Die CureVac-Story - Wolfgang Klein - E-Book

Die CureVac-Story E-Book

Wolfgang Klein

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Beschreibung

Alles begann mit einer Doktorarbeit und der Entdeckung des medizinischen Potenzials des Botenmoleküls messenger RNA. Am Ende stehen prominente Investoren wie Dietmar Hopp oder die Gates-Stiftung, Hunderte Millionen staatlicher Finanzierung, der Aufstieg zum Börsenstar und zum erfolgreichen Impfstoffentwickler. Dazwischen liegt ein steiniger Weg auf der Suche nach Unterstützung. Biotech-Unternehmer Wolfgang Klein hat die Anfangszeit als Finanzchef von CureVac selbst miterlebt. Er erzählt die einzigartige und anekdotenreiche Geschichte auf dem Weg zum Weltunternehmen. Dabei gibt er Einblicke in eine faszinierende Technologie und beschreibt die Hürden für Innovation am Standort Deutschland. CureVac hat es trotzdem geschafft: Die in Tübingen erfundene Technologie ist dabei, die Medizin zu revolutionieren.

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Wolfgang Klein

Die CureVac-Story

Vom Risiko, die Medizin zu revolutionieren

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Alles begann mit einer Doktorarbeit und der Entdeckung des medizinischen Potenzials des Botenmoleküls messenger RNA. Am Ende stehen prominente Investoren wie Dietmar Hopp oder die Gates-Stiftung, Hunderte Millionen staatlicher Finanzierung, der Aufstieg zum Börsenstar und zum erfolgreichen Impfstoffentwickler. Dazwischen liegt ein steiniger Weg auf der Suche nach Unterstützung. Biotech-Unternehmer Wolfgang Klein hat die Anfangszeit als Finanzchef von CureVac selbst miterlebt. Er erzählt die einzigartige und anekdotenreiche Geschichte auf dem Weg zum Weltunternehmen. Dabei gibt er Einblicke in eine faszinierende Technologie und beschreibt die Hürden für Innovation am Standort Deutschland. CureVac hat es trotzdem geschafft: Die in Tübingen erfundene Technologie ist dabei, die Medizin zu revolutionieren.

Vita

Wolfgang Klein ist promovierter Naturwissenschaftler, Mitgründer und CEO des Augenmedikamente entwickelnden Unternehmens Katairo GmbH. Von 1999 bis 2001 hat er ein MBA-Studium in Krems absolviert, zusammen mit Ingmar Hoerr, dem Gründer von CureVac. Von 2002 bis 2010 war er Finanz- und Personalchef bei CureVac. Auch nach seiner aktiven Zeit hat er den Draht zu den führenden Personen im Unternehmen gehalten und die mRNA-Entwicklung weiter aufmerksam verfolgt.

Im Andenken an zwei Weggefährten bei CureVac, Andreas und Thomas, die viel zu früh von uns gegangen sind

Inhalt

Vorwort

Abkürzungen und Fachbegriffe

… aus Biotechnologie und Medizin

… aus Wirtschaft und Gesellschaft

Kapitel EinleitungCureVac – ein deutsches Einhorn

Kapitel 1CureVacs Anfänge: Von der Doktorarbeit zur Unternehmensgründung

Die Gründung von CureVac

Kapitel 2Die schwierige Suche nach Geld für Forschung und Entwicklung

Aus Schneebällen ein Feuer entfachen: Vor dem ersten Investment

Zu viel zum Sterben, zu wenig, um zu leben: Das erste Investment

Vom Standstreifen auf die Überholspur: Das Investment der Familie Hopp

The Risking Pledge: Das Versprechen, ein Risiko einzugehen

Kapitel 3Wachstum mit Investoren aller Couleur und CureVacs Börsengang

Der Einstieg der Gates-Stiftung: Ein Einhorn wird geboren

Weiteres Geld von einem institutionellen Investor und Family Offices

Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich

Der Börsengang am 14. August 2020

Kapitel 4Die Grundlage der CureVac-Technologie: mRNA

Messenger-RNA: Von der Erbsubstanz DNA zum Proteinbau

Die Immunreaktion und wie RNA sie fördert oder verhindert

Kapitel 5CureVacs Technologie: Ein natürliches Molekül verbessern

Wie gut ist meine mRNA: Leuchtende Mausohren

Fischsperma verbessert die mRNA-Aufnahme – und ist immunogen

Mehr Protein aus reinerer mRNA

Verbesserungen an natürlichen Elementen der mRNA

Nanofettpartikel: Die ideale Verpackung für Impfstoff-mRNA

Kapitel 6Schlüssel-Know-how: Die Herstellung von mRNA

Herstellung pharmazeutischer mRNA

Erlangung der pharmazeutischen Herstellungserlaubnis

Lagerfähigkeit von mRNA

Ausbau der Produktionskapazitäten

Der mRNA-Printer: Mobile RNA-Herstellung

Kapitel 7Die Zukunft der Medizin: mRNA in vielen Anwendungen

Chancen und Herausforderungen der mRNA-Therapie

RNA kann das Immunsystem in Gang setzen – auch ohne Code für ein Protein

Vorbeugende Impfstoffe mit mRNA

Therapeutische mRNA-Impfstoffe gegen Krebserkrankungen

Passive Impfstoffe mit mRNA: Die Kavallerie der Immunabwehr

Proteinbasierte Therapien: Wo körpereigene Proteinrezepte Fehler haben

Optimierung des Gen-Editierens

Kapitel 8Transformative Innovation: Brauchen wir sie und muss sie so aufwendig sein?

Grundlegende Ideen sind anfangs zumeist marktfern

Beispiel Medikamentenentwicklung: Warum ist sie so teuer?

Scheitern gehört zum Erfolg – und kostet Zeit und Geld

Kapitel 9Der Standort Deutschland: Eine Weide für Einhörner?

Forschungsförderung: zu wenig und zu breit

Technologietransfer: halbherzig und unprofessionell

Steuerstandort für Start-ups: Einhörner unerwünscht!

