Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland - Walter Krüger - E-Book

Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland E-Book

Walter Krüger

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Beschreibung

Das vorliegende Buch ist der Versuch, die historischen Ereignisse, die unter dem Begriff "Züge der Kimbern und Teutonen" allgemein bekannt und anerkannt sind, kritisch zu beleuchten. Alles, was wir über diese beiden Stämme wissen, stammt aus den Federn antiker griechischer und römischer Autoren. Es ist keine in sich schlüssige Darstellung, weil die meisten der überlieferten Schriften Fragmente aus umfangreicheren Werken sind. Obwohl die heute bekannte Geschichte über die Züge als eine zusammenhängende und logische Handlung präsentiert wird, lässt sie bei näherer Betrachtung eine Menge Zweifel aufkommen. Diese beginnen schon mit der Frage nach der Herkunft der Kimbern und Teutonen. Es wurde versucht, anhand der geografischen Gegebenheiten Jütlands, unter Berücksichtigung der historischen Einflüsse aus Natur, Landwirtschaft, Seefahrt, Siedlungsstruktur und Bevölkerungsdichte über einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren, eine Antwort zu finden. Sie verneint die Herkunft der in den Überlieferungen genannten Stämme aus dieser Region. Aus dieser Erkenntnis drängt sich die nächste große Thematik auf: woher kommen dann die Kimbern und Teutonen? Sind sie überhaupt gemeinsam unterwegs gewesen? Von welchen Zielen ließen sie sich leiten? Gemeinsam sollen sie losgezogen sein, doch getrennt gingen sie in der Provence und in Oberitalien unter. Die zwei großen Räume, in denen sich die Geschehnisse abspielten, waren die Provinz Gallia Narbonensis und das Gebiet an den Ostalpen. Es wurde versucht, aus diesen verschiedenen geografischen Räumen unterschiedliche Handlungsstränge zwischen Teutonen auf der einen und Kimbern auf der anderen Seite zu entwickeln. Vor allem das Auftreten der Kimbern muss in die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen den Römern und den Skordiskern auf dem Balkan eingeordnet werden, wenn man deren Handlungen verstehen will. Daraus wurde eine neue Darstellung der Züge entwickelt mit einem Handlungsraum von Kleinasien bis zur Provence.

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Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland

Walter Krüger

Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland

Eine alternative Darstellung

© 2018 Walter Krüger

Umschlaggestaltung, Illustrationen, Fotografien: Walter Krüger

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch:

978-3-7469-2750-3

ISBN Hardcover:

978-3-7469-2751-0

ISBN e-Book:

978-3-7469-2752-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

INHALT

Einleitung

Problemstellung und Anliegen

Die Züge der Kimbern und Teutonen nach antiken Überlieferungen

Woher kamen die Kimbern und Teutonen?

Das Problem

Die allgemeine Quellenlage

Interpretationsversuch

Versuch eines geografischen Rückblicks

Stammesgebiete und dänische Administration

Die Bevölkerungszahlen in Thy

Die Bevölkerungszahlen in Himmerland

Das Ende eines Mythos?

Kimbern, Boier und Skordisker

Die Kimbern und die Boier

Aufstieg und Rolle der Skordisker

Das Königreich Pontos

Mithridates VI. und Rom

Die Kämpfe um Makedonien

Die römischen Kriege auf der Balkanhalbinsel

Die römische Grenzregion im Nordosten Italiens

Der Feldzug des Gaius Semprosius Tuditanus

Der Krieg gegen die Delmaten und Skordisker 119v.Chr.

Der Krieg gegen die Taurisker 115v.Chr.

Der konsularische Krieg gegen die Skordisker 114v.Chr.

Die Schlacht von Noreia 113v.Chr.

Rom und Westeuropa

Die römische Außenpolitik

Die Römer als Eroberer im Rhonetal

Die Verhältnisse in Rom von 112v.Chr. bis 101v.Chr.

Die veränderte politische Lage in Westeuropa

Die politische Situation in Nordwesteuropa im 2.Jh.v.Chr.

Die Entstehung einer Opposition gegen Rom

Die Gegner Roms

Die Teutonen

Die Tiguriner

Die Sequaner

Der Krieg gegen die Römer

Die Verbündeten

Die Bereitstellungsräume

Der Aufmarschraum

Die Kriegstechnik der gegnerischen Verbände

Der Kampf gegen Silanus 109v.Chr.

Der Zug der Tiguriner nach Tolosa 107v.Chr.

Tolosa erhebt sich gegen Rom

Die Schlacht von Arausio

Marius und die Heeresreform

Marius und die Sicherung der Provinz

Der Feldzug des Jahres 102v.Chr.

Die Züge der Kimmerer 101v.Chr.

Mithridates dehnt Pontos nach Norden aus

Die Kriege auf dem Balkan 112v.Chr. bis 106v.Chr.

Mithridates weitet seine Macht aus

Der Untergang der Kimmerer im Krieg von 102v.Chr.

Die Alternativen zu den Zügen der Kimbern und Teutonen

Einleitung

Problemstellung und Anliegen

Die Züge der Kimbern und Teutonen, so überliefern es antike Schriften, fanden im 2.Jh.v.Chr. statt. Aufgebrochen vom nördlichen Rand der den Römern bekannten Welt zogen beide Stämme mit ihren Verbündeten fast zwei Jahrzehnte lang durch Europa, drangen in die Provinzen der römischen Republik mit wechselndem Erfolg ein und wurden dort schließlich vernichtet.

Obwohl es nur bruchstückhafte Überlieferungen sind, aus denen unser Wissen stammt, hat sich im Laufe der Zeit eine lebendig wirkende Geschichte formen lassen, die vermutlich im Jahre 120v.Chr. mit dem Aufbruch in Jütland begann, sich nachweisbar im Jahre 113v.Chr. mit der Schlacht von Noreia fortsetzte und 101v.Chr. in der Schlacht von Vercellae in Oberitalien endete. Die anfänglichen Siege der Stämme zwangen die Römer zu enormen Kraftanstrengungen, um die Eindringlinge endgültig vertreiben und vernichten zu können. Waren es bis dahin die sieggewohnten Römer, die ihre Legionen gegen fremde Völker und Stämme in Bewegung setzten, mussten sie erstmals erleben, dass die Kimbern und Teutonen, unbekannte Barbaren, die römische Republik direkt angriffen. Die Herren der damaligen Welt fühlten sich zutiefst in ihrer Ehre gekränkt. Diese Barbaren zu besiegen und zu vertreiben, wurde für einige Jahre zu einem wichtigen innenpolitischen Thema.

Im Schatten der Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Senats, den Optimaten, und denen der Volkstribunen, den Popularen, war eine realistische Darstellung der Ereignisse um die Züge der Kimbern und Teutonen nicht zu erwarten. Je nachdem, welcher Gruppierung ein Politiker oder Feldherr angehörte, spiegelten die Berichte der Autoren auch deren persönliche Parteinahme wider. Es kam nicht darauf an, die beteiligten Personen, Heere, Völker, Landschaften und Orte sachlich und annähernd wirklichkeitsgetreu darzustellen, sondern spannende, aufwühlende Vorgänge zu beschreiben und gezielt ausgewählte Personen ehren- oder unehrenhaft auftreten zu lassen.

Das alles hat dazu geführt, dass sich der Staub, den die Geschichte des Zuges aufgewirbelt hat, bis heute noch nicht setzen konnte. Den römischen Autoren wird ein großes Vertrauen entgegengebracht, ein Vertrauen, das sie nicht verdient haben. Man braucht gar nicht allzu tief in diese Texte einzudringen, um zu erkennen, dass sie eine Vielzahl von Schwachstellen enthalten. Es gibt Dinge, die so wie sie dargestellt wurden, einfach nicht unkommentiert im Raum stehen bleiben können.

Das öffentliche Interesse an diesen Zügen ist bis heute ungebrochen. Vielleicht liegt es daran, dass zum ersten Mal Völker, als deren Heimat der europäische Norden angesehen wurde, in das Licht der Geschichte traten. Etwa seit dem 1.Jh.v.Chr. wurden sie als germanisch bezeichnet. Bis dahin ordnete man die Bewohner Europas nördlich der griechischen und römischen Grenzen entweder den Kelten oder den Skythen zu. Die Völkergemeinschaft der Schweizer, der Österreicher, der Niederländer, der Deutschen und der Dänen erkennt in den Kimbern, Teutonen und Tigurinern Vorfahren, die in unterschiedlicher Art und Weise mit dem Beginn ihrer eigenen Geschichte zu tun haben könnten.

Berichte über die Wanderungen wurden ausschließlich von griechischen und römischen Autoren übermittelt. Die Germanen und Gallier schrieben ihre Erlebnisse nicht auf. Sie verarbeiteten ihre Geschichte in unzähligen Liedern. Aus dem 2.Jh.v.Chr. sind leider keine erhalten. Wir kennen zwar die Namen der Stämme, die gegen die Römer in den Kampf zogen, auch die Namen einiger Anführer, aber keine Siedlungen, keine Trachten, keine Waffen, keine Begräbnisstätten, auch keine Kultplätze. Die Namen der Lebensräume der wandernden Stämme sind umstritten. Die Archäologen bedauern, noch nicht auf ein originales Schlachtfeld gestoßen zu sein. Nur das beschriebene Pergament aus griechischen und römischen Federn, und auch das nur in wenigen Resten, zeugt von den Ereignissen während der Züge. Was sich dahinter verbirgt, wissen nur wenige Menschen.

Und dennoch belebt diese Wanderung vom Ende des 2.Jh.v.Chr. immer noch die Fantasie mancher Historiker, Schriftsteller und Filmemacher. Es gibt unzählige Berichte und Geschichten darüber im Internet. Die Kimbern und Teutonen fehlen heute in keinem Geschichtsbuch. In der Zeit der Globalisierung und des stetigen Abbaus unseres historischen Gedächtnisses ist es lobenswert, dass über Bücher, Illustrierte und Fernsehsendungen versucht wird, einen Teil der Bevölkerung an Ereignisse unserer frühen Geschichte heranzuführen.

