Die drei Stigmata des Palmer Eldritch - Philip K. Dick - E-Book

Die drei Stigmata des Palmer Eldritch E-Book

Philip K. Dick

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Beschreibung

In ›Die drei Stigmata des Palmer Eldritch‹ (1965) entwirft Philip K. Dick eine Welt, in der die Menschen jeden Planeten des Sonnensystems kolonialisiert haben, weil die Erde durch die Klimaerwärmung unbewohnbar geworden ist. Aber das außerirdische Leben ist hart, und so ergibt man sich halluzinatorischen Drogen, mit denen man in jede denkbare virtuelle Welt ausweichen kann. Über allem thront ein Drogentycoon mit gottgleicher Macht. Zum ersten Mal in seinem Werk gibt Dick religiösen Spekulationen nach: Die Zukunft wird gnostisch und das Böse ein Attribut Gottes.

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Seitenzahl: 360

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Philip K. Dick

Die drei Stigmata des Palmer Eldritch

Roman

Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler

FISCHER E-Books

Inhalt

Es ist doch so: [...]EinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehn

 

 

 

Es ist doch so: Denken Sie daran, dass wir alle nur aus Staub gemacht sind. Das verspricht zugegebenermaßen wenig Aussicht auf Erfolg, und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Aber selbst wenn man bedenkt, dass zu Anfang einiges schiefgelaufen ist, halten wir uns eigentlich recht gut. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es, trotz der miserablen Situation, in der wir uns momentan befinden, schaffen können. Noch Fragen?

Aus einem firmeninternen Audio-Memo an alle Pre-Fash-Berater der Perky Pat Layouts Inc., diktiert von Leo Bulero unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Mars

Eins

Barney Mayerson erwachte mit rasenden Kopfschmerzen, in einem fremden Schlafzimmer, in einem fremden Haus. Neben ihm, die Decke bis zu den nackten, runden Schultern hochgezogen, schlief eine fremde junge Frau. Sie atmete leise durch den Mund, ihr Haar ein watteweißer Wirrwarr.

Ich komme bestimmt zu spät zur Arbeit, dachte er, schlüpfte aus dem Bett und rappelte sich hoch, mit geschlossenen Augen, damit ihm nicht übel wurde. Soviel er wusste, war er mehrere Fahrtstunden von seinem Büro entfernt; womöglich war er nicht einmal mehr in den Vereinigten Staaten. Immerhin war er noch auf der Erde; die Schwerkraft, die ihn taumeln ließ, war vertraut und normal.

Und dort, vor dem Sofa im Nebenzimmer, stand auch der vertraute Koffer mit seinem Psychiater Dr. Smile.

Barfuß trottete er ins Wohnzimmer und setzte sich neben den Koffer; er ließ ihn aufschnappen, betätigte einen Schalter, und Dr. Smile sprang an. Zeiger schlugen aus, der Apparat begann zu summen. »Wo bin ich?«, fragte Barney. »Und wie weit bin ich von New York entfernt?« Das war die Hauptsache. Sein Blick fiel auf die Uhr an der Küchenwand; es war halb acht. Von wegen zu spät.

Der Apparat, eine mobile Telekontakteinheit, die per Mikrosender mit Dr. Smile, dem Zentralcomputer im Kellergeschoss von Renown 33, Barneys Eigenwohnhaus in New York, verbunden war, posaunte mit blecherner Stimme: »Ah, Mr. Bayerson.«

»Mayerson«, verbesserte Barney und strich sich mit zitternden Fingern übers Haar. »Was wissen Sie von gestern Abend?« Angewidert starrte er auf die halbleeren Bourbon- und Sprudelflaschen, den Magenbitter, die Eiswürfelschalen und Zitronen auf der Küchenanrichte. »Wer ist das Mädchen?«

»Das Mädchen im Bett ist Miss Rondinella Fugate«, sagte Dr. Smile. »Sie dürfen sie Roni nennen.«

Das kam ihm irgendwie bekannt vor und schien seltsamerweise mit seiner Arbeit in Zusammenhang zu stehen. »Moment mal«, sagte er zu dem Koffer, doch da regte sich das Mädchen im Schlafzimmer; sofort schaltete er Dr. Smile ab und stand auf. Nur mit Unterhose bekleidet, kam er sich klein und hässlich vor.

»Du bist schon wach?«, fragte die junge Frau verschlafen. Sie wälzte sich hin und her, dann setzte sie sich auf und sah ihn an; ganz hübsch, überlegte er, mit wunderschönen großen Augen. »Wie spät ist es, hast du Kaffeewasser aufgesetzt?«

Er marschierte in die Küche und brachte mit einem Knopfdruck den Herd in Gang, der das Kaffeewasser selbsttätig erhitzte. Er hörte eine Tür zufallen; Roni war ins Bad gegangen. Wasser lief. Roni stand unter der Dusche.

Er kehrte ins Wohnzimmer zurück und schaltete Dr. Smile wieder ein. »Was hat sie mit P.P. Layouts zu tun?«, fragte er.

»Miss Fugate ist Ihre neue Assistentin; sie ist gestern aus der Volksrepublik China eingetroffen, wo sie für P.P. Layouts als Pre-Fash-Beraterin tätig war. Leider ist Miss Fugate zwar überaus begabt, doch gänzlich unerfahren, deshalb hielt Mr. Bulero es für das Beste, sie eine Zeitlang als Ihre Assistentin, ich würde ja sagen: ›unter Ihnen‹, aber das könnte leicht zu Missverständnissen führen, wenn man bedenkt …«

»Na danke«, sagte Barney. Er ging ins Schlafzimmer, klaubte seine Kleider zusammen – sie lagen in einem großen Haufen auf dem Fußboden, wo er sie zweifellos selbst hingeworfen hatte – und zog sich vorsichtig an; ihm war noch immer hundeelend, und es kostete ihn einige Mühe, seinem heftigen Brechreiz nicht nachzugeben. »Stimmt«, sagte er zu Dr. Smile, ging ins Wohnzimmer zurück und knöpfte sich das Hemd zu. »Ich habe am Freitag ein Memo bezüglich Miss Fugate bekommen. Ihre Prognosen sind unzuverlässig. Die Panoramafenster mit Bildern aus dem amerikanischen Bürgerkrieg waren ein kolossaler Fehlgriff … stellen Sie sich vor, sie dachte, damit könnte sie in der Volksrepublik China einen echten Verkaufsschlager landen.« Er lachte.

Die Badezimmertür öffnete sich einen Spalt. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf Roni; rosig, frisch und biegsam, trocknete sie sich ab. »Hast du mich gerufen, Schatz?«

»Nein«, sagte er. »Ich habe mit meinem Arzt gesprochen.«

»Irren ist menschlich«, lautete Dr. Smiles ziemlich nichtssagender Kommentar.

»Wie sind sie und ich …«, begann Barney. Er wies zum Schlafzimmer. »Nach so kurzer Zeit?«

»Schicksal«, meinte Dr. Smile.

