Die Akademie der Götter - Griechische Götter Fantasy Bestseller - Elisa S. Amore - E-Book
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Die Akademie der Götter - Griechische Götter Fantasy Bestseller E-Book

Elisa S. Amore

5,0

Beschreibung

Die Akademie der Götter - Eine der erfolgreichsten Buchserien der Welt. Willkommen auf der Akademie der Götter Wo Zeus und Aphrodite selbst den Unterricht leiten. Wo Ares Kriegskunst lehrt, Hephaistos Schmiedekunst unterrichtet, und Dionysos rauschende Feste veranstaltet. Nur die mächtigsten und talentiertesten Jugendlichen erhalten eine Einladung. Nur die mächtigsten, die talentiertesten, und ich. Ich habe eigentlich gar keine Einladung bekommen. Aber das Schicksal hat mir eine Gelegenheit geboten. Jetzt bin ich an der Akademie und muss gefährliche Prüfungen und magische Tests bestehen. Eigentlich sollte ich keine Chance haben. Doch einer der Götter hält seine schützende Hand über mich. Wenn ich nur wüsste, was er im Gegenzug will.

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DIE AKADEMIE DER GÖTTER

DIE AKADEMIE DER GÖTTER

BUCH 1

ELISA S. AMORE

KIERA LEGEND

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

1

Melanie

Auf Callies achtzehnter Geburtstagsparty tummelten sich mehr als hundert Leute.

Sie tranken Champagner, aßen eingelegte Feigen mit Ricotta, die von Dienern in Anzügen gereicht wurden. Die Gäste waren Freunde aus Callies angesehener Privatschule und Callies große griechische Familie.

Ich stand mitten unter ihnen, obwohl ich zu keiner dieser Gruppen gehörte.

Nach außen hin würde Callie mich gewiss als Freundin, ja sogar als Schwester bezeichnen, immerhin hatten wir die letzten fünf Jahre in demselben Haus gelebt. Aber ich wusste, dass sie hinter meinem Rücken allen, die es nicht hören wollten, erzählte, dass ich nicht wirklich dazugehörte.

Das Traurige daran war, dass es stimmte.

Ich nippte an meinem Champagner, lehnte mich an das weiße Geländer der Veranda und ließ meinen Blick über das Anwesen der Familie Demos schweifen. Lichterketten beleuchteten das weitläufige Areal und säumten die Kopfsteinpflasterwege und Steinstatuen. Nachts war es hier wunderschön.

Oft streifte ich nach Mitternacht heimlich durch den Garten, ohne dass meine Adoptivmutter Sophia oder der Rest des Haushalts es mitbekommen hätten. Nur der Gärtner wusste von meinen nächtlichen Ausflügen. Aber er würde mich niemals verraten. Wir hatten eine Abmachung. Er petzte nicht wegen meiner heimlichen, nächtlichen Abenteuer, und ich würde niemandem verraten, dass er mit Rachel vom Küchenpersonal hinter dem Gartenschuppen Gras rauchte.

„Was machst du denn hier draußen?“ Callie trat zu mir ans Geländer, die Ärmel ihres eleganten blauen Kleides hingen über das weiße Holz. Sie sah aus wie eine Königin. Ihr Haar war zu einem komplizierten Zopf geflochten. Sie trug sogar ein winziges diamantenbesetztes Diadem für diesen Anlass.

„Das Übliche. Mich verstecken. Ich halte mich von Cousin Leo und seinen gierigen Händen fern.“ Mit einer Geste deutete ich an Callies Brüste zwicken zu wollen.

Lachend schlug sie meine Hand weg. „Ich weiß, er ist schrecklich. Vorhin hat er Kate an den Hintern gegrapscht.“

Ich nahm einen weiteren Schluck Champagner. Ich war mir bewusst, dass ich nicht annähernd so schön und elegant aussah wie Callie. Ich hatte mich gegen ein ausgefallenes Kleid, und für einen klassischen langärmeligen Jumpsuit mit Cape entschieden. Er gehörte nicht einmal mir, Callie hatte ihn mir geborgt. So etwas hätte ich mir selbst nie leisten können. Ich hegte den Verdacht, dass sie das Kleidungsstück für mich ausgesucht hatte, um die Tattoos auf meinen Armen und Beinen zu verdecken. Ihre Eltern waren sehr traditionell. Sie duldeten mich nur, weil ich die Ziehtochter ihrer treusten Haushälterin war.

„Wir sollten reingehen.“ Callie drehte sich um und deutete auf den Saal, in dem sich jenseits der offenen Terrassentüren Menschen in Smokings und Abendkleidern tummelten. Der Lärm dröhnte unangenehm laut in meinen Ohren. „Ich werde meine Schattenbox gleich aufmachen. Du solltest dabei sein.“

„Ich komme gleich“, sagte ich. „Gib mir eine Minute.“

„Das würde ich dir auch raten Du würdest es bereuen, den Augenblick zu verpassen, in dem ich meine Einladung in die Armee der Götter erhalte.“

Ich grinste. „Vergiss nicht, dass die Chancen dafür eins zu einer Million stehen.“

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ich habe mein Leben nicht umsonst mit Gebeten in Tempeln verbracht.“

Callie begab sich zurück auf ihre Feier. Ihre Füße schienen den Boden dabei kaum zu berühren. Sie schien zu schweben, so anmutig war ihr Gang. Oft wurde sie mit der Schönheitsgöttin Aphrodite verglichen - langes, goldblondes Haar, perfekte, symmetrische Gesichtszüge, eisblaue Augen und die Nase einer Herrscherin. Ich fand, dass sie auch einige der Charaktereigenschaften besaß, die man der Göttin zuschrieb: Aphrodite war angeblich eitel, durchtrieben und ein wenig teuflisch.

