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Dem Marquis von Scraye wird ein diamantbesetztes Kreuz aus der Zarenzeit gestohlen. Er trifft sich mit dem Schriftsteller Nicholson Packe, dem er von seinem Verdacht erzählt, einer seiner Gäste hätte ihn bestohlen. Es gab ähnliche Diebstähle in den letzten Jahren auf den englischen und schottischen Landsitzen, ohne das Scotland Yard eingeschaltet wurde. Packe bittet seinen Freund Jimmie Trickett, sich der Sache anzunehmen. Eine spannende Spurensuche beginnt, die von London schnell nach Paris führt, von einer ausgestopften Gans zu einem geheimnisvollen Haus. Ein vertauschtes Paket, eine Geiselnahme, ein brennendes Gebäude, ein Mord. Wer ist der Kopf hinter der Diebesbande? Entdecken Sie den Kriminalschriftsteller J. S. Fletcher. Er steht in einer Reihe mit Sir Arthur Conan Doyle und Edgar Wallace.
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Seitenzahl: 257
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Inhaltsverzeichnis
Titelseite
DAS KREUZ DES ZAREN
GEHEIMNISSE
ANKUNFT IN BRYCHESTER
GEHEIMNISVOLLE DIEBSTÄHLE
VERFOLGT
DER HUTLADEN
KRIEGSRAT
FAHRT NACH PARIS
DIE MARTINSGANS
MONSIEUR CHARLES
DER GEPÄCKTRÄGER
DER ANRUF
DAS HAUS IN DER RUE DE LA PAIX
NEUIGKEITEN AUS LONDON
DIE ANNONCE IN DER TIMES
MORD?
DAS VERTAUSCHTE PAKET
DAS POSTREGISTER
MR. CURTIS AUS NEW YORK
EIN STÜCKCHEN BRIEFPAPIER
DIE HANDSCHRIFT
DIE BOTSCHAFT
DAS HAUS IN ST. JOHN'S WOOD
EIN BRIEF AUS PARIS
WARNUNG
KATASTROPHE
KEIN ERFOLG
EINE AUFREGENDE NACHRICHT
JIMMIES VORBEREITUNGEN
DER JOCKEY
ANGENEHMER LANDAUFENTHALT
DR. FROBENIUS
FURCHT
DR. FROBENIUS' ERKLÄRUNG
DIE TELEGRAFENARBEITER
NACHRICHT VON KENTOVER
Über den Autor
Impressum
Hinweise und Rechtliches
E-Books im Reese Verlag:
J. S. Fletcher
Die Kavalier-GmbH
Als der Marquis von Scraye an einem Oktobermorgen die Augen aufschlug, schaute er in das Gesicht seines Kammerdieners, der ihm wie gewöhnlich um sieben Uhr eine Tasse Tee und ein paar Keks brachte. Aber heute sah der Mann aus, als ob er etwas auf dem Herzen hätte.
„Was ist los, Beevers?“
Der Diener räusperte sich und sah nach der Tür hinüber.
„Mr. Viner möchte Mylord sobald als möglich sprechen. Er wartet draußen.“
Der Marquis erhob sich langsam und schlüpfte in seinen Morgenrock, den ihm der Kammerdiener bereitwillig hinhielt.
„Es scheint also in der Nacht etwas Unangenehmes passiert zu sein?“
„Ich kann es nicht sagen. Ich habe von nichts gehört. Aber ...“
„Nun?“
„Mr. Viner sieht verstört aus.“ Beevers zog die Vorhänge zurück und wandte sich wieder zur Tür. „Soll ich ihn hereinlassen, Mylord?“
Der Marquis schlüpfte in seine Pantoffeln, nahm einen Keks und nickte. Dann ging er zum Fenster, um nach dem Wetter zu sehen, drehte sich aber sofort um, als der Hausmeister eintrat.
Viner war ein großer, starker Mann von mittleren Jahren mit ernsten, fast feierlichen Zügen, der jetzt aber einen ängstlichen, verwirrten Eindruck machte.
Beevers entfernte sich, aber der Hausmeister sah noch nach, ob die Türe wirklich geschlossen war.
„Nun, Viner, was gibt es?“ fragte der Marquis, nachdem er etwas Tee getrunken hatte. „Hat es im Schloß gebrannt, oder sind wir von Einbrechern beehrt worden?“
Der Hausmeister trat dicht an ihn heran und schüttelte den Kopf.
„Mylord“, sagte er dann mit aufgeregter, zitternder Stimme, „haben Sie in der vorigen Nacht aus dem Zimmer der Königin etwas herausgenommen?“
„Nein - wie sollte ich denn dazu kommen?“
Der Hausmeister seufzte tief auf; er schien ganz verzweifelt zu sein.
„Dann fürchte ich, Mylord - ja, ich weiß es sogar sicher, daß das Kreuz des Zaren verschwunden ist!“
Der Marquis setzte die Tasse hin und sah Viner an, als ob er ihm gesagt hätte, das Ende der Welt sei da.
