Die ersten Menschen auf dem Mond - H.G. Wells - E-Book

Die ersten Menschen auf dem Mond E-Book

H G Wells

0,0

Beschreibung

"Als erster Mensch auf dem Mond"Der erfolglose Geschäftsmann Bedford wittert das ganz große Geld, als er das Genie Cavor kennenlernt.Dieser hat einen Stoff entdeckt, der die Gravitation aufhebt.Gemeinsam wollen sie mit einer von Cavor entwickelten Kapsel zum Mond fliegen.Als das Unglaubliche gelingt, müssen sie feststellen, dass der Erdtrabant bewohnt ist …Fantastischer, intelligenter Sci-Fi-Klassiker in neuer Übersetzung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 341

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



H. G. Wells

DIE ERSTEN MENSCHENAUF DEM MOND

ROMAN

Titel der englischen Originalausgabe:

THE FIRST MEN IN THE MOON

Mit Illustrationen von Hauke Kock

1. Auflage

Veröffentlicht durch den

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Frankfurt am Main 2020

www.mantikore-verlag.de

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Text © H.G. Wells 1901

Deutschsprachige Übersetzung: Jan Enseling

Lektorat & Korrektorat: Simon Burandt

Satz: Karl-Heinz Zapf

Covergestaltung: Slobodan Cedić & Matthias Lück

VP: 292-170-01-03-0720

eISBN: 978-3-96188-064-5

DIE ERSTEN MENSCHENAUF DEM MOND

H. G. Wells

Inhalt

Über den Autor

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

HERBERT GEORGE WELLS

H. G. Wells (1866-1946) ist neben Jules Verne vermutlich einer der bekanntesten Science-Fiction-Autoren des 19. Jahrhunderts. Nicht nur schrieb er als „Vater der Science Fiction“ eine Reihe von Werken, die heute als Klassiker bezeichnet werden, sondern legte in ihnen auch sein Denken und seine Philosophie nieder.

Zu seinen bekanntesten Werken zählen Die Zeitmaschine, Die Insel des Dr. Moreau, Der Unsichtbare, Die ersten Menschen auf dem Mond und nicht zuletzt Krieg der Welten, dessen Einfluss auch heute noch spürbar ist. Er wurde vier Mal für den Literatur-Nobelpreis nominiert.

Wells starb am 13. August 1946 im Alter von 79 Jahren.

KAPITEL EINS

Das Treffen zwischen Mr. Bedfordund Mr. Cavor in Lympne

Während ich mich hier im Schatten der Weinblätter unter dem blauen Himmel von Süditalien zum Schreiben niedersetze, wird mir mit gewissem Erstaunen bewusst, dass meine Teilnahme an jenen erstaunlichen Abenteuern von Mr. Cavor am Ende das Ergebnis reinsten Zufalls war. Es hätte jeden treffen können. Ich stürzte zu einem Zeitpunkt in diese Angelegenheiten hinein, als ich dachte, mich der geringsten Chance auf verstörende Erfahrungen entzogen zu haben. Ich war nach Lympne gekommen, weil ich es mir als den ereignislosesten Ort der Welt vorstellte. »Jedenfalls«, sagte ich, »werde ich hier Frieden und die Gelegenheit zur Arbeit finden.«

Und dieses Buch ist die Konsequenz. Wie sehr das Schicksal doch im Widerspruch zu den kleinen Plänen der Menschen steht. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich vor Kurzem eine Schlappe bei gewissen Geschäftsunternehmungen erlitten hatte. Da ich nun hier sitze, umgeben von wohlhabendsten Verhältnissen, kann ich mir den Luxus leisten, meine äußerste Not zuzugeben. Ich kann sogar eingestehen, dass meine Missgeschicke bis zu einem gewissen Grad möglicherweise meine eigene Schuld waren. Es gibt Tätigkeiten, bei denen ich einiges Können aufweise, doch gehört das Geschäftemachen nicht dazu. Doch in jenen Tagen war ich jung, und meine Jugend nahm, neben anderen unangenehmen Gestalten, jene von Hochmut bezüglich meiner Geschäftstüchtigkeit an. Ich bin weiterhin jung an Jahren, doch haben die Dinge, die mir zugestoßen sind, etwas von der Jugend meines Geistes abgerieben. Ob sie darunter jedoch Weisheit ans Licht gebracht haben, ist fragwürdiger.

Es ist kaum notwendig, im Einzelnen auf die Spekulationen einzugehen, die mich nach Lympne in Kent brachten. Heutzutage haftet sogar Geschäftsvorgängen ein Aroma des Abenteuers an. Ich ging Risiken ein. In diesen Dingen gibt es ausnahmslos ein gewisses Geben und Nehmen, und schließlich fiel es mir zu, widerwillig reichlich zu geben. Selbst als ich aus allem herausgekommen war, hielt es ein streitsüchtiger Gläubiger für nötig, Heimtücke zu zeigen. Womöglich sind Sie schon auf dieses brennende Gefühl wütender Tugend gestoßen oder haben es nur verspürt. Er setzte mir hart zu. Letztendlich war ich überzeugt, dass ich nichts weiter tun konnte, als ein Theaterstück zu schreiben, wenn ich mich für meinen Lebensunterhalt nicht als Büroangestellter abmühen wollte. Ich besitze eine gewisse Vorstellungskraft und einen luxuriösen Geschmack, und ich wollte energisch kämpfen, um ein solches Schicksal zu vermeiden. Zusätzlich zu meinem Vertrauen in meine Fähigkeiten als Geschäftsmann war ich zu jener Zeit überzeugt, dass ich in der Lage wäre, sehr gute Theaterstücke zu schreiben. Es ist, wie ich annehme, keine allzu ungewöhnliche Überzeugung. Ich wusste, dass es außerhalb legitimer Geschäftsvorgänge kaum etwas gab, das so viele opulente Möglichkeiten bot, und sehr wahrscheinlich beeinflusste dies meine Meinung. Ich hatte mir tatsächlich angewöhnt, dieses ungeschriebene Drama als hübsche, kleine Reserve für einen schwarzen Tag zurückzustellen. Dieser schwarze Tag war gekommen, und ich machte mich an die Arbeit.

