Die Brüder Young - Jesse Fink - E-Book

Die Brüder Young E-Book

Jesse Fink

3,8

Beschreibung

"Highway To Hell" - "Whole Lotta Rosie" - "Thunderstruck" - Hymnen der Rockgeschichte, erschaffen von einer Band, die auch nach 40 Jahren den guten Ton im Hard Rock angibt. Der renommierte Autor Jesse Fink hat sich auf eine Spurensuche begeben, bei der er das normale Format einer Biografie sprengt. Er schildert nicht nur essenzielle Details aus der Karriere von AC/DC, sondern hat auch zahlreiche, bislang nur in einer Randnotiz erwähnte Wegbegleiter interviewt. Produzenten, ehemalige Mitmusiker, Tontechniker, Manager, Radio-DJs und Freunde leisten wertvolle und ausführliche Beiträge, die Licht in das Dunkel der ereignisreichen Bandgeschichte bringen. Somit ergibt sich ein präzises Bild, bei dem der Einfluss von Angus und Malcolm sowie ihres Bruders George Young auf den in Granit gemeißelten AC/DC-Sound erklärt wird. Die Brüder YOUNG - Alles über die Gründer von AC/DC setzt an einem Punkt an, an dem andere Biografien der Wahl-Australier aufhören.

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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Der Autor: Jesse Fink arbeitete als führender Sportjournalist in Australien und Südostasien. Seine Memoiren Laid Bare wurden von Australiens umsatzstärkster Tageszeitung The Herald als „fesselnde Lektüre“ gelobt. Er lebt in Sydney, Australien.

Deutsche Erstausgabe 2015

Titel der Originalausgabe von Ebury Press book, einem Imprint von Random House Australia Pty Ltd, Sydney, Australien:

„The Youngs – The Brothers Who Built AC/DC“ © 2013 by Jesse Fink

ISBN: 978-1-74275-979-1

Dieses Werk wurde vermittelt durch Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Coverdesign: © Blue Cork

Coverabbildung: © Chris Walter

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle, www.schoettle-lektorat.de

© 2015 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-467-0

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-466-3

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Widmung

Für Tony Currenti und Mark Evans

und in Gedenken an Michael Klenfner

Zitat

„Gewalt und Energie … darum dreht sich doch letztendlich alles beim Rock ’n’ Roll.“

Mick Jagger

Inhalt

VORWORT

„Gimme A Bullet“

EINLEITUNG

„Rock And Roll Ain’t

Noise Pollution“

1. THE EASYBEATS

„Good Times“ (1968)

Bildstrecke 1

2. STEVIE WRIGHT

„Evie“ (1974)

3. AC/DC

„It’s A Long Way To The Top

(If You Wanna Rock ’N’ Roll)“ (1975)

4. AC/DC

„Jailbreak“ (1976)

5. AC/DC

„Let There Be Rock“ (1977)

6. AC/DC

„Riff Raff“ (1978)

7. AC/DC

„Highway To Hell“ (1979)

Bildstrecke 2

8. AC/DC

„Back In Black“ (1980)

9. AC/DC

„You Shook Me All Night Long“

(1980)

10. AC/DC

„Hells Bells“ (1980)

11. AC/DC

„Thunderstruck“ (1990)

DRAMATIS PERSONAE

„Who Made Who“

DANKSAGUNGEN

„For Those About To Rock

(We Salute You)“

BIBLIOGRAFIE

„Ride On“

DISKOGRAFIE

„High Voltage“

ANHANG

„What Do You Do

For Money Honey“

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Wenn der Name der Band fällt, haben wir alle eine Geschichte zu erzählen. Ich selbst kann weder ein Datum noch einen exakten Zeitpunkt nennen. Meine Erinnerungen sind verschwommen – vom Nebel des Whiskys, der mir an einem trostlosen Abend den Rest gab. Ich saß allein zu Hause und fragte mich, wie ich nur in diesem unordentlichen Zimmer in einer klammen, beschissenen Kellerwohnung im Stadtkern Sydneys landen konnte, wo ich doch so lange alles gehabt hatte: das gemütliche Haus in einem Vorort, die glückliche Familie, eine schöne Frau und sogar einen Streuner aus dem Tierheim mit wedelndem Schwanz. Und nun hatte sich mein Leben auf das Zusammenfalten schwarzer Socken reduziert, um die Zeit zu überbrücken, bevor ich zu Bett gehen konnte in der Sicherheit, nicht schon wieder um vier Uhr morgens aufzuwachen. Wenn für einen erst kürzlich geschiedenen Mann zwei Uhr morgens das Gefühl der Einsamkeit symbolisiert, steht vier Uhr für das Unerträgliche.

Der Wunsch, mit einer Frau eng zusammen zu sein, mit irgendeiner Frau, sie zu drücken und zu berühren, wurde von der Tatsache blockiert, dass meine Ex-Gattin, die ich immer noch liebte und mit der ich leben wollte, nun mit einem anderen Mann liiert war – obwohl ich genügend „Notfall-Dates“ hinter mich gebracht hatte, um die Nächte zu überstehen. Ich fühlte mich machtlos, wütend, vor allem festgefahren und völlig deprimiert. Meine Situation war recht bedauernswert.

Und dann – es war ein einfaches „Dann“ in dieser Geschichte des Elends – schnappte ich mir mein ramponiertes MacBook, öffnete iTunes und spielte AC/DC.

Ich entschied mich gegen „Back In Black“, „Highway To Hell“, „Thunderstruck“ oder einen anderen Titel der Stadion-Songs aus dem Repertoire der australischen Band. (Die Australier vereinnahmen AC/DC immer noch für sich, obwohl Angus und Malcolm Young ihnen in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen sind, womit sie den Kontinent effektiv enterbt haben.) Ich wählte „Gimme A Bullet“, einen allgemein vergessenen Titel des 78er-AlbumsPowerage, das aus irgendeinem Grund von der Bildfläche verschwand, was sich auch in den eher kümmerlichen Verkaufszahlen niederschlug. Es war das fünfte Studioalbum [gerechnet nach der australischen Diskografie, A. T.], produziert vom Ex-Easybeats-Duo George Young (der ältere Bruder) und Harry Vanda – in der goldenen Ära der Jahre 1975–1980, und die wohl unspektakulärste, aber zugleich künstlerisch ausgefeilteste Platte der Band. Hier findet sich kein einziger schlechter Track.

Oh, she hit me low.

Ja, Bon, genau das machte meine Frau. Konnte die Gruppe meine Gedanken lesen? Natürlich hatte ich AC/DC schon früher gehört, doch in dieser Nacht saß ich auf der Bettkante und fühlte mich wie gebannt von der Musik. Der brettharte Klang! Die bahnbrechende Energie! Die sorgfältig getrennten, aber trotzdem verwobenen Gitarren! Keine expressiven Soli von Angus, was bei AC/DC nur selten vorkommt, sondern die beiden Young-Brüder, die ihre Gitarren zu einem treibenden Groove verzahnen! Und die Texte: Worte, die wie Balsam für den Teil meiner Seele wirkten, den meine Frau zerrissen hatte. Schließlich kapierte ich es! Nach dem ersten Hördurchgang musste ich mir das Album ein zweites Mal anhören – und dann ein weiteres Mal.Poweragehat eine Spielzeit von unter 40 Minuten und setzt sich von den vorhergehenden und folgenden Platten ab, denn das Album ist ein knalliges Polaroid des realen und zugleich gewöhnlichen Lebens – betrachtet durch die Linse einer Gruppe verwegen aussehender Typen, die ernsthaft den Anspruch erheben können, die größte Rock ’n’ Roll-Band aller Zeiten zu sein.

Poweragewurde im Studio des fünften Stocks des mittlerweile abgerissenen Boomerang House in Sydney in nur wenigen Wochen zusammengeschustert und handelt nicht von Ficken, Saufen, Knarren oder dem rauen Wetter. Glücklicherweise finden sich hier keine der infantilen sexuellen Doppeldeutigkeiten, mit denen Brian Johnson, der dritte und letzte Sänger der Gruppe, einige der besten Gitarrenarbeiten der Young-Brüder in den Achtzigern verdarb. Es ist ein Album, zu dem ernsthafte Zuhörer (ein wichtiger Unterschied zu ernsthaften Fans von AC/DC) eine Beziehung aufbauen können, da es – und das liegt maßgeblich am nicht zu unterschätzenden Input von Bon Scott – von der menschlichen Zerbrechlichkeit und Schwäche handelt.

Kurz auftauchende Themen wie Erniedrigung und Pathos unterscheidenPoweragevom restlichen AC/DC-Repertoire. Andere Alben sind durch die geballte zerstörerische Kraft der Gretsch, Gibson, Music-Man-Verstärker und Sonor-Drums gekennzeichnet, wohingegen die neun Titel vonPowerage(zehn auf der europäischen Vinyl-Ausgabe) Themen anschneiden, die nur selten im Hardrock behandelt werden. Das Verlassenwerden. Die Sehnsucht. Enteignung. Ambitionen. Entbehrungen – sowohl emotional, als auch finanziell. Richtig einen verpasst zu kriegen! Und, vor allem und auch am spannendsten – das Risiko. Der majestätische Bon Scott hätte sein Leben niemals einem anderen Credo verschrieben.

Der Refrain von „Rock ’N’ Roll Damnation“, dem ersten Track der CD, drückt eigentlich alles aus: „Take a chance while you still got the choice.“Was ich auch tat. Ich ließ die Whiskyflasche und die unsortierten schwarzen Socken hinter mir, um nach New York zu flüchten, wo ich eine Burlesque-Tänzerin aufgabelte, die wie Scarlett Johansson aussah. Ich würde nicht im Zustand des ewigen Grübelns sterben. Ich verfasste ein Buch und verliebte mich wieder. Es gelang mir, mein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.

