Die Chroniken von Maradaine - Die Alchemie des Chaos - Marshall Ryan Maresca - E-Book

Die Chroniken von Maradaine - Die Alchemie des Chaos E-Book

Marshall Ryan Maresca

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Beschreibung

Veranix‘ Doppelleben hält ihn ganz schön auf Trab: Tagsüber ist er Student der Magie an der Universität von Maradaine, nachts macht er Jagd auf Verbrecher. Mit der Prüfungszeit im Nacken, beschließt Veranix bei der Verbrecherjagd vorerst etwas kürzerzutreten. Doch schon bald wird er von seinem ambitionierten Vorhaben abgelenkt, denn ein zwielichtiger Alchemist sorgt an der Universität für Angst und Schrecken, und Veranix scheint der Einzige zu sein, der ihn stoppen kann ...

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Seitenzahl: 515

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

Anhang

Danksagungen

Stadtkarte von Maradaine

Detailkarte von Maradaine

Über das Buch

Veranix’ Doppelleben hält ihn ganz schön auf Trab: Tagsüber ist er Student der Magie an der Universität von Maradaine, nachts macht er Jagd auf Verbrecher. Mit der Prüfungszeit im Nacken, beschließt Veranix bei der Verbrecherjagd vorerst etwas kürzerzutreten. Doch schon bald wird er von seinem ambitionierten Vorhaben abgelenkt, denn ein zwielichtiger Alchemist sorgt an der Universität für Angst und Schrecken, und Veranix scheint der Einzige zu sein, der ihn stoppen kann …

Über den Autor

Marshall Ryan Maresca wuchs im Staat New York auf und studierte Film und Videoproduktion an der Penn State Universität. Er hat bereits als Stückeschreiber, Bühnenschauspieler, Theaterintendant und Amateurkoch gearbeitet. Heute widmet er sich vor allem dem Schreiben seiner Romane um die Stadt Maradaine. Maresca lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Austin, Texas.

Marshall Ryan Maresca

Die Chroniken von Maradaine

DIE ALCHEMIE DES CHAOS

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Linda Budinger

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2016 by Marshall Ryan MarescaTitel der amerikanischen Originalausgabe: »The Alchemy of Chaos«Originalverlag: DAW Books, New YorkBy Arrangement with DAW Books, New York.

Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Diana Menschig, ViersenKarte: Markus Weber, Guter Punkt, Münchennach einer Vorlage von Marshall Ryan MarescaTitelillustration: © Christof GrobelskiUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.deunter Verwendung von Motiven von © Christof Grobelski

E-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6103-2

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

1. Kapitel

Der »Hundezahn« war eine Abscheulichkeit von Kneipe, ein Verhau aus Bauholz und Verputz, den man in eine Baulücke zwischen Ziegelhäusern an der Kreuzung von Cole und Hester hineingezwängt hatte. Bell war überrascht, dass die Universität diesen Schandfleck so nah am Campus duldete, doch bis jetzt hatte sie nichts dagegen unternommen. Womöglich war es ihnen ganz recht, wenn ein so offensichtlich gefährlicher und anrüchiger Ort gleich in Sichtweite lag. Das hielt alle bis auf die verwegensten Studenten davon ab, die Waterpath zu überqueren.

Soweit es Bell anging, konnte das gern so bleiben. Fenmere sah das genauso. Gewiss hätte er ein wenig Ärger mit der Universität verkraften können – aber es schadete auch nicht, wenn man die Probleme aus dieser Richtung so klein wie möglich hielt.

Vor einem Monat hatte Fenmere noch davon gesprochen, einen Fuß auf den Campus zu kriegen, ein paar Studenten anzuwerben, um für sie Drogen zu verticken. Da war gutes Geld zu holen. Aber in letzter Zeit hatte Fenmere nichts dergleichen mehr erwähnt.

Fenmere war überhaupt in letzter Zeit verdammt still gewesen, bis sich das vor ein paar Tagen plötzlich geändert hatte. »Nevins Jungs müssen zurückgebracht werden.«

Für so was war Bell eigentlich nicht zuständig, schon lange nicht mehr. Er wusste, dass er damit für den letzten Monat bestraft wurde, und wenn er mit ein wenig Großreinemachen sein Ansehen wieder aufpolieren konnte, wollte er sich nicht beklagen.

Der »Hundezahn« war der letzte lose Faden; hier hingen die beiden verbliebenen Straßenhändler von Nevin herum. Der Rest war ohne Probleme wieder unter ihre Fittiche gekommen. Verdammt, sie hatten sich regelrecht überschlagen. Sie brauchten das Geld, sie hatten Kunden an der Hand, die um jedes Fläschchen Effitte bettelten, das sie kriegen konnten. Das war gut, es trieb die Preise hoch. Die Leute zahlten inzwischen eine volle Krone fürs Fläschchen, manchmal sogar eine Krone fünf. Wenn in diesem Teil des Viertels wieder alles geregelt war, konnten sie die Preise auf demselben Stand halten, und die Leute würden liebend gern bezahlen. Mehr Geld für Bell und mehr für Fenmere.

Das sollte den alten Mann nun wirklich wieder glücklich machen.

Bell trat ein. Der Mief von schalem Bier und ungewaschenem Gesindel stieg ihm in die Nase. Sofort beschloss er, dass dies sein erster und letzter Besuch war. Er würde dafür sorgen, dass Nevins Jungs sich anderswo mit ihm trafen. Außerdem war es äußerst düster in der Kneipe. Bell fragte sich, ob das Absicht war oder der Besitzer einfach Lampenöl sparte.

Er trat zum Wirt, ein Mann wie ein Fass, mit einer Glatze und mehr Narben an den Händen, als Bell je gesehen hatte. »Lendle und Jemt?«

»Du meinst Lemt und Jendle?«, fragte der Wirt. »Wer will das wissen?«

»Ein Mann, der nicht erst hier reinkommen müssen sollte, um nach ihnen zu fragen.« Bell klopfte mit den Fingern auf den Tresen und sorgte dafür, dass der Wirt seinen Ring gut sehen konnte. Selbst dieser Abschaum in einem solchen Loch, dem Bodensatz von Dentonhill, sollte den Ring erkennen und wissen, dass nur ein enger Vertrauter Fenmeres es wagen würde, ihn zu tragen.

»Wird doch keinen Ärger geben, oder?«

Bell schaute sich um. Die Kaschemme war voll von Wichsern und Versagern, der Art Männer, die kaum den Tag überstanden, ohne mindestens eine Dosis Effitte und viele Becher dieses Gesöffs runterzukippen, das im »Hundezahn« ausgeschenkt wurde. »Ich nehm an, du bist Ärger gewohnt.«

»Es gibt den üblichen Ärger und echten Ärger«, antwortete der Wirt. »Mit dem üblichen komme ich klar. Aber mehr richtigen Ärger kann ich nicht brauchen.«

»Solltest du von mir auch nicht kriegen«, erwiderte Bell. »Solange mir keiner Ärger macht.«

Der Wirt wies auf eine Ecke, in der mehrere Tische zusammengeschoben worden waren. Dort spielten zwei Burschen Karten, umgeben von den – wohlwollend ausgedrückt – hübschesten Frauen im Saal. Tatsächlich hieß das nur, dass es die einzigen Frauen waren, die nicht so aussahen, als wären sie nur noch eine Dosis vom dauerhaften Effitte-Wachzustand entfernt.

»Meine Herren …« Bell trat zu ihnen an den Tisch. »Wenn Sie einen Augenblick Zeit für mich hätten, damit wir über ein paar Dinge reden können.«

»Wer zum Henker bist du?«, fragte einer von ihnen.

»Lemt oder Jendle?«, fragte Bell zurück. Die beiden sahen fast gleich aus, dunkles Haar, Bartgestrüpp, Pocken und Narben im Gesicht. Stämmig genug, um sich bei einer Prügelei zu behaupten, aber keine Kerle, die man als Schläger anheuern würde.

»Lemt«, gab der Mann zurück.

Bell hob die Hand, um seinen Ring zu zeigen, dann schlug er sie Lemt ins Gesicht. »Halt’s Maul und hör zu, der zum Henker bin ich.«

»He, Bruder, gibt keinen Grund für so was«, sagte Jendle. »Alles ganz lässig hier.«

»Lässig«, höhnte Bell. »Ihr zwei seid schon ein Paar Schwachköpfe, wisst ihr das?«

»Warum?«, fragte Lemt und hielt sich die Nase. »Alles lief gut bei uns, dann hat Nevin sich abmurksen lassen. Wir wissen nicht mal warum. Dann haben wir gar nichts mehr gehört.«

»Wir dachten, du weißt schon …«, sagte Jendle. »Wir dachten, nachdem Nevin weg ist, seid ihr fertig mit uns. Alles erledigt, weißt du?«

»Ich weiß gar nichts«, sagte Bell. »Nevins Jungs hingen ein paar Wochen in der Luft, klar. Aber der Handel muss laufen, und darum seid ihr zwei jetzt wieder im Geschäft.« Er zog ein kleines ledernes Notizbuch und einen Kohlestift aus der Westentasche.

»Wieder im …?«, stammelte Lemt.

Jendle beugte sich nach vorne. »Schau, wir haben uns gedacht …«

»Hört endlich auf zu denken«, fuhr Bell ihn an. »Denken ist was für die Bosse, nicht fürs Fußvolk oder Schläger.«

»Ja, aber …«, wandte Jendle ein. »Mit allem, was passiert ist, da dachten wir, dass wir Glück haben, dass wir noch leben. Dachten uns, wir blieben unauffällig und belassen es dabei.«

»Was ist denn passiert?«, fragte Bell.

