Die China-Maus - Andrzej Czybulsky - E-Book

Die China-Maus E-Book

Andrzej Czybulsky

4,8

Beschreibung

Der in Berlin-Charlottenburg lebende Softwareentwickler Andrzej Czybulsky führt als Freischaffender ein nicht gerade abstinentes, aber dennoch geregeltes, eintöniges Dasein. Die Fahrten durch die Stadt mit dem Taxi, zählen da schon zu den Aufregern. Als er eines Tages aus "Daffke" einen Auftrag annimmt, der nicht gerade zu seinem Arbeitsfeld gehört, gerät er, und das nicht nur allein, in den Sog des Verbrechens. Zu allem Unglück verliebt er sich auch noch.

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Der in Berlin-Charlottenburg lebende Softwareentwickler Andrzej Czybulsky führt als Freischaffender ein nicht gerade abstinentes, aber dennoch geregeltes, eintöniges Dasein. Die Fahrten durch die Stadt mit dem Taxi, zählen da schon zu den Aufregern. Als er eines Tages „aus Daffke“ einen Auftrag annimmt, der nicht gerade zu seinem Arbeitsfeld gehört, gerät er, und das nicht nur allein, in den Sog des Verbrechens. Zu allem Unglück verliebt er sich auch noch.

Andrzej Czybulsky wurde am 11.3.1972 in Chorzów (Königshütte), Polen, geboren. Kurz nach seiner Geburt starb sein Vater an den Folgen eines Motorradunfalles, woraufhin seine Mutter in die Bundesrepublik übersiedelte. In Worms verbrachte er die ersten 16 Jahre seines Lebens. Als auch seine Mutter starb, ging er nach West-Berlin und studierte dort nach dem Abitur an der Technischen Universität Informatik.

Die China-Maus ist Andrzej Czybulskys erster und zugleich letzter Roman.

Er starb am 11.3.2016, am Tage seines 44. Geburtstages in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

00-Darf übersprungen werden, aber…

01-Die Maus ist da

02-Fidel Castro

03-Die Befragung

04-Der Reisepass

05-Gojko

06-Auch das LKA ist interessiert

07-Auch Hunde haben ihr Gutes

08-Riñones-Nieren auf spanische Art

09-Der seltsame Kellner

10-Marleen

11-Das Ende naht

12-Totgesagte leben länger

13-Die Wette

14-Gisela

15-Edeltraut

16-Es ist wie es ist

Nachwort

Widmung1

Obwohl diese kurze Widmung nur aus vier Sätzen besteht, darf sie vom geneigten Leser übersprungen werden. Aber es wäre schade!

Da ich nicht unbedingt davon ausgehen kann, ein weiteres Buch zu schreiben, weil mir vielleicht die Zeit dazu nicht mehr bleibt oder mir einfach nichts mehr einfallen will, obwohl, ein paar Ideen hätte ich schon noch, widme ich diesen Roman, und um so einen handelt es sich ja schließlich, denn alle darin vorkommenden Personen sind, bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen frei erfunden, wie es so schön heißt, was nicht bedeutet, dass entstandene Ähnlichkeiten nun absolut rein zufällig wären, widme ich also diese Geschichte, die eigentlich ein Liebesroman werden sollte, aber die Welt ist schlecht und der Mensch auch, und so ist sie dann zwangsläufig zum Kriminalroman verkommen, gewissermaßen „in einem Aufwasch“, zwei Personen:

Erstens,

sozusagen posthum, meinem ehemaligen Deutschlehrer, der viel zu früh von uns gegangen ist bzw. nicht früh genug, wie böse Zungen behaupteten, ich meine den Deutschlehrer, der unter anderem von uns Schülern „der Scheinliberale“ genannt wurde, weil er immer so ein flottes Cordjackett trug, und der mir in „Deutsch“ im Abitur eine „Fünf“ reingewürgt hatte, weil er mich nicht leiden konnte.

Danach konnte ich ihn dann auch nicht mehr leiden.

Und zweitens,

meiner lieben Frau;

ach und dann noch meiner Tochter und meinem Sohn, meiner Schwiegermutter, der Tante, dem Onkel, dem Eismann, der anderen Tante, dem anderen Onkel, dem älteren Bruder, dem jüngeren Bruder, dem Koch der Muppet-Show, der Musiklehrerin, dem Briefträger, Ernie und Bert, dem Kontaktbereichsbeamten, der Mannschaft von Wormatia Worms, dem Klavierträger, der Backwaren-Fachverkäuferin, den freundlichen Ermittlern von der Gebühreneinzugszentrale, allen DDR-Grenzsoldaten, der Lottofee, allen Fleischerei-Fachverkäuferinnen, dem Schöpfer des neuen Großflughafens, der netten Nachbarin, die sich immer so schön aus dem Fenster gelehnt hat, sodass man ihre

1) Um die Langmut der geschätzten Leserschaft vor Misshandlung zu schützen, leider auf 2000 Zeichen beschränkt

1. Kapitel

Ein schwülstiger, tiefroter Mund näherte sich meinem Gesicht. Weiche, große Brüste drückten sich an meinen Körper. Gleich mussten unsere Lippen sich finden. Doch statt des leidenschaftlichen Kusses, den ich nun erwartete, packten zwei, an schlanken, um nicht zu sagen, dürren Armen befindliche Hände meine Ohren und zogen daran.

Mein rechtes Ohr schmerzte. Ich wollte mich befreien, jedoch vergebens. Über dem Handgelenk hing eine viel zu große Armbanduhr. Es war mehr ein Wecker als eine Armbanduhr; und der Wecker klingelte. Ununterbrochen. Und mein Ohr schmerzte!

Ich hielt es nicht mehr aus, griff an mein Ohr und … zog eine leere Rumflasche unter meinem Kopf hervor.

Langsam wurde ich wach. Ich sah mich auf der Bettkante sitzen mit einer leeren Rumflasche in der Hand und musste mich erst einmal sammeln. Dazu brauchte ich eine ganze Weile. So langsam kam meine Erinnerung wieder: Sie hatte mit mir Schluss gemacht, doch ich habe die Situation ertragen. Ach, was heißt ertragen? Ich habe sie gemeistert! Als wenn mich so etwas umwerfen könnte! Was bildet die sich eigentlich ein? Auch andere Mütter haben schöne Töchter – so sagt man doch. Mich haut jedenfalls so etwas nicht um. Mich doch nicht!

Trotzdem hatte ich, denn so viel gab meine Erinnerung noch her, aber nur prophylaktisch, damit keine falschen Gefühle hochkommen, mir im Laden unten Rum, Cola und Zitronen besorgt. Doch wie ging es dann weiter? Keine Ahnung. Aber eines wusste ich genau:

Von Weibern habe ich erst einmal die Schnauze voll!

Dieses fürchterliche „Wecker-Armbanduhr-Klingeln“ setzte wieder ein.

Es kam von der Haustür.

Mühselig schleppte ich mich dorthin, und wäre beinahe über eine auf dem Boden liegende Cola-Flasche gestolpert. Ich öffnete.

„Der Paketbote war da, und weil Sie nicht aufgemacht haben, habe ich das hier entgegengenommen.“

Es war meine Nachbarin, Frau Neumann.