„Das Kreuz des Zaren - aber ich habe es doch gestern nachmittag selbst noch gesehen!“
„Ich auch, sogar am Abend noch. Ebenso Peters. Sie wissen vielleicht nicht, Mylord, daß wir beide jeden Abend vor dem Schlafengehen einen Rundgang durch die Staatszimmer machen. Gestern abend um halb elf war noch alles in Ordnung, aber jetzt ist das Kreuz des Zaren fort.“
„Ist denn eingebrochen worden?“
„Das glaube ich nicht, Mylord. Einbrecher hätten wahrscheinlich auch noch andere Wertgegenstände mitgenommen. Im Zimmer der Königin befinden sich doch noch so viele Kostbarkeiten. Aber außer dem Kreuz fehlt nichts.“
Der Marquis nickte und dachte dann über dieses sonderbare Ereignis nach.
„Hoffentlich haben Sie noch niemand etwas darüber gesagt?“ fragte er schließlich.
„Kein Wort, Mylord. Ich kam direkt zu Ihnen. Nicht einmal Peters weiß etwas.“
„Gut. Schweigen Sie auch weiter darüber“, erwiderte der Marquis nachdrücklich. „Und kommen Sie jetzt mit, wir wollen uns den Schrank einmal genau ansehen.“
Er deutete dem Mann mit einer Handbewegung an, daß er vorausgehen sollte. Vor der Tür winkte er dem Kammerdiener, der im Gang wartete.
„Beevers, sprechen Sie zu niemand darüber, daß Viner mich“ heute schon so früh aufsuchte. Verstehen Sie?“
„Vollkommen, Mylord.“
Der Marquis und der Hausmeister gingen schweigend den Gang entlang, bis sie an eine Tür kamen, die in eine außergewöhnlich tiefe Nische eingelassen war. Viner nahm einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete sie. Eine altertümliche, nur spärlich beleuchtete Steintreppe lag nun vor ihnen.
Der Marquis stieg die zwanzig Stufen als erster hinunter, stieß eine Pendeltür auf, die mit einer verblichenen Brokattapete bespannt war, und befand sich dann in dem Vorraum zu den berühmten Staatszimmern, in denen seine Vorfahren zu verschiedenen Zeiten Könige und Königinnen, Gesandte und Fürstlichkeiten als Gäste beherbergt hatten. Es war eine Reihe glänzender Räume aus dem sechzehnten Jahrhundert, die den einen Flügel des Schlosses bildeten. Von den Fenstern sah man auf die alten, holländischen Gartenanlagen hinunter, die das Schloß Scraye ebenfalls bekannt und berühmt gemacht hatten. Diese Staatszimmer gehörten zu den bedeutenden englischen Sehenswürdigkeiten und wurden an gewissen Tagen der Woche gezeigt. Die Leute kamen von nah und fern, um sich die alten, prachtvollen Möbel, die wunderbar gewebten Goldtapeten und Gobelins, die Gemälde und die vielen wertvollen Schmucksachen und Kostbarkeiten anzusehen, die die Scraye seit den Tagen der Tudor gesammelt hatten. Am berühmtesten war das Zimmer der Königin, in dem Königin Elisabeth I. einstmals gewohnt hatte. Das alte Bett mit den Originalbettüchern und Decken stand noch darin, und alles war so geblieben, wie sie es verlassen hatte.
Der Marquis und Viner gingen schnell durch die Räume, bis sie vor einem Glasschrank standen, der neben dem großen, mit Skulpturen geschmückten Kamin in die Holzvertäfelung der Wand eingelassen war. Auf vier mit verblichenem Samt ausgeschlagenen Fächern waren hier kostbare und interessante Gegenstände ausgestellt. In früheren Zeiten hatten die Scraye eine große Rolle in politischen und diplomatischen Kreisen gespielt, und mehrere von ihnen waren Gesandte und Botschafter an den größten europäischen Höfen gewesen. Dieser kleine Schrank enthielt die Geschenke, die ihnen von verschiedenen Monarchen und Potentaten gemacht worden waren. Hier lagen ein juwelengeschmücktes Reliquiar aus dem zwölften Jahrhundert, ein Miniaturporträt von Louis Philippe, Ringe, Kämme, Armbänder, Elfenbeinschnitzereien, kleine Gemälde auf Gold, seltene Tabatieren. Und hier hatte bisher auch ein wertvolles, diamantenbesetztes Kreuz geruht, das der Zar aller Reußen einem Marquis von Scraye verehrt hatte. Jener Vorfahr hatte sich bei diplomatischen Verhandlungen ausgezeichnet, die mit dem Friedensschluß von Paris im Jahre 1814 zusammenhingen.
Ein Blick auf den Schrank genügte dem Marquis. Er sah, daß sein Hausmeister die Wahrheit gesprochen hatte, und schaute ihn erstaunt und verblüfft an.