Ein alter Mann, der einige Tische weiter saß, lachte meckernd. »Was sie sagen wollen, ist, dass sie ein paar hübsche Verräter sind!«

»Halt dein Maul, alter Gockel!«, schnauzte Lemt.

»Ihr beide!«, entfuhr es Bell. Plötzlich verstand er. »Ihr seid die zwei, die dem … die Nevin verpfiffen haben.« Beinahe hätte er den Namen ausgesprochen. Er hatte ihn seit fast einem Monat nicht mehr in den Mund genommen. Genau wie Fenmere.

»Das hast du nicht gewusst?« Jendle gab seinem Partner einen Stoß. »Ich hab dir gesagt, sie wussten es nicht.«

»Nein«, sagte Bell. »Wir wussten, dass ein paar von Nevins Jungs es getan haben, aber die Namen hat er für sich behalten. Ihr beide wart das also.«

»Und wie sie das waren!« Der alte Mann kicherte.

Jendle funkelte den Alten an, dann wandte er sich an Bell. »Und jetzt? Versenkt ihr uns im Fluss?«

»Nein«, sagte Bell. »Jetzt passiert Folgendes: Ihr zwei macht euch wieder an die Arbeit. Ihr werdet verkaufen, und ihr werdet dafür sorgen, dass ihr mindestens hundert Kronen die Woche heranschafft.«

»Hundert!«, entfuhr es Lemt. »Das ist unmöglich.«

»Jeder von euch«, fügte Bell hinzu. Er schrieb den Betrag unter ihre Namen in seinem Notizbuch und schob es zurück in die Westentasche. »Das werdet ihr tun, weil Nevin sich für euch verbürgt hat. Weil wir alles wieder aufbauen müssen, und ihr Jungs diejenigen seid, die das tun werden.« Er griff unter seinen Mantel und holte das Lederetui mit Effitte-Fläschchen heraus. Nicht allzu viele, natürlich, gerade genug, um diese Dummköpfe wieder an den Start zu bekommen.

»Ihr baut hier wieder was auf?« Es war der alte Mann, der die Frage stellte.

»Nicht deine Angelegenheit, alter Knacker«, sagte Bell. Dieser Alte ging ihm allmählich auf die Nerven. Er tappte mit den Fingern auf den Tisch und sorgte dafür, dass der Kerl seinen Ring sehen konnte. »Halt dich lieber raus.«

»Ach, meinetwegen.« Der alte Mann wandte sich seinem Most zu.

»Ihr beide geht zurück an die Arbeit und werdet an mich berichten.«

»Wir können nicht von hier aus arbeiten, Boss«, sagte Jendle. »Du weißt, dass er weiß, wer wir sind.«

»Wenn wir anfangen, wieder zu verkaufen, dann schnappt er sich uns.«

»Ihr sprecht über den …«, Bell schüttelte den Kopf. »Das ist nicht euer Problem, hört ihr? Ihr tut, was ich sage.«

Lemts Hände zitterten. »Das sagst du so leicht. Aber wer beschützt uns, wenn er hier reinstürmt?«

»Du weißt, über wen sie reden, was?«, fragte der alte Mann.

»Haltet die Klappe! Das wird nicht passieren.«

»Bei mir ist noch immer nicht alles wieder richtig, wenn ich aufs Klo geh«, jammerte Lemt.

»Also, was passiert dann, wenn er kommt?« Der alte Mann stand von seinem Stuhl auf, stützte sich auf einen Stock und humpelte heran. »Was wirst du tun, um deine Jungs hier zu beschützen, Bell, wenn der Dorn sie holen kommt?«

Bell zuckte zusammen. »Er wird nicht … wir werden … niemand hat ihn überhaupt gesehen, seit …«

»Hast du Angst vor dem Dorn, Bell?«

»Ich hab keine Angst vor irgendwas, ich bin …« Ihm wurde bewusst, dass er seinen Namen an diesem Ort niemals genannt hatte. »Woher weißt du, wie ich heiße?«

Der alte Mann beugte sich näher. »Weil du mein Lieblingsganove bist, Bell.«

Bell taumelte und stieß den Alten von sich, der lachend zu zerfließen schien und sich vor seinen Augen verwandelte. Falten glätteten sich, der weiße Bart schrumpfte zu einem spitzen, glatt rasierten Kinn. Die schäbige Kleidung wurde zu einer Weste mit elegantem, burgunderrotem Umhang. Aus dem Spazierstock wurde ein Kampfstab. Das Gesicht lag unter einer Kapuze verborgen, die einen unnatürlichen Schatten warf, gewiss ein weiterer Zauber, aber Bell wusste auch so, wer vor ihm stand. Der Dorn.

»Ach, zum Henker!«, rief der Wirt.

Bell griff nach seinem Schwert, aber der Dorn bewegte sich schneller, und plötzlich schlang sich dieses verdammte Seil um seine Hand. Aus dem Handgelenk warf der Dorn das andere Seilende um Jendles Hals und riss ihn nach vorn. Bells Faust und Jendles Gesicht flogen aufeinander zu.

»Du Mist…«, stieß Jendle vor dem Aufprall noch hervor.

Der Dorn holte mit dem Stab aus und stieß ihn auf Bells Bein, genau auf die Stelle, in die er vor einem Monat einen Pfeil hineingeschossen hatte. Bell brach zusammen, bevor er auch nur zucken konnte.

»Scheiße!«, schrie Lemt. »Hol jemand ’ne verdammte Notrufpfeife! Ruft die Knüttel!«

»Klar.« Der Dorn schwang den Stab und ließ ihn gegen Bells Kopf krachen. »Kaum bin ich hier, schon seid ihr alle dicke mit den Konstablern.«

Bell versuchte, nach den Beinen seines Gegners zu greifen, doch er schwankte noch vom letzten Schlag. Der Dorn sprang auf den Tisch und drückte Lemt mit dem Stab gegen die Wand.

»Ihr anderen, genießt euer Bier«, sagte der Dorn. »Ich hab mich heute nicht auf euch eingeschossen.«

»Ich schieß dir gleich einen rein!« Der Wirt zog eine Armbrust unter dem Tresen hervor. Fast blindwütig schoss er in den Raum und traf statt den Dorn Lemt in den Arm.

Das Seil peitschte durch die Schankstube und riss dem Wirt die Armbrust aus den Händen. »Vorsichtig mit solchen Spitzen, Meister. Das ist nun wirklich unter Ihrer Würde!«

Er sprang vom Tisch und landete auf Bell, trieb ihm die Luft aus den Lungen und stieß ihn wieder zu Boden. Während Bell benommen dalag, berührte der Dorn ihn kurz und sprang davon. Der Mistkerl war fort, bevor Bell etwas tun konnte, um ihn aufzuhalten.

»Was das angeht«, sagte der Dorn und hielt das Lederetui mit Effitte in die Höhe. »Das wird niemandem mehr schaden.« Es verging in einer grellen blauen Flamme.

»Dafür wirst du …«, stieß Bell keuchend hervor. »… wirst du …« Er kämpfte sich auf die Knie. Ganz aufzustehen stand außer Frage.

Der Dorn hob den Stab auf. »Du wirst Fenmere ausrichten, dass ich ihn nicht vergessen habe.«

Der Stab krachte in Bells Gesicht. Er war völlig benebelt. Als nächstes bekam er mit, dass Jendle und der Wirt ihn auf die Füße zogen.

»Ich hab’s dir gesagt.« Jendle presste sich einen Fetzen auf die blutige Nase.

»Ich wollte keinen Ärger«, brummte der Wirt.

Der Dorn war verschwunden.

»Verdammt«, murmelte Bell. Er stieß die beiden von sich und klopfte sich so gut es ging die Kleidung ab. Ein schwächlicher Versuch, so viel Würde wie möglich zu bewahren. Als er mit den Händen über die Weste strich, überkam ihn Panik. Er prüfte beide Taschen, suchte auf dem Boden, schaute zum Tisch. Nichts. Sein Notizbuch war weg.

Dafür würde Fenmere ihn zum Frühstück verspeisen.

*

Colin Tyson hasste es, das Gebiet der Prinzen zu verlassen, nicht mal mehr in Aventil zu sein. Das Dach an der Ecke von Helter und Necker gehörte zu Fenmeres Revier. Nicht, dass man ihn hier bemerken würde. Er hatte Jutie oder Tooser nicht mitnehmen können, und das lag nicht nur daran, dass Tooser nicht klettern konnte. Er hätte den beiden sein Leben anvertraut, erst recht, seit Hetzer tot war; aber gerade wegen Hetzer durfte er sie nicht mit hineinziehen. Er hatte wegen dieser Sache schon einen guten Freund verloren.

Von hier oben hatte er einen recht guten Blick auf den »Hundezahn«, auch wenn Colin sich ein Fernglas gewünscht hätte, um mehr Einzelheiten zu erkennen. Er konnte nur hoffen, dass nichts schieflief. Falls Veranix in Schwierigkeiten geriet, würde Colin zu lange brauchen, um hinunter auf die Straße und rüber zum »Hundezahn« zu gelangen. Außerdem würde er damit die Frage provozieren, warum der Dorn Hilfe von jemandem bekam, der die Tätowierung der Prinzen am Arm trug, und das würde am Ende unweigerlich zu ihm führen.

Verdammt, es konnte Fenmeres rasenden Zorn auf die Prinzen lenken.

Leute rannten aus dem »Hundezahn«. Also gab es Ärger dort drinnen. Die Frage war nur, hatte Veranix Ärger oder war er derjenige, der Ärger machte?