„Was denn, mitten in der Nacht?“

„Also, Herr Andreas, es ist bereits elf Uhr!“

„Schon? Na, jedenfalls danke, Frau Neumann.“

Ich warf die Tür zu und das Päckchen auf den Tisch.

Nach weiteren drei Stunden Schlaf, einer kalten Dusche und einem starken Kaffee, ging es mir schon wieder besser, und ich packte meine Sendung aus.

Meine neue Maus war angekommen. Direkt aus China. Und billig. Aber dafür musste ich auch zwei Monate warten. Nun war sie also da. Gleich führte ich mit ihr den Zeiger über den Bildschirm. Ja, diese Maus fühlte sich gut an, und sie lief so geschmeidig. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, sie hatte etwas von einer Ballerina. Und … sie war folgsam! Sie gehorchte auf die Befehle, welche ich ihr, wenn auch nicht durch Worte, so doch aber per Tastendruck erteilte.

Ja, diese Maus werde ich lieben!

Sie ist besser als alle meine anderen Mäuse, die ich zuvor hatte. Als da waren:

Die Störrischen, die machten, was sie wollten.

Oder die Phlegmatischen: Die machten gar nichts oder bestenfalls nur ganz wenig.

Andere wieder rannten wie wild herum, um dann auf Nimmerwiedersehen in einer Ecke zu verschwinden.

Nein, diese hier ist ganz anders. Sie ist die richtige. Bis zu unserem Lebens- bzw. Betriebsende würden wir vereint sein.

Mäuse sind eben anders als Frauen. Man kann sich auf sie verlassen.

Mit Mäusen hat man keinen Ärger!

Wie falsch ich damit lag, sollte ich noch frühzeitig zu spüren bekommen.

Ich hatte ja keine Ahnung!

„Du, meine Maus!“, sagte ich zu ihr, neu verliebt.

Welchen Namen sollte sie bekommen? Ich konnte sie ja nicht mit „Maus“ anreden. So spricht man vielleicht zu seiner Verlobten. Winifred ist ein schöner Name, aber vielleicht zu dramatisch und passt auch nicht zu unserem Nachnamen Czybulsky.

Winifred Czybulsky – nein, das passte nun wirklich nicht. Und Myszka Czybulsky?

Wäre zwar treffend, ist dann aber doch zu polnisch.

Ich hatte es! Wenn schon nicht Myszka, dann aber „My“. Das ist kurz und klingt chinesisch. Wenn das englisch ausgesprochen wird, ist es immer noch akzeptabel.

Gut, sie wird My heißen, My Czybulsky.

Doch quälte mich jetzt ein Gedanke: Ist sie überhaupt noch Jungfrau? Bin ich doch nicht der Erste, der sie jemals berührt hat? Schwarze Gedanken durchzogen mein Gehirn. Sie könnte eine Affäre mit einem aus der Fabrik gehabt haben. Allerdings habe ich gehört, dass dort überwiegend Frauen arbeiten. Sollte sie vielleicht sogar lesbisch sein? Ich schaute sie prüfend an. Vielleicht verrät sie sich ja durch Blinzeln ihrer LED?

Nichts.

Aha, sie versteckt sich hinter ihrem Energiesparmodus. Also hat sie ein schlechtes Gewissen. Sie verheimlicht mir etwas. Ich werde sie testen, aber wie? Ich werde sie hart rannehmen. Ich drückte ihre Taste und siehe da: Sie blinzelte. Jedoch keine Spur eines schlechten Gewissens. Ich scheuchte sie von einer Ecke zur anderen, aber alle Aufgaben wurden erfüllt.

Jetzt kam mir die rettende Idee: Wie wird sie sich wohl verhalten, wenn sie mit anderen Mäusen konfrontiert wird? Also gab ich in die Suchmaschine die Worte „Maus“ und „China“ ein. Es erschienen auch sogleich viele Links zum Thema „China Maus“.

Aber was sollten wir nun zu sehen bekommen?

Eine leicht, um nicht zu sagen, gar nicht bekleidete, mandeläugige Schönheit bot sich uns unter diesem Thema dar.

„Das ist nichts für uns“, sagte ich zu My. Mit „uns“ meinte ich natürlich in erster Linie sie. Außerdem war diese Art von Mäusen auch nicht käuflich, selbst wenn das im allgemeinen Sprachgebrauch so verstanden wird; nein, man konnte sie nur auf bestimmte Zeit mieten.

Wir besuchten also eine Website, auf der Mäuse verkauft werden. Der Zeiger streichelte die verschiedensten Rassen: Große, kleine, teure Luxusmäuse und billige, arme Mäuse; es waren sogar noch einige von der altmodischen Rasse mit den langen Schwänzen dabei.

Keine Reaktion.

Aber hier! Da war etwas. Erst ein Zucken des Mauszeigers, dann ein Blinzeln der LED. Treffer. Es war ganz deutlich zu sehen: Der Zeiger ruckelte bei einer ganz bestimmten Rasse. Ist es ein Wunder? Diese sah fast genauso aus wie meine My. Aber My schien traurig zu sein.

Mir wurde klar, My hat Heimweh, zumindest aber sehnt sie sich nach ihren Schwestern.

Guter Rat ist hier teuer. Im Laden gibt es diese Rasse nicht zu kaufen, und bis ich welche aus China erhalte, vergehen zwei Monate. Ich wusste nicht, ob sie so lange aushält oder vorher vor Kummer eingeht.

Doch zum Glück erfuhr ich von einem Freund, der bei so einem Käseblatt arbeitet, dass eine ziemlich große Lieferung Mäuse in Deutschland eintraf, welche sich aber noch beim Zoll befinden sollte. Es gab da wohl irgendwelchen Ärger, mehr konnte er nicht sagen.

Ich entschloss mich also, den Zoll aufzusuchen, um für meine My die Genehmigung einzuholen, die neuen Immigranten begrüßen zu dürfen. Was sollte schließlich dabei sein?

Ich stand vor der Tür eines Zollinspektors namens Steinfels und klopfte.

„Herein!“

„Guten Tag, mein Name ist Czybulsky, und ich wollte ...“

„Ah ja, Herr … Wir erwarten Sie schon.“

„Wir ...???“

Herr Steinfels stand von seinem Schreibtisch auf und kam auf mich zu. Er war klein. Sehr klein. Er war überaus klein. Er streckte mir seine Hand entgegen. „Steinfels, angenehm, Herr ...“

Ich musste mich etwas bücken, um seinen Handschlag zu erwidern.

„Czybulsky.“

„Ja, Herr Schibulki, nun, mein Kollege Herr Becker und ich warten schon auf Sie. Eigentlich bearbeitet Herr Becker den Fall.

(Welchen Fall denn?)

„Sehen Sie, Herr ...“

„Czybulsky.“

„Ja, sehen Sie, es müssen da noch einige Formalitäten erledigt werden. Ein Haufen Papierkram und das Übliche. Dann müssen noch einige Schwierigkeiten überwunden werden, neue kommen täglich dazu. Dann haben wir mit Personalmangel zu kämpfen. Unsere Dienststelle ist chronisch unterbesetzt … arbeiten mit Hochdruck … alles Erdenkliche … braucht alles seine Zeit ...“

Er sprach am laufenden Band. Ich merkte, dass ich seinen Worten gar nicht mehr folgte. Ich hatte die Hand in der Tasche, umklammerte meine My und starrte auf Herrn Steinfels' Gestalt. Er war wirklich winzig.

