Die dunkle Jahreszeit - Beate Kohlschütter - E-Book

Die dunkle Jahreszeit E-Book

Beate Kohlschütter

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Beschreibung

Coming of age-Roman Heldin im Teenager-Alter Frankfurt am Main 80er Jahre Entwicklungsroman

Das E-Book Die dunkle Jahreszeit wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Coming of Age, Teenagar-Heldin, 80er Jahre, Autofiktion, Frankfurt am Main

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Sämtliche Charaktere sind fiktional, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

1.

„Verbrechen lohnt sich nicht“, behauptete die Frau im schwarzen Talar felsenfest. Woher sie das so genau wusste. Ob sie´s schon mal versucht hätte, hätte ich sie am liebsten gefragt, aber das ging jetzt nicht. Sie machte gerade ihre Peroration, das heißt, sie kam zum Ende und wurde nochmal feierlich. Seit einer halben Stunde geigte sie nun schon so hirnlos auf ihrer Urteilsbegründung herum, dass selbst Kräftner Mühe hatte, ernst zu bleiben. Aber das setzte dem Fass die Krone auf.

„Was macht Sie da so sicher“, murmelte ich leise. „Vollkommen metaphysische Frage.“

Leider hatte auch Kräftner es trotzdem gehört und gab mir einen Tritt gegens Schienbein.

Sie blickte mich irritiert an, machte sich dann aber wieder an ihre Arbeit.

Kräftner warf mir einen Ich-geh-dir-an-die-Gurgel-Blick zu. Ok, ok, verstehen konnte ich den Mann ja. Er gab sich alle Mühe, mich rauszuhauen, und jetzt das. Auch Rechtsanwälte können Verbrecher werden, es ist wohl nur eine Frage der Tagesform. Zum Glück war das zuviel der Metaphysik für Frau Richterin, und sie fuhr unbeirrt mit ihrem Geschwafel fort.

Zum Schluss erging an mich die Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen. Wahrscheinlich, um mich von meinem hohen intellektuellen Ross runterzuholen, oder einfach nur, weil das sowieso die Standardbestrafung war. Berti hatte mich ja schon vorgewarnt. Übrigens wurde es ziemlich heftig, schon für den Anfang: Zwei Monate in einem Heim für behinderte Kinder Butterbrote schmieren und sie aus dem Bett jagen. Zum Glück war das im Januar und somit kalt und dunkel, und da war es auch schon egal. Sowas nannte man wohl mit einem blauen Auge davonkommen. Danach war die Verhandlung geschlossen und wir gingen alle drei in die Rathauskantine zum Mittagessen.

„Das nächste Mal vertrete ich Sie nicht mehr“, sagte Kräftner. „Das nächste Mal, verlassen Sie sich drauf, fahren Sie für sechs Monate ein.“

„Besser als sechs Monate arbeiten.“

Da musste selbst Kräftner lachen. Er wurde dann ziemlich schnell wieder ernst.

„Im Gefängnis müssen Sie auch arbeiten. Die blödeste Arbeit, die es gibt: Mac-Donalds-Aufnäher an die Uniformen nähen. Die Blödheit der Arbeit ist Teil der Strafe, falls Ihnen das entgangen sein sollte.“

Das war allerdings hart.

War das jetzt eine Masche? Bluffte der nur, tat er so als würde er einen für voll nehmen, aber machte es doch nicht?

„Es wird kein nächstes Mal geben.“

„Soso. Das wär mir neu. Bei Leuten wie Ihnen gibt es immer ein nächstes Mal.“

„Woher wissen Sie das?“

„Ich kenn meine Pappenheimer schon. Als Strafverteidiger lernt man alle Sorten Mensch kennen, darunter eben auch die narzisstischpsychopathischen. Da können Sie heulen, soviel Sie wollen:

‚Ich bin ja nur ein armes kleines Mädelchen!‘ Da ist dann nichts zu machen. Sie sind eine Psychopathin im Körper eines jungen Mädchens. Beim zweiten, spätestens beim dritten Mal ist Schluss. Hat Ihnen das schonmal jemand gesagt?“