Weitere Leute liefen nach draußen und flohen in alle Richtungen. Was immer im »Hundezahn« passierte, offenbar wollte niemand in der Nähe bleiben und zuschauen.

Dann kamen die Knüttel herbeigeeilt. Das war schnell. Sie mussten gewusst haben, dass einer von Fenmeres bevorzugten Handlangern dort drin war.

Veranix verschwand da besser, bevor die Knüttel reinkamen. Ein Streit mit denen war das Letzte, was er brauchen konnte.

»Gibt’s was zu sehen?«, flüsterte Colin eine Stimme direkt ins linke Ohr. Er schlug aus und traf nur Luft. Er wirbelte herum. Veranix saß ein paar Fuß entfernt. Der Schatten, der in seiner Rolle als Dorn sein Gesicht verhüllte, löste sich auf, und sein vertrautes Grinsen wurde sichtbar.

»Zum Henker, wie lang bist du da drin gewesen?«

»Gar nicht lang«, erwiderte Veranix. »Verdammt, ich bin abgehauen, sobald ich konnte.«

»Gut. Verdeck dein Gesicht. Es ist eine Sache, wenn ich mit dem Dorn gesehen werde, aber eine ganz andere, wenn man uns beide zusammen sieht.« Colin und Veranix glichen einander nicht sehr, doch sie beide hatten genug Ähnlichkeit mit ihren Vätern, dass jemand von der alten Garde eins und eins zusammenzählen konnte, wenn er sie gemeinsam erblickte. Veranix’ Gesicht versank wieder im Schatten.

»Also, was ist passiert?«

Veranix kam auf die Füße und streckte sich. »Du hattest recht. Unser Freund Bell hat Nevins alte Händler abgeklappert. Ich hab sie daran erinnert, dass ich sie im Auge behalte. Hab die Vorräte zerstört, die er ihnen geben wollte.«

»Wie viel?«

»Alles, was er hatte. Kleinkram. Aber es setzt ein Zeichen.«

»Ein Zeichen«, spottete Colin. »Ist das der Quatsch, den sie dir an der Uni beibringen?«

»Unter anderem«, erwiderte Veranix. »Wie spät ist es?«

»Irgendwann zwischen acht und neun. Du musst zurück?«

Veranix verzog nachdenklich das Gesicht. »Vielleicht.«

»Vielleicht?«

»Das ist meine erste echte freie Nacht seit … nun, seit dem Lagerhaus.« Veranix brach ab. Colin wusste, warum; er sprach von der Nacht, in der Hetzer gestorben war.

»Und das bedeutet?«, fragte er.

»Es bedeutet, dass ich morgen früh um sechs auf den Campus spazieren könnte, ohne dass jemand einen Pfifferling drauf gibt.« Wieder folgte verlegene Stille.

»Aber?«, ermunterte Colin seinen Vetter. »Dein Professor schindet dich immer noch?«

»Er will mich sehen und … ist nicht wichtig. Hauptsache, ich sehe um acht frisch und ausgeruht aus. Ich muss also nicht gleich nach Hause laufen, aber ich kann mir auch nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen.«

»Nun, ich kann mich auch nicht ewig hier auf den Straßen von Dentonhill rumtreiben.«

»Andererseits …«, Veranix griff in seine Tasche, »… wäre es eine verdammte Schande, die Nacht zu vergeuden, wenn wir das hier haben.« Er zog ein kleines, ledergebundenes Notizbuch heraus.

»Was ist das?«

»In diesem kleinen Ding hier hat mein guter Freund Bell niedergeschrieben, wem er Effitte vorbeigebracht hat. Da sind eine Menge Namen zu finden, nehme ich an.« Er blätterte durch die Seiten und blickte viel zu selbstzufrieden drein.

»Du …«, setzte Colin an und merkte, dass er lauter wurde, als auf dem Dach eines Mietshauses in Dentonhill gut war. »Du redest von ›Zeichen‹, wenn du auch was Handfestes hast?«

»Ich wollte nicht angeben«, sagte Veranix. Im Mondlicht las er: »Hockley, Briars, Nennick, Keckin, Sotch … Jendle und Lemt, natürlich … wem könnte ich heute noch einen kleinen Besuch abstatten?«

»Moment.« Ein paar der Namen hallten in Colins Kopf nach. »Hast du Keckin und Sotch gesagt?«

»Ja«, antwortete Veranix. »Du kennst sie?«

»Das sind Gassenkapitäne bei den Roten Karnickeln, glaube ich.« Nicht, dass er bei den Roten Karnickeln jemanden näher gekannt hätte. Diese Scheißkerle versuchten ständig, am Revier der Prinzen zu knabbern, vor allem an der Orchid und am Cantarell-Platz.

»Karnickel?« Veranix’ Gesicht verdüsterte sich, buchstäblich. Der Schatten breitete sich um ihn weiter aus. »Er überquert die Waterpath.«

»Entspann dich«, sagte Colin. »Kann ich jetzt echt nicht brauchen, dass du mit irgendwelcher verrückten Magie hier durchdrehst.«

Der Schatten verschwand, als Veranix sich wieder in den Griff bekam. Er wirkte selbst überrascht. »Entschuldige. Ich … erinnere mich. Die Karnickel treffen sich gern im ›Treuen Freund‹, stimmt’s? Ecke Busch und Carnation?«

Veranix wollte das wirklich durchziehen.

»Gut, wart mal einen Augenblick. Bevor du dich auf die Karnickel stürzt, lass mich wenigstens aus der Schusslinie kommen. Auf den Straßen gibt’s jetzt schon zu viel Gerede über eine Verbindung zwischen dem Dorn und den Prinzen.«

»Dann sorg dafür, dass es weniger wird«, sagte Veranix. »Wenn Fenmere herausfindet, wer ich wirklich bin …«

»Ich versuch’s ja.«

Veranix war kein Rosenprinz, hätte aber gut einer werden können, wären die Dinge anders gelaufen. Colin hätte sich gerne offen zu seinem Vetter bekannt, mit einer tätowierten Rose auf ihrer beider Arme. Doch er hatte Veranix’ Vater versprochen, dass er für seine Sicherheit sorgen würde, dafür, dass Vee sein Studium abschloss. Das hatte er auf die Rose Street geschworen, und so einen Eid würde er niemals brechen. »Aber ich kann es nicht einfach nur immer heftiger abstreiten, ohne dass es erst recht auffällt.«

»In Ordnung. Was brauchst du?«

»Gib mir eine Stunde, damit ich in die ›Kehre‹ komme und alle sehen, wie ich ein paar Bier trinke. Wenn du dann den Karnickeln die Ohren langziehst, kann niemand behaupten, dass ich etwas damit zu tun hätte.«

»Das sollte möglich sein«, sagte Veranix. »Ich wollte ohnehin noch meinen Bogen holen.«

Wieder hüllten die Schatten ihn ein, ließen ihn mit der nächtlichen Dunkelheit verschmelzen, und im nächsten Moment war er verschwunden.

Colin durfte keine Zeit verschwenden, um zur »Kehre« zu gelangen. Das Bier dort würde er brauchen, keine Frage.

*

»Du bist viel zu früh zurück«, stellte Kaiana fest, sobald Veranix zu ihr ins Kutscherhaus kam. Er hatte damit gerechnet, dass sie auf ihn wartete, allerdings hatte er geglaubt, sie würde sich freuen, ihn zu sehen.

»Warum sagst du das?«, fragte er. »Sollte ich nicht auf meinen Schlaf vor den Prüfungen achten?«

»Sehr witzig«, sagte Kaiana. »Du hast morgen früh keine Prüfung.«

»Nein«, bestätigte er, obwohl sein Treffen mit Professor Alimen morgen irgendwas mit seiner Prüfung in Angewandter Magie zu tun haben sollte. In Bezug auf die Einzelheiten war Alimen allerdings frustrierend vage geblieben. »Aber ich muss wirklich noch für meine Geschichtsprüfung am Nachmittag lernen.«

»Tisch mir nicht diese Scheiße auf.« Der Blick ihrer dunklen Augen schien ihn zu durchbohren. »Ist es schlecht gelaufen?«

»Nein, es lief wunderbar. Hab ein wenig Effitte vernichtet, ein paar Jungs im ›Hundezahn‹ vermöbelt und Fenmeres Laufburschen ein Notizbuch gestohlen.« Er warf ihr das Büchlein zu. »Nicht schlecht, würde ich sagen. Normalerweise würde das schon reichen, um vor zehn Feierabend zu machen.«

»Du warst seit Wochen nicht mehr richtig da draußen.«

Damit setzte Kaiana ihm zu, seit er den Zirkel der Blauen Hand aufgehalten hatte. Dass er da draußen sein sollte, dass er die Leute spüren lassen musste, dass der Dorn aufpasste. Dass er mehr tun, Fenmere jede Nacht zusetzen musste.

»Glaubst du, ich wüsste das nicht?«

»Es scheint dich jedenfalls nicht sehr zu interessieren«, befand sie. »Dabei hast du eine Verantwortung.«

Ihm war klar, dass sie ihn nur aufzog. Immerhin wusste sie allzu gut, dass Alimen Veranix seit jener Nacht an der kurzen Leine hielt, und dass er Fenmere lieber heute als morgen zur Strecke gebracht hätte.

