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Wie oft schon hatte Emelda die Fälle von Guantar besucht. Doch immer wieder war sie mit dem Versuch gescheitert, dem Geheimnis des Sees auf den Grund zu gehen. Dieses Mal fühlt sie sich bereit. Sie taucht hinunter in die Dunkelheit, überschreitet die Barriere der Uriod Mar und betritt die Welt des Allerkleinsten. Ist sie der Begegnung mit den elementaren Energien jenseits dieser Grenze gewachsen? Eine aufregende und gefährliche Reise beginnt. Volume 9 der "Erzählungen aus Sinjas Welt" bietet spannende New Fantasy-Unterhaltung - abstrakt, mysteriös, neofantastisch, surreal. Für LeserInnen ab 16.
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Seitenzahl: 52
Andreas Milanowski
Die Fälle von Guantar
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1 Der Auftrag
2 Am Ufer
3 Die erste Fahrt
4 Abgetaucht
5 Die Barriere
Impressum neobooks
Als ob die magische Kraft dieses Gewässers alles Dunkle und Verzweifelte aus meinem Leben gewaschen hätte, fühle ich mich getragen, frei und, so seltsam mir das auch scheint, geborgen. Ich will nichts in diesem kostbaren Moment als schwerelos schweben, dahintreiben auf den Wellen. An steilen, verwitterten Felswänden schaue ich empor, geformt vom Wind und dem in die Tiefe stürzenden Fluss.
Wie oft war ich schon an diesem Ort gewesen, an dem Wasser und Luft sich mit all ihrer Macht durchdringen? Genauso oft war ich gescheitert mit meiner Suche nach den Dingen, von denen der Magus in geheimnisvollen Andeutungen gesprochen hatte. Und doch zieht es mich immer wieder hierher – warum?
Weit jenseits dessen, was meine Augen sehen können, wälzen sich die Wassermassen über eine Felskante herab. Den Anfang, den der Fluss an den heiligen Quellen von Sarmul nimmt und seinen langen Weg durch die Weiten der adagischen Landschaften kann man von hier unten aus nicht einmal erahnen. Im Gegenteil - es scheint, als stürze dieses Wasser direkt aus dem strahlend blauen Himmel heraus seiner Bestimmung entgegen.
Die Tropfen, die während ihres Falls im Sonnenlicht tanzen, kommen mir vor wie ein wallender Schleier aus fein geschliffenen Diamanten. Nach außen hin spielt dieser nasse Vorhang mit seinen Reizen. Er verspricht Reichtum und Glanz, aber das Wesentliche gibt er nicht preis. Offenbarung ist er und Verhüllung in einem. Hütet er hinter seiner glitzernden Pracht das Geheimnis der Elvenmagie, vielleicht sogar eine der Antworten auf die Frage nach dem Werden unserer Welten?
***
„Wenn du dafür geschaffen bist, wirst du das Mysterium der Verbindung ergründen. Wenn nicht, begibst du dich in große Gefahr.“ Das waren seine Worte gewesen, die Worte des Magus. Wie meist hatte er ein wenig dümmlich dazu gegrinst und mich mit all meinen Fragen allein gelassen. War das ein Auftrag gewesen oder nur ein gut gemeinter Rat? Warum hatte er ausgerechnet mir davon erzählt und nicht Gamanziel, Amandra oder einem der Jungs?
Ich war mir sicher, er wusste seinerzeit sehr genau, dass er meine Neugier und meinen Tatendrang geweckt hatte. Er wusste, ich würde mich auf den Weg machen, wenn er mir dieses Ziel in Aussicht stellt. Die Herausforderungen des Lebens annehmen, Neues entdecken, den Dingen ihre Geheimnisse entlocken, den Reiz spüren, der darin liegt, Grenzen zu überschreiten, all das war für mich schon immer größer gewesen als die Angst vor der Gefahr. Der Magus kannte mich und wusste dies sehr genau.
