Die Gespenstersonate - August Strindberg - E-Book

Die Gespenstersonate E-Book

August Strindberg

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Beschreibung

Die Gespenstersonate ist ein Kammerspiel von Johan August Strindberg, das er am 21. Januar 1908 im 'Intima teatern', das er im Jahr davor, zusammen mit dem Schauspieler August Falck, gegründet hatte, uraufführt. Die Uraufführung floppt und das Stück wird erst vier Jahre nach dem Tod des Autors durch die spektakuläre Berliner Inszenierung von Max Reinhardt im Jahr 1916 zum Erfolg.Die Handlung spielt in einem alten Haus, in dem sich eine Essensgesellschaft einfindet, die seit vielen Jahren wie Geister in ihren erfundenen Geschichten gefangen sind, die sie benötigen, um ihre Fassade nach außen aufrecht zu erhalten. Hauptpersonen sind der Hausherr, der vorgibt ein adliger Oberst zu sein, seine Gattin, die schon zu Lebzeiten wie eine wandelnde Mumie herumläuft, ihre Tochter, die in Wirklichkeit die Tochter von Direktor Hummel, dem Alten ist, und einem armen Studenten, der sich in die Tochter verliebt. Im Verlauf des Stückes sterben einige der Figuren. Der Student bleibt am Ende desillusioniert zurück.Strindberg war ein Bewunderer Beethovens und übertrug die Sonatenform der Kammermusik auf das Drama. Er fügte seiner 'literarischen Sonate' sogar eine Opuszahl hinzu. Strindberg: Wir wollten sie so nennen nach Beethovens Gespenstersonate und dem Gespenstertrio, also nicht Spuk-Sonate.' 

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Die Gespenstersonate

August Strindberg

Veröffentlicht: 1908Kategorie(n): Fiction, Drama
Über Strindberg:

Johan August Strindberg (* 22. Januar 1849 in Stockholm; † 14. Mai 1912 ebenda) war ein schwedischer Schriftsteller und Künstler. Er gilt als einer der wichtigsten schwedischen Autoren, besonders seine Dramatik ist weltbekannt. Von den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zu seinem Tod dominierte er das literarische Schweden, war ständig umstritten und oft in persönliche Konflikte verwickelt. Zu seinem umfangreichen literarischen Werk gehören Romane, Novellen und Dramen, die zu den Klassikern schwedischer Literatur zählen. 

Personen

Der Greis, Direktor Hummel

 

Der Student, Arkenholz

 

Das Milchmädchen (Vision)

 

Die Pförtnersfrau

 

Der Pförtner

 

Der Tote, Konsul

 

Die dunkle Dame, die Tochter des Toten und der Pförtnersfrau

 

Der Oberst

 

Die Mumie, die Frau des Obersten

 

Seine Tochter, ist die Tochter des Greises

 

Der Vornehme, Baron Skanskorg genannt, verlobt mit der Tochter der Pförtnersfrau

 

Johansson, Diener bei Hummel

 

Bengtsson, Diener beim Obersten

 

Die Braut, Hummels ehemalige Braut, eine weißhaarige Greisin

 

Die Köchin beim Obersten

 

(Spök-Sonaten)

 

Erdgeschoß und erstes Stockwerk der Vorderseite eines modernen Hauses, aber nur die Ecke des Hauses, die im Erdgeschoß mit einem runden Salon abschließt, im ersten Stockwerk mit einem Balkon und einer Flaggenstange.

Durch das offene Fenster sieht man, wenn der Vorhang aufgeht, die weiße Marmorstatue einer jungen Frau, von Palmen umgeben, hell beleuchtet von Sonnenstrahlen. Im Fenster links sieht man Hyazinthen in Töpfen, blaue, weiße, rosa.

Auf dem Geländer in der Ecke des Balkons, eine Treppe hoch, eine blauseidene Bettdecke und zwei weiße Kissen. Die Fenster links sind mit weißen Bettüchern verhängt. Es ist ein heller Sonntagmorgen.