»Wie bitte?«

»Nun ja, Sie sind beide Präkogs. Sie haben vorausgesehen, dass Sie sich prächtig verstehen und irgendwann eine erotische Beziehung eingehen würden. Und da haben Sie sich gedacht – nach ein paar Drinks –, warum nicht gleich? ›Das Leben ist kurz, die Kunst ist …‹« Der Koffer verstummte, weil Roni Fugate nackt aus dem Bad gekommen war und an ihm und Barney vorbei ins Schlafzimmer tapste. Sie hatte einen schmalen, schlanken Körper – ein erstklassiges Fahrgestell, fand Barney – und kleine, straffe Brüste mit Warzen, die nicht größer waren als ein Paar rosa Erbsen. Oder, besser, ein Paar rosa Perlen.

»Ich wollte dich gestern Abend schon danach fragen«, sagte Roni Fugate. »Warum sprichst du eigentlich dauernd mit deinem Psychiater? Meine Güte, er ist immer dabei; du hast ihn nicht einmal weggestellt – und du hast ihn angelassen, bis wir …« Sie runzelte die Stirn und sah ihn forschend an.

»Aber dann habe ich ihn ausgemacht«, sagte Barney mit Nachdruck.

»Findest du mich schön?« Sie stieg auf die Zehenspitzen, streckte sich, hob die Arme über den Kopf und vollführte zu seinem Erstaunen eine rasche Folge von Übungen; sie hüpfte auf und ab, und ihre Brüste wippten.

»Allerdings«, murmelte er verblüfft.

»Ich wäre dick und fett«, keuchte Roni Fugate, »wenn ich nicht jeden Morgen die Gymnastik der UN-Kampfgeschwader machen würde. Holst du mir eine Tasse Kaffee, Schatz?«

»Bist du wirklich meine neue Assistentin bei P.P. Layouts?«, fragte Barney.

»Ja, natürlich; hast du das etwa schon vergessen? Aber du bist vermutlich wie die meisten Eins-a-Präkogs: Du kannst so gut in die Zukunft sehen, dass du die Vergangenheit nur verschwommen in Erinnerung behältst. Entsinnst du dich noch an gestern Abend?« Sie hielt inne und schnappte nach Luft.

»Äh«, sagte er geistesabwesend, »ich glaube schon.«

»Also, dass du einen Psychiater mit dir herumschleppst, kann doch eigentlich nur bedeuten, dass du deinen Musterungsbescheid bekommen hast. Nicht wahr?«

Er nickte zögernd. Das hatte er nicht vergessen. Der gefürchtete blaugrüne Umschlag war vor einer Woche eingetroffen; nächsten Mittwoch würde er sich im UN-Militärhospital in der Bronx einem Psychotest unterziehen müssen.

»Hat er dir geholfen? Hat er« – sie deutete auf den Koffer – »dich krank genug gemacht?«

Barney wandte sich an Dr. Smiles mobile Telekontakteinheit und fragte: »Was meinen Sie?«

»Leider sind Sie nach wie vor recht lebenstüchtig, Mr. Mayerson«, antwortete der Koffer. »Sie können zehn Freud Stress verkraften. Es tut mir wirklich leid. Aber wir haben ja noch ein paar Tage Zeit; wir stehen schließlich erst am Anfang.«

Roni Fugate ging ins Schlafzimmer, hob ihre Unterwäsche auf und stieg hinein. »Stell dir vor«, sagte sie nachdenklich, »wenn du eingezogen und in die Kolonien entsandt wirst, Mr. Mayerson … werde ich vielleicht zu deiner Nachfolgerin ernannt.« Ihr Lächeln entblößte herrliche, ebenmäßige Zähne.

Diese Vorstellung gefiel ihm gar nicht. Und seine Präkog-Fähigkeiten halfen ihm in diesem Fall nicht weiter: Wie es ausgehen würde, hing allein von Ursache und Wirkung in der Zukunft ab.

»Du wärst mit meiner Arbeit völlig überfordert«, meinte er. »Du warst ja schon in China überfordert, und da ist es verhältnismäßig leicht, Prä-Faktoren zu isolieren.« Doch eines Tages wäre sie so weit; das sah er eindeutig voraus. Sie war jung und sprühte nur so vor Talent: Alles, was ihr fehlte, um ihm das Wasser reichen zu können – und er war der Beste in der Branche –, waren ein paar Jahre Erfahrung. Als er sich seiner Situation bewusst wurde, war er mit einem Mal hellwach. Er hatte beste Aussichten, eingezogen zu werden, und selbst wenn er als untauglich eingestuft würde, war es gut möglich, dass Roni Fugate ihm seinen schönen, heißbegehrten Job wegschnappte, einen Job, den er sich im Lauf von dreizehn Jahren Schritt für Schritt erarbeitet hatte.

Angesichts seiner misslichen Lage erschien es ihm reichlich unpassend, dass er mit ihr ins Bett gegangen war; er überlegte, wie es dazu hatte kommen können.

Er beugte sich über den Koffer und fragte Dr. Smile mit leiser Stimme: »Können Sie mir vielleicht erklären, warum ich Hornochse unter diesen Umständen mit ihr …«

»Das kann ich dir verraten«, rief Roni Fugate aus dem Schlafzimmer; sie hatte einen etwas zu engen hellgrünen Pullover angezogen und knöpfte ihn vor dem Spiegel der Frisierkommode zu. »Du hast es mir gestern Abend selbst gesagt, nach deinem fünften Bourbon mit Wasser. Du hast gesagt …« Sie hielt inne, ihre Augen glänzten. »Es war ziemlich geschmacklos. Du hast dich folgendermaßen ausgedrückt: ›Wenn man es zu etwas bringen will, muss man mit den Wölfen heulen.‹ Nur das Verb, das du benutzt hast, war, wie ich leider sagen muss, nicht ›heulen‹.«

»Hmm«, machte Barney und ging in die Küche, um sich eine Tasse Kaffee einzugießen. Wenn Miss Fugate ebenfalls bei P.P. Layouts arbeitete, war New York bestimmt nicht weit. Sie könnten gemeinsam in die Stadt fahren. Wie reizend. Er fragte sich, ob ihr Chef Leo Bulero dafür Verständnis haben würde. Ob es gegen die Betriebsordnung verstieß, wenn Firmenangestellte miteinander schliefen? Fast alles war klipp und klar geregelt … wenngleich er sich nicht vorstellen konnte, wie ein Mann, der seine gesamte Zeit an den Urlaubsstränden der Antarktis oder in deutschen E-Therapie-Kliniken zubrachte, Zeit fand, zu allem und jedem eine Vorschrift zu ersinnen.

Eines Tages, sagte er sich, werde auch ich ein Leben führen wie Leo Bulero, statt bei 70 Grad im Schatten in New York City zu vergammeln …

Unter seinen Füßen fing es an zu pochen; der Boden bebte. Das Kühlsystem war angesprungen. Der Tag hatte begonnen.

Vor dem Küchenfenster, hinter den anderen Häusern, nahm die feindselige Sonne unbarmherzig Gestalt an, und er schloss die Augen. Das wird wieder eine Bullenhitze heute, dachte er, wahrscheinlich an die 20 Wagner. Man brauchte kein Präkog zu sein, um das vorauszusehen.

 

In dem Eigenwohnhaus mit der elend hohen Nummer 492 am Stadtrand von Marilyn Monroe, New Jersey, nahm Richard Hnatt gleichgültig sein Frühstück ein, wobei er, mehr als gleichgültig, die Wettersyndromdaten vom Vortag in der Morgenausgabe des Homöoblattes überflog.