Ich bemerkte bald, dass das Verfassen eines Stückes zeitaufwendiger war, als ich angenommen hatte. Zunächst hatte ich dafür zehn Tage anberaumt, und auf der Suche nach einer Absteige für diese Zeit war ich nach Lympne gekommen. Ich schätzte mich glücklich, den kleinen Bungalow zu bekommen. Ich erhielt ihn mit einem Vertrag über drei Jahre. Ich stellte ein paar einfache Möbel hinein, und während das Stück in Arbeit war, kochte ich selbst. Meine Kochkunst hätte Mrs. Bond schockiert. Und dennoch, wissen Sie, es schmeckte. Ich hatte eine Kaffeekanne, einen Topf für Eier, einen für Kartoffeln und eine Bratpfanne für Würste und Speck: Dies waren die einfachen Vorrichtungen für meinen Komfort. Man kann nicht immer herausragend sein, Einfachheit jedoch ist stets eine mögliche Alternative. Für den Rest kaufte ich auf Kredit ein Achtzehn-Gallonen-Bierfass, und täglich kam ein vertrauensvoller Bäcker vorbei. Dies war vielleicht nicht der Lebensstil von Sybaris, aber ich hatte schon schlechtere Zeiten erlebt. Der Bäcker, der ein wirklich anständiger Mann war, tat mir ein wenig leid, doch selbst für ihn hatte ich Hoffnung.

Wenn jemand nach Einsamkeit sucht, so ist Lympne sicherlich der richtige Ort. Es liegt im Lehmteil von Kent, und mein Bungalow stand am Rande einer alten Meeresklippe und bot einen Blick über die Ebene der Romney Marsh aufs Meer. Bei sehr nassem Wetter ist das Haus beinahe unerreichbar, und ich habe gehört, dass der Postbote die schlammigeren Abschnitte seiner Route gelegentlich mit Brettern an seinen Füßen entlangging. Ich habe nie gesehen, wie er dies tat, aber ich kann es mir durchaus vorstellen. Vor den Türen der wenigen Hütten und Häuser, aus denen das Dorf derzeit besteht, stecken große Birkenbesen, um den schlimmsten Lehm wegzuwischen, was einigen Aufschluss über die Textur des Distrikts geben dürfte. Ich zweifle, dass es diesen Ort überhaupt geben würde, wäre er nicht eine verblasste Erinnerung an längst Vergangenes. Zur Zeit der Römer war hier die große Hafenstadt Portus Lemanis, und inzwischen liegt die See vier Meilen entfernt. Den gesamten steilen Hügel hinunter liegen Felsblöcke und Unmengen römischen Ziegelwerks, und von dort aus verläuft die alte Watling Street, stellenweise noch gepflastert, pfeilgerade nach Norden. Damals stand ich auf dem Hügel und dachte an all das: die Galeeren und Legionen, die Gefangenen und Beamten, die Frauen und Händler, die Spekulanten wie ich, an all das Schwärmen und den Tumult, die lärmend im Hafen ein- und ausgingen. Und nun gibt es nur noch ein paar Geröllhaufen auf einem grasbedeckten Hang, ein Schaf oder zwei – und mich. Und wo die Hafenstadt gewesen war, lagen nun die Ebenen der Marschlandschaft, die eine weite Biegung bis zum entfernten Dungeness beschreiben, wo hier und da verstreute Baumgruppen stehen und die Kirchtürme vergangener mittelalterlicher Städte, die Lemanis nun in den Untergang folgen.

Jener Ausblick auf das Marschland war tatsächlich eine der schönsten Ansichten, der ich je gewahr wurde. Ich nehme an, Dungeness war fünfzehn Meilen weit entfernt: Es lag wie ein Floß auf dem Meer, und noch weiter im Westen standen die Hügel von Hastings unter der sinkenden Sonne. Manchmal hingen sie nahe und deutlich da, manchmal waren sie verschwommen und niedrig, und oft genug ließ sie das Wetter gänzlich aus dem Blickfeld verschwinden. Und all die näherliegenden Abschnitte des Marschlands waren von Gräben und Kanälen durchzogen.

Das Fenster, neben dem ich arbeitete, gab den Blick auf den Horizont über dem Grat frei, und es war von diesem Fenster aus, da ich Cavor zum ersten Mal sah. Es war just, als ich mit meinem Szenarium kämpfte, meinen Geist zu dieser harten Arbeit zwang, und natürlich erregte er meine Aufmerksamkeit.

Die Sonne war untergegangen, der Himmel bot strahlende Beschaulichkeit in Grün und Gelb, und dagegen hob er sich schwarz ab: eine merkwürdige, kleine Gestalt.

Er war ein kleines, rundliches, dünnbeiniges Männlein mit Bewegungen von ruckartiger Eigenheit. In seinem außergewöhnlichen Geist hatte er es für passend empfunden, sich mit einer Cricketmütze, einem Überrock, Fahrrad-Kniebundhosen und Strümpfen zu kleiden. Warum er dies tat, weiß ich nicht, denn er fuhr niemals Fahrrad und spielte auch nie Cricket. Es war ein zufälliges Zusammentreffen von Kleidungsstücken, weiß der Himmel, wie es entstand. Er gestikulierte mit Händen und Armen, sein Kopf ruckte hin und her, und er summte. Er summte wie etwas Elektrisches. Sie haben nie solch ein Summen gehört. Und hin und wieder räusperte er sich mit einem höchst außergewöhnlichen Laut.

Es hatte geregnet, und sein zuckender Gang wurde durch die extreme Glitschigkeit des Fußweges noch verstärkt. Gerade als er sich vor die Sonne bewegte, hielt er inne, zog eine Uhr hervor, zögerte. Dann, mit einer irgendwie krampfhaften Geste, machte er kehrt und zog sich mit aller vorstellbaren Eile zurück, wobei er nicht länger gestikulierte, sondern mit weitem Schritt ging, welcher seine relativ großen Füße – ihre scheinbare Größe wurde, wie ich mich erinnere, durch den klebenden Lehm noch verstärkt– zum bestmöglichen Vorteil zeigte.

Dies geschah am ersten Tag meines Aufenthalts, als meine schreiberische Energie auf ihrem Höhepunkt war und ich den Vorfall einfach als lästige Ablenkung abtat: eine Verschwendung von fünf Minuten. Ich wandte mich wieder meinem Szenarium zu. Doch als sich diese Erscheinung am nächsten Abend mit erstaunlicher Genauigkeit wiederholte, und erneut am nächsten Abend und tatsächlich jeden Abend, wenn kein Regen fiel, wurde die Konzentration auf das Theaterstück immer mühevoller. »Zum Kuckuck mit dem Mann«, sagte ich, »man würde glatt denken, er lerne, eine Marionette zu sein!«, und über mehrere Abende verfluchte ich ihn kräftig. Dann machte meine Verärgerung Überraschung und Neugierde Platz. Warum in aller Welt würde ein Mensch so etwas tun? Am vierzehnten Abend hielt ich es nicht mehr aus, und somit öffnete ich die Terrassentür, sobald er auftauchte, überquerte die Veranda und ging auf den Punkt zu, wo er jedes Mal stehenblieb.