Die Erlösung wurde mir durch sein Telefon zuteil: Es klingelte.

„Entschuldigung, Herr ...“

„Bitte!“

„Ja.“

Herr Steinfels ging zu seinem Schreibtisch, während ich mich auf eine kleine Holzbank neben der Tür niederließ.

„Steinfels … na, was wohl? … Nein … nein … doch … nein … nein … ich habe Publikumsverkehr … nein, Publikumsverkehr, nicht was du denkst! … Kann das denn nicht warten? … Ich stecke hier bis zum Hals in Arbeit ... hör … … … nun hör doch mal ... das halte ich für keine gute Idee … hör doch mal … hallo? Hallo?“

Herr Steinfels wandte sich wieder mir zu.

„Wie ich gehört habe, haben Sie ja auch mächtigen Ärger mit dieser Sache, und deshalb schlage ich vor, dass wir als erstes folgende Schwierigkeit aus dem Weg räumen, und zwar ...“ Die Tür ging einen Spalt auf. Ich hörte eine Frauenstimme: „Körnchen, kannste mal rauskommen?“

Steinfels' Miene verfinsterte sich.

„Verzeihung, Herr ...“

„Czybulsky.“

„Herr Schibulki, es dauert nur einen Augenblick.“

Er schloss die Tür von außen und man hörte ihn schimpfen: „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht Körnchen nennen sollst, wenn andere Leute zugegen sind?!“ Die Wände in diesem Gebäude waren offensichtlich sehr hellhörig. Aber die Stimmen verebbten, Schritte verhallten, und dann wurde es ruhig. Angenehm ruhig.

Ich stand auf und ging zum Fenster, um einen Blick auf den Zollhof zu werfen. Dabei fiel mein Auge auf einen Notizzettel auf dem Schreibtisch. Auf ihm stand in gekritzelter Schreibschrift etwas, das aussah wie „Anal“ (so ein Schweinkram), darunter etwas Durchgestrichenes und dann in großen Druckbuchstaben: „SCHLESWIG-SCHUBY“.

Diesen Namen hatte ich schon einmal gehört. Es muss im Sommer letzten Jahres gewesen sein. Aber in welchem Zusammenhang?

Ein Telefon klingelte; diesmal im Nebenzimmer. Die Wände hier waren wirklich sehr hellhörig.

„Ja? … Na, was glaubst du denn? … Von wegen …

Championsleague, kannste abhaken … es sollen ungefähr 200.000 Stück sein. Aber die müssen gezählt werden … je nachdem wie viele Leute dafür abgestellt werden, kann das 'ne Woche dauern … natürlich ist das Verschwendung von Steuergeldern, aber was willste denn machen, muss ja alles seine deutsche Ordnung haben.“

Er kicherte.

„Und das Beste: Anschließend kommt die ganze Scheiße in den Schredder … ja … jaja … aber wir warten ja noch auf den Heini … Schlesien-Azubi oder so ähnlich … na, den Anwalt von Technik Logistica oder so ähnlich … kannst mir ja beim Zählen helfen.“

Er kicherte wieder. Dann wurde es wieder ruhig. Mir wurde mulmig. Mir wurde richtig schlecht. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn. Ich umklammerte My in meiner Hosentasche. Beinahe hätte ich dabei eine Taste abgebrochen.

Hier ging es also um die Vernichtung von 200.000 Mäusen. Unvorstellbar! Ich musste dagegen etwas unternehmen. Offensichtlich hing alles an einem Herrn ...

Die Tür ging wieder auf, Herr Steinfels kam zurück.

„Nochmals Entschuldigung … ach Gottchen, wie sehen Sie denn aus? Ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie ein Glas Wasser, Herr …?“

„Schleswig-Schuby“, sagte ich diesmal und, „nein danke.“

„Ja, Herr Schlesinger, ich denke, es ist das Beste, wenn ich Sie jetzt zu Herrn Becker bringe. Ich muss da nämlich noch einen anderen dringenden Fall bearbeiten. Er schob mich hinaus und öffnete die nächste Tür.

„Becker, das ist der Herr Anwalt, du weißt schon.“

Aha, das Gekrakel auf dem Zettel auf Steinfels' Schreibtisch sollte also „Anwalt“ heißen (also kein Schweinkram). Ich war jetzt also der Anwalt Schleswig-Schuby. Trotzdem klickte in meiner Erinnerung nichts. Ich hatte seit mehr als fünf Jahren mit Anwälten nichts zu tun.

Woher kannte ich diesen Namen?

Becker schien zu wissen, strich aber vorsichtshalber mit dem Finger noch einmal über die vor ihm liegende Akte.

„Guten Tag, Herr … Herr Schleswig-Schuby? Richtig?“

Offensichtlich hatte er den Namen unter den Zeilen gefunden.

„Ja, richtig“, antwortete ich. „Der Heini“, hätte ich beinahe hinzugefügt, denn Herrn Beckers Stimme erkannte ich.

Steinfels stand schon ungehalten zwischen Tür und Angel. „Auf Wiedersehen, Herr Schibulka“ und zu Becker gewandt: „Ich muss mich jetzt noch um den anderen Fall kümmern.“ „Welchen anderen Fall?“, fragte Becker.

„Na, du weißt schon.“

Becker wusste diesmal wohl nicht. Aber Steinfels entschwand.

Becker legte los:

„Wir müssen aber noch eine Hürde nehmen, bis die Sache endlich steigen kann ...“

„Steigen?“ Bei diesem Ausdruck wurde mir wieder schlecht. Der Schweiß auf meiner Stirn zeigte sich auch wieder.

Ich stellte mir gerade vor, wie der Qualm aus den Schornsteinen der Müllverbrennung wie ein letzter klagender Gruß von 200.000 Mäusen gen Himmel stieg. Meine Knie wurden weich.

„Was haben Sie denn, Herr Schlesinger? Sie sind ja ganz bleich. Möchten Sie ein Glas Wasser?“

Eh ich dankend ablehnen konnte, schwand Beckers Besorgnis und er fuhr fort:

„Wir müssen da noch einige Schwierigkeiten überwinden, dazu kommt, dass unsere Behörde chronisch unterbesetzt ...“ Wusste ich schon, aber ich ließ ihn reden bis ich mich wieder an den Grund meiner Anwesenheit erinnerte. Also riss ich mich zusammen und unterbrach ihn.

„Ich würde die Mäu... ich meine die Ware gerne einmal in Augenschein nehmen.“

Beckers Gesicht erhellte sich. Das kam ihm wohl sehr gelegen. Er tastete auf seiner Telefonanlage herum.

„Mau... äh, Frau Schmitt-Witzleben können Sie mal kommen, bitte?“

Frau Schmitt-Witzleben kam. Eine gut ausgestattete Frau, das Alter schwer einzuschätzen, in einem die Figur betonenden eleganten Kostüm und das Haar hoch gesteckt. Eine von diesen Sekretärinnen!