„Nein, das Kreuz ist tatsächlich nicht mehr da!“ rief er. Dann öffnete er die Glastür. „Wir haben das Schränkchen noch niemals verschlossen gehalten.“
„Ich habe allerdings oft geraten, ein gutes Schloß anbringen zu lassen, Mylord.“
„Mein Vater hatte es auch nicht verschlossen, und wenn Einbrecher die Wertsachen stehlen wollten, Viner, dann würde kein Sicherheitsschloß sie zurückhalten. Aber wer in aller Welt könnte denn das Kreuz entwendet haben? Ich kann mir nicht denken, daß es nur wegen seines Materialwertes genommen wurde, obgleich man das Gold und die Brillanten getrost auf mehrere tausend Pfund schätzen darf. Das Reliquiar hier hat mindestens den doppelten Wert. Haben Sie einmal die Fenster nachgesehen? Es dürfte nicht sehr schwer sein, vom Balkon aus hier einzudringen.“
Der Hausmeister ging von einem Fenster zum andern und untersuchte, ob sie geschlossen waren, während der Marquis die anderen Kostbarkeiten durchsah. Plötzlich hielt er den Atem an, als ob er einen ganz besonderen Duft wahrgenommen hätte. Er erschrak, trat einen Schritt zurück und schaute sich dann nach dem Hausmeister um, der ihm jedoch den Rücken zukehrte.
„Bei Gott, das hätte ich doch nie gedacht!“ sagte er zu sich selbst.
Viner trat wieder zu ihm.
„Die Fenster sind alle von innen geschlossen, Mylord. Und sie sind alle mit Patentschlössern versehen. Aber man kann ja auch auf andere Weise hier hereinkommen.“
„Ja, ja, natürlich“, erwiderte der Marquis zerstreut. „Natürlich gibt es noch viele andere Wege. Aber das hilft nun alles nichts, das Kreuz ist fort.“
Viner schüttelte den Kopf.
„Sie könnten die Sache der Polizei melden“, meinte er.
„Nein! Im Augenblick will ich das jedenfalls noch nicht tun. Ich sagte Ihnen ja schon vorher, daß Sie kein Wort darüber verlieren sollen. Ich wünsche nicht, daß jemand im Hause auch nur ein Sterbenswörtchen davon erfährt. Ist heute nicht einer der Besichtigungstage?“
„Jawohl, von zwölf bis halb vier sind die Räume geöffnet.“
„Nun gut. Machen Sie keine Ausnahme, lassen Sie die Besucher herein wie gewöhnlich. Zeigt übrigens jemand die Gegenstände?“
„Nein. Früher war das wohl der Fall, aber heutzutage kommen so viele Leute, daß das nicht mehr möglich ist. Die Fremden gehen einfach umher und betrachten alles selbst. Wir beschränken uns auf die Aufsicht.“
„So, so. Kommen Sie jetzt mit mir zurück in mein Zimmer. Ich habe mir schon überlegt, was ich machen werde.“
Der Marquis setzte sich an den kleinen Schreibtisch, der in seinem Schlafzimmer stand, nahm das Kursbuch vor und schrieb schließlich ein Telegramm.
„Viner, schicken Sie das selbst ab. Der Chauffeur soll Sie ins Dorf fahren. Auch über dieses Telegramm schweigen Sie zu allen Leuten. Lassen Sie es mich noch einmal durchsehen.“
Er las laut vor, was er geschrieben hatte:
Nicholson Packe, Esq.
123a, Charles Street, London, S.W. Treffen Sie mich heute nachmittag Punkt zwei Uhr im Salutation-Hotel, Brychester. Ich möchte Sie in einer wichtigen, interessanten Angelegenheit sprechen.
Scraye.
„Das genügt“, sagte er dann und reichte dem Hausmeister das Formular. „Vergessen Sie nicht: kein Wort, keine Andeutung über diese Sache. Sie ist nämlich viel wichtiger und bedeutungsvoller, als Sie sich träumen lassen.“
Ein schnittiges Auto bog von Haymarket in die Charles Street ein. Der junge Herr, der den Wagen steuerte, brachte ihn gewandt vor der Tür des Hauses Nr. 123 zum Stehen, sprang ab, zog den Staubmantel aus und gab dem Chauffeur, der an seiner Seite gesessen hatte, einen kurzen Auftrag. Dann ging er in das Haus und stieg langsam zum ersten Stock hinauf, wo er auf einem kleinen, polierten Messingschild „Nicholson Packe“ las. Auf sein Klingeln öffnete ein Diener in schmucker, eleganter Livree und verneigte sich respektvoll.
„Guten Morgen, Hollis“, sagte der Besucher in freundlichem Ton, der ganz zu seinem jugendlichen, frischen Auftreten paßte. „Bin zum Frühstück gekommen. Mr. Packe schon auf?“
„Er wird sofort erscheinen. Das Frühstück ist bereits serviert. Wollen Sie gleich hineingehen, Mr. Trickett? Wunderbarer Morgen heute.“
„Tipptopp.“ Trickett ging auf den Frühstückstisch zu, der für zwei Personen gedeckt war. Ein warmes, gemütliches Feuer brannte im Kamin. „Ich habe heute morgen schon einen Spaziergang im Park gemacht, bevor ich herkam. Es scheint in der Nacht gefroren zu haben.“
„Ja, das habe ich auch bemerkt, als ich heute morgen hinausschaute“, pflichtete Hollis bei. „Wünschen Sie Zeitungen - die ʻTimesʼ, die ʻMorning Postʼ?“
Mr. Trickett nahm eins der beiden Blätter, die ihm der Kammerdiener hinhielt, und ging dann an den Kamin, wo bequeme Klubsessel zum Ausruhen einluden. Aber anstatt sich niederzulassen, trat der Besucher vor einen alten Pfeilerspiegel. Er neigte den Kopf erst zur Rechten, dann zur Linken und prüfte, ob seine Frisur in Ordnung war. Dann betrachtete er seine Gesichtsfarbe und seine glänzenden, blauen Augen. Schließlich nestelte er an seiner tadellosen Krawatte, zupfte an seinem kleinen Schnurrbart und lächelte befriedigt.