Alle Veröffentlichungen zu den Zügen der Kimbern und Teutonen seit der Zeit des Humanismus haben am überlieferten Bild der antiken Historiker wenig geändert, die nationalistisch angehauchte Literatur ausgenommen. Es fehlen trotz großer Bemühungen der Forscher die materiellen Spuren, die uns tiefere Einblicke gewähren könnten. Dadurch bilden die antiken Quellen und die daraus entstandenen späteren Berichte neuzeitlicher Historiker nach wie vor die einzigen Zugangsmöglichkeiten für die Beschäftigung mit diesem Thema.

Auf den ersten Blick scheinen die Ereignisse aus der Geschichte der wandernden Stämme in einem logischen Zusammenhang zu stehen. Beim genaueren Hinsehen, Eindringen und Abwägen der Handlungen und Entscheidungen bekommt die Ereigniskette Sprünge und die Zusammenhänge erscheinen weniger logisch. Es treten erhebliche Zweifel an der Echtheit ihrer Glieder auf. Zwischen Mythos und Wirklichkeit zu unterscheiden, fällt schwer.

Vor allem verwundert, dass die Römer keine eindeutigen Angaben über die Herkunft der Kimbern und Teutonen hinterlassen haben. Es wäre doch leicht gewesen, von den Gefangenen, vor allem von deren Anführern, zu erfahren, wer sie waren, woher sie kamen, was sie erstrebten und welche Wege sie genommen hatten. Aber leider ist das nicht der Fall.

Mit der nachfolgenden Untersuchung wird beabsichtigt, die Kluft zwischen Mythos und Wirklichkeit zu verringern und der Wahrheit über die Züge etwas näher zu kommen.

Ausgangspunkt bildet die Geschichte, wie sie überliefert und in den heutigen historischen Werken und Plänen allgemein anerkannt und übereinstimmend dargestellt wird. Sie soll von Ereignis zu Ereignis erneut analysiert, auf logische Handlungen und plausible Ergebnisse überprüft und danach möglichst neu erzählt werden.

Daraus leitet sich der Untertitel „eine alternative Darstellung“ ab. Während der Sammlung und Auswertung aller verfügbarer Informationen und nachgezeichneter Karten entstand der Wunsch, die Teile der Geschichte in einzelne nachprüfbare Schritte zu zerlegen. Würde der angenommene Zusammenhang der Ereignisse Bestand haben? Ergäben die Entscheidungen und Handlungen folgerichtige Schritte?

Ohne dem Ergebnis vorgreifen zu wollen, wurden neue Interpretationsmöglichkeiten erkannt. Es bot sich an und war zugleich verlockend, die überlieferte Geschichte zu ergänzen und teilweise umzuschreiben.

Uns liegt ein zeitlicher Ablauf der Züge vor, der sich an überlieferte Fakten orientiert, die mit Jahreszahlen belegt sind. Diese Zeitschiene bildet das Grundgerüst, das z.T. mit zeitlich nur angedeuteten Aktionen aufgefüllt wurde. Dazwischen liegt noch ein großer Spielraum für Spekulationen und Vermutungen. Das auslösende Moment für erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Überlieferung bildete der Widerspruch zwischen dem von beiden Stämmen, den Kimbern und Teutonen, gemeinsam begonnenen Zug und ihr einsames Ende an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Zeiten.

Die Teutonen gingen als erster Stamm im Jahr 102v.Chr. in Aquae Sextiae, innerhalb des heutigen Aix-en-Provence, unter. Die Kimbern folgten ein Jahr später, 101 v.Chr. bei Vercellae (Vercelli) in Oberitalien. Nach vielen Jahren des gemeinsamen Kampfes gegen Rom sollen die Krieger der germanischen Stämme die uralte Regel „getrennt marschieren, vereint schlagen“ so eklatant verletzt und damit ihren Untergang besiegelt haben?

Das sollte man nicht glauben. Unter diesem Eindruck könnte auch der Beginn der Züge möglichst neu betrachtet und die Frage gestellt werden, ob die Stämme überhaupt zusammen aufbrachen.

Die Thematik ist sehr komplex und nicht leicht zu verstehen. Noch schwieriger ist es, sie in einer neuen Sichtweise niederzuschreiben. Deshalb soll am Anfang des Buchs die überlieferte Geschichte in der uns bekannten und allgemein gebräuchlichen Fassung stehen. Dann wird versucht, diese in derselben Folge abzuarbeiten und die Abweichungen bzw. Änderungen, ja Schwenks in der Richtung der Handlungen, in einen neuen, möglichst folgerichtigen, Zusammenhang zu fügen.

Dieses Buch lebt von den überlieferten Fakten und Behauptungen. Um es verständlicher und auch unterhaltsamer zu gestalten, werden die unvermeidlichen Lücken in der Überlieferung mit frei erfundenen Darstellungen und Beschreibungen geschlossen. Der Autor bemüht sich um eine überzeugend klingende Ergänzung.

Es bestand nicht die Absicht, ein wissenschaftliches Werk zu schaffen. Eher soll eine alternative Geschichte der Züge erzählt werden, die so oder ähnlich hätte verlaufen können. Wenn es gelänge, durch eine alternative Darstellung der Züge eine kritischere Betrachtungsweise zu erzeugen und vielleicht zu neuen Überlegungen anzuregen, dann könnte sie sogar einen klärenden Beitrag leisten.

Walter Krüger Potsdam 2018

Die Züge der Kimbern und Teutonen nach antiken Überlieferungen

Die Züge der Kimbern und Teutonen nehmen einen großen Raum im historischen Bewusstsein der Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ein. Mit diesen beiden Namen verbinden sich die unterschiedlichsten Erinnerungen und Vorstellungen in der heutigen Bevölkerung Europas, je nachdem, welchem Staat sie angehört und wie sie ihre Geschichte interpretiert. In den lateinischen Ländern, in Frankreich, Italien und Spanien überwiegt der Schrecken, den diese Stämme mit ihren Zügen hinterlassen haben. In den germanischen Ländern, in Dänemark, den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz schwingt eine gewisse Ehrfurcht vor der außergewöhnlichen Leistung, die diese Menschen vollbracht haben, in den Erinnerungen mit. Hinzu kommt, dass zum ersten Mal Menschen des europäischen Nordens in das Licht der antiken Geschichte traten. Vielleicht handelte es sich um Vorfahren der Nord- und Mitteleuropäer, die durch ihre furcht- und respektlosen Begegnungen mit dem mächtigen Rom für die damalige Zeit eine ganz neue und ernst zu nehmende Gefahr darstellten. Man kann sagen, dass die Züge der Kimbern und Teutonen nach heutigen Ansichten der Historiker die Epoche des ausgehenden 2.Jh.v.Chr. in Mitteleuropa und in der römischen Republik wesentlich beeinflusst haben.

Als Kimbern und Teutonen werden zwei germanische Stämme bezeichnet, die im 2.Jh.v.Chr. aus Nordjütland aufgebrochen sein sollen, um sich neues Siedlungsland zu suchen. Angeblich hatten Sturmfluten ihre Wohnorte verwüstet, Klimaverschlechterungen Hungersnöte erzeugt und diese Umstände sie aus ihrer Heimat fortgetrieben. Niemand weiß das genau. Fest steht, dass Kimbern und Teutonen an verschiedenen Orten östlich und westlich der Alpen auftauchten und sich in Kämpfe mit den Römern einließen.

Aus diesem Unternehmen entstand eine fast zwei Jahrzehnte dauernde Wanderung, die unter der Bezeichnung „Züge der Kimbern und Teutonen“ in die europäische Geschichte eingegangen ist.

Im Bild 1 wird die aus den antiken Überlieferungen rekonstruierte Wegstrecke der Kimbern und Teutonen sowie ihrer späteren Verbündeten, den Tigurinern, gezeigt. Ob diese Wege der Wirklichkeit entsprechen, ist bisher nicht eindeutig bewiesen worden, denn die wandernden Stämme hinterließen ihre Spuren bisher nur in den Aufzeichnungen der antiken Historiker über die wichtigsten Schlachten, aber nicht über die Durchquerung , der Alpen , der Provinz Hispania sowie der südlichen und westlichen gallischen Stammesgebiete.

Ausgangspunkt der Züge soll Nordjütland gewesen sein. Der Weg führte nach Süden. Wo genau entlang, kann nur angenommen werden. Wir kennen aus den Überlieferungen weder das Datum des Auszugs, noch die Wegeführung bis in das Stammesgebiet der Boier. Dort wurden sie erstmals von den Historikern genannt. Um das Gebiet dieses großen Stammes zu erreichen, musste bereits eine diplomatische und logistische Meisterleistung vollbracht werden. Hätten sich die Kimbern und Teutonen ihren Weg mit der Waffe in der Hand erkämpfen müssen, wären sie wahrscheinlich nicht einmal bis an die Elbe gelangt. Große Stammesgebiete lagen an ihrem Weg: Das der Jüten,ihrer Nachbarn, das der Angeln, das der Langobarden, das der Semnonen und schließlich das der mächtigen Hermunduren in Mitteldeutschland. Schlesien war von den Vandalen besiedelt. Nur durch deren Gebiet hätten sie zu den Boiern gelangen können. Es fällt schwer zu glauben, dass diese kleinen Stämme von der Küste des Skagerraks und Kattegats eine solch lange Wegstrecke mit Billigung der vielen Stammesführer und Häuptlinge problemlos passieren konnten.

Die zweite überlieferte Begegnung nach der Abwehr durch die Boier fand im Stammesgebiet der Skordisker statt. Endlich gibt uns die Antike Auskunft über ein konkretes Datum, mit dem wir die Zeitschiene der Wanderung eröffnen können. Es ist das Jahr 113v.Chr., in dem die Schlacht von Noreia am Ostrand der Alpen stattfand. Nahe dieses bis heute unbekannten Ortes, der im Königreich Noricum gelegen haben soll, kämpften sie siegreich gegen ein römisches Heer, das von einem Konsul geführt wurde.

