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Das Ehepaar Faust macht wieder einmal für eine Woche Urlaub auf der Insel Föhr. Aber aus der ungestörten Urlaubsruhe wird der Kriminalbeamte aus Braunschweig jäh gerissen, als ausgerechnet am Himmelsfahrtstag ein Mord geschieht. Und dann kommt eine Geschichte in Gang, die ihn und seine Ehefrau Marie kaum zur erhofften Urlaubs-ruhe kommen lässt. Und für ihn ergibt sich bald die Frage: Wer schürt diese Geschichte um eine angebliche Hexe auf Föhr?
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Seitenzahl: 111
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Thomas Ostwald
Die Hexe von Föhr
Das alte Haus in der Marsch
Thomas Ostwald
Die Hexe von Föhr
Kriminalroman
Edition Corsar D. und Th. Ostwald
Braunschweig
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Umschlag:© 2024 Copyright by Thomas Ostwald
Verantwortlich für den Inhalt:Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
www.tatort-braunschweig.de
Mittwoch, 8. Mai
„Föhr ist erreicht!“, sagte Kriminalrat Dr Thomas Faust lächelnd und nahm seine Frau Maria in den Arm. „Endlich Urlaub!“ Beide standen an der Steuerbordseite der Schleswig-Holstein und beobachteten, wie die Fähre sich dem Anleger näherte.
„Ich freue mich, aber jetzt sollten wir zu unserem Auto gehen, Thomas.“
„Natürlich.“
Als die beiden sich in die Menge einreihten, die vom Sonnendeck hinunter zum Fahrzeugdeck gingen, fielen ihnen zwei junge Männer auf, die laut lachten und sich etwas auf Fering, dem Föhrer Platt, zuriefen.
„Na, die sehen ja aus, als hätten sie schon den Vatertag vorgezogen!“, bemerkte Maria und schüttelte den Kopf. „Wenn die beiden noch mit dem Auto über die Insel fahren, wird es abenteuerlich!“ Thomas Faust antwortete nicht, musterte die beiden mit kritischem Blick und beobachtete dann, wie die beiden in einen gelben SUV mit NF-Kennzeichen stiegen. Kein Zweifel, das waren wohl Einheimische, vermutlich ein langes Wochenende mit dem Himmelfahrts-Donnerstag auf der Insel verbringen wollten. Ihr SUV stand fünf Fahrzeuge hinter ihnen. Thomas Faust konnte sein berufliches Interesse unterdrücken, und konzentrierte sich jetzt lieber darauf, gleich auf die Insel zu rollen.
Kaum hatte die Fähre festgemacht, starteten die ersten Motoren, und gleich darauf rollte ein Fahrzeug nach dem anderen an Land. Das Ehepaar Faust war frühzeitig in Dagebüll eingetroffen und rollte nun aus der zweiten Reihe auf der schmalen Straße am Stahltor vorüber, mit dem Wyk sich bei Sturmflut abschotten konnte. Hier machte die Straße einen Bogen und führte am Industriegebiet auf eine Fußgängerampel zu. Im Hafenbereich war die Geschwindigkeit auf 30 Kilometer begrenzt, aber als Faust vielleicht noch zwanzig Meter von der Ampel entfernt war, schaltete sie um. In diesem Augenblick hupte jemand, und gleich darauf schoss der auffällige, gelbe SUV an ihnen vorbei und auf die inzwischen rote Ampel zu.
„Was wird das denn!“, rief Faust verärgert aus. „Ist der denn…“
In diesem Augenblick wollte eine ältere Frau mit einem Rollator die Fahrbahn überqueren. Der SUV brauste heran, der Fahrer wich im letzten Moment aus, touchierte aber noch den Rollator leicht und brauste davon. Die alte Frau taumelte und stürzte auf die Straße.
Da war Faust schon heran, bremste am Straßenrand und sprang aus dem Wagen, um der Frau zu helfen. Auch von der anderen Seite eilten Passanten herbei.
„Schon gut, nichts passiert!“, murmelte die alte Frau, als Faust ihr unter die Arme griff und ihr damit beim Aufstehen half. Dann folgten Worte, die Thomas Faust nicht verstand. Die alte Frau stieß sie hastig in einer unverständlichen Sprache aus. „æin per i bak biti…“
Er nahm an, dass sie auf Fering schimpfte und erkundigte sich: „Nichts passiert? Aber Ihre Knie, die Hände…“
Faust vernahm nur ein nochmaliges, unverständliches Murmeln, dann richtete sich die Frau auf, und er schob ihr den Rollator zu.