„Naja, eine Psychologin. Die hat mal sowas geschwafelt. Vor einem Jahr oder so. Die hat sich geweigert, mich weiter zu behandeln und mich aus der Praxis geworfen.“

„Da sehen Sie.“

„Verdammt nochmal, ich war doch die, die den ganzen Ärger gekriegt hat! Sie hat so getan, als wäre ich an allem schuld. Da war ich vierzehn, Mann! Das war nur einfach eine dumme alte Scheißkuh!“

„Vielleicht hatte die Scheißkuh ja recht.“

„So wie Richterin Gnadenlos jetzt. Das ist auch so eine Scheißkuh.“

Wir polkten eine Weile mit der Gabel in unserem Jägerschnitzel.

„Wieviel Jäger rechnet man eigentlich auf ein normales Jägerschnitzel?“

Kräftner musste lachen, ob er wollte oder nicht.

„Wissen Sie was? Ich mag Sie gern. Wenn ich schon dazu verdammt und verdonnert bin, die nächsten zwanzig Jahre in den Knast zu fahren, dann sollten wir wenigstens noch vorher einen Cappuccino trinken gehen. Ich kenne da ein prima Café.“

„Normalerweise trinke ich keinen Privatkaffee mit meinen Mandanten.“

„Bitte, bitte! Es ist ja das letzte Mal im Leben!“

Da konnte Kräftner nicht mehr Nein sagen. Das letzte Mal im Leben, also bitte. Eine Weile zickte er noch herum, leistete noch ein bisschen Widerstand, aber nur so pro forma. Schließlich hatte ich ihn dann soweit. Wir landeten in einem ganz besonders schönen Café in der Nähe der Börse, mit einem Gewächshaus drin, ein verlängerter Arm des Borchardt.

Da war ich oft mit André gewesen, in seligen Zeiten. Ach ja, die seligen Zeiten lagen noch nicht mal drei Monate zurück. Mir kam es schon vor wie eine Ewigkeit.

„Das haben Sie doch nicht wirklich gemeint, oder?“, fragte ich, als der Cappuccino vor uns stand.

„Doch, leider. Natürlich kann im Leben viel passieren, vielleicht wird auch alles wieder gut, aber Menschen wie Sie haben die Tendenz, andere verantwortlich zu machen. Die Scheißkuh. Richterin Gnadenlos. Sie machen es sich zu leicht und der Gesellschaft zu schwer, und das ist auf die Dauer gefährlich.“

„Aber die anderen waren schuld.“

„Manchmal kann man nicht danach fragen. Manchmal muss man die Verantwortung übernehmen, auch wenn die anderen angefangen haben. Die Gesellschaft unterscheidet da nicht so genau. Wenn´s hart auf hart kommt, lässt sie einen unter die Räder kommen. Und die Gesellschaft kriegt allmählich Angst vor Ihnen und fährt die Ellenbogen aus, das sollten Sie schon gemerkt haben.“

„Selber Psychopathen! Allesamt!“

„Da ist was dran. Allerdings wär ich gerade deswegen umso vorsichtiger. Junge Hunde verlieren ihr tapsiges Gebaren. Auf einmal sind sie keine niedlichen Welpen mehr. Wildschweine verlieren ihre putzigen Streifen. Niemand weiß, ob sich ihr Charakter ändert, aber auf einmal kriegen alle Angst vor ihnen. Und so ist das mit jungen Menschen auch.“

Hey, dieser Kräftner war ein Glücksgriff. Er gab es wenigstens zu.

„Die Gesellschaft sitzt nämlich am längeren Hebel. Besonders solange Sie kein eigenes Geld verdienen.“

Ich rollte die Augen. Wie oft hatte ich diesen Satz schon gehört.