Im Vordergrund vor dem Hause steht eine grüne Bank. Rechts im Vordergrund ein Springbrunnen, links eine Anschlagsäule. Im Hintergrund links die Haustür, durch die der Treppenaufgang sichtbar ist, die Stufen aus weißem Marmor, das Geländer aus Mahagoni mit Messing; zu beiden Seiten der Haustür, auf dem Bürgersteig, stehen Lorbeerbäume in Kübeln.

Die Ecke mit dem runden Salon liegt an einer Seitenstraße, die in den Hintergrund hineingehend gedacht ist.

Links von der Haustür im Erdgeschoß ein Fenster mit Straßenspiegel.

Wenn der Vorhang aufgeht, ertönt aus der Ferne das Glockengeläute von mehreren Kirchen.

Die Flügeltür zur Vorderseite des Hauses ist geöffnet, eine dunkelgekleidete weibliche Gestalt steht regungslos auf der Treppe.

Die Pförtnersfrau scheuert den Vorplatz, dann putzt sie das Messing an der Haustür, begießt darauf die Lorbeern.

In einem Rollstuhl neben der Anschlagsäule sitzt der Greis und liest die Zeitung. Er hat weißes Haar, einen weißen Bart und trägt eine Brille.

Das Milchmädchen von rechts mit Flaschen in einem Drahtkorb; sie ist sommerlich gekleidet mit braunen Schuhen, schwarzen Strümpfen und weißem Barett; nimmt das Barett ab und hängt es am Springbrunnen auf, trocknet den Schweiß von der Stirn, tut einen Trunk aus der Schöpfkelle, wäscht sich die Hände, ordnet ihr Haar, spiegelt sich im Wasser.

Man hört eine Dampferglocke läuten, und die Bässe der Orgel in einer nahe gelegenen Kirche dringen hin und wieder durch die Stille.

Nachdem ein paar Minuten Schweigen geherrscht und das Mädchen ihre Toilette beendet hat, kommt der Student von links, übernächtig, unrasiert. Er geht geradeswegs auf den Springbrunnen zu.

 

Pause.

 

DER STUDENT. Kann ich die Schöpfkelle bekommen?

DAS MÄDCHEN zieht die Schöpfkelle zu sich heran.

DER STUDENT. Bist du nicht bald fertig?

DAS MÄDCHEN sieht ihn voller Grauen an.

DER GREIS vor sich hin. Mit wem spricht er eigentlich? – Ich sehe niemand! – Ist er verrückt? Betrachtet die beiden fortdauernd mit größtem Erstaunen.

DER STUDENT. Wonach siehst du? Sehe ich so sonderbar aus? – Ja, ich hab über Nacht nicht geschlafen, und du glaubst natürlich, ich bin auf dem Bummel gewesen …

DAS MÄDCHEN wie oben.

DER STUDENT. Hab Punsch getrunken, was? – Rieche ich nach Punsch?

DAS MÄDCHEN wie oben.

DER STUDENT. Ich bin unrasiert, das weiß ich … Gib mir einen Trunk Wasser, Mädchen, denn ich verdiene es! Pause. Nun! da muß ich wohl erzählen, daß ich diese ganze Nacht Verwundete verbunden und bei Kranken gewacht habe; ich war nämlich bei dem Hauseinsturz gestern abend … Jetzt weißt du es!

DAS MÄDCHEN spült die Schöpfkelle und reicht ihm einen Trunk.

DER STUDENT. Danke!

DAS MÄDCHEN regungslos.

DER STUDENT langsam. Willst du mir einen großen Gefallen tun? Pause. Die Sache ist die, daß meine Augen entzündet sind, wie du siehst, aber meine Hände haben Verwundete und Leichen berührt; ich kann daher nicht ohne Gefahr an meine Augen kommen … Willst du nun mein reines Taschentuch nehmen, es in frischem Wasser anfeuchten und meine armen Augen baden? – Willst du das? – Willst du die barmherzige Samariterin sein?

DAS MÄDCHEN zögert, tut aber, wie er begehrt.

DER STUDENT. Danke, mein Kind! Zieht sein Portemonnaie heraus.