Altersrücklagen: Ein Standortfaktor für Einhörner

Investment durch Privatanleger

Regulatorischer Standort: Staatliche Aufsicht bremst und verteuert Innovation

Kapitel NachwortCheerio, Einhorn CureVac – es lebe das nächste Einhorn

Danksagung

Anmerkungen

Einleitung: CureVac – ein deutsches Einhorn

1CureVacs Anfänge: Von der Doktorarbeit zur Unternehmensgründung

2Die schwierige Suche nach Geld für Forschung und Entwicklung

3Wachstum mit Investoren aller Couleur und CureVacs Börsengang

4Die Grundlage der CureVac-Technologie: mRNA

5CureVacs Technologie: ein natürliches Molekül verbessern

6Schlüssel-Know-how: Die Herstellung von mRNA

7Die Zukunft der Medizin: mRNA in vielen Anwendungen

8Transformative Innovation: Brauchen wir sie und muss sie so aufwendig sein?

9Der Standort Deutschland: eine Weide für Einhörner?

Vorwort

Als ich 1999 bis 2001 mit Wolfgang Klein während unseres gemeinsamen MBA-Studiums die Schulbank drückte, hatte ich kurz zuvor meine Doktorarbeit abgeschlossen. Darin hatte ich Grundlagen von RNA-Impfstoffen erarbeitet und gezeigt, dass mit messenger-RNA (kurz mRNA) eine gerichtete Immunantwort erzeugt werden kann. Als wir uns kennenlernten, fing ich gerade an zu überlegen, ob man daraus nicht eine Technologie entwickeln und dafür ein Unternehmen gründen könnte.

Im Herbst 2020 rief mich Wolfgang an und erzählte mir, dass er an einem Buch über CureVac schreibe. Dazwischen lagen 20 aufregende Jahre. Sie führten von der Gründung des Unternehmens bis zum Börsengang mit Milliardenbewertung, von den ersten Arbeiten mit mRNA bis zur Entwicklung eines SARS-CoV-2-Impfstoffs. Wolfgang hat die erste Hälfte dieses Prozesses hautnah und in aktiver Rolle im Management bei CureVac miterlebt. Als Finanz- und Personalchef von 2002 bis 2010 wurde er unmittelbarer Zeuge der schwierigen Suche nach Geld in den ersten Jahren. Er war Mitgestalter der ersten Investments von Dietmar Hopp, bevor er sich aufmachte, weitere Unternehmen zu gründen, jeweils im Kontext von Medikamentenentwicklung und deren Finanzierung.

Zur Themenstellung des Buches kann ich Wolfgang nur beglückwünschen. Einerseits erzählt er anekdotenreich und unterhaltsam die spannende Entwicklungsgeschichte von CureVac und geht dabei auf wichtige Personen, Zusammenhänge und Details ein, die teilweise auch Kennern des Unternehmens noch neu sein dürften. Spielerisch und für interessierte Laien verständlich erklärt er aber auch die Funktionsweise von mRNA und zeigt anhand anschaulicher Beispiele auf, was die mRNA-Technologie ausmacht und was man in Zukunft von ihr erwarten darf.

Besondere Relevanz erhält das Buch aber dadurch, dass es den Zusammenhang von Finanzierung und transformativer Innovation behandelt. CureVac hatte ab 2005 das Glück, mit Dietmar Hopp einen geduldigen und potenten Investor an Bord zu wissen, der für eine langfristige und ausreichende finanzielle Ausstattung sorgte und so die Entwicklung der RNA-Technologie ermöglichte.

Völlig zutreffend zeigen die letzten Kapitel des Buches auf, dass dies in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist – und welche Gründe das hat. Besonders gelungen ist dabei das Bild des Einhorns. Es steht für Unternehmen mit Milliardenbewertung, deren transformative Innovation so tragfähig ist, dass sie für künftigen Wohlstand sorgen, wo immer sie »aus dem Ei schlüpfen« – leider bislang noch sehr selten in Deutschland. Wer also mitdiskutieren möchte, wenn es darum geht, wie wir Deutschland wieder zur »Apotheke der Welt« machen können oder warum es bei uns so wenige Einhörner gibt, für den ist dieses Buch ein »Must-read«!

Tübingen, im März 2021

Ingmar Hoerr

Abkürzungen und Fachbegriffe

… aus Biotechnologie und Medizin

Adenin Kodierender Baustein in DNA und RNA

Adjuvans Immunreaktion auslösender Hilfsstoff bei Impfstoffen

Aminosäure Baustein eines Proteins

Basentriplets mRNA-Sequenz aus drei kodierenden Bausteinen, auch Codon genannt

Cap-Struktur Erkennungsstruktur einer mRNA an dem Ende, an dem die Ablesung beginnt

Codon mRNA-Abschnitt aus drei kodierenden Bausteinen – auch Basentriplet

Covid-19 Coronavirus Disease 2019

CRISPR/Cas9 Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats associated protein 9

Cytosin Kodierender Baustein in DNA und RNA

DNA Desoxyribonucleic Acid

Endozyotose Aufnahme von Partikeln in die Zelle durch Umstülpung

EPO Erythropoetin

Exocytose Ausscheiden von Partikeln aus der Zelle

GM-CSFGranulocyte Macrophage Colony-Stimulating Factor

Guanin Kodierender Baustein in DNA und RNA

HIV Human Immunodeficiency Virus

HPLC High-Performance Liquid Cromatography; von CureVac verwendetes Verfahren zur mRNA-Aufreinigung

Integrase Enzym zur Integration von DNA ins Genom

LNP Lipid-Nanopartikel; aufnahmeverbessernde Verpackung für mRNA

mRNA messenger Ribonucleic Acid

Open Reading Frame Bereich einer mRNA, der für Proteinbausteine kodiert

Primer Auslösemolekül für die Rückübersetzung von RNA in DNA und zur Integration von RNA in das zelluläre Genom

Protamin Bestandteil des Fischspermas; wurde von CureVac zur Verbesserung der mRNA verwendet

Reverse Transkriptase Enzym zur Überschreibung von RNA in DNA

Ribosomen Proteinfabrik einer Zelle

RNA Ribonucleic Acid

RNase RNA-abbauendes Enzym

RPE65 Gen für das Retinoid-Isomerohydrolase-Protein, das im Sehzyklus eine wichtige Rolle spielt