Auch wenn er gelegentlich zerstreut war und wirkte, als sei er nicht ganz von dieser Welt, so hatte er doch ein untrügliches Gespür dafür, was er seinen Schülerinnen zutrauen durfte und was nicht. Von dem Tag an, an dem dieser wirre, alte Kerl diese Worte zu mir gesprochen hatte, wusste ich, was ich zu tun hatte. Von diesem Moment an war es meine Aufgabe, dort hinunterzutauchen und die `Verbindung´ zu suchen. Ich hatte keine Ahnung, was genau das sein sollte, aber ich wusste: etwas ist dort unten, etwas Wichtiges, Elementares und ich würde es ergründen.
***
Ich schaute in die blaue Weite des Himmels und begriff, dass ich das Bindeglied war zwischen der Unendlichkeit über mir und den unermesslichen Tiefen dieses Sees. „Wie oben, so unten“, schoss es mir durch den Kopf. Was immer ich in der Tiefe finden würde, es wäre ein Teil des Werkes jener ordnenden Kraft, deren Gesetze im ganzen Universum Gültigkeit besitzen.
Ein Schauder erfasste mich ob der Wucht dieses Gedankens, ein kurzes Zittern, das durch meinen gesamten Körper lief. Für einen Moment schloss ich die Augen, um mich wieder zu fassen. Dann drehte ich mich paddelnd auf den Bauch und schaute in das dunkle Grün unter mir. Ich sog, so tief ich konnte, Luft in meine Lungen. Dann bäumte ich mich auf, kippte den Oberkörper nach vorne und grub meine Hände ins Wasser. Ein Klatschen und ich fühlte, wie die Wellen über mir zusammenschlugen. Dann ging es Zug um Zug hinunter in die Finsternis, dorthin, wo ich einen Grund vermutete.
„Bei allen Geistern, Amandra. Emelda hat wieder eine ihrer Botschaften empfangen. Ich glaube, sie ist endgültig verrückt geworden.“
„Yepp! Kann sein, Schatz. Sie ist auf Tauchgang.“
„Sollen wir?“ Gamanziel zeigte mit dem Daumen in Richtung des Wasserfalls.
„Was denn? Ich soll mein schönes Sonnenplätzchen aufgeben, um Emelda in diesem ekligen Zeugs da hinterher zu tauchen? Du kannst das gerne machen, aber ohne mich. Frag´ mich nochmal, wenn sie in einer halben Stunde nicht wieder oben ist.“
„Amandra, das eklige Zeugs nennt sich Wasser. Und ja, ich denke, wir sollten ihr folgen – nur zur Sicherheit. Vielleicht hat sie sich irgendwo verheddert – Schlingpflanzen oder so. Manche dieser Dinger sind tückisch.“
„Oder so….? Das überzeugt mich! Schätzchen, sie ist noch keine Minute weg und du drehst schon durch? Komm runter. Es ist Emmi.“
„Ja, gerade weil sie es ist. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie ihre Grenzen kennt.“ Amandra verdrehte die Augen und zog ihre Mundwinkel nach oben.
„Wie gesagt, du kannst ihr gerne hinterherspringen. Ich habe keinerlei Bedenken deswegen und würde dir auch ganz fest die Daumen drücken, aber lass mich bitte in Ruhe. Du weißt, dass Wasser nicht mein Element ist. Das Zeug und ich wir haben, sagen wir mal, eine etwas schwierige Geschichte. Im Moment will ich einfach nur hier liegen.“
„Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Du kannst von mir aus auf deinem Stein verschimmeln und warten bis eine Efeuranke deinen Astralleib überwuchert. Ich mache mir Sorgen um unsere Freundin.“ Amandra richtete sich auf und schaute zu Gamanziel hinüber. Auf ihrer Stirn zeigte sich eine steile Falte.
„Mal ernsthaft, Gam: wie oft waren wir jetzt schon zusammen an den Fällen?“
„Seit dem ersten Besuch mit dem Magus? Sieben Mal. Warum?“
„Du bist wirklich ein Phänomen. Wie kann man seinen wertvollen Gedächtnisspeicher mit solch unwichtigen Informationen belasten?“ Amandra schüttelte den Kopf. Dann wurde sie erneut ernst. „Warum ich frage? Ganz einfach: weil jedes Mal, wenn wir hier waren, Emelda einen ihrer heiligen Anfälle bekommen hat und plötzlich abgetaucht war. Jedes Mal ist sie wiedergekommen. Also worüber regst du dich auf?“