»Nun denn«, sagte Veranix. »Dann passt es doch ausgezeichnet, dass ich nur zurückgekehrt bin, um meinen Bogen und meine Pfeile zu holen.«

Sie hob eine Augenbraue. »Tatsächlich?«

Er ging zu dem Pferdeverschlag, wo eine Falltür hinab in die Spinnenpassage führte. »Da stehen eine Menge Namen in diesem Buch. Aber zwei von ihnen – Keckin und Sotch – sind Kapitäne der Roten Karnickel.«

»Rote Karnickel?«, fragte sie.

»Eine der Banden von Aventil«, sagte er. »Du musst dir diesen Kram wirklich mal merken.« Er zog seinen Bogen – genau genommen den Bogen seines Vaters – und den Köcher hervor und streifte sich beides über.

»Meinetwegen. Du jagst jetzt also Karnickel?«

»Wenn die Karnickel Fenmeres Dreck über die Waterpath lassen, dann ist das eine Sache, um die sich jemand kümmern muss. Unmissverständlich.«

Sie schenkte ihm ein winziges Lächeln. »Das ist wahr.«

Er ging zur Tür. »Hast du Delmin heute Abend gesehen?«

»Nein. Ich bin mir sicher, der lernt wirklich. Brauchst du ihn für irgendwas?«

»Seine Mitschriften in Geschichte.« Veranix zwinkerte ihr zu. »Ich muss mich echt noch auf diese Prüfung vorbereiten.«

Damit verschwand er in die Nacht hinaus.

2. Kapitel

Der Cantarell-Platz, namentlich die Ecke Busch und Carnation, war der richtige Ort, um mit der Suche nach ein paar Karnickeln zu beginnen. An dieser Grünanlage grenzte ihr Revier sowohl an das der Rosenprinzen als auch an das Territorium der Waisen von der Waterpath. Dank ihrer Vorliebe für lächerliche fellgesäumte Jacken sollten sie nicht allzu schwer auszumachen sein.

Dennoch war Veranix sich unsicher, wie er vorgehen sollte. Sein erster Impuls war, einfach die Tür vom »Treuen Freund« einzutreten und so lange Karnickelzähne auszuschlagen, bis er die Kerle bekam, die er haben wollte. Leider funktionierte das in der Realität nie so gut, wie in seinem Kopf.

Außerdem standen zwei echte Klötze vor dem »Treuen Freund«. Im Gegensatz zum bevorzugten Treffpunkt der Prinzen, der »Kehre«, konnte hier nicht jeder hineinmarschieren. Und die zwei Burschen behielten den Cantarell-Platz im Auge, als würden sie Ärger erwarten. Vielleicht lag das daran, dass auf dem Platz vor einer der Statuen drei weitere Gestalten herumlungerten. Veranix tippte auf Waterpath-Waisen, aber auch nur, weil er wusste, dass es keine Prinzen waren. Die hätten die Ärmel hochgerollt und ihre Tätowierungen präsentiert.

Veranix kauerte nahe der niedrigen Mauer des Platzes, von seinem Napranium-Mantel getarnt, dessen Numina-sammelnde Eigenschaften seine eigene Magie verstärkten. Er brauchte einen Plan. Konnte er die Schläger vor der Tür auf die Waisen hetzen? Oder die Waisen auf die Schläger? Nein, das mochte etwas viel Schlimmeres auslösen, einen echten Krieg zwischen den beiden Banden. Weder er noch Aventil konnten so was gebrauchen.

Etwas Einfaches. Etwas Direktes. Was aber nicht notwendigerweise dazu führte, dass er sich mit den beiden Riesenkarnickeln an der Tür prügeln musste. Er war ratlos. Sie würden ihn sicher nicht reinlassen, nur weil er nett danach fragte.

Nun, sie würden Veranix Calbert, den einfachen Uni-Studenten, nicht hereinlassen. Beim Dorn sah es möglicherweise anders aus. Also: einfach, aber mit Stil!

Er zog Numina durch seinen Mantel und lenkte es in seine Beine, dann sprang er hoch in die Luft bis über das Gebäude des »Treuen Freundes«. Unterwegs ließ er die Tarnung fallen und tauchte in seiner vollen Aufmachung als Dorn wieder auf. Er achtete darauf, dass die Illusion einer Kapuze über seinem Gesicht erhalten blieb. So landete er unmittelbar vor den beiden Türstehern.

»Meine Herren, ich glaube, Sie wissen, wer ich bin. Sind die Herren Keckin oder Sotch verfügbar? Ich würde gern ein Wörtchen mit ihnen reden.«

Die beiden waren einen Augenblick sprachlos, dann griff einer der beiden nach seinem Knüppel. Der andere hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. »Ich glaub nicht, dass du das tun willst.« Er blickte Veranix an. »Keckin? Sotch? Was, wenn sie nicht hier sind?«

»Dann schau ich mich anderswo nach ihnen um. Bis ich sie gefunden hab.«

Der hellere der beiden Schläger – er sah wenigstens so aus, als hätte er etwas Verstand zwischen den Ohren – schaute zur Tür des »Treuen Freund«. »Es ist meine Haut, die auf dem Spiel steht, wenn ich dich da reinlasse, verstehst du?«

»Also, was schlägst du vor?«, fragte Veranix. Der Bursche wollte ihm entgegenkommen, das hörte er an dessen Stimme. Gut.

»Ich hab keine Ahnung, ob einer von den zweien da ist. Aber wie wär’s, wenn ich nachschaue, und wenn sie dort sind, schick ich sie raus?«

»Klingt gut«, sagte Veranix. Immerhin wusste er selbst nicht, nach wem er eigentlich suchte. Eines bestätigte sich allerdings: Keckin und Sotch waren Karnickel, und der Bursche kannte sie. »Lass dir nicht zu viel Zeit.«

Der schlauere Türsteher nickte seinem Kumpel kurz zu und ging hinein.

Der Trotteligere ließ nach wie vor die Hand auf dem Knüppel ruhen. Er kniff die Augen zusammen, betrachtete Veranix und bewegte den Kopf hin und her. »Deine Kapuze sieht nich’ normal aus.«

»Wohl nicht.«

Der Kerl musterte Veranix von allen Seiten. »Scheint fast so, als wär die Kapuze dein Gesicht. Wie funktioniert das?«

»Zauberei.«

Der Schläger trat einen Schritt zurück.

Der gewitztere Türsteher kam nicht allein wieder. Er hatte mindestens ein Dutzend Roter Karnickel bei sich, und das Paar ganz vorne trug Winkel auf die pelzgesäumten Mäntel genäht, dazu genau dieselben Abzeichen auf den Hals tätowiert. Das mussten die Kapitäne sein.

»Ich dachte schon, du machst Witze, Binny«, sagte einer der Kapitäne. »Der Dorn persönlich vor unserer Tür.«

»Stets zu Diensten!« Veranix deutete eine elegante Verbeugung an. »Und du bist Keckin oder Sotch?«

»Ich bin Keckin, sie ist Sotch«, sagte der Kapitän. »Und das hier sind ein paar von unseren Jungs.«

Keckin betonte die Worte, als wollte er unzweifelhaft deutlich machen, dass in der Schankstube noch mehr warteten.

»Dann verzeiht bitte, dass ich mir heute nicht alle vorstellen lasse«, sagte Veranix. »Lasst uns stattdessen über einen gemeinsamen Freund reden, den wir anscheinend haben. Einen etwas zu groß gewordenen Botenjungen namens Bell.«

»Was kümmert es dich, mit wem wir Geschäfte machen?«, fragte Sotch.

»Du versuchst nicht einmal, es abzustreiten«, sagte Veranix. »Respekt.«

»Wir brauchen deinen verdammten Respekt nicht«, entgegnete Keckin. »Du kannst dich verpissen.«

»Es ist nur leider so: Wenn ihr Geschäfte mit Bell macht, macht ihr Geschäfte mit Fenmere.« Veranix sah, wie einige der Karnickel im Hintergrund zusammenzuckten, als er den Namen erwähnte. »Und wenn ihr Effitte für ihn vertickt … dann bekommt ihr ein Problem mit mir.«

»Ach, du willst über Probleme reden«, sagte Keckin. »Davon hast du dir nämlich gerade einen Haufen gemacht.«

»Seltsam«, sagte Veranix. »Ich hab doch einfach nur hier gestanden.«

Sotch kicherte; ein sonderbares, schrilles Kichern. »Hab sagen hören, dass Fenmere jedem gegenüber sehr wohlwollend wäre, der dich ausliefert.«

»Da hast du wohl recht, Sotch«, sagte Veranix. »Damit könntest du sein liebstes Schoßhündchen werden.«

Sotch zischte, und der Knüppel des Türstehers sauste auf Veranix’ Kopf zu. Veranix hob den Stab, um zu parieren, aber noch bevor die Waffen aufeinandertrafen, zuckte die Hand des Schlägers, und er ließ den Knüppel fallen. Der Kerl schrie vor Schmerz auf, was nur logisch war, da ein Messer in seinem Arm steckte.

»Rose Street!«, schallte eine helle Stimme über den Platz. Colin war es nicht.

Veranix sprang mit einem Rückwärtssalto von dem Karnickelhaufen fort und riss sein Seil vom Gürtel. Es war mit Napranium verwoben, genau wie der Mantel, und es war einfach, Numina hindurchzulenken. Leicht zu kontrollieren.

Zu leicht, sich davon abhängig zu machen.

Er ließ das Seil nach vorn schnellen und wickelte es um das Bein des trotteligen Türstehers. Mit einem Ruck zog er den Kerl zur Seite und kegelte so die Hälfte der Karnickel von den Füßen.

