Die Frauen von Longthorpe - Mary Sheepshanks - E-Book
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Die Frauen von Longthorpe E-Book

Mary Sheepshanks

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Beschreibung

Eine Familie in den Stürmen der Zeit: Der bewegende Roman »Die Frauen von Longthorpe« von Mary Sheepshanks jetzt als eBook bei dotbooks. Wie stark sind die Bande einer Familie – und wie nah können sich drei Generationen von Frauen wirklich stehen, wenn jede ein Kind ihrer Zeit ist? Während Kate erst nach dem Tod ihres Mannes erkennt, dass sie all ihre Träume für ihn geopfert hat, ist ihre Tochter Joanna das genaue Gegenteil: Niemals würde sie sich von jemandem abhängig machen, Verstand geht immer über Gefühl. Vielleicht ist ihr deshalb die eigene Tochter seltsam fremd geblieben: Wärme und Geborgenheit findet die junge Harriet einzig bei ihrer Großmutter. Aber ist all das Ungesagte, all das Unverstandene wirklich stärker als das, was eine Familie im Kern zusammenhält? Vielleicht bietet Kates neugewonnener Mut, einen kleinen Laden zu eröffnen und ihren zarten Gefühlen für einen geheimnisvollen Fremden nachzuspüren, auch noch eine weitere Chance: das Band zwischen den drei Frauen neu zu knüpfen … »Ein mitreißender und äußerst vergnüglicher Roman um drei Frauengenerationen.« Woman & Home Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Familienroman »Die Frauen von Longthorpe« von Mary Sheepshanks. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Wie stark sind die Bande einer Familie – und wie nah können sich drei Generationen von Frauen wirklich stehen, wenn jede ein Kind ihrer Zeit ist? Während Kate erst nach dem Tod ihres Mannes erkennt, dass sie all ihre Träume für ihn geopfert hat, ist ihre Tochter Joanna das genaue Gegenteil: Niemals würde sie sich von jemandem abhängig machen, Verstand geht immer über Gefühl. Vielleicht ist ihr deshalb die eigene Tochter seltsam fremd geblieben: Wärme und Geborgenheit findet die junge Harriet einzig bei ihrer Großmutter. Aber ist all das Ungesagte, all das Unverstandene wirklich stärker als das, was eine Familie im Kern zusammenhält? Vielleicht bietet Kates neugewonnener Mut, einen kleinen Laden zu eröffnen und ihren zarten Gefühlen für einen geheimnisvollen Fremden nachzuspüren, auch noch eine weitere Chance: das Band zwischen den drei Frauen neu zu knüpfen...

»Ein mitreißender und äußerst vergnüglicher Roman um drei Frauengenerationen.« Woman & Home

Über die Autorin:

Mary Sheepshanks wurde 1931 geboren und wuchs am Eton College auf, wo ihr Vater arbeitete. Ihre Ferien verbrachte sie jedoch oft im Haus ihrer Großeltern in Wales, wo sie ihre Liebe für das ruhige Landleben und ungezähmte Landstriche entdeckte, die später in ihre Romane einfloss. Ebenfalls Einfluss fanden ihre Jahre in Eton sowie Unterrichtsstunden in Windsor Castle. Mary Sheepshanks lebt und schreibt heute in Schottland. Ihre zahlreichen Enkelkinder nennen sie gern »wild writing granny« – unter diesem Titel erschienen daher ihre Memoiren.

Bei dotbooks veröffentlichte Mary Sheepshanks auch ihre Romane »Der Himmel über Glendrochatt«, »Die Sterne über Boynton Park« und »Ein Sommer in Duntan Hall«.

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eBook-Neuausgabe Juni 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »Picking up the Pieces«. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Herbst der Zärtlichkeit« bei Bastei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1997 by Mary Sheepshanks

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-084-7

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Mary Sheepshanks

Die Frauen von Longthorpe

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Woicke

dotbooks.

Kapitel 1

Als sich der Todestag von Oliver Rendlesham zum ersten Mal jährte, ging Kate, seine Witwe, aus, verliebte sich und traf eine Entscheidung, die eine tiefgreifende Wirkung auf das Leben ihrer Familie hatte.

Der Tag hatte schlecht angefangen. In dem Moment, als Kate aufwachte, hatte sie schon das Gefühl, daß dunkle Wolken über ihr hingen, und dann erinnerte sie sich daran, welche Bedeutung das Datum hatte. Aber das war nicht allein der Grund, weshalb sie sich unbehaglich fühlte, schließlich war sie bereits 365 Tage lang jeden Morgen mit dem Bewußtsein aufgewacht, daß Oliver nicht länger bei ihr war. Welchen Unterschied machte dann ein weiterer Tag? Nein, warum sie am liebsten die Bettdecke über sich gezogen und so getan hätte, als gäbe es sie gar nicht, war die Tatsache, daß sie in einem schwachen Moment zugestimmt hatte, mit Netta Fanshaw zu Mittag zu essen.

Netta hatte zur großen Schar von Olivers Bewunderinnen gehört. Es hatte ihr Spaß gemacht, seinen Skalp wie eine Jagdtrophäe an ihrem Gürtel baumeln zu sehen, genau wie die der vielen anderen Freunde, die sie für einflußreich hielt. Netta hatte niemanden zum Freund, der nicht wichtig war; Kate hatte sie nur als Olivers Anhängsel akzeptiert.

Kate hatte sie seit Olivers Begräbnis nicht mehr gesehen, wo Netta eine angemessen betrübte Miene und einen riesigen schwarzen Hut aufgesetzt hatte, auf den sich beim Rennen in Ascot sicherlich alle Fernsehkameras gerichtet hätten, der jedoch bei einem Begräbnis im engen Kreis eher unangebracht wirkte. Ein solcher Hut mochte vielleicht als Regenschirm nützlich sein, falls unerwartet ein Schauer herabrauschte, und ganz sicher diente er dazu, die Sicht auf Nettas Ehemann Miles Fanshaw zu behindern, der neben ihr hertrottete und hin und wieder einen Stoß mit der Hutkrempe abbekam, wenn Netta nickte, um einen Bekannten zu grüßen.

Kate war so überrascht gewesen, Nettas Stimme nach zwölf Monaten des Schweigens am Telefon zu hören, daß sie sich hatte überrumpeln lassen.

»Liebes, wie geht es Ihnen?« Die Stimme triefte vor Mitgefühl. »Miles und ich haben so oft an Sie gedacht, aber wir sind immer in schrecklicher Hektik. Ich habe ein fürchterlich schlechtes Gewissen Ihretwegen – und nun steht Ihnen auch noch dieser traurige Jahrestag bevor. Wir würden uns so sehr freuen, wenn Sie zu uns kämen und bei uns wären. Ich denke, das würde auch Oliver gefallen.«

Und obwohl sie fürchterlich wütend war, hatte Kate sich selbst ergeben die Einladung annehmen hören. Netta war so beharrlich, daß man schon eine hieb- und stichfeste Ausrede bei der Hand haben mußte, um ihr erfolgreich Widerstand leisten zu können. Es hatte Kate gerührt und erstaunt, daß ihr im vergangenen Jahr soviel Freundlichkeit und Mitgefühl entgegengebracht worden war, nicht nur von guten Freunden, sondern auch von Leuten, von denen sie es niemals erwartet hätte. Netta jedoch, die sie früher stets mit Einladungen überschüttet und behauptet hatte, die ganze Familie sehr zu schätzen, war nicht darunter gewesen.

»Ich kann mir einfach nicht erklären, was in mich gefahren ist – ich muß nicht zurechnungsfähig gewesen sein. Ich wette, ihr ist irgendein anderer weiblicher Gast abgesprungen und sie brauchte dringend Ersatz. Wie kann sie es bloß wagen, meinetwegen ein schlechtes Gewissen zu haben?« hatte sie gereizt ihrem Sohn Nicholas erklärt, der mit seiner amerikanischen Frau Robin übers Wochenende aus Yorkshire gekommen war.

»Nun komm schon, Mum – denk doch nur mal daran, wieviel Spaß es dir machen wird, uns hinterher alles zu erzählen!« sagte Nicholas. »Das allein ist die ganze Sache schon wert. Und wenn sie das nächste Mal ihr Gewissen befragt, dann wird es rein wie das eines Neugeborenen sein, und sie wird sich nie mehr um dich sorgen müssen. Was wollt ihr denn beide mehr?«

»Stimmt, es könnte lustig werden zu beobachten, wie sie mich auszufragen versucht – und ihr nichts zu sagen«, gab Kate zu. »Wahrscheinlich würde sie zu gern erfahren, welche Pläne ich habe.«

»Da ist sie nicht die einzige.« Nicholas blickte sie mit hochgezogener Augenbraue an.

Als Kate ihn überrascht anschaute, hatte er einen Arm um ihre Schultern gelegt und sie an sich gedrückt.