„Frau Schmitt, Sie wollten doch mit Herrn Schlesien zum Container mit den Mäusen gehen. Das ist der Numero … Augenblick“, er kramte in einer Kladde, fand einen losen Zettel, klemmte ihn an eine andere Kladde auf seinem Schreibtisch und übergab beides Nicole.

(So hatte ich inzwischen Frau Schmitt-Witzleben getauft. Ich fand, der Name passte gut zu ihr. Sie hatte so etwas Französisches.)

„Steht alles da drauf“, fügte Herr Becker noch hinzu.

„Ich geh' dann mal voran“, sagte Nicole und stolzierte durch die Tür. Ich hinterher.

Durch die halb geschlossene Tür rief uns Becker noch etwas nach:

„Ach, Mausi, ... den Schlüssel hat Kurt!“

Der Ausruf galt offensichtlich nicht mir.

Aber ausgerechnet „Mausi“?

Es amüsierte mich. Ich sah Frau Schmitt-Witzleben an, und sie sah mich an. Ich versuchte etwas in ihrem Gesicht zu lesen, vielleicht Scham, wegen der Anrede eben. Sie hatte wunderschöne geheimnisvolle Augen, aber sie verzog keine Miene.

Die Gänge in diesem Gebäude schienen endlos lang zu sein. Zum Trost durfte ich aber Nicole folgen und hatte auf diese Weise noch die Gnade, von ihrer Parfümwolke etwas abzubekommen, während sie auf ihren hochhackigen Schuhen vor mir her schritt und dabei einen wohltuenden Anblick ihrer sich wiegenden Kehrseite preisgab.

Während unseres Spaziergangs öffnete sie die eine oder andere Tür, um nach Kurt zu fragen, jedoch ohne Erfolg. Ich hinter ihr her. Mit jedem Meter Gang gefiel sie mir besser. Ihr enger Rock endete kurz über den Knien und brachte ihre Beine voll zur Geltung. Ob sie mit mir heute Abend französisch essen gehen würde? Sekretärinnen sollen ja in dieser Beziehung sehr aufgeschlossen sein. Ich werde sie am Ende einfach fragen.

Der Gang nahm immer noch kein Ende.

Was für schöne Beine sie hatte!

Vor uns befand sich eine Schwingtür, welche wir passieren mussten. Auf der anderen Seite der Tür kam uns ein unsympathisch aussehender Mann im dunkelgrauen Anzug entgegen.

Frau Schmitt hatte wohl mit einem Kavalier gerechnet – ein Fehler. Beide stießen zusammen. Dabei fiel das Aktenköfferchen des Schlipsträgers auf die Erde, welches er zuvor unter dem Arm eingeklemmt hatte, da ja beide Hände mit irgendwelchen Smartphones oder Tablets belegt waren. „Oh, pardon“, sagte Nicole charmant.

„Schon okay“, darauf der Unsympathling etwas säuerlich mit einer schmierigen Stimme, während er weiter hetzte.

Aber auch Nicoles Kladde war zu Boden gefallen. Einige Blätter lagen lose herum. Ich wollte ihr natürlich beim Einsammeln behilflich sein, als mein Blick auf ein Kuvert fiel:

„Frau Oberinspektorin Dr. Edeltraut Schmitt-Witzleben.“ Beinahe hätte ich mich verschluckt.

Soweit das Thema Französisch.

Jedenfalls der Appetit auf Froschschenkel heute Abend ist mir gründlich vergangen. Nun musste ich wieder an My, meine kranke Maus denken.

Jetzt kam Kurt!

Er musste schon informiert gewesen sein, denn er drückte Frau Doktor wortlos einen Schlüssel in die Hand, quasi im Vorbeigehen. (Der Ausdruck „en passant“ erschien mir nun nicht mehr recht passend.)

Endlich erreichten wir den Hof und Frau Doktor fand auch recht schnell den Container.

„So, da wären wir.“ Sie machte sich an dem Schloss zu schaffen, ein zusätzlicher Hebeldruck und die schwere Eisentür des Containers fiel von selbst auf.

Ich erstarrte.

Ein Anblick des Grauens bot sich mir dar. Ich kann wohl behaupten, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie so etwas Schreckliches gesehen habe. Der Container war von unten bis oben vollgeladen mit Gitterboxen, welche wiederum vollgestopft waren mit Mäusen. Armselige Kreaturen, lediglich mit einer dünnen Plastiktüte bekleidet, keine Polsterung, kein Styropor, nicht einmal Pappe zwischen den Mäusen. Einfach nur grauenhaft. Von artgerechter Haltung keine Spur.

Und da waren sie auch schon wieder, meine Symptome.

„Was haben Sie denn?“, fragte Frau Dr. Schmitt. „Sie sind ja ganz bleich! Möchten Sie ein Glas Wasser?“

Nein, ich mochte kein Glas Wasser. Wasser ist in dieser Behörde anscheinend ausreichend vorhanden.

„Vielen Dank, Frau Dr. Schmitt-Witzleben“, gab ich zur Antwort. „Nicht nötig. Ich habe auch genug gesehen.“

Ich drückte meine Hand ganz fest um meine My in der Hosentasche. Diesen Anblick wollte und musste ich ihr ersparen.

Mit den Worten „gut, dann bringe ich Sie wieder zurück“ verschloss Frau Doktor den Container und schritt wieder voran, diesmal in die andere Richtung. Jetzt erschienen mir die Gänge noch länger als auf dem Hinweg. Auch fand ich den Hintern von Frau Schmitt zu groß, um nicht zu sagen fett. Und bei näherer Betrachtung konnte man auch Hüftspeck erkennen. Bestenfalls durchschnittlich, urteilte ich über Frau Doktor. Nicht gerade eine Schönheit. Auf jeden Fall aber:

Kein Frau, die für mich in Frage käme!

Wahrscheinlich war sie auch schon viel zu alt. Ich mag keine alten Frauen – und keine dicken. Nur junge und schlanke. Und schon gar nicht so eine krummbeinige Schickse.

Endlich fand der Weg ein Ende. Wer weiß, was mir sonst noch alles an ihr aufgefallen wäre.

Kurz bevor wir Herrn Beckers Büro erreichten, öffnete sich eine Tür:

„Frau Doktor, wir wollten doch noch etwas Wichtiges klären.“

„Ach ja“, sagte Frau Doktor und zu mir gewandt:

„Herr Schleswig-Schuby, Sie finden doch jetzt allein zu Herrn Becker.“

Meine Antwort nicht mehr abwartend, verschwand die Doktorin hinter der Tür, um etwas Wichtiges zu klären.

Blöde Zicke!

Einige Schritte weiter stand ich wieder vor Herrn Beckers Büro. Gerade wollte ich die Klinke hinunterdrücken, als ich eine schmierige Stimme hinter der Tür sagen hörte: „Was soll das heißen, ich wäre schon da?“

Darauf Beckers Stimme: „Ich will es mal so ausdrücken:

Wenn Sie Herr Schleswig-Schuby sind, wie viele Schleswig-Schubys gibt es denn in Ihrer Kanzlei?“

In diesem Augenblick entschloss ich mich, doch nicht einzutreten und suchte den nächsten Ausgang, aber zuallererst das Weite.

