Die Kinder der Nacht - Robert E. Howard - E-Book

Die Kinder der Nacht E-Book

Robert E. Howard

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Beschreibung

H. P. Lovecraft: 'Welcher Schriftsteller kann schon mit Howard mithalten, wenn es um pure, lebendige Angst geht?' Robert E. Howard (1906–1936) gilt mit seinen Geschichten um Helden wie Conan von Cimmerien, Red Sonja, Bran Mak Morn, Solomon Kane und Kull von Atlantis als der Begründer der modernen 'Schwert und Magie'-Fantasy. Er war ein Schriftsteller von gewaltiger visionärer und literarischer Kraft, der leider sehr jung starb. Bis heute finden seine fantastisch-historischen Erzählungen eine enorme Fangemeinde. Festa veröffentlicht erstmals auf Deutsch seine unheimlichen Geschichten (5 Bände), darunter einige die zu H. P. Lovecrafts 'Cthulhu-Mythos' gezählt werden können. Das Bonusmaterial bilden Briefe zwischen H. P. Lovecraft und Robert E. Howard sowie Essays zu Leben und Werk des Texaners. Stephen King: 'In Howards besten Erzählungen steckt eine so unglaubliche Energie, dass geradezu Funken sprühen!' Robert Bloch: 'Hinter Howards Erzählungen lauert eine dunkle Poetik, und die zeitlose Wahrheit der Träume.' Horrorgeschichten Band 5 Inhalt: Die Kinder der Nacht Schwarzes Canaan Der Messingpfau Die Götter von Bal-Sagoth Der schwarze Stein Das Haus zwischen den Eichen mit August Derleth »For the Love of Barbara Allen« Der Schatz der Tartaren Die Bewohner der Schwarzen Küste Herr der Toten Garten der Furcht Namen im schwarzen Buch Im Wald von Villefère Der Graue Gott vergeht ekz: 'Versetzte Howard in seiner Fantasy den Leser in eine Scheinwelt voller starker Männer, schöner Frauen und zwielichtiger Magier, so taucht sein Horror mit diversen Ich-Erzählern in die albtraumhafte Welt dunkler Bestien und übernatürlicher Wesen, die die Erde heimsuchen und vernichten wollen - Cthulhu lässt grüßen. Für Horror-Fans ein unverzichtbarer Klassiker.'

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Seitenzahl: 597

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Aus dem Amerikanischen von Manfred Sanders

Impressum

1. Auflage November 2015

Originalausgabe

Copyright © dieser Ausgabe 2015 by Festa Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-319-8

www.Festa-Verlag.de

Die Kinder der Nacht

Ich weiß noch, wir waren zu sechst in Conrads bizarr ausstaffiertem Arbeitszimmer mit seinen wunderlichen Sammlerstücken aus aller Welt und den langen Reihen von Büchern, die von der Mandrake-Press-Ausgabe des Boccaccio bis zu einem Missale Romanum mit Eichenholzeinband, gedruckt 1740 in Venedig, reichten. Clemants und Professor Kirowan führten gerade eine etwas hitzige anthropologische Debatte: Clemants vertrat die Theorie einer originären, eigenständigen Rasse von Alpenbewohnern, während der Professor darauf beharrte, dass diese sogenannte Rasse lediglich aus den Nachfahren ursprünglich indogermanischer Völker bestehe – möglicherweise das Ergebnis einer Vermischung der südländischen oder Mittelmeervölker mit den nordischen Stämmen.

»Und wie«, fragte Clemants, »erklären Sie sich deren Brachyzephalie? Die Mittelmeervölker sind genauso langköpfig gewesen wie die Indogermanen; wie hätte eine Vermischung dieser dolichozephalen Völker einen kurzköpfigen Mischtypus hervorbringen können?«

»Unter bestimmten Bedingungen kann sich ein ursprünglich langköpfiges Volk durchaus verändern«, versetzte Kirowan. »Beispielsweise hat Boaz demonstriert, dass sich bei Einwanderern nach Amerika oft schon nach einer Generation die Schädelform verändert. Und Flinders Petrie hat gezeigt, dass sich die Langobarden innerhalb weniger Jahrhunderte von einem langköpfigen zu einem rundköpfigen Volk gewandelt haben.«

»Aber was rief diese Veränderungen hervor?«

»Vieles ist der Wissenschaft noch unbekannt«, antwortete Kirowan, »deshalb sollten wir nicht dogmatisch denken. Bis heute weiß doch niemand, weshalb die Menschen britischer und irischer Abstammung im Distrikt Darling in Australien zu ihrer ungewöhnlichen Größe heranwachsen – man nennt sie dort ›Cornstalks‹ – oder weshalb Menschen dieser Abstammung schmalere Kieferstrukturen aufweisen, nachdem sie einige Generationen in Neuengland gelebt haben. Das Universum ist ein Hort des Unerklärlichen.«

»Und damit auch des Uninteressanten, wie Machen sagt«, warf Taverel lachend ein.

Conrad schüttelte den Kopf. »Dem muss ich widersprechen. Für mich ist gerade das Unerklärliche von aufreizender Faszination.«

»Was zweifellos all die Werke über Hexerei und Dämonologie erklärt, die ich hier in Ihren Regalen sehe«, schaltete sich Ketrick in das Gespräch ein und winkte mit der Hand in Richtung der Bücherwände.

Lassen Sie mich etwas über Ketrick sagen. Wir sechs waren alle vom gleichen Schlag – Briten oder Amerikaner britischer Herkunft. Und mit ›britisch‹ meine ich alle einheimischen Völker der Britischen Inseln. Wir repräsentierten verschiedene Linien englischen und keltischen Blutes, die jedoch im Grunde genommen alle eins sind. Ketrick allerdings – der war mir schon immer seltsam fremdländisch vorgekommen. Äußerlich zeigte sich diese Andersartigkeit in seinen Augen. Sie leuchteten bernsteinfarben, beinahe schon gelb, und waren leicht abgeschrägt. Manchmal, wenn man sein Gesicht aus bestimmten Winkeln betrachtete, schienen sie so schräg zu stehen wie die eines Chinesen.

Diese Eigentümlichkeit, sehr ungewöhnlich bei einem Mann rein angelsächsischer Herkunft, war zuvor schon anderen aufgefallen. Üblicherweise schrieb man seine schrägen Augen einem hypothetischen pränatalen Einfluss zu, und ich erinnere mich, dass Professor Hendrik Brooler einmal anmerkte, Ketrick sei ohne Zweifel ein Atavismus, bei dem körperliche Merkmale eines fernen Vorfahren mongolischen Blutes aufträten – ein atypischer Atavismus, denn niemand sonst in seiner Familie wies diese Merkmale auf.

Doch Ketrick entstammt dem walisischen Zweig der Cedrics aus Sussex, und seine Erblinie ist im Book of Peers festgehalten. Dort kann man seine Abstammung zurückverfolgen, die lückenlos bis in die Zeit Knuts des Großen reicht. Nicht die geringste Spur einer mongolischen Beimischung tritt in seiner Genealogie zutage, und wie hätte es im alten angelsächsischen England auch zu einer solchen Vermischung kommen können? Denn Ketrick ist die moderne Form von Cedric, und auch wenn jener Zweig der Familie vor der Invasion der Dänen nach Wales geflohen ist, haben sich ihre männlichen Erben durchweg mit englischen Familien der Grenzmarschen verheiratet, und es blieb eine reine Abstammungslinie der mächtigen Sussex-Cedrics – fast rein sächsisch.

Was den Mann selbst angeht, so ist dieser Augenmakel – wenn man ihn denn als Makel bezeichnen will – das einzig Ungewöhnliche an ihm, abgesehen von einem gelegentlichen leichten Lispeln. Er ist überaus intelligent und ein zuverlässiger Freund, wenn man von einer gewissen Distanziertheit und einer etwas kaltschnäuzigen Gleichgültigkeit absieht, die aber vielleicht nur dazu dient, eine allzu sensible Natur zu verbergen.