»Geh doch mal ein Risiko ein«, hatte er gesagt. »Robin und ich sind der Meinung, daß du ein bißchen Aufregung in dein Leben bringen solltest. Laß dich nicht von Joanna beherrschen und zu ihrer Sklavin machen – und auch nicht von Granny-Cis. Du hast dir ein bißchen Freiheit mehr als verdient. Tu doch zur Abwechslung endlich einmal das, was du möchtest!«

Während Kate zur Lunch-Party der Fanshaws fuhr, dachte sie über diese Worte nach. Ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, irgend jemand aus ihrer Familie könne erwarten, daß sie ihrem Leben eine andere Wende gab. Es war niemals ihre Art gewesen, das Kind mit dem Bad auszuschütten, doch im vergangenen Jahr hatte sie viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Ohne Olivers dynamische Persönlichkeit, die ihr ganzes Leben ausgefüllt hatte, hatte sie sich zunehmend unter Druck gesetzt gefühlt von denjenigen, mit denen sie in engem Kontakt lebte. Und nun hatten sich einige ganz unerwartete Dinge ergeben, von denen manche ihr gefielen, andere nicht. Kate hatte durchaus über die Zukunft nachgedacht, doch sie fühlte sich noch nicht so weit, ihre Überlegungen mit ihrer Familie zu diskutieren – und schon gar nicht mit ihrer Tochter Joanna oder Cecily, ihrer Schwiegermutter.

Die Fanshaws lebten in einem großen Haus zehn Meilen außerhalb von Ripon. Sämtliche Räume waren mit erdrückend gutem Geschmack von einem Londoner Innenarchitekten eingerichtet worden, wofür Miles ein Vermögen bezahlt hatte, obwohl Netta niemals zugegeben hätte, daß dies nicht ihr eigenes Werk war. Ganz bestimmt wäre der Innenarchitekt entrüstet gewesen, hätte er je gehört, wie Netta von ihm nur als von ihrem »kleinen Vorhangmann« sprach.

Das Haus wirkte meist so, als wachse es geheimnisvoll aus den Yorkshire-Nebeln. Dies lag ganz prosaisch daran, daß stets so viele Gäste kamen und gingen und Staub aufwirbelten, denn die Erdschicht der Zufahrt wurde beständig erneuert. Es hätte schon ein ganz keckes Unkraut sein müssen, das es gewagt hätte, sein rebellisches Köpfchen durch den Fanshawschen Boden zu schieben.

Kate war verzagt, als sie sah, wie viele Autos bereits vor dem Haus parkten, dabei war sie überpünktlich. Daß sie mit Oliver in all den Jahren so viele wichtige gesellschaftliche Ereignisse hatte besuchen müssen, hatte sie zur Pünktlichkeit gedrillt, obwohl sie immer eher zu Unpünktlichkeit geneigt hatte. Zwar hatte sie Netta von Anfang an nicht geglaubt, daß es sich »nur um ein gemütliches kleines Essen« handelte, »damit wir wirklich etwas voneinander haben«, dennoch sank ihr nun der Mut, als sie begriff, wie viele andere Leute noch anwesend sein würden. Und mit Sicherheit war sie unpassend gekleidet.

Netta begrüßte sie überschwenglich, wobei sie genau das richtige Maß an verständnisvoller Sympathie zeigte, als sie sich bei Kate einhakte.

»So, und wer ist Ihnen noch unbekannt?« fragte sie, indem sie Kate zu den anderen Gästen führte, die sich im Salon versammelt hatten. Es hatte sie schon immer erstaunt, wie es Netta stets gelang, neue Bekannte zu finden, und nun stellte sie mit sinkendem Mut fest, wie wenige der Anwesenden sie kannte.

»Ich möchte Sie mit Oliver Reedhams Witwe bekannt machen«, sagte Netta mit alles übertönender Stimme. »Oliver war einer unserer ältesten und liebsten Freunde.« Netta hatte eine Art, bei ihren Vorstellungen Prioritäten zu setzen, die ihr so schnell niemand nachmachte.

»Kommen Sie, damit ich Sie mit unserem neuen General bekannt machen kann«, fuhr Netta fort, als gehöre ihr das Regiment, das in Catterick stationiert war. Sie steuerte mit Kate auf einen großen Mann mit krausem Haar zu, dessen Wangen so glatt waren, daß sie fast glänzten. Seine Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Er wirkte männlich und jugendlich, aber Kate hatte schon vor einiger Zeit festgestellt, daß all die Generäle und Richter, die Netta so begeistert sammelte, immer und immer jünger wurden.

»Oliver war ein unvergleichlicher Mensch – aber unsere kleine Kate ist auf ihre Art auch recht klug«, verkündete Netta, ganz die perfekte Gastgeberin, womit sie einen möglichen Ausgangspunkt für ein Gespräch schuf – und Kate dazu brachte, mit den Zähnen zu knirschen. »Sie fertigt entzückende kleine Kissen und solche Sachen. Sticken Sie immer noch, Kate?«

»Immer noch«, erwiderte Kate, der der General jetzt schon leid tat. Man sah ihm an, daß er mit entzückenden kleinen Kissen nicht viel anzufangen wußte.

Und so war es schließlich unvermeidbar, daß sie sich über Oliver unterhielten.

Die Gemeinsamkeiten im Gespräch mit dem General hatten sich gerade erschöpft, als Kate bemerkte, daß Gerald Brownlow eintraf. Er hielt geradewegs auf sie zu.

»Kate! Wie wunderbar! Ich wußte gar nicht, daß Sie auch hier sein würden. Warum haben Sie mich nicht angerufen und mir Bescheid gesagt? Ich hätte Sie doch mitnehmen können, dann hätten Sie nicht zu fahren brauchen. Wie hätten zusammen kommen können. Was für ein unabhängiges kleines Persönchen Sie doch sind!« Wenn mich jetzt noch einmal jemand ein »kleines Persönchen« nennt, dann kotze ich auf Nettas makellosen Teppich, dachte Kate.

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Gerald, aber ich wußte ja auch nicht, daß Sie kommen würden. Und ganz abgesehen davon, fahre ich gern selbst.«

Was ist nur los mit mir, dachte Kate. Wieso bin ich plötzlich so empfindlich? Warum kann ich nicht ganz normal reagieren?

Gerald Brownlow gehörte zu einer Spezies, die jede hoffnungsvolle Gastgeberin schätzt – er war ungebunden. Seine Frau hatte vor einigen Jahren einen Riesenskandal ausgelöst, als sie mit dem Gutsverwalter durchgebrannt war, denn sie hatte ihn damit nicht nur gedemütigt, sondern ihm auch noch einen doppelten Verlust zugefügt. Und es gab etliche, die behaupteten, daß der Verlust eines so fähigen Verwalters ihm sicher mehr zu schaffen gemacht hatte. Ab und zu war sein Name mit dem einer Frau in Verbindung gebracht worden, aber bis jetzt hatte sich keine dauerhafte Verbindung ergeben. Auf einmal wurde Kate unangenehm bewußt, daß es sicher genug Leute gab, die es für wunderbar passend hielten, wenn sie und Gerald einander Trost schenkten. Gerald war nett und aus bester Familie. Unterhaltungen mit ihm plätscherten so leicht dahin, als blättere man in einem unterhaltsamen Roman. Kate mochte ihn recht gern, und sie wußte, daß er ihr dankbar für die Hilfe und die Gastfreundschaft war, die sie und Oliver ihm gezeigt hatten, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte. Aber sie wollte nicht, daß er sich ihr verpflichtet fühlte, und die nicht gerade feinfühligen Versuche gemeinsamer Freunde, sie miteinander zu verkuppeln, wurden ihr allmählich peinlich.

Netta jedoch gehörte nicht zu denjenigen, die hofften, eine Romanze zwischen Gerald und ihr zu entfachen, und sie hatte nicht das geringste Interesse daran, eventuelle zart aufkeimende Gefühle Geralds zu verstärken, dafür war er ihr als Junggeselle zu nützlich. Sie stürzte sich auf die beiden wie eine Hyäne, die gerade einen Kadaver entdeckt hat.

»O nein, ich kann es nicht zulassen, daß zwei Nachbarn, die so gut miteinander bekannt sind, die ganze Zeit plaudern«, rief sie. »Gerald, ich brauche Ihre Hilfe bei einer meiner lahmen Enten. Kommen Sie mit und unterhalten Sie sich ein wenig mit der alten Mrs. Northwood. Sie ist gerade erst an der Hüfte operiert worden, die Ärmste, und kann sich noch nicht so gut bewegen.« Geschickter Versuch, Gerald einzubinden, dachte Kate. Sie selbst hatte »die Ärmste«, die nur wenige Jahre älter als Netta, aber längst nicht so gut konserviert war, erst in der vergangenen Woche in Harrogate gesehen, wie sie die Parliament Street entlangeilte und in Bettys berühmte Teestube strebte, um sich mit einem Vormittags-Eclair zu stärken. Kate hatte nicht den Eindruck, als sei Beryl Northwood sonderlich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, geschweige denn eine »lahme Ente«. Aber man mußte schon sagen, daß Netta in solchen Dingen äußerst geschickt war. Und sie selbst, dachte Kate, würde jetzt sicher auch bald zu Nettas lahmen Enten gezählt werden, denn ihr stand sicherlich kein anderer Anspruch auf Berühmtheit zu.

Gerald lächelte Kate an, berührte leicht ihren Arm. »Bis nachher«, sagte er. Und dann ging er pflichtbewußt davon, um sich anzuhören, wie entsetzlich doch das Essen in jenem Privatkrankenhaus gewesen war, in das sich von Zeit zu Zeit all jene begaben, die die entsprechende Krankenversicherung hatten, um sich – als wären sie kostbare Oldtimer – ein neues Ersatzteil einsetzen zu lassen.