Der gemeinsame Zug der Kimbern und Teutonen soll dann weiter bis in die heutige Schweiz geführt haben. Vier Jahre im Dunkeln vergingen, bis wieder eine Jahreszahl unsere Zeitschiene markiert: 109v.Chr. Über tausend Kilometer entfernt von Noreia, diesmal am westlichen Rand der Alpen, trafen die Stämme erneut auf ein konsularisches römisches Heer. Was uns darüber hinaus noch bekannt gemacht und übermittelt wurde, soll in dem nachfolgenden historischen Ablauf dargestellt werden. Es ist die allgemein anerkannte, d.h. auch von den meisten Historikern vertretene Auffassung, die hier aufgeschrieben wurde. Eine Darstellung der Probleme und Zweifel bleibt den Untersuchungen in den folgenden Abschnitten vorbehalten.

Dieser Ablauf, nennen wir ihn Ereigniskette, gibt uns einen ersten umfassenden Überblick über die Geschichte der Züge. Darüber hinausgehende Informationen stehen noch nicht zur Verfügung.

Dennoch bietet sich die kritische Betrachtung dieser Ereigniskette an. Es fällt auf, dass mehrere Brüche in dem anscheinend folgerichtigen Ablauf zu erkennen sind. Sie resultieren aus einigen fragwürdigen Entscheidungen und Handlungen, die den logischen Zusammenhang sprengen. Könnte diese Darstellung der Züge dennoch der Wirklichkeit entsprechen? Es lockt die Versuchung, sich in die Lage der Handelnden zu versetzen und ihre Wege, Gedanken und Entscheidungen nachzuvollziehen. Das ist zwar riskant und bietet keine Garantie, das Vergangene in unsere Wirklichkeit zurückzuholen. Doch könnten sich vielleicht neue Ansätze für tiefergehende Überlegungen finden lassen.

Man erkennt auf Bild 1 an der Spitze Jütlands die Gebiete, aus denen die Kimbern und Teutonen ausgezogen sein sollen. Die violette Linie markiert den Weg beider Stämme von Jütland nach Süden bis an die Donau, wo es zur ersten Begegnung mit den Boiern kam (1). Der Zug erreichte entlang der Donau das Stammesgebiet der Skordisker, wo er wieder abgewehrt wurde (2). Dennoch zogen die Stämme an die Ostalpen nach Noricum, wo es zur Schlacht mit den Römern kam (3). Das war 113v.Chr. Nach dem Sieg setzten sie ihre Wanderung entlang der Alpen fort in das Land der Tiguriner am Bodensee. Einige Jahre sollen sie in dieser Gegend verbracht haben (4).

Bild 1 - Die Züge der Kimbern und Teutonen von etwa 120v.Chr. bis 101v.Chr. Übersichtskarte nach überlieferten Berichten.

109v.Chr. führten sie gemeinsam mit den Tigurinern einen Feldzug gegen die Römer und siegten in der Schlacht bei Lugdunum (5). Einige Zeit später zogen die Tiguriner allein durch gallische Gebiete nach Südwesten an die Garonne und trafen bei Agen und Tolosa auf die Römer (gelbe Linie; 6 und 7), denen sie eine schwere Niederlage beibrachten. Der nächste gemeinsame Zug aller Stämme richtete sich gegen das Herz der Provinz Gallia Narbonensis. Bei Arausio errangen sie einen großen Sieg über zwei römische Heere(8). Danach trennten sich die Teutonen und Kimbern, was an der blauen und roten Linie verfolgt werden kann. An der Mündung der Seine (9) trafen sie sich wieder und zogen zusammen (violette Linie) in ein Winterlager an der Maas (10). 102v.Chr. trennten sich die Stämme erneut. Die Teutonen zogen nach Süden in die Provinz Gallia Narbonensis und scheiterten dort gegen die Römer bei Aix-en-Provence (11), dem römischen Aquae Sextiae. Die Kimbern und Tiguriner zogen durch die Alpen nach Oberitalien in die Provinz Gallia Cisalpina und scheiterten bei Vercellae ebenfalls gegen Konsul Gaius Marius (12).

Was gemeinsam begonnen wurde und zu dem geflügelten Wortpaar „Kimbern und Teutonen“ geführt hatte, ging überraschend getrennt unter.

Soweit die textliche und bildhafte Überlieferung. Was bis jetzt dargestellt wurde, soll in den folgenden Abschnitten, soweit es die historischen Fakten erlauben, weiter aufgefächert werden.

Das Ziel dieser Untersuchungen besteht darin, die unglaublich weitreichenden und eine lange Zeit in Anspruch nehmenden Züge in überschaubare Schritte und Themen zu zerlegen und deren Folgerichtigkeit und Plausibilität zu überprüfen. Die überlieferten Informationen wurden in eine gegliederte Textfassung gebracht, wie sie auf den Seiten 14 und 15 zu sehen ist. Anhand der darin formulierten Sachverhalte und Handlungen wird der nachfolgende Text des Buches seine thematische Gliederung erhalten. Je nach Ergebnis der kritischen Betrachtungen können Teile der Überlieferungen Bestand haben oder müssen neu, d.h alternativ, geschrieben werden.

Wenn wir an die einige Jahrhunderte später beginnende sogenannte Völkerwanderung denken, dann erinnern wir uns daran, dass jeder Stamm mit seinem Zug ein klares Ziel ansteuerte. Und dieses Ziel musste in der Regel mit Diplomatie und Waffengewalt gleichzeitig angestrebt werden. Am Ende der Züge standen die germanischen Reiche auf römischem Boden.

Auch die Kimbern und Teutonen suchten angeblich nach neuem Siedlungsland. Doch spiegelt sich dieses Ziel in ihren Entscheidungen und Handlungen während des Zuges nicht wider. Es ist auch anhand der Überlieferungen nicht zu erkennen, worauf sie eigentlich aus waren, als sie nach ihren militärischen Siegen Siedlungsland quasi verschmähten. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum sie zuerst im Osten der Alpen aktiv wurden und danach über 1000km nach Westen vordrangen. Um diesem Phänomen näher zu kommen, sind noch viele Überlegungen erforderlich.

Doch beginnen wir die kritische Auseinandersetzung dort, wo die Züge ihren Anfang genommen haben sollen, in Jütland. Die Mehrheit der Wissenschaftler hat sich der Auffassung angeschlossen, dass es einen gemeinsamen Zug der Kimbern und Teutonen gab und diese germanischen Stämme aus Jütland kamen. War das wirklich so?

Die Ereigniskette der Züge der Kimbern und Teutonen:

1.Angeblich im Jahr 120v.Chr. verließen zwei germanische Stämme, die Kimbern und Teutonen, ihre angestammten Wohnsitze in Nordjütland mit ihren Familien und ihrem Hab und Gut, um nach neuem Siedlungsland zu suchen.

2.Gemeinsam zogen sie durch Jütland nach Süden bis an die Elbe. Wahrscheinlich folgten sie zuerst dem Fluss stromaufwärts, bogen dann nach Schlesien ab und drangen weiter bis an das böhmisch-mährische Becken vor. Alternativ werden Wanderwege entlang der Oder und Weichsel genannt.

3.Der in Böhmen und Mähren lebende Stamm, der den lateinischen Namen Boii, deutsch Boier, trug, wehrte die Fremden, die nach antiken Quellen aus dem Osten kamen, ab. Dennoch gelangten sie bis an die mittlere Donau.

4.Stromabwärts, in der pannonischen Ebene, trafen sie auf den Stamm der Skordisker. Eine Siedlung mit dem Namen Teutoburgium, später Teil des römischen Limes nahe der Drau-Mündung, soll dafür als Nachweis gelten. Die Skordisker rüsteten sich zur Gegenwehr und zwangen die Kimbern und Teutonen, sich zurückzuziehen.

5.Dieser sogenannte „Rückzug“ führte dennoch durch skordiskisches Gebiet entlang der Drau stromaufwärts bis an den Rand der Alpen. Dort betraten sie den Boden des Königreichs Noricum, das seinen Siedlungsschwerpunkt im heutigen Kärnten hatte. Noricum war mit der römischen Republik befreundet.

6.An der römischen Grenze war bereits ein Heer des Konsuls Gnaeus Papirius Carbo aufgestellt worden. Die Nachricht über die heranziehenden Barbarenhorden war rechtzeitig in Rom angelangt. Sie wurden bereits an der Alpengrenze erwartet. Es kam zu Verhandlungen zwischen den Heerführern. Konsul Gnaeus Papirius Carbo verweigerte die Bitte der Fremden, in Oberitalien siedeln zu dürfen, und forderte die Stämme zum Rückzug auf.

7.Die Kimbern und Teutonen waren bereit, norischen Boden zu verlassen. Nach den Verhandlungen stellte Konsul Carbo den Barbaren jedoch eine Falle und überfiel deren Lager überraschend. Es kam zu einer Schlacht in der Nähe von Noreia, einem bis heute unbekannten Ort, im Jahre 113v.Chr. Der römische Konsul und Feldherr Carbo verlor sie schmählich.

8.Der Ort Noreia wird von vielen österreichischen Historikern und Archäologen in der Nähe von Klagenfurt, am Magdalensberg, gesucht. Die Kimbern und Teutonen nutzten ihren großartigen Sieg nicht, um nach Italien einzurücken und sich Siedlungsland zu nehmen.

9.Stattdessen wanderten sie nach dem Sieg durch die Alpen oder entlang ihrer nördlichen Ausläufer weiter nach Westen in die Gebiete, die Caesar später Helvetien nannte. Auf dem Hinweg sollen sie den Rhein überquert haben. Ihre Ankunft kann zeitlich nicht genau bestimmt werden. Wo sie ihre Lager aufschlugen, ist ebenso wenig bekannt.

10.In Helvetien schlossen sich den Kimbern und Teutonen ansässige Stämme, darunter die Tiguriner und Tougener, an. Die reiche Beute aus den bisherigen Zügen der Fremden soll sie angelockt haben.

11.Gemeinsam drangen sie in den römisch-gallischen Süden vor. Im Jahr 109v.Chr. stellte sich ihnen Konsul Marcus Junius Silanus in den Weg. Er verweigerte, wie zuvor Carbo, die Bitte um Landzuweisung gegen militärische Dienste und es kam zur Schlacht bei Lugdunum (Lyon). Silanus verlor sie. Trotz des Sieges drangen die Stämme auch dieses Mal nicht weiter in die römische Provinz ein. Die Gelegenheit, in der Provinz Gallia Narbonensis zu siedeln, nahmen sie nicht wahr. Wo sie sich nach der Schlacht aufhielten, ist nicht überliefert.