Auf seine Bemerkung antwortete ich lachend: »Conrad widmet sich dem Geheimnisvollen und Mystischen wie andere Männer der Liebe. Auf seinen Regalen drängen sich ergötzliche Albträume jeglicher Art.«

Unser Gastgeber nickte. »Sie werden dort eine ganze Reihe vorzüglicher Delikatessen finden – Machen, Poe, Blackwood, Maturin. Sehen Sie, hier ist eine sehr seltene Köstlichkeit: die Horrid Mysteries des Marquis von Grosse in der Originalausgabe aus dem 18. Jahrhundert.«

Taverel ließ seinen Blick über die Regale schweifen. »Fantastische Literatur scheint mit Werken über Hexerei, Voodoo und schwarze Magie zu wetteifern.«

»In der Tat. Historiker und Chronisten haben oft einen öden Stil, Geschichtenerzähler jedoch nie – jedenfalls die Meister unter ihnen. Ein Voodoo-Opfer kann auf so langweilige Weise geschildert werden, dass es jeglicher Fantasie beraubt zu einem simplen niederträchtigen Mord wird. Ich gebe zu, dass nur wenige Dichter die wahren Höhen des Horrors berühren – die meisten Erzählungen sind zu konkret, enthalten zu viel irdische Gestalt und Dimension. Doch in Geschichten wie Poes Untergang des Hauses Usher, Machens Geschichte vom Schwarzen Siegel und Lovecrafts Cthulhus Ruf – meiner Ansicht nach den drei Meisterwerken der Horrorliteratur – wird der Leser in dunkle und unirdische Reiche der Vorstellungskraft getragen.

Aber sehen Sie dort«, fuhr er fort, »dort, eingeklemmt zwischen diesem Albtraum von Huysmans und Walpoles Schloss von Otranto: Friedrich Wilhelm von Junzts Unaussprechliche Kulte – falls Sie ein Buch suchen, das Sie die ganze Nacht wach hält!«

»Ich habe es gelesen«, sagte Taverel, »und ich bin mir sicher, dass der Mann wahnsinnig ist. Sein Werk gleicht der Unterhaltung mit einem Verrückten – für eine Weile ist es von einer erstaunlichen Klarheit, doch plötzlich driftet es in Verschwommenheit und unzusammenhängendes Gefasel ab.«

Conrad schüttelte den Kopf. »Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, dass es möglicherweise gerade seine geistige Gesundheit war, die ihn dazu veranlasste, auf diese Weise zu schreiben? Möglicherweise wagte er nicht, alles zu Papier zu bringen, was er wusste? Vielleicht sind seine vagen Vermutungen für den Wissenden ja dunkle und mysteriöse Hinweise, Schlüssel zur Lösung des Rätsels?«

»Unfug!«, kam es von Kirowan. »Wollen Sie damit andeuten, dass einige der Kulte, von denen von Junzt schreibt, bis auf den heutigen Tag überlebt haben – falls sie überhaupt jemals existierten, außer im von Albträumen geplagten Verstand eines geistig zerrütteten Poeten und Philosophen?«

»Nicht nur er benutzte versteckte Bedeutungen«, antwortete Conrad. »In vielen Werken bestimmter großer Dichter findet man Doppeldeutigkeiten. Immer wieder sind in der Vergangenheit Menschen über kosmische Geheimnisse gestolpert und haben der Welt in kryptischen Worten einen Hinweis hinterlassen. Erinnern Sie sich an von Junzts Anspielungen auf ›eine Stadt in der Einöde‹? Was halten Sie etwa von Fleckers Zeilen:

›Geh nicht hindurch! Man sagt, in steinern Wüsten soll noch eine Rose weh’n,

Doch ohne Scharlachrot in ihrem Blatt – und aus dem Herzen strömt kein Duft.‹

Manche mögen durch Zufall auf verborgene Geheimnisse stoßen, doch von Junzt schöpfte tief aus verbotenen Mysterien. Er ist zum Beispiel einer der wenigen gewesen, die das Necronomicon in der originalen griechischen Übersetzung lesen konnten.«

Taverel zuckte die Schultern, und Professor Kirowan, sosehr er auch schnaubte und grimmig an seiner Pfeife zog, antwortete nicht sofort, denn er hatte sich ebenso wie Conrad mit der lateinischen Version des Buches beschäftigt und dort Entdeckungen gemacht, die nicht einmal der nüchternste Wissenschaftler beantworten oder anfechten konnte.

»Nun«, sagte er schließlich, »selbst wenn wir die frühere Existenz von Kulten einräumen, die solche unaussprechlichen und grauenhaften Götter und Wesenheiten wie Cthulhu, Yog-Sothoth, Tsathoggua, Gol-Goroth und dergleichen anbeteten – so kann ich doch unmöglich glauben, dass die Überreste dieser Kulte in den dunklen Ecken unserer heutigen Welt lauern.«

Zu unserer Überraschung kam die Antwort darauf von Clemants. Ein großer, hagerer Mann, schweigsam, fast schon wortkarg, dessen zähes Ringen gegen die Armut seiner Jugendzeit tiefere Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hatte, als es seinem Alter gemäß schien. Wie viele andere Künstler führte er ein ausgesprochen zwiespältiges literarisches Leben – seine Abenteuerromane sicherten ihm ein großzügiges Einkommen, während sein Redakteursposten beim Cloven Hoof ihm die gewünschte künstlerische Plattform verschaffte. Der Cloven Hoof war eine Poesiezeitschrift, deren bizarre Inhalte schon oft das schockierte Interesse der konservativen Kritiker geweckt hatte.

»Sie werden sich erinnern, dass von Junzt in seinem Buch einen sogenannten Bran-Kult erwähnt«, sagte Clemants, während er seinen Pfeifenkopf mit einer besonders scheußlichen Sorte Shagtabak stopfte. »Ich meine, einmal gehört zu haben, wie Sie und Taverel sich darüber unterhalten haben.«

»Wie ich seinen Hinweisen entnehme«, schnaubte Kirowan, »rechnet von Junzt diesen Kult jenen zu, die angeblich noch existieren. Das ist absurd.«

Clemants schüttelte den Kopf. »Als ich ein junger Mann war und mich durch die Universität mühte, hatte ich als Zimmergenossen einen Burschen, der ebenso arm und ehrgeizig war wie ich. Sie wären überrascht, würde ich Ihnen seinen Namen nennen. Obwohl er einer alten schottischen Familie aus Galloway entstammte, war er ganz offensichtlich von nicht-indogermanischem Typus.

Was ich Ihnen hier erzähle, ist natürlich streng vertraulich. Mein Zimmergenosse redete im Schlaf. Nach und nach konnte ich mir etwas aus seinem wirren Gemurmel zusammenreimen. Und dabei hörte ich zum ersten Mal von diesem uralten Kult, den von Junzt erwähnt; von einem König, der das Dunkle Imperium regierte, welches das Erbe eines noch älteren und dunkleren Reiches angetreten hatte, dessen Wurzeln bis in die Steinzeit zurückreichen; und von der riesigen, namenlosen Höhle, in welcher der Dunkle Mann steht – das Bildnis von Bran Mak Morn, von Meisterhand nach seinem Abbild aus Stein gehauen, als der große König noch gelebt hat, und zu dem jeder Anbeter Brans einmal in seinem Leben eine Pilgerfahrt unternimmt. Ja, dieser Kult hat bis heute in den Nachfahren von Brans Volk überlebt – als lautlose, unbekannte Strömung im großen Meer des Lebens wartet er darauf, dass das steinerne Abbild des glorreichen Bran zu plötzlichem Leben erwacht und aus seiner Höhle hervorkommt, um sein verlorenes Imperium erneut zu errichten.«

»Und wer sind die Bewohner dieses Reiches gewesen?«, wollte Ketrick wissen.