Nun, vielleicht nicht gerade teuflisch. Vermutlich passte dieses Wort eher zu mir. Denn mein blaues Haar, meine Tattoos, meine Piercings und meine mangelnde Verehrung der griechischen Götter wirkten in der Oberschicht von Pecunia, wo die meisten Familien griechisch und gottesfürchtig waren, eindeutig fehl am Platz.

Es war nicht so, dass ich nicht an die Götter glaubte - auf meine eigene Art und Weise tat ich das durchaus. Ich verehrte sie nur nicht. Ich fand, dass sie zu meinem Leben nichts beigetragen hatten. Also warum schuldete ich ihnen Verehrung?

Die Schattenboxen, die jedes Kind zu seinem achtzehnten Geburtstag bekam, waren angeblich ein Geschenk der Götter. Die Boxen enthielten einen einfachen Geburtstagsgruß, aber manche enthielten angeblich eine Einladung der Akademie der Götter beizutreten, und sich in den Dienst der Götter zu stellen.

Ich hielt das für Unsinn. Mir war noch nie jemand begegnet, der ausgewählt worden war. Nach allem, was ich wusste, enthielten die Schattenboxen immer Geburtstagsgrüße.

Dennoch. Das Öffnen der Box war ein großer Augenblick und Callie würde es mir übel nehmen, wenn ich ihn verpasste.

Ich ging also wieder hinein. Die Partygäste hatten mittlerweile einen Halbkreis um Callie gebildet. Ihre Eltern nahmen den Platz direkt neben ihr ein; ihre Mutter strahlte vor Stolz. Ihr Vater wirkte stoisch. In all den Jahren, die ich auf dem Anwesen verbracht hatte, hatte ich Mr. Demos noch nie lächeln gesehen.

Ich entdeckte ein paar von Callies Freunden, für die ich nicht mehr Liebe übrig hatte als sie für mich. Ihre beste Freundin, Ashley, wirkte begeistert. Tyler hingegen schien sich zu Tode zu langweilen. Als sich unsere Blicke trafen, schenkte er mir ein betont aufgesetztes Lächeln, hob seine Hand und streckte mir den Mittelfinger entgegen.

Ich erwiderte die Geste gerade, als die Lichter ausgingen und eine riesige Geburtstagstorte auf einem Serviertisch hereingerollt wurde. In den hinteren Reihen stimmte jemand „Happy Birthday“ an, ein Lied, das von der Menge begeistert aufgenommen wurde.

Callie zwang ein gekünsteltes Lächeln auf ihre Lippen. Dann pustete sie die Kerzen aus und alle klatschten. Ich wusste, was sie sich gewünscht hatte: eine Einladung in die mystische Akademie der Götter. Wie ich Callie kannte, würde sie die Einladung wahrscheinlich sogar bekommen. Callie bekam immer alles, was sie wollte.

Während die Torte davongerollt wurde, um mit chirurgischer Präzision in perfekt gleichmäßige Stücke zerteilt zu werden, drang von draußen der Klang einer Fanfare an meine Ohren. Die Menge begann zu murmeln. Die Schattenbox musste eingetroffen sein.

Während der Rest der Gäste in Erwartung der berühmten Metallbox den Atem anhielt, schluckte ich meinen Unmut hinunter. Ich hasste diese Zeremonie. Sie erinnerte mich daran, dass ich an meinem achtzehnten Geburtstag keine Schattenbox erhalten hatte. Obwohl die Zauberkiste jedem Kind an seinem achtzehnten Geburtstag zugestellt werden sollte, hatte sie mich irgendwie vergessen.

Schweigen breitete sich im Raum aus, als ein Würdenträger in einem traditionellen griechisch-weißen Gewand die Metallkiste auf einem Tonteller hereintrug. Jetzt packte mich die Neugierde doch. Ich verrenkte mir den Hals und setzte meine Ellenbogen ein, um mir eine bessere Sicht auf die Kiste zu verschaffen.

Die Schattenbox war atemberaubend. Aus Bronze gefertigt und mit Gold- und Silberverzierungen versehen, erstrahlte sie in ihrem ganz eigenen Glanz. Ein Gast stöhnte neben mir auf, als der Würdenträger vor Callie stehen blieb und ihr das Geschenk überreichte.

Jetzt, wo ich näher dran war, konnte ich die Motive erkennen, die mit großer Sorgfalt in das Metall eingraviert worden waren: Symbole der Götter. Ein Blitz für Zeus, ein Stern für Hera, eine Rose für Aphrodite und ein Wolf für Ares. Ich konnte sie ganz deutlich sehen. Ich nahm an, dass auf der anderen Seite der Mond für Artemis und die Sonne für Apollo zu sehen waren.

Callie sah zuerst ihre Mutter, dann ihren Vater an. Sie nickten ihr beide zu. Bevor sie das Geschenk jedoch auspacken durfte, hatte sie den Göttern zu danken. So war es Brauch.

„Ich danke euch, mächtige Götter“, rief Callie. „Ich danke euch für euren Segen und hoffe mich würdig zu erweisen.“ Ihre Stimme brach. Sie wünschte sich diese Einladung so sehr.

Beinahe wünschte ich mir die Einladung für sie. Beinahe.

Langsam griff sie nach der Box. Als sie die Box in ihre Hände nahm, zuckten viele im Publikum zusammen. Was erwarteten die Leute? Dass Licht aus allen Ecken herausgeschossen kam? Wohl kaum.