Endlich wieder draußen, war mein erster Gedanke „ein kaltes Bier“. Zum Glück war auch ein Restaurant gleich in der Nähe: „Fidel Castro“, ein Italiener, aber mit Vorgarten. Jetzt merkte ich erst, was ich für einen Durst hatte, und dabei konnte ich die Ereignisse der letzten Stunde noch einmal Revue passieren lassen.

„Schleswig-Schuby … Schleswig-Schuby“, zum Teufel, woher kannte ich diesen Namen?“

2. Kapitel

Wenn der Berg nicht zur Maus kommt, dann muss die Maus zum Berg gehen.

„Na, meine süße Myszka“, so nannte ich sie dann doch manchmal, aber nur, wenn wir allein waren und ich ein Bedürfnis nach Intimität hatte, „wollen wir eine kleine Reise machen, du kannst mir ja beim Buchen helfen.“

Ihre grünen Leuchtdioden strahlten.

Nachdem die Sache mit dem Zollhof so richtig in die Hose gegangen ist, musste nun ein anderer Weg beschritten werden.

My war mit großer Begeisterung bei der Sache. Mit Wonne wurden die Angebote der Reiseveranstalter angeklickt, passende Flüge gesucht und Preise verglichen.

Und das aber war die springende Maus bzw. der springende Punkt. Selbst die günstigste Reise nach China ließ mein Geldbeutel nicht zu.

My wurde schon wieder traurig. Alles nur das nicht, dachte ich. Ich wollte sie vertrösten:

„Wir können ja woandershin fahren, dorthin wo es auch Mäuse gibt.“

Ihr Led-Blinzeln war sehr verhalten. Sie schien skeptisch. Auf dem Monitor sah ich, wie der Mauszeiger plötzlich ohne mein wissentliches Zutun auf einem Tourismus-Werbefenster verharrte:

„Super-Schnäppchen: Ägypten.“

Ich wurde aufmerksam. Gibt es in Ägypten Mäuse?

Möglicherweise. Aber dann bestimmt nicht die gesuchte Rasse. Ich war schon einmal in Ägypten. Dort habe ich zwar Ratten gesehen, aber keine Mäuse.

„Last minute: Cote d'Azure“, wurde eingeblendet. Das stimmt. Hier sind Mäuse vorhanden, und zwar reichlich vorhanden. Aber nicht die, die wir suchen.

Karibik? Genau dasselbe und auch zu teuer!

Mittlerweile hatte ich schon viereckige Augen bekommen vom Anstarren des Monitors und beschloss, die Suche zu verschieben und ein Bier trinken zu gehen.

Durstig und voller Vorfreude schritt ich zu Luigi, dem Italiener in meiner Straße. Aber was erwartete mich schon von Weitem: Knackevoll der Laden. Kein einziger Platz draußen frei. Und ein Lärm! Offensichtlich hatte die Senioren-Abteilung des hiesigen Kegelvereins heute Betriebsausflug. Das Gegacker und Gekicher übertönte sogar noch den Straßenlärm.

„So eine Scheiße“, ging mir durch den Kopf. Wohin jetzt?

Auf der Straße stand gerade eine Taxe, der Fahrer war mit dem Ausladen irgendwelcher Gerätschaften beschäftigt. Ich musste mich an das erfrischende Bier vorgestern in der Nähe des Zollhofes erinnern. Ich also zur Taxe:

„Hallo, Taxi!“ Ein Glück, der Fahrer hielt.

„Kennen Sie das Fidel Castro?“

„Philharmonie heute zu!“

„Nein, nein, nicht die Philharmonie. Fidel Castro ist ein Italiener.“

„Italienisch nix gut, wir fahren türkisch Restaurant, isse viel besser.“

Ich versuchte es anders:

„Kennen Sie den Zollhof?“

„Ja.“

„Gut, dann fahren Sie mich jetzt bitte dahin.“

„Ja.“

„Warum fahren Sie denn nicht los?“

„Du mir sagen.“

„Fahren Sie, ich zeige Ihnen den Weg.“

Das war vielleicht etwas voreilig, denn so ganz genau kannte ich den Weg auch nicht mehr. Schließlich erreichten wir aber unser Ziel.

„Kriege 39,90!“

„Hier bitte, 40 €. Stimmt so.“

Daraufhin brabbelte der Taxifahrer etwas auf Türkisch in seinen Bart, wahrscheinlich eine Verwünschung, gab richtig Gas, und eine riesige schwarze Rußwolke nebelte mich noch als Abschiedsgruß ein.“

„40 Mäuse“, ging mir durch den Kopf, „aber vielleicht war es das wert, zumal man bedenken muss, dass ich während der Fahrt etliche Häuser, und darunter waren auch einige sehr schöne, mehrfach betrachten durfte.

Jetzt waren es zum Fidel Castro nur noch etwa 10 Minuten Fußweg. Und ich hatte einen Brand!

Gott sei Dank! Die Kneipe kam in Sichtweite, und es waren draußen noch Plätze frei. Was sollte jetzt noch schief gehen?

„Also, wenn das nicht der Herr Schleswig-Schuby ist?!“

Diese Stimme hinter meinem Rücken hatte eine lähmende Wirkung.

Unwillkürlich versuchte mein Kopf zwischen den Schultern zu verschwinden.

Halb aufstehend drehte ich mich um.

Da stand sie, wieder in so einem die Figur betonenden Kostüm, der Rock noch etwas kürzer als bei unserem ersten Zusammentreffen.

O mój Boże! (Bei besonderer Erregung fluche ich immer auf Polnisch – wenn auch nur im Geiste.) Was hat die Kuh hier zu suchen?

„Nanu, Ni ... ich meine Frau Dr. Ni ... Dr. Witzleben, was machen Sie denn hier?“, stammelte ich.

„Das könnte ich Sie genauso fragen; möchten Sie, dass ich Sie weiterhin mit ‚Herr Schleswig-Schuby‘ anspreche?“

Zack! Das hat gesessen!

„Sind Sie mir jetzt böse, Frau Doktor? Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, ich lade Sie auf ein Gläschen ein“, sagte ich mit meiner lieblichsten Stimme. Ich versuchte es einmal auf die süße Tour, weil ich ja nicht wusste, was sie vorhatte. Zu meiner Überraschung setzte sie sich zu mir an den Tisch. „Kommen Sie mir ja nicht auf die süße Tour, Herr … wie lautet eigentlich Ihr richtiger Name?“

(Gute Frage) – auf der Straße fuhr gerade ein Pizza-LKW vorbei – „Wagner“, entfuhr es mir. „Andreas Wagner.“

Sie sah mich wieder so an wie auf dem Gang neulich. Sie hatte wirklich geheimnisvolle Augen.

„Ach wohl verwandt mit dem Komponisten?“

„Welchem Komponisten?“

Der Blick, den ich mir nun einfing, hatte eine andere Qualität: Einer von dieser tötenden Sorte.

„Ach der … der Komponist.“ Ich versuchte ein kleines Lachen aufzusetzen, aber es gelang nicht.

„An den habe gerade nicht gedacht.“ Das entsprach ausnahmsweise der Wahrheit.

Sie sagte nichts. Sie sah mich nur an mit ihren geheimnisvollen Augen. Direkt unheimlich.

Ich kam einfach aus meiner Verlegenheit nicht heraus und sollte jetzt etwas Konversation betreiben.