Der Normalgletscher Ol’ Skintop war in den letzten vierundzwanzig Stunden um 4,62 Grable zurückgegangen. Und die in New York gemessene Mittagstemperatur hatte die vom Vortag um 1,46 Wagner überschritten. Zudem war die Feuchtigkeit durch die Verdunstung der Ozeane um 16 Selkirk gestiegen. Es war heißer und schwüler geworden; Mutter Natur schritt unaufhaltsam vorwärts, nur: wohin? Hnatt schob die Zeitung beiseite und widmete sich der Post, die vor Morgengrauen ausgetragen worden war … bei Tageslicht wagten sich die Postboten schon lange nicht mehr auf die Straße.

Die erste Rechnung, die seine Aufmerksamkeit gefangen nahm, betraf die anteiligen Kosten für die Kühlung des Gebäudes; angeblich schuldete er Eigenwohn 492 für den letzten Monat genau zehneinhalb Schalen – eine dreiviertel Schale mehr als im April. Eines Tages, dachte er, wird es so heiß sein, dass nichts diese Bude vor dem Schmelzen retten kann; er erinnerte sich an den Tag anno ’04, als seine LP-Sammlung wegen eines vorübergehenden Ausfalls des Kühlsystems zu einem Klumpen zusammengeschmolzen war. Nun besaß er Eisenoxidbänder; die schmolzen nicht. Damals waren sämtliche Sittiche und venusischen Ming-Vögel im Haus tot von der Stange gefallen. Und die Schildkröte seines Nachbarn schmorte im eigenen Saft. Es war natürlich tagsüber passiert, als alle – zumindest die Männer – bei der Arbeit gewesen waren. Die Frauen hatten sich im tiefsten Untergeschoss verschanzt, in dem Glauben (er konnte sich noch genau entsinnen, wie Emily ihm davon berichtet hatte), ihr letztes Stündlein habe nun geschlagen. Nicht erst in hundert Jahren, sondern jetzt. Die Caltech-Prognosen hätten sich als falsch erwiesen … aber das war selbstverständlich Unsinn; eine Stromleitung des New Yorker E-Werks war defekt gewesen. Robot-Mechaniker hatten den Fehler schnell ausfindig gemacht und behoben.

Richards Frau saß, in einem blauen Kittel, im Wohnzimmer und bestrich ein ungebranntes Keramikstück sorgfältig mit Glasur; die Zungenspitze klemmte zwischen ihren Lippen, und ihre Augen leuchteten. Sie bewegte den Pinsel geschickt auf und ab, und er konnte jetzt schon erkennen, dass es ein schönes Stück werden würde. Emilys Anblick erinnerte ihn an die Aufgabe, die ihm heute bevorstand: eine Aufgabe, die ihm gar nicht behagte.

»Vielleicht sollten wir noch ein Weilchen warten, bevor wir uns an ihn wenden«, sagte er mürrisch.

»Das ist die beste Kollektion, die wir je hatten. Wir müssen sie ihm vorführen«, erwiderte Emily, ohne aufzublicken.

»Und wenn er nein sagt?«

»Wir geben nicht nach. Oder dachtest du etwa, ich werfe die Flinte ins Korn, nur weil mein Verflossener nicht voraussehen kann – oder will –, dass unsere neuen Stücke ein Renner werden?«

»Du kennst ihn; ich nicht«, sagte Richard. »Er ist dir doch nicht böse, oder? Er trägt dir doch hoffentlich nichts nach?« Was sollte Emilys Exmann ihr auch nachtragen? Niemand hatte ihm etwas getan; nach allem, was Emily ihm erzählt hatte, war es genau umgekehrt gewesen.

Es war merkwürdig. Er hatte so viel von Barney Mayerson gehört und war ihm trotzdem nie begegnet, hatte ihn nie persönlich kennengelernt. Doch nun war es so weit. Um neun Uhr hatte er einen Termin in Mayersons Büro bei P.P. Layouts. Natürlich hielt Mayerson die Zügel in der Hand; vermutlich würde er nach einem kurzen Blick auf ihre Keramikkollektion rundweg ablehnen. Nein, würde er sagen, P.P. Layouts ist an einer Min-Ausgabe nicht interessiert. Vertrauen Sie auf meine Präkog-Fähigkeiten, meine Erfahrung und mein Pre-Fash-Marketing-Talent. Und: Abgang Richard Hnatt, mit seinen Töpferwaren unter dem Arm – ein Mann, dessen letzte Hoffnung sich zerschlagen hatte.

Er sah aus dem Fenster und stellte missmutig fest, dass die Hitze die Grenze des Erträglichen schon überschritten hatte; die Laufrinnen waren menschenleer, die Leute hatten vor der Sonne Schutz gesucht. Es war halb neun, er musste los; er stand auf, ging in den Flur und holte den Tropenhelm und das obligatorische Kühlaggregat aus dem Garderobenschrank; nach dem Gesetz musste bis Einbruch der Dunkelheit jeder Pendler eines auf dem Rücken tragen.

»Bis dann«, sagte er zu seiner Frau und drehte sich an der Wohnungstür noch einmal um.

»Bis dann, und viel Glück.« Sie war völlig in den komplizierten Glasurvorgang vertieft, und plötzlich wurde ihm bewusst, welche Spannung auf ihr lastete; sie konnte es sich nicht erlauben, auch nur einen Augenblick zu unterbrechen. Als er die Tür aufmachte und in den Korridor hinaustrat, spürte er den kühlen Luftzug des mobilen Aggregats, das auf seinem Rücken vor sich hin tuckerte. »Ach«, sagte Emily, als er die Tür zuziehen wollte; sie hob den Kopf und strich sich das lange braune Haar aus dem Gesicht. »Ruf mich an, wenn du bei Barney warst, sobald du Bescheid weißt.«

»Ist gut«, sagte er und machte die Tür hinter sich zu.

Am Ende der Rampe, in der hauseigenen Bank, öffnete er ihr gemeinsames Schließfach und brachte die Stahlkassette in einen stillen Nebenraum; dort entnahm er ihr den Schaukasten mit dem Keramiksortiment, das er Mayerson vorführen wollte.

Kurz darauf saß er im thermoversiegelten Kurzstrecken-Pendel-Express auf dem Weg zu. P.P. Layouts im Zentrum von New York City, dem großen, farblosen Gebäude aus synthetischem Beton, aus dem Perky Pat und alles Zubehör ihrer Miniaturwelt stammten. Die Puppe, überlegte er, die den Menschen zur selben Zeit erobert hatte wie der Mensch die Planeten des Sol-Systems. Perky Pat, die Kultfigur der Kolonisten. Wie bezeichnend für das Leben in den Kolonien … was brauchte man mehr zu wissen über jene Unglücksraben, die, im Rahmen der UN-Wehrpflichtgesetze, von der Erde verstoßen worden waren, mit dem Befehl, auf dem Mars, der Venus oder Ganymed – oder wohin auch immer die Bürokraten der UN sie zu verbannen pflegten – ein neues, außerirdisches Leben anzufangen … und irgendwie zu überleben.

Und wir denken, es ginge uns schlecht, dachte er.

Sein Sitznachbar, ein Mann mittleren Alters mit grauem Tropenhelm, kurzärmeligem Hemd und grellroten Shorts, wie Geschäftsleute sie trugen, sagte: »Das wird wieder ein heißer Tag heute.«

»Ja.«

»Was haben Sie denn da in dem großen Karton? Ein Lunchpaket für eine Grube voller Marskolonisten?«

»Keramiken«, sagte Hnatt.