Callie hob den Deckel an und wagte einen Blick ins Innere. Ihre Hand zitterte leicht, als sie in die Box griff und die winzige mit einem goldenen Band befestigte Schriftrolle herauszog. Ich konnte sehen, wie sie nervös schluckte, während sie das Band löste und das verwitterte, vergilbte Pergament entfaltete.

Röte überzog Callies Wangen, während sie die Schriftrolle überflog. Offensichtlich hatte sie nicht die Nachricht erhalten, die sie erwartet hatte.

„Was steht da, Liebling?“ Ihre Mutter reckte ihren langen Hals und versuchte, über die Schulter ihrer Tochter hinweg zu lesen.

Callie stieß ihre Mutter weg, warf die Metallbox auf den Boden und lief aus dem Raum. Einige der Gäste murrten angesichts von Callies schockierendem Verhalten. Mich überraschte es weniger. Mrs. Demos nickte der fünfköpfigen Band in der Ecke zu, und sofort setzte die Musik wieder ein. Dann wandte sie sich an die Partygäste: „Lasst uns tanzen. Das ist eine Feier, um Dionysos willen!“

Nach dieser Rede ergriff sie meinen Arm und zog mich zu sich heran. „Such Callie und richte ihr aus, dass sie ihren Hintern gefälligst wieder hierher bewegen soll, um sich zu entschuldigen. Sie darf die Götter nicht beleidigen.“ Sie deutete auf die Metallbox, die zu ihren Füßen auf dem Boden ruhte. „Und schaff die hier weg.“

Ich hob die Box auf und war überrascht, dass sich ein Kribbeln von der Stelle ausbreitete, an der sie meine Haut berührte. Ich hätte gedacht, dass sich das Metall kühl anfühlen würde, doch die Box strahlte Hitze aus.

Ich traf Callie rauchend auf der Terrasse an. Sie sah mich nicht an, auch nicht, als ich neben sie trat.

„Alles in Ordnung?“

Sie zog an ihrer Zigarette und blies Rauch in die Luft. „Ich kann nicht glauben, dass all die Spenden für die Tempel und die Wohltätigkeitsarbeit meiner Eltern nichts gebracht haben sollen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Was ist der Dank für all die Mühen? Ein blöder Geburtstagssegen, aber keine Einladung in die Akademie.“

„Ja, das ist echt Mist.“ Ich bezwang den Drang, die Augen zu verdrehen. Niemand bekam diese Einladung.

Endlich drehte sie sich zu mir um und blickte mir in die Augen. „Ich bin die perfekte Kandidatin. Ich kann ihnen alles bieten, was sie an der Akademie brauchen. Ich wäre einer ihrer besten Schülerinnen geworden.“

„Deine Mutter hat mich gebeten, dir auszurichten, dass du wieder hineingehen sollst, um dich bei deinen Gästen zu entschuldigen.“ Ich hielt ihr die Schattenbox hin. „Die hast du vergessen.“

Sie schlug mir das Metallkästchen aus der Hand. Ich fing die Box nur im letzten Moment auf.

„Ich will diese blöde Ding nie wieder sehen!“

Sie drückte ihre Zigarette auf dem Geländer aus und stürmte zurück ins Haus. Ich sah ihr nach und spürte, wie sich Wut in mir ausbreitete. Callie benahm sich wie eine verwöhnte Göre.

Ich hatte genug für einen Abend. Genug von den reichen Partygästen, und genug von Callie.

Erschöpft verließ ich das Fest und schlich durch den Garten zu dem kleinen Häuschen, das ich mir mit meiner Ziehmutter Sophia teilte. Die Schattenbox nahm ich mit. Wenn sie auch vielleicht nicht von den Göttern stammte, so war sie doch wunderschön.

Nachdem Sophia drei harte Arbeitstage damit verbracht hatte, die Feier zu organisieren, schlief sie vermutlich schon selig in ihrem Bett. Um sie nicht aufzuwecken, schlich ich mich auf Zehenspitzen durch das kleine Haus in mein winziges Schlafzimmer.

„Du musst nicht schleichen, ich bin wach.“

Ich versteckte die Schattenbox hinter meinem Rücken und wandte mich dem Wohnzimmer zu. Sophia saß auf ihrem Sessel am Fenster mit Stricknadeln und einem roten Wollknäuel in den Händen.

„Warum strickst du im Dunkeln?“, fragte ich lächelnd.

„Es entspannt mich. In mir geht zu viel vor, um einschlafen zu können.“

„Hast du das von Callie mitbekommen?“

Sophia schnalzte mit der Zunge. „Sie war sehr laut. Also ja.“

Sie deutete neben sich auf den Boden, wo ich für gewöhnlich saß, um ihren Geschichten über meine Eltern zu lauschen. „Komm, setz dich zu mir. Erzähl mir alles, was du heute erlebt hast. Hast du etwas von der Torte probiert? Sie sah hervorragend aus.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. An die habe ich bei dem ganzen Trubel gar nicht mehr gedacht.“ Ich täuschte ein Gähnen vor. „Ich gehe lieber zu Bett. Es war eine lange Nacht.“

Sie lächelte mich an. „In Ordnung, mein Schatz. Träum schön.“

„Du auch!“ Wenig später betrat ich mein Schlafzimmer. Ich hatte es geschafft, die Metallbox ungesehen an ihr vorbeizuschmuggeln.

Rasch zog ich meinen Jumpsuit aus, darauf bedacht, ihn nicht zu beschmutzen, und schlüpfte in eine alte Jogginghose und ein ausgewaschenes Tanktop. In diesen Klamotten fühlte ich mich irgendwie viel mehr wie ich selbst.