„Du siehst heute wieder fein aus, Jimmie, mein Sohn“, sagte er halblaut. „Du bist wieder in großer Form. Was mag Packe wohl zum Frühstück haben?“
Er warf einen Blick auf den gedeckten Tisch, um sich zu orientieren und sah kalte Wildbretpastete und feinen Schinken. Dann untersuchte er eingehend zwei Schüsseln, die auf elektrischen Heizplatten standen.
„Gebackene Rotzunge, gebratener Speck, dito Nieren“, sagte er zu sich. „Das ist ja famos. Ein Morgenspaziergang ist doch eine feine Sache. Dabei will ich in Zukunft bleiben. Aber nun wollen wir einmal sehen, was in der Welt passiert ist.“
Aber bevor Trickett die Zeitung aufmachen konnte, öffnete sich die Tür, und der Hausherr trat ein. Nicholson Packe war ein gewandter, glattrasierter Mann mit klugen Augen. Er mochte etwa dreißig Jahre zählen und hatte eine schlanke, athletische Gestalt. Lächelnd nickte er Trickett zu, als er die Morgenpost aufhob. Obenauf lag ein Telegramm.
„Hallo, Jimmie, Sie sehen heute morgen wieder vergnügt und strahlend aus. Machen Sie immer noch Ihren Morgenspaziergang?“
„Das werden Sie gleich an meinem Appetit feststellen können!“
„Bitte, greifen Sie doch zu“, erwiderte Packe, während er das Telegramm öffnete. „Hm“, meinte er, nachdem er es gelesen hatte. „Es ist schade, daß ich heute morgen nicht zum Golfspielen mitkommen kann. Lesen Sie einmal.“
Trickett nahm das Telegramm.
„Wer ist denn dieser Scraye?“ fragte er dann.
„Scraye? Großer Gott, es gibt doch nur einen Scraye, nämlich den Marquis von Scraye! Kennen Sie ihn denn nicht?“
„Ich habe schon von ihm gehört, wußte aber nicht, daß Sie mit ihm bekannt sind.“
„Ich kenne ihn sehr gut. Wir beide gehören zum Omega-Klub, und dort treffe ich ihn häufig.“
„Davon habe ich auch keine Ahnung“, entgegnete Trickett und nahm von den Platten, die Hollis servierte. „Das sind doch lauter exzentrische oder wahnsinnige Leute, nicht?“
„Möglich, Jimmie. Die Leute erzählen sich ja viel Quatsch. Also, ich muß nach Brychester, um Scraye zu treffen. Er hätte sicher nicht telegrafiert, wenn er mich nicht dringend brauchte. Hollis, geben Sie mir einmal das Kursbuch her.“
„Packe, wenn Sie nicht nach Walton Heath mitkommen können, gehe ich auch nicht hin“, erklärte Trickett. „Dafür schlage ich Ihnen vor, Sie mit meinem Wagen nach Brychester zu bringen. Das Auto steht draußen.“
„Ich würde sehr gern annehmen, aber die Entfernung ist groß. Bedenken Sie - nahezu hundertzwanzig Kilometer.“
„Kleinigkeit! Um zwei Uhr sind wir bestimmt dort. Ich kenne den Weg genau. Wenn wir gemütlich fahren, dauert es zwei bis zweieinhalb Stunden.“
„Schön. Eine Autofahrt ist natürlich viel angenehmer, als die langweilige Eisenbahn. Ich brauche ein Telegrammformular, Hollis.“
Hastig schrieb er eine Antwort an Scraye und schickte seinen Kammerdiener damit fort.
„Ich stelle Sie Scraye natürlich vor, Jimmie. Sie werden sich ganz gut mit ihm verstehen, denke ich.“
„Er ist etwas exzentrisch?“ fragte Trickett, der es sich gut schmecken ließ.
Packe lachte.
„Nach der Meinung anderer Leute vielleicht. Ich mag ihn gern. Er ist absolut nicht adelsstolz und außerdem unendlich reich. Hat ein Haus am Berkeley Square, ein Schloß im Hochland, eine Villa an der Riviera, eine der schönsten Privatjachten, die jemals gebaut wurden, und außerdem den wundervollen Stammsitz Scraye. Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, daß er gerade Gäste dort hat. Dadurch wird sein Telegramm nur noch interessanter.“
„Wieso denn?“
„Er möchte mich im Salutation-Hotel in Brychester treffen! Daraus sehe ich, daß er mich privatim sprechen will, ohne daß jemand davon erfährt. Es liegt etwas in der Luft!“
Trickett bestrich eine Schnitte Toast mit Butter. Er war mit sich und der Welt zufrieden.
„Das glauben Sie, weil Sie von Beruf Schriftsteller sind, Packe. Wenn man sich so viele Geschichten wie Sie ausdenken muß, sieht man natürlich überall Geheimnisse.“
Hollis brachte nach einiger Zeit ein zweites Telegramm herein. Packe riß es auf und runzelte dann die Stirn. Aber schließlich lachte er, als er zu seinem Gast hinübersah.