»Die brauchen Sie zum Brennen ja nur in die Mittagssonne zu legen.« Kichernd schlug der Geschäftsmann die erste Seite seines Morgenblattes auf. »Ein Schiff von außerhalb des Sol-Systems soll auf Pluto notgelandet sein«, sagte er. »Sie haben einen Suchtrupp losgeschickt. Meinen Sie, es sind Dinger? Ich kann diese Dinger aus anderen Sonnensystemen nicht ausstehen.«

»Wohl eher eins unserer Schiffe auf dem Rückflug«, antwortete Hnatt.

»Haben Sie schon mal ein Ding von Proxima gesehen?«

»Nur auf Bildern.«

»Widerwärtig«, sagte der Geschäftsmann. »Wenn sie das Schiffswrack auf Pluto finden und es ist ein Ding, werden sie es hoffentlich per Laser ins Jenseits befördern. Schließlich ist es gesetzlich verboten, dass die in unser System eindringen.«

»Ganz recht.«

»Kann ich Ihre Keramiken mal sehen? Ich mache in Krawatten. Werners pseudohandgewirkte Lebendschlipse in verschiedenen Titanfarben – ich habe einen an, sehen Sie? Die Farben sind eigentlich eine primitive Lebensform, die wir importieren und hier auf Terra in Kulturen züchten. Wie wir sie zur Fortpflanzung bewegen, ist allerdings Betriebsgeheimnis, Sie wissen schon, wie das Rezept für Coca-Cola.«

»Aus einem ähnlichen Grund kann ich Ihnen meine Keramiken nicht zeigen, so leid es mir tut. Sie sind ganz neu. Ich bringe sie zu einem Pre-Fash-Präkog bei P.P. Layouts; wenn er sie für die Perky-Pat-Layouts miniaturisieren möchte, sind wir im Geschäft: dann brauchen wir die Info nur noch dem P.P.-Discjockey durchzugeben, der den Mars umkreist – wie heißt er noch gleich? – Und so weiter und so fort.«

»Werners handgewirkte Lebendkrawatten sind fester Bestandteil der Perky-Pat-Layouts«, erklärte ihm der Mann. »Ihr Freund Walt hat einen ganzen Schrank voll davon.« Er strahlte. »Als P.P. Layouts sich dazu entschlossen hat, unsere Krawatten im Min-Format auf den Markt zu bringen …«

»Haben Sie mit Barney Mayerson gesprochen?«

»Ich nicht; unser hiesiger Verkaufsleiter. Mayerson gilt als schwierig. Er verlässt sich ganz auf seine Intuition, und wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hat, steht sie unwiderruflich fest.«

»Irrt er sich gelegentlich? Und lehnt Artikel ab, die dann in Mode kommen?«

»Aber sicher. Ein Präkog ist schließlich auch nur ein Mensch. Ich will Ihnen etwas verraten, vielleicht hilft Ihnen das weiter. Er ist sehr misstrauisch gegenüber Frauen. Vor ein paar Jahren ist seine Ehe in die Brüche gegangen, und das hat er bis heute nicht verwunden. Seine Frau wurde gleich zweimal schwanger, und da ist der Verwaltungsrat seines Eigenwohnhauses – ich glaube, es ist Nummer 33 – zusammengetreten und hat beschlossen, ihn und seine Frau auszuquartieren, weil sie gegen die Hausordnung verstoßen hatten. Ich nehme an, Sie kennen die 33; dann wissen Sie ja auch, wie schwierig es ist, in einem Haus mit einer so niedrigen Nummer etwas zu finden. Statt also seine Wohnung aufzugeben, hat er es vorgezogen, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und sie mitsamt dem Kind vor die Tür zu setzen. Nach einer Weile wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte, und das machte ihm sehr zu schaffen; natürlich gab er sich die Schuld für diesen schweren, aber durchaus verzeihlichen Fehler; mein Gott, was würden Sie und ich darum geben, eine Wohnung in Nummer 33 oder 34 zu bekommen? Er hat nie wieder geheiratet; womöglich ist er Neo-Christ. Aber das spielt keine Rolle. Wenn Sie versuchen, ihm Ihre Keramiken zu verkaufen, nehmen Sie sich in Acht. Sagen Sie auf keinen Fall: ›Das wird besonders den Damen gefallen‹, oder so etwas. Die meisten Einzelhandelsartikel werden nämlich von …«

»Danke für den Tipp«, sagte Hnatt, stand auf, nahm seinen Karton voller Keramiken und zwängte sich durch den Mittelgang zum Ausstieg. Er seufzte. Es war ein schwieriges, womöglich sogar aussichtsloses Unterfangen; sosehr er sich auch bemühte, er kam mit Emilys bewegter Vergangenheit einfach nicht zurecht, und damit war das Geschäft wahrscheinlich schon geplatzt.

Zum Glück gelang es ihm, ein Taxi zu ergattern; während es ihn durch den dichten Stadtverkehr kutschierte, las er seine Ausgabe des Morgenblattes, insbesondere den Aufmacher über das Schiff, das sich angeblich auf dem Rückflug von Proxima befunden hatte und in den Eiswüsten des Pluto – welch eine Untertreibung! – abgestürzt war. Nach ersten Vermutungen handelte es sich um den berühmten Interplan-Industriellen Palmer Eldritch, der vor zehn Jahren auf Einladung des Prox-Rates für humanoide Typen ins Prox-System aufgebrochen war; er sollte die dortigen Autofabs nach terranischem Vorbild modernisieren. Seither hatte man nichts mehr von Eldritch gehört. Und nun das.

Terra wäre vermutlich besser dran, wenn es sich nicht um Palmer Eldritch handelte, überlegte Hnatt. Eldritch war ein brillanter, kaum zu bändigender Solo-Profi; bei der Ansiedlung der Autofab-Produktion auf den Kolonialplaneten hatte er wahre Wunder vollbracht, doch war er wie immer zu weit gegangen, hatte zu weit vorausgeplant. An den unmöglichsten Orten hatten sich Konsumgüter gestapelt, obwohl es dort keine Kolonisten gab, die sie hätten gebrauchen können. Wind und Wetter hatten sie in Schuttberge verwandelt – sie unaufhaltsam, unerbittlich korrodiert. Schneestürme, wenngleich sich kaum jemand vorstellen konnte, dass es so etwas noch gab … an manchen Orten war es wahrhaftig kalt. Zu kalt, um genau zu sein.

»Euer Fahrtziel, Eminenz«, verkündete das autonome Taxi und hielt vor einem großen, hauptsächlich unterirdischen Gebäude: P.P. Layouts mit seinen zahlreichen thermogeschützten Rampen, über die die Angestellten bequem ins Innere gelangten.

Er bezahlte das Taxi, sprang hinaus und eilte, die Kiste mit beiden Händen fest umklammernd, ungeschützt auf eine Rampe zu; einen Moment lang war er der prallen Sonne ausgesetzt, und er spürte – oder glaubte zu spüren –, wie seine Haut zu schmoren anfing. Gebacken wie eine Kröte, ausgedorrt und ohne einen Tropfen Lebenssaft, dachte er, dann erreichte er sicher die Rampe.