Er hatte seine Uhr in der Hand, als ich ihn erreichte. Er hatte ein pausbäckiges, rötliches Gesicht und rötlich braune Augen – zuvor hatte ich ihn nur im Gegenlicht gesehen. »Einen Augenblick, Sir«, sagte ich, als er sich umwandte. »Einen Augenblick«, sagte er, »sicher. Oder, wenn Sie länger mit mir sprechen möchten und es nicht zu viel verlangt ist – Ihr Augenblick ist um –, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich zu begleiten?«

»Nicht im Geringsten«, sagte ich und ging neben ihm her.

»Meine Gewohnheiten sind regelmäßig. Meine Zeit für Unterhaltungen – begrenzt.«

»Zu dieser Zeit, nehme ich an, betätigen Sie sich sportlich?«

»Ganz recht. Ich komme her, um den Sonnenuntergang zu genießen.«

»Tun Sie nicht.«

»Sir?«

»Sie sehen ihn sich nie an.«

»Sehe ihn mir nie an?«

»Nein. Ich habe Sie dreizehn Abende lang beobachtet, und nicht einmal haben Sie den Sonnenuntergang angeblickt – nicht einmal.«

Er runzelte die Stirn wie jemand, der einem Problem gegenübersteht.

»Nun, ich genieße das Sonnenlicht … die Atmosphäre … Ich gehe diesen Weg entlang, durch jenes Tor … « Er ruckte mit dem Kopf über seine Schulter. »… und ums …«

»Tun Sie nicht. Haben Sie nie. Das ist alles Unsinn. Dort gibt es keinen Weg. Heute Abend, zum Beispiel …«

»Ah! Heute Abend! Lassen Sie mich nachsehen. Ah! Ich sah gerade auf meine Uhr, sah, dass ich bereits mehr als drei Minuten über die genaue halbe Stunde hinaus draußen war, entschied, dass keine Zeit war, herumzugehen, drehte mich um …«

»Das tun Sie immer.«

Er sah mich an – überlegte. »Vielleicht tue ich das, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Aber was war es denn, worüber Sie mit mir sprechen wollten?«

»Nun, darüber!«

»Darüber?«

»Ja. Warum machen Sie das? Jeden Abend kommen Sie her und machen ein Geräusch …«

»Ich mache ein Geräusch?«

»In etwa so.« Ich ahmte sein Summen nach. Er sah mich an, und es war deutlich, dass das Summen seine Antipathie hervorrief.

»Das mache ich?«, fragte er.

»Jeden Abend, den Gott werden lässt.«

»Ich hatte keine Ahnung.«

Er hielt inne und betrachtete mich ernsthaft. »Kann es sein«, sagte er, »dass ich eine Angewohnheit entwickelt habe?«

»Nun, es sieht so aus. Oder nicht?«

Er zog seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger herunter. Er betrachtete eine Pfütze zu seinen Füßen.

»Mein Geist ist sehr beschäftigt«, sagte er. »Und Sie wollen wissen, wieso! Nun, Sir. Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht nur nicht weiß, warum ich diese Dinge tue, ich weiß nicht einmal, dass ich sie getan haben. Wenn man darüber nachdenkt, so ist es genau, wie Sie sagen: Ich bin nie jenseits dieses Feldes gewesen … Und diese Dinge verärgern Sie?«

Aus irgendeinem Grund ließ ich mich allmählich von ihm erweichen. »Nicht verärgern«, sagte ich. »Allerdings … Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Theaterstück schreiben!«

»Das könnte ich nicht.«

»Nun gut, irgendetwas, das Konzentration erfordert.«

»Ah!«, sagte er, »natürlich«, und dachte nach. Sein Gesichtsausdruck wurde so voller Kummer, dass ich noch mehr nachgab. Schließlich liegt ein Hauch Aggression darin, von einem Mann, den man nicht kennt, wissen zu wollen, warum er auf einem öffentlichen Fußweg vor sich hin summt.

»Sie sehen«, sagte er schwach, »es ist eine Angewohnheit.«

»Oh, das erkenne ich.«

»Ich muss damit aufhören.«

»Aber nicht, wenn es Sie verstimmt. Schließlich war es nicht meine Sache … Es ist doch eine Art Freiheit.«

»Überhaupt nicht, Sir«, sagte er, »überhaupt nicht. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Ich sollte mich vor solchen Dingen hüten. Zukünftig werde ich das. Würde es Ihnen etwas ausmachen … noch einmal? Das Geräusch?«

»Etwas so«, sagte ich. »Susuu, susuu. Aber eigentlich, wissen Sie …«

»Ich danke Ihnen vielmals. Es ist ja so, dass ich weiß, dass ich manchmal furchtbar abwesend bin. Sie sind durchaus im Recht, Sir … vollkommen im Recht. Ich stehe wirklich in Ihrer Schuld. Diese Sache muss enden. Und nun, Sir, habe ich Sie weiter mitgenommen, als ich sollte.«

»Ich hoffe doch, dass meine Dreistigkeit …«

»Mitnichten, Sir, mitnichten.«

Wir musterten einander einen Moment lang. Ich lupfte meinen Hut und wünschte ihm einen guten Abend. Zuckend erwiderte er den Gruß, und so gingen wir unserer Wege.

Am Zauntritt blickte ich zurück auf seine sich entfernende Gestalt. Seine Haltung hatte sich merklich verändert; er schien schlapp, eingesunken. Der Kontrast zu seinem alten, gestikulierenden, susuuenden Selbst erschien mir auf absurde Weise bedauernswert. Ich blickte ihm nach, bis er außer Sicht war. Danach wünschte ich mir von Herzen, ich hätte mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, und kehrte in meinen Bungalow und zu meinem Stück zurück.

Am nächsten Abend sah ich nichts von ihm, auch nicht am Abend darauf. Doch bekam ich ihn durchaus nicht aus dem Kopf, und mir kam der Gedanke, dass er als sentimentale, komische Figur bei der Entwicklung meiner Handlung einen nützlichen Zweck erfüllen könnte. Am dritten Tag kam er mich besuchen.

Eine Zeitlang wunderte ich mich darüber, was ihn hergeführt hatte. Er führte eine gleichgültige, höchst formelle Konversation, dann kam er abrupt zur Sache. Er wollte mir den Bungalow abkaufen.

»Sehen Sie«, sagte er, »ich mache Ihnen nicht den geringsten Vorwurf, doch haben Sie meine Angewohnheit zerstört, und das bringt meinen Tag durcheinander. Jahrelang ging ich hier vorbei – jahrelang! Zweifellos summte ich … Sie haben all das unmöglich gemacht!«

Ich schlug vor, er solle einen anderen Weg versuchen.