Als das Essen angekündigt wurde, stellte Kate fest, daß sich Mrs. Northwoods Nasenflügel weiteten und sie in ihrer Gier nicht die geringsten Probleme hatte, sich ganz ohne Hilfe von ihrem Sofa zu erheben. Kate machte sich im Geist eine Notiz, mit dieser hübschen kleinen Anekdote Robin und Nicholas zu amüsieren. Miles Fanshaw, der von seiner Frau instruiert worden war, die Gattin des Generals zu seiner Rechten zu platzieren, hielt deren Arm auf dem Weg ins Eßzimmer so fest, als hätte er Angst, daß Netta ihn dafür verantwortlich machen würde, wenn diese kostbare Beute entkäme.

Das Essen war bei den Fanshaws stets köstlich. Einer leichten Fisch-Mousse mit Kräutermayonnaise folgte Lamm mit neuen Kartoffeln; Haselnuß-Schaumgebäck mit einer pikanten Johannisbeersauce ging einem wunderbar cremigen Forme d'Ambert voran. Und natürlich ergänzte der Wein vollkommen die Speisen.

Das Gespräch während des Essens drehte sich vor allem um den Verkauf von Ravelstoke, einem Anwesen, einige Meilen von dem Besitz der Fanshaws entfernt. Es hatte über Generationen hinweg derselben Familie gehört, doch nach dem Tod des letzten Besitzers, eines zurückgezogen lebenden Junggesellen, war es an einen entfernten Cousin übergegangen, der mehr an der Finanzierung seines Drogenkonsums und seines aufwendigen Lebensstils interessiert war als daran, das Land seiner Vorväter zu erhalten. Er hatte sich nach Florida verzogen und den gesamten Besitz einschließlich des Haupthauses zum Verkauf anbieten lassen. Es hatte eine riesige Anzeige in den entsprechenden Magazinen gegeben; das Anwesen sollte entweder als Ganzes oder aufgeteilt verkauft werden. Welche Option für die Nachbarschaft günstiger war, darüber gingen die Meinungen am Tisch der Fanshaws auseinander, und es gab viele Spekulationen über mögliche Käufer. Der Name eines bekannten Popstars war ebenso in die Runde geworfen worden wie der des Führers einer zwielichtigen Sekte. Irgend jemand hatte gehört, daß eine große internationale Gesellschaft das Anwesen kaufen wolle, um dort ein Forschungszentrum einzurichten. Es gab sogar das Gerücht, daß bereits die Erlaubnis gegeben worden sei, einen Freizeitpark zu errichten, der die Landschaft verschandeln würde.

Kate merkte, wie ihre Gedanken auf Wanderschaft gingen; ihre Aufmerksamkeit ließ nach. Sie sehnte sich danach, draußen zu sein. So perfekte Frühlingstage waren kostbar in Yorkshire – viel zu kostbar, um sie eingesperrt in Nettas Eßzimmer zu verbringen, um drei Uhr immer noch zu essen und sich in Small Talk zu ergehen, während draußen die Sonne schien und die Vögel dort im Garten mit ihren Liedern dazu einluden, sich anderweitig zu amüsieren.

Es war ein genauso strahlender Apriltag gewesen, als Oliver vor einem Jahr den jahrelangen Kampf gegen den Krebs verlor und starb. Kate fand es auch jetzt noch überraschend, daß er jenem Kampf unterlegen gewesen war – er, der kaum eine Schlacht verloren hatte. Eigentlich keine außer dieser. Oliver war berühmt für seine Zähigkeit bei Übernahmeverhandlungen, für sein Geschick und seine rhetorische Begabung, für seine Weigerung, eine Niederlage hinzunehmen. Als Präsident von Schneiber und Pollock war er bekannt dafür, daß er alles regelte; er kannte nicht nur jeden, der – national oder international – von Bedeutung war, er wurde auch von den Finanzexperten mit Ehrfurcht behandelt. Er war ein Mann wie aus Eisen gegossen. Seine Kritiker kreideten ihm an, daß er alles überrannte, was sich ihm in den Weg stellte, doch der Tod hatte ihm keine Chance gelassen, sosehr er sich auch gewehrt hatte.

Kate versuchte, sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. »Andererseits«, schwadronierte der Mann links neben ihr offensichtlich immer noch über das Ravelstokesche Anwesen, und ließ sich von dem, was Kates Familie ihr »Zuhör-Gesicht« nannte, zu dem Glauben verführen, daß sie jedem seiner Worte aufmerksam lauschte, »wenn sie den Besitz aufteilen, dann könnten ein paar ganz attraktive Objekte entstehen – wie zum Beispiel jenes kuriose Observatorium. Es ist Jahre her, daß jemand dort gelebt hat, und ich habe immer gedacht, daß es eine Schande wäre, es leerstehen und verkommen zu lassen.«

Er zündete eine Zigarre an. »Ich hoffe doch, daß Sie nichts dagegen haben«, sagte er und blies den Rauch aus wie ein feuerspeiender Drache. Natürlich hatte Kate etwas dagegen, aber ihr war klar, daß dies eine rhetorische Frage gewesen war, denn er schmauchte und paffte trotz ihres Mangels an Begeisterung.

Als schließlich die Tafel aufgehoben wurde, war es bereits vier Uhr, und Kate bestand darauf, nach Hause zu müssen.

»Aber wir haben uns doch kaum unterhalten«, wandte Netta ein. »Ich hätte so gern gemütlich mit Ihnen geplaudert. Wir müssen uns wirklich baaald wiedertreffen.« Es war eine Angewohnheit von ihr, Wörter so zu dehnen wie eine Kaugummiblase. »Nun ja, es war dennoch nett, daß wir Sie wiedergefunden haben.«

»Dabei bin ich gar nicht umgezogen«, bemerkte Kate trocken.

Netta wirkte ein wenig unbehaglich. »Nun, Miles und ich wollten Sie Ihre Wunden in Ruhe lecken lassen, Liebes. Wir waren der Meinung, daß Sie ungestört sein sollten. Manche Leute sind in solchen Situationen ja so aufdringlich. Welch ein Trost muß es für Sie sein, mit der hübschen Joanna und der reizenden Cecily zusammenzuleben.«

Kate war in Versuchung zu fragen: ein Trost für wen? Denn ihre 87jährige Schwiegermutter war mehr als geschickt darin, ihre Beziehung immer wieder durch Streit zu belasten – ganz zu schweigen davon, daß auch mit ihrer Tochter öfter die Fetzen flogen. Doch sie widerstand dieser Versuchung. Kate hatte kein Verlangen nach der Neugier in Nettas Knopfaugen, wenn es um ihre Pläne oder um familiäre Zwistigkeiten ging.

Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Gerald Brownlow sich bemühte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, doch sie gab vor, nichts zu merken. Sie spürte den verzweifelten Wunsch, allem zu entkommen. Wieder im Auto, beschloß sie, nicht die Hauptstraße zu nehmen, sondern einen längeren, aber dafür schöneren Weg, und einen Halt einzulegen, um Acer, ihrer Hündin, Auslauf zu gönnen. Sie hatte keine Eile, und sie nahm einige Unebenheiten auf der ein Stück durch das Moor führenden Straße gern in Kauf, der Sonnenschein würde sie dafür entschädigen.

Die Straße wand sich aufwärts und gabelte sich dann in dem kleinen Dorf Wherndale. Normalerweise hätte Kate jetzt die linke Abzweigung genommen, doch als sie das Schild »Ravelstoke 3 Meilen« las, wählte sie impulsiv die rechte.

Die Straße wurde schmaler, und ein weiteres Schild wies darauf hin, daß man die Ausweichstellen anfahren sollte. Kate hielt schon an der ersten, ließ Acer heraus und tauschte ihre guten Schuhe gegen die alten Stiefel, die sie stets im Wagen liegen hatte.

»Laß uns einen Erkundungsgang machen«, sagte sie. Acer wedelte mit ihrem buschigen Schwanz und zwinkerte ihrem Frauchen zu. Zwar war ganz offensichtlich auch ein Collie unter ihren Vorfahren, aber der Farmer, dem Kate sie abgekauft hatte, meinte, es sei bestimmt noch einiges andere dabei. Sicherlich hatte die Hündin nicht nur Verstand, sondern auch Schönheit geerbt, von wo auch immer, und obwohl ihr eines blaue Auge nicht zu dem anderen paßte, gab ihr das nur einen besonders wissenden Ausdruck. Sie war Kates unzertrennliche Gefährtin.

Sie stiegen über einen Zauntritt und gingen am Rand eines Wäldchens entlang. Die Wiesenglockenblumen füllten die Luft mit ihrem süßen Duft; Acer jedoch, die durch wilden Knoblauch rannte, war von einem viel prosaischeren Geruch umhüllt. Ein Weidenlaubsänger, der sein einfaches Lied übte, hatte das Stadium der Fehler noch nicht überwunden; der zweite Ton gelang ihm noch nicht. Brachvögel waren vom Moor heruntergekommen, riefen einander etwas zu, markierten ihr Territorium und lockten Partner an oder hielten Ausschau nach einem passenden Unterschlupf.

Und dann erblickte Kate plötzlich das Haus.