Nachdem ich es mir im Schneidersitz auf dem Bett bequem gemacht hatte, drehte ich die Schattenbox in meinen Händen. Erneut strahlte das Metall eine seltsame Hitze aus. Verunsichert stellte ich die Box vor mir ab. Ich stellte fest, dass ich bei den Symbolen recht gehabt hatte. Es waren insgesamt zwölf. Eines für jede Gottheit.

Vorsichtig hob ich den Deckel der Box an und riss überrascht die Augen auf.

Die Schattenbox hätte leer sein müssen. Callie hatte die Schriftrolle mitgenommen. Dennoch befand sich in der Box eine weitere Schriftrolle.

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Hatte Callie diese zweite Schriftrolle übersehen?

Ich griff hinein und nahm das Schriftstück heraus. Sobald ich das Papier berührte, fühlte ich ein Kribbeln in meinen Fingern. Kurz überlegte ich, Callie die Box zurückzubringen. Aber meine Neugierde war zu groß.

Vorsichtig entrollte ich das Pergament.

Herzlichen Glückwunsch, Rekrutin!

Du wurdest an der Akademie der Götter aufgenommen.

Ein elektrischer Schlag durchfuhr meine Finger, und ich ließ die Schriftrolle fallen. Das Papier segelte langsam durch die Luft, bevor es sich anmutig auf meiner Decke niederließ.

Kaum zu glauben! Callie hatte die Einladung in ihrer Arroganz einfach übersehen.

Ich musste sofort zu ihr gehen und ihr die Einladung zeigen.

Das musste ich.

Sofort.

Jetzt.

Oder?

Ich holte tief Luft.

Callie hatte alles. Liebevolle Eltern, ein großes zu Hause, Reichtum und Freunde. Und sie wusste nichts davon zu schätzen.

Ein bitterer Gedanke machte sich in mir breit.

Was wenn ich es ihr nicht sagte? Niemand würde es erfahren. Callie ging davon aus, dass die Götter sie abgewiesen hatten. Sie selbst hatte mich angewiesen, die Schattenbox loszuwerden. Sie würde es nie herausfinden.

Ich musterte die Einladung. Kein Name stand auf ihr.

Was wenn ...?

Ich schluckte.

Mein ganzes Leben lang war ich eine Außenseiterin gewesen. Ich wusste immer, wenn man mir nur einmal eine Chance geben würde, könnte ich ... etwas bewirken. Etwas verändern.

Ich starrte auf die Metallbox.

Was wenn ...

2

Melanie

Auf der Suche nach weiteren Hinweisen drehte und wendete ich das Pergament in meiner Hand.

Gerüchten zufolge sollte die Box neben der Einladung weitere Anweisungen enthalten. Solche, die den geheimen Weg in die noch geheimere Einrichtung beschrieben. Nichts davon fand sich auf der Einladung.

Ich hob die Box hoch, betrachtete den Metallboden und fuhr mit der Fingerkuppe über die Kanten und Nähte. Ich untersuchte jeden Millimeter der Außenhülle auf ein geschickt platziertes Versteck, doch ich fand nichts. Als ich jedoch die Samteinlage berührte, kräuselte sich ein winziges Stück des Bodens. Ein Geheimversteck für eine geheime Botschaft?

Mit zitternden Fingern zerrte ich an dem Stoff, der sich nicht lösen wollte. Schließlich zog ich den Samt in Streifen heraus. Mein Blick heftete sich auf die Inschrift des glänzenden Metallbodens. Um die Worte erkennen zu können, hielt ich die Box unters Licht und las sie laut vor:

„Du lüftest das Geheimnis, wenn du jene Sache benutzt, die ohne Beine tanzt und die ohne Lungen atmet. Die Leben in sich trägt, zu wenig, um zu leben, aber zu viel zum Sterben und doch Leben und Tod in sich vereint.“

Ein Rätsel. Perfekt. Ich stöhnte auf.

Es konnte nicht so schwer sein, die Lösung zu finden. Andernfalls hätte es kaum ein Rekrut geschafft, sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort einzufinden, aber vielleicht steckte genau diese Absicht dahinter? Schließlich wollte die Akademie der Götter nicht irgendwen, sondern suchte sich die Besten der Besten aus. Noch einmal flog mein Blick über die Zeilen, während mein Verstand ratterte, um das Rätsel zu lösen.

Ich sprang vom Bett herunter und tigerte im Raum umher. Bewegung half mir, nachzudenken. Welches Ding tanzte, atmete und lebte, ohne zu leben oder zu sterben? Ein Mensch? Nein, wir hatten sowohl Beine als auch Lungen und am Leben waren wir auch. Es konnte sich auch nicht um ein Tier handeln.

Immer wieder zog die Schattenbox meinen Blick auf sich. Ab und an blitzte das Metall im Licht auf. Ich erinnerte mich daran, wie sie sich in meinen Händen angefühlt hatte; an die Hitzewellen, die sie über meine Haut geschickt hatte. Plötzlich hielt ich inne, griff nach der Metallbox und drehte sie in meinen Händen, während ich mir die Symbole der einzelnen Gottheiten einprägte, die die Außenhülle zierten.

Zeus - Blitz

Hera - Stern

Aphrodite - Rose

Ares - Wolf

Apollo - Sonne

Artemis - Mond

Eine Drehung um einhundertachtzig Grad offenbarte mir sechs weitere Symbole, die in die gegenüberliegende Wand eingraviert waren. Etwas an ihnen irritierte mich.