»Nein. Es gibt keinen anderen. Dies ist der einzige. Ich habe mich erkundigt. Und nun – jeden Nachmittag um vier Uhr – gerate ich in eine Sackgasse.«

»Aber, verehrter Herr, wenn Ihnen die Sache so wichtig ist …«

»Sie ist lebenswichtig. Sehen Sie, ich … ich bin Forscher … Ich betreibe wissenschaftliche Forschungen. Ich wohne …«

Er schien zu überlegen. »Genau dort drüben«, sagte er und deutete mit dem Finger gefährlich nah an meinem Auge. »Das Haus mit den weißen Schornsteinen, die Sie gerade so über die Bäume hinweg sehen können. Und meine Lebenslage ist ungewöhnlich … ungewöhnlich. Ich stehe kurz vor der Vollendung einer der wichtigsten … Demonstrationen … Ich kann Ihnen versichern: eine der wichtigsten Demonstrationen, die jemals gemacht wurden. Sie verlangt nach ständigem Nachdenken, ständiger geistiger Leichtigkeit und Aktivität. Und der Nachmittag war meine brillanteste Zeit! … Aufbrausend mit neuen Ideen … neuen Betrachtungsweisen.«

»Aber warum gehen Sie nicht weiterhin vorbei?«

»Alles wäre anders. Ich wäre befangen. Ich würde über Sie und Ihr Stück nachdenken – wie Sie mich irritiert ansehen –, anstatt über meine Arbeit nachzudenken. Nein! Ich muss den Bungalow haben.«

Ich überlegte. Ich wollte die Angelegenheit selbstredend gründlich überdenken, bevor irgendetwas Endgültiges gesagt würde. Ich war jener Tage im Allgemeinen bereit, Geschäfte zu tätigen, und ein Verkauf erschien mir immer attraktiv; doch erstens gehörte der Bungalow nicht mir, und selbst wenn ich ihn ihm zu einem guten Preis verkaufte, würde ich vermutlich in Schwierigkeiten geraten, wenn ich diese Abmachung erfüllte, sollte der derzeitige Besitzer Wind von dem Verkauf bekommen, und zweitens war es mir, nun … unbehaglich. Es war zweifellos ein Geschäft, das einer vorsichtigen Handhabung bedurfte. Darüber hinaus war auch die Möglichkeit, dass er tatsächlich an einer wertvollen Erfindung forschte, für mich von großem Interesse. Mir wurde klar, dass ich gerne mehr über seine Forschung herausfinden wollte, ohne jedwede Hintergedanken, sondern einfach mit der Vorstellung, dass es mich von der Schreibarbeit ablenken würde, wenn ich wüsste, worum es sich handelte. Ich streckte meine Fühler aus.

Er war durchaus gewillt, Auskunft zu geben. Sobald das Gespräch erst einmal in Gang gekommen war, wurde es tatsächlich zu einem Monolog. Er sprach wie ein Mann, in dem sich viel aufgestaut und der diese Rede wieder und wieder vor selbst gehalten hatte. Er sprach gut eine Stunde lang, und ich muss zugeben, ich fand das, was ich hörte, ein wenig steif. Doch durch all das zog sich der Unterton der Befriedigung, die man verspürt, wenn man die Arbeit vernachlässigt, die man sich selbst auferlegt hat. Während dieses ersten Gesprächs verstand ich wenig von seiner Arbeit. Die Hälfte seiner Worte behandelte technische Einzelheiten, die mir vollkommen fremd waren, und er illustrierte für mich ein oder zwei Punkte mit etwas, was er mit Zufriedenheit grundlegende Mathematik nannte, und berechnete etwas auf einem Briefumschlag mit einem Durchschlagsstift, auf eine Weise, durch die das Verständnis noch weiter erschwert wurde. »Ja«, sagte ich, »ja. Fahren Sie fort!« Nichtsdestotrotz verstand ich genug, um mich davon zu überzeugen, dass er nicht nur ein Sonderling war, der den Entdecker spielte. Trotz seiner spinnerhaften Erscheinung hatte er eine Kraft an sich, die dies unmöglich machte. Was auch immer es war, es war ein Ding mit mechanischen Einsatzmöglichkeiten. Er erzählte mir von einer Werkstatthütte, die er besaß, und von drei Assistenten – vormals Gelegenheitsarbeiten verrichtende Handwerkergesellen –, die er ausgebildet hatte. Nun, von der Werkstatthütte bis zum Patentamt ist es zweifellos nur ein Schritt. Er lud mich auf einen Besuch ein. Ich nahm bereitwillig an und achtete darauf, dies mit der einen oder anderen Bemerkung zu betonen. Die vorgeschlagene Übertragung des Bungalows blieb in der Schwebe, was sehr günstig war.

Schließlich erhob er sich zum Abschied und entschuldigte sich für die Länge seines Besuchs. Über seine Arbeit zu sprechen, war, wie er sagte, eine Freude, die er zu selten genoss. Es käme nicht oft vor, dass er auf einen so intelligenten Zuhörer wie mich stieß, er träfe sich kaum mit professionellen Wissenschaftlern.

»So viel Kleinlichkeit«, erklärte er, »so viele Intrigen! Und wirklich, wenn man eine Idee hat – eine neuartige, fruchtvolle Idee … Ich will nicht unnachsichtig klingen, aber …«

Ich bin ein Mann, der an Impulsivität glaubt. Ich machte einen womöglich übereilten Vorschlag. Man bedenke jedoch, dass ich in Lympne vierzehn Tage lang allein mit dem Verfassen eines Theaterstücks beschäftigt war und meine Gewissenbisse wegen seines ruinierten Spaziergangs weiterhin über mir hingen. »Warum«, fragte ich, »machen Sie dies nicht zu Ihrer neuen Gewohnheit? Anstelle derjenigen, die ich verdorben habe? Zumindest solange, bis wir uns wegen des Bungalows geeinigt haben. Was Sie wollen, ist doch, Ihre Arbeit im Kopf durchzugehen. Das haben Sie während Ihrer Nachmittagsspaziergänge immer getan. Unglücklicherweise sind diese vorbei: Sie können nicht zurückgewinnen, was war. Aber kommen Sie doch her und sprechen Sie mit mir über Ihre Arbeit. Betrachten Sie mich als eine Art Wand, gegen die Sie Ihre Ideen werfen und dann wieder auffangen können. Sicherlich weiß ich nicht genug, um Ihnen die Ideen stehlen zu können … und ich kenne keine Wissenschaftler …«

Ich hielt inne. Er überlegte. Offenkundig reizte ihn die Sache.

»Ich fürchte aber, dass ich Sie langweilen werde«, sagte er.