Ein weiterer Zauntritt führte am Ende des Waldes auf ein offenes Feld, wo Schafe friedlich grasten; die Lämmchen spielten zusammen und sprangen über die Steine, die aus dem Gras hervorragten. Kate befahl Acer, bei Fuß zu gehen und blieb dann stehen, um den Anblick in sich aufzunehmen. Links von ihr fiel das Gelände ab, und ganz Yorkshire schien vor ihr ausgebreitet zu liegen, erst in der Ferne erhoben sich einige Hügel. Kate dachte, daß man bei einem solchen Wetter kaum eine schönere Landschaft finden konnte. Als sie nach rechts schaute, stellte sie fest, daß sie fast am oberen Ende des Feldes war, und dort über ihr, so, als käme es aus dem Nichts, ragte ein ungewöhnliches kleines Gebäude auf: ein Haus mit einem quadratischen Turm, aus dem sich ein zweiter, runder Turm erhob, der von Säulen umgeben und von einer Kuppel gekrönt war. Fast wie eine Mischung aus einem Tempel und einem Fabrikschornstein, dachte Kate. Es mußte jenes Observatorium sein, von dem ihr Tischnachbar gesprochen hatte.

Sie kletterte bis zur Kuppe hinauf und fand sich plötzlich vor den Resten einer Mauer wieder, die offensichtlich ursprünglich errichtet worden war, um den Garten vom Feld zu trennen. Nun aber waren die Steine auseinandergefallen, und ein altes Mutterschaf lag mit seinen Zwillingen bequem im Schatten riesiger Azaleenbüsche. Als Kate und Acer näher kamen, stand das Mutterschaf auf, eher überrascht als erschreckt, doch offensichtlich wenig erfreut über die störenden Besucher. Blökend forderte es seine Jungen auf, ihm zu folgen, und lief dann gemächlich hinter das Haus.

Es bereitete Kate kein Problem, dem Pfad zu folgen, den die Schafe getrampelt hatten.

Sie hatte das Gefühl, als könne dieser Ort plötzlich verschwinden wie bei Alice im Wunderland, so als wäre sie über ein Shangri-la hier mitten in Yorkshire gestolpert. Sie wäre nicht im geringsten überrascht gewesen, hätte sich herausgestellt, daß die Wände dieses bezaubernden Hauses aus Zucker oder Lebkuchen bestanden.

Mit diesen absurden Gedanken stand sie da und betrachtete das Haus. Die kleine Vertiefung, in der das Schaf gelegen hatte, wirkte auf einmal unglaublich einladend. Kate ließ sich auf den Boden sinken, Acer legte sich neben sie. Eine windgebeugte Buche, die so schief stand wie der Turm von Pisa, war von perfekter Schönheit mit jenem Silberhauch auf den Blättern, der verschwinden würde, sobald das Laub dunkler und kräftiger war. Kate fand es überraschend, daß Buchen so hoch oben wuchsen. Die Azaleen, eine Pracht in Gelb und Apricot, rochen nach Honig. Selbst die Ranken des Labkrauts, die sich zu ihnen hinaufwanden, wirkten jetzt schön. Gerard Manley Hopkins hat nicht unrecht, dachte Kate, man kann eine Menge zugunsten von Unkraut sagen – wenn man ihm nicht gerade den Krieg erklärt hat und auf der Verliererseite steht.

Kate hatte das Gefühl, als habe sich die Zwangsjacke, in der sie ihr ganzes Leben lang gesteckt hatte, plötzlich gelockert, und ein seltenes Gefühl von Frieden und Zufriedenheit erfüllte sie. Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloß die Augen, lauschte, wie der Wind in den Blättern wisperte, hörte ab und zu das klagende Blöken eines Schafes oder die Kadenzen eines Weidenlaubsängers, der irgendwo versteckt saß. Die Nachmittagssonne hatte immer noch genug Wärme, und Kate ließ sie in ihre Knochen dringen.

Das letzte, was sie dachte, bevor sie einschlief, war: Ich glaube, ich habe mich verliebt.

Kapitel 2

Kate wachte von dem Gefühl auf, daß sie nicht allein sei. Acer lag zwar immer noch neben ihr, erhob sich nun jedoch. Die Sonne hatte viel von ihrer Wärme verloren, und die leichte Brise war aufgefrischt. Der Himmel war immer noch von einem strahlenden Blau, aber weiße Wolken zogen nun darüber hinweg. Kate setzte sich auf.

Ein paar Yards von ihr entfernt, auf einem Baumstumpf, saß ein Mann und blickte auf sie hinab. Er trug Arbeitskleidung: abgenutzte Jeans, schwere Arbeitsstiefel und eine Art Holzfällerhemd, dessen hochgerollte Ärmel sommersprossige, gebräunte Arme freigaben. Seine Hände wirkten kräftig. Ein Schäferstab mit einem geschnitzten Griff lag auf dem Boden. Kates erste Reaktion war Panik, und unwillkürlich tastete sie in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel, wobei sie das scharfe Ende zwischen die Finger schob, damit sie eine Waffe für den Notfall hatte, ein Trick, den Nick ihr beigebracht hatte. Doch dann erinnerte sie sich schuldbewußt daran, daß sie unbefugt fremden Boden betreten hatte und daß manche Bauern in der Lammzeit unfreundlich auf fremde Hunde reagierten. Gott sei Dank war Acer offensichtlich kein Hund, der Schafe jagte.

»Wie lange haben Sie mich schon angestarrt?« fragte sie scharf, denn sie mußte unwillkürlich an eine alte Geschichte denken, in der jemandem im Schlaf ein Teil seiner Seele gestohlen wurde, ihr gefiel die Vorstellung nicht, so schutzlos gewesen zu sein.

»Oh, jetzt sind Sie also aufgewacht. Sie waren der Welt vollkommen entrückt. Ich hatte schon überlegt, ob ich Sie vielleicht küssen müßte, um Sie zu wecken, doch dann fand ich, daß Sie wenig Ähnlichkeit mit Schneewittchen haben. Das Schneewittchen meiner Kindheit hat keine Stiefel zu einem feinen Rock getragen. Dürfte ich Sie vielleicht fragen, was Sie hier machen?«

Seinem Aussehen nach hätte Kate Yorkshire-Akzent bei ihm erwartet, doch sie konnte seine Sprechweise nicht einordnen.

Sie beschloß, daß es würdevoller war, seine Bemerkungen zu ignorieren. Sie wußte ja selbst, daß sie merkwürdig aussehen mußte mit den Gummistiefeln, die unter dem weiten, aber nun etwas schmutzigen Saum ihres Baumwollkleides herausschauten, in dem sie sich eigentlich immer wohlfühlte, das aber, wie sie richtig vermutet hatte, für Nettas Lunch-Party vollkommen unpassend gewesen war. Netta und die Frau des Generals hatten kurze, raffinierte Kostümchen getragen.

Als sie aus dem Auto gestiegen war, hatte sie ihre Strumpfhose ausgezogen und um ihre Taille gebunden, um den Rock ein wenig zu raffen, und diese improvisierte Schärpe trug nicht unbedingt zu einem würdevollen Aussehen bei. Und was alles noch schlimmer machte: Kate war ziemlich sicher, daß sich auf ihrem Hintern ein feuchter Fleck zeigen würde, wenn sie aufstand. Der Tag war zwar unerwartet warm gewesen, aber in der vergangenen Woche hatte es heftig geregnet, daher war das Gras noch ein bißchen feucht. Der Mann mußte sie wirklich ausgesprochen komisch finden.

Ein Gegenangriff schien ihr das Beste zu sein.

»Und was machen Sie hier? Bearbeiten Sie das Land?«

»Ich bin kein Bauer, nein.«

»Arbeiten Sie dann auf dem Ravelstokeschen Anwesen?«

»Ja, so könnte man es ausdrücken.«

»Nun, arbeiten Sie hier oder nicht?«

»Hm ... ja, doch, ich denke, daß ich hier arbeite. Eigentlich bin ich so etwas wie ein Verwalter – ich halte ein Auge auf den Besitz.«

»Dann sind Sie genau derjenige, den ich brauche«, antwortete Kate. »Ich würde mir dieses Haus zu gern einmal anschauen.

»Sind Sie an Architektur interessiert?«

Kate überraschte sich selbst mit ihrer Antwort. »Nein, ich bin eher daran interessiert, das Haus zu kaufen.«

Der Mann zog eine Augenbraue hoch. »Und wie kommen Sie darauf, daß es zum Verkauf steht?«

»Oh, die örtliche Gerüchteküche brodelt heftig«, erwiderte sie fröhlich.

»Gerüchte können gefährlich sein. Sie sollten nicht mal die Hälfte davon glauben. Aber trotzdem werde ich Ihnen das Haus zeigen. Zufällig habe ich nämlich den Schlüssel dabei, und ich wollte selbst gerade hineingehen. Ich weiß jedoch nicht, ob man vorhat, das Anwesen aufzuteilen und die Teile einzeln zu verkaufen.«

»Dann ist der Besitz also wirklich verkauft worden?«

»Ich denke schon.«

»Und wer hat ihn gekauft?«

»Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht verraten.«

»Aber er ist ganz bestimmt verkauft worden?«

Er blickte auf sie hinab. »O ja«, sagte er. »Dessen bin ich mir ziemlich sicher.«

Er griff in seine Tasche und zauberte einen altmodischen Eisenschlüssel hervor, dann hielt er ihr eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen, doch Kate ignorierte sie. Sie rappelte sich mit soviel Würde hoch, wie sie aufbringen konnte, was jedoch nicht ganz einfach war, da die Strumpfhose sich in einem Brombeerzweig verfing und Kate fast wieder umgefallen wäre.

