Die Heuschrecke bin ich - Arne Augustin - E-Book

Die Heuschrecke bin ich E-Book

Arne Augustin

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Beschreibung

Kostja liebt Nina Und auch seine Heuschreckenzucht Und auch das Schreiben Und auch den Kurzfilm den er dreht Noch Nina liebt er mehr als alles Sie fliegen zusammen Nur Kostja höher Und was fliegt stürzt manchmal ab Oder zergeht im Wind.

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Roman, angestoßen von

Anton Tschechows „Die Möwe"

Es wiederholt sich alles immer wieder.

Trotzdem haben wir mehr in der Hand als wir denken.

Trotzdem kann man als individuelle Person Muster durchbrechen.

Als Gesellschaft übrigens auch.

Ich habe Hoffnung.

Inhaltswarnung: Liebe Lesende, dieses Buch enthält Darstellung von Selbstverletzung wie das Beschreiben einer Vergewaltigung. Diese findet im Rahmen einer Filmscene statt, die die beiden Hauptfiguren proben und durchspielen.

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Vielleicht schräg?

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Zweiter Teil: Vielleicht verletzt?

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Dritter Teil: Definitiv verletzt!

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Erster Teil

Vielleicht schräg?

1. Kapitel

Bevor ich vor Wut oder Traurigkeit den ganzen Hof zusammenschreien will, werde ich es dir einfach erzählen. Ich bin Kostja. Ich schreibe, spiele, entwickle. Es ist alles zu viel.

Ich lebe in der Uckermark. Neben Biobauernhöfen, Seen, halbwegs intakter Natur und Berlin. Zwischen all dem liegt unser Hof. Es ist kein gewöhnlicher Bauernhof. Es sind keine Bauern, die hier leben.

Außer vielleicht einer, Timon.

Er will Permakultur machen. Noch arbeitet er remote bei einem Online-Shop für Schuhe.

Die anderen arbeiten auch remote. Sie machen Content Creation, Sozial Media Management, und was es da noch so gibt.

Im Homeoffice oder im Scheunenoffice. Wir haben eine Scheune umgebaut in einen Arbeitsbereich.

Von außen sieht sie aus wie eine alte Scheune, drinnen erwartet dich aber eine geniale Mischung aus bunten Sitzsäcken, mit Stroh gefüllt und gespannten Netzen hoch oben, in die man sich reinlegen kann.

Podeste, auf denen man im Schneidersitz sitzen und den Laptop auf dem Schoss haben kann. An guten Tagen wird dieser Bereich auch wirklich genutzt.

An schlechten Tagen steht die Scheune leer. Die meisten Tage sind schlecht. Dann geistern alle im Hof umher, sitzen in der Küche oder im Essbereich und meckern, wie scheiße alles ist. Alle reden davon, dass die Stadt ja doch besser ist. Und dass sie wieder nach Berlin wollen.

Nach Beeeerliiin. In Berlin, da ist doch das Leben! Nach Berlin. Bitte, dann geh doch auch.

Einer dieser Leute ist Boris, Gründer von Insekto Chocolato. Gemahlene Heuschrecken mit Schokolade in einen sehr kompakten Riegel gepresst. Auf die Idee habe ich ihn gebracht.

Ich hatte eines Tages angefangen, Insekten zu essen. Wegen, du weißt schon Klimabilanz. Er hat gesehen, wie ich in der Küche meine Heuschrecken gepult habe, um einen Salat zu machen. Prompt ging der gelangweilte Typ in den Wald und kam mit diversen Insekten in einem Tupperglas zurück. Das war der Beginn seiner Forschung.

Er vergaß das Glas aber erstmal, weil Nina durch die Tür kam.

Am nächsten Tag stand das Glas immer noch auf dem Tisch.

Ein Glas tote Insekten. Nun, nichtsdestotrotz entstand eine Firma. Gern geschehen, du Arsch! Aber, ich bin Co-Founder, also auch ein bisschen Danke.

Wir haben vor zweieinhalb Monaten angefangen, unsere eigenen Heuschrecken zu züchten. Boris will ein Siegel für regional auf der bunten Verpackung unseres Riegels haben. Bisher haben wir sie outgesourced und hier im Hof verarbeitet.

Was ich lustig finde, ist, dass Boris bisher nicht verstanden hat, dass die Schokolade nicht regional ist und niemals sein wird. Er telefoniert aber trotzdem fast jeden Tag mit irgendwelchen Leuten, um das Siegel zu bekommen. Ich freue mich auf sein dummes Gesicht, wenn es klick macht.

So wachsen in der alten Brennerei im Keller unseres Bauernhauses hunderte Heuschrecken heran. In gestapelten Glaskästen mit kleinen Löchern drin. Die Temperatur beträgt konstant 25 Grad. Das mögen die Kleinen.

Dadurch, dass ich Co-Founder bin, kann ich Sorin endlich Miete zahlen.

Sorin ist mein Cousin. Er hat mütterlicherseits, nicht mit mir verwandt, diesen Hof geerbt und ihn als Rückzugsort für gestresste Städter umgewandelt. Sorin grenzt sich gerne ab.