„Wollen Sie noch behaupten, daß die Sache nicht geheimnisvoll ist? Dieses Telegramm kommt nämlich auch von Lord Scraye. Hören Sie!“
Diese Nachricht erreicht Sie hoffentlich noch vor Ihrer Abreise. Ob Sie mit dem Zug oder per Auto nach Brychester kommen, zeigen Sie sich möglichst nicht in den Hauptstraßen. Wenn Sie den Zug benützen, gehen Sie die enge Allee an dem Klosterhof und der Kathedrale entlang, bis Sie einen Nebeneingang des Salutation-Hotels erreichen.
Falls Sie im Auto fahren, halten Sie vor der Garage und kommen über den Hof. Ich warte mit dem Mittagessen auf Sie in dem Privatsalon Waterloo Square.
Scraye.
„Nun, was sagen Sie dazu, Jimmie?“ Trickett erhob sich und nahm sein Zigarettenetui heraus. „Ich sage vorläufig nur, daß der Wagen zur Abfahrt draußen bereitsteht.“
Punkt zwei Uhr hielten Packe und Trickett vor dem Garageneingang des Salutation-Hotels, stiegen aus und gingen über den Hof. Packe hatte die wohlbekannte Gestalt des alten Oberkellners sofort entdeckt, der an einer Hintertür des Hotels wartete.
„Nun wollen wir einmal unsere Zeit einteilen, Jimmie. Sie müssen natürlich auch irgendwo in der Nähe essen. Vielleicht treffen wir uns später hier im Speisesaal oder im Rauchsalon. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß Sie nicht umsonst mitgekommen sind.“
„Schon gut, ich laufe nicht davon. Gehen Sie nur hinauf und sehen Sie zu, welche Geheimnisse auf Sie warten.“
Der Oberkellner empfing Packe liebenswürdig und zuvorkommend, denn er kannte ihn seit langer Zeit.
„Der Marquis wartet schon auf Sie“, sagte er vertraulich. „Bitte, kommen Sie diesen Weg.“
Er führte ihn die Treppe hinauf und einen einsamen Korridor entlang, dann öffnete er die Tür zu einem ruhigen, vornehmen Zimmer, dessen Fenster auf den Hof der großen Kathedrale hinausschauten. Der Marquis von Scraye lehnte mit dem Rücken an dem Kamin und wärmte sich. Er sah erleichtert auf, als Packe eintrat. Der Oberkellner schloß die Tür geräuschlos.
„Wozu in aller Welt diese Heimlichkeiten?“ fragte Packe, als sie sich begrüßt hatten. „Warum muß ich mich denn auf Nebenwegen nach Brychester einschleichen?“
Scraye zeigte mit dem Daumen nach dem Fenster.
„Berühmte Schriftsteller sind nicht unbekannt, weder ihrem Ruhm noch ihrem Aussehen nach. In den Zeitungen werden Ihre Bilder gebracht, und viele Leute kennen sie, ohne daß die Betreffenden selbst eine Ahnung davon haben. Ich wollte nicht, daß gewisse Personen oder wenigstens eine bestimmte Person Sie heute morgen in Brychester sieht. Das ist der Grund. Wie war die Fahrt hierher?“
„Jimmie Trickett brachte mich mit seinem Auto her.“
„Wer ist denn das?“
„Ich dachte, Sie kennten ihn wenigstens dem Namen nach. Jimmie Trickett ist der glückliche Inhaber der Fabrik, die die weltbekannten ʻTrickett-Tablettenʼ herstellt. Sein Vater ist kürzlich gestorben und hat sie ihm vererbt. Einkommen jährlich zwanzigtausend Pfund. Jimmie ist infolgedessen einer der liebenswürdigsten und sorglosesten jungen Leute Londons. Er wird Ihnen sicher gefallen.“
„Vielleicht kann er mit uns zu Mittag speisen?“
„Nein, wir wollen die Sache erst erledigen. Jimmie sitzt unten ganz bequem im Speisesaal. Sie können ihn später sehen. Aber was hat dies alles nun zu bedeuten?“
„Vorläufig kein Wort darüber, bis wir gegessen haben.“
„Ich möchte es aber sofort hören. Sie würden mir den Appetit verderben, wenn ich warten sollte. Nach Ihrem zweiten Telegramm bin ich furchtbar neugierig geworden.“
„Mir geht es ebenso. Seit heute morgen um sieben Uhr bin ich schon auf die Folter gespannt!“ erwiderte Scraye lachend.
Er ging zu einem Fenster und sah zu der Kathedrale hinüber. Plötzlich schrak er zusammen und trat wieder zurück.
„Packe, kommen Sie doch einmal her. Sehen Sie die drei Leute, die eben aus dem Nordportal der Kirche kommen? Achten Sie bitte besonders auf die jüngere der beiden Damen.“
Packe folgte der Aufforderung und schaute auch hinaus. Er entdeckte einen älteren Herrn von militärischem Äußeren, eine Dame, die offensichtlich seine Frau war, und eine jüngere, elegante, schöne Frau, die lebhaft auf die beiden älteren Herrschaften einsprach.