Veranix holte das Seil ein und griff nach dem Bogen, während die Karnickel noch damit beschäftigt waren, sich zu sortieren. Drei Schüsse in schneller Folge nagelten die dämlichen Karnickelkutten an der Treppe vor dem »Treuen Freund« fest. Bevor der Rest sich wieder ganz erholt hatte, sog Veranix rasch ein wenig Numina ein und ließ mit einem magischen Schlag weitere Karnickel gegen die Wand ihrer Stammkneipe krachen.

Diejenigen, die noch standen, hielten nun ihre Messer und Knüppel in der Hand, aber Veranix war längst mehrere Schritte zurückgewichen und zielte mit einem Pfeil auf Keckins Brust.

»Erlauben Sie mir bitte, meinen Standpunkt deutlich zu machen, meine Herren«, erklärte er mit ruhiger Stimme. »Wenn Sie es Fenmere ermöglichen, hier in Aventil Fuß zu fassen, werden Sie handfeste Probleme mit mir bekommen.«

Noch bevor Keckin ein verständliches Wort hervorbrachte, wurde er von einem schrillen Pfeifen vom Platz her unterbrochen.

Die Konstabler.

*

Eine Sache war Leutnant Benvin im letzten Monat klar geworden: Er war der einzige Mensch in ganz Maradaine, der sich auch nur einen Dreck darum scherte, wie gut er seine Arbeit erledigte. Hauptmann Holcomb war vollkommen zufrieden damit, auf seiner Wachstube zu hocken. Die Frage, was Benvin gegen das Bandenunwesen auf den Straßen unternahm, hätte ihn kaum weniger interessieren können, weder in die eine noch in die andere Richtung. Aber immerhin bedeutete das, dass der Mann nicht offen korrupt war, und das konnte man von den meisten der anderen Leutnants oder Streifenbeamten der Wache in Aventil nicht behaupten.

Er wusste gar nicht, ob sich irgendwer von ihnen wirklich bestechen ließ. Nach allem, was er von diesen Banden in Aventil gesehen hatte, schienen sie nicht in der Lage zu sein, jemanden zu bestechen. Aber etwas brachte seine Kollegen dazu, Benvin bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufzuhalten.

Die Bewohner im Viertel waren keinen Deut besser. Da waren natürlich die Banden selbst. Doch der Rest der Bevölkerung duldete sie nicht nur, sondern hieß sie regelrecht willkommen. Wenn einer ein Problem hatte, wandte er sich nicht an die Wache. Das war das Letzte, was die Leute wollten. Nein, sie riefen einen Rosenprinzen oder eine Waterpath-Waise oder irgendeinen anderen verdammten Taugenichts.

Es gab ein paar Streifenbeamte, die sich gleich auf Benvins Seite schlugen. Allerdings stellte sich rasch heraus, dass die meisten einfach nur Spaß dran hatten, die Straßenkinder mit dem Schlagstock zu vermöbeln, ein paar Münzen aus ihnen rauszuschütteln oder die Mädchen anzugrabschen. Sie waren nicht besser als die Straßenbanden, nur dass sie Grün und Rot trugen. Benvin konnte keinen von ihnen gebrauchen.

Also verkleinerte er seine Truppe bis auf fünf zuverlässige Streifenbeamte und zwei Anwärter. Diejenigen, auf die er vertrauen konnte. Die das Richtige taten. Die vom Rest der Wache gemieden worden waren. Er machte sie zu seinen Leuten.

Das war nicht viel, aber es war alles, was er in Aventil bekommen konnte. Die Heiligen wussten, dass keiner der Bezirkshauptleute oder gar der Hohe Kommissar Enbrain ihm weitere Unterstützung zukommen lassen würden.

Es spielte keine Rolle. Benvin hatte vor, seine Pflicht zu tun, und das richtig. Er würde jede einzelne Bande in diesem Viertel zerschlagen und die Gegend säubern. Er würde klein anfangen, als Erste die Roten Karnickel zur Strecke bringen, nur um jedem zu zeigen, dass er dazu in der Lage war.

Heute Abend allerdings ging es noch nicht um die Karnickel. Heute Abend würden sie den Mostschmuggel der Waisen zerschlagen. Das war Kleinkram, den Ärger kaum wert. Aber genau deswegen wollte er dem ein Ende setzen: Keine Verschwörung, kein Schmuggelring, kein Verbrechen war zu gering.

Also saß Benvin mit Kadett Jace im Wagen an der Nordwestecke des Cantarell-Platzes und spähte durchs Fernglas. Arch, Pollit und Tripper lungerten auf dem Platz herum und warteten auf ihren Auftritt, während der Rest der Jungs in Stellung war, um rasch einzugreifen. Die Waisen, auf die sie es abgesehen hatten, näherten sich gerade mit ihrem Handwagen voller geschmuggeltem Most.

Da schrie jemand »Rose Street!«, und alles zerfiel in ein riesiges Durcheinander.

Benvin brauchte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, was überhaupt los war, und zu diesem Zeitpunkt suchten die Waisen bereits das Weite. Pollit und Tripper rannten hinterher, während Arch sich verwirrt umschaute.

Aber das eigentliche Geschehen spielte sich auf der anderen Seite des Platzes ab, wo die Karnickel sich eine Schlägerei lieferten. Ein ausgewachsenes Handgemenge. Gegen wen? Die Prinzen? Einen Prinzen?

Nein, es war er.

Der Dorn.

Benvin sprang vom Wagen und blies in seine Trillerpfeife, während er über den Platz stürmte.

Als er die halbe Strecke zurückgelegt hatte, schloss Arch zu ihm auf und rannte, so schnell er konnte.

»Dorn?«, stieß er hervor und rang nach Luft.

»Dorn«, zischte Benvin zurück. Dieses Wort stand ganz oben auf ihrer Tafel neben Benvins Schreibtisch im Wachgebäude, in großen Buchstaben und mehrmals unterstrichen.

Der Dorn hatte sich inzwischen von der Gruppe der Roten Karnickel gelöst und schoss blindlings einen Pfeil zwischen sie, um sie auseinanderzutreiben. Er tat zwei Schritte auf den Cantarell-Platz, änderte jedoch abrupt die Richtung, sobald er Benvin und Arch entdeckte.

Arch hob die Armbrust und schoss, verfehlte sein Ziel aber deutlich. Und dann verblasste die Gestalt des Dorns plötzlich und war nicht mehr zu sehen.

»Was zum Henker?«, entfuhr es Arch. »Wie hat er …«

Benvin nahm eine schemenhafte Bewegung wahr, die in einer Seitengasse verschwand. »Da!«

Er wandte sich in diese Richtung und hob seine Armbrust. Die Gestalt rannte durch die Gasse. Benvin schoss einen Bolzen mit abgestumpfter Spitze darauf ab.

Der Bolzen traf, und mit einem Aufschrei verwandelte der Schemen sich zurück in einen verhüllten Menschen. Er taumelte die Gasse entlang und gab Benvin die Gelegenheit, seine Armbrust neu zu laden und den Abstand zu verringern.

»Stehen bleiben! Sie sind festgenommen!«, rief er, als der Dorn herumwirbelte und seinen Bogen spannte.

*

Sich der Armbrust eines Konstablers gegenüberzusehen, passte nicht in Veranix’ Pläne.

»Festgenommen?«, fragte er den Beamten – ein Leutnant, seinem Kragen nach zu urteilen – und tat sein Bestes, um die Illusion einer Kapuze aufrechtzuerhalten. Das war nicht einfach bei dem Schmerz, der in seinem Rücken wütete. Die Spitze mochte stumpf gewesen sein, doch der Treffer brannte wie Feuer. »Ich bin nicht der, den Sie haben wollen.«

»Ich weiß genau, wer du bist«, sagte der Leutnant und kämpfte gegen das Zittern in der Hand, mit der er die Armbrust hielt. »Du wirst in eine Zelle wandern.«

»Sie jagen lieber hinter mir her als hinter einem Dutzend Karnickel?«

»Karnickel bringt man im Dutzend zur Strecke.« Der Leutnant lächelte ein wenig. »Du bist etwas Besonderes. Jetzt lass den Bogen fallen.«

»Lassen Sie Ihre Armbrust fallen«, entgegnete Veranix. »Ich hab keine stumpfen Spitzen.«

Natürlich hatte er nicht die Absicht, einen Leutnant der Wache zu erschießen. Er würde Fenmeres Leute töten, oder andere Effitte-Händler, wenn es sein musste. Knüttel waren eine ganz andere Sache. Die meisten von ihnen waren aufrichtige Männer, die versuchten, das Richtige zu tun. Dieser Leutnant hielt sich wahrscheinlich für so einen.

»Ich habe drei weitere Männer hinter mir, die jeden Augenblick hier sein werden. Die schießen auch nicht mit stumpfen Spitzen.«

Er rechnete mit Verstärkung. Deswegen achtete er nicht sonderlich auf die Person, die von hinten auf ihn zukam und bei der es sich definitiv nicht um einen Knüttel handelte. Zu jung und zu dürr.

»Tut mir leid, Leutnant«, sagte Veranix. »Das ist nicht Ihre Nacht.«

Der dürre Jüngling hob einen Totschläger und ließ ihn gegen den Kopf des Leutnants knallen. Dieser sackte in sich zusammen wie ein Mehlsack.

»Nimm das!«, schrie der Junge und lachte dabei.

Veranix war nicht sicher, ob er den Bogen sinken lassen sollte.

»Du kannst dort nicht lang, Dorn«, sagte der Junge. »Das ist ’ne Sackgasse mit ’ner Tür zu ’nem Karnickelbau am Ende.« Er blinzelte und hob den Arm, zeigte seine Tätowierung. Ein Rosenprinz.