„Warten Sie bitte!“, rief ihr einer der Passanten zu, der von der anderen Straßenseite gekommen war. Inzwischen rollte der Verkehr langsam wieder an, wobei das abgestellte Auto des Ehepaares Faust ein Hindernis war. „Ich bin Arzt und möchte Sie gern noch kurz untersuchen. Man sollte nach einem solchen Sturz…“
„Lassen Sie mich in Ruhe!“, kam es unwirsch von der alten Frau. Sie nickte Faust kurz zu und drückte den Knopf, um die Ampel umzuschalten.
„Aber, gute Frau, damit ist nicht zu spaßen, wenn Sie…“
„Danke!“, gab sie barsch zurück, starrte auf die Fußgängerampel und setzte sich in Bewegung, als sie auf Grün umsprang.
Maria Faust, die neben ihrem Mann stand, machte eine Bewegung, als wollte sie die Frau noch zurückhalten, unterließ es dann aber, zuckte die Schultern und ging zurück zu ihrem Auto.
„Lassen Sie sich doch helfen, Frau Knutzen!“, rief der Arzt noch einmal, ohne auch nur eine Reaktion bei der alten Frau zu erreichen. „Ich komme gegen Abend noch einmal bei Ihnen vorbei, um nach dem Rechten zu sein!“
Verwundert sah auch Faust der gebeugten Gestalt nach. Sie wirkte wie das Urbild einer friesischen Bäuerin oder Ehefrau eines alten Seemannes auf den Kriminalisten. Die grauen Haare im Nacken zu einem festen Knoten zusammengebunden, das faltige Gesicht von der Sonne gebräunt, die Kleidung schlicht, aber tadellos. Sie trug bei diesem herrlichen Mai-Wetter keine Strümpfe, aber Halbstiefel, und war nun erstaunlich schnell auf der anderen Straßenseite, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen.
„Tja“, sagte Thomas Faust zu dem Arzt, der mit Stirnrunzeln ihr nachsah. „Da kann man wohl nichts machen. Sie kennen die Frau und wissen, wo sie wohnt?“ - „So ist es, und ob sie es will oder nicht, ich werde bei ihr heute Abend noch vorbeifahren.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen. Falls es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich über einen Anruf von Ihnen freuen. Mein Name ist Thomas Faust, mit meiner Frau Maria verbringen wir wieder ein paar Tage auf der Insel. Meine Handynummer steht auf der Karte.“
Mit diesen Worten hatte Faust ein kleines Metall-etui aus der Tasche gezogen und dem Arzt seine Karte überreicht.
„Sehr nett von Ihnen, das mache ich gern. Danke, dass Sie der alten Knutzen geholfen haben! Eine Karte habe ich leider nicht bei mir, ich bin Dr. Andreas Schubert und hier in Wyk niedergelassen, meine Telefonnummer kann ich Ihnen nur ansagen.“
Dr Thomas Faust nahm sein Handy und tippte ein, was ihm der Arzt sagte. Dabei brummte er:
„Meine Hilfe war selbstverständlich. Mich ärgert nur, dass diese Burschen einfach weitergefahren sind. Sie sind mir schon auf der Fähre aufgefallen und wahrscheinlich hätten sie beide gar nicht mehr fahren dürfen.“
„Sie meinen den gelben SUV? Das kann ich mir eigentlich nicht denken, Herr Faust. So viele dieser Fahrzeuge haben wir ja nicht auf der Insel, und ich könnte mir vorstellen, dass man den Besitzer leicht finden könnte. Aber es ist ja zum Glück nichts Ernstes geschehen.“
„Na, Sie sind gut, Herr Doktor! Die alte Frau hätte mit dem Kopf aufschlagen können oder auch unter das Auto geraten – ich glaube, solche rücksichtslosen Fahrer sollten aus dem Verkehr gezogen werden!“ - „Da stimme ich Ihnen zu. So, jetzt muss ich weiter, ich habe noch in Wyk zu tun. Ich rufe Sie heute Abend an!“
„Danke!“
Damit trennte man sich, auch die wenigen Neugierigen zerstreuten sich, Thomas Faust startete den Motor, reihte sich in den Verkehr wieder ein und fuhr schweigend in einer neuen Blechkolonne vom Hafen in Richtung Wrixum. Auf dem Hardesweg passierten sie die Wrixumer Windmühle. Das brachte beide auf andere Gedanken.