Doch erst „Gimme A Bullet“ gab mir den wichtigen Anstoß, und dieses Gefühl empfinde ich bei jedem Hören. Wenn Cliff Williams’ Bass bei einer Spielzeit von ungefähr 1:17 Minuten die Gitarrenwand der Young-Brüder und Phil Rudds Beat durchbricht, knallt und donnert der Song auf eine andere Ebene der Perfektion der Rockmusik. Es ist wahrscheinlich die Passage, die den hart arbeitenden „Malocher“ Williams – wie ihn Rob Riley, der Gitarrist von Rose Tattoo, lakonisch beschrieb – in 30 Jahren mit AC/DC zumindest in die Nähe eines Solos bringt. Hinsichtlich der Kreativität hat er kaum etwas geleistet. Nach den zuverlässigsten Aussagen lassen die kompromisslosen Young-Brüder ihm auch keinen Freiraum. Es ist weder seine Band noch seine Aufgabe.

War es überhaupt Williams’ Instrument? Mark Evans, sein britischer Vorgänger in der Band, erzählte mir später: „So, wie ich die damalige Situation in Erinnerung habe, spielte George den Bass auf dem gesamten Album.“ Möglicherweise ist das einer der Gründe, warumPowerageso gut ist? Diese Art der Geheimnisse bestimmen jedes Gespräch über AC/DC. Jedoch war die Wirkung auf mich dieselbe, egal, wer denn nun Bass spielte.

„Gimme A Bullet“ zu hören und von dem Song mitgerissen zu werden, gab mir den Willen und die Entschlossenheit, mein Selbstmitleid zu vergessen. Ich spielte das Stück im Auto, beim Joggen durch die Straßen Sydneys oder beim Fitness-Training in der nahe gelegenen Muckibude. Meine damals siebenjährige Tochter, die eigentlich Selena Gomez, Taylor Swift und Ke$ha hörte, mochte ihn so sehr, dass sie dazu in ihrem Zimmer tanzte. Mich überkam väterlicher Stolz, als sie mir die Zeichnung eines großen Herzens mit ausgiebigen Verzierungen zeigte, unter dem gekritzelt stand: „Mein Dad liebt AC/DC und die Rolling Stones.“ Es ist wunderschön, wenn man durch die Musik eine Beziehung zu seinem Kind aufbauen kann. Mit 37 Jahren, nach einem halben Leben voller guter, melodischer, doch vergleichsweise unauffälliger Musik, verstand ich endlich die Tragweite von AC/DC.

Ich kann die Bedeutung von „Gimme A Bullet“ in dieser bestimmten Nacht nur mit einer Szene ausHigh Fidelityvergleichen, in der John Cusacks Charakter gesteht, dass er seine Platten weder alphabetisch noch chronologisch ordnet, sondern autobiografisch. Jedes Mal, wenn ich den Song höre, führt er mich zu dem Moment zurück, in dem ich glaubte, alles verloren zu haben, in dem ich ohne einen Gedanken zu verschwenden nach draußen gegangen wäre und mich vor einen Müllwagen gestellt hätte, es aber glücklicherweise nicht machte. Er verbesserte meine Stimmung. Durch ihn fühlte ich mich wieder gut. Ich hatte das Gefühl, nicht allein auf der Welt zu sein, wusste, dass es dort draußen noch andere Typen gab (auch schon in der Vergangenheit), darunter ein Bon Scott, die ähnliche Nächte der Einsamkeit durchmachen mussten, aber die Zähne zusammenbissen und weiterkämpften. Nur die beste Musik vermag das. Sie macht die wunderschönen, einsamen Momente existenzieller Erkenntnis unsterblich.

Jahre später, wieder in New York, rannte ich während eines Schneesturms über die Brooklyn Bridge und hörte „Gimme A Bullet“ auf dem iPod. Wie schon so oft zuvor, brachte mich der Sound richtig auf Trab. Ich hielt einen Moment lang in der schneidenden Januarluft an – Manhattan zu meiner Linken, Brooklyn zu meiner Rechten, Sydney und das alte Leben weit, weit entfernt – und lächelte, da ich meine Gesundheit und Fröhlichkeit wiedererlangt hatte. Die Musik von AC/DC half mir mehr als alles andere dabei, diesen Punkt zu erreichen.

Angus und Malcolm Young mögen mit einem Achselzucken reagieren, erwidern, dass sie nur Rock ’n’ Roll spielen und die persönlichen Geschichten von Fans ignorieren, die erzählen, wie sehr sie die Musik berührt hat. Sie mögen Autoren und Journalisten ignorieren, die mehr wollen als die knappen Floskeln, die sie bei der Promotion einer neuen Platte affektiert in einen Raum werfen, ähnlich wie den Ballast eines Bootes. Doch mit George, ihrem zurückgezogenen älteren Bruder, Mentor und Produzenten sind sie weitaus bedeutender, als sie sich zugestehen. Die Musik der Youngs handelt nicht nur vom Saufen, Ficken und dem Rock ’n’ Roll, was sie sich vielleicht nicht eingestehen mögen. Von mir aus können sie so viel protestieren, wie sie wollen, doch niemand kauft es ihnen ab.

Auch wenn sie sich nur noch selten blicken lassen, wird es irgendwo einen verlorenen Typen geben, der „Gimme A Bullet“ zum ersten Mal hört und sich entscheidet, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen. Wir alle haben Songs der Youngs, die so eine Wirkung auf uns ausüben.

Diese besondere Gabe – und nicht der Ruhm, die Plattenverkäufe oder das kaum überschaubare Vermögen – rechtfertigt die Auseinandersetzung mit ihrer Musik.

Jesse Fink, Januar 2015

Im Januar 2013 stand ich in einer kilometerlangen Schlange außerhalb des Museum of Modern Art in New York, weil ich mir Edvard Munchs GemäldeDer Schreiaus dem Jahr 1893 anschauen wollte. Die bemerkenswert geordnete Menschenansammlung erstreckte sich mehrere Blocks weit. An diesem beißend kalten Freitagabend mit Minustemperaturen war der Eintritt kostenlos. Auch wenn ich mich gut eingepackt hatte, musste ich mit den Füßen auf dem Boden stampfen, um mich warm zu halten. Doch die Unannehmlichkeiten sollten sich auszahlen. Ich würde endlichDer Schreisehen. Ein ikonenhaftes Kunstwerk und kein Bild, das man jeden Tag zu Gesicht bekommt, und dann noch umsonst.

Ungefähr nach einer Stunde befand ich mich innerhalb des Museums und erklomm die Stufen zum fünften Stockwerk, wo man all die „Schwergewichte“ ausstellte: Dalis, Modiglianis, Cézannes, Picassos, Van Goghs, Matisses, Monets, Klees. Die Publikumsmagneten. Und dort – mit nur einer Größe von 91 cm mal 73,5 cm sah ichDer Schrei, einer der vier Versionen, die Munch angefertigt hat und die erst kürzlich bei Sotheby’s für 120 Millionen Dollar versteigert worden war. Ich hatte alle Mühe, auch nur in die Nähe des Gemäldes zu gelangen. Während einige der wohl bedeutendsten Kunstwerke der Geschichte in den angrenzenden Ausstellungsräumen vernachlässigt und ignoriert hingen, wurdeDer Schreivon einer regelrechten Menschenhorde belagert.

Hunderte Bewohner der Stadt und Touristen drängten sich davor. Sie ließen es nicht auf sich wirken und versuchten die Botschaft zu verstehen, sondern fotografierten es mit ihren iPhones, um es auf Instagram hochzuladen, oder machten „hübsche“ Schnappschüsse von sich und dem Werk, um sie auf Facebook zu posten. Ich wartete geduldig, um es aus nächster Nähe zu betrachten, doch als ich die Chance hatte, war ich enttäuscht. Das einzige beeindruckende Element meiner oberflächlichen Betrachtung der eher primitiv wirkenden Pastellarbeit waren die berühmten entsetzten und zutiefst verängstigten Augen der dargestellten Figur. Es schien egal zu sein, dass in den anderen Räumen, nur wenige Meter entfernt, deutlich bessere Kunstwerke ausgestellt waren. Niemand stand vor diesen Gemälden und schoss Fotos. Das Bild hier hatte man jedoch für 120 Millionen Dollar verkauft. Es war „bedeutend“. Man erwartete vom Betrachter unreflektierte Ehrfurcht, bevor er sich wieder auf den Weg machte, denn das hier wurde als ernsthafte Kunst kategorisiert.

Ich wollte, dass es mich zutiefst berührt, dass ich von meinen Gefühlen davongetragen werde. Doch ich spürte rein gar nichts. Nachdem ich das Museum verlassen hatte, um in den geschäftigen Straßen von Midtown zu verschwinden, entwirrte ich die Kopfhörer des iPods und hörte mirBack In Blackan, für nur 9.99 Dollar bei iTunes erhältlich. Obwohl ich das Album damals schon Tausende Male gehört hatte, reichte ein einziger AC/DC-Riff aus, um mich zu fesseln, ganz im Gegensatz zu einem der am meisten gefeierten Bilder der Kunstgeschichte.

Jerry Greenberg, der Präsident von Atlantic Records in den Jahren 1974 bis 1980, die Führungskraft, die sich rühmen kann, den steilen Kampf der Band bis an die Chart-Spitze der USA begleitet zu haben, teilte meine Emotionen, als wir uns einige Wochen später unterhielten: „Bu, bu da da, bu da da – das ist einfach unglaublich!“ Ich musste mich zwicken, denn der Mann aus Los Angeles, der ABBA, Chic, Foreigner, Genesis und Roxy Music unter Vertrag genommen hatte, summte mir AC/DC am Telefon vor!