Auf der Gartenseite hatte das Haus in der Mitte eine geschwungene Front mit großen, bogenförmigen venezianischen Fenstern, links und rechts schlossen sich jeweils einstöckige Gebäude an. Im rechten Flügel befand sich eine Tür. Während Kate dem Mann folgte, kam ihr plötzlich in den Sinn, daß es nicht schlecht sein könnte, Acer als Beschützerin bei sich zu haben, während sie mit einem völlig Fremden das Haus erforschte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, meinte er: »Sie sollten besser Ihren Rottweiler rufen.« Und lächelnd fügte er hinzu. »Heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein! Es gibt eine Menge finsterer Gestalten.«

Aber Acer, die ganz offensichtlich zu dem Schluß gekommen war, daß dieser Fremde keine unmittelbare Bedrohung für ihr Frauchen darstellte, war schon in dem verwilderten Garten auf Kaninchenjagd gegangen. Kate tastete nach der Hundepfeife, die um ihren Hals hing, doch die Kordel hatte sich irgendwie um ihre Perlenkette und die Diamantbrosche geschlungen, die sie angelegt hatte, um Netta zu ärgern, die sich stets mit Glitzerschmuck behängte, egal zu welcher Gelegenheit. Netta hatte selbst bei der Moorhuhnjagd schon Diamanten getragen.

Der Fremde beobachtete sie, während sie verärgert darum kämpfte, die Pfeife an ihre Lippen zu bekommen; endlich gelang es ihr, ein paarmal in die Pfeife zu blasen, das Kinn fast auf der Brust, damit die Perlenkette nicht riß. Acer kam fröhlich angesprungen, nun ebenso von Labkraut bedeckt wie eben der Azaleenstrauch, und zeigte enttäuschenderweise nicht die geringste Neigung, den Fremden zu bedrohen.

Das Schloß war verrostet, und als es dem Mann endlich gelang, den Schlüssel herumzudrehen, klemmte auch die Tür, so daß er mit der Schulter nachhelfen mußte, um sie aufzudrücken.

Er hielt ihr die Tür auf. »Müßte ein bißchen Öl dran. Ich werde mich darum kümmern. Sie werden schrecklich schmutzig werden – sieht nicht so aus, als wäre hier in den letzten Jahren saubergemacht worden. Hier sind überall Spinnweben.«

»Ich werde es riskieren. Viel schlimmer, als ich jetzt schon aussehe, kann es nicht werden.«

»Tragen Sie immer Schmuck, wenn Sie mit Ihrem Hund spazierengehen?«

»Ich war vorhin auf einer netten kleinen Lunch-Party.«

»Bestimmt haben Sie dort Aufsehen erregt.«

Kate begann zu lachen. »Oh, das habe ich tatsächlich. Aber eher unabsichtlich. Es waren einige sehr distinguierte Leute dort.«

»Dann kommen Sie jetzt und schauen Sie sich das Haus an. Es ist recht gemütlich. Ich glaube, man hat es vor ungefähr fünfzig Jahren für irgendeine Ravelstoke-Tante zu einem Altersruhesitz umgebaut. Jener Ravelstoke, der das Gebäude 1820 als sein Privatobservatorium errichtete, galt allgemein als vollkommen verrückt. Man nannte ihn nur den verrückten Ravelstoke. Immerhin hat er einen Krater auf dem Mond entdeckt, den bis dahin noch niemand gefunden hatte, und hat ihn nach ihm benannt: Ravelstoke-Krater. Es war nicht unbedingt eine besonders nützliche Entdeckung, aber ich denke, ihm hat das Auftrieb gegeben. Verrückt wie er war, muß es ihm Spaß gemacht haben, den Mond zu betrachten. Na ja, aber die ganze Familie war über Generationen hinweg nicht ganz dicht.«

Von einem schmalen Korridor gingen mehrere Türen ab. Der Mann öffnete eine auf der linken Seite, und Kate folgte ihm in ein Zimmer, das offensichtlich der Hauptraum des Hauses war.

»Wie entzückend! Ein Raum mir runden Wänden. Ich habe geschwungene Wände schon immer geliebt.«

»Ja, Kurven können sehr anziehend sein.« Kate sah ihn scharf an, weil sie glaubte, daß er sich über sie lustig machte und sich zuviel herausnahm, aber er machte ein todernstes Gesicht.

»Ein wirklich hübscher Schwung«, fuhr er fort. »Damals hatten sie noch einen Blick für Details. Sehen Sie die Motive dort?«

Kate blickte hoch. »Oh«, rief sie erfreut. »Das sind ja sämtliche Sternzeichen. Wie passend.«

»Möchten Sie sich auch im Turm umsehen?«

»O ja, bitte – aber haben Sie denn auch genügend Zeit dafür?«

Er blickte auf seine Uhr. »Ich denke schon.« Dann führte er sie zurück in den Flur und in ein anderes Zimmer mit quadratischem Grundriß, an dessen einer Seite sich eine steinerne Treppe nach oben schwang. Das schmiedeeiserne Treppengeländer hatte als Abschluß einen Handlauf aus Mahagoni.

»Ich glaube, die alte Miß Ravelstoke hat diesen Raum als Eßzimmer benutzt. Die Küche befindet sich hier im rechten Flügel, wo wir hereingekommen sind; im linken gibt es drei Schlafzimmer und ein Bad, aber sie hat dort oben geschlafen. Nicht ganz einfach für eine alte Dame, jedesmal die Treppe bewältigen zu müssen, aber man kann verstehen, warum sie glaubte, daß die Mühe sich lohne.«

Die Treppe führte zu einem kleinen Absatz, von dem zwei Türen abzweigten. »Das Bad«, sagte er, »und das ist das Schlafzimmer.« Sie betraten einen weiteren quadratischen Raum, von dem eine kleine Wendeltreppe sich nach oben zu einer großen Falltür in der Decke wand. Die Sicht aus den Fenstern war atemberaubend.

»Jetzt sind Sie im Turm. Wie Sie sehen, können Sie außen drumherum gehen, aber ich bin nicht sicher, ob es mir jetzt gelingen würde, eins der Fenster zu öffnen. Dort oben, hinter der Falltür, befindet sich das eigentliche Observatorium, das, wie Sie sich erinnern werden, rund ist. Man kann es meilenweit sehen.« Er grinste. »Von den Leuten hier wird es als Phallussymbol betrachtet.«

Genau das hatte Kate auch auf der Zunge gelegen, aber sie hatte es nicht ausgesprochen. Sie beschloß, seine Bemerkung zu ignorieren.

»Es ist ein ungewöhnliches Gebäude. Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen – und dennoch wirkt es irgendwie richtig.« Sie blickte sich um. »Es wirkt so, als hätte ein großes Haus ein kleines geboren – nur daß es innen viel mehr Platz bietet, als man von außen vermutet.«

»Das liegt an den ausgewogenen Proportionen. Das ganze Haus wurde von dem verrückten Ravelstoke entworfen und bis ins letzte Detail durchgedacht. Wahrscheinlich hätte er statt Astronom genausogut Architekt werden können. Ein Mann mit Talenten – auch wenn er nicht ganz richtig im Kopf war. Das Haus ist von den Männern, die hier auf dem Besitz arbeiteten, erbaut worden – auch sie müssen ziemlich gut gewesen sein. Sehen Sie die Muschelmotive dort oben? Und schauen Sie sich die Einfassungen über den Türen und die Muschelverzierungen rund um den kleinen Kamin an.«

»O ja, und die Kammmuscheln rund um die Fenster!« sagte sie begeistert. »Ich war noch nie in einem Haus, das so verzaubert wirkt wie dieses!«

Augenblicklich entstanden Ideen für neue Stickmuster mit Meeresmotiven in ihrem Kopf. Kate setzte sich auf den Fenstersitz und zog die Umrisse der Stuckmuscheln mit den Fingern nach. Der Fremde kam und setzte sich neben sie, ein großer Mann, der sich leicht und graziös bewegte und den Eindruck machte, als hielte er sich viel im Freien auf.

»Sie wissen eine Menge über dieses Haus«, stellte sie fest. »Aber Sie hören sich nicht so an, als kämen sie aus dieser Gegend. Haben Sie diesen Job hier schon lange?«

»Ich habe einen Teil meiner Kindheit hier verbracht, aber seitdem habe ich viel von der Welt gesehen. Ich habe früher eine Menge verschiedener Jobs gehabt. Ich denke aber, daß es nicht einfach ist, hier eine Stelle zu bekommen.«

»Das stimmt.« Kate sah ihn mit wachsender Sympathie an. »Man muß nehmen, was kommt.« Sie fragte sich unwillkürlich, ob er wohl schwierige Zeiten erlebt hatte. Er machte den Eindruck eines gebildeten Mannes.

»Suchen Sie schon lange nach einem Haus?« fragte er.

»Ich habe erst heute nachmittag damit begonnen«, antwortete sie ehrlich, denn sie sah keinen Grund, die Wahrheit zu verheimlichen.

