Die Hamburg-Köln Connection - Esat Batman - E-Book

Die Hamburg-Köln Connection E-Book

Esat Batman

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Beschreibung

Die »Hamburg-Köln-Connection« war Ende der 90er-Jahre eine erfolgreiche Rapper-Gruppe (Label: »HKC«), die auch heute noch aktiv zusammenarbeitet. Die Mitglieder der HKC haben ihren Ursprung in verschiedenen Ländern. In seiner Biografie erzählt der Autor nicht nur von seinen eigenen Erlebnissen in der HKC-Gruppe, sondern auch die von anderen Mitgliedern in dieser Zeit. Er erzählt sehr plastisch den Umgang in der Gruppe untereinander und in der Szene generell, die nicht nur geprägt von Freundschaften, Emotionen, Erfolgen, Misserfolgen und musikalischen Experimenten, sondern vor allem auch von einer unkonventionellen, von Hass, Gewalt, Drogen und Kriminalität geprägten Lebensweise, in der auch Enttäuschung, Trauer und Tod eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Im Hauptteil seiner authentischen Erzählung behandelt der Autor die für ihn lebensbedrohlichen Folgen eines Explosionsunglück in einem illegalen Drogenlabor, dass nicht nur seine Karriere als Rap-Musiker beendete, sondern an welchen er noch heute zu leiden hat. Dramatisch, schonungslos direkt und äußerst detailliert seine Erzählung aus dem Krankenhaus und später in der Reha-Klinik, bei dem es für ihn um Leben und Tod geht. Letztlich wird auch ein erschreckendes Bild beschrieben, wie die Umwelt auf ihn und seine heute noch sichtbaren Verletzungen reagiert.

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Erzählungs-Reihenfolge

Vorwort

Die Geschichte

Kapitel 1 »Schulzeit ist Knastzeit«

Kapitel 2 »Vom Regen in die Traufe«

Kapitel 3 »Ich kenn da so einen Typen«

Kapitel 4 »Der rappende Doktor«

Kapitel 5 »Der Besuch in Hamburg«

Kapitel 6 »Die Connection«

Kapitel 7 »Geschichten aus dem Untergrund«

Kapitel 8 »Von den Opfern zu den Tätern«

Kapitel 9 »Fuck you, buy us«

Kapitel 10 »Batman aus Nippes«

Kapitel 11 »Schlägereien, Auftritte und Psychosen auf Koks«

Kapitel 12 »Eine Zusammenkunft der Kulturen«

Kapitel 13 »Der Messerstecher vom Kwatär Latäng«

Kapitel 14 »Die JVA Köln«

Kapitel 15 »Die Odysseen der Rapper«

Kapitel 16 »Viel Rap um nichts«

Kapitel 17 »Zurück in der Familie«

Kapitel 18 »Du bist, was du rappst«

Kapitel 19 »Immer Ärger an der Grenze»«

Kapitel 20 »Der verbale Amokläufer«

Kapitel 21 »Batattack«

Kapitel 22 »Gewinn das Publikum und du gewinnst das Battle«

Kapitel 23 »Knarf und sein Quad«

Kapitel 24 »Die Hater-Keeper-Clique«

Kapitel 25 »Zwischen Kampfsport und Rap-Musik«

Kapitel 26 »Das Splash-Festival«

Kapitel 27 »Besuch aus Hamburg«

Kapitel 28 »Im Gedenken an Abu«

Kapitel 29 »Der Aufstieg der deutschen Gangster-Rapper“

Kapitel 30 »Die Crack-Family«

Kapitel 31 »Die Connection bricht ab«

Kapitel 32 »Das Drogenlabor«

Kapitel 33 »Der Unglücksbote«

Kapitel 34 »Verhängnisvolle E-Zigarette«

Kapitel 35 »Das Inferno im Tonstudio«

Kapitel 36 »Die Alptraum-Maschinerie«

Kapitel 37 »Die Qualen meiner Mutter«

Kapitel 38 »Der Rapper, der sich die Hände wegsprengte

«

Kapitel 39 »Eiskalte Krankenschwestern«

Kapitel 40 »Ein schöner Tod«

Kapitel 41 »Nur tote Drogendealer sind gute Drogendealer«

Kapitel 42 »Frankensteins Hände«

Kapitel 43 »Liebe und Opiate auf Entzug«

Kapitel 44 »Die normale Station«

Kapitel 45 »Der russische Patient«

Kapitel 46 »Besuch eines Fremden«

Kapitel 47 »Knastbruder«

Kapitel 48 »Der verbrannte Freak«

Kapitel 49 »Die Reha-Klinik«

Kapitel 50 »Die Wiedergeburt«

Kapitel 51 »Posttraumatische Belastungsstörung«

Kapitel 52 »Das Leben danach«

Kapitel 53 »Wiedersehen mit Dr. Knarf«

Kapitel 54 »Aus Liebe zur Wut«

Kapitel 55 »Das Ende vom Lied«

Vorwort

So lag ich da, schwerverletzt und traumatisiert auf der Intensivstation, in der Ungewissheit darüber, ob ich das Ganze überleben werde oder jemals wieder in der Lage bin ein normales Leben zu führen. Mit der panischen und lähmenden Angst davor, dass ich nach einer der zahlreichen OP's die mir noch bevorstanden aufwache und ich dort, wo meine Hände waren, verstümmelte Armstümpfe zusehen bekomme. Und davor, dass mein Gesicht wie auch mein Körper für immer unerkenntlich entstellt bleiben werden. Erinnerungsfetzen eines schlimmen Infernos schossen mir im Sekundentakt durch den Kopf, während mein langjähriger Kumpel zur selben Zeit im Nebenzimmer lag, der ebenso ums Überleben kämpfte. Ich war gefangen in meinem Körper, meinem Schicksal total ergeben, so dass ich jede Sekunde meines quälenden, schmerzenden Daseins mitbekam. Mir fiel es schwer, meine Gedanken zu ordnen und versuchte das Geschehene bildlich zu rekonstruieren. Ich fragte mich, wie es überhaupt so weit kommen konnte? War das, was gerade passierte, überhaupt real oder doch nur ein ganz schlimmer und absurder Alptraum, aus dem ich krampfhaft versuchte, wieder aufzuwachen. Ich sagte mir aber, falls ich überleben sollte, dass ich diese Geschichte mit allen Teilen möchte. Vielleicht teile ich mich in einem Song mit oder mache gleich ein ganzes Album darüber. Oder vielleicht erzähle ich euch diese Geschichte einfach.

Eine Geschichte, die sich seit dem Ende der neunziger Jahre wie ein roter Faden durch die deutsche Hip-Hop-Landschaft zog und sie nachhaltig geprägt hat. In der es um Familie und Freundschaft geht, und der ewigen Suche nach Zugehörigkeit, seiner Identität, Liebe und Anerkennung. Aber auch um Hass, Drogen, Gewalt, und einer tiefen Trauer, die Bestandteil meines Lebens wurde. Diese Geschichte kann man nicht erzählen, ohne einen ganz bestimmten Menschen und einen langjährigen Freund zu erwähnen, den sie alle unter dem Namen Dr. Knarf kannten. Ebenso kann man sie nicht erzählen, ohne eine ganz besondere Crew zu erwähnen, die ich gefühlt mein ganzes Leben lang begleitete und uns aus Liebe zur Rap-Musik alle vereinte. Das ist nicht meine Geschichte, sondern die einer ganzen Hip-Hop-Generation. Das ist die Geschichte der »Hamburg-Köln-Connection«.