Poseidon - Dreizack

Dionysos - Kelch

Hephaistos - Feuer

Athene - Eule

Demeter - Füllhorn

Hermes - Schlange

Stirnrunzelnd fuhr ich mit den Fingerkuppen über das Metall. Erneut legte sich die Hitze um meine Finger. Es fühlte sich so an, als würde ich meine Hand ins Feuer halten.

Die Handwerkskunst, mit der das Metall bearbeitet worden war, stammte nicht von dieser Welt. Sie übertraf alles Irdische. Einer der Götter musste die Schattenbox entworfen haben. Hitze, Metall ...

Feuer.

Das musste es sein! Flammen tanzten im Feuer, allerdings brauchte Feuer Sauerstoff, um zu brennen; tanzen ohne Beine, atmen ohne Lunge. Wurde das Feuer gelöscht, starben die Flammen mit ihm. Das war des Rätsels Lösung.

Doch es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob ich Recht hatte.

Da ich keinen Kamin hatte, in dem ich ein Feuer entfachen konnte, sammelte ich sämtliche Kerzen zusammen, die ich im Zimmer finden konnte, und platzierte sie nebeneinander, bevor ich sie anzündete. In der Hoffnung, dass es funktionieren würde, ließ ich die Schattenbox über den winzigen Flammen schweben.

Mindestens zehn Minuten lang setzte ich die Metallbox der Hitze aus, bevor ich einen Temperaturunterschied spürte. Nach ein paar weiteren Minuten wurde das Metall so heiß, dass es mich schmerzte, die Box zu halten. Meine Finger brannten. Ich zuckte bei dem stechenden Schmerz zusammen, ohne zu wissen, wie lange ich die Schmerzen noch ertragen musste.

Gerade als meine Schmerzschwelle überschritten war und ich die Box fallen lassen wollte, stiegen dünne schwarze Rauchschwaden aus dem Inneren der Box herauf. Als würde sie der Wind antreiben, schlängelten sich die Dämpfe durch die Luft. Mein Blick flog zu meinem Fenster. Hatte ich es offengelassen? Nein, es war fest verschlossen.

Plötzlich begannen sich Wörter und Zahlen aus den Rauchschwaden zu formen.

Cala

3 Uhr

Pier ...

Ich hielt den Atem an, als sich eine weitere Zahl bildete. Allerdings konnte ich nicht entziffern, ob es eine Neun oder eine Sechs sein sollte. Erst sah sie aus wie eine Sechs, dann wie eine Neun, um dann wieder zu einer Sechs zu werden. Nachdem der Hinweis sich vollständig entfaltet hatte, verschwand er abrupt.

Ich ließ die Box fallen, weil ich sie nicht länger halten konnte. Ein Blick auf meine Hände verriet mir, dass sich auf meinen Fingerspitzen kleine Blasen gebildet hatten, die jetzt rot leuchteten. Aber das spielte keine Rolle, denn ich hatte zumindest die Information erhalten, die ich brauchte.

Cala war ein kleines Städtchen unweit der Bucht. Es bot einen großen Hafen, zu dem Sophia mich einmal mitgenommen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Anlegestellen es dort gab, allerdings musste ich nur eine finden. Pier Nummer sechs. Um drei Uhr in der Nacht. Ich schnappte mir mein Handy und schielte auf das Display. Es war elf Uhr. Mir blieben vier Stunden Zeit, um mich am Pier einzufinden und das Geheimnis um die Akademie zu lüften.

Das war nicht genug Zeit, um diese Entscheidung oder ihre Konsequenzen völlig zu überdenken. Aber welche Wahl hatte ich?

Ich musste entweder zum Pier gehen, oder ich musste Callie die Wahrheit sagen.

Doch wenn ich das tat, würde ich mich dann nicht ein Leben lang fragen:

Was wenn ...?

Ich sprang auf, eilte zu meinem Kleiderschrank und zerrte einen klapprigen Seesack heraus. Schnell riss ich die Schubladen meiner Kommode auf und stopfte alles in den Seesack, was mir in die Hände fiel: Unterwäsche, Socken, Jeans und ein paar T-Shirts. Die Schattenbox kam zum Schluss. Sollte jemand einen Beweis für meine Einladung verlangen, würde sie mir dabei helfen, diesen zu liefern.

Entschlossen zog ich den Reißverschluss zu, schlüpfte in meine verwitterte Jacke und meine Stiefel, steckte mein Handy in die Tasche und vergewisserte mich, dass ich ungesehen verschwinden konnte. Sophia hielt sich nicht Wohnzimmer auf und ihre Schlafzimmertür war verschlossen, also musste sie bereits zu Bett gegangen sein.

Nachdem ich aus meinem Schlafzimmer geschlüpft war, blieb ich vor Sophias geschlossener Tür stehen. Ich sog scharf Luft ein.

In meinem Übermut hatte ich nicht daran gedacht, dass ich natürlich auch meine Ziehmutter verlassen musste.

Ich sollte ihr eine Nachricht hinterlassen und ihr mitteilen, wohin ich gegangen war. Aber wie? Niemand durfte erfahren, dass ich die Einladung gestohlen hatte.

Also öffnete ich leise ihre Tür und schlich mich hinein.

Meine Brust wurde eng, als ich sie erblickte. Ihr im Schlaf entspanntes Gesicht war jetzt frei von den Sorgenfalten, die sich im Laufe der Jahre in ihre einst makellose Haut gegraben hatten. Ich beugte mich über sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich“, flüsterte ich.