Der beinahe schon religiöse Status von Kunst, das inhärente Elitedenken und der erstickende Snobismus sind alles Charakteristika, gegen die die Youngs – Angus, Malcolm und George – sich auflehnten und protestierten. Die verblüffenden schottisch-australischen Brüder leisteten jedoch viel mehr. Sie hatten nicht nur einfach Glück mit einer Formel oder Schablone. Was sie mit der Musik im Verlauf der letzten 40 Jahre erreichten – durch Engagement, ein unumstößliches Selbstvertrauen und ein nicht geringes Quäntchen musikalischen Genies, ist nicht mehr und nicht weniger als eigenständige Kunst. Doch diese Kunstform wird nicht in Museen präsentiert. Es ist keine Kunst, die kreiert wurde, um von steinreichen Familien und Hedgefond-Managern gekauft und wieder verkauft zu werden. Es ist eine Kunst, die sich gegen den Begriff an sich verwehrt. Sie „ist“ einfach da!

Die Kombination von Weltklasse-Talent und einer verblüffenden Bodenständigkeit machen die zurückhaltenden und stets auf ihre Privatsphäre bedachten Youngs schon seit langer Zeit so unwiderstehlich – drei „Hobbits“ des Hardrock aus einer großen Familie: sieben Jungen und ein Mädchen.

Die Brüder haben nicht nur einige der packendsten Songs der Rockmusik, wenn nicht sogar der Musikgeschichte komponiert, sondern auch ein Werk aufgetürmt, das kreativer und vielschichtiger ist, als man ihnen jemals zugetraut hätte. Ihr Einfluss auf die Rockmusik und besonders den Hardrock kann nur als immens beschrieben werden. Erwähnenswert ist noch der vierte Bruder Alex, der 1963 in Cranhill, Glasgow blieb, als Malcolm und Angus mit den Eltern William und Margaret nach Australien übersiedelten. Er wurde von Apple Publishing, dem Verlag der Beatles, als Songwriter unter Vertrag genommen, wo John Lennon und Paul McCartney ihn und seine Band Grapefruit unter ihre Fittiche nahmen.

Ich kann durchaus behaupten, dass es bislang keine Brüder gab, weder die Gibbs der Bee Gees noch die Wilsons der Beach Boys, die einen so profunden Einfluss auf die Musik und die Populärkultur rund um den Globus ausübten wie die Youngs. Ihre Songs wurden von Superstars von Shania Twain über Norah Jones bis hin zu Santana und den Dropkick Murphys gecovert. Die Musik hatte so einen durchschlagenden Einfluss, dass australische Paläontologen zwei Spezies prähistorischer Arthropoden nach ihnen benannten: „Maldybulakia angusi“ und „Maldybulakia malcolmi“. „Es sind beides verwandte Organelle“, erklärte Dr. Greg Edgecombe vom australischen Museum, „die sich ausbreiteten und die Küsten Australiens verließen, um die Welt zu erobern.“

Bis zum heutigen Tag gibt es noch viele unnachgiebige AC/DC-Kritiker, die zwar niemals locker ließen, sich aber in den letzten Jahren milder gestimmt zeigten. Mittlerweile ist ihnen eins klar geworden: Je heftiger sie die Band angreifen, desto deutlicher werden sie zu Narren, denn die Behauptung, all ihre Songs klängen gleich, stört AC/DC nicht. Einige ähneln sich, denn die Youngs wollen keinen Ansatz manipulieren, an dem sie Spaß haben und der sich für sie auszahlt. Besagte Kritiker haben einen wichtigen Punkt nicht verstanden: Gerade durch den Verzicht, Grenzen zu überschreiten, haben sie ganz klar eine Grenze überschritten: Sie stellen sich klar gegen das Dogma, dass Musik stets neue Elemente beinhalten muss!

Mark Gable von The Choirboys, einer australischen Band, zu Beginn von George Young betreut und bekannt für den Hit „Run To Paradise“, hat die wohl treffendste Beschreibung geliefert, was den Youngs mit ihrer Musik gelingt: „Bevor ich ‚Paradise‘ schrieb, entschied ich mich, nur drei Akkorde zu benutzen. Diese Art der Beschränkung oder Begrenzung kann – wenn man es beabsichtigt – die Kunst verbessern. Darf alles nur Erdenkliche umgesetzt werden, wird man früher oder später auf seine Schwachpunkte stoßen. Wenn man jedoch innerhalb eines bekannten Territoriums arbeitet, scheint man grenzenlos zu expandieren.“

Dass AC/DC sich keinen anderen Musikstilen zuwenden, ist eine Art von Faulheit – so könnte man zumindest argumentieren. Aber der Ansatz lässt sich als eine Art mutiger Kreativität deuten. Nicht viele Musiker können innerhalb solch enger Parameter arbeiten und Songs präsentieren, die bei jedem erneuten Hören frisch und unverbraucht klingen. Die Youngs vermögen das! In beständiger Regelmäßigkeit! AC/DC klingen niemals – niemals – schal oder abgestanden.

Derek Shulman, der ehemalige Geschäftsführer von Atco Records, ist vielleicht am bekanntesten dafür, dass er Bon Jovi unter Vertrag nahm und AC/DCs erlahmte Karriere Mitte der Achtziger wiederbelebte. Er kommentiert das so: „Ich stimme zu – zu 100 Prozent. Sie habe es nicht nötig, bestehende Grenzen auszuweiten. Sie haben ihr eigenes Terrain abgesteckt, an das keine andere Band auch nur annähernd herankommt. Sie waren und sind immer noch die Anführer und sind niemals Trends hinterhergelaufen. Das müssen 99,9 Prozent der anderen Rockbands erkennen und verstehen, wenn sie wirklich zu einer Legende werden wollen, ähnlich wie AC/DC als Band, die einen solchen Status sicherlich besitzt.“

Die Songs der Youngs – sie haben gemeinsam Hunderte von Titeln in über einem halben Jahrhundert geschrieben und aufgenommen – erzählen ihre eigenen Geschichten. Warum haben sie sich als so beständig erwiesen, einen Widerhall bei so vielen Millionen Fans gefunden und solch eine leidenschaftliche Loyalität und offenen Fanatismus angeregt? AC/DC-Konzerte sind nicht nur einfach Konzerte, sondern gigantische Zusammenkünfte unter einem Bandlogo, das so mächtig ist wie eine x-beliebige Flagge. Was hat „It’s A Long Way To The Top“ praktisch zu einer australischen Nationalhymne gemacht? Warum wird „Thunderstruck“ regelmäßig bei den Spielen der NFL in den USA und Fußballbegegnungen in Europa gespielt? Warum wurde 2006 ein Festival in Finnland veranstaltet, bei dem AC/DCs komplette Backlist (und nicht die einer anderen Gruppe) von 16 Acts, darunter sogar eine Militärkapelle, innerhalb von 15 Stunden aufgeführt wurde? Was veranlasst Städte wie Madrid und Melbourne, Gassen und Straßen nach ihnen zu benennen? Warum tummeln sich wahre Legionen von Angus-Young-Nachahmern bei Facebook? Warum wird „Back In Black“ regelmäßig von Hip-Hop-Künstlern und Mashup-DJs gesampelt (ohne Genehmigung), im Fernsehen eingesetzt, in Werbeclips und Hollywoodfilmen, von Spiel- und Sportverbänden lizenziert und in Helikoptern und Panzern auf Kriegsschauplätzen gespielt? Bei der Schlacht um Falludscha im Irak 2004 ließen amerikanische Marines „Hells Bells“ aus gigantischen Lautsprechern dröhnen, um damit den Ruf zu den Waffen von den Moscheen der Stadt zu übertönen.

Warum hat AC/DCs Musik solch eine regenerierende und sogar heilende Wirkung? Warum überträgt sich die Art von Energie, die unsere Gefühlswelt und unsere Perspektive verändert und uns die Kraft verleiht, auch die dunkelsten Momente im Leben zu überstehen, auf uns?

In Port Lincoln, Südaustralien, arbeitet ein Reiseveranstalter, der herausgefunden hat, dass AC/DC wie keine andere Musik Haie anlockt. Matt Waller erklärte demHerald Sunaus Melbourne: „Wir haben bei Experimenten festgestellt, dass die Musik von AC/DC die größte Wirkung erzielt … Ich habe Haie beobachtet, die ihre Köpfe am Käfig rieben, aus dem der Sound kam, als würden sie ihn erfühlen wollen.“

Die Antworten auf die Fragen, egal welche es sind, sind an der Quelle zu finden, der Quelle, die die Musik der Youngs so außergewöhnlich werden lässt.

[Da der Autor zahlreiche Interviews mit oftmals weniger bekannten Personen aus dem Umfeld von AC/DC geführt hat, findet sich am Ende des Buches zur leichteren Zuordnung eine Liste mit der Überschrift „Dramatis Personae“, A.T.]

***

Und alles begann mit dem Bruder, dessen Gesicht nur selten in der Öffentlichkeit erscheint.

George Young, der 2014 68 Jahre alt wurde, spielte bei Flash and the Pan, einem Projekt mit seinem langjährigen Co-Autoren und Produktionspartner Harry Vanda, seit 1992 nicht mehr auf seinen eigenen Platten. Dennoch hatte er die Finger bei der Einspielung von AC/DCsStiff Upper Lip2000 im Spiel. Zusammen mit Harry Vanda zeichnete er für die Platten zwischen 1974 und 1978 verantwortlich und danach wieder in den späten Achtzigern. Berühmt für seine Rolle als Rhythmusgitarrist der Easybeats produzierte er mit Vanda Rose Tattoo und The Angels (auch als Angel City bekannt). Die beiden komponierten Stücke wie „Friday On My Mind“ und „Good Times“ der Easybeats, Stevie Wrights „Evie“, John Paul Youngs „Love Is In The Air“ und Flash and the Pans „Hey St Peter“, „Down Among The Dead Men“, „Walking In The Rain“ (von Grace Jones gecovert) sowie „Ayla“, das später im erotischen Kontext für eine Tanzszene in dem Monica-Bellucci-StreifenWie sehr liebst du mich?eingesetzt wurde. Der Anblick von Bellucci gehört zu den Erinnerungen, die man nicht allzu leicht vergessen kann.