Ich habe mich beim Schreiben dieser Zeilen immer an der Wahrheit gehalten und ich habe weder etwas dazu gedichtet oder irgendwelche Stories erfunden. Noch versuche ich Fehler, die ich oder gewisse Leute aus meinem Umfeld begangen haben, schön zu reden. Aber ist es auch nicht mein Ziel gewesen, Leute anzuprangern oder sie bloßzustellen. Die Erwähnung gewisser Vorfälle erfolgte nach Absprache mit den Beteiligten. Die meisten dieser Berichte basieren auf meinen bruchstückhaften Erinnerungen oder auf Aussagen von Augenzeugen. Ich danke jedem, der sich für mich die Zeit genommen hat, mir ein Interview ermöglichte und mir half dieses Buch zu schreiben. Das erste Kapitel über meine Kindheit dient lediglich zum Einstieg, weil es auch die Umstände, in denen meine Generation aufwuchs, verdeutlicht und einen kritischen Blick auf die Gesellschaft wirft. Ich denke, dass fast jeder meiner Crew-Kameraden unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen aufwuchsen, die sie zudem machten, was sie heute sind. Leider konnte ich nicht jeden von ihnen interviewen, so dass ich bedauere, dass ich über gewisse Vorfälle gar nicht oder nicht ausführlich genug schreiben konnte. Da jeder einzelne von ihnen eigene Schicksalsschläge in Kauf nehmen musste oder mit seinen eigenen Dämonen kämpfte, hat jeder von ihnen auch einiges zu erzählen.

Die Geschichte

Wir waren Menschen unterschiedlichster Herkunft und doch hatten wir einen gemeinsamen Traum. Wir waren das beste Beispiel dafür, dass man an seine Träume glauben, dafür kämpfen, bluten und einstehen muss, um am Ende... zu scheitern.

In hatte immer das Gefühl, das in meinem Körper zwei Personen schlummern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen ist es ein netter schüchterner Junge namens Esat, der niemanden was Böses will oder tut, der gerne lacht, einer der sich bemüht, ein guter Freund und Mensch zu sein und wie jeder andere auch, auf der Suche nach Erfolg und Anerkennung ist. Der liebt und geliebt werden will. Der nicht das nötige Selbstbewusstsein hat. Der, wenn er angegriffen oder verletzt wird, schnell einknickt. Der Konflikte lieber aus dem Wege geht. Der sich tagelang traurig in sein Schneckenhaus zurückzieht. Keiner der kämpfen möchte. Keiner der sich wehrt und den Frust lieber in sich hineinfrisst. Diese Person wurde mir in meiner Kindheit buchstäblich aus mir heraus geprügelt und ich wurde früh daran erinnert, dass mein Leben kein Scheiß-Disney-Musical ist. Die zweite Person wurde im Laufe der Jahre aus meiner Umwelt heraus erschaffen oder eher aus dem Schlaf gerissen. Ein Kämpfer, einer der sich nichts gefallen lässt. Keiner den man verletzen sollte, einer der sich nicht nur zur Wehr setzt, sondern auch zum Angriff übergeht. Einer der wütend war, einer der niemals aufgeben würde, einer für dessen Verhalten sich Esat eher entschuldigt, wenn diese Person sich wieder nicht unter Kontrolle hat. Doch brauchte er diese Person leider auch, um sich zu schützen, um sich zu motivieren weiterzumachen, um nicht nur rumzuheulen, um das Schlechte was auf ihn zusteuerte abzufangen und fernzuhalten, um, wenn es sein musste, zurückzuschießen. So, als würde man einen knallharten, abgebrühten Kerl engagieren, um einen guten, ängstlichen Jungen zu beschützen. Diese zweite Person nenne ich EBAT und es gibt einen großen Unterschied zwischen ESAT und EBAT, denn EBAT ist auch dieser Mann, der ich niemals sein wollte.

Kapitel 1 »Schulzeit ist Knastzeit«

Ich ging in die 5. Klasse der mit Abstand schlimmsten Schule im Kölner Stadtteil Nippes. Eines Tages war ich von meiner damaligen Schule nach Schulschluss auf dem Weg nach Hause. Ich erinnere mich noch, dass es ein sehr kalter Tag war. Meine Gedankenwelt war voller Videospiele, Filme und Actionfiguren. Frisch, nach einem Umzug, aus meiner alten Grundschule in eine neue Schule gekommen, noch ein kleiner Junge eben. Plötzlich stand ein Junge aus einer anderen Schule vor mir, der wahrscheinlich jemanden aus meiner neuen Schule besuchen wollte. Der Typ hieß Aslan. Er fragte mich was. Ich verstand seine Frage nicht. Ich sagte: „Was?“ Plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, schlug er mir mit voller Wucht seine Faust ins Gesicht. Ich war schlagartig wie traumatisiert und starr vor Angst. Ich begriff die ganze Situation nicht und stammelte nur noch Wörter vor mich hin. Noch einmal schlug er mir seine Faust mit voller Härte ins Gesicht, diesmal sogar noch fester als zuvor. Noch nie zuvor hatte mich jemand mit der Faust und mit einer solcher Aggression geschlagen. Ich erinnere mich, dass ich auch in der Grundschule kleine Streitigkeiten mit Mitschülern hatte, die damit endeten, dass wir uns mal am Pullover zerrten oder uns in den Schwitzkasten nahmen, aber das hier war ein ganz neues Level. Ich war an einen Schläger geraten, der wusste, wie er zuschlagen muss. Nie werde ich diesen brennenden Schmerz meiner Haut vergessen, umweht von der kalten Luft, die sowieso schon schmerzte. Nach wiederholten Schlägen ins Gesicht fing ich an zu weinen. Er schwieg für einen Moment, schaute mich an und fragte mich, ob ich Angst habe. Unter Tränen schluchzend sagte ich „ja“ und schon wieder schlug er zu und rammte mir diesmal seine Faust gegen mein Ohr. Es klatschte so laut, dass ich ein Hörsturz bekam. Wegrennen brachte nichts. Aslan war schneller. Sich wehren nützte nichts. Aslan war stärker. Sich schützen brachte nichts. Aslan traf trotzdem. Er prügelte mich von meiner Schule runter zur belebten Neusser Straße, so dass er endlich von mir ab lies als er die vielen Leute sah. Ich fiel, im Gesicht blau angeschwollen, schwitzend erschöpft und weinend in unsere damalige Wohnung. Willkommen in der 5. Klasse.

Die Schulzeit war ziemlich hart und ich würde sie mit einem jahrelangen Aufenthalt im Knast vergleichen. Das Verhalten und die Regeln der Häftlinge bzw. Schüler waren die der im Zuchthaus sehr ähnlich. Hier galt das Recht des Stärkeren. Meine Schule hatte einen überwiegend hohen Anteil an Migranten, vor allem Türken. Der Pausenhof war ein Umschlagsort für Zigaretten, Gras und Waffen, meistens waren es Gaspistolen oder Messer, die die Schüler gerne mal mit sich trugen.

Wenn du hier überleben wolltest, musstest du dir den Respekt der Älteren und Stärkeren erkämpfen oder dir bei den Lehrern Schutz suchen. Die aber waren nicht besonders daran interessiert dir zu helfen. Ich war zu dieser Zeit ein kleiner, dicker Fettklops, der wegen einer Lungenentzündung mit Cortison behandelt wurde. Mein Körper ging nach der Behandlung auf wie ein Hefeteig. Weil ich, neben dem Nachbarjungen Osman, der der jüngste in der Klasse war, zudem auch sehr schüchtern und ziemlich unsportlich war, hatte ich dadurch zusätzlich genug Schwachstellen, die Mobber und Schläger gerne anvisierten. Dadurch wurde ich mit besonderer Vorliebe von anderen gemobbt, verprügelt und gedemütigt. Während sich alle um mich herum krampfhaft wie reife Männer zu benehmen, versuchten und sich für Erwachsenenkram interessierten, wollte ich einfach nur ein Kind sein, dessen Interessen Comics lesen und Videospiele zocken waren. Anstatt das wir langsam zusammen die Dinge des Erwachsenseins für uns entdecken sollten, ging mir der Prozess vom Kind zum Mann zu werden viel zu schnell. Wenn ich mit meinem heutigen Wissensstand in diese Zeit zurückreisen und wieder dieser Junge von damals sein dürfte, würde ich mir schon am ersten Schultag den härtesten und aggressivsten Schüler rauspicken und ihm auf dem Schulhof vor versammelter Menge verprügeln, um für die restlichen Jahre der Schulzeit meine Ruhe zu haben. So wütend macht mich heute noch meine Schulzeit, wenn ich daran zurückdenke. Leute, die die Meinung vertreten, dass Gewalt keine Lösung ist, mussten sich wahrscheinlich nicht eine Horde von pubertierenden Psychoschläger vom Hals halten. Wie willst du solchen Leuten begegnen? Mit Verständnis und Diplomatie? Gewalt ist vielleicht keine Lösung, Gegengewalt aber manchmal schon.