»Pikten«, antwortete Taverel. »Zweifelsohne war das Volk, das später als die wilden Pikten von Galloway bekannt wurde, vorwiegend keltisch – eine Mischung aus gälischen, kymrischen, indigenen und möglicherweise teutonischen Elementen. Ob sie ihren Namen von einem älteren Volk übernahmen oder diesem Volk ihren Namen liehen, ist bislang umstritten. Aber wenn von Junzt von Pikten redet, so meint er ausdrücklich dieses kleinwüchsige, dunkle, Knoblauch essende Volk mediterraner Abstammung, das die neolithische Kultur nach Britannien gebracht hat. Sie waren die ersten Besiedler dieses Landes, und sie waren es, auf die sich die Geschichten über Erdgeister und Kobolde bezogen.«

»Da muss ich Ihnen widersprechen«, meinte Conrad. »Die Legenden schreiben den Sagengestalten ein deformiertes und wenig menschenähnliches Erscheinungsbild zu. Die Pikten jedoch hatten nichts an sich, was ein solches Entsetzen und einen solchen Abscheu bei den indogermanischen Völkern hervorrufen konnte. Ich denke eher, dass dem mediterranen Volk ein mongolider Typus vorausging, auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe, der Anlass zu diesen Geschichten...«

»Das mag sein«, unterbrach Kirowan, »aber ich glaube kaum, dass sie den Pikten, wie Sie sie nennen, nach Britannien vorausgingen. Troll- und Zwergenlegenden finden wir überall auf dem Kontinent, und ich neige zu der Annahme, dass die mediterranen und indogermanischen Völker diese Legenden vom Kontinent mitbrachten. Sie müssen wenig Menschenähnliches an sich gehabt haben, diese frühen Mongolenvölker.«

»Jedenfalls«, sagte Conrad, »habe ich hier ein Feuersteinbeil, das ein Bergarbeiter in den walisischen Hügeln gefunden und mir überlassen hat. Die Herkunft des Werkzeugs konnte nie ganz geklärt werden. Es ist offensichtlich nicht von der üblichen neolithischen Machart. Sehen Sie, wie klein es im Vergleich mit den meisten anderen Gerätschaften aus jener Zeit ausfällt, fast wie ein Kinderspielzeug. Und doch ist es überraschend schwer, und zweifelsohne konnte damit ein tödlicher Schlag geführt werden. Ich habe einen Stiel dafür angefertigt, und Sie wären überrascht, wie schwierig es sich darstellte, ihm eine Form und Balance zu geben, die zum Steinkopf passt.«

Wir betrachteten das Werkzeug. Sorgfältig gefertigt und oberflächlich poliert, so wie andere Relikte aus dem Neolithikum, die ich gesehen hatte, und trotzdem schien es, wie Conrad schon sagte, auf seltsame Weise anders zu sein. Die geringe Größe wirkte merkwürdig beunruhigend, denn ansonsten sah es keinesfalls wie ein Spielzeug aus. Es beschwor ähnlich unheilvolle Assoziationen herauf wie ein aztekischer Opferdolch. Conrad hatte den Eichenstiel mit außergewöhnlichem Geschick gefertigt, und indem er ihn passend zum Kopf geschnitzt hatte, war es ihm gelungen, ihm ein ähnlich fremdartiges Aussehen zu verleihen wie dem Beil selbst. Er hatte sogar die Handwerkskunst der Urzeit kopiert und den Kopf mit Lederschnüren im Spalt des Stiels befestigt.

»Du meine Güte!« Taverel simulierte mit dem Beil einen unbeholfenen Ausfall gegen einen imaginären Gegner und hätte dabei beinahe eine kostbare Shang-Vase zerschlagen. »Die Balance dieser Waffe ist ja völlig exzentrisch; ich müsste meine ganze Körperhaltung und mein Gleichgewicht ändern, um damit umzugehen.«

»Lassen Sie mich mal sehen.« Ketrick nahm das Werkzeug und versuchte ungeschickt, das Geheimnis seiner Handhabung zu entschlüsseln. Schließlich, schon leicht verärgert, schwang er es in die Höhe und schlug energisch nach einem Schild, der dort an der Wand hing. Ich stand direkt daneben, sah, wie sich das höllische Beil in seiner Hand wie eine lebende Schlange wand und seinen Arm aus der Schlagrichtung riss. Ich hörte einen erschrockenen Warnruf – und dann umfing mich Dunkelheit, als mich der Stein am Kopf traf.

Langsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Zuerst gab es da nur ein dumpfes Gefühl der Blindheit und der völligen Desorientierung; ich wusste nicht, wo oder was ich war. Dann ein vager Eindruck von Leben und Sein, und ich spürte, wie sich etwas Hartes schmerzhaft in meine Seite drückte. Und schließlich lichteten sich die Nebel, und ich kam vollends zur Besinnung.

Ich lag auf dem Rücken, halb in einem Gestrüpp. Mein Kopf pochte entsetzlich. Mein Haar war mit klumpigem Blut verklebt, das offenbar von einer Kopfverletzung herrührte. Doch meine Augen wanderten über meine Gliedmaßen und meinen Körper – nackt bis auf einen Lendenschurz aus Hirschleder und Sandalen aus dem gleichen Material – und entdeckten keine weiteren Wunden. Das, was sich da so unangenehm in meine Seite presste, musste meine Axt sein, auf die ich gestürzt war.

Jetzt drang ein abscheuliches Gebrabbel an meine Ohren und riss mich endgültig aus der Benommenheit. Die Laute erinnerten entfernt an Sprache, aber nicht an Sprache, wie Menschen sie gewohnt waren. Es klang mehr wie das wiederholte Zischen vieler großer Schlangen.

Entsetzt schlug ich die Augen auf. Ich befand mich in einem ausgedehnten, düsteren Wald. Die Lichtung lag ganz im Schatten, daher wirkte sie selbst im Tageslicht sehr dunkel. Aye – dieser Wald war dunkel, kalt, still, gigantisch und überaus grausig. Und ich blickte direkt auf die Lichtung.

Mir bot sich ein Schlachtfeld. Fünf Männer lagen dort – oder das, was einmal fünf Männer gewesen waren. Als ich ihre entsetzlichen Verstümmelungen gewahrte, schrie meine Seele auf. Und über ihnen kauerten die ... Kreaturen. Sie waren wohl so etwas wie Menschen, auch wenn sie mir nicht so vorkamen. Klein und stämmig, mit klobigen Köpfen, zu groß für ihre dürren Körper. Ihr Haar wirkte verfilzt und strähnig, ihre Gesichter breit und plump, mit flachen Nasen, grässlich schiefen Augen, einem schmalen Spalt als Mund und spitzen Ohren. Gekleidet waren sie in Tierhäute, so wie ich, doch diese Häute schienen nur grob bearbeitet zu sein. Sie trugen kleine Bögen und Pfeile mit Feuersteinspitzen, Steinmesser und Keulen. Und sie kommunizierten mit Lauten, die so abscheulich waren wie sie selbst, mit zischenden, reptilienhaften Lauten, die mich mit Entsetzen und Abscheu erfüllten.

Oh, ich hasste sie; mein Geist tobte in weißglühender Wut. Und jetzt erinnerte ich mich auch: Wir hatten gejagt, wir sechs jungen Männer des Schwertvolkes, tief waren wir in diesen düsteren Wald gewandert, den unser Volk für gewöhnlich mied. Müde von der Jagd hatten wir eine Rast eingelegt; mir wurde die erste Wache übertragen, denn in jenen Tagen war kein Schlaf sicher ohne einen Wachtposten. Jetzt zerrissen Scham und Ekel mein Inneres. Ich war eingeschlafen – hatte meine Gefährten im Stich gelassen. Und da lagen sie, erschlagen und zerfleischt – abgeschlachtet im Schlaf, von diesem Ungeziefer, das es nie gewagt hätte, sich ihnen im fairen Kampf zu stellen. Ich, Aryara, hatte ihr Vertrauen verraten.

Aye, ich erinnerte mich. Ich war eingeschlafen, und mitten in einem Traum von der Jagd explodierten plötzlich Feuer und Funken in meinem Kopf, und ich versank in eine noch tiefere Dunkelheit, in der es keine Träume gab. Und dies erwies sich als meine Strafe. Die Kreaturen, die uns verstohlen durch den dichten Wald gefolgt waren und mich bewusstlos geschlagen hatten, hatten sich nicht damit aufgehalten, mich ebenfalls zu verstümmeln. Sie hielten mich für tot und machten sich eilig an ihre grausige Arbeit. Und jetzt mochten sie mich vorübergehend vergessen haben. Ich hatte etwas abseits der anderen gesessen, und als sie mich niederschlugen, war ich halb unter einige Büsche gestürzt. Bald jedoch würden sie sich wieder meiner entsinnen. Und dann würde ich nie wieder jagen, nie wieder die Tänze von Jagd und Liebe und Krieg tanzen, nie mehr die Flechthütten des Schwertvolkes erblicken.

Aber ich hatte auch gar nicht den Wunsch, zu meinem Volk zurückzukehren. Sollte ich etwa mit meiner Geschichte von Schande und Ehrlosigkeit angekrochen kommen? Sollte ich mir die Worte der Verachtung anhören, mit denen mein Stamm mich bedachte, sollte ich mir ansehen, wie die Mädchen verächtlich mit dem Finger auf den jungen Mann zeigten, der auf der Wache eingeschlafen war und seine Gefährten den Messern dieses Gewürms überantwortet hatte?

