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»Die Blumen des Bösen« (frz. Originaltitel: Les fleurs du mal) von Charles Baudelaire sind ein Klassiker der Weltliteratur. Der Gedichtband von 1857 war ein Meilenstein auf dem Weg zur modernen Lyrik. Charles Baudelaire weist im einleitenden Gedicht »An den Leser« warnend darauf hin, der Inhalt des Bandes sei eine Ausgeburt der höllischen Fantasie. Tatsächlich gelingt es Baudelaire, ein poetisches Licht auf gesellschaftliche Erscheinungen zu werfen, die gemeinhin nicht mit Poetik in Verbindung gebracht werden. Baudelaire entdeckt seine »Blumen des Bösen« etwa in den Reizen der Großstadt Paris, in verschiedenen Rauschmitteln, in der Revolte, und im Tod. Die vorliegende Übersetzung von Stefan George trug entscheidend zu der bis heute andauernden Popularität der »Blumen des Bösen« im deutschen Sprachraum bei.
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Seitenzahl: 81
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Vollständige deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Stefan George
Diese verdeutschung der Fleurs du Mal verdankt ihre entstehung nicht dem wunsche einen fremdländischen Verfasser einzuführen sondern der ursprünglichen reinen freude am formen. so konnte sie auch nicht willkürlich fortgesezt und vollendet werden und der umdichter betrachtete seine mehrjährige arbeit als abgeschlossen nachdem er seine möglichkeiten erschöpft sah. erschwerend war dass von Baudelaire noch keine gute ausgabe besteht – man bald zur ersten bald zur zweiten greifen muss und die dritte sogenannte endgiltige an unordnung fehlern und lücken leidet. es bedarf heute wol kaum noch eines hinweises dass nicht die abschreckenden und widrigen bilder die den Meister eine zeit lang verlockten ihm die grosse verehrung des ganzen jüngeren geschlechtes eingetragen haben sondern der eifer mit dem er der dichtung neue gebiete eroberte und die glühende geistigkeit mit der er auch die sprödesten Stoffe durchdrang. so ist dem sinne nach»Segen«das einleitungsgedicht derBlumen des Bösenund nicht das fälschlich»Vorrede«genannte. mit diesem verehrungsbeweis möge weniger eine getreue nachbildung als ein deutsches denkmal geschaffen sein.
S. G.
I
Wenn nach den allerhöchsten urteilsprüchenDer dichter auf die trübe erde steigtSo schaudert seine mutter und mit fluchenBedroht sie Gott der selber mitleid zeigt:
– Ach! was gebar ich nicht ein nest von schlangenEh ich ernährte solch ein zwitterding!Verwünscht die nacht mit flüchtigem verlangenIn der mein leib die sühne mit empfing!
Was hast du mich erwählt aus allen frauenDem blöden mann der vor mir abscheu hat·Weshalb kann ich den flammen nicht vertrauenDie missgeburt wie ein verfänglich blatt?
Den hass der mich erdrückt will drum ich lenkenAufs grause Werkzeug deiner schadensucht·So gut will diesen schlechten stamm ich renkenDass nie er zeitigt die verseuchte frucht. –
So würgt sie nieder ihres grolles eiterMit keiner ahnung von des himmels ratUnd türmt sich in der hölle selbst die scheiter·Den lohn für mütterliche greuelthat.
Doch unter eines engels sicherm schützeHaucht der Enterbte froh im sonnenscheinUnd was er isst und trinkt ist ihm zu nutzeWie götterbrod und roter götterwein.
Er spielt mit winden·spricht mit wolkenflügen·Berauscht sich an der kreuzweg-lieder laut.Der geist·sein führer auf den pilgerzügen·Weint da er ihn so frisch und heiter schaut.
Die er zu lieben brennt vor ihm erschrecken·Und andre die sein friede kühn gemachtVersuchen eifrig klagen ihm zu weckenErprobend was die roheit ausgedacht.
In wein und brot eh er zum mund es führteVermischten eklen speichel sie und russ.Sie werfen heuchelnd weg was er berührteUnd fluchen·ging durch seine bahn ihr fuss.
Sein weib schreit auf dem öffentlichen platze·– Da er mich liebenswert erklärt und holdTreib ich das handwerk einer götterfratze:Stets lass ich schmücken mich mit frischem gold.