Osman erkämpfte sich ziemlich schnell den Respekt der anderen Schüler und durch sein frühreifes Verhalten und der Tatsache, dass ihm seine Eltern teure Klamotten von Levis oder Diesel kauften, gehörte er schnell zu den coolen Jungs. Er war auch einer der ersten Schüler, die beim Erscheinen der ersten Handys eines besaßen. Und das in einer Zeit, als Handys noch mit überteuerten Verträgen gekauft werden mussten. Ich selbst hatte leider keine teuren Klamotten. Meine Mutter achtete nämlich nicht auf das Aussehen der Kleidung, sondern mehr auf die Funktion und dem Preis, weil ihr als alleinerziehende Mutter auch nur im kleinen Rahmen finanzielle Mitteln dafür zur Verfügung standen. Ich selber verstand auch nichts von Mode und wusste nicht, was an mir cool ausgesehen hätte.

Da sich Osman Familie und die meinige sich aus der Nachbarschaft gut kannten, sich unsere beiden Mütter regelmäßig trafen, um unter anderen einen türkischen Cay miteinander zu trinken, gab mir das den entscheidenden Vorteil mit Osman befreundet zu sein. Ich wich so gut wie nie von Osmans Seite. Denn zum einen hielt er mir die ganzen Schläger vom Leib und zweitens war er meine Eintrittskarte, um mit den anderen coolen Jungs abhängen zu dürfen. Denn alle liebten Osman und mich duldeten sie deshalb. Aber es hielt die Bande nicht davon ab, mich trotzdem zu verarschen und mir hin und wieder eine zu knallen. Dann, wenn sie wieder den Coolen spielten oder weil sie einfach nur verdammte Arschlöcher waren. Einige hassten mich und sahen in mir nur ein überflüssiges Anhängsel. Aber manche von ihnen fingen an mich zu mögen und ich wurde zu so einer Art Prügelmaskottchen der Clique. Leider Gottes musste ich über mich so manchen Spott und manche Erniedrigung ergehen lassen. Zum Beispiel wurde ich dann von meinen Mitschülern nach der Schule in den Müllcontainer geworfen. Oder sie versuchten, mir im Beisein der Mädels die Hose runterzuziehen, was sie aber zum Glück nicht geschafft haben. Ich schlug um mich, befreite mich aus ihren Fängen und lief davon. In der Gang zu sein hieß aber für mich auch, dass ich mich ihnen gegenüber behaupten musste, um mir ihren Respekt zu verdienen und, wenn es darauf ankommt, nicht als Feigling dazu stehen. Egal wieviel Angst ich haben sollte, egal wie stark der Gegner ist.

Wie ich dieses Gefühl hasste. Viele der Schlägereien wurden vorher geplant und terminiert. Entweder auf die große Pause oder nach Schulschluss. „Esat du Bastard, in der Pause wirst du sehen.“

Ich saß nervös und vor Aufregung fast wie gelähmt im Klassenzimmer und schaute auf die Uhr, die über der Tafel hing. Die eigenen Gedanken schrieen so laut und wirr durch meinen Schädel, dass es nicht möglich war, dem Gesagten des Lehrers zu folgen. Ich weiß bis heute bei den meisten dieser Kämpfe noch nicht einmal mehr den Grund des Streites. Aber wahrscheinlich, weil wieder keiner der Parteien bei Beschimpfungen untereinander, nachgeben wollte. So eine Ansage zum Einzelkampf sprach sich in wenigen Minuten in der ganzen Schule rum. Mädchen und Jungs waren gleichermaßen gespannt auf das Spektakel. Hier gab es jeden Tag was zu sehen.

Es klingelte. Die Stunde ist vorbei. Die Schulklingel hämmerte so laut, dass dessen Ankündigung zu meinem Kampf sich wie ein Dolch aus Furcht in mein Herz rammte. Alle Schüler standen auf. Die meisten Blicke auf mich gerichtet.

„Hadi Moruk... fick diesen Bastard!“ stachelten mich die anderen an.

Der Weg durch die Gänge zum Pausenhof war wie der Weg zum Boxring, wo mir die Jungs noch ein paar Tipps gaben, wie ich den Kontrahenten am besten auf die Bretter schicke und andere in das Thema Eingeweihte mich von der Seite anfeuerten.

„Hadi lan... mach den Wichser platt!“

Ich vernahm, in Angst versunken, diese Worte nur aus der Ferne wahr. Der Puls stieg so schnell an, dass ich das Pochen der Hauptschlagader am Halse spürte. Manch einem war die Vorfreude und der Blutdurst auf den Kampf ins Gesicht geschrieben. Sie beobachteten grinsend und mit weit aufgerissenen Augen das Geschehen. Ich habe mich mit verschiedenen Leuten unterschiedlichster Rasse, geprügelt. Deutsche, Araber, Italiener, Inder (die mit religiöser Kopfbedeckung) und ganz besonders oft mit Türken. Diesmal war es wieder ein Deutscher namens Sven. Sven hatte sich die Nacht zuvor einen Kampf von Henry Maske angeschaut und er dachte wahrscheinlich, das hat er auch drauf. Der einzige Grund, wieso wir uns schlagen wollten, war, weil ich behauptet habe, dass Henry Maske ein beschissener Boxer ist. Er wärmte sich auf den Pausenhof auch auf, wie ein richtiger Boxer. Umgeben von Schaulustigen lockerte mit leichten Schlagbewegungen seine Arme und schnaufte dabei. Da hatte er sich wahrscheinlich den einen oder anderen Move von Maske abgeguckt.

Ich stellte mich vor ihn und blickte ihn böse und entschlossen an, ihn jetzt zu schlagen. Ich begann den Kampf, indem ich, trotz der Aufregung, einfach ins kalte Wasser sprang und mit der flachen Hand sein Gesicht mit vollem Einsatz nach hinten drückte. Er sprang ein Schritt nach hinten und schlug mit der Faust zu. Kampf unerfahren, wie ich war, hob ich nur die Hände, um mein Gesicht zu schützen. Ich schaffte es ihn zu packen und ihn in den Schwitzkasten zu nehmen und versuchte vergeblich ihn auf den Boden zu kriegen. Aber Sven lies nicht nach und versuchte sich aus meinem Griff zu befreien. Die anwesenden Zuschauer und „meine Leute“ waren nicht gerade zufrieden von dem, was sie da sahen. Keiner von uns beiden punktete wirklich und dieses Gezerre und Getue wollte keiner sehen. Irgendwann zogen mich die Jungs aus der Gang zurück, weil sie sahen, dass es kein Sinn machte. Murat schritt nun in die Sache ein. Leute wie Murat wussten wie man sich prügelt, und fürchteten sich nicht. Murat drückte Sven`s Kopf runter und rammte ihm sein Knie ins Gesicht. Sven torkelte nach hinten, bis er gegen die Wand des Schulgebäudes knallte, wo

Murat weiter mit Fäusten auf ihn einschlug. Das war das, was die Zuschauer sehen wollten. Der Schulhof jubelte und tobte. Ich war mit einem Mal vergessen, weil das bei mir ja auch nicht anders zu erwarten war, und jeder klopfte Murat gratulierend auf den Rücken.