12.Die Tiguriner werden einige Jahre später allein als Eindringlinge in die römische Provinz Gallia Narbonensis erwähnt. Sie wurden 107v.Chr. von einem römischen Heer im Südwesten der Provinz gestellt und errangen bei Agen an der Garonne einen glänzenden Sieg über Konsul Lucius Crassus Longinus und Legat Lucius Calpurnius Piso, die beide im Kampf fielen. Die römischen Soldaten wurden unter das Joch gezwungen. Eine solche Schande rief dauerhaft Rachegefühle in Rom hervor.

13.Der Hauptort der gallischen Volcae Tectosages, Tolosa, an der Garonne gelegen, befreite sich daraufhin von der römischen Herrschaft.

14.Der Konsul Quintus Servilius Caepio eroberte Tolosa 106v.Chr. zurück, plünderte die Stadt und deren Kultstätten. Die Schätze aus den Tempeln verschwanden spurlos.

15.Die KImbern, Teutonen und ihre Verbündeten erschienen nach der Schlacht von Lugdunum und der Schlacht von Agen wieder im Rhonetal. Doch zogen sie über Lugdunum hinaus weiter nach Süden und wurden von zwei römischen Heeren 105v.Chr. bei Arausio (Orange) aufgehalten. Den Heerführern Konsul Gnaeus Mallius Maximus und Prokonsul Quintus Servilius Caepio gelang es nicht, gemeinsam und koordiniert gegen die Germanen und Gallier vorzugehen. Die Römer erlitten deshalb erneut eine schwere Niederlage. Die Verluste erinnerten den Senat an die Schlacht von Cannae 216v.Chr. gegen Hannibal.

16.Aus unbekannten Gründen ergriffen die Sieger wiederum nicht die Gelegenheit, in der Provinz Gallia Narbonensis Land in Anspruch zu nehmen oder weiter nach Oberitalien vorzudringen. Stattdessen zogen sie durch die südliche Provinz bis an die Pyrenäen. Die Kimbern und Teutonen trennten sich dort.

17.Das teutonische Heer zog ab 105v.Chr. quer durch gallische Stammesgebiete entlang der Atlantikküste nach Norden, bis an die Seinemündung, in das Gebiet der Veliocassen. Dort verweilte es.

18.Das Heer der Kimbern schlug angeblich eine ganz andere Richtung ein. Es zog an der Mittelmeerküste über die Ausläufer der Pyrenäen in die römische Provinz Hispania, um diese zu plündern. Danach marschierte es entlang der baskischen Küste über die Pyrenäen zurück nach Norden, ebenfalls bis an die Mündung der Seine, wo es auf die Teutonen traf.

19.Nach der Vereinigung der Kimbern und Teutonen um 104/103v.Chr. gingen sie gemeinsam gegen die Belger, die nördlich der Seine und Marne lebten, vor. Der Grund ist nicht bekannt. Über diese Auseinandersetzungen gibt es keine sicheren Nachrichten.

20.Nach angeblich erfolglosen Kämpfen in belgischen Stammesgebieten zogen die Kimbern und Teutonen gemeinsam ostwärts bis in die Gegenden an der Maas, um dort zu lagern. Wo das Winterlager genau lag, wissen wir nicht. Es wird sowohl links als auch rechts des Rheins und entlang der Maas gesucht. Römische Historiker wollen mehrere solcher Lagerplätze gefunden haben. Im Winterlager beschlossen die Stämme 103v.Chr., erneut gegen die Römer vorzugehen, aber in getrennten Heereshaufen.

21.Die Teutonen und ihre Verbündeten, die Ambronen, wählten den bekannten Weg entlang der Rhone, um von dort auf die ligurische Küstenstraße zu gelangen. Konsul Gaius Marius hatte sich auf diese Begegnung langfristig und gründlich vorbereitet. Aus den bisherigen Niederlagen der Römer zog er die richtigen Schlüsse und reformierte das Heer. Die Bürgermiliz wurde schrittweise in eine Berufsarmee verwandelt. Die Legionäre wurden stärker an den Heerführer gebunden. Logistische und waffentechnische Verbesserungen erhöhten die Kampfkraft der Legionen. Er erwartete die Gegner schon in einem befestigten Lager an der Mündung der Isère in die Rhone. Vergeblich griffen die Teutonen und Ambronen an, gaben jedoch auf und zogen weiter nach Süden. Sie ließen demnach die Römer hinter sich. Nach langen Verfolgungsmärschen stellte Konsul Gaius Marius nahe Aquae Sextiae 102 v.Chr. seine Legionen zur endgültigen Schlacht auf. Die Teutonen und Ambronen wurden in Hinterhalte gelockt und getrennt geschlagen; nach Meinung der römischen Historiker vernichtet. Der Führer der Teutonen, König Teutobodo, wurde von gallischen Truppen gefangen und den Römern übergeben. Er fand nach Marius Triumphzug in Rom den Tod im Kerker.

22.Die Kimbern zogen 102v.Chr. mit den Tigurinern durch Süddeutschland in die Alpen zum Brennerpass und überquerten ihn. Die Tiguriner blieben zurück. Im Etschtal stellte sich den Kimbern Konsul Quintus Lutatius Catulus entgegen. Er verlor den Kampf an der Etsch und musste sich zum Po zurückziehen. Gaius Marius lehnte seine Bitte um eine militärische Verstärkung ab. Er führte erst nach dem Sieg von Aquae Sextiae seine Legionen aus der Provinz Gallia Narbonensis nach Gallia Cisalpina und ergänzte sie durch frisch ausgehobene Wehrpflichtige. In der Schlacht von Vercellae 101 v.Chr. wurde das Heer der Kimbern vernichtet und ihr Anführer König Boierix getötet. Die Tiguriner, die sich am Brenner aufgestellt hatten, zogen ohne Kampf nach Helvetien zurück. Es gibt eine alternative Darstellung, nach der sie an der Schlacht teilgenommen hätten, sich zur Flucht wandten und von Sulla verfolgt worden seien.

23.Die römische Republik feierte Marius als Retter Roms. Nach den Siegen über die KImbern und Teutonen konnten die neue Provinz Gallia Narbonensis und die Ostgrenze in Istrien dauerhaft gesichert werden.

Woher kamen die Kimbern und Teutonen?

Das Problem

Es geht um die beiden ersten Glieder der Ereigniskette des Zuges der Kimbern und Teutonen, denen wir uns widmen sollten. Hier die Wiederholung:

1. Angeblich im Jahr 120v.Chr. verließen zwei germanische Stämme, die Kimbern und Teutonen, ihre angestammten Wohnsitze in Nordjütland mit ihren Familien und ihrem Hab und Gut, um nach neuem Siedlungsland zu suchen.

2. Gemeinsam zogen sie durch Jütland nach Süden bis an die Elbe. Wahrscheinlich folgten sie zuerst dem Fluss stromaufwärts, bogen dann nach Schlesien ab und drangen weiter bis an das böhmisch-mährische Becken vor. Alternativ werden Wanderwege entlang der Oder und Weichsel genannt.

Der Zeitraum von 120v.Chr. bis 113v.Chr., der ersten datierten Schlacht zwischen den Römern und den wandernden Stämmen, ist der dunkelste. Zu ihm gehört auch die Frage nach der Herkunft aus Jütland.

Vorangestellt wird die Tatsache, dass es keine hundertprozentige Sicherheit dafür gibt, Jütland und speziell Nordjütland als die Heimat der Kimbern und Teutonen, zweier germanischer Stämme, zu bezeichnen. Dennoch hat diese Auffassung einen festen Platz in der aktuellen historischen Literatur und in den dazugehörigen Kartenwerken erhalten. Überwiegend stützt sich diese These auf die überlieferten Namen regionaler Landschaften: Thy und Himmerland. Seit der Antike wird die Halbinsel Jütland auch als Kimbrische Halbinsel bezeichnet, was der Vermutung, Heimat der Kimbern zu sein, immer wieder neue Nahrung gab. Die dänische Halbinsel Jütland wird im Norden durch den Limfjord begrenzt, der in der Vorgeschichte einmal die Küste zum Nordmeer bildete. Nach dem Rückzug der Gletscher der letzten Eiszeit bildete sich vor dieser Küste eine Inselkette, die in einigen tausend Jahren zu einer schmalen und langen Insel zusammenwuchs. Sie trägt heute offiziell den Namen Thy-Vendsyssel. Einige Inseln blieben im Fjord erhalten.

Die allgemeine Quellenlage

Weder über die Herkunft der Kimbern und Teutonen, noch über den Weg, den sie genommen haben, ehe sie vor Noreia mit den Römern zusammenstießen, gibt es zuverlässige Nachweise.

Allein die Bezeichnungen Thy (alt:Thyth) und Himmerland genügen nicht als Nachweis dafür, dass die Teutonen und Kimbern aus dieser Region kamen. Hilfreich wären antike Quellen. Einige gibt es tatsächlich, wenn auch nur in kümmerlichen Resten.

Überlieferte Berichte über die Geografie Nordeuropas sind deshalb so gut oder genau, wie es ein wissenschaftliches, kulturelles oder politisches Interesse daran bei den Griechen und Römern gab. Dieses Interesse wurde erst ab Mitte des 1.Jh.v.Chr. sichtbar, als sich die Römer entschlossen, Westeuropa zu erobern und ihre Nordgrenze über den Rhein und die Alpen zu verschieben. Spätestens zur Zeitenwende standen die Römer bereits an der Elbe. Aus diesen Feldzügen sind spärliche Angaben über einige geografische Orte und Bewohner übermittelt worden. Man erwähnte Teutonen an unterschiedlichsten Orten entlang der Nordmeere, aber auch in der norddeutschen Ebene. Kimbern werden als demütige Bittsteller genannt; „kimbrische Vorgebirge“ und ein „Kap der kimbrischen Halbinsel“ tauchen als Begriffe in Berichten auf.