RSV Respiratorisches Synzytial-Virus

SARS-CoV-2 Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2

siRNA short interfering RNA

Startcodon Stelle in der mRNA, an der die Translation beginnt

Stopcodon Stelle in der mRNA, an der die Translation endet

Thymin Kodierender Baustein der DNA

Transfektion Aufnahme von mRNA in die Zelle

Transkription Umschreiben eines Gens von DNA in RNA

Translation Synthese von Proteinen in den Zellen lebender Organismen

tRNA Transfer-RNA; transportiert Aminosäuren in die zelluläre Prtoeinfabrik

Uracil Kodierender Baustein in RNA

UTR Untranslated Region; Bereich eines mRNA-Strangs, in dem keine Proteinbausteine kodiert sind

… aus Wirtschaft und Gesellschaft

AnlV Anlagenverordnung

BMGF Bill and Melinda Gates Foundation

CEO Chief Executive Officer

CEPI Coalition for Epidemic Preparedness Innovations

CFO Chief Financial Officer

CIR crédit d›impôt recherche; französisches Steueranreizprogramm für Forschung und Entwicklung

Einhorn-Quote Anzahl der Einhörner pro eine Million Einwohner

Family Office Gesellschaft zur Verwaltung des privaten Großvermögens einer Eigentümerfamilie

FDA Food and Drug Administration

GMP Good Manufacturing Practices

IFRS International Financial Reporting Standards

IPO Initial Public Offering; Börsengang

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau

MBA Master of Business Administration

MIT Massachusetts Institute of Technology

Nasdaq National Association of Securities Dealers Automated Quotations; größte elektronische Börse der USA

Pre-money-Bewertung Unternehmensbewertung vor einem Investment

R&DTI Research & Development Tax Incentive

Risikokapital außerbörsliches Beteiligungskapital für als riskant geltende Unternehmungen

SEC Securities and Exchange Commission

SOP Standard Operating Procedure

tbg Technologie-Beteiligungsgesellschaft

TTO Technologietransferorganisation

Unicorn Einhorn

US GAAP United States Generally Accepted Accounting Principles

VC Venture Capital; Wagniskapital

Kapitel EinleitungCureVac – ein deutsches Einhorn

Ein Einhorn ist ein seltenes Wesen. Vielleicht kennen Sie es von Bildern, die kreative Menschen für den Einband von Fantasy-Geschichten oder Kinderbüchern gemalt haben. Es sieht aus wie ein edles Pferd. Stolz kommt es daher und strotzt nur so vor Kraft. Mit seinem gewundenen, langen und spitzen Horn erscheint es ganz schön wehrhaft. Meist sieht man es unter blauem Himmel auf saftigen grünen Wiesen grasen, und majestätisch überstrahlt es alles um sich herum mit herrlich glänzendem, von funkelndem Sternenstaub durchwirktem weißem Fell. Manche haben sogar Flügel und können fliegen.

Gibt es Einhörner wirklich? Wer weiß, vielleicht anderswo, sagen wir Kindern, wenn sie uns fragen. Aber der eine oder andere malt sich vermutlich doch aus, was für eine tolle Sache es wäre, wenn ein Einhorn auf seiner Wiese stünde.

Solche Gedanken haben US-amerikanische Investoren irgendwann dazu bewogen, den Begriff des »Unicorn«, also des Einhorns, als Bild für ein außerordentlich erfolgreiches Start-up-Unternehmen zu prägen. Eines, das schon bald nach der Gründung seine Bewertung auf über eine Milliarde US-Dollar gesteigert hat. Und dies womöglich, bevor das Unternehmen auch nur ein einziges Produkt am Markt verkauft hat. Denn Produkte von Einhörnern befinden sich nicht selten noch in der Entwicklung. Den Traum, dass sich ihr zuletzt finanziertes Unternehmen ebenfalls zu einem Einhorn entwickelt, hegen gewiss nicht nur US-amerikanische Risikoinvestoren.

Wer Einhörner aber ausschließlich als gierige Fantasie eines Investors abtut, als Inbegriff des American Dream, wer sie nur als Symbol von Turbokapitalismus wahrnimmt, der verkennt fahrlässig ihre Rolle als Treiber von Innovation, Wohlstand und – in deren Windschatten – sozialer Sicherung. Einhörner sind ein Gewinn für die Gesellschaft, in der sie aus dem Ei schlüpfen. Bewertungen von über einer Milliarde US-Dollar, bevor das erste Produkt verkauft wurde, lassen sich nur rechtfertigen, wenn die Investoren ein Produkt oder eine Dienstleistung (oder auch mehrere) erwarten, die sich mit besonders guter Marge an besonders viele Kunden verkaufen lassen. Dazu müssen diese Produkte oder Dienstleistungen wesentlich besser als alles schon Bestehende oder gänzlich neu sein. Solche Produkte tragen in besonderem Maße zu nachhaltiger Beschäftigung und einem höheren Steueraufkommen bei. Und wenn Einhörner sogar neue Technologien für ganze Produktklassen oder Industrien vorantreiben, dann begründen sie weit über ihr eigenes Unternehmen hinaus einen Wohlstandszuwachs für eine Gesellschaft.

Wie rar sind sie also, diese Vorzeigegründungen? 494 Einhörner zählte eine Statistik des Hurun Research Institute, des Forbes Magazine der Chinesen, im Jahr 2019. Ein Schelm, wer angesichts der Tatsache schmunzelt, dass die chinesische Erhebung China (206) auf Platz 1 sah, mit drei Einhörnern Vorsprung vor den zweitplatzierten USA (203). Indien, wer hätte es gedacht, lag auf Platz drei (21). Danach rangierten fast schon unter »ferner liefen« Großbritannien (13), Deutschland (7) und Israel (7), Letzteres trotz seiner gerade mal 9 Millionen Einwohner. Und unser Nachbar, die Schweiz – an Einwohnern kleiner als Baden-Württemberg –, schaffte es mit drei Exemplaren auf Rang elf.

Besonders interessant wird es, wenn man die Zahl der Einhörner an der Bevölkerungsgröße misst. Nennen wir die Kennzahl mal die »Einhorn-Quote« und definieren sie als Zahl der Einhörner pro eine Million Einwohner. Bei dieser Kenngröße schnitt Israel (0,78) zehnmal besser als Deutschland (0,08) ab und schlug auch die USA (0,68), China (0,15) oder Indien (0,02). Die »Einhorn-Quote« der Schweiz wiederum lag mit 0,33 um das Vierfache höher als in Deutschland.