„Drei meiner Gäste in Scraye“, erklärte der Marquis. „Ich wußte, daß sie nach Brychester kommen würden, und deshalb sollten Sie sich nicht öffentlich in der Stadt sehen lassen. Vor allem sollte Sie die Dame mit dem hübschen Hut nicht zu Gesicht bekommen, denn sie kennt Sie bestimmt. Die Leute sind Ihnen nicht bekannt?“
„Nein, ich habe sie noch nie gesehen.“
„Es ist Colonel Durham mit seiner Frau und Mrs. Wythenshawe. Betrachten Sie sich diese Dame genau. Es ist gut, daß wir sie jetzt zu sehen bekamen. Das spart viele Unannehmlichkeiten. Ich kann nämlich schlecht Personen beschreiben und war gerade im Begriff, sie Ihnen zu schildern.“
„Unbestreitbar eine schöne Frau. Elegant und entzückend. Wer ist sie denn?“
Scraye lachte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und die Kellner begannen zu servieren.
„Sehen Sie zu, daß diese Leute möglichst schnell wieder hinauskommen“, sagte Packe leise, als er sich vom Fenster abwandte. „Ich kann keinen Bissen essen, bevor meine Neugierde nicht befriedigt ist.“
Schließlich waren sie wieder allein, und Scraye erzählte nun seinem Freund, was geschehen war.
„Der Gedanke an Sie kam mir wie eine Erleuchtung“, schloß er seinen Bericht. „Die Polizei möchte ich nicht mit der Angelegenheit behelligen, und Privatdetektive mag ich nicht in meine Dienste stellen. Nicholson Packe schreibt Sensationsromane, sagte ich mir. Er ist der Mann, der mir helfen wird. Hier haben Sie nun einmal Gelegenheit, im wirklichen Leben einem Geheimnis nachzugehen.“
„Es ist äußerst liebenswürdig, daß Sie mich gerufen haben“, erwiderte Packe ein wenig unsicher. „Sie glauben also nicht, daß es sich um einen Einbruch handelt?“
„Nein, auf keinen Fall. Die Sache kommt mir außergewöhnlich vor.“
„Haben Sie vielleicht einen bestimmten Verdacht?“
Scraye lehnte sich über den Tisch und zeigte lächelnd mit dem Daumen nach dem Fenster.
„Ja“, sagte er dann leise. „Ich vermute, daß Mrs. Wythenshawe das Kreuz des Zaren gestohlen hat.“
Packe legte das Besteck nieder und sah seinen Freund verwundert an.
„Was, einer Ihrer eigenen Gäste?“ Scraye lächelte wieder ironisch.
„Ja. Ich gehe mit Ihnen die höchste Wette ein, daß sie das Kreuz hat. Ich bin meiner Sache ganz sicher.“
Packe nahm Messer und Gabel wieder auf und aß weiter.
„Ich möchte aber doch behaupten, daß Sie Ihre Gäste kennen müssen“, meinte er nach einem längeren Schweigen. „Sie erheben eine sehr schwere Anklage gegen eine Dame der Gesellschaft.“
„Ich klage niemand grundlos an, und ich bin felsenfest davon überzeugt, daß ich recht habe“, entgegnete Scraye entschieden. „Welche Gründe haben Sie denn für diesen Verdacht?“
„Wir wollen die Dame einmal Mrs. X. nennen. Sie haben also noch nie von ihr gehört?“
„Nein, der Name sagt mir jedenfalls nichts.“
„Nun, sie ist eine bekannte Dame der Gesellschaft - und Witwe. Ihr Mann war Diplomat, und sie ist weit in der Welt herumgekommen. Sie genießt auch den Ruf, eine der besten Bridgespielerinnen Englands zu sein. Außerdem hat sie eine wunderbare Sopranstimme, kann fabelhaft erzählen und ist eine glänzende Gesellschafterin. Sie versteht es gleich gut, mit Männern und Frauen umzugehen. Natürlich kleidet sie sich stets nach der neuesten Mode. Sie erhält mehr Einladungen als andere bekannte Damen. Während der letzten drei Jahre habe ich sie auf den verschiedensten Landsitzen und Schlössern getroffen, denn sie ist die Seele jeder Gesellschaft, in der sie sich aufhält.“
„Nach dieser Schilderung ist sie also eine äußerst anziehende Persönlichkeit. Ich beginne bereits, mich lebhaft für sie zu interessieren.“
„Ihr Interesse an ihr wird sich noch steigern, wenn Sie weitere Details hören. Mrs. X. ist also zur Zeit mit mehreren anderen Leuten Gast auf Schloß Scraye. Im ganzen sind es allerdings nur acht Personen. Sie weilt zum erstenmal dort. Und nun muß ich Ihnen zwischendurch etwas von mir selbst erzählen. Der Geruchssinn der Scraye ist seit Jahrhunderten bekannt, und bei mir ist er nun in so hervorragender Weise entwickelt, daß ich es fast abnorm nennen möchte. Es ist keine eitle Prahlerei, wenn ich Ihnen sage, daß ich Veilchen schon mehrere hundert Meter von ihrem Standort entfernt wahrnehmen kann.“
„Ungewöhnlich! Aber sicher manchmal von größtem Vorteil.“
„Nun hören Sie. Als ich heute morgen das Schränkchen im Zimmer der Königin öffnete, erkannte ich sofort den feinen Duft eines gewissen Parfüms. Es handelt sich um asiatische Blumen, und der Geruch ist sehr schwer zu bestimmen. Ich darf wohl sagen, daß außer mir niemand ihn wahrgenommen hätte. Aber ich wußte sofort, daß es das Parfüm der Mrs. X. war. Sie läßt es sich direkt aus dem Orient kommen, und es kostet ein wahnsinniges Geld.“
Scraye sah Packe triumphierend an, aber sein Freund schüttelte den Kopf.