Es wundert mich nicht, dass wir verwandt sind.

Er hat ein eigenes Tiny House. Hinten auf dem Feld, das zum Hof gehört.

Das Feld will er mit Timon zur Permakultur neu erwecken.

Weg von Monokultur. Diverse Pflanzen, die in Symbiose miteinander stehen und gedeihen.

Die Nichtstu Landwirtschaft wie Timon gerne sagt. Weil sich eben alles gegenseitig ergänzt. Ziemlich genial. Wenn sie auch mal anfangen würden. Bisher verteilt Ditmar, ein Bauer von nebenan, dort alle paar Wochen seine Gülle.

Dann gibt es da noch Eckhart Dorn. Arzt. Wir nennen ihn nur Dorn. Er gibt uns oft Baldriantropfen.

Er hat mir mal unter vier Augen gesagt, dass er das nur tut, weil wir alle chronisch gestresst sind und alle Leiden, die wir haben, psychischer Natur sind. Wir haben als Kinder zu viel Werbung geguckt und haben deswegen komische Ansprüche an uns selbst. Die Baldriantropfen beruhigen. Das ist alles, was wir brauchen, meint er.

Ihn mag ich von allen am meisten. Früher war er Chirurg. Irgendwann hat er sein Leben umgekrempelt und wollte ganzheitlicher denken. Das muss man sich mal vorstellen. Vom Chirurg zur Kräuterhexe. Er versteht sich gut mit Timon, der sehr an Botanik interessiert ist. Sie gehen oft spazieren und kommen mit Körben voll Kräutern zurück. Daraus machen sie Entspannungstee.

2. Kapitel

Ich hatte Nina bereits erwähnt. Ach Nina. Nina lebt im Hof nebenan. Sie arbeitet nicht remote. Sie erholt sich gerade von ihrem Schauspielstudium. Dafür zog sie zurück auf den Hof ihrer Mutter. Sie kann reiten. Wenn sie uns besuchen kommt, dann kommt sie manchmal angeritten. Angaloppiert. Eins mit dem Pferd. Sie meint, sie muss nur ans Anhalten denken. Ihr Körper folgt dem Gedanken und das spürt das Pferd und bleibt stehen. Die reinste Symbiose.

Nina spielt die Hauptrolle in meinem Stück. Ich führe gerne Regie. Das Stück ist ein einziger Monolog. Eine Person, ein Raum, ein Kostüm, eine Frisur. Minimalismus. Ein leerer Raum und ein denkender Mensch.

Mehr braucht es nicht.

Ich habe die Scheune in ein Theater umgewandelt. Ein kleines, intimes Theater. Neben den bunt verteilten Sitzen, wie Sessel und Säcke, darf man natürlich auch in den Netzen liegen und von da auszugucken. Oder hören. Neue Formen. Im Theater liegen. Das öffnet einen neuen Blick und ein völlig neues Empfinden.

3. Kapitel

Heute ist es so weit. Premiere meines Stückes. Ich bin unruhig. Ich habe gerade aus dem Fenster geguckt. Es dämmert schon. Ich fühle mich wie an Weihnachten. Also als Kind, damals als Konsum ein ganz normales Ding war. Mein Handy klingelt. Ich sollte nicht drangehen.

Na toll. Es war meine Mutter. »Was tut ihr? Heuschrecken? Junge. Denk doch end-lich an dei-ne Zukunft.« Sie sagte es mit ihrer leidenden Stimme, die ich genauso seit meiner Kindheit kenne und hasse.

Wo ist Dorn? Ich brauche Baldriantropfen. Und wo ist Nina? Ich hätte sie schon längst angaloppieren sehen müssen. Wenn der Mond aufgegangen ist, muss es losgehen. Die dünne Sichel des Mondes soll durchs Fenster oben in der Scheune sichtbar sein!

4. Kapitel

Es hat alles geklappt. Ich sitze auf dem Podest. Es ist das einzige Requisit im Bühnenbereich. Eine richtige Bühne gibt es nicht. Nicht nötig. Nähe zum Publikum. Ich habe das Licht ausgemacht. Es ist dunkel und still. Nina steht hinter der Scheune und macht sich warm. P-T-K-P-T-K macht sie. Eine Zwerchfellübung.

Ich höre sie und das Zirpen der Grillen und das Gelächter und Gerede der anderen. Sie warten draußen auf den Einlass. Es hat alles geklappt. Ich freue mich riesig. Alle sind da. Auch ein paar Bekannte aus Berlin. Und Dorn. Ich mag ihn so. Ich mache jetzt den Einlass. Die Stimmung ist gut. Das kann Theater: Leute zusammenbringen. Ich öffne jetzt die Tür und dann lege ich mich in das Netz, weit oben und beobachte.

5. Kapitel

Banausen, haben während des Stückes geredet.

Ich hab es abgebrochen. Es hat so geil angefangen. Sie stand mit dem Rücken zum Publikum. Sie hat geatmet. Ruhig und natürlich.