„Ich bewahre viele Schallplatten bei mir zu Hause auf und experimentierte bei der Arbeit an meinen Filmen mit verschiedenen Songs, woraus sich manchmal eine Überraschung ergibt“, erzählt Bertrand Blier, der Regisseur des Films. „Ich mag besonders ‚Ayla‘.“

George ist das „sechste Mitglied“ von AC/DC, der Leiter, der Trainer, der gelegentliche Bassist, Drummer, Background-Sänger, Mime, Percussionist, Komponist, Business-Manager und Strippenzieher im Hintergrund. AC/DC sind genauso seine Band wie die von Angus und Malcolm.

Anthony O’Grady, Bon Scotts Freund und in den Siebzigern Gründungsmitglied der australischen MusikzeitschriftRAM, verbrachte während der Jahre 1975 und 1976 mehrere Tage mit der Band auf Tour. Als wir uns in Sydneys Stadtteil Darlinghurst trafen, trug er ein frisch gebügeltes (aus dem Jahr 1974 nachgedrucktes) AC/DC-T-Shirt, auf dem der Bandname so auftauchte, als hätte man ihn mit weißer Wandfarbe darauf gepinselt.

„George nutzte alles bei den Easybeats Gelernte und zog Konsequenzen aus den Fehlern“, sagte er. „Es war einer dieser alten Geschichten: ‚Man kann in einer Band sein, einen internationalen Hit haben und mit einem erdrückenden Schuldenberg enden.‘ Dieses Mal sollte es anders laufen. Und es lief auch anders! Er hätte es am liebsten selbst durchgezogen, da bin ich mir sicher. Doch, mein Gott, er programmierte Malcolm und Angus darauf, niemals Plattenfirmen, dem Management oder Agenturen die Kontrolle zu überlassen.“

„Weiche niemals von deinem Weg ab! Das trichterte er Malcolm ein. Angus symbolisierte die Elektrizität und George sowie Malcolm waren das Kraftwerk. Die beiden haben den Fluss in die richtige Bahn gelenkt. Und sie ließen sich nie vom Zurschaustellen musikalischen Könnens behindern. Mehrere Male berichtete mir Malcolm: ‚Angus kann verdammt cleveren Jazz spielen, aber wir wollen nicht, dass er verdammt cleveren Jazz spielt‘.“

Hinsichtlich der beiden jüngeren Brüder von George – Angus, Leadgitarrist, der 2014 59 Jahre alt wurde, und Malcolm, Rhythmusgitarrist, 61 –, muss man nicht viel sagen. Die beiden haben einige der besten Songs und prägnantesten Gitarren-Riffs der Rockgeschichte kreiert. Sie werden auf der ganzen Welt erkannt und verehrt, sodass sich eine Einführung erübrigt. Sie einzeln zu charakterisieren ist beinahe unmöglich. Die Brüder führen persönlich – wie auch musikalisch – eine beinahe symbiotische Beziehung, obwohl sie sich unterschiedlichen Rollen verschrieben haben. Das war nicht immer so. Zu Beginn versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen, sich auszustechen, wie AC/DCs ursprünglicher Sänger Dave Evans angibt.

„Auf der Bühne bestand zwischen ihnen eine gesunde Rivalität. Am Anfang spielten Angus und auch Malcolm Leadgitarre. Sie duellierten sich auf der Bühne, was großartig wirkte, denn die beiden rammten sich fast die Köpfe dabei ein, besser als der jeweils andere zu sein. Schließlich billigte man Angus die Rolle des Leadgitarristen zu, in der er voll und ganz aufging. Schon die frühen Songs hatten viel Power, und das ließ niemals nach.“

Angus ist der Star, und das würde niemand bestreiten: die „atomare Mikrobe“, wie Albert Production oder Alberts, AC/DCs australische Plattenfirma, ihn einmal in einer Anzeige in der amerikanischen Musikpresse bezeichnete. Er hat ein scharf umrissenes, abgedrehtes Talent und sein „angenehm verzerrter und von Humbuckern verstärkter Sound“ ist so unverkennbar, dass ihn das MagazinAustralian Guitarzum besten Gitarristen erkor, den der Kontinent jemals hervorbrachte.

Als Showman gibt es keine ebenbürtigen Konkurrenten und man kann ihn zweifellos als die beständigste Live-Attraktion des Rock ’n’ Roll bezeichnen. David Lewis, Musikjournalist für das nicht mehr existente britische MusikmagazinSounds, beschreibt Angus transparent und stimmungsvoll: „[Angus wirkt durch] den Wahnsinn eines wilden und ungestümen Schuljungen, während er über die Bühne fegt, schwitzt und Chuck Berrys Duckwalk imitiert, dass es so aussieht, als würde ein Behinderter humpeln. Wie bei einem grotesken menschlichen Schwamm dringen Schweiß, Rotz und Schleim aus seinen Poren, brutal ausgepresst durch die Intensität des Gitarrenspiels.“

Bernard McGovern schrieb 1976 in der Londoner ZeitungThe Daily Express: „Angus ist kein Schuljunge, sondern ein verrückter schottischer Rocker. Sein Bühnengebaren … beinhaltet unberechenbare Tobsuchtsanfälle, das Zerstören von Schulnotizbüchern, Rauchen und das Zerreißen seiner Schuluniform, deren Fetzen er ins Publikum wirft. Er sticht Nadeln durch Voodoo-Puppen von Lehrern und spielt einen höchst effektiven Rock ’n’ Roll, wobei er schreiend und mit den Beinen strampelnd auf dem Boden liegt.“

Lisa Tanner, eine ehemalige Hausfotografin von Atlantic Records, die einige außergewöhnliche AC/DC-Bilder aus den Siebzigern und Achtzigern zu diesem Buch beisteuerte, erinnert sich an Angus, der sich so sehr in seine Performance hineinsteigerte, dass er sich übergeben musste.

„Nach oder während des ersten Songs des Sets kam er von der Bühne, hängte den Kopf in eine Mülltonne und kotzte, wobei er immer noch Gitarre spielte. Ich sah ihn erstmalig mit Perry Cooper [Leiter der Promotion-Abteilung von Atlantic] und fragte verdutzt: ‚Ist mit ihm alles okay?‘ Perry antwortete mir, dass er das bei jeder Show macht.“

Sogar noch heute – obwohl er durch das Alter und die knackenden Gelenke etwas ruhiger geworden ist – zeigt sich bei Angus eine fast kindliche Ader. O’Grady nach hat sein unbeugsamer Wille, Gitarre zu spielen und zu üben, die Dimension einer lebenslangen Besessenheit angenommen: „Er war ein frühreifes Kind, dass sich auf der Gitarre wesentlich besser ausdrücken konnte als durch die Schulaufgaben oder die Sprache, wobei man ihn auch unterstützte. Für gewöhnlich sagte man: ‚Kümmere dich nicht um Angus – lass ihn Gitarre spielen‘.“

David Mallet, der die AC/DC-Videos und -Konzerte seit 1986 produziert hat, meint: „Bei Pink Floyd dreht sich alles um den Pomp. Jeder Song, jede einzelne Nummer nimmt einen besonderen Platz im gesamten Spektakel ein. Bei AC/DC gibt es nur ein Spektakel, und das heißt Angus Young.“

Der mittlere Bruder ist in der Tat der „König“ von AC/DC, und er ist sicherlich kein gütiger Herrscher. Mark Evans, der Bassist der Band von 1975 bis 1977, beschrieb Malcolm in seiner AutobiografieDirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DCwenig schmeichelhaft als „den Getriebenen … den Planer, den Strippenzieher, den ‚Typ hinter dem Vorhang‘, erbarmungslos und scharfsinnig.“

Es ist eine Beschreibung, die ähnlich klingt wie eine frühe, aber trotzdem wichtige Presseerklärung von Atlantic Records: „Nicht nur ist er ein großartiger Gitarrist und Songwriter, sondern auch ein Mann mit einer Vision – es ist der Planer von AC/DC, ein ruhiger, bedächtiger und höchst aufmerksamer Mensch. Diese Eigenschaften – und natürlich das gute Aussehen, machen ihn zu einem der beliebtesten Mitglieder von AC/DC.“

Merkwürdigerweise wurde das optische Erscheinungsbild keines der anderen Musiker positiv hervorgehoben.

Malcolm fällt alle wichtigen Entscheidungen, führt die Band und liefert einen treibenden Rhythmus. Obwohl er sich im September 2014 zum Ausstieg entschied, bleiben AC/DC seine Band.