Im türkischen gibt es ein Sprichwort: „Dayak yiye, yiye ögrenirsin.“

Wenn du Prügel kriegst, lernst du es. Sinngemäß war damit gemeint, dass du durch die Niederlagen, die du einsteckst, lernst siegreich zu werden. Mit der Zeit konnte ich den Ausgang mancher Kämpfe für mich verbuchen, weil ich auch anfing fester zuzuschlagen und immer brutaler und aggressiver vorging. Wenn ich so einen Kampf gewonnen habe, feierten mich die anderen Schüler als wäre ich Rocky, nur mit dem Unterschied, dass Rocky kämpfen wollte und ich nicht.

Ich war wie ein Kampfhahn, der zur Unterhaltung der Schaulustigen zum Kampf angestachelt wurde. Meine Mutter bekam die Umstände an meiner Schule unter anderem dadurch mit, wenn ich wieder vermöbelt nach Hause kam. Jegliche Bemühungen meiner Mutter mich in eine andere bessere Schule versetzen zu lassen, scheiterten. Sie wollte mich noch vor meiner Einschulung in dieser Hauptschule an einer Realschule einschreiben lassen, aber mein Notendurchschnitt reichte dafür nicht aus. Mein ruhiges, schüchternes Verhalten wurde von den Lehrern als Dummheit gedeutet, weil ich mich auch nicht traute, mich im Unterricht zu melden, wenn die Lehrerin oder Lehrer eine Frage an die Klasse stellten. Leider war ich auch viel zu verträumt und flüchtete oft in meinen Gedanken, in eine bessere Welt. Bestehend aus Dingen die mir Spaß machten. Hatte ich doch schon seit jeher immer eine blühende Fantasie und verfasste Kurzgeschichten und Gedichte. Ich traute mich aber nicht, diese Schriften irgendjemanden zu zeigen. Weder meinen Lehrern, geschweige denn meinen dummen Mitschülern, aus Angst sie könnten sich über mich lustig machen. Die Lehrer waren nicht besser als die Schüler und machten es mir nicht gerade leicht, mich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Wir hatten eine übergewichtige, cholerische Alkoholikerin, namens Frau Krüger, als Klassenlehrerin. Sie kam regelmäßig mit einer stinkenden Fahne in die Klasse. Dem Geruch nach eindeutig, hochprozentiger Alkohol, wie Wodka oder Whiskey. Die hatte das nötige dicke Fell, um mit einer Horde von vorlauten Blagen klarzukommen. Sie konnte mit ihrem respekteinflößenden Gebrüll und ihren schlimmen Wutausbrüchen die Schüler schlagartig allesamt zum Schweigen bringen und irgendwie hatte jeder Angst vor ihr. Davon abgesehen, hat sie mich wirklich gehasst und ständig nach einem Grund gesucht, mich nachsitzen zu lassen oder mich vor versammelter Klasse zu demütigen. Die Mitschüler lachten nicht, weil ihre Sprüche so komisch waren, sondern um die Demütigung noch zu verstärken. Eine Horde voller berechenbarer Affen. Das perfekte Publikum für ein Lehrer, der gerne Sprüche klopft. Ich hatte auch Angst davor, mich gegen sie durchzusetzen, vor allem wenn sie vor Wut schäumend, die Augen zu schlitzen geformt, mir ins Gesicht brüllte und es Spuckstücke regnete. Wäre es nicht verboten gewesen Schüler zu schlagen, wie in der Zeit der schwarzen Pädagogik, hätte sie mir mit Vorliebe, und davon bin ich fest überzeugt, eine rein gehauen. Einmal fehlte ihr in einem erneuten Wutanfall sogar die Beherrschung und hatte mir ihren dicken Zeige- und Mittelfinger von oben herab auf die Schulter gerammt. Obwohl es nur ihre zwei Dicken Finger waren schmerzte mir die Schulter, ich ließ mir aber nichts anmerken.

Je älter ich wurde, desto brutaler und skrupelloser waren die Gegner. Ich lief mit einem jüngeren Kumpel von mir, namens Domenico, die Neusser Straße runter, um in die Einkaufspassage zu gehen. Ich müsste damals vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen sein und Domenico etwa zwei Jahre jünger. Ein noch jüngerer, schielender Zigeunerjunge sah uns an ihm vorbeilaufen. Er ging uns hinterher und schlug meinem Kumpel und mir gleichzeitig mit der flachen Hand, auf den Hinterkopf. Wir drehten uns um und sahen ihn überrascht an.

„Was sollte das, du Wichser“, schrie ich ihn an.

Er gab unverständliche Laute von sich und machte ein Gesichtsausdruck als würde er nicht verstehen, was ich sage. Auf einmal stand sein größerer Buddy, der Salih hieß und mindestens dreißig Kilo schwerer war als ich damals, vor mir.

„Ey, pack meinen Freund nicht an“ schrie er.

Aber ich ließ mich nicht von ihm einschüchtern, sondern wurde noch wütender.

„Was, Mann, hast du nicht gesehen was er getan hat? Was willst du?

Willst du Stress?“ brüllte ich mit geballter Faust und mit nach vorn gebeugter Haltung, fest entschlossen mit ihm kämpfen.

Er sah mich erschrocken an und trat einen Schritt zurück.

„Ey, du scheinst echt stark zu sein, ich will nicht mit dir kämpfen“.

Ich war erst einmal total irritiert von seiner Aussage, aber erleichtert darüber, dass mein aggressives Auftreten ihn anscheinend eingeschüchtert hat. Dachte ich jedenfalls.

„Ihr könnt gehen“, sagte er im ruhigen Ton.

Ich weiß nicht, wieso ich so naiv sein konnte und diesem Typen den Rücken zu zudrehen. Ich habe tatsächlich seinem Schauspiel geglaubt sich nicht mit mir schlagen zu wollen. Domenico und ich gingen keine zwei Schritte, als ich eine Last von knapp neunzig Kilo an meinem Körper spürte, die mich nach hinten auf den Boden riss. Am Boden ankommen, drückte Salih mir seine Knie auf meinen Brustkorb und schlug mir so fest er konnte ins Gesicht. Und zwar so oft, bis er mir die Nase brach und dass die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zog, von denen schon einige panisch zu schreien anfingen. Domenico war auch so schockiert, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Er war doch noch ein Kind und mit so einer Situation vorher nie konfrontiert gewesen. Aber es plagt ihn heute noch sein Gewissen, dass er mir damals nicht helfen konnte. Salih war damals schon ein wegen Körperverletzung mehrfach vorbestrafter Psychopath. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Salih`s Fäuste auf mich einschlugen, gingen die Passanten dazwischen und zogen ihn von mir weg. Salih machte sich danach mit seinem kleinen Freund aus dem Staub. Als ich aufstand drehte sich alles um mich rum und die Passanten gingen auf mich zu, ich hörte sie sprechen aber verstand, umnebelt von Schmerz und Angst, nicht was sie sagten. Ich fasste mir ins Gesicht und bemerkte das viele Blut. Mein Gesicht und meine Kleidung waren so stark blutbeschmiert, dass mir beim Anblick ganz schlecht und der Schwindelanfall verstärkt wurde. Meine Nase sollte seit dem Vorfall noch öfter brechen, aber nie war es so schmerzhaft wie beim ersten Mal. Schon wieder diese heißen, schmerzenden Stellen am Körper, die nach harten Faustschlägen wie Feuer brannten und warmes Blut, welches an meinem Körper runter lief, an einem nassen kalten Tag.