Noch extremer zeigt sich das Verhältnis beim Blick auf einzelne Regionen in den USA: So beherbergte der vier Millionen Einwohner zählende Großraum Boston mit acht Einhörnern und einer Quote von 2,0 mehr Exemplare der Gattung als ganz Deutschland. Und allein in der San Francisco Bay Area weideten bei einer Quote von knapp 8,0 sogar 55 dieser Wundergeschöpfe. Das sind fast achtmal so viele wie in ganz Deutschland oder hundertmal mehr Einhörner pro Einwohnermillion als bei uns.1

Warum sind diese Viecher so ungleich verteilt? Was lockt sie an, was vertreibt sie? Was führt die Mehrzahl in die USA und nach China? Wie kommen kleine Länder mit relativ wenigen Einwohnern und daher kleinen Märkten dennoch zu immens erfolgreichen Gründungen?

Gerade wir Deutschen als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde müssen uns leider immer noch sehr die Augen reiben, wenn sich ein Einhorn die Ehre gibt, bei uns zu grasen. Doch es gibt sie. Sogar in einer von deutschem Investment derart vernachlässigten Branche wie der Biotechnologie. Allen Widrigkeiten zum Trotz.

Eine dieser Ausnahmeerscheinungen ist die Firma CureVac in Tübingen. Das um die Jahrtausendwende gegründete Unternehmen erfüllte von 2015, als die Bill und Melinda Gates Foundation in seine Entwicklung investierte, bis zum Börsengang 2020 die Kriterien eines Einhorns: eine Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar, nicht an der Börse notiert und – kein notwendiges Kriterium, aber durchaus typisch – noch kein Produkt verkauft. Im Sommer 2020 ging CureVac mitten während der Covid-19-Pandemie in New York mit fulminantem Start an die Börse. Ein Treiber seines Unternehmenswerts war seine Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2. Der neuartige Impfstoff basierte auf einer von CureVac erfundenen messenger-RNA- (mRNA-)Technologie, die das Unternehmen nach der Jahrtausendwende fast ein Jahrzehnt lang als Pionier für mRNA-Medikamente unter äußerst schwierigen Voraussetzungen mehr oder weniger allein auf weiter Flur vorangetrieben hatte.

Ein Einhorn ist immer – ganz besonders aber in Deutschland – Anlass, die spannende Unternehmensgeschichte Revue passieren zu lassen. Das gilt umso mehr, wenn das Einhorn, wie im Fall von CureVac, aufgrund eines aufsehenerregenden Investments der Bundesregierung im Sommer 2020 landesweite Bekanntheit erlangt hat. Grund genug also, über die Hintergründe der Geburt des Unternehmens, seine anfangs schwierige Finanzierungsgeschichte und seine ausgefuchste Technologie zu berichten. Was genau ist diese messenger-RNA? Was macht die CureVac-Technologie aus, die das Unternehmen mit der Bewertung eines kleinen DAX-Unternehmens an die New Yorker Börse gehen ließ? Wie funktioniert der gerade entwickelte SARS-CoV-2-Impfstoff? Warum bietet die Herstellung der mRNA einen so großen Vorteil im Vergleich zu anderen therapeutischen Molekülen? Für welche medizinischen Anwendungen ist mRNA wie geschaffen und für welche vielleicht nicht?

Ein Einhorn steht aber auch sinnbildlich für das Risiko, dem sein eigenes Gedeihen ausgesetzt ist. Einhörner können scheitern. Vielleicht erfüllt eine Technologie wichtige Anforderungen nicht, die an ihre Sicherheit, ihre Wirksamkeit oder auch nur an ihre Kosteneffizienz gestellt werden, um im Markt zu überleben. Dasselbe kann für die Produkte gelten, die auf Basis der betreffenden Technologie entwickelt werden. Wenn dieser Fall eintritt, dann scheitern zusammen mit dem Einhorn alle, die sich seinem Gedeihen gewidmet haben: Zunächst müssen sich Gründer und Mitarbeiter eine andere Beschäftigung suchen, und die einst rosigen Karriereaussichten im Technologieunternehmen lösen sich in Luft auf. Dann sind da die Investoren, seien es Business Angels oder Wagniskapitalunternehmen und ihre Finanziers, die in aller Regel ihre Investments komplett abschreiben können. Ihr Geld ist für alle Zeiten verloren. Schließlich leidet das Umfeld einschließlich der Banken und Vermieter, die ebenfalls oft in der Hoffnung auf dauerhafte, profitable Geschäftsbeziehungen Risiken eingegangen sind. Es entstehen Leerstände beispielsweise bei spezialisierten Laboren, die vielleicht gar nicht so leicht weiterzuvermieten sind. Oder ausstehende Darlehen müssen abgeschrieben werden, wenn ein gescheitertes Start-up in die Insolvenz geht.

Das außergewöhnliche und faszinierende Beispiel von CureVac erlaubt es, gerade angesichts des eben beschriebenen Risikos den Finger auf den Puls des Innovationsstandorts Deutschland zu legen. Denn natürlich wollen wir in Zukunft möglichst viele CureVacs bei uns haben. Wie gut trägt der rechtliche und gesellschaftliche Rahmen in Deutschland dazu bei, dass Gründer, Investoren sowie das unterstützende Umfeld das mit Technologie-Start-ups verbundene Risiko übernehmen?

Die Umstände des besonderen Erfolgs von CureVac belegen, wie sehr dieses leuchtende Beispiel das Ergebnis der besonderen Hingabe und Risikobereitschaft aller Beteiligten war und wie wenig das Produkt einer cleveren Standortpolitik für Innovation. Daraus lässt sich ableiten, was wir ändern müssen, um den Standort Deutschland in eine saftige grüne Weide zu verwandeln, auf der Einhörner gut im Futter stehen und schnell fliegen lernen.