„Malcolm und Angus wuchsen in einer familiären Situation auf, in der George ein überaus berühmter Pop- und Rockstar war“, erläutert Evans bei einem Kaffee in Annandale, einem Vorort von Sydney. Sein Haupthaar mag sich in seinem 58. Lebensjahr ein wenig gelichtet haben, aber er ist noch so fit und gut aussehend wie früher. Wenn jemand bei AC/DC wirklich attraktiv wirkte, dann war er es. „Es war kein großer Schritt für sie, eine Band zusammenzustellen und ihr Lager in Übersee aufzuschlagen, kein Traum, als wolle man für die Glasgow Rangers spielen oder Ähnliches. Der Traum befand sich schon in ihrem Haus – in nächster Nähe. Malcolm lernte viel von George. Die beiden gleichen sich in vielerlei Hinsicht, obwohl ich glaube, das Malcolm der umtriebigere von beiden ist.“

„In all den Jahren hat es mich immer wieder aufs Neue erstaunt, dass die beiden als nicht sonderlich klug dargestellt werden – vielleicht liegt es an ihrem öffentlichen Image. Aber, Mann oh Mann! Ich habe in meinem Leben nur wenige Typen kennengelernt, die so schlau sind wie Malcolm.“

Während sein jüngerer Bruder den Duckwalk bringt, dem Publikum den nackten Arsch zeigt, sich im Kreise dreht oder das macht, was zum Teufel er auch immer will, blieb Malcolm im Hintergrund der Bühne vor seinem Marshall-Turm stehen, steif und zuckend, festgewachsen wie ein Menhir. Man sieht, man konnte sich auf ihn verlassen.

„Live ziehen sie eine große Show ab, allerdings mit wenigen Effekten“, erzählt Mike Fraser, ihr langjähriger Mann am Mischpult. „Für mich ist sie immer wieder erstaunlich. Man sitzt auf seinem Platz und beobachtet Malcolm beim Spielen. Er steht neben den Drums, dirigiert aber tatsächlich die komplette Band. Jeder schaut bei den Breaks zu ihm. ‚Los, lasst uns noch eine Runde spielen.‘ Er gibt all die kleinen Zeichen, fast unmerkliche Handbewegungen. Die Augen der Musiker sind auf ihn gerichtet. Sogar Angus beobachtet ihn, während er durch die Gegend flitzt und sich im Kreise dreht. Er schaut bei allen Wechseln zu Mal hinüber. Das zu beobachten, ist schon verblüffend.“

Der auch aus Schottland stammende John Swan zählt zu den altehrwürdigen Protagonisten der Rockmusik und stimmt dieser Ansicht zu. Er hat in der Vergangenheit bei Bon Scotts alter Band Fraternity gesungen und ist ein enger Vertrauter der Familie Young: „Jeder blickt in Richtung Angus, als wäre er das Zentrum der Gruppe, doch für mich ist es Malcolm. Nimm zum Beispiel mal ‚Live Wire‘. Er spielt die Akkorde des Songs. Während der ganzen Zeit ist die Dynamik brillant. Dann verändert er ein winziges Pattern. Rhythmusgitarristen spielen den Song und übersehen diese winzige Passage. Er hingegen ändert den subtilen Part. Man muss schon ein Fan von Malcolms Spieltechnik sein, um überhaupt zu verstehen, was er da tatsächlich macht. Durch diesen kleinen abweichenden Abschnitt lässt er den Song ein wenig deutlicher rocken, wodurch die ihm zuhörenden Musiker die Nummer noch intensiver empfinden, noch mehr mögen. Er und Keith Richards sind die besten Rhythmusgitarristen der Welt.“

Terry Manning, der schon bei ZZ Top und Led Zeppelin hinter dem Mischpult saß und gemeinsam mit Chris Blackwell die Compass Point Studios auf den Bahamas besitzt, woBack In Blackaufgenommen wurde, geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn sind Ritchie Blackmore von Deep Purple und die Blues-Legende Steve Cropper zweifellos die einzigen vergleichbaren Rhythmusgitarristen, „aber wenn man die Essenz des Rhythmusgitarrenspiels destilliert, glaube ich, dass es Malcolm besser drauf hat als die anderen“.

Zusammen muss man sie jedoch mit niemanden mehr vergleichen. Durch die dünnen Saiten von Angus dünnhalsiger Gibson SG und die dicken Saiten von Malcolms Gretsch Firebird gelingt das scheinbare Paradox des Klangs einer einzigen massiven Kraftquelle, bei der sich die Gitarren trotzdem noch deutlich unterscheiden. Kein anderes Team erreicht das in so einer Perfektion. Lange Zeit waren die beiden quasi „unentwirrbar“. Stevie Youngs Aufgabe besteht darin, diese Synergie aufrechtzuerhalten.

Das Phänomen ist so prägnant, dass Joe Matera, ein australischer Rockgitarrist und international bei Magazinen wieClassic RockundGuitar & Basspublizierter Gitarrenjournalist, behauptet, es sei bei einer Trennung der beiden Gitarren-Sounds ineffektiv.

„Es ist eine Art Chemie, bei der der eine auf den anderen angewiesen ist, um einen so explosiven klanglichen Effekt zu erzeugen. Die Kombination der beiden ist so stark, dass bei einem Fehlen des Partners das Resultat kaum mehr den Effekt hätte.“

Georg Dolivo ist Sänger der kalifornischen Rockband Rhino Bucket, einer Gruppe, der es unter zahlreichen Imitatoren gelungen ist, dem Sound von AC/DC zurPowerage-Ära am nächsten zu kommen. Sogar der Ex-AC/DC-Drummer Simon Wright spielte eine Weile mit ihnen. Er erzählt: „Das Zusammenspiel der Gitarren, des Basses und der Drums lässt sich mit nichts vergleichen. Jede einzelne Note zählt. Angus und Malcolm spielen so perfekt abgestimmt, dass es wie eine undurchdringliche Energiewand klingt.“

Joel O’Keeffe, Frontmann und Leadgitarrist von Airbourne, die so nahe wie nur möglich an die Präsenz der Australier 1978 live im Glasgow Apollo kamen, erklärt den AC/DC-Sound als einen Prozess der Reduktion und Einfachheit: „Hier geht es eher darum, was die Youngs nicht machen, als um das, was sie machen. Es sind die präzise abgestimmten Pausen zwischen den Riffs, wie der kleine Freiraum nach der ersten drei A-Dur-Akkorden bei ‚Highway To Hell‘ oder die Leer-Passage bei ‚Whole Lotta Rosie‘, während der die Leute ‚ANGUS!‘ brüllen, bei denen man eine regelrechte Gänsehaut bekommt. Und wenn sie beide klampfen, sind es nicht nur zwei Gitarren, es sind wahre Energieprügel.“

„Die Young-Brüder sind zwei der besten Gitarristen, mit denen ich das Vergnügen hatte zusammenzuarbeiten“, erinnert sich Fraser. „Sie sind nicht nur talentiert, sondern arbeiten auch hart. Im Studio wissen sie genau, wie man so dynamisch spielt, dass der Song rockt. In so einer Umgebung kann das recht schwierig sein, denn die Atmosphäre ist manchmal klinisch und uninspirierend. Es ist hart, im Studio mit der Intensität eines Auftritts zu spielen, aber um eine klasse Platte zu produzieren, muss man das. Malcolm und Angus haben diese Fähigkeit verinnerlicht. Das zu beobachten, ist beeindruckend.“

***

Zahlreiche Bands haben versucht, den Sound und das „keine Spielchen – jetzt kracht es“-Ethos zu reproduzieren, allerdings in unterschiedlichen Qualitätsabstufungen: Guns N’ Roses, The Cult, Airbourne, The Answer, Mötley Crüe, Krokus, Kix, The Four Horsemen, The Poor, Dynamite, Hardbone, Heaven, ’77, Starfighters, Accept, Rhino Bucket, Jet, die hart rockenden und sich wie französische Aristokraten kleidenden The Upper Crust und viele mehr. Dabei verlieren sich die meisten in Imitationen. Auch gibt es Bands, die kaltschnäuzig abkupfern. Man sollte „Dr Feelgood“ von Mötley Crüe mit AC/DCs „Night Of The Long Knives“ vonFor Those About To Rock (We Salute You)vergleichen. Oder David Lee Roths „Just Like Paradise“ mit „Breaking The Rules“ vom gleichen Album. Oder „Wild Flower“ von The Cult mit „Rock ’N’ Roll Singer“ vonTNT[der australischen Veröffentlichung, A.T.].

Nicht, dass AC/DC sich zu Beginn der Karriere nicht bewusst oder unbewusst auch bei anderen bedient hätten, wenn es ihnen in den Kram passte. ZZ Tops „Jesus Just Left Chicago“ ist deutlich bei „Ride On“ zu erkennen und Thems „Gloria“ (von Bon Scotts erster Band The Spektors 1965 gecovert) bildet die Grundlage zu „Jailbreak“; beide Songs sind auf der australischen Ausgabe vonDirty Deeds Done Dirt Cheapzu finden. Der Hit „Never Been Any Reason“ der aus Illinois stammenden Band Head East, geschrieben von deren Gitarristen Mike Somerville, „inspirierte“ – um es mal höflich auszudrücken – „You Shook Me All Night Long“ von 1980. Interessanterweise spielten AC/DC im August 1977 als Vorgruppe für Head East im Riverside Theater in Milwaukee.