Im Nu war er unter der Erde und wurde von einer Empfangsdame in Mayersons Büro geleitet. Die Räume, kühl und dunkel, luden dazu ein, sich zu entspannen, doch stattdessen umklammerte er den Schaukasten ein wenig fester, versteifte sich, und obgleich er kein Neo-Christ war, murmelte er ein umständliches Gebet.

»Mr. Mayerson …« Die Empfangsdame, die etwas größer war als Hnatt und in ihrem offenen Miederkostüm und den Freizeitpumps eine hervorragende Figur abgab, wandte sich nicht an Hnatt, sondern an den Mann hinter dem Schreibtisch. »… das ist Mr. Hnatt. Mr. Hnatt, das ist Mr. Mayerson.« Hinter Mayerson stand eine junge Frau in hellgrünem Pullover mit schneeweißem Haar. Das Haar war zu lang und der Pullover zu eng. »Mr. Hnatt, das ist Miss Fugate, Mr. Mayersons Assistentin. Miss Fugate, das ist Mr. Richard Hnatt.«

Barney Mayerson saß hinter seinem Schreibtisch und las in einer Akte, ohne sein Eintreten zur Kenntnis zu nehmen, und Richard Hnatt wartete schweigend; Zorn stieg in ihm auf, schnürte ihm Brust und Kehle zu, und obwohl er Angst hatte, plagte ihn die Neugier. Das war also Emilys Exmann, der, wenn man dem Lebendkrawatten-Vertreter Glauben schenken durfte, noch immer voller Kummer und Verzweiflung seiner geschiedenen Frau nachtrauerte. Mayerson war ein recht stämmiger Mann von Ende dreißig mit ungewöhnlich vollem und nicht besonders modischem, gewelltem Haar. Er wirkte gelangweilt, machte jedoch keinen feindseligen Eindruck. Vielleicht wusste er ja gar nicht, dass …

»Na, dann lassen Sie Ihre Pötte mal sehen«, sagte Mayerson plötzlich.

Richard Hnatt stellte den Schaukasten auf den Schreibtisch, öffnete ihn, holte einen Keramikartikel nach dem anderen heraus, baute sie in einer Reihe auf und trat dann einen Schritt zurück.

Nach kurzem Zögern sagte Barney Mayerson: »Nein.«

»›Nein?‹ Was heißt hier ›nein‹?«

»Die Dinger werden ein Reinfall«, sagte Mayerson. Er nahm seine Akte und las weiter.

»Wollen Sie damit sagen, Sie haben das einfach so entschieden?«, fragte Hnatt. Er konnte es nicht fassen, dass es schon vorbei sein sollte.

»Genau, einfach so«, bestätigte Mayerson. Sein Interesse an der Keramikkollektion war erschöpft; was ihn betraf, so hatte Hnatt seine Töpferwaren bereits wieder eingepackt und war gegangen.

»Entschuldigen Sie, Mr. Mayerson«, sagte Miss Fugate.

Barney Mayerson warf ihr einen flüchtigen Blick zu und fragte: »Was ist?«

»Es tut mir leid, Mr. Mayerson«, sagte Miss Fugate; sie trat an den Schreibtisch, nahm eine der Keramiken, wog sie in der Hand und strich über ihre glasierte Oberfläche. »Aber ich habe einen völlig anderen Eindruck als Sie. Mein Gefühl sagt mir, dass diese Keramiken keineswegs ein Reinfall werden.«

Hnatt blickte von einem zum anderen.

»Geben Sie mir die mal her.« Mayerson deutete auf eine dunkelgraue Vase; Hnatt reichte sie ihm. Mayerson hielt sie eine Weile in der Hand. »Nein«, sagte er schließlich. Er legte die Stirn in Falten. »Ich habe noch immer nicht den Eindruck, dass dieser Artikel ein Erfolg wird. Meiner Meinung nach irren Sie sich, Miss Fugate.« Er stellte die Vase wieder hin. »Dennoch«, wandte er sich an Richard Hnatt, »in Anbetracht der Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Miss Fugate …« Er kratzte sich nachdenklich die Nase. »Lassen Sie die Kollektion ein paar Tage hier; ich will mich näher damit befassen.« Es war offenkundig, dass er log.

Miss Fugate streckte die Hand aus, ergriff ein kleines, merkwürdig geformtes Stück und wiegte es beinahe zärtlich an ihrem Busen. »Vor allem bei diesem Stück empfange ich sehr starke Schwingungen. Das wird ein Riesenerfolg.«

»Roni, Sie haben den Verstand verloren«, sagte Barney Mayerson mit ruhiger Stimme. Er schien jetzt wirklich böse; die Zornesröte stand ihm im Gesicht. »Ich rufe Sie an«, sagte er zu Richard Hnatt, »wenn ich mich endgültig entschieden habe. Ich sehe allerdings keinen Grund, weshalb ich meine Meinung ändern sollte, machen Sie sich also keine allzu großen Hoffnungen. Am besten nehmen Sie Ihre Sachen doch gleich wieder mit.« Er warf Miss Fugate, seiner Assistentin, einen strengen, strafenden Blick zu.

Zwei

Um zehn Uhr vormittags erhielt Leo Bulero, der Vorstandsvorsitzende von P.P. Layouts, in seinem Büro einen Videorückruf vom Tri-Planetaren Sicherheitsdienst, einer privaten Polizeiorganisation. Er hatte sie, bereits wenige Minuten nachdem er vom Absturz des von Proxima kommenden Intersystem-Schiffes auf Pluto erfahren hatte, mit den entsprechenden Ermittlungen beauftragt.

Er hörte nur mit halbem Ohr zu, denn trotz der Tragweite der Nachricht hatte er andere Dinge im Kopf.

Es war idiotisch, wenn man bedachte, dass P.P. Layouts zur Wahrung ihrer Immunität jährlich enorme Beträge an die UN abführte, doch idiotisch, oder nicht, ein Kriegsschiff der UN-Rauschmittel-Kontrollbehörde hatte unweit der nördlichen Polarkappe des Mars eine ganze Ladung Can-D im Wert von nahezu einer Million Schalen beschlagnahmt, die von den streng bewachten Plantagen auf der Venus stammte. Offensichtlich waren die Bestechungsgelder an die falschen Leute innerhalb der komplizierten UN-Hierarchie geflossen.

Und dagegen war er machtlos. Die UN war eine fensterlose Monade, auf die er keinen Einfluss hatte.

Die Absichten der Rauschmittel-Kontrollbehörde lagen auf der Hand. Sie wollte P.P. Layouts dazu zwingen, die Rückgabe der Ladung vor Gericht zu erstreiten. Denn auf diese Art ließe sich einwandfrei nachweisen, dass die illegale Droge Can-D, die so viele Kolonisten kauten, von einer geheimen P.P. Layouts-Tochterfirma angebaut, verarbeitet und in Umlauf gebracht wurde. Deshalb schien es klüger, die wertvolle Ladung sausenzulassen, als sie zurückzufordern.

»Die Vermutungen der Homöoblätter haben sich bestätigt«, sagte Felix Blau, der Leiter der Polizeiorganisation, auf dem Videoschirm. »Es ist Palmer Eldritch, und er scheint den Absturz überlebt zu haben, wenn auch schwer verletzt. Laut unseren Informationen wird er mit einem UN-Linienschiff in ein Basishospital gebracht; der genaue Aufenthaltsort ist natürlich streng geheim.«

»Hmm«, brummte Leo Bulero und nickte.