Zuhause angekommen erwartete mich auch immer dieselbe Szene, wieder und wieder. Der panische Schrei meiner armen, verzweifelten Mutter, bei dem Anblick ihres blutig geschlagenen Sohnes und ihre Tränen. Schlimmer noch als der körperliche Schmerz, war das Gefühl der Demütigung, der Angst und der Schutzlosigkeit, auf den Straßen und in den Schulen. Ich traute mich aus Angst, wochenlang nicht aus dem Haus, höchstens mit meiner Mutter. Oder mit Osman und seiner Bande.

Nein, ich hatte keine gute Kindheit und um es noch freundlicher auszudrücken: ich hatte eine beschissene Kindheit. Außer, dass meine Mutter immer bemüht war, alles für uns getan zu haben, für meine Schwester und mich. Außer dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht hat, uns glücklich zu machen, ist an meine Kindheit nicht viele gute Erinnerung geblieben. Meine Mitschüler und Lehrer mobbten mich und ich war dauernd im Fokus der Schläger und Psychos. Falls sich jemand fragt, wieso die Selbstmordrate bei jugendlichen dieses Alters so hoch ist, muss man einfach nur ein Blick auf meine Kindheit werfen. Der distanzierte Umgang von den Lehrern zu den Schülern, deren Schicksal und der Verbleib der jungen Leute nach Schulschluss, schien die Lehrer nicht zu interessieren. Der aggressive Umgang der Jugendlichen untereinander und deren von Gewalt geprägtes private Zuhause, wurde übertragen auf die Straßen und in die Schulen und führte zu wilden Angriffen auf Wehrlose und Unbeteiligte. Dazu trugen aber auch die Folgen von gescheiterten Ehen bei. Wie zum Beispiel in unserer Familie, wo die alleinerziehende Mutter alleine zusehen musste, wie sie einen Jungen zu einem guten Mann erzog,

Abgesehen davon hatten wir es aufgrund unserer religiösen Zugehörigkeit in unserem Viertel nie leicht gehabt. Wir sind alevitischen Glaubens, was mir zur damaligen Zeit nicht viel gesagt hat. Nur das es Probleme bringen kann, ein Alevite zu sein. Der Bekanntenkreis meiner Familie bzw. meiner Mutter war im Viertel recht groß, weil hier auch der größte Teil der Bevölkerung eher aus gesitteten, konservativen, muslimischen Familien bestand. Meine Mutter bat uns, niemanden im Viertel zu erwähnen das wir Aleviten seien und wir hielten unsere Religion im Verborgenen. Meine Mutter und mein Vater hatten das damals, als sie noch zusammen und frisch in das Viertel gezogen waren, schon so gehandhabt. Meine Mutter erzählte mir, dass damals einer von meines Vaters Freunden bei uns zum Essen eingeladen war. Während des Essens kam wohl das Thema Religion auf, bis zu einem Punkt, wo der Freund meines Vaters sagte:

„Ich würde an dem Tisch eines Juden oder Christen speisen aber nie am Essenstisch, eines Aleviten.“

Meine Eltern blickten sich an und schwiegen. Auch fürchtete mein Vater, dass er bei seiner damaligen Tätigkeit bei Ford in Köln, von den anderen Türken gemobbt werden könnte. Diesen Satz hatte ich so ähnlich als Kind in einer Moschee namens Ulu Cami, die ich damals mit meinen muslimischen Kumpels besuchte, schon einmal gehört. Der Imam sagte, dass es Gott eher verzeihen würde, wenn man einen Christen oder Juden heiraten würde. Aber wenn man eine Alevitin oder Aleviten heiratet, dann geht man ohne Umwege direkt in die Hölle. Damit war diese Religionsgruppe nach Ansicht dieser Extremisten ganz unten in der Nahrungskette. Keiner im Viertel wusste Bescheid, zumindest ahnten einige was, bis hin zu Leuten, denen man nichts vormachen konnte. Meine Eltern stammen aus Antakya, nahe der syrischen Grenze, was einigen aussagt, dass wir entweder Christen oder Aleviten sind. Ein älterer türkischer Mann, ein Bekannter meines damaligen Kumpels Abdullah, fragte mich recht freundlich, woher meine Eltern denn aus der Türkei stammten. Ich sagte, dass sie aus Antakya Hatay sind. Schlagartig wurde aus dem netten alten Mann ein verbitterter, wütender Streitopa, kurz vor dem Herzinfarkt.

„Du bist Alevite, stimmts? Schmutz seid ihr, sollet ihr erblinden“, brüllte er mich auf türkisch an. Ich wusste nicht was ein Alevite ist und sah ihn nur verblüfft und erschrocken an.

Wenn ich mal nicht mit Sotorious und Domenico in öffentlichen Parkanlagen und Spielplätzen abhingen, Zigaretten rauchten und Scheiße quatschten, war ich viel mit den Leuten meiner Schule unterwegs. Jedoch meistens nur, wenn auch Osman dabei war. Osman verarschte mich aber genauso gerne im Beisein der Jungs und gab ihnen genug Anlass sich schlapp zulachen. Aber immerhin hielt er mir die Schläger vom Hals und somit taten dies auch seine Leute. Wenn es einen Konflikt gab und Osman war in der Nähe, musste ich mir keine Sorgen machen. Er schlug sich öfter für mich oder klärte die Angelegenheit und ging er dazwischen, gingen alle dazwischen.

Diese Art von jugendlichen Gangs, wie in dieser wo ich dazu gehörte, sind von der Hierarchie der Starken meistens sehr ähnlich aufgebaut. Es gibt zwei bis drei Mitglieder, die wirklich gefährlich sind und sich auch ohne Rückendeckung ihrer Kumpels prügeln. Oft begleitet von halbstarken Jungs, die ihren Mut aus eben jenen, schöpfen und sich eher in der Überzahl etwas trauten, was sie aber nicht weniger gefährlich machte. Dann gibt es noch die Mitläufer, wie ich es einer war. Ich war nur dabei, weil ich nicht wirklich wusste, wo ich hingehörte. Es gibt eine bestimmte Art von Mitgliedern, die in diesen Banden mitziehen, die lächerlich und gefährlich zu gleich sind. Leute die ich als Möchtegern oder Möchtegern-Gangster bezeichne. Getrieben von Minderwertigkeitskomplexen sind sie trotz ihrer Feigheit stark bemüht, die anderen Jungs mit Scheiße-Bauen und Schlägereien zu beeindrucken, um Respekt zu bekommen. Ich finde, das sind die allerschlimmsten, weil sie sich auch überwiegend an Leute vergreifen, die schwächer sind als sie selbst, nur um sich zu profilieren. Meine Gang bestand überwiegend aus Türken. Es gab bei Deutschen ein paar Ausnahmen, wenn sie ähnlich drauf waren, wie die Typen, mit denen ich verkehrte. Die Deutschen waren damals für uns eher bekannt dafür, dass sie zu feige waren, sich zu schlagen und zu geizig sind, um ihre Kippen zu teilen.