Tränen brannten in meinen Augen, und ein brütender Hass stieg in meiner Brust und meinem Geist auf. Niemals würde ich das Schwert des Kriegers tragen, niemals über würdige Gegner triumphieren und ehrenvoll unter den Pfeilen der Pikten oder den Äxten des Wolfsvolkes oder des Stamms unten am Fluss sterben. Nein, ich würde den Tod von der Hand dieses widerlichen Gesindels finden, das die Pikten schon vor langer Zeit wie Ratten in das Dickicht des Waldes getrieben hatten.

Und eine rasende Wut ergriff mich und trocknete meine Tränen, ersetzte sie durch die Berserkerglut des Zornes. Wenn diese Reptilien mir mein Ende bereiten wollten, dann musste ich dafür sorgen, dass es ein Ende wurde, das sie so schnell nicht vergaßen – falls solche Tiere überhaupt ein Gedächtnis besaßen.

Ganz vorsichtig bewegte ich meine Hand, bis sie auf dem Griff meiner Axt zu liegen kam. Und dann rief ich Il-marinen an und sprang auf wie ein Tiger. Und wie ein Tiger fuhr ich zwischen meine Feinde und zerschmetterte einen flachen Schädel, wie man den Kopf einer Schlange zertritt. Ein wildes Geschrei erhob sich unter meinen Opfern, und für einen Moment scharten sie sich um mich und schlugen und stachen auf mich ein. Ein Messer versetzte mir einen Schnitt über die Brust, doch ich beachtete ihn nicht. Ein roter Nebel wogte vor meinen Augen, Gliedmaßen und der ganze Körper bewegten sich im Einklang mit meinem kämpfenden Geist. Fauchend hackte und schlug ich um mich wie ein Tiger unter Reptilien. Nur Augenblicke später wichen sie zurück und flohen, ließen mich mit einem halben Dutzend verkümmerter Leichen zurück. Aber mein Blutdurst war noch nicht gestillt.

Ich verfolgte den Größten von ihnen, dessen Kopf mir höchstens bis zur Schulter reichte und der ihr Anführer zu sein schien. Er floh eine Art Trampelpfad entlang, kreischte dabei wie eine monströse Eidechse, und als ich ihn fast erreicht hatte, tauchte er mit schlangenartigem Geschick in die Büsche ab. Doch ich war zu schnell für ihn, und so zerrte ich ihn heraus und schlachtete ihn auf blutrünstigste Weise ab.

Und durch die Büsche sah ich den Pfad, den er zu erreichen versucht hatte – einen Pfad, der sich zwischen den Bäumen wand, beinahe zu schmal, um einem Menschen normaler Größe die Fortbewegung zu ermöglichen. Ich hackte den abscheulichen Kopf meines Opfers ab, und mit dieser grausigen Trophäe in der Linken ging ich die geschlängelte Fährte entlang, die blutige Axt in der anderen Hand haltend.

Als ich nun eilig den Pfad entlangging und bei jedem Schritt das Blut aus der durchtrennten Halsader meines Feindes auf meine Füße spritzte, dachte ich über jene nach, die ich da jagte. Aye, wir hatten vor ihnen eine so geringe Achtung, dass wir am Tage sorglos in dem Wald jagten, in dem sie ihr Unwesen trieben. Wie sie sich selber nannten, hatten wir nie erfahren, denn keiner aus unserem Stamm hatte je dieses verfluchte Zischen erlernt, das sie als Sprache benutzten. Doch wir nannten sie Kinder der Nacht. Und Nachtwesen waren sie, denn sie schlichen durch die Tiefen der dunklen Wälder und ihre unterirdischen Behausungen und wagten sich nur dann in das Hügelland vor, wenn ihre Bezwinger schliefen. Nur des Nachts begingen sie ihre niederträchtigen Untaten – das schnelle Zustoßen eines Feuersteinmessers, um ein Stück Vieh abzuschlachten, manchmal auch einen vom Weg abgeirrten Menschen, oder sie entführten ein Kind, das sich zu weit vom Dorf entfernt hatte.

Doch es war mehr als das, was ihnen ihren Namen eingebracht hatte. Sie konnten wahrhaftig als Bewohner der Nacht und der Dunkelheit und der uralten grauenerfüllten Schatten längst vergangener Zeiten gelten. Denn diese Kreaturen waren alt und entstammten einem vergessenen Zeitalter. Sie hatten einst dieses Land überrannt und besessen; später hatten sie die finsteren, grimmigen Pikten dann ins Dunkel der Wälder vertrieben. Jene Pikten, mit denen wir nun im Krieg lagen und die sie ebenso hassten und verabscheuten wie wir.

Die Pikten unterschieden sich äußerlich von uns, sie waren untersetzt und hatten eine dunklere Haut und ebensolche Augen und Haare, während wir hochgewachsen und kräftig aufragten, mit blondem Haar und hellen Augen. Aber trotz allem waren sie vom gleichen Schlag wie wir. Diese Kinder der Nacht dagegen betrachteten wir mit ihren deformierten zwergenhaften Körpern, der gelben Haut und den abstoßenden Gesichtern nicht als Menschen. Aye, sie waren Reptilien. Nichts als Ungeziefer.

Und mein Geist schien vor Zorn platzen zu wollen, als ich darüber nachdachte, mit diesem Ungeziefer meine Axt zu tränken und anschließend zu sterben. Bah! Es liegt keine Ehre darin, Schlangen abzuschlachten oder an ihren Bissen zu verrecken. Meine ganze Wut und wilde Enttäuschung richtete sich auf die Objekte meines Hasses, und mit dem altbekannten roten Nebel vor meinen Augen schwor ich bei allen Göttern, die ich kannte, vor meinem Tod ein solch blutiges Gemetzel anzurichten, dass die Überlebenden sich meiner mit Entsetzen erinnerten.

Mein Volk würde mich dafür nicht in Ehren halten, denn zu sehr verachtete es die Kinder der Nacht. Doch diejenigen, die ich am Leben ließ, würden sich mit Schaudern an mich erinnern. Das schwor ich und verstärkte den Griff um meine Axt, deren Blatt aus Bronze bestand, fest mit Lederschnüren in einem Spalt des Eichengriffs befestigt.

Nun hörte ich ein abscheuliches zischendes Gemurmel, und ein widerlicher Gestank wehte mir durch die Bäume entgegen – menschlich, ja, aber zugleich weniger als menschlich. Einige Augenblicke später trat ich aus den tiefen Schatten auf einen großen freien Platz. Noch nie zuvor hatte ich ein Dorf der Kinder der Nacht gesehen. Es handelte sich um eine Ansammlung von Lehmkuppeln mit niedrigen, halb in den Boden eingelassenen Eingängen; armselige Behausungen, halb über und halb unter der Erde. Aus den Erzählungen alter Krieger wusste ich, dass diese Bauten durch unterirdische Gänge miteinander verbunden waren, das ganze Dorf ähnelte also mehr einem Ameisennest oder einem Gewirr von Schlangenlöchern. Und ich fragte mich, ob nicht von hier aus andere unterirdische Gänge ausgingen und erst weit entfernt von den Dörfern zurück ans Tageslicht kamen.

Vor den Lehmbauten hatte sich zischend und plappernd eine große Gruppe dieser Kreaturen zusammengerottet.

Ich hatte meinen Schritt beschleunigt, und als ich nun aus der Deckung brach, tat ich es mit der Leichtfüßigkeit meines Volkes. Ein wildes Geschrei erhob sich aus dem Gebrabbel, als die Kreaturen den Rächer hoch aufragend, blutüberströmt und mit blitzenden Augen aus dem Wald stürmen sahen. Mit wütendem Gebrüll schleuderte ich das rot triefende Haupt zwischen sie und stürzte mich wie ein verwundeter Tiger in das dichteste Getümmel.

Oh, jetzt gab es kein Entkommen mehr für sie! Sie hätten vielleicht in ihre Gänge fliehen können, aber ich wäre ihnen gefolgt bis in die tiefsten Eingeweide der Hölle. Sie wussten, sie mussten mich töten, und so umringten sie mich, einhundert Mann stark.

Da gab es kein wildes Auflodern glorreicher Wut in meinem Geist, wie ich es gegen einen ehrenvollen Feind empfunden hätte. Aber der alte Berserkerwahn meines Volkes tobte in meinem Blut, und der Geruch nach Tod und Verderben stieg in meine Nase.