Tränen stachen mir in die Augen, als ich mein Zuhause verließ und mich auf leisen Sohlen und abseits der Lichtquellen durch den Garten und die Einfahrt hinunter schlich.

Soweit ich wusste, fuhren keine Busse in dieser Gegend und um diese Uhrzeit erst recht nicht, also musste ich eine Möglichkeit finden, die mindestens neunzig Meilen von Pecunia entfernte Stadt Cala zu erreichen. Mir blieben nur ein paar Stunden, um pünktlich am Pier zu erscheinen. Zu Fuß würde ich es nie schaffen.

Stimmen drangen an meine Ohren. Es mussten Partygäste sein, die die Veranstaltung verließen. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, sie um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten, aber dann würde Callie bestimmt davon erfahren. Ich musste unentdeckt bleiben, zumindest bis zum Sonnenaufgang. Sobald der Morgen anbrach, war es mir egal, was sie über mein Verschwinden dachten. Vermutlich würden sie davon ausgehen, ich wäre einfach ausgerissen. In ihren Augen würde dieses Verhalten zu mir passen. Nur Sophia würde es nicht glauben, sie würde sich Sorgen machen.

Große Sorgen.

Es brach mir das Herz ihr diese Ungewissheit zuzumuten, aber mir blieb keine Wahl.

Nicht wenn ich mein Leben verändern wollte.

* * *

Scheinwerfer fegten über den Bürgersteig. Mit angehaltenem Atem sprang ich zurück in die Schatten, um nicht gesehen zu werden. Ich drehte mich um und entdeckte ein Motorrad, das abseits aller anderen Fahrzeuge parkte. Der Schlüssel steckte.

Könnte ich einfach ...?

Zehn Minuten später raste ich die Auffahrt des Demos Anwesen hinunter. Ich bog links in die Hauptstraße ab. Obwohl ich mich freute, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen, fühlte ich mich schuldig, wegen Sophia. Ich konnte nur hoffen, dass sie mit der Zeit verstehen würde, warum ich hatte gehen müssen.

Mein Herz raste so schnell wie das Motorrad unter mir. Ich konnte kaum glauben, was ich da tat. Ich betete, dass es funktionieren würde. Es musste funktionieren. Sollte es schief gehen und ich rausgeschmissen werden, war ich mir nicht sicher, ob ich zurückkehren könnte.

Es dauerte nicht lange, bis ich die Anlegestelle fand. Das Touristenstädtchen war ziemlich klein, sodass ich lediglich dem Rauschen des Meeres zu folgen brauchte. Das Motorrad stellte ich am Bootshaus ab.

Als ich mich auf den Weg zum Pier sechs machte, überraschte mich die Stille. Wo waren all die anderen Rekruten? Sicherlich war ich nicht die Einzige, die das Rätsel lösen konnte und hier gelandet war. Gerüchten zufolge rekrutierten die Götter alle vier Jahre fünfzig Jugendliche.

Trotz der fehlenden Beleuchtung fand ich mich am Pier Nummer sechs ein. Die unheimliche Stille und die Dunkelheit, der ich mich mit jedem Schritt näherte, waren erdrückend. Lediglich das Plätschern des Wassers gegen die Metallpfosten des Stegs und mein eigener Herzschlag dröhnten in meinen Ohren.

Mein Blick irrte über das Meer, während ich darüber nachdachte, wie ich vorgehen sollte. Würde ein Boot kommen und mich abholen? Wäre das für eine Rekrutin nicht zu einfach? So wie ich die Götter einschätzte, würden sie den Weg in die Akademie kompliziert und gefährlich gestalten.

Plötzlich kam mir der Gedanke, der Eingang zur Akademie befände sich womöglich unter Wasser.

Blinzelnd ließ ich meinen Blick über die Oberfläche gleiten. Etwa einhundert Meter von mir entfernt entdeckte ich eine Boje, die auf dem Wasser herumtrieb. Alle paar Sekunden sandte sie ein Lichtsignal aus. War das ein Zeichen für ich?

Wieder mal gab es nur einen Weg es herauszufinden.

Entschlossen schnallte ich mir den Seesack auf den Rücken, atmete einmal tief durch und sammelte meinen Mut.

„Eins, zwei, drei.“ Mit einem lauten Platschen sprang ich ins Wasser und sank wie ein Stein auf den Grund.

Das Salz brannte in meinen Augen, als ich sie unter Wasser aufriss, um … gar nichts zu sehen. Irgendetwas musste es hier doch geben! Ein Portal. Ein Tor. Selbst ein U-Boot käme mir gerade recht. Aber ich sah nichts als Seegras.

Ich suchte weiter und weiter. Erst, als meine Lungen zu bersten drohten, stieß ich mich vom Grund ab und schwamm nach oben. Meine Arme schmerzten vor Müdigkeit, als mein Kopf schließlich die Oberfläche durchbrach. Ich spuckte Wasser, hustete und drehte mich orientierungslos herum, bis ich den Steg erblickte.

Im gleichen Moment drang ein sehr raues, sehr männliches Lachen an meine Ohren. Ich spürte den Blick einer Person auf.

„Etwas spät für ein mitternächtliches Schwimmstündchen, denkst du nicht?“

Ich schwamm zum Steg. Je näher ich ihm kam, desto deutlicher konnte ich seine Gesichtszüge erkennen. Er war jung, etwa in meinem Alter und sein kantiges Kinn, goldblonden Locken und die auffallend blauen Augen machten ihn zu dem Typ Mann, bei dem ich normalerweise schwach werden würde.