Betrinken will ich mich an weihrauch mirren·An kniefall tief im staub·an fleisch und wein.Im sinn den meine reizungen verwirrenNehm ich mit lachen Gottes stelle ein.
Und macht mir diese lästerposse müheSo fasst mein starker schwacher arm ihn anUnd meine nägel·nägel der harpye·Verfolgen bis zu seinem herz die bahn.
Dem jungen vogel gleich der zuckt und schüttertDies herz ganz rot reiss ich aus seiner brust.Auf dass mein lieblings-tier sich daran füttertWerf ich zu boden es mit kalter lust. –
Am himmel strahlen reiche königsitze·Der dichter heiter hebt den frommen armUnd seines lichten geistes weite blitzeVerhüllen ihm der Völker wilden schwarm.
– Preis dir o Gott der uns zur drangsal leitet·Uns die wir unrein sind zum heilungs-fluss·Zum klaren filter der uns vorbereitet·Die starken auf den heiligen genuss!
Ich weiss: der dichter hat der sitze bestenMit seliger legionen schar gemein·Ich weiss du lädst ihn zu den ewigen festenDer Kräfte Mächte und der Thronen ein.
Ich weiss: vom adel ist der Schmerz der echteDen erde nie und hölle niederwarfUnd dass wenn ich mein göttlich stirnband flechteIch aller weitenkreise zins bedarf.
Doch schätze lang verschütteter PalmyrenVerborgen gold und perlen in dem meerVon dir emporgeholt dürft ich nicht kürenZu dieser krone sonnenhell und hehr.
Denn sie wird nur geprägt aus reinem lichteDas ich vom heilgen Strahlenherd erlasDem aller glanz der menschlichen gesichteNichts ist als armes trübes spiegelglas. –
II
Oft kommt es dass das schiffsvolk zum vergnügenDie albatros·die grossen vögel·fängtDie sorglos folgen wenn auf seinen zügenDas schiff sich durch die schlimmen klippen zwängt
Kaum sind sie unten auf des deckes gängenAls sie·die herrn im azur·ungeschicktDie grossen weissen flügel traurig hängenUnd an der seite schleifen wie geknickt.
Er sonst so flink ist nun der matte steife.Der lüfte könig duldet spott und schmach:Der eine neckt ihn mit der tabakspfeife·Ein andrer ahmt den flug des armen nach.
Der dichter ist wie jener fürst der wolke·Er haust im sturm·er lacht dem bogenstrang.Doch hindern drunten zwischen frechem volkeDie riesenhaften flügel ihn am gang.
III
Hoch oberhalb der weiher und der ährenDer wälder und der berge und der see·Jenseits von wolken und von ewigem schnee·Jenseits der grenzen der gestirnten sfären·
Dort regst du dich in freiheit·meine brust!Und wie sich schwimmer in den wellen breitenSo ziehst du durch die unermesslichkeitenMit männlicher unsagbar grosser lust.
Flieh weit aus dieser kranken dünste giften·In einem höhern luftraum werde reinUnd trink wie einen himmlisch echten weinDas klare feuer in den lichten triften!
Los von dem kummer von der grossen qual– Des nebeldüstern daseins lästge zügel –Wie ist der glücklich der mit starkem flügelEntschweben kann ins stille heitre thal!
Der dess gedanken aut der lerche schwingeEmporgetragen werden in der früh ...Er fasst die welt und deutet ohne mühDer blumen sprache und der stummen dinge.
IV
Aus der natur belebten tempelbaunOft unverständlich wirre worte weichen·Dort geht der mensch durch einen wald von zeichenDie mit vertrauten blicken ihn beschaun.
Wie lange echo fern zusammenrauschenIn tiefer finsterer geselligkeit·Weit wie die nacht und wie die helligkeitParfüme färben töne rede tauschen.
Parfüme giebt es frisch wie kinderwangenSüss wie hoboen grün wie eine alm –Und andre die verderbt und siegreich prangen
Mit einem hauch von unbegrenzten dingen·Wie ambra moschus und geweihter qualmDie die verzückung unsrer seelen singen.
