an den von Jeffrey Young entwickelten Schemabegriff angelehnt: »Schemata sind fest verankerte Überzeugungen, die uns selbst und die Welt betreffen […]. Schemata sind für unser Selbstgefühl von zentraler Bedeutung. Gäben wir den Glauben an ein Schema auf, würden wir die Sicherheit opfern, zu wissen, wer wir sind und wie die Welt beschaffen ist« (Young / Klosko 2010, 22). Young geht davon aus, dass unsere Schemata durch unser genetisches Erbe und frühen Umgebungseinfluss ausgebildet werden. Roediger (2009, 17 f.) beschreibt als Grundlage eines Schemas die Erregungsbereitschaft von neuronalen Gruppen, da das Gehirn neue Informationen bevorzugt in bereits angelegte Bahnen ablegt, sodass sich stabile Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten ausbilden. In Anlehnung an Steven Reiss gehen wir jedoch davon aus, dass durch unsere Gene und Erfahrungen in der Kindheit zunächst die Ausprägungen der 16 Lebensmotive bestimmt werden – die dann wiederum die Entwicklung unserer Glaubenssätze prägen (vgl. Reiss 2009, 35 f.). So ist »Ich muss perfekt sein« beispielsweise ein Glaubenssatz, den ein Mensch aus einem hoch ausgeprägten Anerkennungsmotiv heraus für sich entwickeln kann (»überhöhte Standards« nach Young).
∎Wahrnehmung:Die Ebene »Wahrnehmung« lehnt sich an den Begriff »Paradigma« von Steven Covey an. Nach seinem Ansatz ist ein Paradigma ein Bezugsrahmen, der sich allgemein auf die Art bezieht, wie wir die Welt aufnehmen, verstehen und interpretieren. Er vergleicht Paradigmen mit Landkarten: »Wir alle wissen, dass die Landkarte nicht das Land ist. Eine Karte ist einfach eine Erklärung gewisser Aspekte eines Territoriums. Und genau das ist auch ein Paradigma. Es ist eine Theorie, eine Erklärung oder ein Modell von etwas anderem« (Covey 2000, 18). Er sagt weiter: »Wir interpretieren alles, was wir erfahren, anhand dieser mentalen Landkarten. Dabei stellen wir ihre Genauigkeit selten in Frage. Meist sind wir uns nicht einmal bewusst, dass wir sie benutzen. Wir nehmen einfach an, dass die Art, in der wir die Dinge sehen, auch die Art ist, wie sie sind oder wie sie sein sollten« (Covey 2000, 19). Die 16 Lebensmotive und die daraus entwickelten Glaubenssätze wirken wie ein solcher Wahrnehmungsfilter. Stellen Sie sich zur Verdeutlichung folgende Situation vor: Sie haben für Ihre Chefin in langer Arbeit eine Präsentation für den Vorstand vorbereitet. Auf dem Weg in den Feierabend steckt sie den Kopf in Ihr Büro und sagt: »Danke für das Konzept. Inhalt und Aufbau passen, aber an die Grafiken müssen wir morgen nochmal gemeinsam ran.« Worauf konzentriert sich Ihre Aufmerksamkeit? Jemand mit einem hoch ausgeprägten Anerkennungsmotiv und dem Glaubenssatz »Ich muss perfekt sein« hört mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas wie »Sie haben nicht einwandfrei gearbeitet« heraus und wird sich an diesem Abend gedanklich noch länger mit der Frage beschäftigen, was an den Grafiken noch nicht zufriedenstellend war. Jemand mit einem gering ausgeprägten Anerkennungsmotiv hingegen wird z. B. einen Glaubenssatz wie »Nur durch Fehler kann ich mich weiterentwickeln« aufgebaut haben. Entsprechend würde er in die Aussage seiner Chefin etwas wie »Sie haben eine gute Grundlage geschaffen – morgen machen wir die Sache perfekt« hineininterpretieren und zufrieden in den Feierabend gehen.