»Glauben Sie, ich bin zu einfältig?«

»Oh, nein. Nur die technischen Einzelheiten …«

»Gleichwohl haben Sie heute Nachmittag mein Interesse geweckt.«

»Es wäre mir natürlich eine große Hilfe. Nichts macht Ideen so klar, als wenn man sie erklärt. Bislang …«

»Mein lieber Herr, sprechen Sie nicht weiter.«

»Aber können Sie denn die Zeit aufbringen?«

»Es gibt keine bessere Erholung als eine andere Beschäftigung«, sagte ich mit tiefster Überzeugung.

Die Angelegenheit war geklärt. Auf der Verandatreppe drehte er sich um. »Ich stehe bereits tief in Ihrer Schuld«, sagte er.

Ich gab ein fragendes Geräusch von mir.

»Sie haben mich vollkommen von dieser lächerlichen Angewohnheit des Summens geheilt«, erklärte er.

Ich glaube, ich sagte, ich wäre froh, ihm einen Gefallen getan zu haben, und er wandte sich ab.

Der Gedankengang, den unser Gespräch angeregt hatte, musste ihn unmittelbar wieder in den Griff bekommen haben. Er begann wie zuvor, mit den Armen zu wedeln. Der Wind trug das leise Echo von „Susuu“ zu mir heran …

Nun, das war schließlich nicht meine Sache …

Er kam am nächsten Tag und am Tag danach und hielt zu unserer gegenseitigen Zufriedenheit zwei Vorlesungen über Physik ab. Er strahlte äußerste Luzidität aus, als er über den »Äther«, »Antriebsröhren«, »Gravitationspotenzial« und derlei sprach, und ich saß in meinem Klappstuhl und sagte: »Ja«, »Fahren Sie fort«, »Ich kann Ihnen folgen«, damit er weitersprach. Es war ungeheuer schwieriger Stoff, aber ich glaube nicht, dass er jemals vermutete, wie wenig ich verstand. Es gab Momente, da ich am Sinn dieser Tätigkeit zweifelte, jedenfalls aber ruhte ich mich von jenem vermaledeitem Theaterstück aus. Dann und wann erschienen mir die Dinge klarer, nur um mir wieder zu entgleiten, wenn ich dachte, ich hätte sie begriffen. Manchmal versagte meine Aufmerksamkeit vollkommen, und ich gab auf und saß da und starrte ihn an, während ich mich schließlich doch fragte, ob ich ihn nicht besser als Hauptfigur in einer guten Farce einsetzen und alles andere außer Acht lassen sollte. Und dann begriff ich vielleicht doch noch etwas.

Bei der ersten Gelegenheit ging ich zu seinem Haus. Es war groß und lieblos möbliert; es gab keine Bediensteten außer seinen drei Assistenten, und seine Diät sowie sein Privatleben waren von philosophischer Einfachheit geprägt. Es war ein Wassertrinker, ein Vegetarier und folgte all diesen Dingen logischer Disziplin. Doch ließ der Anblick seiner Ausstattung meine Zweifel verstummen. Vom Keller bis zum Dachboden wirkte es geschäftig: ein erstaunlicher, kleiner Ort in einem abgelegenen Dorf. Die Zimmer im Erdgeschoss enthielten Bänke und Gerätschaften, Backstube und Spülküche waren zu beachtlichen Schmelzöfen ausgebaut worden, den Keller nahmen Dynamos ein, und im Garten stand ein Gasometer. Er zeigte mir alles mit der vertrauensseligen Begeisterung eines Mannes, der zu lange allein gelebt hat. Seine Zurückgezogenheit sprudelte nun in einem Überschuss an Zuversicht über, und ich hatte das Glück, der Empfänger zu sein.

Die drei Assistenten waren achtbare Vertreter der Klasse der »Universalhandwerker«, der sie entstammten. Gewissenhaft, wenn auch nicht intelligent, stark, höflich und willens. Einer, Spargus, der das Kochen und alle Metallarbeiten übernahm, war ehemaliger Seemann; ein zweiter, Gibbs, war Schreiner; und der Dritte war ein früherer Aushilfsgärtner und inzwischen Hauptassistent. Sie waren reine Lohnarbeiter. Jede intelligente Arbeit wurde von Cavor erledigt. Selbst im Vergleich zu meinen verwirrten Eindrücken lebten sie in dunkelster Unwissenheit.

Und nun zum Wesen meiner Nachforschungen. Hierbei stellt sich unglücklicherweise eine ernste Schwierigkeit ein. Ich bin kein fachkundiger Wissenschaftler, und wenn ich versuchen wollte, in der höchst wissenschaftlichen Sprache von Mr. Cavor die Ziele darzulegen, die seine Experimente verfolgten, so fürchte ich, würde ich nicht nur den Leser, sondern mich selbst verwirren, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde ich einen Bock schießen und mich zum Gespött jedes Studenten mathematischer Physik des Landes machen, der auf dem Laufenden ist. Das Beste, was ich daher tun kann, ist, so glaube ich, meine Eindrücke in meiner eigenen, ungenauen Sprache wiederzugeben, ohne den Versuch, mich in Wissen zu kleiden, über das ich nicht verfüge.

Das Ziel von Mr. Cavors Suche war eine Substanz, die »undurchlässig« sein sollte – er verwendete einen anderen Begriff, den ich vergessen habe, aber »undurchlässig« vermittelt die Vorstellung – gegenüber »allen Formen von Strahlungsenergie«. »Strahlungsenergie«, wie er mir zu verstehen gab, war ähnlich wie Licht oder Wärme oder diese Röntgenstrahlen, über die vor gut einem Jahr so viel gesprochen wurde, oder Marconis elektrische Wellen oder die Schwerkraft. All diese Dinge, sagte er, strahlten aus Mittelpunkten aus und wirkten aus der Ferne auf Körper ein, daher die Bezeichnung »Strahlungsenergie«. Glas beispielsweise ist Licht gegenüber durchlässig, weniger jedoch gegenüber Wärme, sodass es als Feuerschutz wirksam ist; und Alaun ist durchlässig gegenüber Licht, schirmt Wärme aber vollkommen ab. Andererseits schließt eine Lösung aus Jod in Kohlenstoffdisulfid das Licht gänzlich aus, ist jedoch recht durchlässig gegenüber Wärme. Es würde ein Feuer verbergen, lässt allerdings zu, dass dessen Wärme einen erreicht. Metalle sind nicht nur undurchlässig gegenüber Licht und Wärme, sondern auch gegenüber elektrischem Strom, der sowohl durch Jodlösungen als auch Glas hindurchgeht, beinahe als wären sie nicht da. Und so weiter.