V
Ich will die entschwundenen nackten zeiten lobenWo Phöbus die säulen mit goldenem schimmer umwoben·Als mann und weib geniessend in leichtem zugNoch lebten ohne bedrängnis und ohne betrug·Als die von des liebreichen himmels kosen berührtenDie volle kraft ihrer edlen leiber verspürten.Und Cybele·fruchtbar und freigebig ohne rast·Empfand ihre söhne noch nicht als beschwerliche lastUnd gab·eine wölfin schwellend mit zärtlichen lüsten·Der ganzen erde den trank von den braunen brüsten.Der mensch in schlanker und stolzer kraft war bestelltSich könig zu heissen über die schönheit der welt·Die früchte rein von flecken und ohne risseMit glattem und festem fleische luden zum bisse.
Und ist in unseren tagen der dichter die prachtUrsprünglicher grösse an orten zu finden bedachtWo mann und weib in ihrer nacktheit sich zeigenSo fühlt er finsteren frost in die seele steigen.O düsteres bild das alle schrecknis vereint!O formlosigkeit die nach ihren kleidern weint!Gestalten würdig der masken·armselige stümpfe!Verdrehte aufgeschwemmte und magere rümpfe!Der Gott des nutzens in seinem grausamen scherzHat sie schon als kinder gewickelt in windeln aus erz.Ihr frauen an zernagenden wollüsten reicheUnd ach! ihr jungfrauen wie die wachskerzen bleiche!Ihr seid durch der eitern vererbte laster erschlafftUnd mahnt an die hässlichkeiten der mutterschaft.
Wol haben wir völker die in verfall gerietenDen Alten verschlossene schönheiten auch zu bieten:Gesichter zermartert durch innerer kämpfe schlagUnd die man als sieche schönheiten preisen mag.Doch dies geschenk das die späten musen uns spendenWird niemals uns·die kränklichen rassen·verblendenWir bringen der jugend die tiefste huldigung dar·Der heiligen jugend·dem wesen einfach und klar·Dem auge heiter und sanft gleich der fliessenden quelleDie überall um sich verbreiten sorglos und helleWie vögel wie blumen wie azurne himmelsluftIhr lied ihre sanfte wärme und ihren duft.
VI
Rubens·der müssigkeit garten·fluss von vergessenUnd pfühl frischen fleisches·für unsre liebe wol leer·Doch von einem leben so strömend und drängend besessenWie luft in dem himmel und wie das meer in dem meer.
Leonardo da Vinci·ein Spiegel tief und dunkelWo reizende engel mit ihrem süss-lächelnden mundUnd voll von geheimnis erscheinen im abendgefunkelDer gletscher und fichten·des heimatlands hintergrund.
Rembrandt·trauriges siechhaus voll murmelnder stimmenUnd mit einem grossen kruzifix nur geschmückt·Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen –Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.
Michelangel·nebelwelt wo die giganten hämmernUnd märtyrer dulden·wo sich in die höhe strecktAus seinem grab ein mächtig gespenst das im dämmernSein schweisstuch zerreisst indem es die finger reckt.
Der wettkämpfer wüten·das schamlose treiben der faunen:Du der die schönheit bei pöbel und schurken fand·Du stolzen sinnes doch schwach und mit giftigen launen·Puget·du trauriger fürst in der sträflinge land.
Watteau·ein fasching wo viele erlauchte herzenWie schmetterlinge irren mit zuckendem glanz·Ein frischer und leichter zierrat erhellt von den kerzenDie tollheit giessen in diesen wirbelnden tanz.
Goja·ein nachtmahr von unergründeten dingen·Von leichen die man an hexensabbaten sott·Wo weiber vorm spiegel und nackte mädchen sich schwingenDie strümpfe sich bindend den lüsternen geistern zum spott.
Delacroix·blut-see wo böse engel sich scharen·Darüber die schatten der stets grünen fichten ziehn·Wo unter dem traurigen himmel fremde fanfarenWie ein erstickter seufzer von Weber fliehn. –
Dies alles an flüchen an lästerungen an träumenVerzückungen klagen thränen und lobliedern trifftSich wie ein echo aus tausend verschlungenen räumen·Es ist für die menschen ein göttlich berauschendes gift·
Es ist ein laut den tausend schildwachen schreien·Ein losungswort das von tausenden lippen schwirrt·Es ist ein leuchtturm der flammt über tausend basteien·Ein ruf von jägern im dickicht des waldes verirrt.
Dies ist es o Gott! was bei all deinen herrlichkeitenAn unsre würde uns den glauben erwirbt:Der glühende seufzer der hinrollt von zeiten zu zeitenUnd der am rande deiner ewigkeit stirbt.
VII
Du arme muse·ach wie ist dir heut?