∎Fähigkeiten: Auf dieser Ebene wird das »Wie« der Kompetenzen beschrieben, die wir uns angeeignet haben, um unsere Ziele zu erreichen. Viele andere Persönlichkeitsinstrumente wie z. B. der Strengths Finder der Gallup Organization setzen auf dieser Persönlichkeitsstufe an. Mithilfe eines Fragebogens werden die fünf dominierenden Talent-Leitmotive eines Menschen, die sogenannten Signatur-Talente, offenbart (vgl. Buckingham / Clifton 2007, 23). Diese Talente repräsentieren das Potenzial für verschiedene Stärken wie Anpassungsfähigkeit, Bindungsfähigkeit, Kontaktfreudigkeit oder Wissbegierde. Aber während die Gallup Organization lediglich beschreibt, wo die Stärken eines Menschen liegen, ermöglicht das Reiss Profile einen ganzheitlicheren Blick darauf, warum wir diese Stärken überhaupt besitzen. Denn welchen Sinn hätte es für einen Menschen, beispielsweise eine Stärke in Wissbegierde aufzubauen, wenn er durch ein gering ausgeprägtes Neugiermotiv gar nicht nach Wissen und Wahrheit strebt? Andere Tools, wie z. B. die Verhaltenspräferenzanalyse Insights Discovery oder DISC, gehen einen Schritt weiter und verbinden die Identitätsebene der Fähigkeiten bereits mit der Verhaltensebene: Die Ergebnisse des Testverfahrens geben neben den Stärken auch einen Einblick in die bevorzugten Verhaltensweisen.
∎Verhalten:Die Ebene des Verhaltens beschreibt die Handlungen eines Menschen, die von außen beobachtbar sind. Sie gibt nicht nur eine Antwort auf das »Wann« und »Wo« eines Verhaltens, sondern beschreibt mit einem »Was genau« auch die spezifischen Handlungsschritte. Auch auf dieser Identitätsstufe setzen verschiedene Diagnostik-Instrumente an, wie z. B. der Myers-Briggs-Typindikator (MBTI), der über die vier Funktionen Denken / Fühlen und Sensorik / Intuition sowie die vier Attribute introviertiert / extraviertiert und rational / irrational den Umgang von Menschen mit der Welt beschreibt. Auch hier gehen wir in Anlehnung an die Forschung von Steven Reiss davon aus, dass das beobachtbare Verhalten in den darunterliegenden Persönlichkeitsstufen des Zwiebelmodells begründet ist. Nach der MBTI-Funktion »Fühlen« handelt ein fühlender Typ beispielsweise spontaner als der denkende Typ. Doch er benötigt zunächst einmal eine grundlegende Fähigkeit zu Flexibilität. Diese Kompetenz wird jemand nur dann entwickeln, wenn er auf der Wahrnehmungsebene die Situationen registriert, in denen er Flexibilität leben und von ihr profitieren kann. Die Voraussetzung für diese spezielle »Brille« wiederum ist ein Glaubenssatz wie »Ich muss flexibel sein, um meinen Nutzen zu maximieren«. Dieser Glaubenssatz kann beispielsweise in den gering ausgeprägten Lebensmotiven Ordnung und Ehre angelegt sein.
▸Beispiel
Besitzt ein Mensch ein hoch ausgeprägtes Ordnungsmotiv, strebt er nach Struktur, guter Organisation, Planung sowie Sauberkeit und Hygiene. Bedingt durch dieses Motiv trägt er Glaubenssätze wie »Ich muss alles planen, um erfolgreich zu sein« in sich. Diese Glaubenssätze wiederum beeinflussen seine Wahrnehmung: Er wird beispielsweise im Projektmanagement immer einen sehr guten Blick dafür haben, was nach Plan läuft oder was gerade nicht. Durch die Wichtigkeit, die er Struktur beimisst, wird er auf der Ebene der Fähigkeiten auch die entsprechenden Skills entwickeln, die es ihm ermöglichen, seinen Wunsch nach Organisation im Alltag zu leben, wie z. B. Projekt- und Zeitmanagement-Kompetenz oder Excel-Kenntnisse. Entsprechend lassen sich auf der Verhaltensebene Handlungen wie »ausführliche Excel-Dokumente anlegen« oder »einen Kalender führen« beobachten.