Wir werden erkennen, dass wir alle mit etwas mehr Risikobereitschaft zum Entstehen des nächsten Einhorns und damit vielleicht sogar ein wenig zur Rettung der Welt beitragen können. Denn es werden Unternehmen wie CureVac und Technologien wie seine messenger-RNA-Technologie sein, die an vorderster Front stehen, wenn es um die Lösung der bestehenden Probleme der Menschheit geht. So wie mRNA-Technologie zur Beherrschung der Coronapandemie beiträgt, so werden andere Technologien zur Bewältigung der wichtigen Herausforderungen der Menschheit beitragen. Saubere Energie, wirksame Medikamente und nachhaltige Ressourcennutzung sind wie vieles andere mehr in hohem Maße auf Hightech-Produkte angewiesen, die es heute noch nicht gibt. Immer dann, wenn ihre Entwicklung auf der Basis von Erfindungen in Start-ups erdacht und auf den Weg gebracht wird, wird dazu privates Kapital benötigt.

Es wird sich zeigen, dass wir in Deutschland gerade hinsichtlich der Finanzierung von Technologieentwicklung in Start-ups auf allen Ebenen schlecht aufgestellt sind. Von steuerlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen über die vermeintliche Sicherheitskultur beispielsweise bei der Altersvorsorge bis hin zu einer regelrechten Kapitalmarktphobie tragen zahlreiche Faktoren dazu bei, dass die Produkte und Technologien, die wesentlich über die Zukunft unseres Planeten entscheiden, wahrscheinlich nicht in Deutschland entstehen werden. Um in unserem Bild zu bleiben: Einhörner werden nicht in Deutschland schlüpfen und die Welt wird nicht in Deutschland gerettet werden. Daran sollten wir dringend etwas ändern!

Meinen eigenen Zugang zum Thema verdanke ich meiner Bekanntschaft mit Ingmar Hoerr, dem Gründer und langjährigen Geschäftsführer, Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden von CureVac. Wir lernten uns 1999 noch vor Gründung des Unternehmens im Rahmen unseres gemeinsamen MBA-Studiums kennen und schätzen. Von 2002 bis 2010 war ich Finanz- und Personalchef des als GmbH gegründeten Start-ups. In dieser Zeit durfte ich wichtige Entwicklungsschritte miterleben und mitgestalten. Und ich erfuhr am eigenen Leib, wie schwierig es ist, Finanzierung für ein Hightech-Start-up aufzutreiben. Währenddessen konnte ich den Kollegen bei der frühen Entwicklung der Technologie über die Schulter blicken und wurde Zeuge des Aufbaus der Produktion. Nach meinem Ausscheiden aus dem Unternehmen gründete ich (und leite bis heute) ein weiteres Medikamente entwickelndes Start-up, was meinen Einblick in das wirtschaftliche und regulatorische Umfeld vertieft hat. Außerdem verfolge ich mit großem Interesse den Fortgang CureVacs und seit etwa 2010 den rasanten Aufstieg der Konkurrenz.

Ich schreibe dieses Buch für alle, die mehr über CureVacs Geschichte und mRNA-Technologie wissen möchten. Gleichzeitig möchte es einen Beitrag zu der Diskussion leisten, wie transformativer Innovation – als einer Quelle künftigen Wohlstands und sozialer Sicherung in Deutschland – langfristig der Boden bereitet werden kann.

Kapitel 1CureVacs Anfänge: Von der Doktorarbeit zur Unternehmensgründung

Jedes Start-up steht und fällt mit seinen Gründern. Menschen, die eine Idee für ein neues Produkt entwickeln. Typen, die, anstatt vielversprechende Karrieren einzuschlagen, für die es ihnen an Befähigung nicht fehlen würde, lieber lange Durststrecken in Kauf nehmen, um ihre Idee in die Tat umzusetzen. Charaktere, die auch angesichts des Risikos, komplett zu scheitern, nicht verzweifeln, sondern dies vielmehr als Ansporn empfinden. Nicht nur kreative Köpfe hinsichtlich ihrer Produktidee, sondern auch Pfadfinder für Wege, diesen Produkten zu kommerzieller Relevanz zu verhelfen.

Der Ideengeber und Antrieb hinter CureVac war Ingmar Hoerr. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre forschte er im Rahmen seiner Dissertation, angeleitet von Professor Günther Jung, über die Möglichkeit, genetische Impfstoffe als Therapeutikum bei Krebs einzusetzen. Dabei verwendete Ingmar sowohl DNA – Desoxyribonukleinsäure, das Molekül, das unsere Erbsubstanz ausmacht – als auch mRNA, messenger-Ribonukleinsäure oder Boten-RNA, das Biomolekül, das in der Natur in kürzeren Abschnitten von DNA abgeschrieben wird. Messenger-RNA ist geringfügig anderes konstruiert als DNA, trägt aber nach der Abschrift die identische Information eines Abschnitts der DNA. Aus der mRNA werden dann in den Proteinfabriken der Zelle Proteine hergestellt – sie sind das Zielmolekül jeder Gentherapie, denn Proteine machen den lebenden Organismus aus, nicht DNA oder mRNA, die nur die Information für die Proteine enthalten.1

Ingmars Promotion fiel in die frühe Zeit der Gentherapie – wohlgemerkt: Gentherapie mit der Erbsubstanz DNA, dem Geschwistermolekül der mRNA.

Erste Erfolge der Gentherapie mit DNA im Tiermodell hatten zu einem sprunghaft steigenden Interesse geführt.In den Achzigerjahren führt PubMed, eine medizinische Literaturdatenbank, durchschnittlich 27 Publikationen pro Jahr zum Thema Gentherapie auf. Allein im Jahr 2000 waren es jährlich bereits über 1 500. In manchen Augen reihten sich schon die Dollarzeichen auf wie Gewinnsymbole in einem einarmigen Banditen. Wenn man die Erbsubstanz DNA in Vehikel laden könnte, die sie in die Zellen transportieren, könnte man die Zellen auf diesem Weg jedes beliebige Protein selbst herstellen lassen. Genetische Defekte in Erbkrankheiten könnten ausgeglichen werden – so die Hoffnung.