»Aber was Eldritch nun im Prox-System gefunden hat …«

»… werden Sie nie in Erfahrung bringen«, sagte Leo. »Eldritch wird schweigen wie ein Grab, und basta.«

»Eins«, sagte Blau, »ist allerdings nicht uninteressant. Eldritch hatte – oder, besser, hat – eine guterhaltene Flechtenkultur an Bord, die der Titanflechte, aus der Can-D gewonnen wird, sehr ähnlich ist. Ich dachte, angesichts der Tatsache, dass …« Blau verstummte höflich.

»Gibt es irgendeine Möglichkeit, diese Flechtenkulturen zu vernichten?«, fragte Leo instinktiv.

»Leider haben Eldritchs Leute die Überreste des Schiffes schon gefunden. Sie würden sich unseren Bemühungen in dieser Richtung zweifelsohne widersetzen.« Blau machte ein mitfühlendes Gesicht. »Wir könnten natürlich versuchen … keine gewaltsame Lösung, aber wenn wir den richtigen Leuten die Hände schmieren, ließe sich vielleicht was machen.«

»Versuchen Sie’s«, sagte Leo, obgleich er wusste, dass es weder Zeit noch Mühe lohnte. »Gibt es nicht ein Gesetz, eine Verordnung der UN, gegen den Import systemexterner Lebensformen?« Wenn man das UN-Militär dazu bewegen könnte, die Überreste von Eldritchs Schiff zu bombardieren, wäre das Problem mit einem Schlag gelöst. Er kritzelte etwas auf seinen Notizblock: Anwälte anrufen, wg. Import exotischer Flechten Beschwerde bei UN einreichen. »Ich rufe Sie zurück«, sagte er zu Blau und legte auf. Vielleicht sollte ich mich persönlich beschweren, überlegte er. Er drückte die Taste seiner Gegensprechanlage und sagte zu seiner Sekretärin: »Verbinden Sie mich mit der UN-Spitze in New York. Holen Sie mir Generalsekretär Hepburn-Gilbert an den Apparat.«

Gleich darauf war er mit dem gewieften indischen Politiker verbunden, der ein Jahr zuvor zum UN-Generalsekretär ernannt worden war. »Ah, Mr. Bulero.« Hepburn-Gilbert grinste verstohlen. »Sie möchten sich wahrscheinlich über die Beschlagnahme der Can-D-Lieferung beschweren.«

»Von einer Can-D-Lieferung ist mir nichts bekannt«, sagte Leo. »Nein, es geht um etwas anderes. Wissen Sie eigentlich, was Palmer Eldritch treibt? Er hat Non-Sol-Flechten in unser System eingeschleust; das könnte zu einer Epidemie führen, wie wir sie anno ’98 hatten.«

»Darüber sind wir uns durchaus im Klaren. Eldritchs Leute behaupten allerdings, es handele sich um eine Sol-Flechte, die Mr. Eldritch damals nach Prox ausgeführt und nun wieder mit zurückgebracht hat. Sie soll ihm als Proteinquelle gedient haben.« Das überlegene Lächeln des Inders entblößte strahlend weiße Zähne; der fadenscheinige Vorwand bereitete ihm sichtliches Vergnügen.

»Das glauben Sie doch nicht im Ernst.«

»Wo denken Sie hin!« Hepburn-Gilberts Lächeln wurde breiter. »Warum interessieren Sie sich eigentlich so sehr für diese Geschichte, Mr. Bulero? Haben Sie eine, äh, besondere Vorliebe für Flechten?«

»Ich bin ein um das Gemeinwohl besorgter Bürger des Sol-Systems. Und ich verlange, dass Sie etwas unternehmen.«

»Wir haben bereits etwas unternommen«, sagte Hepburn-Gilbert. »Die Ermittlungen sind in vollem Gange. Wir haben unseren Mr. Lark – Sie kennen ihn ja – auf die Sache angesetzt. Seien Sie unbesorgt.«

Das Gespräch nahm einen mehr als unbefriedigenden Verlauf, und als Leo Bulero schließlich auflegte, war sein Groll gegen Politiker von neuem erwacht; wenn es um ihn ging, zögerten sie keine Sekunde, gewaltsame Schritte einzuleiten, bei Palmer Eldritch hingegen … Ah, Mr. Bulero, äffte er Hepburn-Gilbert nach. Das, mein Lieber, ist natürlich etwas anderes.

Ja, er kannte Lark. Als Leiter der UN-Rauschmittelbehörde war Ned Lark für die Beschlagnahme der letzten Can-D-Lieferung verantwortlich; es war eine Finte des UN-Generalsekretärs, Lark in die Auseinandersetzung mit Eldritch hineinzuziehen. Die UN wollte ein Quidproquo; sie würde auf Zeit spielen und erst etwas gegen Eldritch unternehmen, wenn Leo Bulero Anstalten machte, seine Can-D-Transporte einzuschränken. Obgleich er es deutlich spürte, konnte er natürlich nichts beweisen. Schließlich hatte Hepburn-Gilbert, dieses kleine, dunkelhäutige Schlitzohr von Politiker, nichts dergleichen gesagt.

Das hat man nun davon, wenn man sich mit der UN einlässt, dachte Leo. Afroasiatische Politik. Ein Sumpf. Ausländer, wohin man sieht. Hasserfüllt starrte er auf den leeren Videoschirm.

Während er noch überlegte, was er tun sollte, sagte Miss Gleason, seine Sekretärin, über die Gegensprechanlage: »Mr. Bulero, Mr. Mayerson wartet im Vorzimmer; er hätte Sie gern ein paar Minuten gesprochen.«

»Schicken Sie ihn rein.« Er war für jede Ablenkung dankbar.

Einen Augenblick später kam sein Experte für die Mode von morgen herein; Mayersons Miene war finster. Schweigend nahm er Leo gegenüber Platz.

»Was haben Sie auf dem Herzen, Mayerson?«, fragte Leo. »Nur keine Hemmungen, dafür bin ich schließlich da; weinen Sie sich an meiner Schulter aus. Verraten Sie mir, wo der Schuh drückt, und ich halte Ihnen das Händchen.« Seine Stimme klang vernichtend.

»Meine Assistentin. Miss Fugate.«

»Ach ja, wenn mich nicht alles täuscht, schlafen Sie mit ihr.«

»Das steht hier nicht zur Debatte.«

»Aha, verstehe«, sagte Leo. »Das ist natürlich reine Nebensache.«

»Nein, aber mir geht es um etwas anderes. Miss Fugate und ich hatten vor kurzem eine grundlegende Meinungsverschiedenheit; ein Vertreter …«

»Sie haben etwas abgelehnt«, sagte Leo, »und sie war damit nicht einverstanden.«

»Ja.«

»Ihr Präkogs.« Bemerkenswert. Vielleicht gab es tatsächlich mehrere Zukünfte. »Und nun soll ich sie anweisen, Ihnen fortan den Rücken zu stärken?«

»Sie ist meine Assistentin«, sagte Barney. »Das heißt, dass sie meinen Anordnungen Folge zu leisten hat.«

»Nun ja … sie hat immerhin mit Ihnen geschlafen. Das ist doch schon ein Schritt in die richtige Richtung, meinen Sie nicht auch?« Leo lachte. »Trotzdem sollte sie Ihnen im Beisein eines Vertreters selbstverständlich den Rücken stärken; falls sie jedoch berechtigte Zweifel an Ihrer Entscheidung hat, steht es ihr natürlich frei, sie privat zu äußern.«

»Das geht mir immer noch zu weit.« Barneys Miene wurde finsterer.

