die allereinfachsten zaubersprüche - Rimvydas Stankevičius - E-Book

die allereinfachsten zaubersprüche E-Book

Rimvydas Stankevičius

0,0

Beschreibung

Dieser Gedichtband ist ein Meisterwerk an Stringenz und Komposition. Es präsentiert eine unverwechselbare Stimme der litauischen Lyrik, die in ihren Bildern ebenso außergewöhnlich ist wie in ihrem Klang und Rhythmus. In eine strenge Struktur sind Gedichte eingespannt, die sich auf die Antike wie auf das Alte und Neue Testament beziehen, aber auch die jüngere Geschichte Litauens oder Szenen aus der Familie des Autors verarbeiten. Eine archaische Sphäre kommt in den "Sprüchen" zum Tragen: eine Poesie-Auffassung, die Propheten, Beschwörern und religiösen Ekstatikern nahesteht. Das Sakrale und die Sphäre des Opfers sind allgegenwärtig – auch in ironischen Brechungen. Gleichzeitig ist diese Poesie in ihren klaren Formen unerwartet zeitgenössisch und in ihrer genauen Strukturiertheit von einer klaren Rationalität geprägt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 48

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Übersetzung dieses Buches erfolgte mit freundlicher

Unterstützung durch das Litauische Kultur Institut.

Der Übersetzer bedankt sich beim Deutschen Übersetzerfonds für die Förderung seiner Arbeit.

8. Mai-Straße 12, 9020 Klagenfurt/Celovec,

T. +43 (0)463 - 37 0 36, E. [email protected]

www.wieser-verlag.com

© Copyright der deutschen Übersetzung

By Wieser Verlag, 2017, Klagenfurt/Celovec

Lektorat: Carsten Schmidt

ISBN 978-3-99029-231-0eISBN 978-3-99047-077-0

RIMVYDAS STANKEVIČIUS

die allereinfachstenzaubersprüche

poetische rituale

Aus dem Litauischen von

CORNELIUS HELL

Inhalt

Das Versprechen, in helleren Tönen zu schreiben

Entsühnung durch Rauch. Zum Eingang

Zählen lernen. Eins.

Statuen. Moses

Spruch, der hilft, sich beim Aufwachen an die Träume zu erinnern

Zählen lernen. Drei

Statuen. Laokoon-Gruppe

Spruch, der hilft, die Tränen zurückzuhalten

Zählen lernen. Acht

Statuen. Die Heilige Jungfrau Maria

Spruch, der hilft, ein Feuer zu machen

Statuen. Der Laternenanzünder

Spruch, der die Liebe herbeiruft

Zählen lernen. Zweiunddreißig

Statuen. Der geplünderte Sarkophag

Spruch, der Ausdauer auf der Reise verleiht

Zählen lernen. Sechsunddreißig

Statuen. Der Heilige Franziskus

Spruch, der eine Spinne auf das verschuldete Herz setzt

Die allereinfachsten Zaubersprüche

Zählen lernen. Eine Zenturie

Statuen. Atlas

Spruch, der hilft, sich selbst zu vergeben

Zählen lernen. Die Proportionen

Statuen. Der Evangelist Johannes

Spruch, der hilft, verlorene Dinge zu finden

Zählen lernen. Eine Legion

Statuen. Buddha

Spruch, der hilft, die Toten zu Hilfe zu rufen

Zählen lernen. Tausend

Statuen. Die Mutter von Pirčiupai

Spruch, der hilft, die Wut in beherrschte Kraft zu verwandeln

Zählen lernen. Die Bruchzahlen

Statuen. Der Engel mit vor Müdigkeit eingeschlafener Hand

Spruch, der hilft, zu seinen Kräften zu finden

Zählen lernen. Die Null

Statuen. Der sich Enthüllende

Spruch, der hilft, gegen den Strom zu rudern

Herausgerissen

Reinigung durch Rauch. Zum Ausgang

Agonie im Garten Gethsemane

Anmerkungen des Übersetzers

Das Versprechen, in helleren Tönen zu schreiben

Wie diese Finger kühlen,

Die das Siegel berührten?

Sie sollten nur

Kerzen entflammen und Frauen –

Aber –

Selbst schon die Erde raucht.

Die Leute baten, in helleren Tönen zu schreiben,

Wie denn auch sonst –

Wo sie doch jetzt schon ruhelos sind und feucht und sich winden,

Was wird sein, wenn sie reifen? Können wir sie in Zaum halten?

Schon jetzt hat man einige

Scharlatane erwischt,

Die Seiten zerrieben,

Mit Erdklumpen mischten

Und feilboten als Medizin

Gegen Blindheit und gegen Furunkel.