Das Zwiebelmodell der Persönlichkeit verdeutlicht, dass wir Ziele auf der Fähigkeiten- und Verhaltensebene am leichtesten erreichen können, wenn sie mit unseren Lebensmotiven vereinbar sind. Diesen Zusammenhang zwischen Motivation und Zielen beschreibt auch Professor Hugo Kehr in seinem Schnittmengenmodell von Motivation und Wille (vgl. Kehr 2009, 17 f.). Er unterscheidet zwischen impliziten Motiven und expliziten Zielen. Implizite Motive sind eher dem emotionalen und unbewussten Bereich zuzuordnen (»Bauch«). Ein implizites Motiv kann beispielsweise ein starkes inneres Bedürfnis danach sein, mit anderen zusammen zu sein. Auf der anderen Seite stehen explizite Ziele, die eher dem rationalen Bereich zuzuordnen sind (»Kopf«). Dieser Bereich umfasst alle Ziele und Absichten, die wir uns bewusst setzen oder die unser Umfeld an uns stellt, wie beispielsweise »befördert werden« oder »ein Projektteam zusammenstellen«.
Abb. 5: Das Schnittmengenmodell von Motivation und Wille nach Kehr (2009)
In der Schnittmenge aus impliziten Motiven und expliziten Zielen sind wir intrinsisch motiviert – wir erledigen also eine Aufgabe, weil sie uns Spaß macht und wir mit ihr ein verfolgtes Ziel erreichen können. Bewegt man sich innerhalb dieser Schnittmenge, benötigt man keine besondere Willenskraft, um die Aufgabe zu erledigen, und fällt eventuell sogar in einen »Flow«.
Je stärker unsere impliziten Motive und expliziten Ziele voneinander abweichen, umso mehr Kraft kostet uns ein Verhalten. Nach einer Studie von Nicola Baumann, Rainer Kaschel und Julius Kuhl können bedürfnisferne Ziele sogar zu psychosomatischen Beschwerden wie Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen, Schlafproblemen, Angst und / oder Hilflosigkeit beitragen.2 Das Reiss Profile bietet also eine Möglichkeit, frühzeitig ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln und sich selbst zu Flow- statt Stresserlebnissen zu führen.
Klassische Trainings-, Coachings- und Beratungsansätze setzen meist kurzsichtig auf der Ebene der Kompetenzen oder des Verhaltens an. Diese Maßnahmen können zwar vorläufig durchaus das gewünschte Ergebnis bewirken. Eine stabile Verhaltensänderung setzt aber voraus, dass die individuellen Motive und Einstellungen des Menschen berücksichtigt werden, da diese gemäß des Zwiebelmodells der menschlichen Persönlichkeit letztlich unser Verhalten bestimmen. Das Reiss Profile ermöglicht den Durchblick bis zum eigentlichen Kern der Persönlichkeit eines Menschen. Ein motivorientierter Trainings-, Coachings- und Beratungsansatz setzt daher an dem an, was bestehen bleibt: unseren individuellen Werten und Bedürfnissen, die sich auf alle anderen Ebenen unserer Persönlichkeit auswirken.