„Ich weiß, iiich weiß. Das Geld muss ich ja erstmal verdienen. Und dazu brauche ich einen Job. Und um einen Job zu kriegen, brauche ich den Respekt der Alten. Und dazu muss ich so tun, als würde ich sie respektieren. Ich muss einigermaßen glaubhaft Theater spielen, oder? Zurück auf Feld eins. Scheißfalle, die sich die Gesellschaft da ausgedacht hat, oder?“

Er lachte. „Sie formulieren das sehr erfrischend. Natürlich hat jede Gesellschaft erstmal ein Interesse an ihrem Zusammenhalt und erst in zweiter Linie daran, ob es dem Einzelnen gutgeht. Das ist eine ziemlich alte Erkenntnis, da sind Sie nicht die Erste. Ja, wovon wollen Sie leben?“

„Wird sich schon was finden. Und wenn nicht, werd ich Börsenspekulantin. Genau. Totengräberin und Börsenspekulantin.“

Kräftner rührte nachdenklich in seiner Tasse.

„So, Börsenspekulantin. Was wissen Sie denn davon? Immer Angst, immer Stress, zuviel Alkohol, zuviel Koks. Da sitzen Sie ja an der Quelle, oder? Und mit vierzig treiben Sie dann als Leiche im Kanal.“

„Naja, dann werd ich halt Professorin.“

„Dazu müssen Sie aber studieren.“

„Um Gottes Willen. Eine Universität. Eine deutsche Universität. Mit einem deutschen Professor. Und die Studenten und die Assis, die alle um ihn herumschwanzeln.“

„Das haben Sie jetzt gesagt. Wieder zurück auf Feld Eins. Was sollen wir da machen? Wissen Sie, wie man Ihren Zustand nennt?“

„Aporie“, sagte ich dumpf. „Den Zustand der absoluten Ausweglosigkeit. Jedenfalls heißt das bei Platon so.“

„Bravo. Sie sind ja wirklich Altphilologin. Ja, der Kräftner hat sich schlau gemacht. Die Leute haben mir keinen Stuss erzählt. Altphilologin und Drogendealerin. Eine seltsame Kombination.“

Ich starrte eine Weile vor mich hin und suchte eine Antwort. Aber mir fiel keine ein.

„Vielleicht sollten Sie ja doch studieren. Wär doch schade bei Ihrer Intelligenz, alles in kriminelle Energie umzuwandeln.“

„Und wenn ich studiere, Mann, was hab ich davon? Dass ich irgendeine vertrocknete Assistentin an einer drittklassigen Universität bin. Damit ich dem Herrn Professor die Bücher schreiben darf und er sackt den ganzen Ruhm ein – den ganzen Kydos, für Altphilologen. Er wird Fernseh-Altphilologe, während sich alle Leute über meine Billig-Klamotten von Woolworth lustig machen.“

„Tja, Aporie halt.“

„Und außerdem will ich den Nobelpreis. Wenn schon anstrengen, dann Nobelpreis. Ich mein, wofür mach ich sowas? Haben Sie schon mal was von einem Nobelpreis für Altphilologen gehört?“

„Nicht für Altphilologen, aber für Literatur. Theodor Mommsen hat einen gekriegt. Das könnten Sie auch haben.“

„Mann, da kann ich ja gleich Schriftstellerin werden.“

Er schaute mich an mit einem seltsamen Ausdruck. Was war das, Liebe, Mitleid? Erst später, viel später hatte ich ein Wort dafür, einen langen altgriechischen Ausdruck, auch wenn es keine Krankheit war.

„Dann werden Sie´s doch“, sagte er leise.

„Werden Sie´s doch. Ihnen bleibt sowieso nichts anderes übrig. Altphilologin, Börsenspekulantin, Dealerin. Nobelpreiskandidatin. Professorin werden Sie ja doch nie. Selbst wenn Sie das Zeug dazu hätten, die Verhältnisse sind einfach gegen Sie. Das dürften Sie inzwischen gemerkt haben.“

„Brotlose Kunst, sagen meine Eltern.“

„Und hätten Sie jemals auf Ihre Eltern gehört? Sehen Sie, da müssen Sie ja selber lachen. Die Schriftstellerei“ – er sah mich wieder so an – „ja, wie es aussieht, ist das Ihre einzige Chance. Wenn Sie´s nur irgend können, werden Sie´s. Sie brauchen etwas, was Ihrem Leben Struktur gibt, ohne Sie einzuengen. Menschen wie Sie – ja, die sind halt verdammt, auf Messers Schneide zu wandern.“