„Dabei ist doch Wagner mein Lieblingskomponist“, musste ich jetzt unbedingt zum Besten geben.

„Ach, ja? Meiner auch. Welche ist denn Ihre Lieblingsoper?“ Ich merkte, wie die Temperatur in meinem Kopf die 41-Grad-Marke überschreiten wollte. So ein verdammter Schlamassel. Ich kenne doch keine Opern. Hätte ich doch nur die Schnauze gehalten.

Das heißt, doch, ich kenne bestimmt zehn Opern, vielleicht sind es ja auch nur sechs oder fünf, aber garantiert drei … so zwei bis drei. Aber nicht eine wollte mir einfallen. Da:

Der Bajazzo (?) ist mir schon zu Ohren gekommen.

Aber das ist bestimmt italienisch. Und Wagner war doch garantiert kein Italiener – obwohl, die Pizza ist ja auch italienisch.

Die ganze Zeit durchbohrte sie mich mit einem erwartungsvollen Blick – ihre Augen waren außerordentlich geheimnisvoll. Meine Kehle war schon ganz trocken. Ich nahm mein Bierglas und leerte es in einem Zuge.

„Prost!“, sagte Frau Doktor schnippisch. Ich hätte eh nicht zurück prosten können, meine Kehle war zu trocken.

Rettung nahte wieder in Form eines LKW. Diesmal war es ein Blumenlaster.

„Der Grü... äh, der Fliegende Holländer“, schoss es aus mir heraus. Ich war richtig stolz auf mich. Die Antwort konnte nicht falsch sein, ich hatte nämlich diesen Stoff vor gefühlten hundert Jahren im Musikunterricht an der Oberrealschule vorgesetzt bekommen. Ich konnte mich aber an nichts mehr erinnern, nur, dass meine Musiklehrerin bei uns „Traute“ hieß.

„Ist ja interessant“, Frau Doktor sprach auf einmal mit veränderter Stimme, so wie man manchmal mit kleinen Kindern spricht, „das ist auch meine Lieblingsoper.

Besonders gut gefällt mir der Akt, in dem der Bösewicht der armen Holländerin das Messer in den Hals sticht.“

„Das ist auch meine Lieblingsstelle“, entgegnete ich, und dabei stellte ich mir vor, wie der Bösewicht hier bei uns am Tisch sitzend auf genau die gleiche Weise dem ganzen Spuk ein Ende bereiten würde.

Wieder sah sie mich so merkwürdig an. Um diese Augen wäre es wirklich schade. Der Bösewicht musste wieder aus meinen Gedanken verbannt werden.

Der Ober kam an unseren Tisch. Überaus freundlich zu ihr gewandt: „Buenas tardes, Señora, wie immer?“ (Aha, die kannten sich also schon. Da sitze ich ja schön in der … in der … Höhle des Löwen.)

„Naturalmente, gracias Alfredo“, antwortete die hochgebildete Doktorin.

Und er dann kühl zu mir: „Noch ein Bier, Señor?“

„Ach nein, ich nehme dasselbe wie die Señora.“

Ich wollte schließlich auch einmal vornehm wirken.

Wieder Schweigen. Langes Schweigen. Und wie sie mich wieder dabei ansah. Was hatte sie vor? Dumm ist sie jedenfalls nicht. Was würde wohl als Nächstes kommen?

Jetzt kam erst einmal der Ober. Er stellte zwei riesige Gläser, deren Böden mit Rotwein benetzt waren, vor uns auf den Tisch. Ich hätte besser doch Bier bestellen sollen. Bevor er verschwand, warf er der Señora noch einen unverschämten Blick zu.

„So ein Gockel“, dachte ich. „So ein schmieriger Papagallo – oder besser Torero, denn dass es sich hier nicht um italienisches Gebiet handelte, hatte sogar ich schon mitbekommen.

Ich nahm mein riesiges Glas in die Hand, um nicht zu sagen, es nahm mich an den Stiel.

„Salut, Frau Dr. Schmitt-Witzleben!“ Das sollte imponieren, so viel Spanisch beherrschte ich.

„A tu salut“, sagte Frau Doktor und: „Wie heißen Sie denn nun mit richtigem Namen?“

„Mit richtigem Namen?“

Mir fiel fast das Glas aus der Hand. Wenn da mehr drin gewesen wäre, hätte ich geplempert.

„Nun“, fuhr sie fort, „Sie haben doch noch nie ein Opernhaus von innen gesehen und falls doch, haben Sie sich wahrscheinlich mehr für Ihre Nachbarin interessiert als für die Handlung auf der Bühne.“

„Woher ...“

„Das kann ich Ihnen sagen, woher ich das weiß. Tod infolge Messerstiches ist aus Tosca oder Madame Butterfly, aber niemals aus dem fliegenden Holländer!“

„Niemals?“

„Niemals!“

So eine Scheiße.

Hätte ich doch damals in der Schule nur besser aufgepasst!In diesem Augenblick fiel mir wieder die Situation ein, als unsere Musiklehrerin die Klasse befragte:

„Habt Ihr Euch alle das Textheft besorgt?“

„Jawoll.“

„Das will ich sehen – alle mal die Reclam-Hefte hochhalten!“ Wir taten es. Wir wedelten alle mit unseren neuen Errungenschaften.

Nur, dass in meiner weder eine Senta noch ein Herr Daland darin vorkamen, sondern ein gewisser Sir MacBeth nebst anderen dunklen Gestalten, und wenn mich nicht alles täuscht, gab es da auch ein überaus nerviges Weib. Und neu war mein Heft auch nicht. Diesen Schmöker hatte ich noch aus dem Deutschunterricht übrig.

Da hatten wir es wieder: Auch die kleinsten Verbrechen werden irgendwann einmal gerächt.

Aber egal, in diesem Augenblick wusste ich nicht, ob mir kalt oder heiß war. Jedoch eines wusste ich:

Ich will sterben. Sofort. Auf der Stelle. Ich ertrage das nicht länger. Ich werde jetzt auf die Toilette gehen und mich aufhängen.

„Na, Wagner heißen Sie jedenfalls nicht“, unterbrach die Unerbittliche meine Selbstmordabsichten.

„Nicht?“

„Mitnichten!“

Jetzt machte sie mich richtig fertig; so nach Strich und Faden.

Der Kellner nahte.

„Camerero, otros dos, por favor!“

Und dabei zeigte sie noch mit zwei Fingern an ihrem Weinglas den Pegelstand an.

„Si, Señora.“

Sie rückte etwas vom Tisch ab und schlug das linke Bein über das rechte, dabei kramte sie in ihrer Handtasche und zündete sich eine Zigarette an. So eine von diesen besonders schlanken Modezigaretten. Sie blies den Rauch ihres ersten Zuges genüsslich in die Lüfte, um dann noch zur Abwechslung das rechte Bein über das linke zu schlagen. Der Rock rutschte dabei auch ein klein wenig höher als eben noch.

So ein Luder!

Normalerweise hätten meine Hormone jetzt verrückt gespielt. Aber in meiner augenblicklichen Gemütsverfassung hatten die Hormonkiller – wenn es so etwas überhaupt gibt – die Oberhand.