Ich weiß nicht, wie viele von ihnen ich niedermetzelte. Ich weiß nur, dass sie wie eine wimmelnde, tödliche Masse über mich herfielen, so wie Schlangen über einen Wolf, und dass ich sie niedermähte, bis die Klinge meiner Axt schartig und verbogen und der Griff kaum mehr als ein Knüppel war; ich zerschmetterte Schädel, spaltete Köpfe, zermalmte Knochen und verspritzte Blut und Gehirnmasse in einem einzigen blutigen Opferfest für Il-marinen, den Gott des Schwertvolkes.

Aus Dutzenden von Wunden blutend, halb geblendet von einem Schnitt über den Augen, spürte ich, wie ein Steinmesser tief in meine Leiste eindrang und zur selben Zeit eine Keule meine Kopfhaut aufriss. Ich ging in die Knie, aber ich kämpfte mich erneut hoch und gewahrte in einem dichten roten Nebel einen Ring von heimtückisch grinsenden, schiefäugigen Gesichtern. Ich schlug um mich wie eine sterbende Raubkatze, und die Gesichter zerplatzten zu blutigen Fratzen.

Als ich niedersank, aus dem Gleichgewicht gebracht von der Heftigkeit meines Schlages, umklammerte eine klauenbewehrte Hand meine Kehle, und ein Steinmesser wurde zwischen meine Rippen getrieben und brutal herumgedreht. Unter einem Hagel von Schlägen ging ich zu Boden, aber der Mann mit dem Messer lag unter mir, und mit meiner linken Hand fand ich ihn und brach ihm das Genick, bevor er sich davonwinden konnte.

Das Leben wich nun rasch aus mir; durch das Zischen und Heulen der Kinder der Nacht konnte ich die Stimme von Il-marinen vernehmen. Und noch einmal kämpfte ich mich trotzig hoch, in einem Wirbelwind aus Keulen und Speeren. Ich konnte meine Feinde nicht länger sehen, nur noch den roten Nebel. Aber ich konnte ihre Schläge spüren und wusste, dass sie auf mich eindrangen. Ich stemmte meine Füße in den Boden, packte den schlüpfrigen Stiel der Axt mit beiden Händen, und indem ich noch einmal Il-marinen anrief, hob ich die Waffe und teilte einen letzten verheerenden Schlag aus. Ich muss auf meinen Füßen gestorben sein, denn ich spürte keinen Fall; und während ich wusste, mit einem letzten Aufwallen von Wildheit, dass ich traf, während ich das Zersplittern von Schädeln unter meiner Axt spürte, überschwemmten mich Dunkelheit und Vergessen.

Unvermittelt kam ich zu mir. Ich saß zurückgelehnt in einem großen Sessel, während Conrad mir Wasser ins Gesicht spritzte. Mein Kopf schmerzte, etwas Blut war mir ins Gesicht gelaufen und halb getrocknet. Kirowan, Taverel und Clemants umringten mich mit besorgten Gesichtern, während Ketrick direkt vor mir stand, mit einer Miene höflicher Bestürzung, die seine Augen nicht widerspiegelten. Er hielt noch immer das Beil in der Hand. Beim Anblick dieser verfluchten Augen wallte eine blutrote Raserei in mir auf.

»Sehen Sie«, sagte Conrad gerade, »ich habe Ihnen doch gesagt, dass er gleich wieder zu sich kommt; es ist nur ein leichter Schlag gewesen. Er hat schon Schlimmeres eingesteckt. Alles wieder in Ordnung, nicht wahr, O’Donnel?«

Doch ich stieß ihn zur Seite und stürzte mich mit einem hasserfüllten Knurren auf Ketrick. Er wurde völlig überrumpelt und hatte keine Chance, sich zu wehren. Meine Hände umklammerten seine Kehle, und gemeinsam krachten wir auf die Überreste eines Diwans. Die anderen schrien überrascht und entsetzt auf und sprangen vor, um uns zu trennen – oder besser gesagt: mich von meinem Opfer herunterzureißen, denn Ketricks schräge Augen traten ihm bereits aus den Höhlen.

»Um Gottes willen, O’Donnel!«, schrie Conrad, während er versuchte, meinen Griff zu lösen. »Was ist denn in Sie gefahren? Ketrick hat Sie doch nicht absichtlich geschlagen – lassen Sie los, Sie Idiot!«

Ein wilder Zorn überkam mich, Zorn auf diese Männer, die meine Freunde waren, Männer meines eigenen Stammes, und ich verfluchte sie und ihre Blindheit, als es ihnen endlich gelang, meine strangulierenden Finger von Ketricks Hals zu lösen. Verzweifelt nach Luft schnappend, setzte er sich auf und tastete die blauen Abdrücke ab, die meine Finger hinterlassen hatten, während ich tobte und fluchte und mich fast aus dem gemeinsamen Griff der vier anderen winden konnte.

»Ihr Narren!«, schrie ich. »Lasst los! Lasst mich meine Pflicht als Mann meines Stammes tun! Was schert mich der jämmerliche Schlag, mit dem er mich getroffen hat – er und seinesgleichen haben mir härtere Schläge versetzt, in vergangenen Zeitaltern. Ihr Narren, er ist gezeichnet mit dem Brandmal des Tieres – des Reptils –, des Ungeziefers, das wir vor Jahrhunderten ausgerottet haben! Ich muss ihn zertreten, ihn ausmerzen, die unschuldige Erde vom Fluch seiner Besudelung befreien!«

So wütete und tobte ich, bis Conrad Ketrick keuchend über die Schulter zurief: »Gehen Sie, schnell! Er hat den Verstand verloren! Er ist übergeschnappt! Gehen Sie ihm besser aus dem Weg.«

Und nun blicke ich hinaus auf das Hügelland und die Anhöhen und dichten Wälder dahinter und denke nach. Irgendwie hat mich der Schlag dieses uralten verfluchten Steinbeils zurück in ein anderes Zeitalter und ein anderes Leben geworfen. Während ich Aryara gewesen bin, war ich mir keines anderen Lebens bewusst. Kein Traum, eher ein verirrter Splitter einer Realität, in der ich, John O’Donnel, einst lebte und starb und in die ich durch einen unbeabsichtigten Schlag gegen den Kopf über die Abgründe von Raum und Zeit hinweg zurückversetzt wurde. Die verschiedenen Zeiten sind wie Zahnräder, die nicht ineinandergreifen, sondern sich gegenseitig ignorierend vor sich hin mahlen. Gelegentlich jedoch – oh, sehr selten! – greifen die Zähne ineinander; die Teile des Puzzles setzen sich für einen kurzen Augenblick zusammen und gestatten dem Menschen einen flüchtigen Blick hinter den Schleier dieser alltäglichen Blindheit, die wir Realität nennen.

Ich bin John O’Donnel, und ich war Aryara, der träumte von glorreichen Schlachten und Jagden und Festen und der starb auf einem blutigen Leichenhaufen seiner Feinde in einem vergessenen Zeitalter. Aber in welchem Zeitalter? Und wo?

Die letzte Frage kann ich beantworten. Berge und Flüsse ändern ihre Form, Landschaften wandeln sich – doch das Hügelland bleibt. Ich blicke auf das Land hinaus und erinnere mich daran, nicht nur mit John O’Donnels Augen, sondern auch mit Aryaras. Das Hügelland hat sich kaum verändert. Nur der große Wald ist geschrumpft und an vielen Stellen ganz verschwunden. Aber hier in diesem Hügelland hat Aryara gelebt und gekämpft und geliebt, und in jenem Wald ist er gestorben. Kirowan hatte unrecht. Die kleinen, wilden, dunklen Pikten sind nicht die ersten Menschen auf den Inseln gewesen. Vor ihnen waren schon andere Wesen hier – aye, die Kinder der Nacht. Legenden – nein, die Kinder der Nacht waren uns nicht unbekannt, als wir auf die Insel gekommen sind, die heute Britannien heißt. Schon vorher sind wir ihnen begegnet, lange vorher. Wir erzählten uns bereits Legenden über sie. Aber wir fanden sie in Britannien wieder. Die Pikten hatten sie nicht vollständig ausgerottet.

Und die Pikten sind auch nicht, wie so viele glauben, Jahrhunderte vor uns gekommen. Wir haben sie bei unserer Ankunft vor uns hergetrieben, auf der langen Wanderung aus dem Osten. Ich, Aryara, kenne alte Männer, die noch an dieser jahrhundertelangen Wanderung teilgenommen hatten; die als Säuglinge in den Armen blonder Frauen über unzählige Meilen von Wald und Ebenen getragen worden und als junge Männer in der Vorhut der Invasoren marschiert waren.