Sie baten, in helleren Tönen zu schreiben –

Immer, wenn ich sie bis zum Gehtnichtmehr einnahm –

Wurde es heller –

Einmal ist sie nicht mal gestockt.

Manchmal bin ich durch Wochen nicht aufgestanden,

Die Seele (wenn es ihr reichte

zwischen vier Wänden)

Kehrte tagelang nicht zurück,

Sie ging in die Kinderheime, drang ein

In diese Debilen,

Ließ sie sich wärmen am Wissen,

Dieses und jenes sich merken…

Sie latschte herum

In die Altenheime,

Verlängerte den Atem der Alten,

Ließ sie die Sätze zu Ende sprechen –

Haben wir ihr nicht

Zu danken für die Sentenzen

Der Magnaten vor ihrem Tod?

Sie kehrte entstellt zurück und – was am verdrießlichsten war –

– – – Glücklich. (Bis zum heutigen Tag

mag sie starke Schlüsse

wie die von Mozart) …

Am verdrießlichsten ist, dass sie immer einen Halbtoten fand,

Der versuchte den Bäumen die Äste

An die Stämme zu bandagieren,

(dass sie nicht schwanken, nicht stören und einen einschlafen lassen),

Den Vögeln die Schnäbel zuzubinden,

Augen aufzumalen dem Mond

Und Haare –

Immer dieselben, die schmerzlich duften…

Sie baten, in helleren Tönen zu schreiben,

Wie denn auch sonst –

Gott behüte, ich werde noch Apfelbäume vereisen –

Gott behüte, ich werde einen Alten nach Hause bringen

Aus diesen Hügelgräbern –

Die Kinder werden fortgehen mit Geschwüren, die Bienen

Abziehen, Querbalken werden die Bienenstöcke verschließen…

Und was wird dann sein, wenn der Wind

Mit der Zeit mein Abbild

Hervorhebt unter verbotenen Heiligenbildchen?

Von jetzt an will ich mich nur noch reinigen –

Nirgendwo hingehen,

All meine Stimmen

Löschen mit ungelöschtem Kalk,

Die Augen schließen und mich bemühen,

Nichts zu sehen als die in der eisigen Strömung

Des Flusses geschwemmten

Hemden –

O verlangsamtes Schwenken,

O Liebkosung der Gräser des Grundes,

O frischer ertrinkender Wind…

Schweigend liege ich da und füttere

Den Wind aus der hohlen Hand –

Ich lasse keine anderen Worte ein:

Nur ein Klumpen keimende Saat ein Blitz

Ein Klumpen keimende Saat ein Blitz

Nur ein Klumpen.

Denn nicht nur das, was ich will,

Gerät mir zum Zauberspruch.

Entsühnung durch Rauch. Zum Eingang

Ein Dichter brachte mir bei

Wie man den Teufel ruft –

Es soll gut sein fürs Herz und die Augen

Für die Gelenke oder dafür ein Buch zu schreiben in

Einer einzigen Nacht für die männliche

Potenz für die Macht

Des Blicks und des Blutes spaßhalber hab ich versucht

Obwohl ich selbst an solche Dinge ums Verrecken

Nicht glaube auch nicht durch keimende Saat

Die ohne jeglichen Samen sprießt und nicht durch heilige

Leichentücher nicht durch Schreien

Gegen den Vollmond glaube ich.

Weder frisch aus dem Schlaf

Gerissen noch in den Träumen

(nicht mal wenn grellrote Farbe einsickert)

Noch bei einem Anfall noch während

Der Beichte glaube ich.

Meinen Augen glaube ich nicht meinen

Lippen meinen machtlosen

Spiritismen ich glaube keinem einzigen meiner

Worte – – –

Außer denen, die leuchten.

Zählen lernen. Eins.

Für Arnas Ališauskas

Hast du Angst vor dem Dunkel, dem Ticken der Uhr?

Du wartest doch nur auf den Anruf, nur auf den ersten

Schnee, auf die einfachste Ebbe…

Glaubst du es, glaubst du es denn?

Man muss nur oft zwinkern,

Nur mit den Augen – nach oben, zur Seite,

Ganz zu den Wipfeln der Bäume (o Gott, wann ist es denn hell geworden?) –

Und die Tränen sind schon zurückgehalten auf den Enden der Wimpern.

Und die Pest ist schon zurückgehalten in den

Kirchhöfen, ist begraben,

Mit ungelöschtem Kalk getauft,

Von Mozarts Körper bedrückt,

Wie kannst du dich losreißen?

Sogar die Naht ist glattgeleckt

Von den Silberzungen der Glocken