»Dein Messer?«, fragte Veranix.

»Verdammt, ja!«

Trillerpfeifen. Der Leutnant stöhnte und versuchte, sich aufzurichten.

Veranix schob den Bogen über die Schulter. »Keine Zeit für lange Reden.« Er nahm sein Seil und ließ das Ende zum Dach hochschnellen, während er nach dem Arm des Prinzen griff. »Halt dich fest.«

Weitere Konstabler stürmten in die Gasse, als er sie beide vom Seil auf das Dach hinaufziehen ließ.

»Verdammt!«, schrie der Prinz, als ihre Füße auf der Regenrinne aufsetzten. »Wie willst du …«

»Wart’s ab, Junge.« Der Prinz war vermutlich nicht jünger als er, doch es gab keinen Grund, ihn das wissen zu lassen. Veranix nahm sich einen Moment Zeit, um mehr Numina zu sammeln – er würde eine Menge magischer Energie benötigen, um das durchzuziehen. Dann sprang er mit Anlauf vom Dach ab und zerrte den Prinzen mit sich.

Beide flogen über den Cantarell-Platz hinweg und landeten sanft vor einer Seitengasse der Hedge Lane, auf halbem Weg zwischen Orchid und Rose Street.

Diesmal brachte der Prinz nicht mal mehr einen Fluch heraus. Er sah eher aus, als hätte er sich in die Hosen gemacht.

»Alles gut?« Veranix verbarg nach Kräften seine Erschöpfung. Er wusste, dass er seine Grenze inzwischen überschritten hatte. Das Seil und der Mantel mit ihrer Fähigkeit, für ihn Numina zu sammeln, machten diese Grenzen weniger deutlich, aber Veranix hatte mittlerweile gelernt, die Erschöpfung unter den geliehenen Kräften hindurch wahrzunehmen. Er durfte nicht zu abhängig von diesen Gegenständen werden.

»Verdammt«, brachte der Prinz schließlich heraus.

»Sag es weiter, Junge«, forderte Veranix ihn auf. »Die Karnickel versuchen möglicherweise, Effitte umzusetzen, sie lassen Fenmere über die Waterpath kommen.«

»Ernsthaft?«, fragte der Prinz.

Nun, da Veranix einen näheren Blick auf ihn werfen konnte, kam es ihm so vor, als hätte er ihn schon ein paarmal bei Colin gesehen. »Sag es deinem Kapitän.« Er trat ein paar Schritte von ihm fort. »Und vielen Dank, Junge.«

Er verschmolz wieder mit seiner Umgebung, so gut er es vermochte, ohne sich noch mehr zu verausgaben. Dann stahl er sich die Straße entlang davon.

*

»Veranix Calbert!«

Rellings, der Vertrauensschüler der dritten Etage von Haus Almer, wartete am Eingang des Gebäudes und lehnte lässig im Türrahmen. Das passte überhaupt nicht zu seiner großen, schwerfälligen Gestalt, so wenig wie das selbstgefällige Grinsen auf seinem feisten Gesicht.

»Es ist nach zehn, Calbert«, stellte er fest. »Ganz schön spät, will ich meinen.«

»Heut ist ein Ferientag, Rellings. Es gibt keine Sperrstunde.« Veranix hatte seinen Mantel, das Seil, die Waffen und den Rest seiner Ausrüstung als Dorn im Tunnel unter dem Kutscherhaus zurückgelassen und seine Schuluniform wieder angezogen. Er trug sogar den rot-schwarzen Schal, der ihn als Studenten der Magie auswies, sowie die fransenbesetzte Mütze mit den drei Sternen, die das dritte Studienjahr anzeigten. Rellings’ Uniform war ein paar Nummern größer, doch abgesehen von einem zusätzlichen Stern und einem grau-weißen Schal trug er das Gleiche.

»Aber was kannst du so spät wohl noch getrieben haben, vor allem, da die Prüfungen anstehen? Die meisten deiner Freunde haben gelernt.«

»Die meisten meiner Freunde haben das«, bestätigte Veranix. »Willst du mir jetzt deshalb das Leben schwer machen?«

»Du kommst von der Südostecke des Campus. Die Bibliothek liegt nicht in dieser Richtung.«

Darauf wollte Rellings also hinaus. Er wusste, dass Veranix vom Kutscherhaus kam, wo Kaiana wohnte. Darum ging es natürlich schon seit Monaten. Die Bewohner von Almers hatten mitbekommen, dass Veranix etwas am Laufen hatte, und dass dieses halb napolische Mädchen damit zu tun hatte. Bis vor einem Monat waren das nur Gerüchte gewesen, bis man ihn mit der halb nackten Kaiana im Kutscherhaus erwischt hatte. Es war nur geschehen, weil sie so den wirklichen Grund für seine Anwesenheit hatte verbergen wollen. Aber es hatte sich bis zum Almers herumgesprochen, und die leisen Gerüchte hatten sich zu wilden Mutmaßungen ausgewachsen. Fast jeder Junge im Wohnheim hatte Veranix schon ein bewunderndes Nicken zukommen lassen oder mit tiefster moralischer Missbilligung die Stirn gerunzelt, oder – was am häufigsten vorkam – ihn mit neidischen Blicken bedacht.

Nicht, dass zwischen Veranix und Kai etwas vorgefallen wäre, was tatsächlich Bewunderung, Empörung oder Neid gerechtfertigt hätte.

Die Gerüchte hatten eindeutig Rellings’ Interesse geweckt.

»Nein, Rellings«, sagte Veranix. »Ich war tatsächlich nicht in der Bibliothek. Nun lass mich bitte vorbei. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, bin ich erschöpft und überanstrengt. Ich muss wirklich ins Bett.«

Das entsprach völlig der Wahrheit. Was Rellings daraus machte, war sein Problem.

Mit einem finsteren Blick winkte Rellings ihn durch. »Ich prüfe später die Zimmer, Calbert.«

»Wenn dir das beim Einschlafen hilft, Rellings.« Veranix stapfte die Treppen hinauf zu dem Zimmer im dritten Stock, das er mit Delmin teilte. Dabei ignorierte er all die Blicke und hochgezogenen Augenbrauen, die ihm auf dem Weg folgten.

Er trat ein und ließ sich aufs Bett fallen. Delmin hockte im Schein heller Öllampen an seinem Schreibtisch und war in ein Buch vertieft. Sobald Veranix sich niedergelassen hatte, stand Delmin auf und schloss die Zimmertür.

»Was ist heut Abend da draußen passiert?«, flüsterte er hektisch.

Veranix öffnete halb die Augen und erblickte Delmins hageres Gesicht, umrahmt von strähnigem Haar, viel dichter vor seiner Nase, als ihm recht gewesen wäre.

»Es geht mir gut«, murmelte Veranix. »Einfach müde. War anstrengender als erwartet.« Er wand sich aus seiner Jacke und dem Hemd heraus.

»Wo hast du dir das geholt?« Delmin wies auf Veranix’ Rücken.

»Das willst du nicht wissen. Wie schlimm sieht es aus?«

»Eine ziemlich heftige Prellung.«

»Ein stumpfer Armbrustbolzen.«

Delmin verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, wie du … werden solche blinden Bolzen nicht von der Wache verwendet?«

»Ich hab dir doch gesagt, du willst es nicht wissen.« Seufzend setzte Veranix sich auf. »Definiere ›ziemlich heftig‹.«

»Ich würde an deiner Stelle ein paar Tage warten, bevor ich mich wieder im Badehaus blicken lasse, wenn du keine Fragen riskieren willst.«

»Als würde ich die nicht jetzt schon hören«, sagte Veranix. Die Narbe an seiner rechten Schulter war gut verheilt, erregte aber immer noch Aufmerksamkeit.

»Also gut, ich will keine Einzelheiten wissen.« Delmin setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. »Aber … du hast etwas Gutes getan, dort draußen, nicht wahr? Es war den Ärger wert?«

»Ich glaube schon«, antwortete Veranix. Bells Notizbuch hatte sicher auch über die Namen der Roten Karnickel hinaus einen Wert.

»Macht es das Leben für uns hier sicherer?« Delmin wirkte sehr nervös bei dieser Frage. Veranix war bereits aufgefallen, dass Del im vergangenen Monat Gespräche über seine Aktivitäten auf der Straße vermieden hatte.

»Du meinst für dich und mich?«

»Ich meine für den gesamten Campus. Die ganze Universität.« Delmin spielte mit seinen Stiften herum. »Beim letzten Mal wurde der Professor entführt.«

»Das wird nicht wieder vorkommen«, sagte Veranix. »Dahinter steckte der Zirkel der Blauen Hand, und die sind aus dem Spiel.«

Delmin schien noch mehr sagen zu wollen, wandte sich dann aber wieder seinen Büchern zu. »Du musst dich langsam mal um diese Geschichtsprüfung kümmern.«

»Um alle Prüfungen«, antwortete Veranix. »Obwohl wir ja keine Prüfung in Angewandter Magie haben. Nur dieses Treffen mit dem Professor.«

»Das Treffen morgen ist unsere Prüfung in Angewandter Magie. Ich weiß nicht genau, wie das ablaufen soll, aber auf die eine oder andere Weise werden wir morgen beim Frühstück mit dieser Prüfung anfangen.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Veranix. »Am Nachmittag dann Geschichte, Magietheorie am Tag danach und Rhetorik am letzten Tag.«

»Rhetorik für dich«, sagte Delmin. »Dabei werde ich dir nicht helfen können.«

»Ich komme schon klar. Wir müssen nur eine Erörterung schreiben.«

Es klopfte an der Tür. Veranix zog sein Hemd an, während Delmin öffnete. Eittle, der Naturkundestudent von nebenan, drückte sich auf dem Flur herum.