„Wenn Ihr Name wirklich ‚Wagner‘ wäre“, begann sie wieder, „dann hätten Sie sich schon längst mit dem Komponisten befasst. Schon in Ihrer Kindheit hätte man mit Ihnen Witzchen wegen Ihres Namens gemacht. Also spätestens in der Grundschule hätten Sie gewusst, wer Richard Wagner ist.“

„Ich weiß doch aber, wer Richard Wagner ist“, entgegnete ich kleinlaut, mich aber schon wieder etwas stärker fühlend.

„Ach ja?“

Und wieder dieser Blick!

Sie hatte wirklich schöne Augen.

Sie wippte mit ihrem rechten Bein, dabei hätte sie beinahe ihren Schuh verloren. Wieder so ein hochhackiger. Der hing jetzt nur noch mit seiner Spitze an ihren Zehen.

Ein paar von den Hormonen in meinem Körper haben sich inzwischen offensichtlich an den Hormonkillern vorbeischleichen können. Das merkte ich. So etwas merke ich immer.

Sie hatte nicht nur schöne Augen!

Der Gockel brachte uns zwei neue Gläser.

Bemerkenswert, diesmal war doch deutlich mehr Wein drin. Allerdings, wenn ich jetzt auf Streit aus gewesen wäre … beim genauen Hinsehen war in meinem der Füllstand niedriger.

Aber ich war ja nicht auf Streit aus. Schon gar nicht mit so einem Fatzke.

Wir tranken – diesmal nur nach einer verkürzten Zeremonie des Zuprostens.

„Also?“, begann sie wieder.

„Also was?“

„Ihr Name, ich meine Ihren richtigen Namen. Sie haben doch vorhin geschwindelt.“

„Aber wo denken Sie hin. Das stimmte alles. Ich meine fast alles. Jedenfalls teilweise. Also der Vorname stimmt … fast.“ „Fast?“

„Ja.“

„Das ist ja zum Verrücktwerden mit Ihnen“, polterte jetzt Frau Doktor los. Aber in ihrer Stimme zeichnete sich schon der bereits konsumierte Wein ab. Sie klang ein wenig versöhnlicher. Und wieder dieser erwartungsvolle Blick, dem ich nun nicht mehr widerstehen konnte.

„Ich heiße Andrzej. Andrzej Czybulsky“, brachte ich mit dem Mute der Verzweiflung heraus und dabei musste ich auch noch hüsteln.

Ihr rechtes Bein zuckte.

Jetzt hatte sie ihren Schuh wirklich verloren. Als sie sich bückte, um ihn wieder anzuziehen, kam ihr Dekolleté erst richtig zur Geltung. Und dabei hörte ich aus dem Restaurant-Lautsprecher das Lied von den Glocken von Rom erklingen.

Sie hatte nicht nur schöne Augen und schöne Beine.

„Ist doch gemütlich hier“, sagte sie, fast ein wenig verträumt, „nur schade, dass es heute keine Musik gibt. Wahrscheinlich haben sich die Anwohner beschwert.“

Während ich noch damit geistig beschäftigt war, an meinem Hörvermögen zu zweifeln, fing sie wieder an:

„Mögen Sie Tapas?“

Ich mag keine Tapas. Davon ist mir einmal schlecht geworden.

Allerdings, von den beiden Tapas, deren Anblick ich für den Bruchteil einer Sekunde soeben genießen durfte, hätte ich schon gerne genascht.

„Oh ja. Sehr sogar“, sagte ich.

Sie machte zum Kellner gewandt eine bedeutende Handbewegung.

„Ihr Name kommt doch aus dem Polnischen.“

„Ja.“

„Und?“

„Was und?“

„Und verwandt?“

„Mit dem Schauspieler?“

„Ja, ob Sie mit dem Schauspieler verwandt sind?“

„Nein, der schreibt sich auch ohne „z“ und mit einem „i“ am Ende.“

„Sehen Sie!“

Ich bin ihr auf den Leim gegangen.

„Was sehe ich?“

(Ich stellte mich dumm.)

„Stellen Sie sich jetzt nicht dumm, Herr … Wagner.“

Ich wurde verlegen. Sie lachte. Sie lachte mich aus. Aber dabei wirkte sie noch schöner.

Ein anderer Kellner stellte diesmal zwei Tellerchen vor uns auf den Tisch.

Nun tranken wir wieder und aßen, sofern man bei diesen Portiönchen von „Essen“ reden konnte.

„Schmecken doch gut hier die Tapas, nicht?“

Ihre Laune schien stetig besser zu werden.

„Oh ja! Möchten Sie von meinen eine ab haben?“

„Ich muss auf meine Linie achten“, wandte sie ein, und dabei stibitzten zwei reizende Finger oder vielmehr Fingernägel von meinem Teller eine dieser Köstlichkeiten.

Mittlerweile waren wir die einzigen Gäste. Um uns herum wurde es dunkler.

„Ich glaube, wir sollten langsam gehen, Frau Dr. Schmitt-Witzleben, die wollen uns rausschmeißen“, gab ich zu bedenken.

„Sie dürfen mich ‚Trau...‘“ – sie bekam einen Schluckauf – „‚Traute‘ nennen!“

„Ach, nicht ‚Mausi‘?“, sagte ich lachend. Das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.

„Unterstehen Sie sich! Ich hasse das!“

Sie warf mir einen bösen Blick zu.

„Traute?“, sagte ich, und dabei schaute ich zum Himmel. „So hieß meine Musiklehrerin, Gott sei ihrer Seele gnädig. Das war vielleicht ein Drachen.“

„Ein Drach … ein Drachen?“ Jetzt musste sie wieder lachen, und weil sie gerade trank, verschluckte sie sich auch noch und prustete kleine Mengen des Rotweins über den Tisch. „Na, Sie happ ... Sie haben mich noch nicht kennengelernt. – Oh, das tut mir jetzt aber rick … richtig leid“, fügte sie noch an, als ich versuchte, so unauffällig wie möglich mit der Papierserviette einige Tröpfchen aus meinem Gesicht zu wischen.

Frau Doktor, ich meine Traute, hatte einen Schwips.

Mit den Worten „ich muss mich noch einmal frisch machen gehen“, stand sie auf und schritt mehr oder weniger eine gerade Linie laufend auf ihren Stöckelschuhen in Richtung der sanitären Einrichtungen.

Während ich ihr hinterherblickte, stellte ich fest, dass die Hormonkiller nun endgültig das Feuer eingestellt hatten. Was für ein faszinierendes Weib! So eine Figur!

Auch bei mir zeigte der Wein seine Wirkung. Ich war direkt betrunken. Aber war das nur der Alkohol oder diese Frau? Ich verharrte schmachtend am Tisch und ließ meiner Phantasie freien Lauf, bis sie wieder erschien – in Kleidern. Natürlich in Kleidern, wir waren ja noch im Biergarten, in der Öffentlichkeit. Ich erwachte aus meinem Sekunden-Traum.

Ich wollte bezahlen.

„Ist schon erledigt“, sagte Traute.

„Aber ich wollte doch …“

Sie drückte ihren Zeigefinger auf meine Lippen. Ihre Augen blickten unwiderstehlich.