Was das Zeitalter angeht – dazu vermag ich nicht viel zu sagen. Aber ich, Aryara, bin zweifelsohne ein Indogermane, genau wie mein Volk indogermanisch war – und Teil einer der unzähligen unbekannten und nirgendwo verzeichneten Völkerwanderungen, durch die sich blonde, blauäugige Stämme über die ganze Welt verteilten. Die Kelten sind nicht die Ersten gewesen, die in das westliche Europa kamen. Ich, Aryara, bin vom selben Blut und gleichen Erscheinungsbild wie die Menschen, die Rom plünderten, aber meine Abstammungslinie reicht noch viel weiter zurück. Von der Sprache, die ich spreche, ist kein Echo im wachen Geist von John O’Donnel verblieben, aber ich weiß, dass Aryaras Idiom sich zum Altkeltischen verhält wie das Altkeltische zum modernen Gälisch.

Il-marinen! Ich erinnere mich an den Gott, den ich angerufen habe, den uralten Gott der Metallbearbeitung – damals Bronze. Denn Il-marinen war einer der Urgötter der Indogermanen, aus dem viele andere Götter hervorgingen; im Zeitalter des Eisens nannte man ihn Wieland und Vulkan. Aber für Aryara war er Il-marinen.

Und Aryara – er war nur ein Mann aus vielen Stämmen und vielen Wanderungen. Nicht nur das Schwertvolk kam und lebte in Britannien. Vor uns war das Flussvolk hier, und das Wolfsvolk kam nach uns. Indogermanen wie wir, helläugig, groß und blond. Wir kämpften gegen sie, aus den gleichen Gründen, aus denen die zahlreichen Zweige der Indogermanen schon immer gegeneinander gekämpft hatten, genau wie die Achäer gegen die Dorier kämpften, wie die Kelten und Germanen sich gegenseitig die Kehlen durchschnitten – aye, genau wie die Hellenen und die Perser, die einst als ein Volk auf Wanderschaft gingen, sich dann aber auf dem langen Treck in zwei unterschiedliche Richtungen wandten und Jahrhunderte später erneut aufeinandertrafen und Griechenland und Kleinasien mit Blut tränkten.

Aber man muss verstehen, dass ich das alles nicht als Aryara wusste. Ich, Aryara, hatte keine Ahnung von diesen weltumspannenden Wanderungen meines Volkes. Ich wusste nur, dass wir Eroberer waren, dass meine Vorfahren vor einem Jahrhundert noch in den großen Ebenen weit im Osten gelebt hatten, Ebenen, bevölkert mit grimmigen, gelbhaarigen, helläugigen Menschen wie mir; dass meine Vorfahren in einer großen Wanderung nach Westen gezogen waren; und dass meine Stammesangehörigen, wenn sie bei dieser Wanderung auf die Stämme anderer Völker trafen, diese zertraten und vernichteten. Und wenn sie auf andere gelbhaarige, helläugige Stämme trafen, sei es von früheren oder neueren Wanderungen, kämpften sie brutal und gnadenlos gegen sie, entsprechend den alten, unlogischen Gebräuchen der Indogermanen.

All das wusste Aryara, und ich, John O’Donnel, der so viel mehr und doch so viel weniger weiß, als ich, Aryara, wusste, habe das Wissen dieser beiden Identitäten vereint und bin dabei zu Schlussfolgerungen gelangt, die viele geachtete Forscher und Historiker verblüffen und erschrecken dürften.

Eine Tatsache jedoch ist wohlbekannt: In einem sesshaften und friedlichen Leben degenerieren Indogermanen schnell. Die ihnen gemäße Lebensweise ist das Nomadentum. Wenn sie sesshaft werden und Ackerbau betreiben, bereiten sie damit den Weg für ihren Niedergang; und wenn sie sich hinter Stadtmauern einpferchen, besiegeln sie ihr Schicksal. Denn ich, Aryara, erinnere mich an die Geschichten der alten Männer – wie die Söhne des Schwertes auf ihrer langen Wanderung auf Dörfer weißhäutiger, blonder Menschen stießen, die schon Jahrhunderte zuvor nach Westen gezogen waren und ihr Nomadenleben aufgegeben hatten, um neben den dunklen, Knoblauch essenden Völkern zu leben und sich ihren Lebensunterhalt aus der Scholle zu holen. Und die alten Männer erzählten davon, wie weich und schwach sie waren und wie schnell sie unter den Bronzeschwertern des Schwertvolkes fielen.

Und folgt denn nicht die gesamte Geschichte der indogermanischen Völker diesem Muster? Man sehe sich nur an, wie schnell die Perser auf die Meder folgten, die Griechen auf die Perser, die Römer auf die Griechen und die Germanen auf die Römer. Aye, und die Normannen beerbten die germanischen Stämme, als diese nach einem Jahrhundert des Friedens und der Untätigkeit weich wurden, und nahmen diesen die Beute weg, die sie in den südlichen Ländern geraubt hatten.

Aber lassen Sie mich über Ketrick reden. Ha – die Nackenhaare sträuben sich mir, sobald nur sein Name erwähnt wird! Ein Atavismus, aye, ein Rückfall auf alte Abstammungsmerkmale – aber nicht die Merkmale eines modernen Chinesen oder Mongolen. Die Dänen hatten seine Vorfahren in die Hügel von Wales getrieben, und dort, in welchem mittelalterlichen Jahrhundert und auf welch heimtückische Weise auch immer, hat sich dieser verfluchte urzeitliche Makel in das reine sächsische Blut der keltischen Linie eingeschlichen, um lange Jahre im Verborgenen zu schlummern. Die keltischen Waliser haben sich ebenso wenig mit den Kindern der Nacht vermischt wie die Pikten. Aber es muss Überlebende gegeben haben – Überreste dieses Ungeziefers, lauernd in jenen düsteren Hügeln, die über ihre Zeit hinaus fortbestanden haben. Schon zu Aryaras Zeiten waren sie kaum menschlich. Wie müssen sich tausend Jahre der Degeneration auf sie ausgewirkt haben?

Welche schändliche Kreatur schlich sich in einer längst vergessenen Nacht in die Burg der Ketricks oder stürzte sich aus dem Halbdunkel auf eine Frau des Stammes, die allein die Hügel durchstreifte?

Die Vorstellungskraft schreckt vor diesem Bild zurück. Aber eins weiß ich: Es muss noch Überlebende aus jener abscheulichen reptilienhaften Epoche gegeben haben, als die Ketricks nach Wales kamen. Vielleicht gibt es sie heute noch. Doch dieser Wechselbalg, dieser Bastard der Finsternis, diese Horrorgestalt, die den noblen Namen der Ketricks trägt – er ist mit dem Zeichen der Schlange gebrandmarkt, und bis zu seiner Vernichtung wird es keine Rast für mich geben. Nun, da ich weiß, was er wirklich ist, verpestet er die saubere Luft und hinterlässt den Schleim des Schlangengezüchts auf der grünen Erde. Der Klang seiner lispelnden, zischenden Stimme erfüllt mich mit einem schleichenden Grauen, und der Anblick seiner schiefen Augen weckt in mir die Raserei.

Denn ich entstamme einem königlichen Volk, und so etwas wie er ist eine ständige Beleidigung und Bedrohung, wie eine Schlange, die zu meinen Füßen kriecht. Ich gehöre einem majestätischen Volk an, auch wenn es mittlerweile durch die ständige Vermischung mit eroberten Völkern degeneriert und im Niedergang begriffen ist. Die verschiedenen Wellen fremden Blutes haben mein Haar schwarz werden lassen und meine Haut abgedunkelt, aber noch immer verfüge ich über die herrschaftliche Statur und die blauen Augen eines königlichen Indogermanen.

Und ebenso, wie meine Vorfahren – und ich, Aryara – den Abschaum, der sich unter unseren Füßen wand, vernichtet haben, so werde ich, John O’Donnel, diese heimtückische Kreatur ausmerzen, diese monströse Brut mit ihrem reptilienhaften Makel, der so lange ungeahnt in den unverdorbenen angelsächsischen Adern schlummerte; dieses kriecherische Schlangenwesen, das der Söhne der Indogermanen spottet. Es heißt, der Schlag, den ich erhielt, habe meinen Verstand beeinträchtigt, doch ich weiß, dass er mir lediglich die Augen öffnete.