»Hab euch zwei reden gehört«, sagte er. Die Wände von Haus Almer waren nicht allzu dünn. Man konnte hören, wenn im Nebenzimmer gesprochen wurde, aber in der Regel verstand man nicht, worum es ging.

»Ich bin gerade erst zurückgekommen«, sagte Veranix.

Eittle nickte. Er war zu höflich, um genauer nachzufragen, und Veranix bezweifelte, dass dieser Grünschnabel die geringste Ahnung von seinen nächtlichen Abenteuern hatte. »Genau, hab ich mir gedacht. Ich hab gerade … ich konnte nicht einschlafen. Fast jeder ist viel zu still vor den Prüfungen. Wirklich ruhig, versteht ihr?«

»Ruhig« war das Wort gewesen, das Eittle in letzter Zeit am häufigsten gebraucht hatte, vor allem, weil er allein auf seinem Zimmer lebte. Sein Mitbewohner Parsons war beinahe an einer Überdosis Effitte gestorben. Nun lag er sabbernd und weggetreten mit anderen Effitte-Opfern im Spital an der Lower Trenn Street.

Mit anderen Opfern wie Veranix’ Mutter.

Im Gegensatz zu ihr war Parsons jedoch nur Opfer seiner eigenen Dummheit. Wenn Veranix gewusst hätte, dass er Effitte nahm, dann hätte er … er wusste nicht genau, was er getan hätte. Nun war es in jedem Fall zu spät, um Parsons zu helfen.

Veranix war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht mitbekam, worüber Eittle und Delmin sprachen. »… und es gehörte dem Pferd!«, schloss Eittle gerade.

»Du fährst im Sommer nicht nach Hause, oder?«, fragte Delmin.

»Nein«, sagte Eittle. »Hab ich es dir nicht erzählt?«

»Du hast im Sommer was vor?«, fragte Veranix.

»Ich mache eine Exkursion mit Professor Hester.«

»Das ist dein Astronomieprofessor, richtig?«, fragte Delmin. »Was macht der für eine Exkursion?«

»Oben in den Hohen Hügeln in Toren hat er mit ein paar Kollegen von anderen Unis eine Reihe großer Teleskope aufgebaut. Wir werden den Lauf der sieben Planeten während der Jahreszeit beobachten.«

»Es ist also eine gute Gelegenheit?«, fragte Veranix.

»Ich bin überrascht, dass er mich angesprochen hat«, erklärte Eittle. Er lächelte schüchtern. »Wahrscheinlich gibt es schwere Ausrüstung zu schleppen.«

»Das kenne ich gut«, erwiderte Veranix.

»Worüber redet ihr überhaupt?«, fragte Delmin.

»Hast du irgendeine Ahnung, was Alimen mich zurzeit alles tun lässt?«

»Ich bin mir sicher, es geht nicht …« Delmin verstummte. »Was ist das?«

»Was?« Eittle blickte sich um.

»Ich kann nichts erkennen«, erwiderte Veranix, aber etwas ließ ihm die Nackenhaare zu Berge stehen.

»Bei allen gütigen Heiligen!«, rief jemand laut durch den Korridor.

»Was ist das?«, schrie ein anderer.

Im nächsten Augenblick erfasste sie ein furchtbarer Gestank wie eine Welle, die sich an der Küste brach. Veranix wäre fast umgekippt, so heftig traf es ihn, mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor gerochen hatte. Es war wie ein Abwasserkanal, in dem seit Monaten Eier vor sich hin gefault hatten und die nun alle zugleich aufbrachen.

Delmin würgte. Veranix konnte den Brechreiz ebenfalls kaum unterdrücken.

»Kommt das vom Klo?«, fragte Eittle und presste seinen Ärmel aufs Gesicht. »Ist da eine Leitung geplatzt?«

»Kommt.« Veranix zwang sich auf die Füße. »Delmin, alles klar bei dir?«

»Das ist grauenvoll!« Delmin stolperte zum Fenster. Er stieß es auf und holte tief Luft.

»Ruf Rellings.« Veranix klopfte Eittle gegen die Brust und bedeutete ihm, ihm zu folgen.

Der Gestank füllte die Korridore, die Luft war dunstig geworden. Junge Männer liefen aus ihren Zimmern, schluchzten und würgten. Einige brachen sogar zusammen.

»Macht ein paar Fenster auf!«, befahl Veranix, an niemand Bestimmten gerichtet. »Wo kommt das her?«

Die Leute, die noch reagieren konnten, wirkten verwirrt.

»Ist es nur auf diesem Stockwerk?«, fragte ein Student im zweiten Jahr.

»Schau nach«, sagte Veranix. Der Junge stellte die Anweisung nicht infrage und lief zum Treppenhaus. Veranix folgte seiner ersten Eingebung und ging zu den Waschräumen. Er öffnete die Tür, und obwohl Dunst und Gestank auch hier vorherrschten, schien es nicht stärker als anderswo.

»Das ist es nicht«, stellte Eittle fest.

Delmin stolperte auf sie zu. »Fenster öffnen bringt nichts. Ich glaube, es ist auch draußen.«

»Verdammt.« Veranix öffnete das Fenster. Der Dunst ballte sich um die Außenseite des Gebäudes, aber der Rasen dahinter schien frei zu sein. Im Erdgeschoss strömten Jungen aus jeder Tür und rannten von Haus Almer fort. »Sehen wir zu, dass wir alle hier rauskriegen.«

Eittle nickte und holte tief Luft, was Veranix unglaublich mutig fand. »Wie bei der Alarmübung! Räumt das Gebäude und sammelt euch auf dem Rasen!«

Delmin strauchelte und griff nach dem Türrahmen, um sich festzuhalten.

»Das ist nicht …«, keuchte er.

Veranix war immer noch erschöpft von den Anstrengungen des Abends, und durch die schlechte Luft wurde es nicht besser. Trotzdem schob er sich unter Delmins Arm und half seinem Freund auf die Beine. »Los jetzt, verschwinden wir hier.«

»Ich hab ihn«, sagte Eittle und stützte Delmin. Er führte ihn Richtung Treppenhaus, während Veranix die verschiedenen Zimmer überprüfte. In einem Raum fand er einen Studenten im ersten Jahr, der zusammengerollt in Erbrochenem lag. Er schnappte sich den Jungen – Benkins? – und zog ihn hinaus auf den Korridor.

»Calbert?« Rellings kam den Flur entlang. Er trug seinen Schal um den Mund gewickelt. »Sind sonst alle draußen?« Er trat an die andere Seite des Jungen und half Veranix, ihn zum Treppenhaus zu schaffen.

»Glaube schon«, sagte Veranix. »Irgendeine Idee, was das ist?«

»Irgendein Witzbold und seine kranke Vorstellung von einem Streich, nehme ich an«, erwiderte Rellings. »Bring ihn raus auf den Rasen. Die Luft ist frisch, sobald man ein Stück weg ist.« Er wandte sich wieder dem Korridor zu.

»Wohin gehst du?«

»Ich überprüf noch mal alles.« Rellings tauchte in den dichter werdenden Dunst.

»Verdammt«, murmelte Veranix. »Komm, Benkins.«

Als Veranix den Rasen erreichte, waren fast alle Bewohner von Almers dort versammelt, keuchend und nach Luft schnappend. Weitere Vertrauensschüler zählten durch und versuchten, die Studenten zu ordnen. Der Tumult hatte inzwischen die Aufmerksamkeit der Kadetten auf dem Campus erregt, die umhereilten und herauszufinden versuchten, was los war.

Veranix konnte endlich wieder frei atmen. Zwei Studenten aus dem vierten Studienjahr mit gelb-weißen Schals der Medizin und Chirurgie kamen zu ihm und nahmen ihm den Neuling ab.

»Geht es dir gut?«, fragte einer der beiden Veranix.

»Gut«, antwortete er, auch wenn ihm weiterhin der Kopf schwirrte. Er blickte zum Eingang. Rellings war noch nicht zurück.

»Verdammt, Rellings«, murmelte er und zwang seine Beine dazu, sich zurück in Richtung Gebäude zu bewegen, obwohl sie sich wie Stein anfühlten.

Eine Hand griff nach seiner Schulter: Delmin. »Geh nicht wieder da rein.«

»Rellings ist immer noch dort«, sagte Veranix.