Doch von einer direkten Begegnung zwischen Römern, Teutonen und Kimbern am Nordmeer ist nirgends die Rede. Man kann diese Erwähnungen etwa 100 Jahre nach den eigentlichen Zügen der Stämme nur als Versuche abtun, die hinterlassenen Texte mit Spannung aufzuladen und militärische und politische Erfolge vorzutäuschen, wo sie in Wirklichkeit fehlten.

Im 2. und 1.Jh.v.Chr., als die Kimbern und Teutonen aus Jütland fortgezogen sein sollen, gab es noch keine römischen und griechischen Historiker, die sich für den nordeuropäischen Raum überhaupt interessierten. Die Römer hatten Nordeuropa noch nicht „entdeckt“. Es lag am Rande der Welt. Sowohl die Griechen als auch später die Römer sahen diesen Weltenrand als Ozean, oder besser Okeanos, Gott und Fluss zugleich, wie uns Homer mitteilt. Herodot siedelt dort am Eingang zum Hades die Kimmerioi (lat. Cimmerii) an. Vielleicht ist dies der Grund, warum die Menschen, die eine ähnliche Volksbezeichnung trugen, die Kimbern oder Cimbri, von den Griechen und Römern in den Norden verlegt wurden. Dies würde die Aussagen von Augustus, Vellius, Tiberius und später Ptolemäus über Cimbri auf der „chersonesus cimbrica“ (kimbrische Halbinsel) erklären.

Bild 2 - Nordjütland mit dem Limfjord und den Inseln zur Nordsee und dem Skagerrak. Übersichtskarte

Pytheas von Massalia.Er stammte aus der griechischen Kolonie Massalia (Marsaille) und lebte von etwa 380v.Chr. bis 310v.Chr. Überliefert ist er der Nachwelt als Gelehrter. Ob er auch Kaufmann war, ist mit Sicherheit nicht festzustellen. Massalia war der herausragende Handelsplatz im westlichen Mittelmeer. Unweit der Rhonemündung gelegen und mit einem Netz von Niederlassungen umgeben, betrieben seine Bewohner über die Rhone und Saône erfolgreich Handel mit den benachbarten gallischen Stämmen und den germanischen am Rhein und der oberen Donau. Entlang der Garonne reichten ihre Handelsverbindungen bis auf die Insel Britannien. Die Griechen führten für die nördlich von Massalia wohnenden Menschen die Bezeichnung Kelten (Keltoi) ein. Dies ist ein übergeordneter Begriff für mehrere Stämme, die bis an die antlantische Küste, die Seine, die Marne und den Schweizer Jura siedelten. Die Bewohner der britannischen Insel nannten sie Prettanoi. Ob sie für die Menschen, die nördlich und östlich der Kelten lebten und nicht deren Sprache sprachen, eine spezielle Volksbezeichnung verwendeten, ist unbekannt. Vielleicht konnten die Nordeuropäer, die bis in die keltischen und griechischen Gebiete vordrangen, sich auf keltisch und griechisch verständigen.

Sicher hat Pytheas wie andere griechische Händler seine Reisen dazu genutzt, alle für die Bewahrung des Handelsmonopols wichtigen Informationen zu sammeln und aufzuzeichnen.

Märkte leben davon, dass sie erweitert werden können. Also stießen die Händler auch in neue, unbekannte Gebiete vor. Eine solche Reise soll auch Pytheas unternommen haben. Es ist dabei unerheblich, ob er diese Reise als Händler oder als Gelehrter durchgeführt hat. Zinn, Kupfer und Bernstein waren für den Handel Massalias von großer Bedeutung. Diese Rohstoffe wurden im Süden Britanniens und an der Nordseeküste eingekauft und über die Loire, die Garonne, den Rhein und die Rhone nach Süden gebracht. Es liegt deshalb nahe anzunehmen, dass auch Pytheas einen dieser Wege bevorzugte. Vielleicht wollte er nicht nur die bekannten Zinn-Fundorte aufsuchen und Verbindungen festigen, sondern die Reisen in den Norden der Insel ausdehnen und neue Lager und die Handelsrouten des Bernsteins erkunden. Ob er Britannien verlassen hat und in den nördlichen Ozean vorstieß, ob er tatsächlich die norwegische Küste erreichte und auf seinem Rückweg über die Nordsee, vielleicht zum Rhein, die Bernsteininseln und die Teutonen persönlich kennenlernte, können wir nur vermuten. Doch hat er uns davon berichtet. Da sein Werk „Über den Ozean“, das eine solche Seefahrt dem Titel nach nicht ausschließt, verschollen ist, können die Historiker nur mit Bruchstücken daraus, soweit sie von später lebenden Gelehrten in ihre Werke aufgenommen wurden, arbeiten.

Ein solcher Historiker, der Pytheas zitiert hat, ist Plinius der Ältere. Er übermittelte uns die Nennung der Teutonen aus Pytheas Reisebericht. Es ist das erste Mal, dass diese Stammesbezeichnung in einem antiken Werk erscheint. Nachfolgend die deutsche Fassung des Zitats des Plinius zu den Teutonen (Plinius XXXVII, 11):

Plinius lebte von 23/24v.Chr. bis 79n.Chr., als er während eines Einsatzes beim Ausbruch des Vesuvs in Stabiae den Tod fand. Sein Hauptwerk ist ein naturwissenschaftliches und trägt den Titel „Naturalis Historiae“. In 37 Bänden versuchte er, das Wissen seiner Zeit zusammenzutragen. So verwendete er auch Teile aus Pytheas Werk.

„Pytheas gibt an, ein germanisches Volk, die Guionen, (in anderen Fassungen wird die Bezeichnung Gutones verwendet) wohnen an einer Versumpfung des Ozeans, Aestuarium Metuonis genannt, die sich 600 Stadien weit erstreckt. Eine Tagesreise von da liege die Insel Abalus; dorthin werde der Bernstein im Frühling von den Wellen getrieben und sei eigentlich eine geronnene Ausscheidung der See; die Anwohner gebrauchten ihn statt Holz zum Feuern und verkauften ihn an die benachbarten Teutonen. Timaeus stimmt ihm darin bei, nennt aber die Insel ´Basileia´.“

Das voranstehende Zitat aus seinen Büchern nennt zwei germanische Stämme: die Guionen und die Teutonen. Die Guionen lebten an einem Wattenmeer (Aestuarium), das sich über 112km Küstenlänge erstreckte. Eine Tagesreise von der Küste entfernt nennt er eine Insel Abalus. Die Bewohner dieser Insel verkauften ihren Bernstein nicht an die Guionen, sondern an deren Nachbarn, die Teutonen. Um diese Aussage deuten und bewerten zu können, sollte man berücksichtigen, dass Plinius seine geografische Beschreibung nach der Zeitenwende verfasste. Obwohl er als Offizier in Germanien diente, hat er Pytheas Angaben nicht präzisiert, d.h. er hatte die Nordseeküste, die viel weiter reicht, nicht bereist.

Über die von Pytheas beschriebenen geografischen Orte ist seit über zweihundert Jahren ein heftiger wissenschaftlicher Streit im Gange. Im Wesentlichen gibt es zwei Auffassungen, die miteinander ringen. Die eine legt die Orte seiner Beschreibung in die östliche Ostsee, die andere in die Deutsche Bucht der Nordsee. Da sich Pytheas intensiv mit den Gezeiten, mit Ebbe und Flut, beschäftigt hatte, und auch die Wechselwirkung zu den Mondphasen kannte, müsste er unter Aestuarium das Wattenmeer in der Deutschen Bucht verstanden haben.

Ob Abalus mit Helgoland identisch sein kann, lässt sich nicht klären. Helgoland einschließlich der heutigen Düne und demontierter Felsen hält einen Vergleich als Bernsteininsel mit benachbarten Regionen nicht stand. Es ist möglich, dass es eine andere Insel vor der stetig sinkenden schleswig-holsteinischen Küste gegeben hat.

Wo die Nachbarn, die Teutonen, an der niedersächsischen und/oder schleswig-holsteinischen Küste gelebt haben, muss noch untersucht werden.

Wer aber sind die Guionen bzw. Gutonen, die in dem Zitat genannt werden? Sie müssen eine größere Völkerschaft gebildet haben, wenn sie eine ganze Küstenzone bewohnten. Plinius bezeichnete sie als germanisch. Von Pytheas kann er diesen Begriff nicht übernommen haben. Plinius wird Caesars Buch „Bello Gallico“ gelesen und darin die Bezeichnung Germanen für alle Völker rechts des Rheins gefunden und übernommen haben.

Ganz gleich, ob Pytheas die südliche Nordseeküste selbst in Augenschein genommen hat oder nicht, mit den Bewohnern Britanniens müssen die Griechen schon lange im Kontakt gestanden haben. So könnte er auch Guionen und Teutonen an der britannischen oder gallischen Küste getroffen und gesprochen haben. Die Seefahrt über die Nordsee war seit Jahrhunderten üblich.

Guionen war der übergeordnete Stammesname für die Bewohner der Nordseeküste von Jütland bis Friesland. Das vermittelt auch Tacitus. Die Wohngebiete der Teutonen müssen dazwischen gelegen haben, sollten jedoch sowohl an der östlichen als auch an der südlichen Nordseeküste zu suchen sein.

Durch Archäologen ist inzwischen bewiesen worden, dass die Bewohner der Bernsteinküsten in einem regen Handelsaustausch mit den Bewohnern am Niederrhein standen. Und spätestens an der Rheinmündung dürfte der direkte Kontakt zwischen den Teutonen und den griechischen Händlern aus Massalia geknüpft worden sein. Plinius der Ältere hat die Aussagen Pytheas untermauert. Das konnte er mit einiger Sicherheit tun, weil ihn die Aussagen der älteren Landsleute Tiberius und Paterculus darin bestärken.

Interpretationsversuch

Aus den vorangegangenen Informationen über die Bewohner entlang der Nordseeküste wird trotz aller Unterschiede, Widersprüche und Fehlbezeichnungen deutlich, dass die Teutonen am häufigsten nicht nur an der südlichen und östlichen, sondern sogar an der skandinavischen, gesichtet wurden.