»Sie wissen ja«, sagte Leo mit schneidender Stimme, »dank einer E-Therapie ist mein Stirnlappen gewachsen; er ist inzwischen ziemlich groß, ich bin praktisch ein Präkog. War es ein Keramikvertreter?«

Barney nickte widerwillig.

»Die Töpferwaren stammen von Ihrer Exfrau«, sagte Leo. Ihre Keramiken gingen gut; er hatte die Anzeigen in den Homöoblättern gesehen: Eine der exklusivsten Kunsthandlungen von New Orleans verkaufte sie, und auch hier an der Ostküste und in San Francisco waren sie überall zu haben. »Werden sie ein Erfolg, Barney?« Er blickte seinen Präkog prüfend an. »Hat Miss Fugate recht?«

»Nie im Leben, das schwöre ich bei Gott.« Doch Barneys Stimme klang bleiern und schwer. Sein Tonfall passte nicht zu dem, was er sagte; er war zu kraftlos, überlegte Leo. »Das sehe ich deutlich voraus«, beharrte Barney.

»Na schön.« Leo nickte. »Ich will Ihnen glauben. Aber wenn ihre Keramiken ein Knüller werden, und wir haben keine Min-Ausgaben für die Layouts der Kolonisten auf Lager« – er dachte nach –, »könnte es sein, dass Ihre Bettgenossin über kurz oder lang hinter Ihrem Schreibtisch sitzt.«

Barney stand auf und sagte: »Dann werden Sie Miss Fugate also klarmachen, welche Stellung sie einzunehmen hat?« Er wurde rot. »Ist mir so rausgerutscht«, murmelte er, als Leo in schallendes Gelächter ausbrach.

»Gut, Barney. Ich werde Miss Fugate einen Rüffel erteilen. Sie ist jung; sie wird es überleben. Aber Sie werden allmählich alt; Sie können sich keine Blöße geben, können keine andere Meinung dulden.« Auch er stand auf; er trat neben Barney und klopfte ihm auf den Rücken. »Aber Sie müssen aufhören, sich zu quälen; vergessen Sie Ihre Exfrau. In Ordnung?«

»Ich habe sie längst vergessen.«

»Es gibt genügend andere Frauen«, sagte Leo und dachte an Scotty Sinclair, seine augenblickliche Geliebte; im Moment saß Scotty, blond und zierlich, aber mit einem gewaltigen Vorbau ausgestattet, in seiner Satellitenvilla fünfhundert Meilen über der Erde und wartete darauf, dass er für diese Woche Feierabend machte. »Der Vorrat an Frauen ist unerschöpflich; sie sind schließlich nicht so selten wie alte US-Briefmarken oder die Trüffelschalen, die wir als Zahlungsmittel benutzen.« Da fiel ihm ein, dass sich die Angelegenheit vielleicht vom Tisch schaffen ließe, wenn er Barney eine seiner abgelegten – jedoch nach wie vor dienstwilligen – Geliebten zur Verfügung stellte. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, begann er; Barney schnitt ihm mit einer unwirschen Handbewegung das Wort ab. »Nein?«, fragte Leo.

»Nein. Außerdem bin ich mit Roni Fugate liiert. Und eine Frau ist für jeden normalen Mann genug.« Barney musterte seinen Vorgesetzten streng.

»Ganz Ihrer Meinung. Herrgott, ich begnüge mich doch auch mit einer Frau; oder dachten Sie etwa, ich hätte einen Harem in Pu-der-Bärs-Hundertsechzig-Morgen-Wald?« Er klang gereizt.

»Als ich das letzte Mal bei Ihnen war«, sagte Barney, »zu Ihrer Geburtstagsparty im Januar …«

»Nun ja. Partys. Das ist natürlich etwas anderes; was auf Partys geschieht, hat nichts zu sagen.« Er begleitete Barney zur Tür. »Wissen Sie, Mayerson, mir ist da ein Gerücht zu Ohren gekommen, das mir gar nicht gefallen hat. Angeblich schleppen Sie einen Kofferanschluss an Ihren Eigenwohn-Psychocomputer mit sich herum … haben Sie Ihren Musterungsbescheid bekommen?«

Eine Zeitlang herrschte betretenes Schweigen. Schließlich nickte Barney.

»Und Sie wollten uns das verheimlichen«, sagte Leo. »Wann sollten wir es denn erfahren? Wenn Sie das Schiff zum Mars besteigen?«

»Ich werde das Kind schon schaukeln.«

»Aber selbstverständlich. Wie wir alle; auf diese Weise ist es der UN gelungen, drei Planeten zu bevölkern, sechs Monde …«

»Ich werde durch den Psychotest fallen«, sagte Barney. »Das sagen mir meine Präkog-Fähigkeiten; sie helfen mir dabei. Ich verkrafte zu wenig Stress, meine Freud-Werte liegen unter der erforderlichen Mindestmarke – sehen Sie mich doch an.« Er hielt die Hände hoch; sie zitterten merklich. »Und dann meine Reaktion auf Miss Fugates harmlose Bemerkung. Und meine Reaktion, als Hnatt mit Emilys Keramiken hereinkam.«

»Schon gut«, sagte Leo, doch er war nach wie vor beunruhigt. Im Allgemeinen gewährte der Musterungsbescheid eine Frist von neunzig Tagen bis zur Einberufung, und Miss Fugate würde Barneys Posten so bald nicht übernehmen können. Natürlich könnte er Mac Ronston aus Paris kommen lassen – aber selbst Ronston war, nach fünfzehn Jahren, nicht vom Kaliber eines Barney Mayerson; zwar hatte er Erfahrung, doch ließ sich mangelndes Talent durch nichts ersetzen: Talent war eine Gabe Gottes.

Die UN will mir ans Leder, dachte Leo. Er fragte sich, ob es reiner Zufall war, dass Barney seinen Musterungsbescheid ausgerechnet jetzt erhalten hatte, oder ein neuerlicher Versuch, seinen Schwächen auf die Spur zu kommen. Wenn ja, dann gute Nacht, überlegte Leo. Und ich habe keinerlei Druckmittel gegen die UN in der Hand, um ihn freistellen zu lassen.

Und das alles nur, weil ich die Kolonisten mit Can-D beliefere, sagte er sich. Einer muss es schließlich tun; sie brauchen das Zeug. Was sollen sie sonst mit ihren Perky-Pat-Layouts anfangen?

Außerdem war es eines der einträglichsten Handelsgeschäfte im gesamten Sol-System. Es ging um jede Menge Trüffelschalen.

Und das wusste auch die UN.