In der Arbeit mit dem Reiss Profile wird mit den individuellen Ausprägungen der 16 Lebensmotive zunächst ein Bewusstsein für die Motivstruktur eines Menschen geschaffen. Darauf aufbauend können in einem zweiten Schritt Glaubenssätze aufgedeckt und z. B. mit den aus der Schematherapie nach Young abgeleiteten Methoden hinterfragt und bearbeitet werden. Auf der Ebene der Wahrnehmung können Self-hugging-Tendenzen besprochen und in positivem Sinne genutzt werden. Denn Andersartigkeit ist keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung – vorausgesetzt, Unterschiedlichkeit wird nicht nur respektiert, sondern auch wertgeschätzt und ins eigene Leben integriert. Die notwendigen Fähigkeiten dafür werden auf der nächsten Ebene bearbeitet. Je nach Motivstruktur können Lernfelder abgesteckt und individuell-passgenaue Methoden und Maßnahmen für eine gesteigerte Leistung und mehr Zufriedenheit abgeleitet werden. Und diese können letztlich auf der Verhaltensebene auch von anderen beobachtet werden.
In den folgenden Beiträgen geben Ihnen zahlreiche Experten einen detaillierten Einblick in die verschiedenen Anwendungsgebiete des Reiss Profiles in Training, Coaching und Beratung. Denn wenn wir uns schon nicht aussuchen können, was wir wollen, so können wir uns über das Reiss Profile in den verschiedensten Kontexten zumindest bewusst machen, was wir brauchen. Und darauf aufbauend ist es nur noch ein weiterer kleiner Schritt, unser Tun noch besser auf unser Wollen abzustimmen.
Markus Brand
ist Diplom-Psychologe, Trainer, Coach, Speaker und Autor. Seit 2002 ist er Gründer und Geschäftsführer der b2 consulting GmbH. 2006 gründete er gemeinsam mit Frauke Ion die Institut für Lebensmotive GmbH, die er seitdem leitet. Er ist einer der erfahrensten Reiss Profile Master weltweit und Mitinhaber der Lizenz für das Reiss Motivation Profile in Großbritannien. Markus Brand ist Erfinder des MasterClubs für Reiss Profile Master und von der Reiss Profile Europe B. V. als Instructor qualifiziert, auch andere für die Nutzung des Tools auszubilden.
E-Mail: [email protected] Web: www.institut-fuer-lebensmotive.de
Frauke Ion
ist seit 1988 als Consultant, Trainerin und Business-Coach tätig und blickt auf langjährige Führungserfahrung zurück. Seit 2005 leitet sie ihr eigenes Beratungs- und Trainingsunternehmen ion international, seit 2006 ist sie Gründerin und Mitinhaberin der Institut für Lebensmotive GmbH sowie Lizenznehmerin für das Reiss Motivation Profile in Großbritannien. Sie ist ausgebildete Trainerin und Business-Coach und u. a. für die Programme von FranklinCovey, Insights Discovery und das Reiss Profile zertifiziert.
E-Mail: [email protected] Web: www.institut-fuer-lebensmotive.de
1 Sie können das entsprechende Arbeitsblatt auch auf unserer Website herunterladen: http://www.institut-fuer-lebensmotive.de/item/die-16-lebensmotive.html
2 Vgl. den Artikel Selbst, bitte melden! aus der Zeitschrift Psychologie Heute, Januar 2004.
Der nachfolgende Beitrag bietet praxis- und umsetzungsrelevante Hinweise für die Konzeption, Gestaltung und Durchführung von Teamentwicklungsprozessen. Nach der Einführung geht es um die Frage, zu welchen Anlässen sich das Reiss Profile als Basis für eine Teamentwicklung eignet (Kapitel 2). Anschließend werden begleitende Methoden zum Einsatz des Reiss Profiles in Teamentwicklungsworkshops vorgestellt und den jeweiligen Workshop-Zielen zugeordnet (Kapitel 3). Welche Konsequenzen die Ergebnisse des Teamprofils für die Workshop-Gestaltung und -Moderation haben (welche Inhalte, welche Lernformen, welches generelle Setting), wird in Kapitel 4 anhand eines konkreten Beispiels erörtert.