Selbst wenn Tiberius keine Schiffsexpedition in das Kattegat geschickt haben sollte, dann könnte man ihm an der Elbmündung von den Teutonen erzählt haben, von Seefahrern, die bis in die nördlichsten Gegenden hinauf unterwegs waren.

Deshalb sollte man der Überlieferung folgen, dass es Teutonen auf der „kimbrischen Halbinsel“ gegeben habe und daher die Landschaftsbezeichnungen Thy (alt Thyth) und auch Dithmarschen (die Marschen der Dith, eine andere Schreibweise für Thyth) einen Ansatzpunkt für weitergehende Untersuchungen darstellen. Die Kimbern werden viel seltener erwähnt. Ihre Nennung in Nordjütland ist meistens der Tatsache geschuldet, dass die Halbinsel eben „kimbrische“ hieß. In diesem Fall war die geografische Namensgebung schon erfolgt, ehe man überhaupt Kimbern angetroffen hatte. Strabon bezeichnet sie als Nachbarn der Friesen. Augustus nannte sie als Bittsteller auf dem rechten Elbufer, dort, wo nachweislich die Langobarden lebten.

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das von den römischen Autoren geschaffene Wortpaar „Kimbern und Teutonen“ für einen einzigen untrennbaren Stamm stehen sollte.

Wie kann man unter diesen Bedingungen mit der Behauptung umgehen, dass die Kimbern und Teutonen aus Nordjütland kamen? Lebten sie überhaupt dort? Die Landschaft Thy als Siedlungsraum von Teutonen zu betrachten, fällt angesichts der Erwähnungen in der antiken Literatur nicht schwer. Anders ist das im Fall der Kimbern, da wir nur Himmer (nach Himmerland) in Jütland kennen. Und allein von dieser Namensähnlichkeit auf den Stamm zu schließen, der bei Noreia die Römer schlug, erscheint mehr als fragwürdig.

Die Tatsache, dass es Teutonen in Nordjütland gab, reicht noch nicht aus, sie als diejenigen zu betrachten, die später im Rhonetal kämpften. Teutonen lebten verstreut entlang der Küsten der nördlichen Meere. Ihr Stammland lag sicher nicht in Jütland. Es liegt nahe, die Herkunft der Kimbern und Teutonen aus Jütland in das Reich der Legenden zu verweisen.

Um diesen Standpunkt zu untermauern, lohnt es sich, einen Blick in die Geografie Nordjütlands zu werfen.

Bild 3 - Ausschnitt aus dem Rekonstruktionsversuch, die Weltkarte Erastosthenes von Kyrene (zw. 273v.Chr. bis 194v.Chr.) nachzuzeichnen. Sie zeigt u.a. die Quelle der Ister (Donau) im Gebiet der Gallier (Kelten).

Versuch eines geografischen Rückblicks

Die letzte Eiszeit endete vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren. Der südlichste Eisrand lag quer über Nordjütland und verlief in einer Nordwest-Südost-Richtung, was noch heute an den Endmoränenzügen zu erkennen ist. Das zurückweichende Eis und die sich auffüllenden Tiefländer hinterließen das meerumschlungene Jütland mit seinen vielen Fjorden, Seen, Flüssen, Sümpfen, Steilküsten, Dünengürteln und Hügelketten.

Als die Landbrücke zwischen Skandinavien und Jütland im ansteigenden Meer zerriss und aus dem Binnenmeer Ostsee die Verbindungen Kattegat und Skagerrak zur Nordsee entstanden, hatte sich vor der Nordküste Jütlands (dem heutigen Limfjord) eine Gruppe von Inseln gebildet. Das war vor etwa 5000 Jahren. Im 1.Jt.v.Chr. verbanden sich viele kleine Inseln und die große Insel Thy-Vendsyssel nahm annähernd die heutige Gestalt an.

Im Laufe der Jahrhunderte hob sich diese Inselwelt und die Zwischenräume verkleinerten sich, bildeten schließlich Buchten, Sümpfe und Fjorde. All diese Veränderungen erfolgten unter den Augen der dort lebenden Menschen, auch wenn sie in den kurzen Lebenszeiten nicht so auffällig waren.

Die heutige geografische Gestalt Jütlands deckt sich im Wesentlichen mit der vor etwa 2000 Jahren. Unter wesentlich sollen die grobe Form der Halbinsel, ihr fester Kern, der durch die Moränenzüge gebildet wird, das Oberflächenrelief und die Lage und Führung der Flüsse und Seen verstanden werden. Die Küstenlinie Jütlands hat im Westen und Norden unter der Einwirkung der Nordsee innerhalb von zwei Jahrtausenden ihre Lage auf Kosten des Festlandes verändert. Aus einer stark gegliederten Küste ist eine sogenannte Ausgleichsküste entstanden, die immer weiter zurückweicht. Die Ostküste dagegen hat ihre Struktur weitgehend erhalten. Durch die Landhebung sind flache und sumpfige Küstenstreifen entstanden, die heute bewohnt werden können.

Über 540km weit ragt die Halbinsel Jütland aus dem Festland in die nordeuropäischen Gewässer hinein. Im Westen die Nordsee, im Norden das Skagerrak und im Osten das Kattegat und die Ostsee, ist Jütland an drei Seiten von Wasser umgeben. Die nördliche Spitze bildet der Skagen, der das Skagerrak vom Kattegat trennt. Im Süden formte die Eiderniederung mit ihren Sümpfen eine natürliche Trennfläche zur Norddeutschen Tiefebene. Nur 45km bis 65km breit ist der Ansatz der Halbinsel am Festland. Bis auf 180km verbreitert sie sich auf der Höhe von Grenå.

Jütland ist in seiner Oberflächengestalt als Fortsetzung der norddeutschen Tiefebene anzusehen. Ähnlich der deutschen Nordseeküste bilden Wattflächen und Marschland die Westküste, ehe sie als abgeglichene Küste mit schmalen Nehrungen und Moränenkliffs nach Norden führt und am Skagen endet. Aus den ehemaligen Fjorden sind Lagunen entstanden. Die Region der Westküste ist überwiegend flach und mit eher ertragsarmen sandigen Böden ausgestattet.

Im Gegensatz dazu hat die Ostküste ein ganz anderes Erscheinungsbild. Die Küstenlinie ist stark gegliedert. Tiefe Fjorde bilden günstige Voraussetzungen für die Anlage von Häfen.

Im Norden wird das Land vom Limfjord geprägt, der mit seinem zerklüfteten Ufer viele Buchten und Fjorde bildet. Die Strände am Skagerrak sind weit und feinsandig, durch Wind und Anschwemmung geformt. Vor allem an der Jammerbucht. Beeindruckend sind die hohen Wanderdünen, die Rubjerg Knude bei Nørre Rubjerg und Lønstrup und Rabjerg Mile (35m-40m hoch) am Skagen. Waren die Landschaften Thy und Himmerland vor 2000 Jahren von anderer physischer Gestalt als heute? Thy in jedem Fall. Einmal war die Küste an der Nordsee bewegter, d.h. einzelne Landspitzen ragten bis 15km weiter hinaus, zum anderen bildeten die heutigen Seen noch Fjorde, die aber teilweise schon von Landzungen verschlossen waren. Der Limfjord war wahrscheinlich zur Nordsee geöffnet. Seine Buchten im Norden Thys reichten fast bis an die Dünen der Küste des Skagerraks heran. Es wird sogar von dänischen Wissenschaftlern ein Durchbruch zu diesem Meer nicht ausgeschlossen.

Bild 4 - Physische Karte der Halbinsel Jütland mit Moränenzügen, der Wasserscheide (rot) zwischen Nord- und Ostsee sowie dem auf dieser Höhenlinie verlaufenden Heerweg (heute als Ochsenweg bekannt)

Betrachtet man den langen Zeitraum von 120v.Chr. bis zum 21.Jh., dann sind schon erhebliche Veränderungen an der physischen Gestalt zu erkennen. Es gibt verschiedene Ursachen dafür. Eine ganz wesentliche ist die tektonische Bewegung der Landmassen. Nordjütland hebt sich. Landhebung auf der einen Seite zieht Landsenkung auf der anderen nach sich. Von Ringköbing bis Fünen verläuft die zentrale Achse, um die sich nördlich das Land hebt und südlich absenkt.

Aus einem Vortrag über die Meeresspiegelveränderungen von J. Hofstede 2009 ergibt sich ein Schätzwert von 0 – 10cm Landsenkung an der deutschen Nordseeküste pro einem Jahrhundert. Ganz im Gegensatz dazu hebt sich das Land in Nordjütland.

Die Insel Læsø z.B. hebt sich 5 bis 6mm pro Jahr, was in 2100 Jahren immerhin fast 10m ausmachen würde, Meeresspiegelschwankungen nicht berücksichtigt.

Die durchschnittlichen Werte wurden in Bild 5

Kimbern, Boier und Skordisker

Die Kimbern und die Boier

Die Überlieferung

Verfolgen wir nun die Ereigniskette aus der Einleitung weiter und wenden uns den Gliedern 3 und 4 zu. Wenn die Stämme aus Jütland an ihren Wohnorten geblieben wären, wie das im vorigen Abschnitt begründet wurde, dann müssten hinter den in den Überlieferungen erwähnten Begegnungen mit den Boiern und Skordiskern an der Donau andere wandernde Stämme gestanden haben. Hier nochmals die beiden Ereignisse, um die es geht:

3. Der in Böhmen und Mähren lebende Stamm, der den lateinischen Namen Boii, deutsch Boier, trug, wehrte die Fremden, die nach antiken Quellen aus dem Osten kamen, ab. Dennoch gelangten sie bis an die mittlere Donau.

4. Stromabwärts, in der pannonischen Ebene, trafen sie auf den Stamm der Skordisker. Eine Siedlung mit dem Namen Teutoburgium, später Teil des römischen Limes nahe der Drau-Mündung, soll dafür als Nachweis gelten. Die Skordisker rüsteten sich zur Gegenwehr und zwangen die Kimbern und Teutonen, sich zurückzuziehen.