„Ich kann dir keine Kippe geben, ich muss noch den ganzen Tag mit meiner Packung auskommen.“

hieß es oft, wenn wir bei den Deutschen nach Kippen schnorrten, mit gierigen Blicken auf ihre volle Zigarettenschachtel. Die Deutschen, die mit uns in der Clique waren, hatten, wie wir es genannt haben, was drauf und wurden deswegen auch anerkannt. Unser Bandenführer war ein junger, extrem dürrer Kurde namens Haschim. Haschim war stadtbekannt und gefürchtet. Es war ihm egal mit wem er sich prügelte. Egal wie groß, wie stark, wie alt sein Gegenüber war. Einer der auch nicht davor Halt machte, seine eigenen Leute zu verprügeln. Trotz seiner eher geringen Körpergröße, nur getrieben von einer geballten Kraft an Aggression, konnte dieser Junge Bäume um mähen. Haschim ging nicht bei uns auf die Schule, aber wuchs im selben Viertel auf, in dem vieler meiner Schulkameraden lebten. Er zettelte mit einen Haufen Leuten Streit an, so dass es öfter zu Zwischenfällen kam. Wie zum Beispiel ein Bandenkrieg mit einer benachbarten Schule aus Köln Ehrenfeld. Eines Tages, nach einer Veranstaltung in unserer Schule, verließen wir Schüler mit den Lehrern, das Schulgebäude. Draußen vor dem Haupteingang lauerten Jungs der verfeindeten Schule und hielten nach Haschim Ausschau, der aber nicht anwesend war. Also sollte einer von Haschim nahestehenden Freunden, nämlich der Hüseyino, dafür bezahlen. Die Lehrer bekamen mit, dass etwas nicht stimmte und die Luft dicker wurde und einer der Lehrer zurück ins Gebäude rannte, um die Polizei zu alarmieren. Was mich sehr beeindruckte, dass Hüseyino`s Klassenlehrer sich mutig zwischen ihn und den Jungen stellte, um ihn zu beschützen. Er nahm Hüseyino am Arm und zog ihn zurück ins Schulgebäude. Das gefiel der Wut geladenen Truppe gar nicht, so dass der Kleinste von der Bande auf den Lehrer zuging und sich in seine Tasche packte.

„Wohin, lan? Wohin?“

schrie er den Lehrer an, zog eine Gaspistole und schoss ihm ins Gesicht. Röchelnd und nach Atem ringend ließ der Lehrer von Hüseyino ab, auf den ebenfalls geschossen wurde. Die Gaswolke erreichte auch mich und die anderen Schüler. Meine Nase und mein Mund brannten, wie Feuer und ich hatte das Gefühl, als würden mir die Adern in der Nase platzen. Die verfeindete Gang nutzte das Chaos im Getümmel, um Hüseyino mit Fäusten und Schlagstöcken zu attackieren und schlugen auf ihn ein. Die Jungs, die noch halbwegs sehen und atmen konnten, versuchten Hüseyino so gut es geht zu helfen, die Gegner abzuwehren. Irgendwann ließ das Rudel von ihm ab und verschwanden schnell im Getümmel. Hüseyino war am Kopf verletzt und blutete stark.

Nach dieser Attacke wurden in den nächsten Tagen hitzig diskutiert und Leute für den Gegenangriff mobilisiert, so dass einige der Schüler bewaffnet mit Messern, Elektroschockern und Schlagutensilien zum Unterricht kamen. Die Schulranzen voller Waffen. Es gab eine Krisensitzung im Jugendhaus, an der vielleicht dreißig, meiner Jungs teilnahmen und es wurde beratschlagt, was jetzt als Nächstes geschehen sollte. Die Jungs diskutierten lautstark hin und her, während Haschim gelassen und ruhig auf dem Stuhl saß und nur zuhörte. Ich saß am anderen Ende des Raumes und folgte dem Geschehen ebenso stillschweigend. Auf einmal ergriff Haschim das Wort und die Anderen verstummten schlagartig.

„Okäääääääy, was sagt Esat dazu?“,

rief er mir vom anderen Ende des Raumes zu und schaute mich grinsend an. Alle wendeten ihre Köpfe zu mir und starrten mich verblüfft an. Ich schluckte. Wieso fragte er gerade mich der innerhalb dieser Clique doch nichts zu sagen hatte. Das dachten sich wahrscheinlich auch alle anderen im Raum. Ich zuckte leicht mit den Schultern und antwortete fast schon fragend

„Ähhhh, lasst uns... lasst uns sie weg ficken?“

Die Jungs nickten mit dem Kopf. Obwohl Haschim es wohl am wenigsten nötig hatte mir in irgendeiner Weise Beachtung zu schenken, involvierte er mich gerne mit ein. Anscheinend um mir das Gefühl zu geben, ich wäre ein vollwertiges Mitglied wie jeder andere. Außerdem war er der Einzige, der mich auch ohne Osman auf seine täglichen Streifzüge durch die Stadt auf der Suche nach Knete für sein Haschisch mitnahm. (Ja, Haschim rauchte Haschisch). Ich behandelte ihn mit einer gewissen Ehrfurcht, war doch mit ihm Stress vorprogrammiert. Es kam zu einem Aufmarsch in die Kölner Innenstädte, um die Jungs der verfeindeten Schule aufzuspüren, der sicherlich auch ohne meine Antwort auf Haschim`s Frage hätte, stattgefunden. Die Lage eskalierte, mit anschließendem Polizeieinsatz, so dass einige aus meiner Bande, verhaftet wurden. Ich möchte dazu nicht allzu sehr ins Detail gehen. Ich habe über diese Zeit viele dieser Geschichten miterlebt und könnte allein mit den Ereignissen aus meiner Kindheit ein ganzes Buch füllen. Doch geht es in diesem Buch um ein anderes, wichtigeres Kapitel aus meinem Leben, dessen Geschichte ich euch erzählen möchte. Die Geschehnisse aus meiner Kindheit sollen nur verdeutlichen, wie ich der wurde, der ich bin, woher ich komme, um zu verstehen, wohin ich gegangen bin.

Kapitel 2 »Vom Regen in die Traufe«

Die Zeit in der Hauptschule war endlich vorbei, was aber für mich nicht hieß, dass es anschließend besser wurde. Ganz im Gegenteil. Da ich sehr interessiert an Technik und Informatik war, schrieb ich mich an einer Technischen Hochschule in Köln-Deutz ein. Diese Schule war noch schlimmer als meine Hauptschule davor. Ich kam wieder in eine Klasse mit halbstarken Vollidioten, die diesmal verstreut in den unterschiedlichsten Vierteln Köln`s wohnten. Leute aus Kalk, Mülheim, Ostheim oder Chorweiler, waren vertreten und es wurde ständig verbal ausgefochten, wer aus dem härteren Viertel kommt. Ich war der Einzige, der aus Nippes kam. Es gab einen Unterschied zu meiner alten Schule, und zwar den, dass auf der gesamten Schule nicht eine einzige Frau vertreten war, weder Schülerin noch Lehrerin. Eine Schule nur mit Männern verstärkte den Eindruck einer Haftanstalt noch. Die männlichen Schüler drehten durch, wenn sie eine Frau sahen, die an der Schule vorbei ging. Sie pfiffen, jaulten und gaben brüllende Laute von sich, wie Affen im Gehege zur Fütterungszeit. Durch meine zurückhaltende und schüchterne Art bot ich erneut den Schülern genug Angriffsfläche, um mich zur Zielscheibe für Spott und Häme zu machen. Meine Unfähigkeit stach besonders in meiner Leistung bei sportlichen Aktivitäten ins Auge, vor allem beim Fußball. Diesmal stand ich nicht mehr im Schutz meiner Leute, wie Osman oder Haschim. Sobald ich die Schule betrat, war ich hinter Feindeslinien. Einige der Schüler kannten zwar den Namen Haschim, aber niemand wollte so wirklich glauben, dass einer wie Haschim etwas mit mir zu tun hatte. Zwei befreundete Schüler, ein Grieche und ein Türke, hatten es besonders auf mich abgesehen. Sie spuckten während des Unterrichtes auf der Schulbank, hinter mir sitzend, auf meine Jacke oder bewarfen mich mit Papierkugeln und Gegenständen. Es brachte nichts, die Jungs mit Worten aufzufordern, damit aufzuhören. Die anderen Schüler lachten sich schlapp. Doch einige der Schüler begriffen nicht, wieso ich mir das gefallen ließ, und gaben mir den Rat, ich solle mich doch mal durchsetzen. Wieder wurde mir klar, dass ich die Sache anders klären muss, ich hatte zu lange gezögert. Ich ging zur Technischen Hochschule, diesmal mit dem Gedanken, mich mit einem der Mobber zu schlagen.