Die Idee dahinter
Das Reiss Profile bietet die Möglichkeit, die individuelle Bedürfnisstruktur von Teammitgliedern abzugleichen und daraus Optimierungen im Team abzuleiten. Dies betrifft die generelle Zusammenarbeit in Teams, aber auch spezielle Anlässe wie »Neue Teammitglieder«, »Veränderung der Aufgabenstellungen in Teams«, »Konflikte« etc. Durch den Austausch über individuelle Bedürfnisse wächst das Verständnis für ungewöhnlich scheinende Absichten, Kommunikationsimpulse und Verhaltensweisen des Einzelnen. Zusätzlich ermöglicht das Reiss Profile dem Trainer1, den Workshop motivorientiert auf die Bedürfnisse der Teilnehmer auszurichten und damit gleichzeitig das Verstehen der Motive in der Praxis sichtbar zu machen.
Ich habe mich ausdrücklich dafür entschieden, bei der geläufigen Begrifflichkeit der »Teamentwicklung« zu bleiben, auch wenn heute im Zuge der zunehmenden Verallgemeinerung und der Übertragung von trendigen Begriffen aus dem Bereich der Personalentwicklung z. B. das Wort »Teamcoaching« (Alf-Jähnig et al. 2010) ähnlich verwendet wird.
Ein persönliches Wort vorweg: Auch ich als Autor bin von Motiven geprägt . In meinem Beitrag kommen besonders mein hohes Ordnungsmotiv und meine ausgeprägte Ziel- und Zweckorientierung (Business-Version) zum Tragen. Auch mein eher praktisch (also niedrig) ausgerichtetes Neugiermotiv hat beim Schreiben eine Rolle gespielt mit der Idee, Ihnen viele praxisrelevante, aber nicht allzu theoretische Informationen über den Einsatz des Reiss Profiles in Teamentwicklungen zu geben.
Teamentwicklung gestern und heute
Ein neues Team zusammenstellen? Die Strategien und Ziele für Ihr Team entscheidend verändern? Ein virtuelles Team zu echter Teamarbeit bringen? Klar, eine Teamentwicklungsmaßnahme muss her. Doch wie gestalten? Indoor und / oder Outdoor? Mit Diagnose-Tools? Mit Vorbesprechungen? Mit Erwartungsabfragen? Oder …?
Die Zeit, in der die Qualität der Teamentwicklung an der Höhe der abendlichen Getränkerechnung abzulesen war, ist endgültig vorbei. Denn das Reiss Profile zeigt: Nicht jedes Teammitglied ist gleich interessiert an Geselligkeit und Kommunikation (Motiv Beziehungen), an Grenzerfahrungen im Outdoor-Bereich (Motiv Emotionale Ruhe), und auch nicht am 5-Gang-Gourmetmenü mit Weinbegleitung (Motiv Essen).
Die Möglichkeit, über das Reiss Profile sowohl individuelle Motivationstrends zu erkennen als auch gemeinschaftliche Interessen auszumachen, hat die Konzeptionswelt der Teamentwicklungsworkshops verändert. Während mit den klassischen Diagnose-Tools (z. B. Belbins Teamrollen, MBTI) individuelle Profile erstellt werden können und ein Verständnis für Gemeinsamkeiten und Unterschiede erreicht werden kann, bietet das Reiss Profile weit mehr Möglichkeiten. Vom Erkenntnisgewinn bezüglich der eigenen Motivationslage der Teammitglieder mal ganz abgesehen:
∎ Einerseits lassen sich ein Teamprofil erstellen und Schwerpunkte individueller Bedürfnisse im Team erarbeiten. Konflikte werden minimiert, Leistung und Ergebnis mithilfe motivationsspezifischer Funktions- und Aufgabenverteilung maximiert.
∎ Andererseits kann auch die Workshop-Konzeption motivbasiert auf ganz andere Füße gestellt werden. Das bietet mir als Trainer, Berater und Workshop-Designer neue Möglichkeiten der Treffsicherheit in der Workshop-Gestaltung. Und es zeigt Auftraggebern und Kunden, wie sowohl in der Workshop-Durchführung als auch in der Gestaltung der Arbeitsumgebung leistungs- und teamfördernde Akzente zu setzen sind.