Ich griff nach dem Rand des Holzstegs und wollte mich aus dem Wasser hieven, als er einen Schritt vorwärts trat.

Sein Lächeln jagte mir einen Schauer über den Rücken.

3

Melanie

Ich stieß mich ab, doch er war schneller.

Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte er sich hingehockt, meine Arme mit seinen Händen umschlossen, und mich auf den Pier gezerrt. Ich rollte mich auf den Rücken, strich mir die Haare aus dem Gesicht und blinzelte zu ihm empor, unsicher, ob er ein Freund oder ein Feind war.

„Das ist der falsche Pier.“ Er nickte in Richtung eines anderen Piers, wo ich einige Teenager entdeckte. Pier Nummer 9.

Ich setzte mich auf und versuchte, einen Teil meiner Würde zu bewahren, obwohl ich ahnte, dass es dafür viel zu spät war. Meine Kleidung war klatschnass, mein Haar ähnelte blauem Seetang und mein Make-up rann mir vermutlich über das Gesicht. Der hübsche Fremde musste mich für eine Wahnsinnige halten.

„Mir war bloß etwas warm. Schwimmen erfrischt mich.“ Ich wischte mir mit dem Ärmel über das Gesicht, was da meine Jacke noch nass war, nicht viel brachte.

„Klar doch.“ Er bot mir seine Hand an, um mir auf die Beine zu helfen, doch ich ignorierte sie und stand eigenständig auf. Er ließ die Hand sinken und schüttelte leicht den Kopf. „Es ist Pier Nummer neun. Du hast die Botschaft falsch verstanden.“ Mit diesen Worten warf er sich den Rucksack über die Schulter und gesellte sich zu den anderen.

Ich ließ einige Minuten verstreichen, bevor ich ihm folgte. Er sollte nicht denken, dass er mich vor einem Fehler bewahrt hätte, obwohl das natürlich zutraf. Mit so viel Würde, wie es nur möglich war, reihte mich in die Schlange derer ein, die die Rampe zum Pier neun erklommen. Mindestens dreißig Leute, vielleicht auch mehr, hatten sich auf dem Holzsteg versammelt.

Niemand sprach außer meinem geheimnisvollen Retter. Er führte die Gruppe an und sprach mit einem anderen Jungen und einem hübschen Mädchen mit langen, dunklen Haaren. Sie kicherte und berührte immer wieder seinen Arm.

Ich fand sie nervig.

Ich griff nach meinem Handy und holte es heraus. Das Gerät hatte von meinem nächtlichen Schwimmversuch etwas abbekommen, wenn auch nicht besonders viel. Das Display zeigte 2:55. Wir waren knapp dran. Würde tatsächlich ein Schiff kommen, um uns abzuholen?

Ein Junge neben mir runzelte die Stirn. „Bist du etwa nass?“, fragte er.

„Ja“, sagte ich und versuchte selbstsicher auszusehen. „Hast du ein Problem damit?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Jeder wie er will.“ Er sagte es mit einer solchen Überzeugung, dass ich lächeln musste. Er erwiderte mein Lächeln, doch gleich darauf schwand die Heiterkeit aus seinen Zügen. „Hast du Angst?“

„Nein“, log ich.

Ich sah ihn an und musterte seine schlaksige Gestalt und sein perfekt frisiertes, tiefschwarzes Haar. „Du?“

Er schrammte mit seinen Schuhen über den Steg. „Nein, ich bin bereit für die Akademie.“

So bereit sah er gar nicht aus. In der Tat erweckte keiner der Leute auf dem Dock den Eindruck, bereit zu sein. Außer vielleicht dem mysteriösen Kerl von vorhin.

Ein Tumult brach in der Menge aus, als unzählige Alarme auf unzähligen Handys losgingen. Punkt drei Uhr.

Das schien ein Signal zu sein. Denn einer nach dem anderen sprangen die Studenten vom Pier ins Wasser. Als ich an der Reihe war, sprang ich den anderen hinterher.

Dieses Mal wusste ich zumindest, wohin ich schwimmen musste. Nachdem wir alle abgetaucht waren, hielt ich mich einfach an meinen Vordermann. Das Wasser war dunkel und trüb, und es gestaltete sich äußerst schwierig, überhaupt irgendetwas zu erkennen. Doch dann glomm ein sanftes, weißes Leuchten vor mir auf. Die Gruppe richtete sich danach aus und schwamm darauf zu.

Als ich mich dem Licht näherte, erkannte ich einen blau-weißen Trichter, der wie ein riesiger glühender Wurm inmitten des riesigen dunklen Ozeans schwebte. Es war ein Portal.

Ein Portal in die Akademie.

Jede Person, die das Portal vor mir erreichte, durchbrach die Barriere und wurde in sie hineingezogen. Es sah aus, als würden sie durch einen großen, weißen Strohhalm gesaugt werden.

Mein Herz hämmerte in meiner Kehle und meine Lungen brannten. Wie lange würde ich die Luft noch anhalten können? Langsam streckte ich die Hand nach dem Portal aus. Meine Finger drückten sich durch die Barriere, und ich spürte den Sog an meiner Hand. Wenn ich nicht aufpasste, würde mir die Kraft die Finger abreißen.

Es wird schon schiefgehen.

Ich schwamm vorwärts und wurde sofort von dem Strudel verschlungen. Ich sauste durch das Portal und mein Körper drehte sich im Kreis. Es fiel mir schwer, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, weil ich wie Zuckerwatte herumgewirbelt wurde.