Er sah sie neugierig an. »Und wonach suchen Sie genau?«

»Ich denke«, sagte Kate mehr zu sich selbst als zu ihm, so, als hätte sie gerade eine Entdeckung gemacht und würde diese nun von allen Seiten beleuchten, »ich denke, daß das, wonach ich wirklich suche, meine eigene Identität ist.«

»Damit werden Sie bei einem Makler aber nicht viel Glück haben.«

»Nein. Aber ein Haus wie dieses könnte mir vielleicht dabei helfen.«

»Ich hoffe, Sie haben Ihr Herz nicht gerade an dieses gehängt.«

Sein Gesicht hatte plötzlich einen besorgten Ausdruck, und Kate fragte sich, ob er vielleicht mehr über die Absichten des neuen Eigentümers wußte, als er zugeben wollte.

»Dieses Haus ist wirklich ungewöhnlich, und ich bezweifle, daß man es auf dem freien Markt anbieten wird«, sagte er.

»Aber vielleicht ist es mir ja bestimmt, und dann wird es angeboten werden«, meinte Kate und zog verträumt die Linien einer Muschel auf dem staubigen Fensterbrett nach, dann malte sie einen Seestern daneben. »Glauben Sie, daß man manchmal wie zufällig über Dinge stolpert, die schon längst für einen bestimmt waren? Glauben Sie an Vorsehung?«

Er dachte darüber nach. »Eigentlich nicht. Ich habe immer geglaubt, daß man selbst für sein Schicksal verantwortlich ist – oder daß es reiner Zufall ist, was passiert. Wie eine Drehung des Rouletterades, ohne bestimmtes Muster. Aber dennoch denke ich, daß man manchmal Menschen oder Dingen aus einem ganz bestimmten Grund begegnet. Nur – welche Konsequenz wir dann ziehen, das liegt ganz allein an uns.«

Kate strahlte ihn an. »So ist es, genau das denke ich auch. So, und nun sagen Sie mir, was ich tun soll.«

»Das geht nicht. Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen.«

»Aber Sie könnten mir vielleicht verraten, welcher Makler den neuen Eigentümer vertritt.«

»Cooper und Wilkinson.«

»Danke«, sagte Kate. »Vielen Dank.« Sie sah auf ihre Uhr und sprang dann alarmiert auf. »O je! Es kann doch noch gar nicht so spät sein! Ich fürchte, ich werde Ärger kriegen. Ich werde fliegen müssen.«

»Haben Sie nicht mal mehr Zeit, einen schnellen Blick ins Observatorium zu werfen?«

»Ich würde ja zu gern, aber es geht wirklich nicht. Ein anderes Mal. Ich werde einen offiziellen Termin ausmachen und dann wiederkommen. Ich kenne Graham Cooper, der das Büro in York leitet. Werden Sie vielleicht in nächster Zeit mit jemandem aus dem Maklerbüro sprechen?«

»Könnte sein, daß ich Mr. Cooper sehe, ja.«

»Wenn ja, würden Sie dann ein gutes Wort für mich einlegen? Ihm sagen, daß jemand ganz ernsthaft an diesem Haus interessiert ist?«

Er zögerte. »Was passiert, das hängt ganz allein von dem neuen Eigentümer ab, nicht von Mr. Cooper, aber ich werde es ihm trotzdem ausrichten. Soll ich ihm einen Namen nennen?«

»Rendlesham. Kate Rendlesham.« Dann fiel ihr etwas ein. »Aber, bitte, erzählen Sie niemandem davon, ja? Und bitten Sie ihn, auch nichts zu erwähnen. Das ist wichtig. Ich könnte in eine dumme Lage geraten, wenn es plötzlich Gerüchte gäbe.«

»In der hiesigen Gerüchteküche?«

»Touché.« Sie lachte und hielt ihm die Hand hin. »Sie waren sehr freundlich. Was für ein Glück für mich, daß Sie da waren. Wenn ich mit Cooper und Wilkinson rede, dann werde ich ihnen berichten, wie hilfreich Sie waren.«

»Vielen Dank«, antwortete er ernst. »Das wäre sehr nett von Ihnen.«

»Wie heißen Sie denn?« Wollte sie wissen.

»Jack«, sagte er.

»Sonst nichts? Nur Jack?«

Er zögerte, als wolle er noch etwas hinzufügen, doch dann sagte er nur: »Das reicht. Nur Jack.«

Kapitel 3

Joanna Maitland hatte den ganzen Tag lang verbissen gekocht. Das lag einmal daran, daß sie ein riesiges Pensum zu erfüllen hatte, und zum anderen, daß sie sowieso wütend war: auf ihre Kinder, die ihr schon die ganze Woche auf die Nerven gegangen waren, und auf ihren Mann, weil er nicht da war. Es war ein Zustand – die Wut ebenso wie die Abwesenheit ihres Mannes –, der allmählich zur Gewohnheit zu werden drohte. Und um ihr Unglück zu erhöhen, war sie heute auch noch wütend auf ihre Mutter. Insgeheim gestand sie sich ein, daß sie unfair war, aber das änderte dennoch nicht das geringste an ihren Gefühlen. Ihre Empfindungen ihrer Mutter gegenüber schwankten zwischen Liebe und Groll, und gegen Ende eines langen, anstrengenden Tages war es eindeutig der Groll, der obsiegte.

Morgen würde der große Kochwettbewerb stattfinden, den Joanna organisiert hatte, um den Hilfsfonds für Granby Abbey weiter zu füllen. Nachdem sie erst vor kurzem den Vorsitz im Freundeskreis zur Rettung der Abtei übernommen hatte, hatte sie nicht nur diesen Wettbewerb organisiert, sondern sich auch verpflichtet gefühlt, alle anderen mit ihren Produkten auszustechen, da das ganze ja schließlich ihre Idee gewesen war. Joanna liebte es, andere auszustechen, und sie war auch ziemlich gut darin. Niemand hatte ihr jemals vorwerfen können, sie vernachlässige ihre Pflichten, obwohl sicherlich ein paar Leute wesentlich besser mit ihr ausgekommen wären, hätten sie begründeten Anlaß zu einem solchen Vorwurf. Außerdem würde man die Produkte ihrer Kochkunst besonders kritisch betrachten und probieren, da sie ihr Geld mit dem Verfassen von Kochbüchern verdiente. Joanna wollte unbedingt beweisen, was sie konnte – aber das wollte sie eigentlich immer.

Gerade heute hätte ihre Mutter an ihrer Seite sein sollen, nicht nur, um ihr zu helfen – und Gott wußte, wie sehr sie praktische Hilfe hätte gebrauchen können! – sondern weil sich heute zum ersten Mal der Todestag ihres Vaters jährte. Joanna war der Meinung, daß es angebracht gewesen wäre, wenn sie, ihre Mutter und ihre Großmutter diesen Tag zusammen verbracht hätten. Daß sie alle sich sowieso jeden Tag sahen und daß es ihr eigener Entschluß gewesen war, sich diese Plackerei aufzuhalsen, änderte nichts daran. Sie fand es reichlich unpassend von ihrer Mutter, sich auf irgendeiner Lunch-Party zu amüsieren, selbst wenn sie – wie sie behauptet hatte – eigentlich gar nicht daran hatte teilnehmen wollen. Da Joanna selbst gern auf Gesellschaften war, konnte sie das nicht recht glauben.

Sie glaubte auch nicht, daß ihre Mutter zu diesem speziellen Anlaß den Friedhof besucht hatte, wo Oliver begraben lag. Joanna war bereits um sieben Uhr morgens dort gewesen, nachdem sie ihr Pferd bewegt hatte. Grab besuchen, das hatte ganz oben auf der Liste jener Dinge gestanden, die unbedingt erledigt werden mußten – sie pflegte sich für jeden Tag eine solche Liste zu machen –, und sie war erleichtert gewesen, diesen Punkt noch vor dem Frühstück abhaken zu können, obwohl es eigentlich kein besonders befriedigendes Erlebnis gewesen war.

Joanna vermißte ihren Vater ganz schrecklich. Sie hatte so sehr gehofft, aus diesem Friedhofsbesuch Trost und Frieden zu ziehen. Sie wollte sich sowohl betrübt als auch gestärkt fühlen, sie hatte ihrem Vater nahe sein wollen, doch statt dessen hatte sie nur Leere empfunden und Hunger, und sie hatte an nichts anderes als an all die langweiligen und gewöhnlichen Anforderungen dieses Tages denken können. Fast hätte sie dem heißen Wunsch, sich auf sein Grab zu werfen, nachgegeben – aber wenn jemand sie gesehen hätte? So hatte sie nur unbehaglich dagestanden, von der Sonne dieses Aprilmorgens beschienen; ihre Kehle hatte sich so schmerzhaft zusammengezogen, daß sie kaum atmen konnte, aber sie war unfähig gewesen, Tränen zu vergießen, die ihr vielleicht Erleichterung gebracht hätten. Sie hatte auf den Grabstein gestarrt, auf den der Name ihres Vaters eingraviert war. Er war erst vor kurzem aufgestellt worden, nachdem die Erde sich endlich genug gesenkt hatte. Es war undenkbar, daß Oliver Rendleshams mit einem schiefen Grabstein bedacht worden wäre. Er war sechzig gewesen, als er starb – immer noch auf dem Höhepunkt seiner Macht –, und es gab so vieles, was er noch hätte erleben können.