Da starb 1999 plötzlich ein Patient in einem klinischen Versuch, der die Sicherheit der Behandlung belegen sollte. Jesse Gelsinger hatte eingewilligt, an einer offiziellen und genehmigten Studie teilzunehmen, in der Hoffnung, seine unheilbare Erbkrankheit zu besiegen. Am 13. September 1999 erhielt er im Krankenhaus der University of Pennsylvania eine adenovirale Formulierung von DNA für ein bei ihm fehlendes Gen. Vier Tage später, am 17. September, starb Gelsinger im Alter von 18 Jahren – vermutlich an einer überschießenden Immunreaktion gegen den adenoviralen Vektor, das Transportvehikel, welches das ihm fehlende Gen in die Zellen transportieren sollte.1

Es war genau die Zeit, in der Ingmar auf das gigantische Potenzial der mRNA aufmerksam wurde. Ingmars Motive, mit mRNA zu arbeiten, waren zunächst unabhängig von diesem Vorfall. Ganz bestimmt hatte Jesse Gelsinger und der aus seinem Tod resultierende Rückschlag für die DNA-Technologie ihn aber darin bestärkt, die Entwicklung der mRNA als sicherere Alternative voranzutreiben.

Im Zeitraum zwischen 1996, als eine Publikation erschien, die den Auslöser zu den mRNA-bezogenen Aktivitäten in Tübingen bildete,2 und 1999, als Ingmar seine Dissertation abschloss, war Folgendes geschehen: Die an Gentherapie forschende Welt und auch Ingmar und dessen Umfeld in Tübingen arbeiteten an Möglichkeiten, mithilfe geschickter Verpackungen die Aufnahme von DNA in Zellen zu verbessern, um damit Krebs-Immuntherapie zu betreiben. Der Impuls, auch verpackte mRNA auszuprobieren, stammte von Professor Hans-Georg Rammensee, dem Korreferenten von Ingmars Doktorarbeit. Ingmar erinnert sich:

»Hans-Georg hatte 1996 bei einem Kongress von den Ergebnissen erfahren, die Eli Gilboas Forschungsgruppe in den USA erzielt hatte. Sie hatten Immunzellen außerhalb des Körpers mit mRNA für ihre Aufgabe bei der Krebsbekämpfung ›programmiert‹.3 Mit Immunzellen außerhalb des Körpers zu arbeiten war umständlich und aufwendig. Da schlug er mir vor, es doch auch mal mit direkter Injektion von verpackter mRNA in den Körper zu versuchen. Wer weiß, vielleicht konnte man ja auch so eine Reaktion des Körpers gegen Krebs auslösen.«

Ein schwieriges Unterfangen. In einem Brief an einen möglichen Investor beschreibt Ingmar Jahre später seine anfängliche Frustration:

»Ich war nun schon über anderthalb Jahre an meiner Arbeit, ohne irgendeinen ›Durchbruch‹ erzielt zu haben. Mehr noch, ich wusste eigentlich gar nicht, wann ich nun endlich einmal relevante Daten für die Dissertationsschrift produzieren würde, nachdem ich einige Experimente in den Sand gesetzt hatte (…). So baute ich mir immer mehr Druck auf und ich beschloss, nun endlich ein ›besserer Wissenschaftler‹ zu werden. Als Erstes verlegte ich meinen Arbeitsplatz für RNA-Arbeiten in eine Dunkelkammer, von der ich wusste, dass sie einigermaßen frei von RNA-Abbauenzymen war. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, schon in meiner Diplomarbeit wurde ich von meinen Mitstudenten gewarnt. Jeder versuchte, möglichst alle Arbeiten mit RNA zu umgehen.«4

Doch dann kam der Versuch, der alles veränderte und den Grundstein für die Entwicklung einer revolutionären Technologie legte. Ingmar hatte eine Reihe von unterschiedlich verpackten DNA- und mRNA-Konstrukten hergestellt, um ihre immunisierende Wirkung zu testen. Er erhoffte sich, dass etwas dabei war, das besser wirkte als das, was man bereits kannte. Wie jeder gute Wissenschaftler überlegte sich auch Ingmar Kontrollen, darunter Negativkontrollen, von denen er annahm, dass sie keinesfalls funktionieren konnten. Wenn diese doch zur Immunisierung führen würden, dann war etwas am Versuchsaufbau oder an der im Versuch getesteten Hypothese faul. Und eine dieser Negativkontrollen war in Ingmars Experiment eine nicht verpackte mRNA, also eine Abschrift der DNA mit derselben kodierten Information, aber viel zu labil, um so lange zu überleben, bis sie in der Zelle ein Protein bauen konnte. So dachte die Welt. Und so dachte auch Ingmar. Vielleicht, so hoffte er, würden ja die verpackten mRNAs irgendwie funktionieren.

Doch dann geschah das Unerwartete. Die nackte und unverpackte mRNA aus der Negativkontrolle baute das kodierte Protein und erbrachte die beste Immunreaktion.

»Ich nahm an, dass ich die verschiedenen Proben einfach vertauscht hatte, denn manchmal kann ich selber meine eigene Schrift auf den kleinen Reaktionsgefäßen nicht lesen«.5

Aber irgendeine verpackte mRNA oder DNA, so vermutete Ingmar, hatte offensichtlich sehr gut funktioniert. Also schnell den Versuch wiederholen und diesmal aufpassen, dass nichts vertauscht wird. Das Ergebnis war aber wieder dasselbe. Diesmal war ausgeschlossen, dass Proben vertauscht worden waren. Die natürliche unverpackte mRNA aus der Negativkontrolle hatte tatsächlich das in ihr kodierte Protein in den Zellen entstehen lassen und zu einer ausgeprägten Immunreaktion geführt.

»Eine Sensation: RNA hat das Potenzial, als Impfstoff gegen Krebs und virale Infektionen eingesetzt werden zu können. Der besonders smarte Ansatz dabei ist, dass keine Liposomen oder sonstige komplizierte Agenzien zum Schutz der RNA gebraucht werden. Viele dieser Transfer-Vehikel zeigten in der Vergangenheit eine sehr toxische Wirkung in präklinischen Tiermodellen.