Unwillkürlich seufzte Maria Faust beim Anblick der Mühle, und ihr Mann sagte nur leise: „Weißt du noch? ‚Pommesmühle‘ haben sie unsere Kinder genannt, damals, als hier noch ein Restaurant betrieben wurde!“
„Ja, das ist ja nun auch schon gut und gern seine fünfundzwanzig Jahre her!“, ergänzte Maria. „Hat sich eine Menge seitdem verändert. Der Mühlenverein muss wohl ziemlich viel Geld aufbringen, um sie instand zu halten!“
Beide schwiegen während ihrer Weiterfahrt, bis Thomas Faust den Wagen direkt vor ihrem Ferienquartier anhielt. Der Kies knirschte unter den Reifen, und als sie beide schwungvoll aus dem Wagen stiegen, öffnete sich die Haustür und ihr alter Wirt trat ihnen lächelnd entgegen.
„Moin!“, rief ihnen der alte Herr zu. „Hartelk welkimen üüb Feer!“
„Moin, Herr Riewerts! Schön, wieder hier zu sein!“, erwiderte Faust und staunte, dass der alte Korth Riewerts ihnen sogar die harte, schwielige Hand reichte. Er war früher mit einem Krabbenkutter unterwegs, ein Geschäft, dass sich schon lange nicht mehr lohnte. Mit knapp Mitte Fünfzig hatte Riewerts seinen Kutter verkauft und das Geld in das große, reetgedeckte Haus gesteckt, das er zu komfortablen, sehr gemütlichen Ferienwohnungen ausbaute. Hier war das Ehepaar Faust vor ein paar Jahren zum ersten Mal gelandet, nachdem es ihr altes Ferienquartier in Nieblum nicht mehr gab.
„Hier ist Ihr Schlüssel, und Abendbrot gibt es ab 18.00 Uhr.“ - „Sehr schön, dazu möchten wir uns dann auch gern anmelden, nicht wahr, Mary?“ Faust benutzte die Koseform für seine Frau, für Maria ein Zeichen, dass er wirklich urlaubsreif war. In Gegenwart von Fremden sprach er sie stets mit ihrem Taufnamen an.
„Mit großer Freude! Macht Ihre Tochter heute wohl ein Fischgericht?“, erkundigte sie sich.
„Ein Fischgericht ist immer auf der Karte!“, erwiderte der alte Riewerts, rückte seine Mütze zurecht und griff seinen Stock, der an der Bank lehnte. Hier saß er oft schon in den frühen Morgenstunden, einen Becher Kaffee neben sich, und hielt einen kleinen Snack mit seinen Nachbarn aus dem Dorf, die diese Runde seit Jahren liebten. Kamen die beiden Gäste aus ihrer Ferienwohnung, um gegenüber im Lokal ihr Essen einzunehmen, grüßten die drei Herren immer mit einem fröhlichen „Moin“. Ansonsten unterhielten sie sich auf Ferring, der Föhrer Mundart, die heute noch von gut dreitausend Menschen auf der Insel gesprochen wurde – aber kaum von einem Binnenländer verstanden wurde.
„Herzlich willkommen!“, begrüßte sie Svantje Petersen, die Tochter von Riewerts, die zusammen mit ihrem Mann den Gasthof betrieb. „Schön, dass Sie uns wieder besuchen! Aatj hat schon Bescheid gesagt, Ihr Tisch ist wieder dort drüben in der Ecke – ist das recht so?“
„Wunderbar, wir fühlen uns sofort wieder heimisch!“, erklärte Maria Faust, und als sie am Tresen vorbei gingen, begrüßten sie auch Ole Petersen, der gerade Biere zapfte, und Thomas Faust bestellte gleich zwei für ihren Tisch.
Als dann ihre große Scholle serviert wurde, strahlten beide glücklich und machten sich über das leckere Gericht, zu dem Bratkartoffeln mit Speck und ein frischer Salat gehörten, heißhungrig her.