„Das ist kein zwingender Beweis. Mrs. X. gehört zu Ihren Gästen und ist seit einigen Tagen in Ihrem Hause. Es ist doch möglich, daß sie mehrere Male in die Nähe des Schrankes gekommen ist.“
„Nein, das stimmt nicht. Nur an dem Tag ihrer Ankunft führte ich meine Gäste durch die Staatszimmer. Ich weiß bestimmt, daß sie seitdem nicht mehr dort war - mit Ausnahme der letzten Nacht. Wir öffneten damals die Glastüren nicht, sondern betrachteten die Kostbarkeiten nur durch die Scheiben. Sie interessierte sich übrigens viel mehr für die alten Möbel und Gobelins.“
„Hoffentlich haben Sie noch mehr Gründe.“
„Gewiß. Sobald ich den Duft des Parfüms erkannte, war mir klar, daß ich sehr schnell denken und kombinieren müsse. Ich habe niemals intensiver in meinem Leben nachgedacht, und schon wenige Minuten nach meiner Entdeckung telegrafierte ich an Sie.“
Es trat eine kleine Unterbrechung ein, denn die Kellner servierten den nächsten Gang.
Packe dachte inzwischen darüber nach, ob es wohl möglich sei, daß eine solche Frau das Haus bestehlen könne, in dem man sie als Gast aufgenommen hatte.
Als sie wieder allein waren, sprach Scraye weiter.
„Als Roman- und Kriminalschriftsteller sind Sie sicher mit den großen Einbrüchen des letzten Jahres vertraut. Aber ich will Ihnen etwas erzählen, was Sie noch nicht gehört haben. Während der letzten drei Jahre sind auf den großen englischen und schottischen Landsitzen Diebstähle vorgekommen, die dem gestrigen sehr ähnlich sehen. Diese Tatsache ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt, und nur wenige Leute wissen davon. Es werden jedesmal wertvolle kleine Gegenstände gestohlen, die man leicht entfernen kann, zum Beispiel Miniaturen, Bücher, Schmuckstücke. Im vorigen Frühjahr war ich für einige Tage Gast bei Mr. Godenham in Worcestershire. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen, aber er ist ein großer Sammler von Antiquitäten, Kuriositäten und Kunstgegenständen. Er besaß einen wunderbaren, mit Juwelen besetzten Abendmahlskelch, der nach dem Urteil von Fachleuten früher Eigentum der Abtei von Glastonburry war. Und dieses berühmte Stück verschwand, während ich in dem Hause weilte. Auch unsere Mrs. X. gehörte damals zu den Gästen. Was halten Sie davon?“
„Wie hat sich denn Mr. Godenham zu diesem Verlust gestellt?“
„Er schwieg die Sache tot, genau wie ich. Er wußte auch um die anderen Diebstähle, die sich schon vorher ereignet hatten, und er gab mir eine merkwürdige Erklärung dafür, die mir unwahrscheinlich schien. Aber seit diesem Vorfall in meinem Haus möchte ich ihm doch recht geben.“
„Wie erklärte er es sich denn?“
„Er sagte mir ungefähr folgendes: ›Zweifellos wissen Sie, daß es Sammler gibt, die nur die Dinge besitzen wollen und nicht das Bedürfnis haben, ihre Sammlungen auszustellen. Sie haben nicht einmal den Wunsch, selbst die kostbaren Gegenstände anzusehen. Ihre Befriedigung liegt in dem Bewußtsein ihres Besitzes. Es ist eine gewisse Manie.‹ Godenham hat nun die Idee, daß solche leidenschaftlichen Sammler hinter diesen Diebstählen stehen. Möglicherweise haben wir es mit einem Amerikaner zu tun, der sich diese berühmten Kostbarkeiten aneignen will und Agenten angestellt hat, um sich die Dinge zu verschaffen.“
„Und Sie nehmen an, daß Mrs. X. eine solche Agentin ist?“
Scraye zuckte die Schultern.
„Sieht es nicht so aus? Ich bin meiner Sache ganz sicher, soweit es sich um mein Kreuz handelt ... Und ich weiß, daß sie in Godenhams Landsitz war, als der berühmte Kelch gestohlen wurde. Dieses Geheimnis muß ich ergründen, und ich möchte Sie bitten, sich der Sache anzunehmen. Später können Sie ja einen aufregenden Detektivroman darüber schreiben.“ Packe zündete sich eine Zigarre an.