Und damit war die Idee geboren, RNA als Krebsmedikament zu entwickeln, ja noch vielmehr, die etablierte unsichere DNA-Gentherapie durch RNA-Technologie zu ersetzen.«6

Im Februar 2021 wurde Ingmar Hoerr für seine wissenschaftliche Arbeit an mRNA-Impfstoffen für den Nobelpreis nominiert.7

Es tut der Sache keinen Abbruch, dass Ingmar mit seiner Entdeckung nicht der Erste war, der die Anwendbarkeit von mRNA in Versuchen bestätigt hatte. Andere hatten schon früher aufregende Ergebnisse aus Experimenten mit mRNA in anderen Bereichen publiziert. Bereits in den Siebzigerjahren hatten Wissenschaftler mit nackter mRNA gearbeitet und die Zielproteine in Froscheiern bauen lassen.8 Eine Gruppe in San Diego etablierte 1989 mRNA-basierte Proteinherstellung in Zellen unterschiedlicher Organismen, darunter auch humanen Zellen. Sie manipulierten die mRNA und konnten die produzierte Proteinmenge um den Faktor 1 000 verbessern.9 Anfang der Neunzigerjahre gelang das Gleiche dann auch schon in den Muskelzellen einer Maus in vivo.10 Ein Neuropharmakologe erreichte 1992 eine Unterbrechung einer bestimmten Diabetesform im Rattenmodell durch die Injektion aufgereinigter mRNA in den Hypothalamus. Die mRNA kodierte für ein fehlendes Gen, das die Ausbildung der Krankheit verursachte.11 Ein Franzose namens Martinon veröffentlichte mit seinen Kollegen 1993 einen Artikel über eine Immunisierung von Mäusen gegen Grippeviren mittels Injektion von in Liposomen verpackter mRNA.12 Und wie bereits erwähnt, arbeitete ein Team um Eli Gilboa in Durham, North Carolina, Mitte der Neunzigerjahre an einem Ansatz, bestimmte Immunzellen außerhalb des Körpers mit Informationen über Krebszellen zu beladen. Sie arbeiteten zu diesem Zweck mit aus Tumoren gewonnener mRNA.

Die aus diesen Forschungsarbeiten resultierenden Veröffentlichungen stellten ein erstes Aufblitzen der Erkenntnis über die mögliche Nutzung von mRNA am insgesamt dunklen Nachthimmel der mRNA-Technologie dar. Diese Ansätze führten jedoch nicht zu einem nachhaltigen Durchbruch, teilweise waren sie nicht einmal von Aktivitäten im Umfeld der Veröffentlichung begleitet, die der Nachwelt erhalten blieben. Man glaubte offensichtlich nicht an das Potenzial von mRNA im Allgemeinen und schon gar nicht an ein Potenzial von direkt in den Körper verabreichter mRNA. Man misstraute den verwendeten Verpackungen. Oder man hatte Wichtigeres zu tun.

Anders als bei seinen Vorgängern hatten Ingmars Ergebnisse seine Gedanken in Schwung gebracht, und sie hörten nicht mehr auf zu kreisen. Sein visionärer Kopf machte nach dem ersten gelungenen Versuch mit messenger-RNA Überstunden. Er begann das Potenzial von mRNA zu erahnen. Wenn man ihre Stabilität und die Menge an Protein, die pro Menge mRNA hergestellt wird – die sogenannte Expressionshöhe – verbessern könnte, dann wären plötzlich ungeahnte medizinische Anwendungen denkbar.

Denn wie Softwarecode mit einer überschaubaren Anzahl von Befehlen jede App gestaltet, die wir benutzen, so kann mRNA mit gerade einmal vier Bausteinen jedes Protein auf diesem Planeten kodieren. Und Proteine sind die Bausteine des Lebens. Wer mRNA beherrschen könnte, der könnte die Zellen eines Organismus fehlende Proteine selbst herstellen lassen. Oder Proteine, die ein Organismus noch gar nicht kannte – zum Beispiel charakteristische Proteine von Viren und Bakterien, zusammen mit einem Alarmsignal, um tatsächliche Infektionen zu simulieren. Das konnte die Impftechnologie revolutionieren. Ein wahres Füllhorn an molekularbiologischen Möglichkeiten tat sich auf. Und Anwendungen für Märkte mit Multi-Milliarden-Euro-Potenzial.

Doch zunächst konnten Ingmars Kollegen nur über ihn staunen. Warum um Himmelswillen verwendete er mRNA? Mit DNA konnte man im Labor mühelos arbeiten. Sie war stabil und beherrschbar. Sie wurde von den Zellen der Labortiere zuverlässig aufgenommen und man konnte dann ihre Effekte mühelos studieren. Ergebnisse, die sich für Veröffentlichungen eigneten, waren quasi garantiert. Aber was mRNA anging, so war doch bekannt, dass sie im Laboralltag völlig unpraktikabel war. Überall vorhandene Abbauenzyme, im Fachjargon RNasen genannt, machten ihr den Garaus, lange bevor sie in der Zelle ankam, und erst recht, bevor dort das in ihr enkodierte Protein produziert werden konnte. So lautete die herrschende Meinung. Nur Spinner ließen sich auf die Arbeit mit dieser Diva von Molekül ein. Die allgemeine Erwartung war also, dass Ingmar sich mit seiner fixen Idee auf dem Holzweg befand.

Ingmar kam zugute, dass man bereits wusste, wie man den richtigen mRNA-Code für ein bekanntes Protein findet und wie man die so kodierende mRNA herstellt. Man glaubte eben nur nicht daran, dass die mRNA in lebenden Zellen ankommt, damit dort das kodierte Protein entstehen kann. Zumindest schienen medizinische Anwendungen undenkbar. Zu unkontrollierbar erschien das Molekül, zu gering war stets die Proteinausbeute. Messenger-RNA-Forschung war damals ein wenig beachtetes Feld fernab größerer wissenschaftlicher oder gar kommerzieller Relevanz.

Doch Ingmars Arbeit an seiner Dissertation legte den Grundstein für eine beispiellose deutsche Biotechnologie-Erfolgsgeschichte. Sie wurde zum ersten Dominostein in einer langen Reihe, die zu einer Revolution in der Medizin führte, deren Zeugen wir heute sind. Diese Geschichte ist untrennbar mit dem Kopf verbunden, der visionär genug denken konnte und sich von nichts und niemandem beirren ließ. Und der unbeleckt genug war, die vielen Hürden, die vor ihm lagen, nicht zu erkennen. In einem Artikel aus dem Jahr 2017 gestand Ingmar seine anfängliche Naivität ein und berichtete gleichzeitig von seiner Dankbarkeit dafür, denn hätte er gewusst, wie beschwerlich der Weg werden würde, hätte er vermutlich niemals den ersten Schritt getan.13

Für Ingmars Ansatz sprach, dass sich die Technologie gut mit Patenten schützen ließ. Wer herausgefunden hat, wie man mRNA für den therapeutischen Einsatz verbessert, der kann darauf Patente anmelden und damit anderen so lange verbieten, dieselbe Technologie kommerziell einzusetzen, bis das Patent abgelaufen ist.