Bis zu diesem Ereignis, hatten wir bereits festgestellt, schweigen die Quellen. An der Donau erst beginnen sie, sich zu öffnen. Strabon schreibt dazu:

Quelle Strabon:„…sie (die Kimbern) wurden zurückgeschlagen von den Boiern am Ister“…

Zu den Boiern sagt Velleius Paterculus etwa um 30n.Chr., dass Boiohaemum die Heimat der Boier sei (Vell. Pat. 2109, 5).

Daraus wurde später die Landschaft Böhmen. Wer hier genau den Boiern gegenüberstand, ist nicht ganz klar. Strabon spricht nur von Kimbern, nicht von Teutonen.

Da Strabon erst 63 v.Chr., im Todesjahr Mithridates VI., geboren wurde, lebten seine Berichte von Überlieferungen, nicht von Augenzeugen. Fakt ist, dass ein fremdes Heer, aus dem Osten kommend, an die Donau rückte und in das Einflussgebiet des Stammes der Boier geriet. Überliefert wird uns die Bezeichnung Kimbern (Cimbri) für die Krieger, aus denen das Heer bestand. Die Erwähnung dieses Stammes durch Strabon ist der erste wirkliche Fakt, der auf die sogenannten „Züge der Kimbern und Teutonen“ verweist. Da die Züge, über die wir sprechen, eigentlich erst hier beginnen, betreten wir Neuland und müssen zu klären versuchen, mit wem wir es zu tun haben. Die hier an der mittleren Donau ansässigen Stämme waren die Boier und Skordisker. Was wissen wir von diesen Völkern? Wer waren die Kimbern? Nennen wir sie noch so. Diesen Fragen müssen wir uns widmen, wenn wir uns dem nächsten konkreten Ereignis, der Schlacht von Noreia 113v.Chr. nähern wollen. Dem antiken griechischen Historiker Strabon, der aus Amaseia in Pontos stammt, darf man als berühmten Geografen vertrauen, die Bezeichnung Kimbern (oder Kimmerer) sachkundig verwendet zu haben. In seiner engeren Heimat lebten noch Nachkommen der Kimmerer. Und gegenüber, auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres, am Kimmerischen Bosporus, siedelten sie auch. Es fällt deshalb nicht schwer, gedankliche Verbindungen zwischen den Kimbern an der Donau, denen auf der Krim, denen im Königreich Pontos und dem König Mithridates VI. herzustellen.

Die Boier

Die Boier werden von den deutschsprachigen Historikern als keltisch bezeichnet. Sie haben in Zentraleuropa gelebt (Vell. 2,109,5; Strab. 7,1,3). Ihr Stammesland soll Boiohaemum (Tac.Germ. 28,2) gewesen sein. Doch ihr Herrschaftsgebiet war weit größer. Darauf weisen einige Orte hin, wie Boiodurum, das spätere Passau (Claudius Ptolemäus erwähnt Boiodurum erstmals im 2.Jh.n.Chr.). Ebenso Manching, das ein boierisches Oppidum war. Erwähnt werden Krieger des Stammes von Caesar, der sie als Verbündete der sogenannten helvetischen Stämme 58v.Chr. in gallischen Gebieten bekämpfte. Durch den dakischen König Burebista erlitten sie 44v.Chr. eine Niederlage an der Donau. Man erkennt an diesen Fakten schon den Bewegungsraum dieses Stammes. Sein geografisches Rückgrat war die obere Donau.

Wenn sich in der Vergangenheit Siedlungsräume entwickelt haben, lag stets ein Flusseinzugsgebiet zugrunde und die Wasserscheiden bildeten die natürlichen Grenzen zu den Nachbarn. Insofern lässt sich das Stammesgebiet sicher als Flusseinzugsgebiet der oberen Donau bestimmen. Im Süden die Alpen, im Westen das Einzugsgebiet des Rheins mit den „helvetischen“ Stämmen, im Nordwesten das Einzugsgebiet des Neckar mit den suebischen Stämmen, im Norden das Einzugsgebiet des Mains mit den Markomannen und im Südosten die Einzugsgebiete von Drau, Mur und Raab als Gebiete des Königreichs Noricum.

Folgt man den antiken Historikern, dann muss das Einflussgebiet der oberen Elbe im böhmischen Becken zum boierischen Gebiet noch hinzugerechnet werden. Die dort lebenden Teile des Stammes der Hermunduren waren wahrscheinlich südlich des Erzgebirges Untertanen oder Mitglieder des boierischen Stammesverbandes. Die Boier nahmen eine Schlüsselstellung in Zentraleuropa ein. Sie waren die Vermittler zwischen dem Handelszentrum Massalia und den Oppida an der Donau und oberen Elbe bzw. der Moldau. Der Handel verlief über die Rhone, die Aare, den Hochrhein bis zur Donau. Wie ein Rückgrat zog sich der Fernhandelsweg entlang des südlichen Donauufers vom Bodensee bis in die Pannonische Ebene hinein. Wichtige Abzweige führten in das suebische Land über das Oppidum Heidengraben, in das Inntal und über den Reschenpass nach Oberitalien, in das Zentrum des Salzbergbaus um Hallstatt und weiter nach Noricum, über das Mühlviertel an die Moldau und weiter zu den Oppida in Böhmen, über das Weinviertel nach Mähren und weiter bis an die baltische Ostseeküste (später als Bernsteinstraße bekannt geworden), und über eben diesen Weg nach Süden bis Aquileia. Über die Donau hinweg bestanden Wege zu den Karpaten.

Bedeutung der Wasserstraßen für die Stammesbildung

Flüsse spielen seit jeher eine herausragende Rolle im Leben der Menschen. Ohne Wasser kein Leben. Sie sind die ältesten Lebens- und Verbindungsadern und damit das verlässlichste Gerüst für die Herausbildung von Siedlungsräumen und Fernwegen. Es gibt nicht den einen Fluss. Stets bilden Wasserläufe ein Netz, das sich aus vielen Quellen entwickelt, über kleinere und größere Nebenflüsse schließlich in einen Hauptfluss mündet. Wir bezeichnen diese Netze als Flusseinzugssysteme. Sie bilden entwicklungsgeschichtlich nicht nur die ältesten und verlässlichsten Siedlungsstränge, sondern die Grundlage für die Entstehung erst kleinerer, dann größerer Siedlungsgemeinschaften, Großfamilien, Sippen, Stämme. Könnte dieses Prinzip auch auf die Skordisker zutreffen? Wir wissen aus der Überlieferung, dass sie bzw. ihre Vorfahren seit langer Zeit an der Save und Morava gelebt haben. Beide Flusseinzugsgebiete ergeben annähernd das Siedlungsgebiet der Skordisker, wie es in den historischen Kartenwerken über die römischen Provinzen auf dem Balkan dargestellt wird. Unter Skordisker, auch wenn sie in der römischen Geschichte stets als ein herausragender Gegner dargestellt wurden, muss man nicht unbedingt einen einheitlichen Stamm verstehen. Nach den aus der vorrömischen Zeit bekannten Strukturen in der Bevölkerung des Balkans kann man sie auch als einen Großstamm, der sich aus einem Bündnis verschiedener Einzelstämme gebildet hatte, bezeichnen. Der wichtigste Fluss, der die gesamte Region der Skordisker und ihrer Nachbarn prägte, war die Donau. In sie mündeten die Flussgebiete der Save, Drave und Morava. In griechischen Überlieferungen wird die Donau als Ister bezeichnet. Gesichert gilt das für den Unterlauf des Flusses von der Save-Mündung bis an das Schwarze Meer.

Ob die Donau im 2.Jh.v.Chr. von den Boiern und Pannoniern schon als Hauptfluss, d.h.zur Ister zugehörig, oder als deren Nebenfluss angesehen wurde, wissen wir nicht. Es ist auch für das behandelte historische Thema ohne Bedeutung. Dass Boote aus dem Land der Boier donauabwärts fuhren, vielleicht bis zu den Skordiskern, oder sogar weiter, dürfte ganz sicher sein.

Das Rückgrat des Stammes waren die beiden Flusssysteme der Save mit ihren vielen Nebenflüssen und der Morava, die südöstlich von Belgrad in die Donau mündet. Vor allem durch die Save verfügte der Stamm über eine vorzügliche Wasserstraße in die Donau. Nur das Eiserne Tor stellte eine für alle Schiffer gefährliche Strecke zum Schwarzen Meer dar. Obwohl die Morava eine wichtige Lebensader des östlichen Stammesgebiets darstellte, war sie als Wasserweg nur für sehr flache Prahme nutzbar, ausgenommen im August/September. Auch stellten die unendlich vielen Mäander für jedes Boot ein großes, zeitaufwendiges Hindernis dar.

Von den heutigen serbischen Behörden wird der Fluss in drei Untereinzugsgebiete geteilt

• Velika Morava (Große Morava)

• Zapadna Morava (Westliche Morava)

• Južna Morava (Südliche Morava)

Diese Gebiete können mit Siedlungsräumen von Teilstämmen gleichgesetzt werden. Seit jeher wurden ethnisch homogene Siedlungsräume durch Wasserscheiden voneinander getrennt. Es soll die These aufgestellt werden, dass sich dieses Einzugsgebiet der Morava überwiegend mit dem Siedlungsgebiet der von Strabon erwähnten Klein-Skordisker deckt.

Nördlich des Einzugsgebiets Velika Morava liegt eine Ebene mit Zuflüssen zur Donau, die als verlängerter Siedlungsraum des Moravatals bezeichnet werden kann. Östlich, durch das Balkangebirge getrennt, bildet der Timacus (Timok) ein kleineres Netz, das nach Norden in die Donau mündet und deshalb einem anderen Stamm gehörte, in diesem Fall den Triballern. Das Bild 16 zeigt eine weitgehende Übereinstimmung der Flusssysteme an der Save und Morava im heutigen Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina mit den Siedlungsgebieten der Stämme der Mitglieder des skordiskischen Großverbandes. Diese Auffassung kann damit begründet werden, dass man in den historischen Karten diese Stammesnamen mit geringen räumlichen Abweichungen in eben diesen Einzugsgebieten finden kann.