»Die Kadetten durchsuchen alles.« Delmin zeigte auf eine Gruppe, welche die Treppen hinaufeilte. »Ich glaube nicht, dass du wieder reingehen solltest.«

»Ich schaffe das schon …«

»Vee!«, fuhr Delmin ihn an. Mit einer ungeschickten Bewegung packte er Veranix am Hemd, versuchte, ihn näher zu ziehen, und taumelte stattdessen auf ihn zu. »Ich glaube wirklich, dass weder du noch ich dorthin zurückgehen sollten. Verstehst du?«

Allmählich sanken Delmins Worte in Veranix’ Verstand. Etwas an dem Gestank war magisch. »Lass uns einen Spaziergang machen.«

Als sie ein Stück Abstand zum Großteil der Menge hatten, fragte Delmin leise: »Also gut, Vee, sag es offen heraus. Du hast nichts damit zu tun, oder?«

»Natürlich nicht!« Veranix war nicht einmal sicher, wie man so etwas bewerkstelligen konnte. Das ganze Gebäude war in Dunst gehüllt, als würde er aus den Wänden selbst heraussickern, dabei aber irgendwie an ihnen haften bleiben. Selbst wenn er verstehen könnte, wie so etwas möglich war, selbst wenn er ein Interesse daran hätte, so etwas zu tun – ein Zauber in dieser Größenordnung hätte ihn im Nu erschöpft. »Wie kannst du überhaupt so etwas denken?«

»Das habe ich nicht, nicht wirklich, nur … Kurz bevor es passiert ist, habe ich eine Bewegung im Numina wahrgenommen, überall um uns herum.« Ein Teilbereich der magischen Studien, in dem Delmin Veranix ernsthaft voraus war, war die Wahrnehmung jener Energie, die aller Magie ihre Kraft verlieh. Veranix bemerkte es im Großen und Ganzen nur, wenn andere Magier Numina an sich zogen, aber Delmin konnte den Fluss der Energie verfolgen wie ein magischer Bluthund. Vermutlich könnte Delmin in diesem Augenblick jeden einzelnen Magier auf dem Campus lokalisieren, sofern er das wollte.

»Wie bewegt?«

»Es war sehr fein, ich bin noch nicht ganz dahintergekommen. Es fühlte sich nicht so an, als wäre es von irgendeinem bestimmten Ort oder einer Person gekommen. Im Gegenteil, so fühlt es sich an, wenn jemand zu verbergen versucht, dass er Magie nutzt. Und es fing gleich nach deiner Rückkehr an.«

»Ich war es nicht, ich schwöre es!« Veranix blickte zum Gebäude, wo zwei Kadetten Rellings und einen weiteren Jungen herausführten. »Selbst mit dem Mantel wäre ich zu so etwas nicht imstande.«

»Das hätte ich auch nicht geglaubt«, sagte Delmin. »Die Frage ist nur, wer wäre dazu in der Lage?«

Was immer den Dunst bei Haus Almer hielt, es löste sich allmählich. Der Nebel trieb davon. Der Geruch war weiterhin überwältigend, aber längst nicht mehr so erstickend wie zuvor.

»Das ist nicht die Frage«, sagte Veranix. »Ich würde viel lieber wissen, warum diejenigen eine solche Macht nutzen, nur um unserem Wohnheim einen Streich zu spielen.«

»Einen Streich?«

»Das glaubt Rellings. Ich weiß es nicht. Ich will eigentlich gar nicht darüber nachdenken.« Veranix legte sich auf dem Gras nieder. »Weck mich, wenn wir zurückgehen können.«

»Du willst einfach hier auf dem Boden schlafen?«

»Ich bin in einem Wanderzirkus aufgewachsen. Ich kann überall schlafen.«

Delmin setzte sich neben ihn. »Was, wenn es kein Streich war?«

Veranix lag still da, die Augen geschlossen, und versuchte, nicht an das Offensichtliche zu denken. Es hatte keinen Sinn. »Dann muss jemand in Haus Almer das Ziel gewesen sein.«

Delmin lachte auf. »Jemand in Almer?«

Veranix zuckte die Achseln. »Ich bin nicht so egozentrisch, dass ich ganz selbstverständlich von mir ausgehe.«

»Aber gewiss doch«, erwiderte Delmin. »Ich bin überzeugt davon, dass die Hälfte der Bewohner des Wohnheims mächtige Feinde hat, die sie tot sehen wollen.«

»Man weiß nie, Delmin«, sagte Veranix schläfrig. »Jeder hat seine Geheimnisse.«

3. Kapitel

In der »Kehre« war es von einer Handvoll Gäste abgesehen ruhig. Es waren hauptsächlich Prinzen, doch keiner von Colins Jungs. Colin ließ sich mit seinem zweiten Bier Zeit. Er war seit einer ganzen Weile hier und von genug Leuten gesehen worden, also war er auf der sicheren Seite. Jetzt musste er nur noch abwarten, bis die Kunde von Veranix’ neuesten Taten zu ihm drang. In der Zwischenzeit verfolgte er, was im Raum geschah.

Der wichtigste Schauplatz in der Schankstube war heute Abend ein Tisch in der hintersten Ecke, wo Hotchins mit ein paar Prinzen saß, vor allem Schwalben. Colin kannte keinen dieser Prinzen besonders gut; sie kümmerten sich normalerweise um Ecken an der Branch und der Lily, wo die Ritter von Sankt Julian in letzter Zeit Druck machten.

Dennicks Leute.

Dennick war ein Gassenkapitän wie Colin gewesen, aber in der letzten Woche war er gegenüber den Rittern übereifrig geworden. Er hatte es hässlich werden lassen und eine Menge Ritterblut vergossen, was die Burschen eine Weile in Schach halten sollte, aber auch zu viel Aufmerksamkeit bei den Knütteln geweckt hatte.

Sie hatten Dennick geschnappt, doch nicht, bevor der Alte Casey und die übrigen Quartierbosse die Kapitänssterne an seinem Arm herausgebrannt hatten.

Es war eine Schande. Colin hatte Dennick immer gemocht. Dennicks Vater hatte Colins Vater zur Seite gestanden, als die Dinge ’94 wirklich übel wurden. Aber Dennick war zäh. Er würde in Quarrygate klarkommen.

Colin vermutete, dass jeder in Dennicks Mannschaft nun darum wetteiferte, die Sterne auf den Arm zu kriegen, weshalb sie alle um Hotchins’ Gunst buhlten. Hotchins traf keine Entscheidung darüber, wer die Sterne bekam, aber er hatte Einfluss bei den Männern, die es taten. Von den Alten ließ sich keiner mehr in der »Kehre« blicken.

Colin musste ein wenig zu auffällig hingeschaut haben, denn Hotchins pfiff ihn zu sich.

»Was liegt an?« Colin trat mit seinem Bier an den Tisch, ließ sich aber nicht nieder, ohne ausdrücklich dazu eingeladen zu werden.

»Du bist schwach besetzt, Tyson, ist es nicht so?«

»Ich komm hin mit meinen Jungs«, erwiderte er. Tatsächlich waren seine Taschen in den letzten Wochen deutlich leerer gewesen. Hetzer war immer der Beste darin gewesen, am Eingang der Uni den Rahm abzuschöpfen; weder Tooser noch Jutie machten auch nur annähernd so viele Münzen. Sein Tod hatte die Mannschaft in vielerlei Hinsicht schwer getroffen.

»Hinkommen ist nicht gerade viel«, stellte Hotchins fest. »Es muss sich was bewegen, und du bist der Mann, den ich brauche.«

»Wie du meinst, Boss«, sagte Colin.

»Gut. Wir müssen die Absteige unter der Metzgerei an der Branch mit den Rittern tauschen, und …«

»Eintauschen? Gegen was?«, fragte Colin.

Hotchins runzelte die Stirn. Colin war ihm ins Wort gefallen, und auch wenn Hotchins keiner der größten Bosse war, war er immer noch ein Boss und duldete so was nicht. »Nicht deine Sache. Für dich ist nur wichtig, dass es der Unterschlupf dieser Truppe hier war und sie dort nicht bleiben können.«

Colin gefiel nicht, worauf das hinauslief. »Du willst, dass ich sie zur Absteige über Hechies Barbierladen bringe?«

»Nein, Tyson. Deine Truppe nutzt die unter Kessings Laden, richtig?«

»Nun, ja, Boss. Aber das ist ’n ziemlich kleines Loch.«

»Du hast auch nur eine kleine Mannschaft«, stellte Hotchins fest. »Du musst sie nicht alle aufnehmen, also beruhig dich.« Er nahm seinen fettigen Feuerzipfel und biss ein großes Stück ab. »Zwei aus der Truppe sind ab jetzt deine Leute. So wird’s gemacht.«

Keiner von Dennicks Leuten wirkte sonderlich begeistert, und Colin konnte es ihnen nicht verdenken. Sie hatten ihren Käpten und ihre Unterkunft verloren, und jetzt sollten sie auch noch getrennt werden.

»Wer?«, fragte eine Schwalbe. Sie sah etwas älter aus als Colin und trug ihr dunkles Haar äußerst kurz geschnitten. Colin hatte sie schon häufiger gesehen, meist an Dennicks Seite. Sie sah aus, als könnte sie sich gut in einem Straßenkampf behaupten. Davon abgesehen konnte Colin sich ums Verrecken nicht an ihren Namen erinnern.

»Du und Theanne«, ließ Hotchins sie wissen. »Ihr anderen kommt heute Nacht erst mal bei Hechie unter. Wir überlegen uns später, wo wir euch endgültig hinstecken.« Er leerte sein Bier und stand vom Tisch auf, machte damit unzweifelhaft klar, dass seine Audienz für heute beendet war. Die Schwalbe, die Colin gerade geerbt hatte, verzog mürrisch das Gesicht und erhob sich ebenfalls. Colin ging davon aus, dass Theanne das verschüchtert wirkende Mädchen mit der noch frischen Rosen-Tätowierung auf dem Arm war.

»Also«, sagte Colin. »Ich hab deinen Namen vergessen.«

»Deena«, sagte sie.

»Gut.« Jetzt, da er ihn gehört hatte, erinnerte Colin sich wieder. Dennick und Deena waren eine Weile zusammen gewesen. Sie hatte sich inzwischen eindeutig selbst ihre Sterne als Gassenkapitän verdient, aber offensichtlich sollte sie keine erhalten. »Kommt an meinen Tisch, ja?«

Er bedeutete Kint hinter dem Tresen, drei Biere zu ihnen rüberzubringen, als sie sich setzten.