Mein uralter Feind wandert oft allein durch die Moore, angetrieben von ererbten Begierden, auch wenn es ihm nicht bewusst sein mag. Und auf einer dieser einsamen Wanderungen werde ich ihm begegnen, und wenn ich ihn treffe, breche ich ihm mit meinen eigenen Händen seinen widerlichen Hals, so wie ich, Aryara, vor langer, langer Zeit die Hälse der verabscheuenswerten Nachtwesen gebrochen habe.

Und dann mögen sie mich nehmen und mir mein Genick am Ende eines Seils brechen, wenn sie wollen. Ich bin nicht blind, auch wenn meine Freunde es möglicherweise sind. Und in den Augen der alten indogermanischen Götter, wenn schon nicht in den blinden Augen der Menschen, werde ich meinem Stamm treu gedient haben.

Schwarzes Canaan

1Ein Ruf aus Canaan

»Ärger am Tularoosa Creek!« Eine Warnung, die jedem einen kalten Schauder der Furcht über den Rücken jagen musste, der in jenem abgelegenen Landstrich namens Canaan, zwischen dem Tularoosa und dem Black River, aufgewachsen war – und ihn sofort in diese von Sümpfen umschlossene Region eilen ließ, ganz egal, wo die Nachricht ihn erreichte.

Es war nur ein Flüstern von den welken Lippen einer hinkenden alten Schwarzen, die längst in der Menge verschwunden war, bevor ich sie festhalten konnte, aber es genügte. Es gab keinen Grund, eine Bestätigung zu suchen; es gab keinen Grund, herausfinden zu wollen, auf welchen mysteriösen, dunklen Wegen die Nachricht sie erreicht hatte. Es gab keinen Grund nachzufragen, welche finsteren Kräfte bewirkt hatten, dass sie ihre runzligen Lippen einem Black-River-Mann gegenüber öffnete. Es genügte, dass die Warnung weitergegeben wurde – und verstanden.

Verstanden? Wie hätte ein Black-River-Mann diese Warnung nicht verstehen können? Sie konnte nur eines bedeuten: Alter Hass brodelte erneut in den Dschungeltiefen des Sumpflandes, dunkle Schatten huschten zwischen den Zypressen umher, und Tod und Verderben gingen von dem schwarzen, geheimnisvollen Dorf aus, das an den moosbewucherten Ufern des Tularoosa finster vor sich hin brütete.

Kaum eine Stunde später blieb New Orleans mit jeder Umdrehung des Schaufelrades weiter hinter mir zurück. Für jeden, der in Canaan geboren ist, existiert dieses unsichtbare Band, das ihn nach Hause zieht, wenn seine Heimat von den finsteren Schatten bedroht wird, die seit mehr als einem halben Jahrhundert in den Tiefen des Urwalds lauern.

Die schnellsten Boote, die ich finden konnte, kamen mir unerträglich langsam vor bei meinem Rennen den großen Strom hinauf und dann den kleineren, unruhigen Nebenfluss entlang. Ich brannte vor Ungeduld, als ich am Anleger von Sharpsville an Land ging, die letzten 15 Meilen meiner Reise noch vor mir. Es war schon nach Mitternacht, trotzdem eilte ich zum Mietstall, wo – dank einer Tradition, ein halbes Jahrhundert alt – immer ein Buckner-Pferd wartet, bei Tag und bei Nacht.

Während ein schläfriger schwarzer Stallbursche die Sattelgurte anzog, wandte ich mich an den Besitzer des Stalls, Joe Lafely, der mich im Licht seiner Laterne gähnend musterte. »Es gibt Gerüchte über Ärger am Tularoosa?«

Im Laternenlicht sah ich ihn erblassen. »Weiß nicht. Hab Andeutungen gehört. Aber ihr Leute in Canaan seid ’ne mundfaule Sippschaft. Außerhalb weiß niemand, was dort drinnen los ist ...«

Die Nacht verschluckte seine Laterne und seine Stimme, als ich auf der Landstraße westwärts galoppierte.

Der Mond schien rot durch die schwarzen Kiefern. Eulen riefen tief in den Wäldern, und irgendwo heulte ein Hund seine ewige Schwermut in die Nacht. In der Dunkelheit kurz vor der Morgendämmerung überquerte ich den Negro Head Creek, einen Streifen aus glänzendem Schwarz, gesäumt von Wänden aus massiven Schatten. Die Hufe meines Pferdes platschten durch das flache Wasser und klackten auf den feuchten Steinen erschreckend laut in der Stille. Unmittelbar dahinter beginnt der Landstrich, den man Canaan nennt.

Einige Meilen weiter nördlich und dem gleichen Sumpf entspringend, der auch den Tularoosa Creek hervorbringt, fließt der Negro Head Creek genau südwärts, um sich einige Meilen westlich von Sharpsville mit dem Black River zu vereinen, während der Tularoosa nach Westen fließt und weiter flussaufwärts in das gleiche Gewässer mündet. Das Bett des Black River verläuft etwa von Nordwesten nach Südosten. Und diese drei Wasserläufe umschließen das unregelmäßige Dreieck, das unter der Bezeichnung Canaan bekannt ist.

In Canaan lebten die Söhne und Töchter der weißen Pioniere, die als erste das Land besiedelt hatten, und die Söhne und Töchter ihrer Sklaven. Joe Lafely hatte recht – wir waren eine selbstgenügsame, mundfaule Brut und eifersüchtig auf unsere Abgeschiedenheit und Unabhängigkeit bedacht.

Hinter dem Negro Head wurde der Wald dichter. Die Straße verengte sich und wand sich durch unkultivierte Nadelgehölze, gelegentlich unterbrochen von Lebenseichen und Zypressen. Kein Laut war zu hören bis auf das leise Getrappel der Hufe auf dem Staub des Weges und das Knarren des Sattels. Und dann lachte jemand kehlig in den Schatten.

Ich zügelte das Pferd und starrte ins Dunkel. Der Mond war untergegangen und der Morgen noch nicht angebrochen, aber ein schwaches Leuchten zitterte zwischen den Bäumen, und darin konnte ich eine undeutliche Gestalt unter den moosbehangenen Zweigen ausmachen. Instinktiv suchte meine Hand den Kolben einer der Duellpistolen, die ich bei mir führte, und diese Bewegung lockte ein weiteres leises, musikalisches Lachen hervor, spöttisch und doch verführerisch. Ich erspähte ein braunes Gesicht, ein Paar funkelnder Augen und weiße Zähne, die ein keckes Lächeln zur Schau stellten.

»Wer zum Teufel bist du?«, wollte ich wissen.

»Warum bist du so spät noch unterwegs, Kirby Buckner?« Eine neckische Amüsiertheit umspielte ihre Stimme. Der Akzent klang fremd und unvertraut; ein leicht negroides Näseln schwang darin mit, aber es wirkte so voll und sinnlich wie der kurvige Körper der Sprecherin. Im glänzenden Wust ihrer dunklen Haare schimmerte eine weiße Blüte blass in der Dunkelheit.

»Was machst du hier? Du bist weit von jeder Negerhütte entfernt. Und ich kenne dich nicht.«

»Ich bin nach Canaan gekommen, nachdem du fortgegangen warst«, antwortete sie. »Meine Hütte liegt am Tularoosa. Aber ich habe mich verirrt. Und mein Bruder hat sich das Bein verletzt und kann nicht laufen.«

»Wo ist dein Bruder?«, fragte ich unbehaglich. Ihr perfektes Englisch empfand ich als beunruhigend, zu sehr hatte ich mich an das übliche Kauderwelsch der Schwarzen gewöhnt.

»Dort hinten im Wald, weit hinten!« Mehr mit einer wiegenden Bewegung ihres biegsamen Körpers als mit einem Wink ihrer Hand deutete sie in die schwarze Tiefe, und dabei lächelte sie mich keck an.

Ich wusste, es gab keinen verletzten Bruder, und sie wusste, dass ich es wusste, und lachte mich aus. Aber ein seltsamer Aufruhr widerstreitender Gefühle tobte in mir. Ich hatte mich noch nie zuvor für eine schwarze oder braune Frau interessiert. Aber diese Mulattin war anders als jede, die ich jemals getroffen hatte. Ihre Gesichtszüge wirkten so ebenmäßig wie die einer Weißen, und ihre Sprache schien nicht die einer einfachen Frau zu sein. Und doch hatte sie etwas Barbarisches an sich, in der offenen Verlockung ihres Lächelns, im Glanz ihrer Augen, in der schamlosen Haltung ihres verführerischen Körpers. Mit jeder Geste, jeder Bewegung hob sie sich von den gewöhnlichen Frauen ab; ihre Schönheit machte einen ungezähmten und gesetzlosen Eindruck, eher dafür geschaffen, einen Mann in den Wahnsinn zu treiben, als ihn zu besänftigen. Sie machte ihn blind und benommen, stachelte in ihm all die ungezügelten Leidenschaften an, die er von seinen äffischen Vorfahren geerbt hatte.