Die Save, der aus Westen kommende Nebenfluss der Donau, bildet ein Einzugsgebiet, das von den Ostalpen bis in die pannonische Ebene reicht. Es wird im Norden begrenzt von der Wasserscheide zur Drau, reicht im äußersten Nordwesten bis an die Julischen Alpen und verläuft dann von dort nach Südosten über die Kämme der Dinarischen Alpen bis an das Rudnik-Gebirge.

Die Grenze im Südwesten wird von der Wasserscheide zur Adria gebildet. Doch kann man davon ausgehen, dass die zur Ebene der Save abfallenden Gebirge nur wenig besiedelt waren. Höchstens in den Flusstälern und an den Quellen lebten Menschen. Für die Grenzregionen zwischen den Stämmen waren die Wasserscheiden besonders geeignet, sie wurden häufig bewusst als Ödland belassen.

Strabon nennt die Bewohner der Save-Ebene Groß-Skordisker. Von der Quelle bis zu Mündung sollte ein Fluss in den Händen eines Stammes, eines Stammesverbandes oder von befreundeten Stämmen gleicher Abstammung liegen. Deshalb spielten Quellgebiete solcher Flüsse eine herausragende Rolle im Stammesleben.

Das Flusseinzugsgebiet der Save setzt sich aus mehreren Untersystemen zusammen, die von den Nebenflüssen gebildet werden. Zu gewaltig ist die Ausdehnung dieses Save-Einzugsgebiets von Nordwest nach Südost, ca. 550km lang, als dass ein einziger Stamm es als seinen Lebensraum hätte nutzen können. Diese These wird unterstützt durch Berichte antiker Schriftsteller und Historiker, die in diesem geografischen Raum eine Vielzahl von unterschiedlich großen Stämmen anführen.

Versuchen wir, uns diesen Räumen zu nähern:

Als Quellgebiet der Save gilt die Triglawgruppe in den Julischen Alpen. Die höchste Spitze misst 2864m über dem Meeresspiegel. Menschen, die einst dem Fluss Save bis an seine Quellen folgten, müssen zutiefst beeindruckt gewesen sein von diesem wuchtigen Kalksteinmassiv. Schroffe Felsen, ungeheure Abstürze, schneebedeckte Hänge, finstere Wälder, viele Quellen, Wasserfälle und Höhlen ließen die Fantasie der Menschen seiner Umgebung blühen und den Geheimnis umwitterten Berg zu einem Ort der Götter, Geister und Legenden werden. Einen solchen Berg konnte niemand übersehen. Und wer dort oben am Rande der Gletscher stand, überblickte die riesige, unendliche Ebene Venetiens, sah die blaue Adria, die Hügel und Täler der sich bis an die Alpen hinaufwindenden Ebenen des Ostens, überblickte das Tal Kärntens und konnte die fernen Alpenketten des Dachsteins und andere erkennen. Selbst von der Adria aus, schon auf der Höhe Pulas, konnten die Seeleute bereits den Triglaw erkennen. Die Bezeichnung „Dreihäupter“ stammt nicht von der Form des Bergmassivs. Vielmehr dürften drei Stämme, die an ihn grenzen, namensgebend gewesen sein. Für sie bildete er die Wasserscheide mit dem zugehörigen Ödland: Veneter im Westen (Venetien), Taurisker im Süden und Osten (Slovenien), Carner im Norden (Kärnten).

Die Save ist der bedeutendste Fluss, der aus dem Triglawmassiv entspringt und auch seine Länge von ca. 945km übertrifft die meisten anderen Abflüsse der Alpen. Erlebbar wird die Save nach der Vereinigung mehrerer Quellflüsse bei Radovljica.

Eine Vielzahl von Nebenflüssen durchzog kleinere Siedlungskammern. Manchmal gaben sie Kleinstämmen auch ihre Namen, wie z.B. die Kupa (lat. Colapis) die Bezeichnung für die Colapier. Die Save-Ebene zwischen Zagreb und Slavonski Brod bildet auch auf ihrem linken Ufer einen großen zusammenhängenden Raum. Er wird im Nordosten von der Wasserscheide zur Drau, die eine Hügelkette bildet, begrenzt. Nur die Cesma ist ein linker Nebenfluss von Bedeutung. Alle anderen Gewässer bestehen aus Begleitflüssen der Save und Seen. In der Mitte dieser Landschaft erhebt sich die dicht bewaldete Hügelgruppe Moslavačke Garic bis in 480m Höhe wie eine Insel. Nördlich von Slavonski Brod erstreckt sich eine Hügellandschaft größeren Ausmaßes. Sie trennt die Save-Ebene von der pannonischen, durch die die Drau fließt. Die höchste Erhebung dieses Papuk genannten Gebirges ist der Visoki Vrh mit etwa 900m. Im Prinzip kann man zwischen Drokovo und Belgrad von einem großen geschlossenen Siedlungsraum sprechen, der mit dem Einzugsgebiet der unteren Save identisch ist. Auffällig in dieser Landschaft ist ein kleinerer Gebirgszug, heute Fruska Gora genannt. Etwa 80km lang, grenzt er an das rechte Ufer der Donau und bildet eine bedeutende Landmarke mitten in dieser flachen Landschaft. Als Crveni Čot ragt der höchste Punkt ca. 540m über dem Meeresspiegel empor.

Schon erwähnt wurde der Fluss Tisza (Theiß). Er ist mit über 950km (ca. 1500km vor der Regulierung) Länge der längste Nebenfluss, der aus den Waldkarpaten kommend, die gesamte pannonische Ebene durchfließt. Bei Szeged mündet der aus Transsylvanien kommende Maros in die Theiß ein. Beide Flussläufe waren schiffbar und wurden von Wegen begleitet. Durch die häufigen Überschwemmungen sind die Flüsse verschlammt und die Ufer flach und sumpfig, kaum geeignet für Siedlungen. Das Mündungsgebiet liegt sehr tief, tiefer als das rechte Ufer der Donau und ist weitgehend durch Sümpfe, Seen und tote Flussarme geprägt. Der Fluss kann hier eine Breite bis zu 300m erreichen. Etwas weiter südlich bei Pančevo mündet die Tamiš in die Donau. Für diesen Fluss ist uns ein römischer Name überliefert: Tibiscus. Er ist 359km lang und durchströmt das Banat. Der Unterlauf ist schiffbar. Ansiedlungen am Unterlauf waren wegen der akuten Hochwassergefahr kaum möglich. Schlussfolgernd kann man annehmen, dass der Siedlungsraum rechts der Donau sich nur wenig auf dem linken Ufer fortsetzte.

Das Einzugsgebiet der Save nimmt den großen geografischen Raum ein, der als Siedlungsgebiet der Skordisker in Frage kommt. Erwähnt werden muss daneben das Einzugsgebiet der Drave. Dieser Fluss entspringt in Südtirol, weit ab von der pannonischen Ebene, fließt durch Osttirol, Kärnten und Slowenien, ehe er die pannonische Tiefebene erreicht und bei Dravski Kut in die Donau mündet. An der Grenze zwischen Ungarn und Kroatien zeigt sich der Fluss heute noch ganz ursprünglich. Sein Oberlauf bis ins Kärntner Tal zwängt sich durch schmale Täler, die wenig Raum für Siedlungen boten. Das Kärntner Tal hingegen bildet eine ideale Siedlungskammer. Hier lag das Königreich Noricum. Es ist rundum von hohen Bergen umgeben und der Durchbruch der Drau in die Ebene bildet eine schützende Einengung. Schiffbar ist der Fluss erst ab Maribor, dem Ort, wo der Fluss die Gebirge verlässt. Der größte Zufluss erfolgt durch die Mur, ebenfalls aus den Alpen kommend und bei Legrad einmündend.

Zusammenfassend werden diese Siedlungsräume als wahrscheinlicher Lebensraum der Skordisker im Bild 16 dargestellt.

Neben den Wasserstraßen, die in der vorrömischen Zeit besonders wichtig für die Kommunikation zwischen den Stämmen und Völkern waren, gab es seit Jahrtausenden eine Reihe wichtiger Wege, die das Gebiet der Skordiker durchquerten. Handels- oder Heerwege waren genau wie die Wasserstraßen wichtige Achsen der Siedlungsräume und strukturierten sie und das Siedlungsnetz maßgeblich. Der Streit um Ihre Beherrschung lieferte auch die wichtigsten Gründe für die jahrhundertelangen Auseinandersetzungen mit den Römern. Welche Wege es im 2.Jh.v.Chr. in der Donauregion gab, soll nachfolgend erläutert werden.

Das Fernwegenetz

Wege wurden von Menschen seit Urzeiten ausgetreten. Später kamen die Tiere als Diener der Menschen hinzu, noch später die Karren und die Wagen. Der Einsatz der Wagen erforderte gründliche Überlegungen zum Erhalt oder zur Veränderung von Wegen. Der Mensch geht seinen Weg, einen Weg, der ihm durch seine Vorfahren in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die Wege, die sich im 2.Jh.v.Chr. herausgebildet hatten, waren von großer Nachhaltigkeit geprägt.

Es ist sicher, dass die Römer viele dieser Wege weiterhin benutzten. Sie bauten sie jedoch nach ihrem technischen Wissen aus. Neue Trassen legten sie nur an, wenn dies neue Orte, wie Kastelle, oder Heerstraßen verlangten. Eine Rekonstruktion des damaligen Wegenetzes muss deshalb an das römische Reichsstraßennetz anknüpfen, wenn nicht sogar darauf aufbauen. Eine deckungsgleiche Ableitung des vorrömischen Straßennetzes aus dem Reichsstraßennetz wäre jedoch zu einfach. Schließlich haben die Römer ihre Straßen gerade im Donauraum vordergründig auf die Verteidigung der neuen Reichsgrenze ausgerichtet. Schwerpunkte waren die großen Legionslager, die es in der vorrömischen Zeit noch nicht gab. Ein anderes Straßengerüst entstand aus der Verbindung der wichtigen Verwaltungsund Wirtschaftszentren. Beide Systeme wurden effektiv zusammengeführt. Historiker können auf Karten aus der Zeit der Humanisten und auf Berichte der antiken Schriftsteller zurückgreifen.