Der Typ, der neben mir gestanden hatte, schlug ein paar Purzelbäume durch das Wasser, als er mit einem breiten Grinsen im Gesicht an mir vorbeirauschte. Während ich ihn beobachtete, erregte etwas am Rande des Portals meine Aufmerksamkeit. Als ich die Augen zu schmalen Schlitzen verengte, konnte ich einen dunklen Schatten erkennen, der sich parallel zu dem Portal bewegte. War es eine Art Meerestier?

Um ein wenig näher an den Rand des Trichters zu gelangen, strampelte ich kräftig mit den Beinen, während ich gleichzeitig in die Dunkelheit starrte. Plötzlich starrte mich etwas durch das Wasser zurück an und ich zuckte zusammen. Kälte durchströmte mich, als hätte sich etwas in meine Seele gebohrt. Jemand war da draußen und bewegte sich so schnell wie das Portal selbst.

Neugierig streckte ich eine Hand aus, und meine Fingerspitzen durchdrangen den Nebel zwischen dem Meer und dem Portal.

Im nächsten Augenblick spuckte der Strudel mich aus.

Panisch taumelte ich im kalten Wasser herum, drehte mich nach links und rechts und versuchte, mich zu orientieren. Ich konnte nichts um mich herum erkennen. Das Licht war verschwunden. Ich war allein. Meine Lungen brannten. Angst stieg in mir hoch. Ich würde in den Weiten des Ozeans ertrinken und meine Leiche würde für immer verschollen bleiben.

Meine Brust schmerzte so sehr, dass Denken unmöglich wurde. Ich konnte meinen Mund nicht mehr geschlossen halten. Ich musste atmen.

Kurz bevor ich meinen Mund öffnen konnte, schnappten starke Hände nach mir. Mein Körper wurde herumgewirbelt, bis ich den Jungen erblickte, der mich am Pier aus dem Wasser gezogen hatte. Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und presste seine Lippen auf meinen Mund. Was tat er da? Wir waren unter Wasser.

Doch plötzlich ließ der Druck in meinem Kopf und meiner Brust nach und ich begriff, dass er Luft in meine Lungen blies.

Er packte meinen Arm und trat kräftig mit seinen Beinen. So brachte er uns zurück in den Strudel. Wir schwammen weiter und eine Minute später wurde ich aus dem Wasser gezerrt und an ein felsiges Ufer geschleppt. Ich hustete und spuckte Wasser.

Nachdem sich die schwarzen Punkte und Blitze vor meinem inneren Auge aufgelöst hatten, sah ich mich um. Wir befanden uns in einer großen Höhle. Die Felswände funkelten in einer Art Quarz. Dicke grüngefärbte Stalagmiten hingen von der Decke herab und ließen Wasser auf den Steinboden neben mir tropfen. Das Plopp-Plopp der Tropfen hallte von den Wänden und dem Boden wider. Hinter den Stalagmiten konnte ich einen großen Spalt erkennen, in dem blaue und grüne Lichtstrahlen schienen.

„Wow, wer hat die denn hier reingelassen?“

Ich blinzelte die letzten Wassertropfen aus meinen Augen und erkannte das Mädchen mit den langen, dunklen Haaren. Ihre Begleiterin, ein dickes Mädchen mit kurzen blonden Haaren, schüttelte den Kopf.

„Ihr Gesicht ist so blau wie ihr Haar.“

Ich gab mir Mühe, mich aufzusetzen, aber mein Körper spielte nicht mit. Meine Gliedmaßen fühlten sich träge und schwer an. Zu schwer, um sie heben zu können.

Diesmal reichte mir der Junge nicht die Hand, sondern zerrte mich einfach auf die Beine, und das nicht gerade sanft.

„Schau nicht so traurig drein, Blue, du bist nicht tot.“ Mit seinem Finger tippte er mir auf die Nasenspitze. „Jedenfalls noch nicht.“ Er nickte mir zu, ließ mich stehen und begab sich zu den beiden Mädchen. Zu dritt wagten sie sich tiefer in die Höhle vor und bewegten sich auf den Spalt zu.

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob ich ihm hinterherlaufen sollte, um mich zu bedanken, dass er mir das Leben gerettet hatte. Ich hätte es mit Sicherheit getan, wäre mir mein kindisches Benehmen von vorhin nicht so peinlich gewesen. Jetzt wo es überstanden war, wollte ich seinen boshaften Begleiterinnen keine zusätzliche Gelegenheit geben, mich weiter zu demütigen. Also reihte ich mich einfach in die Schlange der anderen ein, die zum Höhlenausgang stapften. Für einen Außenstehenden mussten wir aussehen, wie ein Haufen durchnässter Ratten, die durch die Kanalisation marschierten.

Der Junge, der mich am Pier angesprochen hatte, schloss zu mir auf. „Geht es dir gut?“

„Oh ja, ganz toll.“

„Ich bin übrigens Ren“, sagte er.

„Melanie.“ Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln.

Je näher der Ausgang rückte, desto nervöser wurde ich. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Nur ein paar Schritte trennten mich noch von dem Eintritt in die Akademie der Götter. Die einzige Möglichkeit, sie zu verlassen war Verbannung oder Tod.

Ich passierte den Höhlenausgang und betrat eine völlig neue Welt. Buchstäblich.

Der Himmel war von einem so reinen Blau, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Die wenigen Wolken bildeten einen perfekten Kreis und schwebten über dem massiven grauen Steingebäude, das die Akademie sein musste. Scharfe Spitzen ragten von den vier Türmen in den Himmel. Große Rundbogenfenster zierten alle drei Stockwerke des Gebäudes. Die verglasten Fenster warfen grünes, blaues und gelbes Licht auf den Boden.