„Was Sie alles über mich wissen. Sind Sie Hellseher oder was?“

„Das bleibt bei meinem Beruf nicht aus. Da kennt man seine Typen schon. Koks, Eitch, Crack. Knast, Psychiatrie. Maßregelvollzug. Manche werden Bürgermeister oder Börsengenies, aber der Absturz ist immer um die nächste Ecke. Schriftstellerin. Alles andere ist Quark. Und: Scheißen Sie aufs Geld!“

„Sagen Sie.“

„Sage ich. Kraft meiner Wassersuppe. Probieren Sie´s aus. Außerdem würde ich gern die Geschichte lesen – die Altphilologin, die zur Drogendealerin wurde und wieder zurück. Von Ihnen selbst. Nicht vom Hörensagen oder von anderen Leuten. Und nicht irgendwann mal zwanzig Jahre später von einem schlauen Gefängnispsychologen. Nehmen Sie sich ruhig Zeit dafür. Einen Monat, mindestens. Und Zeit haben Sie ja nun reichlich, jetzt, wo Sie nicht mehr Ihre Runden machen müssen, stimmt´s?“

„Dafür muss ich zehntausend Butterbrote schmieren.“

„Ach, das schaffen Sie doch mit links. Und allzuviel Lust auf Ihre Klassenkameraden werden Sie wohl auch nicht haben, oder?“

„Waren nie meine Kameraden. Alles Lügen.“

„Eine von den Lügen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten. Also! Schreiben Sie die Geschichte auf und gucken Sie mal, ob das was für Sie ist. Und in einem Monat treffen wir uns wieder hier.“

„In einem Monat ist Weihnachten.“

„Na, dann in sechs Wochen. Und ich schaue derweil, was ich für Sie tun kann.“

„Für mich! Mich will doch keiner mehr.“

„Abwarten. Der Kräftner hat da so seine Quellen.“

Er kramte seinen Terminkalender raus, ein dickes, speckiges Lederdings und machte einen Eintrag. Automatisch griff ich ebenfalls in die Tasche und zog meinen abgegriffenen Schülerkalender aus dem Versteck. Seltsam, dass die Polizei nicht auf die Idee gekommen war, ihn zu filzen. Da standen die Runden, jedenfalls die von später. Abkürzungen natürlich. Vielleicht waren sie nicht wirklich interessiert. Nicht so sehr jedenfalls. Sie hatten wahrscheinlich selber Angst, was sie da finden würden. Zu viele reiche Kinder? Vielleicht stimmte es ja, was der Dicke gesagt hatte, und es war ein Wunder, dass ich noch lebte. Ich wüsste ja gar nicht, in was für einen Sumpf ich da hineingestiegen war. Vielleicht hatte ich ja wirklich mehr Glück als Verstand gehabt.

Glück. Einen Haufen Unglück hatte ich gehabt, würden die meisten Erwachsenen sagen. Aber oft genug, seltsamerweise, hatte es sich angefühlt wie reines Glück, heiße Erwartung, Überraschung, Enttäuschung, Spannung, Angst. Sogar die Angst war Glück gewesen. Insofern hatte Richterin Gnadenlos unrecht: Verbrechen lohnt sich eben doch. Bilder stiegen in mir auf. Bilder, die sich hindrehten, herdrehten, zur logischen Abfolge formten oder auch nicht.

Auf einmal war da ein Geräusch. Kräftner klopfte heftig auf den Tisch.

„Sie träumen schon wieder. Na, macht nix. Wer träumt, sündigt nicht. Ich muss jetzt weg, ich kann mich nicht den ganzen Nachmittag hier vertrödeln. Also dann, in sechs Wochen!“

Richtig, den Kräftner hatte ich glatt vergessen. Als ich die Rechnung verlangte, hatte er schon bezahlt. Ein echter Kavalier.