Joanna überlegte, ob sie Oliver wohl mehr vermißte, als Kate es tat, doch dann war sie schockiert bei dem Gedanken, daß sie sich mit ihrer Mutter wie in einem Wettbewerb sah – ein Wettbewerb der Trauer. Oliver jedoch hätte es verstanden. Er war der einzige, der mich je ganz und gar verstanden hat, dachte sie. Jeder hatte den anderen für absolut perfekt gehalten – und das, so dachte sie weiter, galt ganz bestimmt nicht für ihre Ehe, jetzt nicht mehr. Überhaupt schien im Moment niemand sie für perfekt zu halten, überlegte sie traurig, denn trotz ihres beruflichen Erfolgs, ihrer unbestreitbaren Kompetenz, ihres guten Aussehens und ihres unfehlbaren Sinns für die richtige Kleidung schien Joanna einen unstillbaren Hunger danach zu haben, gelobt und bewundert zu werden.

Dabei hatte Kate durchaus ihren Beitrag zum Kochwettbewerb geleistet: etliche ein wenig merkwürdig geformte süße Brötchen, eine Schokoladenmousse und zwei große Behälter mit einer Fisch-Paté, die sicherlich gut schmeckte – Kate war unbestritten eine gute Köchin –, aber aus Joannas Sicht eine nicht sehr gute Wahl für diese Gelegenheit darstellte. Bestimmt konnte man sie gut verkaufen, vorausgesetzt, die Interessenten kamen schon früh, doch dies schien Joanna wenig wahrscheinlich bei der unappetitlichen Farbe und dem Fehlen jeglicher Dekoration. Sie zweifelte nicht daran, daß diese Behälter schon einige Male in Kates Tiefkühlschrank zwischengelagert worden waren und daß die Brötchen nur deshalb zusammengefallen waren, weil sie zu früh aus dem Ofen geholt worden waren, da Kate irgendwann die Lust verloren hatte, darauf zu warten, daß sie endlich fertig wurden. Es erstaunte Joanna immer wieder, daß ihre Mutter, die so wunderschön und so sorgfältig stickte und bei ihren Handarbeiten ein so sicheres Gefühl für Farben und Muster entwickelte, nicht in der Lage zu sein schien, sich selbst oder das, was sie kochte, gefällig fürs Auge zu präsentieren. Sie fand sehr oft, daß ihre Mutter unmöglich aussah. Obwohl Kates Kleidung meistens ziemlich unkonventionell war, konnte sie manchmal wirklich wunderbar aussehen, doch niemand, am wenigsten Kate selbst, schien vorhersagen zu können, wann das der Fall sein würde. Joanna, die stets passend gekleidet war und selbst bei einem Sturm mit Windstärke neun noch makellos erscheinen würde, konnte dies einfach nicht verstehen.

Es gab überhaupt eine ganze Menge an ihrer Mutter, was Joanna unverständlich fand. Es schien, als seien ihre Rollen vertauscht, wenn Joanna versuchte, ihre Mutter zu erziehen, wenn sie ihr vernünftige Ratschläge gab, in der Hoffnung, daß Kate sich irgendwann doch noch änderte. Und sie brauchte nur daran zu denken, welchen Einfluß Kate auf ihre, Joannas, älteste Tochter Harriet hatte, um zu spüren, wie sich sofort alles in ihr anspannte. Sobald Kate und Harriet zusammen waren, gaben sie Joanna das Gefühl, sie sei aus dem magischen Kreis ausgeschlossen. Das tat weh. Joanna fand, daß Kate Harriet verwöhnte und es ihr durchgehen ließ, wenn sie nervig oder albern war. Und angesichts der Tatsache, daß Kate Harriet während der ersten sechs Lebensjahre praktisch allein aufgezogen hatte, war es vorauszusehen gewesen, daß in der Beziehung zwischen Großmutter, Mutter und Tochter – ganz abgesehen von der stets anwesenden, ihr eigenes Süppchen kochenden Urgroßmutter – Probleme auftreten würden.

Während Harriets erster Lebensjahre, bevor Joanna Michael geheiratet hatte, hatten die Leute ihr immer wieder erklärt, wie froh sie sein könne, so eine verständnisvolle Mutter zu haben. Doch Dankbarkeit war ein Gefühl, mit dem viele Leute Schwierigkeiten hatten, und ganz besonders Joanna, der sehr wohl bewußt war, daß Harriet ihre Großmutter mehr als ihre Mutter liebte.

Wenn sie fair war, mußte Joanna zugeben, daß ihre Mutter alles vermied, um dieses Problem zu verschärfen – aber Joanna wollte im Moment nicht fair sein. Sie wollte einfach jemanden, der sie schätzte und ihr dies sagte. Immer wieder. Sie wollte ihren Vater wiederhaben.

Um halb sechs war sie endlich mit dem Kochen fertig. Ihre Küche – das heißt, es war natürlich Kates Küche, da sie viel größer als die von Joanna war und somit auch besser für eine solche Schlacht geeignet – war tadellos in Ordnung, überall standen Tabletts mit appetitlich angerichteten Speisen, es sah aus wie auf dem Titelbild einer Hochglanz-Kochzeitschrift. Sie hoffte, daß es Kate davon überzeugte, wie wichtig es war, daß sie endlich tauschten. Es war doch lächerlich, daß Kate hier in diesem großen Haus herumwurschtelte, während sich Joanna und die Kinder – und Mike, wenn er zu Hause war – im Gartenhaus zusammenquetschen mußten. Es war in Ordnung gewesen, solange sie es als Wochenendhaus benutzt hatten, doch nun, wo sie beschlossen hatten, auf dem Land zu leben, war es viel zu klein. Das Häuschen war schon während der Woche zu eng, aber wenn Mike freitags nach Hause kam, schien es geradezu zu schrumpfen, so daß die Maitlands ohnehin die meiste Zeit in dem großen Haus verbrachten – und so war es noch lächerlicher, daß sie nicht ständig dort wohnten. Joanna fand es reichlich unverschämt, daß ihr Bruder Nicholas ihr vorgeworfen hatte, sie würde ihre Mutter bedrängen. Nick und Robin konnten machen, was sie wollten; sie füllten ihr Haus mit Gästen, wann immer ihnen danach war, und Kate freute sich jedesmal, wenn sie sie sah.

Joanna blickte auf die Uhr. Sie hoffte, daß Kate rechtzeitig genug nach Hause kommen würde, um Rupert und Tilly von deren Teeparty abzuholen. Ja, wo blieb sie überhaupt so lange? In diesem Augenblick klingelte es an der Vordertür. Nun, es war wohl besser, wenn sie nachschaute, wer das war. Es wäre typisch für ihre Mutter, die Schlüssel zu vergessen und sich selbst auszusperren. Automatisch überprüfte Joanna ihre Frisur im Spiegel, bevor sie zu der Tür ging, die den hinteren Teil des Hauses vom vorderen trennte, und dann die große Diele betrat.

Als sie die Eingangstür öffnete, sah sie Gerald Brownlow vor sich stehen, eine Topfpflanze in der Hand.

»O Gerald, wie nett.« Joanna freute sich wirklich, ihn zu sehen. »Wollten Sie meine Mutter besuchen? Tut mir leid, sie ist nicht da. Sie ist zum Lunch zu den Fanshaws gefahren.«

»Ich weiß. Ich habe sie ja dort getroffen. Netta hatte auch mich eingeladen, und da ich diese Einladung annahm, war ich natürlich auch dort.« Gerald hatte ein besonderes Talent, das Offensichtliche auszusprechen und zu wiederholen, was Kate stets sehr komisch fand.

»Nun, dann kommen Sie doch herein.« Joanna lächelte ihn an. »Möchten sie eine Tasse Tee? Etwas Stärkeres? Oder ist es noch zu früh dafür? Ich hatte Ma schon längst zurückerwartet. Es muß ja ein tolles Essen gewesen sein, wenn Sie bis jetzt dortgeblieben sind.«

»Oh, ich war in der Zwischenzeit schon zu Hause. Es überrascht mich, daß Kate noch nicht hier ist, denn sie ist lange vor mir aufgebrochen. Ich glaube sogar, Netta war ziemlich pikiert, daß Kate die Stimmung zerstörte, weil sie gleich verschwand, nachdem die Tafel aufgehoben worden war. Sie hat behauptet, sie müsse dringend fort, und so nahm ich natürlich an, daß sie bereits hier sei. Die meisten von uns sind noch geblieben, um sich den Garten der Fanshaws anzusehen, der wirklich perfekt ist, wie ich zugeben muß. Ihre Osterglocken sind sensationell, und die Kirschbäume blühen bereits. Ich habe versucht, noch ein Wort mit Kate zu sprechen, aber es gelang mir nicht, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich dachte, ihr würde diese Cinerarie aus meinem Gewächshaus gefallen.« Gerald, der dem Pferdesport ergeben war, betrachtete Joanna als ein verdammt gutaussehendes Fohlen, wenn auch vielleicht ein bißchen überspannt, das vielleicht ein paar Scheuklappen brauchte, um ruhiger zu werden. Für seinen Geschmack war sie zu intelligent, aber sie bot einen angenehmen Anblick, und es gelang ihr stets, das Gefühl zu vermitteln, man sei willkommen. »Ja, bitte, Jo. Für einen guten Drink ist es nie zu früh«, sagte er. »Sie sehen sehr hübsch aus – aber das tun Sie ja immer.«

»Vielen Dank. Dabei habe ich den ganzen Tag wie ein Sklave in der Küche geschuftet.« Joanna freute sich darüber, daß Gerald bleiben wollte. Da er ein alter Freund ihres Vaters war, paßte er genau in die Schublade »für gut und zuverlässig befunden«.