Länger konnte ich das auch nicht mehr ertragen. Einige der Typen, die mich zu dieser Entscheidung bewegten, wussten davon und beobachteten mich. Irgendwann nach ein paar Unterrichtsstunden, zur späten Mittagszeit, versammelte meine Klasse sich im Vorraum, der zur Klasse führte und

warteten auf den Lehrer. Ich rauchte nervös meine Zigarette. Der Grieche musterte mich mit seinen Augen ab und fing wieder an, über mich Witze zu reißen. Ich trug Stiefel, an denen vorne Alukappen klebten, die damals so in Mode waren, über die sich der Grieche lustig machte und mich den behinderten Terminator nannte. Die Schüler lachten und grinsten. Doch einer schaute zu mir und flüsterte

„Mach jetzt was!“

Ich guckte nickend auf den Boden, ließ meine Zigarette fallen, stand auf und stellte mich vor den Griechen.

„Was willst du Penner eigentlich?“ schrie ich ihn an.

Er stand mit einem Ruck auf und stand stramm wie ein Soldat vor mir, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich die Klappe aufreiße.

„Was willst du machen, häh, was, komm schon!“ erwiderte er.

Die anderen Schüler versuchten mich weg zu ziehen und mich zu beruhigen, aber ich wollte mich nicht davon abbringen lassen, ihn zu schlagen. Ich holte mit voller Wucht aus, während meine Faust auf sein Gesicht zusteuerte, verfehlte ich, durch das Zurückziehen der Schüler, sein Gesicht. Zuerst schaute der Grieche ganz verwundert und fing lautstark zu lachen an

„Sollte das etwa ein Schlag gewesen sein.....?“

Ich wurde so wütend, dass ich mit all meiner Kraft meinen rechten Arm frei machte, die anderen Schüler mit nach vorne riss und schlug noch mal ganz fest in das lachende, spöttische Gesicht des Griechen. Volltreffer! Er geriet einen Moment ins Wanken und blickte noch verwunderter als zuvor. Er versuchte zu mir durchzudringen aber die Masse an Schülern blockierte seinen Weg.

„Lasst den Hurensohn los, er hat mich geschlagen!“ brüllte er durch den ganzen Raum. Er war mächtig angepisst. Die anderen Schüler sprachen auf mich ein, ich solle aufhören.

„Ich will nur mit ihm reden, lasst mich bitte nur mit ihm reden, versprochen!“ flehte ich die anderen an. Irgendwann gaben sie nach.

„Aber nur reden, okay?“

„Okay, alles klar.“

Die Schüler machten den Weg frei und ich ging wieder auf den Griechen zu. Er packte meine beiden Hände und drückte sie nach unten, um mich kampfunfähig zu machen.

„Bist du schwul oder was, lass mal meine Hände los!“ sagte ich.

Er ließ los.

„Was willst du, häh, komm doch.“ forderte er mich erneut heraus.

Das war eine Taktik, die ich mir von Haschim abgeguckt habe, nämlich den Gegner in Sicherheit zu wägen, indem man vorgibt, nicht kämpfen zu wollen. Ohne jede Vorwarnung rammte ich ihm meinen Kopf ins Gesicht und traf ihm am Auge. Und wieder stürzten sich die ganzen Schüler auf mich und zogen mich zurück. Der Grieche war von der Kopfnuss benommen. Sein Auge war geschwollen und lief blau an. Er fluchte und schrie um sich.

„Du Hurensohn... du hast mir eine Kopfnuss verpasst.“

Keiner hatte damit gerechnet, dass der Junge, der sich nicht wehren konnte, so aggressiv und gnadenlos zuschlug. Meine Klasse versuchte ihn und mich erneut zu beruhigen, während er mir drohte, dass ich noch was erleben werde und dies ein Nachspiel haben wird. Was er aber nie in die Tat umsetzte. Nachdem wir uns alle beruhigt hatten, staunten die anderen Schüler über das, was passiert ist. Sie hätten solch eine Aktion nie von einem erwartet, der sich bis dato alles gefallen ließ. Trotz des blauen Auges blieb der Grieche bis zum Ende des Unterrichts, aber kam eine Woche nicht mehr zur Schule. Schlimmer als sein blaues Auge war für ihn wahrscheinlich sein gekränkter Stolz. Ab diesem Zeitpunkt ließen mich die anderen Schüler bis zu dem Rest der zweijährigen Schulzeit in Ruhe. Bei mir war der Punkt erreicht, wo ich es nicht mehr hingenommen habe, für andere eine Witzfigur zu sein. Ich prügelte mich nur, weil ich ihren Beleidigungen und Drohungen überdrüssig war, und dieser Antrieb überwand jede Angst.

Kapitel 3 »Ich kenn da so einen Typen«

Rap-Musik war im Mainstream endgültig angekommen und Rapper aus den Staaten, wie Snoop Dog, Tupac oder B.I.G waren schon damals große Legenden. Viele die ich zu der Zeit kannte, wollten wie ihre Vorbilder echte Gangster sein, Goldketten tragen, Bitches knallen und dicke Autos fahren. Damals hätte ich nie geglaubt, dass ich irgendwann selber Rapper werde, denn als Rapper musste man cool und hart sein. Doch die Rap-Musik sollte mich ein Leben lang begleiteten. In dieser Zeit änderte sich auch unser Verhalten. Osman und ich verbrachten viel Zeit auf den Kölner Ringen und waren wieder mit zig Leuten unterwegs. Wir hatten nur zu einigen aus der Schulzeit noch Kontakt, aber der Freundes- und Bekanntenkreis wurde seitdem deutlich größer. Überwiegend aus dem arabischen und persischen Raum. Auch der Umgang unter uns, war ein ganz andere bzw. reifer. In der Schulzeit war ein respektloser Umgang noch gang und gäbe, zum Beispiel durch gegenseitiges beleidigen von Müttern und Familien, was jetzt zum Glück nicht mehr der Fall war. Zu dieser Zeit hatte ich verschiedene Jobs, denen ich nachging. Weil ich Schwierigkeiten hatte, irgendwo eine Ausbildung zu bekommen und meine Mutter keine Arbeitslosigkeit duldete. Ich arbeitete unter anderem als Nachtwächter in diversen Kölner Museen und musste meistens die Schicht von 19.00 Uhr abends bis 07:00 Uhr morgens übernehmen, was mir natürlich das nächtliche Ausgehen mit den Jungs erschwerte.

Domenico ging nach wie vor aufs Gymnasium. Er erzählte mir immer lustige Geschichten über das komische Verhalten seiner Lehrer und Mitschüler. Irgendwann erwähnte er einen Rapper Namens Amok. Er erzählte mir von seinem Talent zu Rappen und zu Freestyle und von seiner Crew die „Hamburg- Köln-Connection“, kurz „HKC“. Domenico und ich liebten beide Rapmusik aus den Staaten aber gegen Deutschrap hatten wir eine große Abneigung. Damals wurde Deutschrap noch von eingefleischten Hip-Hop-Fans gehört oder gemacht und war nicht im Entferntesten das, was die Leute heute unter deutschem Hip-Hop verstehen.

Die vier Elemente des Hip-Hops, nämlich Graffiti, Rap, Djing und Breakdance, waren feste Bestandteile der Bewegung und eng miteinander verbunden. Die Songtexte waren eher sozialkritisch oder politisch geprägt. Oder die Texte waren meist mit viel Wortwitz und Komik geschrieben und dienten als Fun-Rap, nur zur Unterhaltung. Gangster-Rap gab es in Deutschland kaum, höchstens nur in Ansätzen. Deswegen lag uns persönlich gar nichts an Deutschrap, den wir abwertend als Studentenrap bezeichneten. Mit den Texten, die sie schrieben, konnten und wollten wir uns nicht identifizieren. Wir wollten lieber die harten realen Jungs aus den Staaten hören, die das worüber sie rappten, auch wirklich gelebt haben. Die Authentizität und die Glaubwürdigkeit eines Rappers, wenn er Gangster Rap macht, war besonders und ist heute noch wichtig. Gangster-Rap aus Deutschland war nicht glaubwürdig und wurde von der Masse gar nicht ernst genommen, geschweige denn von Musik Labels gepusht.