Nun sind alle bekannten Substanzen »durchlässig« gegenüber Gravitation. Man kann verschiedene Abschirmungen nutzen, um Licht oder Wärme auszusperren oder den elektrischen Einfluss der Sonne oder die Wärme der Erde von allem fernzuhalten; man kann Dinge mit Metallblechen vor Marconis Strahlen abschirmen, doch schneidet nichts die Anziehungskraft der Sonne oder die Anziehungskraft der Erde ab. Warum es Derartiges jedoch nicht geben sollte, ist schwer zu sagen. Cavor verstand nicht, warum eine solche Substanz nicht existieren sollte, und ich konnte es ihm bestimmt nicht sagen. Ich hatte zuvor niemals an solche Möglichkeiten gedacht. Über Berechnungen auf Papier, die Lord Kelvin, oder Professor Lodge oder Professor Karl Pearson oder sonst jemand unter diesen großartigen wissenschaftlichen Geistern zweifellos verstanden hätten, die mich aber lediglich in hoffnungslose Konfusion stürzten, zeigte er mir, dass eine solche Substanz nicht nur möglich war, sondern auch bestimmte Bedingungen erfüllen musste. Es war ein erstaunlicher Gedankengang. So sehr er mich auch erstaunte und beschäftigte, es wäre unmöglich, ihn hierin wiederzugeben. »Ja«, sagte ich zu allem, »ja; fahren Sie fort!« Für diese Erzählung genügt es, dass er glaubte, er könnte diese mögliche Substanz, die gravitationsundurchlässig sei, aus einer komplizierten Metalllegierung und etwas Neuem herstellen – einem neuen Element, wie ich annehme –, das, glaube ich, Helium genannt wird und ihm aus London in versiegelten Steinbehältern zugeschickt wurde. Es liegt ein gewisser Zweifel auf diesem Detail, aber ich bin fast sicher, dass es Helium war, das ihm in Steingefäßen geschickt wurde. Es war sicherlich etwas Gasförmiges und Dünnes. Hätte ich bloß Notizen gemacht …

Wie aber hätte ich die Notwendigkeit, Notizen zu machen, vorhersehen sollen?

Jeder mit auch nur dem winzigsten Keim der Vorstellungskraft wird die außergewöhnlichen Einsatzmöglichkeiten solch einer Substanz verstehen und ein wenig das Gefühl nachvollziehen können, das ich empfand, als dieses Verständnis aus dem Nebel abstruser Phrasen aufstieg, mit denen Cavor sich auszudrücken pflegte. Fürwahr, eine komische Nebenrolle in einem Theaterstück! Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass ich ihn ganz recht gedeutet hatte, und ich achtete sehr sorgsam darauf, keine Fragen zu stellen, die ihn befähigt hätten, die Tiefe des Unverständnisses zu erkennen, in die er seine tägliche Erläuterung hineinfallen ließ. Doch niemand, der diese Geschichte liest, wird gänzlich mit mir mitfühlen können, denn aus meiner kargen Erzählung wird es unmöglich sein, die Kraft meiner Überzeugung zu ersehen, dass diese erstaunliche Substanz zweifellos hergestellt werden würde.

Ich kann mich nicht erinnern, nach meinem Besuch in seinem Haus meiner eigenen Arbeit auch nur eine volle Stunde gewidmet zu haben. Meine Vorstellungskraft hatte anderes zu tun. Es schien keine Grenzen dafür zu geben, wozu dieses Zeug imstande war. In welche Richtung ich auch immer dachte, ich stieß auf Wunder und Revolutionen. Wollte man zum Beispiel ein Gewicht anheben, ganz gleich, wie enorm, musste man lediglich ein Blech dieser Substanz darunterlegen, dann könnte man es mit einem Strohhalm anheben. Mein erster natürlicher Impuls bestand darin, dieses Prinzip auf Kanonen und Panzerschiffe zu übertragen und auf all die Materialien und Methoden der Kriegsführung und von dort auf Schifffahrt, Eisenbahnen, Gebäude, jede denkbare Form menschengemachter Industrie.

Der Zufall, der mich in eben jene Geburtskammer dieser neuen Zeit – nichts Geringeres als eine neue Epoche – gebracht hatte, war einer jener Glücksfälle, die nur einmal in tausend Jahren eintreten. Die Sache entfaltete sich, wuchs immer weiter und weiter. Unter anderem sah ich darin meine Rettung als Geschäftsmann. Ich sah ein Mutterunternehmen und Tochterunternehmen, Anwendungen zu unserer Rechten, Anwendungen zur Linken, Börsenringe und Fonds, Privilegien und Zulassungen, die sich immer weiter ausbreiteten, bis ein unermessliches, gewaltiges Cavorit-Unternehmen die Welt beherrschte.

Und ich hatte Teil daran!

Ich ließ sofort alles stehen und liegen. Ich wusste, dass ich alles aufs Spiel setzte, aber ich sprang auf der Stelle darauf an.

»Wir sind auf das absolut Größte gestoßen, das jemals erfunden worden ist«, sagte ich und legte die Betonung auf »wir«. »Wenn Sie mich außen vor lassen wollen, dann müssen Sie es mit vorgehaltener Waffe tun. Ich komme morgen als vierter Arbeiter zu Ihnen.«

Er schien überrascht ob meines Enthusiasmus, jedoch kein bisschen misstrauisch oder feindselig. Er war eher sich selbst gegenüber geringschätzig. Er blickte mich zweifelnd an. »Aber glauben Sie wirklich …?«, sagte er. »Und Ihr Theaterstück! Was ist mit Ihrem Theaterstück?«

»In Luft aufgelöst!«, rief ich aus. »Mein lieber Herr, verstehen Sie denn nicht, was Sie da haben? Sehen Sie denn nicht, was Sie erreichen werden?«

Dies war lediglich eine rhetorische Wendung, aber er sah es wirklich nicht. Zunächst konnte ich es nicht glauben. Er hatte nicht einmal den Anfang einer Andeutung von einer Ahnung. Dieser erstaunliche kleine Mann hatte die ganze Zeit über rein auf theoretischer Grundlage gearbeitet! Als er sagte, es sei »die wichtigste« Forschung, die die Welt je gesehen hätte, meinte er lediglich, es würde so viele Theorien klären, so vieles, das im Zweifel war; er hatte sich kaum mehr Gedanken über die Anwendungsmöglichkeiten des Stoffes gemacht, als wenn er eine Maschine gewesen wäre, die Waffen herstellt. Dies war eine mögliche Substanz, und er würde sie herstellen! V’la tout, wie der Franzose sagt.

Darüber hinaus war er kindisch!