Als sich Svantje mit einem freundlichen Lächeln erkundigte, ob alles in Ordnung war, antwortete Maria Faust: „Oh ja, Svantje, das war, wie immer, ein Genuss! Schon jetzt denke ich daran, was ich alles zuhause wieder tun muss, um das gute Essen von den Rippen zu bekommen!“
„Da passt zum Abschluss unbedingt noch ein Friesengeist!“, ergänzte Thomas Faust, und Svantje räumte die Teller ab, gab ihrem Mann die Bestellung, und als die beiden Gläser mit dem brennenden Kornbrand von Svantje serviert wurden, sagte sie dazu den traditionellen Spruch auf, den sich das Ehepaar schmunzelnd anhörte:
Wie Irrlicht im Moor
Flackert’s empor
Lösch aus – trink aus
Genieße leise
Auf echte Friesenweise
Den Friesen zur Ehr
Vom Friesengeist mehr!
Der Spruch war auch auf den kleinen Kupferdeckeln abgedruckt, die jetzt neben die brennenden Gläser gelegt wurden und zum Löschen der blauen Flamme diente. Die beiden löschten mit dem Deckel und leerten die Gläser in einem Zug. „Nochmals herzlich willkommen!“, sagte Svantje dazu. „Das geht auf’s Haus für liebe Gäste!“
„Herzlichen Dank, das ist sehr nett!“
In diesem Augenblick wurde die Tür zum Lokal aufgerissen, und drei junge Männer kamen an den Tresen.
„Mach uns mal rasch drei Biere fertig, Ole!“, sagte einer von ihnen, ein blonder Mittdreißiger, der freundlich grinsend auf einen der Barhocker stieg.
„Sollst du haben, Edo, aber nur diese Runde, wir schließen gleich!“, erwiderte Ole und stellte wenig später die Biere vor die drei Gäste, die sich ziemlich lautstark unterhielten, was die Gäste an den Nebentischen mit verwunderten Blicken quittierten, die aber von den drei Männern nicht wahrgenommen wurden.
„Ich möchte wetten, dass der Dunkelhaarige in der Mitte einer der beiden Burschen in dem SUV war,“ raunte Thomas Faust seiner Frau zu. Die drehte sich spontan zum Tresen um, musterte kurz die drei, die ihre Biere rasch ausgetrunken hatten, und nickte dann.
„Du hast recht, Thomas. Aber bitte, sprich sie nicht darauf an, ja? Ich möchte keinen Ärger, schon gar nicht hier in unserem Lieblingsrestaurant.“
„Schon gut, die drei gehen ja auch schon wieder. Aber kein Zweifel, einer von ihnen ist in den SUV gestiegen. Ich denke, Ole wird sie kennen, ich frage einfach mal danach.“ Er sah ihnen noch nach, als sie die Eingangstür wieder ins Schloss fallen ließen, und gab dann Svenja ein Zeichen, dass sie bezahlen wollten.
„Schon satt und zufrieden?“, erkundigte sich die Wirtin, als sie mit der Rechnung und einem Kartengerät herüberkam. „Karte ist doch richtig, oder?“
„Ja, gern!“, erwiderte Faust. „Sagen Sie, Svenja, die drei jungen Männer von eben kennen Sie doch bestimmt, oder? Ich hörte, wie Ole einen von ihnen Edo nannte.“ Svenja lächelte, während sie darauf wartete, dass das Kartengerät den Quittungsstreifen ausdruckte. „Ach, die drei Jungs, ja, natürlich, Edo wohnt im Dorf, die beiden anderen im Nachbardorf. Der Blonde ist Edo Christiansen, der kleinere Melf Hansen und der rothaarige Tamme Wagens. Alle drei sind von der Insel, arbeiten aber auf dem Festland und kommen immer zu Himmelfahrt nach Hause, um mit den anderen zu feiern. Alle drei sind angeblich Hualewjonken, nennen sich auch gern so.“
„Was sind Hualewjonken genau?“, erkundigte sich Thomas verwundert.
Svenja lachte fröhlich.
„Das Wort heißt übersetzt ‚Halbdunkel‘ und meint die Seeleute, die meistens in den Monaten September und Oktober vom Walfang zurückkamen. Man traf sich damals gern zwischen dem Abendbrot und Mitternacht. Dieser Brauch wird heute noch von einigen jungen Männern gepflegt.“
„Davon hatte ich noch nie zuvor gehört, obwohl wir doch schon so viele Jahre nach Föhr kommen!“, erwiderte Thomas Faust. „Junge Männer also, und gibt es besondere Rituale, die von ihnen gepflegt werden?“
Svenja lachte erneut auf.
„Ja, Bedingung ist, dass die Jungs konfirmiert und unter dreißig Jahre alt sind.“
„Aha, und diese drei sind alle unter Dreißig? Ich hätte sie älter geschätzt.“