„Glaub mir, Amok ist anders, der rappt richtig harte Sachen, du musst ihn mal kennen lernen.“

sagte Domenico und versuchte mich zu überzeugen. Ich war skeptisch darüber, dass mich seine Art zu rappen überzeugen könnte, sagte aber, dass Domenico ihn mal mitbringen soll, was er kurze Zeit später auch tat. Domenico und ich gingen Richtung Spielplatz, nähe dem Tälchen in Nippes. Dort saß Amok auf der Bank, mit langen Haaren, die schon so lockig waren, dass es einer Afro-Frisur glich und wartete auf uns. Wir lernten uns kennen und er machte auf mich einen ziemlich selbstbewussten Eindruck. Er war von sich und seiner Crew sehr überzeugt. Er erzählte mir von Dr. Knarf und den anderen Mitgliedern, die überwiegend aus Hamburg waren, deren Namen ich jedoch nie gehört hatte. Im Laufe des Gespräches gab Amok eine Kostprobe seines Könnens und fing an zu Freestylen. Wie Domenico schon erwähnt hatte, war sein Rapstil sehr hart und aggressiv, was mir sehr gefiel und imponierte.

Irgendwann trafen wir uns alle wieder. Amok hatte eine Kassette dabei, mit Aufnahmen seiner Kumpels von HKC. Stolz spielte er mir die Stücke vor und ich war mehr als beeindruckt. Ich hatte bis dato nie aus Deutschland so etwas Ähnliches gehört. Unzählige Rapper waren auf den Songs vertreten, die unterschiedlicher nicht sein konnten, mit krassen Texten und Sprüchen. Es war kein Gangster- sondern Battle-Rap, wo es darum ging, andere Rapper lyrisch zu zerstören, zu diffamieren oder andersrum, mit einem technisch besseren Rap-Stil den Gegner zu übertrumpfen. Diese HKC-Jungs hatten der ganzen deutschen Rap-Landschaft den Krieg erklärt, was man aus den Texten eindeutig raushörte. Sie bemühten sich auch nicht politisch korrekt zu sein und sprachen Sätze aus, die manch einer als zu heftig oder geschmacklos oder unter der Gürtellinie empfinden könnte. Wie zum Beispiel, wenn sie sich in ihren Texten mit Terrororganisationen verglichen, die in dieser Zeit für sehr viel Schrecken in der Weltbevölkerung sorgten. Aber so musste Rap für mich klingen, so schonungslos und hart, wie das Leben manchmal eben ist. Nach meiner Meinung sollte bei jeglicher Art der Kunst der Künstler sich frei äußern oder auch Provokation als Stilmittel verwenden dürfen. Kunst sollte sich nicht an bestehende Regeln halten. Ebenso erinnerten sie mich an Superhelden aus einem Comicbuch, wo jeder seinen eigenen Künstlernamen und seine eigene verbale Spezialfähigkeit besaß. Aufgrund des unterschiedlichen Rap-Stils, des Inhaltes und der Rap-Technik. Ich war sprachlos und endgültig mit dieser Musik angefixt. Ich bat Amok um eine Kopie, was er mir aber verweigerte. Er und wohl einige Mitglieder waren damals der Meinung, dass diese Songs Schmuckstücke seien, die man hüten sollte, damit es nicht Rappern in die Hände fällt, die diesen Stil kopieren könnten. Aber die Musik zu verbreiten wäre strategisch klüger gewesen, um den Bekanntheitsgrad der Gruppe zu erhöhen. Mir ging dieses Ding mit dem Rappen nicht mehr aus dem Kopf und ich fragte mich, ob ich das wohl auch könnte.

Kapitel 4 »Der rappende Doktor«

Ich blieb weiter mit Amok in Kontakt. Irgendwann lernte ich durch Amok einen Rapper und Sänger namens Taufik kennen, der mich wiederum mit dem talentiertesten Rapper von HKC, wenn nicht einer der besten Rapper Deutschlands bekannt machte, nämlich mit Dr. Knarf, der auch irgendwo der Leader der Gruppe war. Knarf, der mit bürgerlichem Namen Niko hieß, brillierte mit raffinierten, frechen, wortwitzigen Texten und rappte die Silben teilweise in so einer hohen Geschwindigkeit, dass sich so gut wie keiner mit ihm messen konnte. Er stach durch seinen Flow und seiner lyrischen wie auch technischen Begabung aus der Masse heraus. Er war musikalisch ein Perfektionist, zum Beispiel wenn es darum ging, dass jedes Wort, trotz der schnellen und flippigen Weise zu rappen, deutlich ausgesprochen wurde und für den Hörer gut verständlich klang. Das ist eine Art zu rappen, die sich Double-Time nennt, wenn du in einer Zeile bis zu 24 Silben rappst. Eine Kunst die allein heute nur wenige Rapper beherrschen, weil sie die Texte undeutlich rappen oder aufgrund der hohen Geschwindigkeit beim Rappen vieler der Worte verschlucken. Ebenso war er ein begnadeter Freestyler, so gut, dass man ihn in einem Rap-Battle nicht als Gegner haben wollte, weil er Rapper auf der Bühne lyrisch bloßstellte und deren verbale Angriffe geschickt konterte. Er war mit Leib und Seele das, was man einen waschechten Rapper nannte, was aber auf fast alle der HKC- Mitglieder zutraf. Damit machte sich die Truppe in der Untergrund-Rap-Szene Deutschlands einen Namen und wurden von den Rap-Kontrahenten bei Battle`s gefürchtet. Knarf wurde das musikalische Verständnis schon durch seine Mutter in die Wiege gelegt, die selber Geige spielte und dadurch Knarf alias Niko und seine Schwester sich in jungen Jahren mit Noten und Instrumenten auseinandersetzten. So lernten sie Gitarre wie auch Piano zu spielen. Seine Mutter war Rektorin an einem Gymnasium und sein Vater war Arzt wegen dessen sich Niko auch den Doktor Titel vor seinen Nicknamen setzte, nämlich Dr. Knarf.

Das waren die Jungs aus Köln, die auch unabhängig von den Hamburgern Musik machten. Knarf hatte einen guten Dealer, um Marihuana zu kaufen. Wir alle gaben ihm Geld, damit er uns davon etwas mitbrachte. Das Finden eines guten Grass-Dealers war damals für uns nicht so einfach. Knarf schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr los, während wir auf ihn an der Mauritius Kirche auf den Kölner Ringen warteten. Beim Warten lernte ich auch ein Freund von Taufik, den Nimar, kennen der sich als Rapper Halunke nannte. Taufik sang und rappte überwiegend auf arabisch, was in der Kombination mit dem orientalischen Gesangsstil auf Hip-Hop-Beats sehr außergewöhnlich und harmonisch klang. Nimar à la Halunke, rappte und achtete besonders darauf, in seinen Texten eine sinnvolle Botschaft zu vermitteln und war weniger ein Battle Rapper. Er konnte abgesehen davon sehr gut Beat Boxen, was immer bei Freestyle Session sehr praktisch war, wenn er die Raps der Mitglieder mit einem verbalen Beat untermalte. Knarf kam nach einer Stunde mit vollen Grass Tütchen in der Jacke zurück. Damals, als ich ihn kennen lernte, war Knarf bzw. Niko mir gegenüber eher zurückhaltend, was sich aber im Laufe der Jahre veränderte.