„Die Sache klingt interessant! Aber was soll ich denn nun eigentlich tun?“
„Morgen verläßt Mrs. X. Schloß Scraye. Um zehn Uhr fährt sie von Brychester nach London ab und kommt um elf Uhr zweiundfünfzig am Victoria-Bahnhof an. Aus gewissen persönlichen Gründen möchte ich sie nun überwachen lassen - sagen wir einmal, bis sie nach Hause kommt. Nebenbei bemerkt liegt ihre Villa in Wilton Crescent. Und ich wollte Sie bitten, Mrs. X. zu beobachten.“
„Ich soll ihr überallhin folgen?“
„Es ist nicht nötig, daß Sie das persönlich tun: Sie können das auch einer anderen vertrauenswürdigen Person überlassen. Ich dachte, Sie könnten mir eine Methode empfehlen, durch die wir zum Ziel kommen.“
„Ich glaube, ich sehe einen Weg. Der Mann, der imstande ist, mir zu helfen, ist Jimmie Trickett. Darf ich ihm alles mitteilen, was Sie mir gesagt haben?“
„Ist er wirklich zuverlässig?“
„Ich bürge in jeder Weise für ihn. Er ist praktisch und hat gesunden Menschenverstand.“
„Dann holen Sie ihn doch jetzt bitte zu uns herauf.“
Bald darauf saß Jimmie Trickett bei Kaffee, Zigarren und Likör in dem Privatzimmer und lauschte den Worten des Marquis von Scraye. Schließlich nickte er Packe zu.
„Die Aufgabe können wir doch übernehmen, wenn Ihnen meine Hilfe recht ist.“
„Wie wollen Sie denn vorgehen?“ fragte Packe.
„Ganz einfach. Morgen früh werden Sie um elf Uhr fünfundvierzig auf dem Bahnhof erscheinen und sich umschauen, auf welchem Bahnsteig der Zug aus Brychester einläuft. Entlang der Plattform werden Sie auf dem Fahrdamm die übliche Reihe von Wagen und Autos bemerken, darunter auch eine elegante Luxuslimousine mit einem Chauffeur in dunkelolivgrüner Livree. Dieser Chauffeur bin ich, und wenn Sie mich sehen, werde ich grüßend die Hand an die Mütze legen. Sie werden mir zuwinken und Ihre Aufmerksamkeit dann dem Bahnsteig zuwenden. Wenn der Zug einfährt, machen Sie die Dame unauffällig ausfindig und beobachten, in welchen Wagen sie einsteigt. Dann kommen Sie zu meinem Wagen und sagen mir, was Sie beobachtet haben. Ich folge dann dem Auto, und das Weitere dürfen Sie getrost mir überlassen. Ich werde alles zur Zufriedenheit erledigen.“
„Das ist ausgezeichnet“, meinte Scraye.
„Wagen und Livree sind schon vorhanden“, erklärte Trickett. „Sie brauchen nur Ihre Rolle zu spielen, Packe, und ich garantiere Ihnen, daß ich die meine mit dem größten Erfolg durchführe.“
„Wenn Sie nun aber nach verschiedenen Stellen fährt? Was wollen wir dann machen? Wo bleiben wir, bis sie wieder aus dem Hause herauskommt?“
„Das wird sich alles finden. Ich habe schon mehrfach Leute beobachtet und kenne allerhand Tricks. Aber glauben Sie, daß sie den kostbaren Gegenstand bei sich trägt?“
„Was sollte sie denn sonst damit tun?“ fragte Scraye etwas überrascht.
Trickett lachte.
„Ich möchte jede Wette darauf eingehen, daß sie das Ding schon längst auf die Seite geschafft hat. Es wäre doch äußerst töricht, das nicht zu tun. Aber das werden wir ja alles noch erfahren. Nun müssen wir aber nach London zurück, Packe. Ich habe eine Verabredung zum Abendessen.“
Packe wandte sich an Scraye.
„Und wie geht die Sache weiter, wenn der Auftrag ausgeführt ist?“
„Meine Gäste verlassen morgen mein Haus, und am Nachmittag fahre ich selbst nach London. Ich will nur ein oder zwei Tage dort bleiben und wohne im Ritz. Darf ich Sie für morgen abend dort zum Essen einladen? Dann können Sie mir erzählen, was Sie erlebt haben, und wir beraten, was wir weiter unternehmen.“
Packe und Trickett bestiegen den Wagen und verließen Brydiester ebenso unauffällig, wie sie gekommen waren.
„Was mir am meisten Spaß macht“, sagte Trickett plötzlich, „ist die Harmlosigkeit und Unschuld eines Menschen wie Scraye. Daß er sich überhaupt nur einbilden kann, sie würde das Kreuz immer mit sich herumschleppen! Glauben Sie, daß sie heute morgen nach Brychester gekommen ist, um sich die Kathedrale anzusehen? Ich will eine Flasche Sekt wetten, daß sie morgen - aber nein, ich will es lieber noch nicht sagen. Ich schreibe es auf ein Stüde Papier und stecke es in einen Briefumschlag. Sie können das Kuvert öffnen, sobald sie morgen ihren ersten Besuch gemacht hat. Dann werden wir einmal sehen, ob ich recht gehabt habe.“
„Sie entwickeln sich ja direkt zu einem Detektivgenie! Gut, ich nehme die Wette an. Aber Sie werden verlieren!“
„Abwarten!“ entgegnete Trickett kühl. „Übrigens noch zwei wichtige Dinge. Tun Sie morgen Geld in Ihren Beutel, und vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Chauffeur bin.“