Allerdings machen sie alles auf ihre eigene Art, in ihrem Stil. Tony Platt mischteHighway To Hellab, nahmBack In Blackauf und co-produzierteFlick Of The Switch. Er erzählte mir bei einem Anruf in London: „Du wirst es kaum glauben, wie viele nach AC/DC klingende Bands nach dem Erfolg vonBack In Blackzu mir kamen und um eine Zusammenarbeit baten. Wenn mich jemand fragt: ‚Kannst du mir einen AC/DC-Sound einstellen?‘, kann ich ihm nur eine Antwort geben: ‚Natürlich, kein Problem, aber zuerst brauchen wir einen alten Marshall-Turm, ein altes Marshall-Topteil, eine Gibson SG und natürlich dürfen wir Angus nicht vergessen.‘“

„Im Genre Rock trifft man auf viele Bands, denen die Vorstellung, Rockmusiker zu sein, wichtiger ist, als tatsächlich einen guten Sound zu bringen. Doch sie waren anders drauf: ‚Wir wollen das richtig machen. Es muss auf jeden Fall so gut wie möglich klingen, und wenn wir danach Rockstars werden – umso besser.‘“

Auch für Fraser, der Aerosmith mischte, Metallica, Van Halen, The Cult und Airbourne, ist der Versuch sinnlos und unfruchtbar, es mit den Youngs aufzunehmen: „Es gibt durchaus Gruppen, die Elemente des Klangbilds von AC/DC in ihre Musik integrierten, doch die energiegeladene Simplizität von AC/DC zu reproduzieren, ist extrem schwierig. Viele Bands doppeln ihre Gitarren-Parts, um einen massiven und fetten Sound zu bekommen. Das Endresultat, wie gut es auch sein mag, wird allerdings nicht mit AC/DC zu vergleichen sein.“

Terry Manning, der den Sound von Rhino Bucket und The Angels in Form brachte, kennt nur allzu gut die Gefahren einer übermäßigen „Heldenverehrung“. Ihm wurde von den damaligen AC/DC-Managern Steve Barnett und Stewart Young das Angebot gemacht, die Sessions zu produzieren, bei denenWho Made Whoentstand (aufgenommen im Compass Point). Aber aufgrund einer terminlichen Überschneidung – Manning musste Fastway in den Abbey Road Studios betreuen – konnte er der Offerte nicht nachkommen.

„Ich war gezwungen, abzulehnen, was ich auf immer und ewig bedauern werde. Niemand hat den AC/DC-Ansatz jemals detailliert kopiert. Das sollte man auch vermeiden. Ein guter Künstler kann sicherlich Elemente anderer in sein Klangbild integrieren oder sich stark beeinflussen lassen, aber im Laufe der Karriere muss er einen eigenen Weg gehen, seinen individuellen Stil finden und einen unverkennbaren Fingerabdruck hinterlassen. Bei Rhino Bucket und The Angels hatte ich diese Maxime immer im Hinterkopf: Niemals klonen, aber nicht zögern, Einflüsse zuzulassen. Man muss dem Künstler dabei helfen, in dem Moment das Beste aus sich herauszuholen, seine Individualität zu zeigen.“

Manning hat niemals mit AC/DC gearbeitet, aber sie haben sein Geschäft und die Ökonomie der Bahamas nach vorne gebracht. Die Compass Point Studios waren jahrelang von Rockbands ausgebucht, die hofften, dass ein Quäntchen Magie vonBack In Blackan ihnen haften bleiben würde.

„Es kann ja nicht weh tun, wenn unter dem eigenen Banner eine Platte aufgenommen wurde, die sich zum bestverkauften Album aller Zeiten entwickelte! Die Bands hat es wohl angelockt: Anthrax nahmen im Compass Point auf, Iron Maiden und Judas Priest.“

Es gibt wohl einen guten Grund, warum eine Band über 200 Millionen Exemplare verkaufte, nur ein oder zwei Mal in ihrer 40-jährigen Karriere etwas innehielt, aber zum größten Namen im Musikgeschäft aufstieg. Andere, die diesen Status für sich in Anspruch nehmen wollten, verschwanden in künstlerischer Bedeutungslosigkeit und permanenter Verbitterung. Dazu zählen auch Guns N’ Roses, die der verstorbene (und ehemalige Doors-Betreuer) Danny Sugerman in seiner exzentrischen BiografieAppetite For Destruction: The Days Of Guns N’ Rosesübermäßig anpries für „ihre Hingabe zum exstatischen omnipotenten Status des Rocksounds“ und [für] das Beschwören „des wütenden und wilden Klangs eines Dionysos, der erneut zur Oberfläche aufsteigt“.

Die „Gunner“, allen voran Axl Rose, verfügten über ähnliche Qualitäten wie AC/DC: Authentizität, eine Vision, die Mentalität einer Gang, einen recht eigenständigen Sound, an den sich niemand herantraute, und eine beinahe schon ungezähmte Feindseligkeit gegenüber der Welt und den Leuten außerhalb der Band. In ihrer Glanzzeit coverten sie „Whole Lotta Rosie“ – und das erstaunlich gut. Bei einigen ihrer Shows ließen sieBack In Blacküber die PA laufen. Doch sie hatten nicht genügend hochoktanigen Sprit in ihrem Tank, um die letzten Meilen zu schaffen. AC/DC ließen es niemals zu, dass heftige Partys, Drogen, Sex oder Kohle ihre Musik beeinträchtigte.

Matt Sorum von Guns N’ Roses (und später The Cult sowie Velvet Revolver) glaubt, dass AC/DC das gewisse Etwas haben, „das mit den klassischen Riffs der Young-Brüder und Grooves beginnt, die auf die Körperregion unter der Gürtellinie abzielen … Sie wissen, wann man spielt und wann man die Pausen setzt.“

„Bei AC/DC ist weniger mehr“, argumentiert er. „Die Botschaft lautet, immer den Song zu unterstützen. Die Energie liegt in der Einfachheit und wirkt sich unterschwellig im Ton aus. Darüber hinaus sind die Gitarren nicht übermäßig verzerrt. Der tiefe Bass und der gesamte Groove bringen das Ganze zum Swingen. Jedes Mitglied hat einen klar umrissenen Job, wodurch es seinen Part perfektionieren kann. Ich denke hier an den alten Spruch: ‚Wenn es nicht vollkommen kaputt ist, dann reparier das Ding auch nicht.‘ Es ist Boogie-Rock ’n’ Roll aus der Arbeiterschaft. Bei den Kerlen kommt es an und die Mädchen tanzen gerne dazu. Tollen Bands dabei zuzuhören, wenn sie sich beim Spielen auf ihre Wurzeln beziehen, ist immer wieder erfrischend. Ich wünschte mir, dass mehr großartige Rockbands auf ihren Instinkt achten und sich nicht durch Trends verführen ließen.“

Und diese Aussage stammt von einem Mann, der all die sich wiederholenden Fills bei „November Rain“ spielte (laut Sorum eine der Ideen von Axl Rose). Er muss es wissen. Als Guns N’ Roses sich in Richtung pompösen Balladentums entwickelten, markierte das den Anfang vom Ende der aufregendsten Rockband seit AC/DC. Abgesehen von der krassen Fehlkalkulation von „Love Song“ 1975 haben AC/DC niemals eine am Reißbrett entworfene Ballade eingespielt. Sie bieten ihren Fans Rockssongs ohne jegliche Schnörkel, verankert im Feeling, der Melodie und dem Groove. Das ist eine perfekte Alchemie, ähnlich ihrer heiligen Trinität aus Gitarre, Bass und den Drums, die jeder verstehen kann und auf die wir alle durch rhythmische Körperbewegungen reagieren. Sugerman beschreibt das humorvoll und ironisch als einen „Impuls, bei dem ein Kind instinktiv die Finger in den sich drehenden Babyventilator stecken will“.

„Während meiner Zeit bei The Cult kam ich dem AC/DC-Stil wohl am nächsten“, fährt Sorum fort. „Bei Songs wie ‚Wild Flower‘ und ‚Lil’ Devil‘ dachte ich in meinem Ansatz ständig an Phil Rudd. Guns N’ Roses und Velvet Revolver orientierten sich hinsichtlich des Einflusses immer an den großen Bands, wobei AC/DC ganz oben auf der Liste stand. Doch gleichzeitig versuchten wir unser eigenes Ding durchzuziehen.“

Rob Riley, der Falstaff der australischen Rockmusik und ein Mann, der von Mark Evans als der bedeutendste lebende Gitarrist des Kontinents hochgejubelt wird (kein geringes Lob, bedenkt man, dass Evans sowohl live als auch im Studio mit Angus und Malcolm spielte) ist ein bekennender Fan der Youngs: „Die meisten verstehen AC/DC nicht. Das ist verdammt noch mal keine schwierige Musik. Sie ist hörerfreundlich. Man muss kein verdammt guter Musiker sein, um sich das in den Schädel zu hämmern. Es rockt einfach. Sie waren und sind immer noch die Verfechter der Rockmusik. Ich muss den Fuß zu ihrer Musik klopfen und headbangen.“

Stevie Young, der Neffe der Youngs, der Malcolm nach seinem krankheitsbedingten Ausstieg permanent ersetzen wird, meint dazu: „Bei dem, was sie machen, sind sie ehrlich. Und darum sind sie eine so großartige Band.“

***

Doch einigen reicht das immer noch nicht.

Die Kritiker, speziell in den USA, hätten sich früher nichts sehnlicher gewünscht, als dass die abgerissen wirkenden, mit der Gitarre aus der Hüfte schießenden Homunculi so schnell wie möglich in den Trümmern der Gorbals [Elendsviertel in Glasgow, A.T.] verschwinden, unter denen sie auch hervorgekrochen sind.

Dazu gehört auch Robert Hilburn. Der Johnny-Cash-Biograf und Rockkritiker derLos Angeles Timesvon 1970 bis 2005 hat ihnen einmal einen kräftigen Fußtritt verpasst: „Irgendjemand sollte bei AC/DC den Strom abstellen.“ Bei der Kontaktaufnahme für das Buch zeigte er zumindest ein wenig Bedauern.