DAS MÄDCHEN macht eine abweisende Bewegung.

DER STUDENT. Verzeih mir meine Gedankenlosigkeit, aber ich bin nur halbwach …

DER GREIS zu dem Studenten. Entschuldigen Sie, daß ich Sie anrede, aber ich hörte, daß Sie bei dem Unglücksfall gestern abend zugegen waren … Ich sitze hier gerade und lese in der Zeitung davon …

DER STUDENT. Steht das schon da?

DER GREIS. Ja, alles; und Ihr Bild ist auch da, aber man bedauert, daß man den Namen des tüchtigen Studenten nicht erfuhr …

DER STUDENT guckt in die Zeitung. So? Ja, das bin ich! Na!

DER GREIS. Mit wem sprachen Sie vorhin?

DER STUDENT. Sahen Sie das nicht?

 

Pause.

 

DER GREIS. Ist es unbescheiden – wenn ich bitte – Ihren werten Namen – erfahren zu dürfen?

DER STUDENT. Zu welchem Zweck? Ich bin nicht für die Öffentlichkeit – wird einem Lob zuteil, so ist der Tadel auch gleich da – die Kunst, schlecht zu machen, ist zu einem solchen Grade entwickelt – übrigens, ich begehre keinen Lohn …

DER GREIS. Vielleicht vermögend?

DER STUDENT. Ganz und gar nicht … Im Gegenteil! Ich bin blutarm.

DER GREIS. Hören Sie einmal … es ist mir, als hätte ich die Stimme schon einmal gehört … ich hatte einen Jugendfreund, der nicht Fenster sagen konnte, sondern immer Finster sagte – mir ist nur ein Mensch mit dieser Aussprache vorgekommen, und das war er; der zweite sind Sie – ist es möglich, daß Sie ein Verwandter von Großhändler Arkenholz sind?

DER STUDENT. Er war mein Vater.

DER GREIS. Wunderlich sind die Wege des Schicksals … ich habe Sie als kleines Kind unter sehr schwierigen Verhältnissen gesehen …

DER STUDENT. Freilich, ich bin wohl mitten in einem Bankrott zur Welt gekommen …

DER GREIS. Das stimmt.

DER STUDENT. Dürfte ich um Ihren Namen bitten?

DER GREIS. Ich bin Direktor Hummel.

DER STUDENT. Sind Sie … Da entsinne ich mich …

DER GREIS. Sie haben meinen Namen oft in Ihrer Familie nennen hören?

DER STUDENT. Ja.

DER GREIS. Und vielleicht mit einem gewissen Unwillen nennen hören?

DER STUDENT schweigt.

DER GREIS. Ja, das kann ich mir denken! – Man sagte wohl, ich hätte Ihren Vater ruiniert? – Alle, die sich durch dumme Spekulationen ruinieren, glauben sich von dem ruiniert, den sie nicht haben übervorteilen können. Pause. Es verhält sich indessen so, daß Ihr Vater mich um 17000 Kronen brachte, die damals meine ganzen Ersparnisse ausmachten.

DER STUDENT. Es ist sonderbar, wie Geschichten auf zwei ganz verschiedene Weisen erzählt werden können.

DER GREIS. Sie glauben doch nicht, daß ich die Unwahrheit rede?

DER STUDENT. Was soll ich glauben? Mein Vater log nicht!

DER GREIS. Das ist so wahr! Ein Vater lügt nie … aber ich bin auch Vater … folglich …

DER STUDENT. Wo wollen Sie hinaus?

DER GREIS. Ich errettete Ihren Vater aus dem Elend, und er belohnte mich mit dem ganzen entsetzlichen Haß der Dankesschuld … er lehrte seine Familie, mich zu hassen.

DER STUDENT. Vielleicht trieben Sie ihn zur Undankbarkeit, indem Sie die Hilfe mit unnötigen Demütigungen vergifteten.

DER GREIS. Jegliche Hilfe ist Demütigung, mein Herr!

DER STUDENT. Was verlangen Sie von mir?