Wenn er es herstellte, würde es der Nachwelt als Cavorit oder Cavorin hinterlassen bleiben, und er würde zum Mitglied der Royal Society werden und sein Porträt als würdiger Wissenschaftler würde in der Nature erscheinen und dergleichen. Und das war alles, was er sah! Er hätte diese Bombe auf die Welt niedergehen lassen, als hätte er eine neue Spezies von Mücken entdeckt, wenn ich ihm nicht zufällig über den Weg gelaufen wäre. Und dort hätte sie gelegen und gezischt, wie so manche Kleinigkeit, die diese Wissenschaftsburschen entzündet und zwischen uns allen fallengelassen haben. Als mir dies klarwurde, war ich derjenige, der das Reden übernahm, und Cavor, der sagte: »Fahren Sie fort!« Ich sprang auf. Ich ging im Raum auf und ab und gestikulierte dabei wie ein Bursche von zwanzig. Ich versuchte, ihm seine Pflichten und Verantwortungen bei dieser Angelegenheit verständlich zu machen – unsere Pflichten und Verantwortungen bei dieser Angelegenheit. Ich versicherte ihm, wir könnten genügend Reichtum anhäufen, um jede Art der gesellschaftlichen Revolution zustande zu bringen, die wir wollten, wir könnten die ganze Welt besitzen und ordnen. Ich erzählte im von Unternehmen und Patenten und plädierte für ein geheimes Vorgehen. All diese Dinge schien er ebenso aufzunehmen wie ich die Mathematik. Ein Ausdruck von Ratlosigkeit breitete sich in seinem rötlichen, kleinen Gesicht aus. Er stammelte irgendetwas davon, dass ihm Reichtum gleich sei, doch ich wischte alles beiseite. Er musste reich werden, da könnte er so viel stammeln, wie er wollte. Ich gab ihm zu verstehen, was für eine Sorte Mensch ich war und dass ich beachtliche Geschäftserfahrungen hatte. Zu diesem Zeitpunkt erzählte ich ihm nicht, dass ich ein nichtentlasteter Konkursschuldner war, denn das war etwas Vorübergehendes, doch ich glaube, ich brachte meine offensichtliche Armut mit meinen finanziellen Forderungen in Einklang. Und recht unmerklich, wie solche Projekte eben wachsen, wuchs zwischen uns das Einvernehmen über ein Cavorit-Monopol. Er würde das Zeug herstellen, und ich würde dafür sorgen, dass die Kasse klingelte.

Ich hing wie ein Blutegel an dem »Wir«: »Sie« und »Ich« gab es für mich nicht.

Seine Vorstellung war, dass die Profite, von denen ich sprach, die Forschung unterstützen würden, doch war dies selbstverständlich eine Angelegenheit für einen späteren Zeitpunkt. »Sicher doch«, rief ich, »sicher doch.« Der wichtigste Punkt, und darauf bestand ich, war, dass wir die Sache fertig bekamen.

»Hier haben wir eine Substanz«, rief ich aus, »ohne die kein Heim, keine Fabrik, keine Festung, kein Schiff auskommen kann – mit wesentlich breiteren Anwendungsmöglichkeiten als jede rezeptfreie Arznei. Es gibt keinen einzigen Aspekt, keine der zehntausend Einsatzmöglichkeiten, die uns nicht reich machen werden, Cavor, reicher als im habgierigsten Traum!

»Nein!«, sagte er. »Ich sehe es bereits. Es ist außergewöhnlich, welche neuen Blickwinkel man erhält, wenn man über Dinge spricht!

»Und wie es sich ergibt, haben Sie gerade mit dem Richtigen gesprochen!«

»Ich nehme an, niemand«, sagte er, »ist enormem Reichtum gegenüber vollkommen abgeneigt. Natürlich ist da noch eine Sache …«

Er hielt inne. Ich stand still.

»Es ist durchaus möglich, müssen Sie wissen, dass wir es überhaupt nicht herstellen können! Es mag eines dieser Dinge sein, die eine theoretische Möglichkeit bilden, jedoch eine praktische Absurdität. Oder wenn wir es herstellen, dann könnte es einen kleinen Haken geben!«

»Um den Haken kümmern wir uns, wenn es so weit ist«, sagte ich.

KAPITEL ZWEI

Die erste Herstellung von Cavorit

Allerdings blieben Cavors Befürchtungen unbegründet, zumindest, was die tatsächliche Herstellung betraf. Am 14. Oktober 1899 wurde diese unglaubliche Substanz geschaffen!

Seltsamerweise wurde sie letztendlich durch Zufall hergestellt, als Mr. Cavor es am wenigsten erwartete. Er hatte mehrere Metalle und bestimmte andere Dinge – heute wünschte ich, ich würde die Einzelheiten kennen! – miteinander verschmolzen und hatte vor, die Mischung eine Woche lang liegenzulassen, um ihr zu erlauben, langsam auszukühlen. Wenn er mit seinen Berechnungen nicht falschlag, würde sich die letzte Phase der Verbindung einstellen, sobald die Temperatur des Stoffes auf 60 Grad Fahrenheit gesunken war.

Doch wie es der Zufall wollte, waren ohne Cavors Wissen Meinungsverschiedenheiten über die Pflege der Schmelzöfen entstanden. Gibbs, dessen Pflicht dies zuvor gewesen war, hatte plötzlich versucht, diese dem Mann zuzuschieben, der Gärtner gewesen war, mit der Begründung, dass Kohle ja Erde sei, ausgegraben wurde und daher wohl kaum in den Aufgabenbereich eines Schreiners fiel. Der Mann, der Aushilfsgärtner gewesen war, behauptete jedoch, dass Kohle ein metall- oder erzähnlicher Stoff sei, ganz zu schweigen davon, dass Spargus Koch war. Spargus bestand aber darauf, dass Gibbs die Bekohlung übernahm, mit der Begründung, dass dieser Schreiner und Kohle bekanntermaßen fossiles Holz war. Infolgedessen bestückte Gibbs den Hochofen nicht mehr, ebenso niemand sonst, und Cavor war zu sehr in irgendwelche interessanten Probleme vertieft, die eine Cavorit-Flugmaschine betrafen (den Luftwiderstand und ein oder zwei andere Punkte vernachlässigend), um wahrzunehmen, dass etwas nicht stimmte. Und die vorzeitige Geburt seiner Erfindung fand statt, als er gerade zum Nachmittagstee über das Feld zu meinem Bungalow ging.

Ich erinnere mich mit größter Deutlichkeit an dieses Ereignis. Das Wasser kochte, alles war vorbereitet, und der Laut seines »Susuu« brachte mich auf die Veranda. Seine aktive kleine Gestalt hob sich schwarz vor dem herbstlichen Sonnenuntergang ab, und zur Rechten erhoben sich die Schornsteine seines Hauses über der herrlichen gefärbten Baumgruppe. Weiter entfernt ragten die Wealden Hills empor, blass und blau, während zur Linken die neblige Marsch weit und still dalag.