„Das Review bezog sich auf ein Konzert, das mich wahrscheinlich sehr enttäuschte“, entschuldigt er sich. „Ich hatte das Gefühl, dass die Gruppe ins Schlingern geriet, denn ich war sicherlich kein Anti-AC/DC-Kritiker. Schon zuvor schrieb ich anerkennend über sie, und in meiner gedanklichen Bandliste stehen sie auf der positiven Seite. Allerdings nehmen sie dort keine Spitzenstellung ein, denn die ist Bands mit textlichem Einfühlungsvermögen und positiven Botschaften vorbehalten: The Band, Creedence Clearwater Revival, The Beatles, The Rolling Stones, The Who, The Kinks, U2, Nirvana, The Replacements, Rage Against The Machine, Nine Inch Nails, R.E.M., The White Stripes und Arcade Fire. Jeder Künstler oder jede Band, die ich als wirklich phänomenal in der Rockgeschichte einordne, hat Grenzen überschritten, denn ein Künstler und/oder eine Band sollte(n) die Erfahrungen des Lebens widerspiegeln, die Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Musik sollte diese Entwicklungen reflektieren. Zum Beispiel muss ihre Neugier als Musiker sie dazu führen, neue Türen zu öffnen – schau doch mal, was die Beatles und U2 in der Hinsicht leisteten: Die Beatles entwickelten sich von ‚I Want To Hold Your Hand‘ zuSgt. Pepper’sund U2 vonThe Joshua TreezuAchtung Baby. Gleichzeitig müssten die Texte und Themen die neue Ideen und Gefühle reflektieren. AC/DC haben sich ein Lob verdient, besonders dafür, dass sie ihre Musik nicht recycelten. Sie spielen weder die gleiche Platte noch den gleichen Song wieder und wieder, wie es viele der kommerziell großen Acts machen. Jedoch denke ich, dass es ihrer Bandgeschichte dienlicher gewesen wäre, hätten sie sich von ihrer ursprünglichen Energie und dem Spaß zu etwas Substanziellerem entwickelt … So wie sich die Lage darstellt, sind sie eine Band, an die man mit Wertschätzung denkt, aber die man nicht verehrt – sozusagen eine Band ihrer Zeit, und nicht eine zeitlose Band.“

Hier stimmt Dave Evans mit Hilburn überein. Er behauptet, dass er sich seit dem Verlassen der Gruppe niemals eine neue Platte von ihnen zugelegt hat. Möglicherweise hat er einen guten Grund, sich völlig von AC/DC gelöst zu haben, bedenkt man, wie sie ihn bei seinem Rausschmiss 1974 behandelten, und die verächtlichen Kommentare, die er sich von den Youngs seitdem anhören musste. Allerdings muss man auch in Erwägung ziehen, dass seine glückliche Karriere der Verbindung mit AC/DC zu schulden ist, womit er quasi entschädigt wurde.

„Sie haben sich an den originalen und unverkennbaren Sound gehalten, und es ist schon verblüffend, dass sie dafür so lange berühmt sind. Ich schätze Musik mit unterschiedlichen Emotionen und Botschaften, wobei eine Gruppe immer noch ihrem Stil treu bleiben kann. Es ist wie beim Rap, der sich auf die gleichen alten Elemente bezieht, aber sehr populär ist, und Hip Hop, der sich für mich ständig gleich anhört, jedoch sehr angesagt ist – ich verstehe das nicht. Ich bin ein begeisterter Beatles-Fan und liebe besonders die ständige Weiterentwicklung, die Erforschung der Musik und der Emotionen. Sie haben die gesamte Welt auf eine fantastische musikalische Entdeckungstour mitgenommen und so viele Bands mit neuen und aufregenden Klängen beeinflusst wie auch ihr Publikum. Dabei verloren sie nie den Beatles-Sound. Woran es auch liegen mag – AC/DC sind heute die populärste Rockband der Welt.“

1976 tauchte die neu zusammengestellte CompilationHigh Voltagemit dem „Killer-Stampfer“ „It’s A Long Way To The Top“ in den amerikanischen Plattenläden auf. Billy Altman verriss AC/DC als „australische Champions der Hässlichkeit“, die „musikalisch nichts auszusagen haben (zwei Gitarren, Bass und Drums, die alle in einer ideenlosen Drei-Akkord-Formation watscheln)“ und den Sänger Scott, der „seinen Gesang mit einer wirklich ärgerlichen Aggressivität herausrotzt. Ich vermute, dass man es nicht besser kann, wenn man nur darauf aus ist, ein Star zu sein, um jeden Abend was zum Vögeln zu haben. Und das, meine Freunde, ist die Summe der Themen, die auf der Platte angeschnitten werden. Dummheit nervt mich. Kalkulierte Dummheit ist eine absolute Beleidigung.“

Altman, immer noch Musikjournalist, aber zugleich auch Hochschullehrer im Fachbereich Geisteswissenschaften der School of Visual Art in New York, wich nicht zurück, als ich ihn fragte, ob er mit der australischen Band nicht zu hart umgesprungen sei.

„Ich glaube nicht, dass ich hart war. Ich machte nur meinen Job. Und im Kontext des Jahres 1976 fiel mir exakt das äußerst negativ auf. Ja, sicherlich stehe ich zu dem, was ich schrieb – als Meinung der damaligen Zeit.“ Dann wies er auf eine Besprechung vonStiff Upper Liphin, die er 2000 für die Webseite von MTV/VH1 verfasste. Dadurch wurde offensichtlich, dass auch er jetzt versucht, bei der Party mitzumischen. „Es ist alles eine Frage der Perspektive, nicht wahr?“

Einst gehässig gegen AC/DC, muss die amerikanische Musikpresse mittlerweile zähneknirschend akzeptieren, dass die Band nicht von der Bildfläche verschwindet, und somit die Existenz der Australier tolerieren. Sie bejubeln sogar Alben, die eigentlich nur einen Hauch von dem wiedergeben, was die Gruppe in den Siebzigern und frühen Achtzigern gnadenlos rausgehauen hat. Verdamme die guten Scheiben. Bejubele den Mist:Stiff Upper Lipist ein Beispiel.Black Iceein anderes.

Altmans neues Review war kaum die Krönung der Karriere eines Musikjournalisten, obwohl ihm zumindest die Entdeckung gelang, dass Angus Gitarre spielen kann. Eine gewisse Geringschätzung taucht aber immer noch auf, doch die wird in Höhlenmenschen-Metaphern („spitze kleine Köpfe von Menschen, die sich mit Verzögerung entwickeln“) und gedanklichen Blödsinn („störrische Tölpel“) gekleidet.

Was einst „kalkulierte Dummheit“ war, versucht Altman nun als „organischen Rock“ zu bezeichnen, „mit dem Schema zwei Gitarren – Bass – Drums, Strophe–Refrain–Strophe–Refrain–Solo–Strophe–Refrain–Refrain, kreischender Todesfeen-Gesang, ein dummer Text und Musik, bei denen die Riffs aus Stonehenge kommen.“ AC/DC, so bemerkt er, „können nun wahrscheinlich den Preis für die am längsten sich durch einen Sprung wiederholende Platte der gesamten Rockgeschichte beanspruchen. Alle ihre Songs klingen gleich – ja! – und was war es damals für ein verdammt guter Song.“

„It’s A Long Way To The Top“, einer der größten Rocksongs aller Zeiten, wurde jedoch mit keinem ähnlich gezwungenen Lob abgefeiert, als es wichtig gewesen war. Die wohlwollende Kritik kam viel zu spät und fiel nicht überzeugend genug aus.

Wie die meisten Kritiker verstehen Altman und Hilburn – Letzterer vertritt keine so harsche Ansicht – die Cleverness von AC/DC nicht.

AC/DC sind nicht im Musikbusiness, weil sie das Überschreiten von Grenzen beabsichtigen – obwohl sie das durch die Weigerung, Trends und modischen Strömungen hinterherzulaufen, eigentlich recht gut machen. Es ist eher eine Art Urschrei. Packende Melodiebögen und Boogie-Rhythmen sind für ursprüngliche Musik essenziell. Doch diese Form der Ursprünglichkeit schmeckt den Kritikern nicht.

Clive Bennett von der Times benutzte das gleiche Wort in der Besprechung einer AC/DC-Show Ende 1976 im Hammersmith Odeon: „Meine Kritik bezieht sich auf ihre Musik, nicht auf die Texte, die simpel und hemmungslos das ausdrücken, worüber wir schon unzählige Male mit einer ähnlichen Offenheit im Privaten gesprochen haben. Musik jeglicher Form muss die Instrumentalisten anspornen und mehr fordern als die Fähigkeit, bis zur Besinnungslosigkeit auf die Instrumente einzudreschen. AC/DC existieren jedoch in diesem ursprünglichen Zustand.“

Na und? Ist doch scheißegal!

Tony Platt sagt: „Wenn man zu dieser Schicht oder auch Ebene vorgedrungen ist, wird man sich das wohl als letztes dadurch vermasseln, dass man es versteckt oder in einer anderen Art und Weise verhüllt. Die Kritiker verstehen nicht die Essenz von AC/DC – die Basis der Musik.“

Mike Fraser teilt die Auffassung.

„Solange ich die Band kenne, haben sie immer die Musik gespielt, die ihnen gefällt, und sich nie Gedanken über die Kritiker gemacht. Angus verriet mir mal: ‚Wir machen die Musik, die wir mögen und die wir spielen wollen. Wenn die Fans darauf stehen und die Platten kaufen, ist das nur ein Bonus für uns.‘ Für die Jungs ist es sehr wichtig, an einem Stil zu arbeiten, den sie lieben. Bei allen bislang aufgenommenen Alben haben sie nie einen Song produziert, um sich einer Ära oder Modeerscheinung anzubiedern: Keine Keyboards, keine Disco-Beats, keine Bläser-Sektionen. Wenn ein Fan sich eine AC/DC-Platte zulegt, weiß er, was er bekommt. Ich stimme dir zu: Das ist eine Art des Überschreitens einer Grenze. Nur AC/DC können sich so etwas erlauben, denn sie werden nie langweilig. Wen könnte so eine Leidenschaft beim Spielen langweilen?“

Millionen von Fans auf jeden Fall nicht, wie Angus einmal hervorhob.