 

Um zwölf Uhr dreißig New Yorker Zeit saß Leo Bulero mit einer neuen Sekretärin in einem Séparée des Purple Fox beim Mittagessen. Pia Jurgens aß mit gemessenen Bewegungen, ihr schmaler, wohlgeformter Unterkiefer mahlte gleichmäßig. Sie hatte rotes Haar, und er mochte Frauen mit rotem Haar; sie waren entweder abgrundtief hässlich oder geradezu überirdisch schön. Miss Jurgens fiel unter letztere Kategorie. Wenn er doch einen Vorwand finden könnte, sie in Pu-der-Bärs-Hundertsechzig-Morgen-Wald zu versetzen – natürlich nur, wenn Scotty nichts dagegen hatte. Und das schien im Augenblick nicht sehr wahrscheinlich; Scotty hatte ihren eigenen Willen, was bei einer Frau immer gefährlich war.

Zu dumm, dass ich Scotty nicht Barney Mayerson andrehen konnte, überlegte er. Ich muss zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Barney psychisch stabilisieren und mich befreien, damit …

Quatsch!, dachte er. Barney muss instabil sein, sonst ist er schon so gut wie auf dem Mars; deshalb hat er den sprechenden Koffer engagiert. Ich habe die moderne Welt offenbar noch immer nicht begriffen. Ich lebe nach wie vor im zwanzigsten Jahrhundert, als Psychoanalytiker die Menschen weniger stressempfindlich machten.

»Sind Sie immer so schweigsam, Mr. Bulero?«, fragte Miss Jurgens.

»Ja.« Ob ich Barneys Verhaltensmuster erfolgreich manipulieren kann?, dachte er. Ob ich ihm helfen kann – wie heißt das noch gleich? –, lebensuntüchtiger zu werden?

Aber das war leichter gesagt als getan, wie er dank seines vergrößerten Stirnlappens instinktiv erkannte. Man kann gesunde Menschen nicht auf Befehl krank machen.

Oder doch?

Er entschuldigte sich, suchte den Robotkellner und bat ihn, ein Videofon an seinen Tisch zu bringen.

Kurz darauf war er mit Miss Gleason im Büro verbunden. »Passen Sie auf. Sobald ich zurück bin, möchte ich Miss Rondinella Fugate aus Mr. Mayersons Abteilung sprechen. Und Mr. Mayerson darf nichts davon erfahren. Verstanden?«

»Ja, Sir«, antwortete Miss Gleason und machte sich eine Notiz.

»Ich habe mitgehört«, sagte Pia Jurgens, nachdem er aufgelegt hatte. »Wissen Sie eigentlich, dass ich Mr. Mayerson ohne weiteres alles erzählen könnte? Ich sehe ihn fast jeden Tag im –«

Leo lachte. Die Vorstellung, dass Pia Jurgens bereit war, die glänzende Zukunft, die er ihr zu bieten hatte, mir nichts, dir nichts über Bord zu werfen, belustigte ihn. »Hören Sie, Kindchen«, sagte er und tätschelte ihr die Hand, »machen Sie sich keine Sorgen; das ist wider die menschliche Natur. Und nun essen Sie Ihre Krokette vom ganymedischen Wop-Frosch, damit wir endlich ins Büro zurückgehen können.«

»Ich wollte nur sagen«, sagte Miss Jurgens steif, »dass ich es reichlich merkwürdig finde, dass Sie vor einer Fremden, einer Frau, die Sie kaum kennen, so offen sprechen.« Sie musterte ihn, und ihr übergroßer, verführerischer Busen wurde noch größer und verführerischer; er schwoll vor Entrüstung.

»Dann müssen wir uns wohl ein wenig besser kennenlernen«, sagte Leo. »Haben Sie schon mal Can-D gekaut?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Dann müssen Sie es unbedingt probieren. Obwohl es süchtig macht. Es ist ein einmaliges Erlebnis.« Natürlich hielt er in Pu-der-Bärs-Hundertsechzig-Morgen-Wald stets einen kleinen Vorrat, Güteklasse A, bereit; wenn Gäste kamen, griff er des Öfteren darauf zurück, um die langweilige Gesellschaft etwas in Schwung zu bringen. »Ich frage, weil Sie aussehen, als hätten Sie eine lebhafte Phantasie, und wie Sie auf Can-D reagieren, hängt allein von Ihrer imaginativen Kreativität ab.«

»Ich würde es gern mal probieren«, sagte Miss Jurgens. Sie blickte sich um, beugte sich vor und sagte mit gesenkter Stimme: »Aber das ist doch illegal.«

»Ach ja?« Er starrte sie an.

»Als ob Sie das nicht wüssten.«

»Passen Sie auf«, sagte Leo. »Ich besorge Ihnen welches.« Sie würden es natürlich zusammen kauen; wenn man es gemeinsam nahm, verschmolz das Bewusstsein der Konsumenten, wurde zu einer neuen Einheit – zumindest erlebte man es so. Hatten sie erst ein paarmal in trauter Zweisamkeit Can-D gekaut, würde er alles Wissenswerte über Pia Jurgens wissen; sie hatte etwas – abgesehen von ihrer offenkundigen anatomischen Enormität –, das ihn über die Maßen faszinierte; er sehnte sich danach, ihr nahe zu sein. »Wir machen es ohne Layout.« Ironischerweise zog er – der Erfinder und Hersteller der Perky-Pat-Mikrowelt – es vor, Can-D in einem Vakuum zu nehmen; was hatte ein Terraner auch von einem Layout? Es war schließlich nichts weiter als eine Min-Ausgabe einer durchschnittlichen terranischen Stadt. Für Siedler auf einem wüsten, sturmgepeitschten Planeten, die sich zum Schutz gegen gefrorene Methankristalle und dergleichen in den Tiefen einer Grube aneinanderkauerten, war das natürlich etwas anderes; Perky Pat und ihr Layout waren die Nabelschnur, die sie mit der Welt verband, in die sie einst hineingeboren worden waren. Er hingegen, Leo Bulero, hatte die Welt, in die er einst hineingeboren worden war und auf der er noch immer lebte, gründlich satt. Selbst Pu-der-Bärs-Hundertsechzig-Morgen-Wald mit seinen mehr oder minder ausgefallenen Zerstreuungen konnte ihm dieses Gefühl nicht nehmen. Aber …

»Can-D«, sagte er zu Miss Jurgens, »ist ein irres Zeug. Kein Wunder, dass es verboten ist. Es ist wie eine Religion; Can-D ist die Religion der Kolonisten.« Er kicherte. »Sie nehmen einen Priem, wuseln ihn ein Viertelstündchen, und …« Er wies mit ausgestrecktem Arm um sich. »Keine Grube mehr. Kein gefrorenes Methan mehr. Es verleiht neuen Lebensmut. Ist das den Preis und das Risiko etwa nicht wert?«

Aber gibt es etwas Vergleichbares für uns?, fragte er sich niedergeschlagen. Mit der Herstellung von Perky-Pat-Layouts und dem Anbau und Vertrieb der Flechtenbasis für das versandfertige Endprodukt Can-D hatte er über einer Million terranischer Zwangsexilanten ein erträgliches Leben beschert. Und was zum Teufel hatte er dafür bekommen? Mein Leben, dachte er, ist anderen gewidmet, und ich verliere allmählich den Verstand; das ist zu wenig. Da war sein Satellit, wo Scotty auf ihn wartete; und da waren natürlich auch die widersprüchlichen Interessen seiner beiden großen Handelsunternehmen, das eine legal, das andere nicht … aber hatte das Leben denn wahrhaftig nicht mehr zu bieten?