Und dann …

Die Kamine schossen himmelwärts, zersplitterten dabei in eine Reihe aus Ziegeln, als sie aufstiegen, und das Dach und diverse Möbelstücke folgten ihnen nach. Dann wurden sie von einer riesigen, weißen Flamme eingeholt. Die Bäume um das Gebäude herum wankten und taumelten und wurden in Stücke gerissen, die auf die Eruption zuflogen. Meine Ohren wurden von einem solchen Donnerschlag getroffen, dass ich für den Rest meines Lebens auf einer Seite taub sein werde, und überall um mich herum zersprangen unbeachtet die Fenster.

Ich ging drei Schritte die Veranda hinunter und auf Cavors Haus zu, und gerade, als ich dies tat, kam der Wind.

Sofort lagen meine Rockschöße über meinem Kopf, und ich bewegte mich rasant und durchaus gegen meinen Willen auf Cavor zu. Im gleichen Augenblick wurde der Forscher ergriffen, herumgewirbelt und flog schreiend durch die Luft. Ich sah, wie nur sechs Yards von mir entfernt einer meiner Kaminaufsätze zu Boden fiel, gut zwanzig Fuß weitersprang und schließlich zielstrebig auf den Mittelpunkt dieses Tumultes zuhielt.

Cavor, der trat und flatterte, kam wieder herunter, rollte eine Weile über den Boden, kämpfte sich hoch und wurde mit enormer Geschwindigkeit weitergetragen, woraufhin er schließlich zwischen den um sich schlagenden Bäumen verschwand, die sich um sein Haus herum krümmten.

Eine Masse aus Rauch und Asche und ein Quadrat aus einer bläulich schimmernden Substanz rasten aufwärts auf den Zenit zu. Ein großes Stück eines Zauns raste an mir vorbei, sauste mit der Kante voran herunter, traf den Boden und fiel auf die flache Seite, dann war das Schlimmste überstanden. Die Luftbewegung ließ rasch nach, bis sie lediglich eine starke Bö war, und mir wurde wieder bewusst, dass ich Atem und Füße hatte. Indem ich mich gegen den Wind stemmte, schaffte ich es, anzuhalten, und konnte meine Gedanken soweit sammeln, wie sie mir geblieben waren.

In diesem Augenblick hatte sich das gesamte Antlitz der Welt gewandelt. Der beschauliche Sonnenuntergang war verschwunden, der Himmel wurde von rasch vorbeiziehenden Wolken verdunkelt, alles war flachgedrückt und wankte im Sturmwind. Ich blickte zurück, um nachzusehen, ob mein Bungalow noch weitestgehend stand, taumelte dann vorwärts auf die Bäume zu, zwischen denen Cavor verschwunden war und durch deren große und von Blättern befreite Äste die Flammen seines brennenden Hauses hindurchschienen.

Ich betrat das Wäldchen und rannte von Baum zu Baum, wobei ich mich an ihnen festhielt, und eine Zeitlang suchte ich ihn vergeblich. Dann, inmitten eines Haufens aus zersplitterten Ästen und Zaunteilen, der sich gegen einen Teil der Gartenmauer drängte, nahm ich war, wie sich etwas rührte. Ich rannte darauf zu, doch bevor ich ankam, kam ein brauner Gegenstand daraus zum Vorschein, erhob sich auf zwei schlammigen Beinen und streckte zwei schlaffe, blutige Hände hervor. Einige zerrissene Kleidungsreste hingen an seinem Mittelteil und flatterten im Wind.

Im ersten Augenblick erkannte ich diesen irdenen Klumpen nicht, doch dann sah ich, dass es Cavor war, dicht vom Schlamm bedeckt, in dem er herumgerollt war. Er lehnte sich gegen den Wind nach vorne und rieb sich den Dreck aus Augen und Mund.

Er streckte den matschigen Klumpen aus, der seine Hand war, und taumelte einen Schritt auf mich zu. Sein Gesicht war von Gefühlen verzerrt, und kleine Brocken aus Schlamm fielen davon herunter. Er wirkte so lädiert und erbärmlich, wie ich es je bei irgendeinem Lebewesen gesehen habe, und daher erstaunte mich seine Bemerkung aufs Äußerste.

»Gratulieren Sie mir«, keuchte er, »gratulieren Sie mir!«

»Ihnen gratulieren!«, sagte ich. »Gütiger Himmel! Zu was?«

»Ich habe es geschafft.«

»Das haben Sie. Was in aller Welt hat diese Explosion hervorgerufen?«

Ein Windstoß blies seine Worte davon. Soweit ich ihn verstand, sagte er, dies sei gar keine Explosion gewesen. Der Wind drückte mich nach vorne, sodass ich mit ihm zusammenstieß, und wir standen da und hielten uns aneinander fest.

»Versuchen, zu meinem … Bungalow zurückzukommen«, brüllte ich ihm ins Ohr. Er hörte mich nicht, und rief etwas über »drei Märtyrer … Wissenschaft« und auch etwas von »bringt nicht viel«. Zu diesem Zeitpunkt unterlag er der Annahme, dass seine drei Mitarbeiter in dem Wirbelsturm umgekommen waren. Glücklicherweise stimmte dies nicht. Unmittelbar, nachdem er sich auf den Weg zu meinem Bungalow gemacht hatte, waren sie ins Wirtshaus in Lympne gegangen, um bei einer kleinen Erfrischung die Frage der Schmelzöfen zu diskutieren.

Ich wiederholte meinen Vorschlag, zu meinem Bungalow zurückzukehren, und diesmal verstand er. Arm an Arm geklammert, schafften wir es zurück in den Schutz des Stücks Dach, das mir geblieben war. Eine Zeitlang saßen wir in Sesseln und schnappten nach Luft. Alle Fenster waren zerbrochen und die leichteren Möbelstücke durcheinandergeworfen, doch war kein irreparabler Schaden entstanden. Zum Glück hatte die Tür dem Druck widerstanden, der auf sie ausgeübt worden war, sodass mein gesamtes Koch- und Essgeschirr überlebt hatte. Der Ölofen brannte noch, und ich setzte Wasser auf, um erneut Tee zu kochen. Und nachdem dieser zubereitet war, wandte ich mich an Cavor, um zu hören, welche Erklärung er denn hätte.

»Ganz recht«, sagte er nachdrücklich, »ganz recht. Ich habe es geschafft, und es ist alles in Ordnung.«

»Kaum«, widersprach ich. »In Ordnung! Im Umkreis von zwanzig Meilen kann kaum noch ein Schober stehen oder ein Zaun oder Strohdach unbeschädigt geblieben sein …«