„Wir haben das grundlegende Feeling, das die Kids mögen. Sie wollen rocken – und das war’s schon. Schlägt man einen Akkord an, machen das viele der Kids nach. Sie sind so eng mit der Band verbunden, dass sie bei allen Bewegungen mitgehen. Wenn man eine Menschenmasse dazu bringt, als Ganzes zu reagieren – ja, das ist ideal. Viele Bands haben das nicht drauf: Darum sind die Kritiker im Unrecht.“

John Swan meint: „Ich glaube nicht, dass AC/DC ihren Ansatz ändern können, denn sie wollen es einfach nicht. Es geht auch so voran. So lange mein Arsch sich noch über der Erde bewegt, werden AC/DC nichts anderes als AC/DC sein.“

***

DerSounds-Journalist und spätere Band-Biograf Phil Sutcliffe ist einer der Männer, die die Gruppe verstehen. Er schrieb 1976: „Die Rhythmen treffen dein Herz wie ein Hammerwerk … die Musik der beiden Youngs wirkt wie eine Metallstanze in einer dunklen Nacht. Sie vereint glühende Hitze und Energie zu einem Klang, der so schön wie kräftig ist.“

In Mark EvansDirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC, bis zum heutigen Tag die einzige Autobiografie eines AC/DC-Mitglieds, findet sich eine interessante und treffende Passage, die perfekt die einzigartige Power der Band beschwört. Nachdem sie in Sydney in den Pubs bis zum Abwinken gespielt hatten, erreichten sie nach einer einmonatigen Pause London. Die fünf Mitglieder – Angus Young, Malcolm Young, Mark Evans, Bon Scott und Phil Rudd – platzen fast vor Spiellaune und arrangierten einen Gig im Red Cow in Hammersmith. Es war ein kostenloses Konzert in einem winzigen Pub vor vielleicht 30 Kneipengängern, die schon bald weggeblasen wurden.

Evans erinnert sich: „Wir eröffneten das Set mit ‚Live Wire‘. Meine Bassnoten schwebten quasi in die Luft, dann kamen Mals fette Akkorde dazu und Phils Hi-Hat-Becken lieferten einen straighten Rhythmus. Als Angus und Phil zusammen mit dem kompletten Drum-Set mit brachialer Gewalt einstiegen, explodierte der Song. Es war so energiegeladen, dass ich das Gefühl hatte abzuheben. Der Sound klang unverkennbar nach AC/DC. Das hört sich ein wenig lächerlich an, doch wir hatten so lange keinen Gig mehr gespielt und waren bereit, ein Statement abzugeben. Man spürte das wahnsinnige Gefühl der Energie – nicht die chaotische, extrem laute und unkontrollierte Energie, die man oft bei Bands antrifft – sondern Power der Marke AC/DC. Laut, sauber, tief, knurrend und voller Rhythmus. Wir waren wieder da, feuerten aus allen Rohren und Bon hatte noch nicht mal seine Kauleiste geöffnet.“

Evans hob ab! Das sollte die Musik auch bewirken, und er spielte sie.

Barry Diament, der einige ihrer Alben für das CD-Format gemastert hat, kommentiert das: „Exakt in der verhältnismäßigen Einfachheit der Musik generieren Malcolm und Angus ihre Energie. Ich würde den Begriff ‚primitiv‘ benutzen, doch nicht in einem negativen Sinn, sondern als positives Attribut, den rauen Sound der Musik beschreibend, den ich wahrnehme. Es ist eine ‚Direkt in die Magengrube‘-Erfahrung, die jeder Zuhörer sofort spürt.“

***

An AC/DC oder ihrer Musik gibt es nichts zu mäkeln. Sie waren die Opfer fauler Journalisten und auf einer anderen Ebene von Klassenvorurteilen. Die Musik der Youngs und generell Rock ’n’ Roll im weitesten Sinn haben das Recht, im selben Atemzug mit großen Gemälden genannt zu werden, Büchern oder der Architektur, denn es sind alles Kunstformen. Ich würde Kunst als ein Handwerk bezeichnen, das einen außenstehenden Menschen aufgrund der Geschicklichkeit, der Kreativität, des Talents und der Vorstellungskraft auf eine andere Ebene erhebt, das ein Gefühl der Lebendigkeit transportiert. Dass man ihre Musik als anspruchslos, nicht einer Auseinandersetzung würdig beschreibt, weil angeblich so viele AC/DC-Fans in schwarzen T-Shirts herum laufen, billiges Bier kippen und ihre CDs im Wal-Mart kaufen, ist geringschätziger Schwachsinn. Keinem anderen Act ist es gelungen, so eine Menge guter Musik in die Stadien zu bringen, die Arenen, Bars, Autos, Truck-Stops, NachtClubs, Striptease-Läden, Wohnzimmer und Sportplätze.

Phil Jamieson von Grinspoon, der bei dem Vanda & Young-Remake des Songs „Evie“ mitmachte – produziert 2004 zugunsten der Opfer des Tsunamis am zweiten Weihnachtsfeiertag –, erklärt dazu: „Die Youngs sind verdammt hartnäckig. Die lassen sich nicht hängen. Neben den vielen Hits und all den großen Songs haben sie die Fähigkeit, ohne Verzierungen auszukommen – plastische Chirurgie, Stroboskop-Licht, Nebelmaschinen – die brauchen nichts davon. Sie benötigen lediglich vier Verstärker, eine Stimme und ein Schlagzeug, und darum verehre ich sie. Sie verlassen sich nicht auf ein Playback. Es ist eine wahre Rock ’n’ Roll-Band. Wenn man etwas so Energiegeladenes erlebt – das ist unvergleichlich. Und das macht es aus. Jeder Typ mit einem Gitarrenverstärker, ein Drummer und irgendein Kumpel glauben, dass sie das vielleicht auch könnten. Hier wird aber nichts von Leuten definiert, die eine Musikhochschule besuchen und Noten lesen können. Die Musik ist für alle.“

„Als Produzent von Rockmusik achtet man auf die Reaktionen beim Hörer“, erklärt Mark Opitz, der Tontechniker vonLet There Be RockundPowerage, „auf die emotionale Reaktion, die Verbindung zur Musik. Texte sind unglaublich wichtig, aber die Melodie und der Rhythmus – darin liegt das Geheimnis. Sie bringen einen zum Tanzen. Durch sie wird die Energie freigesetzt. Man will immer weiter machen. Das Tempo ist meistens perfekt auf den Herzschlag abgestimmt. Niemand wird hier so heftig angeschoben wie beim Thrash. Es hat diese Intensität, den verdammten ‚Herz-Rhythmus‘. Beim Begriff Tanzen meine ich natürlich nicht das herkömmliche Tanzen. Ich meine Bewegung. Mit den Füßen aufstampfen, ähnlich einem Afrikaner. Sich von der einen zu anderen Seite bewegen, den Kopf bewegen, headbangen. Das ist eine Art ‚Männertanz‘. Da wird Testosteron in die Blutbahn geschossen. Ja, rechnet man alles zusammen, passiert genau das. Wie beschreibt man den chemischen Prozess im Gehirn, der das auslöst? Ich bin mir da nicht sicher, aber ich kenne einen direkten Weg – Melodie und Rhythmus!“

Tony Platt stimmt Opitzs Hypothese zu, doch er macht zusätzlich eine interessante Beobachtung: Die Musik von AC/DC ist getränkt mit Humor, Spaß und Licht.

„Man kann viel zu den Theorien beitragen, die sich mit der Resonanz des menschlichen Körpers auf Musik beschäftigen. Durch Klänge werden Endorphine ausgeschüttet, ähnlich wie beim Trinken eines netten Glases Wein oder beim Sport. Musik dringt zum Innersten vor und hellt die Laune auf. AC/DCs Musik ist keinesfalls deprimierend. Sie macht Spaß und nimmt sich selbst nicht allzu ernst. Ich vergleiche das gerne mit Iron Maiden: Ich fand es schon von Anfang an eher bizarr, wie ernst sich die Musiker nehmen. Manchmal bringt mich das zum Lachen, und ich kann kaum aufhören. Auch die Fans sind wirklich todernst. Und da sind noch die Kids, die auf düsteren Heavy Metal stehen. Man muss nur beobachten, wie viele dieser Dark-Metal-Bands sich Anschuldigungen ausgesetzt sahen, dass sie als Katalysator wirkten, durch den ein armer junger Heranwachsender sich das Leben nahm. Es gibt Musik, die so eine Finsternis als Basis hat, ganz im Gegensatz zu AC/DC. Da wird alles eher auf die leichte Schulter genommen, was wohl auch bewirkt, dass der Hörer dazu tanzen will.“

Das Argument hat sicherlich eine gewisse Berechtigung, obwohl es nicht wasserdicht ist. Niemand würde jemals behaupten, dass AC/DC Gewalt propagieren, doch ihre eher unaufrichtige Erklärung nach den sogenannten „Night Stalker“-Morden von Richard Ramirez Mitte der Achtziger überzeugte nur wenige. Sie behaupteten, „Night Prowler“ vonHighway To Hellhandele von einem Kerl, der mitten in der Nacht nur einen kurzen Blick in das Schlafzimmer seiner Freundin wirft. Joe Bonomo schreibt inHighway To Hell, einem Essay zu dem Album im Buchformat: „Bon Scotts eher verwegene Bildhaftigkeit drängt den Song hin zu einer bedauernswerten Boshaftigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob die Band beide Bedeutungsinterpretationen rechtfertigen kann.“ Ramirez, ein Fan von AC/DC, dessen Name seither unglücklicherweise mit dem Stück assoziiert wird, starb im Juni 2013 eines natürlichen Todes, während er auf seine Hinrichtung wartete.