Dann sank sie in die Tiefe und hielt dort die erste Figur mit ihrem Körper. Klein, zusammengekauert, verängstigt. Den Rücken immer noch zum Publikum. Aber krumm

Dann wurde sie größer. Wie ein Schlauchboot, das sich langsam beim Aufpumpen entfaltet. Sie drehte sich um. Plötzlich war sie riesig und prunkvoll. Leichte Überschätzung im Ausdruck. Von klein zu groß und Übermut. Als ob sie gleich platzen würde. Dann löste sie das auf. Wurde wieder klein. Drückte die Luft raus. Fing an zu laufen. Wie ein zerdrücktes Insekt, eckig und unkoordiniert. Das löste sie diesmal langsam und fließend auf. Wurde rundlich. Lief Kreise. Lief aufrecht. Nun in Balance aus klein und groß und fand schließlich in modernes Ballett. Von da aus ging sie über zu klassischem Ballett. Eine Mischung aus frei und wieder in Form gepresst. Eine Mischung aus groß und klein. Eine Mischung aus eckig und rundlich.

Du kannst klein und vulnerabel sein und trotzdem stark. Das ist die Message. Oder viel besser wegen deiner erlaubten Zärtlichkeit und Vulnerabilität, die Akzeptanz dessen, das befähigt dich erst wirklich, stark zu sein.

Ich verstehe mein eigenes Stück erst jetzt.

Von Anfang an haben sie getuschelt. Es nicht ernst genommen. Ihre Scham vor Gefühlen und Reaktion hinter Witzen versteckt.

Noch nicht mal eine Chance gegeben! »Wir haben's halt nicht verstanden«, hat Timon gesagt. Kunst muss man doch nicht verstehen. Das haben die sicher in der Schule falsch verstanden. Was dachte sich der Autor? Solch dumme Frage! Deswegen geben sie dem Ganzen wohl von Anfang an keine Chance, weil sie sich am Ende dumm vorkommen würden. Weil sie's nicht verstehen. Einfach stillsitzen und es auf sich wirken lassen. Mehr ist es nicht. Die Wirkung von Nina. Die Wirkung von Menschen. Wir haben Wirkung aufeinander. Versteht ihr das nicht? Da kann man eben Kunst draus machen! Menschen mit toter Intuition. Ganz, ganz toll!

6. Kapitel

Ich habe mich wieder beruhigt. Ich war mit Dorn schwimmen. Der See ist immer noch schön kalt. Wir sind mit dem Ruderboot raus. Ich war still und habe mich auf das Rudern konzentriert. Er saß auf der Bank vor mir und legte seine Hand hin und wieder ins Wasser. Er zögerte nicht lange, neigte seinen Kopf in meine Richtung. »Ich fand das Stück übrigens toll.«

Ich schaute ihn an, sagte nichts dazu. Er fuhr fort. »Ich hätte gerne mehr gesehen. Und Nina, sie ist so lebhaft.«

Ich nickte.

»Nimm dir die anderen nicht so zu Herzen«, fügte er hinzu.

»Wenn jemand auf der Bühne steht, dann ist man still. Oder man kommt einfach nicht ins Theater«, entgegnete ich.

Ich ruderte feste weiter. Das Medium ist falsch hier auf dem Lande. Biss sich in meinem Kopf fest. Es ging daneben, egal!

Das nächste kommt.

Ich legte die Ruder ab, stand auf, zog das T-Shirt aus und sprang ins Wasser.

Beim Auftauchen sah ich das Boot wackeln und von mir wegschwappen.

»Mensch, Kostja«, drehte sich der Alte um. Er stand halb in den Knien und fuchtelte mit seinem Arm. Schnell suchte er wieder Halt am Rande des Bootes. Ich lachte und tauchte ab. Schwamm tief runter. Ließ meine Schultern toben. Tiefer, tiefer, ja, bis die Ohren weh taten.

Oben dunkel. Unten dunkel.

Ich richtete mich auf. Ließ meine Gliedmaßen los. Als ob ich gleich einschlafen würde. Ganz bisschen Luft ließ ich durch den Mund. Kleine Bläschen kitzelten an meiner Nase und tanzten davon. Still. Fühlte mich wie im Bauche meiner Mutter. Hier unten ist alles so schön wirr. Oder klar. Eine Frage der Perspektive.

Ich hatte noch Luft, beschloss aber wieder aufzutauchen. Als ich näher zur Oberfläche kam, hörte ich ein dumpfes fffrusssccchhh und sah sprudelndes Wasser, Wirbel und lauter Blasen. Der Alte hatte tatsächlich eine Arschbombe gemacht. »Da bist du ja«, sagte er erleichtert. Ich atmete ein.

»Oh, entschuldige war das so lange? Ich habe wohl die Zeit vergessen. Verzeih, wirklich!« Er kniff die Augen zu und schaute mich mit gerunzelter Stirn an. »Ja, ja, schon gut.« Er holte aus und schwamm zurück zum Boot. Er schien beleidigt. Das wollte ich nicht. Ich sollte mich entschuldigen.

7. Kapitel

Oh, schau mal, wer ausgebüxt ist. Es sitzt eine Heuschrecke auf meinem Schreibtisch. Wie niedlich. Plock bum, Glas drüber. Gott, bist du schön.