Teamentwicklungen mithilfe von Diagnose-Tools
Auf dem Markt steht heute eine ganze Reihe von Diagnose-Tools zur Verfügung, die den Anwender in der Vorbereitung von Teamentwicklungen unterstützen. Zu erwähnen sind zunächst Unternehmensberatungen, die häufig mit eigenen, teilweise abgewandelten Diagnose-Tools arbeiten. Die Gütekriterien (Reliabilität und Validität) dieser Messverfahren lassen oft zu wünschen übrig. Die Tests selbst sind zudem meist wenig verbreitet und erfordern für Anwender spezifisches Einarbeiten. Sucht man nach verbreiteteren und wissenschaftlich erforschten Diagnose-Tools, so lassen sich drei Arten von Tools unterscheiden:
∎ Tools, die sich der Situation im Team widmen. Anhand verschiedener Faktoren wird ein Überblick über den augenblicklichen Entwicklungsstand des Teams gegeben; zudem werden die Stärken und Schwächen des Teams beleuchtet sowie Einflussfaktoren auf das Teamklima untersucht. Dazu zählen z. B. der »Fragebogen zur Arbeit im Team« (F-A-T, Kauffeld 2004) oder das »Teamklima-Inventar« (TKI, Brodbeck et al. 2000).
∎ Eine zweite Gruppe von Verfahren befasst sich mit den augenblicklichen Rollen im Team sowie der Verhaltensausrichtung der einzelnen Teammitglieder. Das bekannteste dieser Verfahren, wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen zu den Gütekriterien, ist das der Belbin Teamrollen (Belbin 2003). Diese bieten den Vorteil, teamspezifisch zu untersuchen, welche Rollen im Team zur Zielerreichung vorhanden sind, welche fehlen oder ausgebaut werden sollten. Auch das Team Management Profil (TMP) nach Wagner / Tscheuschner (2008) konzentriert sich auf die Teamrollen bzw. persönlichen Arbeitsstile (z. B. Entdecker, Berater, Controller …).
∎ Die dritte Gruppe von Verfahren konzentriert sich auf die Persönlichkeitsstruktur der Teammitglieder. Hierbei kommen Verfahren wie der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), DISC, Big-Five-Varianten für den beruflichen Kontext (z. B. der Reflector Big Five Personality, Howard / Howard 2008) zum Einsatz. Einen guten Überblick über diese Verfahren bietet Simon (2007). Ursprünglich für den Einzelnen konzipiert, lassen sich diese Persönlichkeitsfragebögen auch für Teams verwenden. Hier werden die Ergebnisse zunächst individuell erhoben und ausgewertet und dann für das gesamte Team sichtbar gemacht. Durch die Reflexion der Unterschiedlichkeit der Profile und Persönlichkeitsstrukturen kann ein erhöhtes Verständnis für unterschiedliche Vorgehensweisen und Verhaltensweisen der Teammitglieder erreicht werden.
Das Reiss Profile als Diagnose- und Entwicklungs-Tool für einen Teamentwicklungsprozess heranzuziehen, scheint im ersten Augenblick »nur« einer Verwendung der Diagnose-Tools aus Gruppe 3 gleichzukommen. Und bietet doch neben seinen fundierten statistisch-psycho-metrischen Daten eine Reihe von zusätzlichen Vorteilen, die das Reiss Profile für viele Fragestellungen der Teamentwicklung besonders geeignet macht.
Nutzen des Einsatzes des Reiss Profiles in einem Teamentwicklungsprozess
Das Reiss Profile untersucht die individuelle Motivstruktur von Individuen. Es gibt damit Antworten auf die Frage, was Menschen letztlich glücklich und zufrieden macht im Leben. Der Einsatz des Reiss Profiles als Tool in einem Teamentwicklungsprozess bietet eine Reihe von Vorteilen.
Im Vorfeld des Workshops:
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