Vieles, was die DNA-Therapie versprach, konnte mit mRNA wesentlich eleganter erreicht werden. Messenger-RNA war vergänglich! Was wie eine Schwäche klingt, ist für den Einsatz als Arzneimittel eine entscheidende Stärke: Sie konnte nicht wie etwa ein künstlicher DNA-Strang unkontrolliert in die körpereigene DNA eingebaut werden. Sollte zu viel Protein hergestellt werden, würde man die Dosis wieder reduzieren können, indem weitere mRNA-Gaben einfach abgesetzt würden. Der natürliche Wirkort von mRNA war genau dort, wo sie mit der Aufnahme in die Zelle hingelangte: im Zellplasma, wo sie für die zelleigenen Proteinfabriken von Natur aus benötigt wird. Der natürliche Wirkort der DNA dagegen ist der Zellkern, dort, wo sich auch die körpereigene DNA befindet, wohin aber mit einer Injektion verabreichte DNA nicht ohne Weiteres gelangte.

Und was bislang als Nachteil gesehen worden war, nämlich dass die mRNA so instabil ist, konnte sich plötzlich in einen Vorteil verwandeln: Denn von mRNA erwartete niemand, dass ihre Bausteine im Körper Schaden anrichten könnten. Schnell würde mRNA von den RNasen in ihre Tausende natürlichen Bausteine Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil abgebaut werden, um dann zu neuen natürlichen mRNA-Strängen mit Tausenden Bausteinen, abgekürzt als A, C, G und U, zusammengebaut zu werden – so wie das uralte Abläufe in jeder lebenden Zelle vorsehen, seit der Zeit, als Leben auf unserer Erde entstand. Ganz natürlich. Rückstandsfrei.

Messenger-RNA. Die Vision war geboren. Und die Begeisterung dafür ließ sich übertragen: auf junge Wissenschaftler in Ingmars Umfeld, die sich auf die Arbeit mit mRNA einließen. Wie sehr manche von der Idee eingenommen waren, wird anhand einer Anekdote deutlich. Man erzählt sich, ein CureVac-Wissenschaftler habe zu Werbezwecken für einen Kongress ein lebensgroßes Plakat mit zwei nackten Menschen, einer Frau und einem Mann, als dunkle Silhouette im Gegenlicht erstellt. Die Aufschrift lautete in etwa»CureVac – Naked RNA«. Damit sollte wohl versinnbildlicht werden, dass nackte RNA an der Entstehung allen Lebens beteiligt ist. Und welch urwüchsige Kraft in dem Ansatz steckt, nackte RNA zu verwenden. Man munkelt, der Wissenschaftler habe für das Plakat selbst Modell gestanden.

Die Mitstreiter gingen zunächst im Rahmen ihrer Diplom- oder Doktorarbeiten Fragestellungen nach, die das Wissen über mRNA-Anwendungen mehren sollten. Antworten auf brennende Fragen wurden gefunden, neue Fragen tauchten auf. Das Leben spielte sich in der Universität ab. Keiner der Beteiligten dachte ernsthaft über eine Firmengründung nach.

Die Gründung von CureVac

Bis auf Ingmar. Er hatte das rasante Wachstum von Gründungen zu Beginn der »New Economy« miterlebt. Und er begriff, dass die Gründung eines Unternehmens die Voraussetzung für eine breitere Nutzung seiner Ideen sein würde. Gleichwohl empfand er, dass er sich das nötige Rüstzeug erst noch besorgen aneignen musste. So beschloss er, ein MBA-Programm (Master of Business Administration) zu buchen, ein wirtschaftliches Aufbaustudium für Akademiker.

Solche Programme waren 1999 neu in Deutschland. Erst vor Kurzem war das Hochschulrahmengesetz geändert worden, welches das Auflegen von Wirtschaftsaufbaustudiengängen und die Verleihung von Masterabschlüssen nun erlaubte. Namhafte Schulen, die solche Studiengänge anboten, wie INSEAD in Frankreich, Bocconi in Mailand, die London School of Economics oder auch die illustren US-amerikanischen Vorbilder wie zum Beispiel die Harvard Business School, gab es hierzulande freilich nicht.

Aber auf den unbestellten Boden fielen schnell Samen und Studiengänge schossen wie Pilze aus dem Boden – die meisten ungeprüft und unbewertet, was die Auswahl erschwerte. Eines dieser Programme wurde von der Steinbeis-Organisation in Stuttgart in Kooperation mit der bereits etablierten Hochschule Krems in Österreich aufgelegt. Als berufsbegleitendes Studium erlaubte es die gleichzeitige Wahrnehmung einer weitgehend regulären Beschäftigung. Einige der Kollegen waren als Assistenten der Geschäftsführung tätig, andere als Juristen, Berater oder in irgendeiner anderen Funktion. Studiert wurde im monatlichen Turnus donnerstags bis samstags sowie in acht einwöchigen Präsenzmodulen, verteilt über zwei Jahre. Arbeitgeber und Studenten sollten gleichermaßen Geld und Zeit investieren und davon profitieren.

Bei diesem berufsbegleitenden MBA-Studium lernte ich Ingmar kennen. Zusammen mit einem bunten Haufen aus Juristen und BWLern, gemischt mit Absolventen etlicher anderer Fachrichtungen, machten wir uns auf, per Crashkurs die Geheimnisse des Unternehmertums zu erlernen. Unter der Woche versuchten wir, uns in unseren Unternehmen zu behaupten. Alle vier Wochen drückten wir von Donnerstag bis Samstag die Schulbank und widmeten uns dem besseren Verständnis dessen, was wir im Unternehmen erlebten.

Wir tauschten uns über die Tätigkeiten der Kommilitonen aus und genossen die so unterschiedlichen Blickwinkel, die auf den zahlreichen vertretenen Fachrichtungen und den unterschiedlichen Stärken der Teilnehmer fußten. Wir ertrugen miteinander die besondere Anstrengung der berufsbegleitenden Ausbildung. Wir schimpften zusammen über Dozenten, die uns nicht gefielen, und fachsimpelten über die Studieninhalte, die uns umtrieben.