»Nun, ich weiß natürlich, daß heute ein schlimmer Tag für euch ist. Ich meine, wegen des Todestages«, fuhr Gerald fort. »Ich wollte mit Ihrer Mutter nicht vor all den anderen darüber reden, deshalb wollte ich sie anschließend allein erwischen. Dachte, ich könnte sie heute zum Abendessen einladen. Sie ein bißchen aufmuntern. Hab' ihr deshalb die Pflanze mitgebracht.«

Joanna führte ihn ins Wohnzimmer. »Sie sind sehr einfühlsam«, erwiderte sie, ehrlich gerührt. »Machen Sie es sich bequem, Gerald. Ich werde schnell ein wenig Eis holen und im Gartenhaus anrufen, um Jenny zu bitten, daß sie Tilly und Rupert für mich abholt. Eigentlich hatte ich ihr gesagt, sie könne sich heute früher zurückziehen, da ich dachte, Ma würde die Kinder holen, aber ich hoffe, daß es Jenny nichts ausmacht.« Jenny, ein anpassungsfähiges junges Mädchen aus Neuseeland, war die letzte in einer langen Reihe von Au-pair-Mädchen und Babysittern. Sie hatte bereits sechs Monate ausgehalten, was ein absoluter Rekord war. Glücklicherweise verband sich bei ihr die Bereitschaft zu harter Arbeit mit Humor und einer entspannten Haltung dem Leben gegenüber. Die Kinder liebten sie und benahmen sich bei ihr wesentlich besser als bei ihrer stets Disziplin verlangenden Mutter.

»Alles geklärt«, meinte Joanna, als sie mit dem Eis zurückkam. »Jenny ist es sowieso lieber, wenn sie morgen abend frei hat. Sie wird die kleinen Monster auch ins Bett bringen.« Sie schüttete Gerald und sich selbst einen gut bemessenen Gin Tonic ein, und dann setzten sie sich auf Kates bequemes Sofa.

Da sie beide der Meinung waren, daß es schon zu spät sei, um Kate noch zum Essen auszuführen, kamen sie überein, daß Gerald zum Abendessen auf Longthorpe bleiben sollte. Joanna hatte einige Köstlichkeiten von ihrer Kochorgie beiseite gestellt, denn sie hatte vorgehabt, ihre Mutter und ihre Großmutter damit zu beköstigen – und natürlich hatte sie deswegen vorher nicht gefragt. »Wirklich, Gerald«, meinte sie, »es ist soviel da, daß ein Esser mehr keinen Unterschied macht. Ihre Aufgabe ist es einzig und allein, uns alle ein bißchen aufzuheitern.«

»Und Sie glauben wirklich nicht, daß es Kate etwas ausmacht? Sollten wir sie nicht zuerst fragen?« schlug Gerald vor.

»Ach was, nein! Sie wird sich freuen«, behauptete Joanna und dachte dabei, daß ihre Mutter froh sein könnte, daß es jemanden gab, der ihr Blumen brachte und sich Sorgen um sie machte. »Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wo sie abgeblieben ist.«

»Vielleicht hat sie noch schnell jemanden besucht. Oder sie könnte – na ja, Sie wissen schon – mal eben in die Kirche gegangen sein.« Gerald schien das wenig peinlich zu sein. Alles, was mit Tod, Sex oder Religion zu tun hatte, gehörte nicht zu den Themen, die er bei der Konversation bevorzugte.

Joanna, die sich ärgerte, weil sie nicht von selbst auf diese Idee gekommen war, war sich ihrer eigenen zwiespältigen Haltung auf unbehagliche Weise bewußt: Obwohl sie glaubte, daß dies genau das war, was ihre Mutter tun sollte, wollte sie dennoch nicht, daß sie es tat. Warum das so war, konnte sie sich nicht erklären.

Gegen halb sieben begann Joanna unruhig zu werden.

»Glauben Sie, daß sie einen Unfall gehabt haben könnte? Soll ich nicht lieber die Polizei anrufen?«

»Oh, ich denke, wir sollten noch ein Weilchen warten.« Gerald war längst nicht so überzeugt wie Joanna, daß Kate sich tatsächlich freuen würde, wenn sie zurückkam – wo auch immer sie gewesen sein mochte – und feststellte, daß sich Besuch in ihrem Haus breitgemacht und den Abend für sie verplant hatte.

Es war fast halb acht, und sie hatten gerade ihr zweites Glas geleert, als Harriet barfuß ins Wohnzimmer schlenderte, genüßlich einen Käsewindbeutel essend, der eigentlich für den Kochwettbewerb bestimmt war.

»Wo sind deine Schuhe?!« fragte Joanna automatisch. »Und bitte, bedien dich nicht einfach bei den Windbeuteln! Sie sind für morgen gedacht – und ich habe nicht so viele gemacht.«

»Tut mir leid. Wollte sie nur probieren. Hm, lecker«, meinte Harriet. »Hi, Colonel Brownlow. Weiß Gran, daß Sie hier sind?«

»Hallo, Harriet. Nein, deine Großmutter weiß nicht, daß ich hier bin – schließlich ist sie ja nicht hier –, sie ist noch nicht zurückgekommen.«

»Natürlich ist sie hier.« Harriet flegelte sich auf das Sofa und schnippte die Krümel vom Vorderteil ihres neongrünen Tops auf den Teppich, wobei sie ihrer Mutter durch ihre unglaublich dichten Wimpern einen triumphierenden Blick zuwarf. »Sie ist schon eine Ewigkeit hier. Sie ist oben bei Granny-Cis.«

Nach der Tour durch das Haus, auf das sie so unerwartet gestoßen waren, hatten Kate und Acer sich beeilt, zum Auto zurückzukommen. Während der Rückfahrt waren Kate alle möglichen Ideen durch den Kopf geschossen. Sie fühlte sich von neuer Energie erfüllt, als wären ihre Batterien neu aufgeladen worden. Mögliche Lösungen für bis dahin unlösbar erscheinende Probleme taten sich ihr auf. Komisch, wie einfach es war, sich mit Fremden zu unterhalten. Ihr war es wirklich ungemein wichtig, ihre eigene Identität zu finden, genau wie sie es diesem netten Angestellten erzählt hatte – und dabei hatte sie dies noch nie einem anderen gegenüber ausgesprochen. Die Möglichkeit, dieses bezaubernde Haus zu kaufen und dort zu leben, ließ in ihr die Hoffnung erwachen, daß ihr ganz privater Traum doch Wirklichkeit werden könnte. Kate hatte niemandem von dem interessanten Vorschlag erzählt, den man ihr vor kurzem gemacht hatte. Allerdings gab es auch andere, wesentlich unangenehmere Dinge, von denen sie erst vor einiger Zeit erfahren und über die sie bisher nur mit einem einzigen Menschen gesprochen hatte. Sie fragte sich, wie lange sie noch schweigen konnte. Nun, mit Nicholas würde sie darüber reden können, aber bei der Vorstellung, mit Joanna darüber sprechen zu müssen, wurde ihr Blut zu Eis.

Es war sieben, als Kate in die Einfahrt zu Longthorpe House einbog, jenes Haus, das Oliver gekauft und das sie über die Jahre hinweg umgebaut und renoviert hatten, als ihr Kontostand und ihr Lebensstil sich änderten. Ihr Herz sank, als sie bemerkte, daß vor dem vorderen Eingang ein Auto parkte. Verdammt, ich kann jetzt keine Besucher ertragen, dachte sie – und fuhr geradewegs auf den hinteren Hof. Ein Blick in die Küche verriet ihr, daß Joanna hier das Kommando übernommen und einen geschäftigen und ergebnisreichen Tag gehabt hatte. Manchmal fühlte sie sich schon müde, wenn sie nur an die rastlose Energie ihrer Tochter dachte, dann wiederum erfüllte es sie mit Groll, daß Joanna so selbstverständlich dieses Haus und ihre, Kates, Angelegenheiten als ihr Territorium betrachtete.

Die Küche war offensichtlich im Moment kein geeigneter Aufenthaltsraum für Acer, die keine Hemmungen gehabt hätte, die Arbeit eines ganzen Tages innerhalb weniger Minuten zu vernichten. Nachdem Kate die Hündin mit weniger exotischem Essen versorgt hatte, beschloß sie, sie in das alte Spielzimmer einzuschließen, das sie nun für ihre Näharbeiten benutzte – vorausgesetzt, ihre Enkel hatten es nicht mit Beschlag belegt. Im Moment saß Harriet dort und schaute sich »EastEnders« im Fernsehen an. Normalerweise ging sie auf ein Internat in der Nähe von York, doch dies war eins der Wochenenden, an denen sie nach Hause durfte.

»O Liebes, wie schön, dich zu sehen«, sagte Kate, gerührt von Harriets liebevoller Umarmung. »Ich will dich ja in Ruhe weiterschauen lassen – du kannst mich später auf den neuesten Stand der Dinge bringen –, aber könntest du mir vielleicht sagen, wem der Wagen da draußen gehört?«