Von diesen Hormonkillern war aber wirklich auch nicht ein einziger mehr bei der Arbeit. In meinem Bauch ging es nun zu wie in einem Fußballstadion. Etwa gefühlte 100.000 Hormone bildeten eine La-Ola und skandierten „küss die Trau-te, küss die Trau-te!“

Aber ich traute mich nicht.

Sie hakte sich bei mir ein und wir gingen zur Straße. Ich rief ein Taxi.

„Darf ich Sie nach Hause bringen?“

„Nein“, sagte sie, „wir fahren zu Ihnen.“

Donnerwetter! Die geht jetzt aber ran wie Blücher; aber auch gut, dachte ich. Meine Bude war zwar nicht aufgeräumt, doch frisch Verliebte dürfte das ja nicht stören. Ich gab dem Taxifahrer meine Adresse. Während der Fahrt versuchte ich, ihre Hand zu ergreifen, was aber misslang. Sie entzog sie mir und umklammerte ihre Handtasche. Und da war er wieder, dieser strafende strenge Blick. Ach was, den ignorierte ich einfach. Endlich angekommen, durfte ich wenigstens die Taxe bezahlen: 16,50 €.

Als ich schon ausgestiegen war, um der Dame nach Art eines Kavaliers die Wagentür zu öffnen, tuschelte sie dem Taxifahrer noch etwas ins Ohr.

Sie schäkert mit ihm, dachte ich.

Vor meiner Haustür stehend suchte ich nach meinem Schlüssel.

„Klingeln bringt nichts“, sagte ich zu ihr, „es ist doch niemand zu Hause.“ Sie war nämlich gerade dabei, die Klingelschilder abzusuchen.

„Ich klingle ja auch nicht“, wandte sie ein und sagte knapp: „Gute Nacht, schlafen Sie gut!“

Ihre Worte trafen mich wie ein Keulenschlag.

Während ich benommen mit dem Schlüssel in der Hand wie angewachsen vor der Haustür stand, trippelte sie mit ihren hochhackigen Schuhen zum immer noch wartenden Taxi und fuhr davon.

3. Kapitel

Am nächsten Morgen erwachte ich auf der Couch, nur mit Socken und Unterhose bekleidet. Alles, aber auch wirklich alles schmerzte. Mit dem ausgestreckten Arm hätte ich mich am Kopf kratzen können, so dick fühlte der sich an. Warte, au warte, war mir schlecht. Ich musste mich übergeben und schaffte es gerade so zur Toilette. Danach ging es mir ein klein wenig besser, so etwa ein Prozent.

Zum Teufel, was stank denn hier so?

Auf dem Teppich lag eine umgekippte fast leere Whiskyflasche. Allein von dem Geruch wurde mir wieder übel.

Was war seit gestern Abend vorgefallen? Ich kann mich an nichts erinnern. Jedenfalls nur noch an wenig.

Ich ließ mich wieder auf die Couch fallen und wollte nachdenken. Aber der Gestank war nervig. Mit großer Mühe bückte ich mich, ergriff die Flasche und wollte sie in den Papierkorb neben der Küche werfen. Natürlich traf ich nicht. Die Flasche flog in die Küche und zerschellte dort auf dem Fliesenboden.

„Himmel, Arsch und Wolkenbruch!“, entfuhr es mir. (Bei besonders großer Erregung fluche ich wieder auf Deutsch.) Da die Pulle nun nicht nur das Zeitliche gesegnet hatte, sondern auch außer Reichweite meiner Nase war, ließ ich mich wieder nieder und versuchte erneut einen klaren Gedanken zu fassen.

Das Letzte, an das ich mich erinnerte, waren ein paar Beine, die in Stöckelschuhen in einem Taxi verschwanden. Danach muss ich gestorben sein, und das hier ist mein neues Leben. Also haben die Moslems doch recht!

Es klingelte an der Tür.

In dem Zustand konnte ich doch nicht die Tür aufmachen. „Wer ist da?“, es war mehr ein Knurren als ein Rufen. Ich war auch sehr heiser.

„Ich bin's, ich bringe Ihnen Ihre Hosen.“

„Meine Hosen?“ Unwillkürlich warf ich einen Blick zur Couch. Dort hätten eigentlich Hosen liegen müssen.

„Herr Andreas, nun machen Sie doch auf!“

Das war Frau Neumann aus dem ersten Stock. Ich bin also noch am Leben, denn Frau Neumann zählt garantiert nicht zu den sieben oder zehn oder weiß der Kuckuck wie viel Jungfrauen, die im Paradiese für mich sorgen würden.

Ich öffnete.

„Herr Andreas, Sie sehen aber gar nicht gut aus, soll ich Ihnen vielleicht etwas von meiner Fischsuppe bringen? Die wird Ihnen guttun!“

„Augenblick, Frau Neumann“, konnte ich noch gerade so herausbringen und musste wieder zum Klo rennen, um etwas anderes herauszubringen. Bei dem Gedanken an Fisch, fielen mir wieder die Tapas ein, und die sind heute Nacht garantiert nicht den üblichen Weg der Verdauung gegangen.

Nach etwa fünf Minuten stand ich wieder an der Wohnungstür. Frau Neumann stand auch immer noch da. Und mir stand alles bis zur Oberkante Unterlippe.

„Och, das tut mir ja so leid, Herr Andreas. Hier sind Ihre Hosen.“

„Meine Hosen? Wie kommen Sie zu meinen Hosen?“

„Na, wissen Sie denn nicht mehr? Sie wollten …“

Nein, ich wusste nicht mehr. Und ich wollte es nun doch nicht mehr wissen.

„Vielen Dank, Frau Neumann“, beendete ich vorzeitig eine vielleicht interessant zu werdende Geschichte, „ich werde mich bei Ihnen melden, wenn es mir besser geht.“ Ich schloss die Tür.

„Gute Besserung, Herr Andreas“, hörte ich noch von draußen.

Wie kam die Alte an meine Hosen?

Mann, Mann, Mann, muss ich besoffen gewesen sein!

Ich ging wieder zur Couch, der klaren Gedanken wegen, hatte mich kaum gesetzt, als es wieder klingelte.

„Pjerunje!“

Ich schleppte mich zur Tür.

„Wer da?“

„Gisela. Wir wollten doch einen zusammen trinken.“

Mit der? Nie im Leben! Mit der würde ich mich nicht einmal über das Münchner Oktoberfest schieben lassen.

„Ich kann gerade nicht, können Sie denn nicht ein andermal wiederkommen?“

„Ja, wollen Sie denn nicht Ihre Jacke wiederhaben?“

„Meine Jacke?“

„Nun machen Sie schon auf!“

Ich machte auf. Aber es war ein Fehler. Ein großer Fehler. Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich geritten hatte. Die wirst du nicht mehr los.

Draußen stand Gisela, in der einen Hand eine Flasche Asti Spumante und in der anderen meine Jacke.

„Eigentlich … ich bin im Augenblick … nun, Sie kommen etwas ungelegen … und auch nicht aufgeräumt“, stammelte ich.

„I wo, das stört mich nicht“, sagte Gisela und stratzte herein, wie eine gute alte Freundin.

„Iiiiii“, ein fürchterlicher Aufschrei, den ich wie einen schmerzenden Kopfschuss wahrnahm.

„Wie sieht es denn hier aus?“