Ich erinnere mich kaum daran, wie ich abstieg und mein Pferd anband. Das Blut pochte betäubend in meinen Schläfen, als ich sie finster anstierte, misstrauisch und doch fasziniert.

»Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du?«

Mit einem aufreizenden Lachen nahm sie meine Hand und zog mich tiefer in die Schatten. Gebannt von dem Licht, das in ihren Augen glänzte, war ich mir kaum bewusst, was sie tat.

»Wer kennt denn nicht Kirby Buckner?«, rief sie lachend. »Alle Menschen in Canaan sprechen von dir, Weiße wie Schwarze. Komm! Mein armer Bruder sehnt sich danach, dich zu sehen!« Und sie lachte in hämischem Triumph.

Es war diese dreiste Unverfrorenheit, die mich wieder zur Besinnung brachte. Ihr höhnischer Spott brach den hypnotischen Bann, in den sie mich gezogen hatte.

Unvermittelt blieb ich stehen, schlug ihre Hand beiseite und knurrte: »Was für ein teuflisches Spiel treibst du hier, Weib?«

Augenblicklich verwandelte sich die lächelnde Sirene in eine blutgierige Raubkatze. Ihre Augen loderten mordgierig auf, ihre roten Lippen verzogen sich zu einem Zähnefletschen, und mit einem schrillen Schrei sprang sie zurück. Das Trampeln bloßer Füße antwortete auf ihren Schrei. Durch die Laubdecke drang das erste blasse Licht des Morgens und präsentierte mir meine Angreifer: drei hagere schwarze Riesen. Ich sah das glänzende Weiß ihrer Augen, die entblößten, glitzernden Zähne und das Schimmern nackten Stahls in ihren Händen.

Meine erste Kugel durchschlug den Schädel des Größten von ihnen und tötete ihn in vollem Lauf. Meine zweite Pistole klickte nur – das Zündhütchen musste sich gelöst haben. Ich rammte die Waffe in ein schwarzes Gesicht, und als der Mann halb betäubt zu Boden ging, riss ich mein Bowiemesser heraus und stellte mich dem dritten. Ich parierte seinen Stich, und mein Gegenangriff fuhr ihm über die Bauchmuskeln. Er schrie auf wie ein Sumpfpanther und versuchte wild, nach meiner Messerhand zu greifen, aber ich schlug ihn mit der linken Faust ins Gesicht und spürte seine Lippen platzen und seine Zähne knirschen. Er taumelte zurück, wild mit dem Messer fuchtelnd. Bevor er das Gleichgewicht wiederfand, setzte ich ihm nach, stieß zu und erwischte ihn unter den Rippen. Er stöhnte und fiel in einer Lache seines eigenen Blutes zu Boden.

Ich wirbelte herum und hielt Ausschau nach dem zweiten. Er stand gerade auf, Blut lief ihm über Gesicht und Hals. Als ich auf ihn losging, stieß er einen entsetzten Schrei aus und floh ins Unterholz. Der Lärm seiner blinden Flucht wurde mit zunehmender Entfernung leiser. Die Frau war fort.

2Der Fremde am Tularoosa

Das merkwürdige Leuchten, in dessen Schein ich die Mulattin zuerst gesehen hatte, war verschwunden. In der Aufregung hatte ich es vergessen. Aber ich verschwendete keine Zeit mit dem vergeblichen Versuch, nach seiner Quelle Ausschau zu halten, als ich mich zurück zum Weg tastete. Mysteriöses spielte sich in den Nadelwäldern ab, und ein geisterhaftes Licht, das zwischen den Bäumen schwebte, war nur ein Teil davon.

Mein Pferd schnaubte und zerrte an den Zügeln, beunruhigt von dem Blutgeruch, der in der schweren feuchten Luft hing. Hufe klapperten die Straße entlang, Gestalten wurden im Dämmerlicht sichtbar. Stimmen riefen.

»Wer ist da? Bleibt stehen und gebt Euch zu erkennen, sonst schießen wir!«

»Warte, Esau!«, rief ich. »Ich bin’s – Kirby Buckner.«

»Kirby Buckner, bei meiner Seele!«, stieß Esau McBride hervor und senkte seine Pistole. Die hochgewachsenen Gestalten der anderen Reiter ragten hinter ihm auf.

»Wir hörten ’nen Schuss«, sagte McBride. »Wir sind auf den Straßen um Grimesville Patrouille geritten, so wie wir’s nun schon seit ’ner Woche jede Nacht machen, seit sie Ridge Jackson umbrachten.«

»Wer hat Ridge Jackson umgebracht?«

»Die Sumpfneger. Mehr wissen wir auch nicht. Ridge kam eines Morgens aus dem Wald und klopfte an Captain Sorleys Tür. Der Captain sagt, er sei blass wie Asche gewesen. Er rief dem Captain zu, er solle ihn um Gottes willen reinlassen, er müsse ihm was Schreckliches sagen. Na ja, der Captain geht zur Tür, aber bevor er die Treppe runter ist, hört er einen furchtbaren Aufruhr unter den Hunden draußen und dann einen Schrei, wohl von Ridge, wie er meint. Und als er aus der Tür kommt, findet er nichts als ’n toten Hund im Hof mit eingeschlagenem Schädel, und die anderen drehten alle durch. Später fand man Ridge, draußen zwischen den Kiefern ’n paar Hundert Meter vom Haus. So wie der Boden und die Büsche zugerichtet waren, muss er wohl von vier oder fünf Mann bis dahin geschleift worden sein. Vielleicht waren sie’s dann leid, ihn mitzuschleifen. Jedenfalls haben sie seinen Kopf zerschlagen und ihn da liegen gelassen.«

»Ich will verdammt sein!«, fluchte ich. »Da hinten im Unterholz liegen zwei Neger. Vielleicht wisst ihr, wer die sind. Ich kenne sie nicht.«

Kurz darauf standen wir auf der kleinen Lichtung, die jetzt weiß in der zunehmenden Morgendämmerung leuchtete. Eine schwarze Gestalt fand sich auf den blutigen Kiefernnadeln, ihr Kopf in einer Lache aus Blut und Gehirnmasse. Weiteres Blut befleckte den Boden und die Büsche auf der anderen Seite der Lichtung, aber der verwundete Schwarze war verschwunden.

McBride drehte den Leichnam mit dem Fuß herum.

»Einer von den Negern, die mit Saul Stark kamen«, murmelte er.

»Wer zum Teufel ist das?«, wollte ich wissen.

»’n komischer Neger, der eintraf, kurz nachdem du das letzte Mal den Fluss runtergezogen bist. Sagt, er kommt aus South Carolina. Wohnt in der alten Hütte im Neck – du weißt schon, die Hütte, in der Colonel Reynolds’ Neger früher gelebt haben.«

»Ich schlage vor, dass du mit mir nach Grimesville reitest, Esau«, antwortete ich, »und mir unterwegs alles über die Sache erzählst. Ihr anderen könnt euch ja hier ein bisschen umsehen, ob ihr einen verwundeten Neger im Busch findet.«

Sie stimmten ohne Widerrede zu; die Buckners hatten schon immer stillschweigend als eine Art Anführer in Canaan gegolten, und für mich war es ganz natürlich, ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten. Niemand erteilte einem Weißen in Canaan Befehle.

»Dachte mir schon, dass du bald auftauchst«, begann McBride, als wir die Straße entlangritten. »Bist meistens auf dem Laufenden, was in Canaan los ist.«

»Was ist denn los?«, hakte ich nach. »Ich weiß gar nichts. Eine alte Schwarze hat mir in New Orleans zugeflüstert, dass es Ärger gibt. Natürlich bin ich so schnell gekommen, wie ich konnte. Drei fremde Neger haben mir aufgelauert ...« Ich verspürte einen seltsamen Unwillen, die Frau zu erwähnen. »Und jetzt erzählst du mir, dass jemand Ridge Jackson umgebracht hat. Was hat das alles zu bedeuten?«

»Die Sumpfneger haben Ridge getötet, damit er seinen Mund hält«, meinte McBride. »Anders ist es nicht zu erklären. Müssen dicht hinter ihm gewesen sein, als er an Captain Sorleys Tür klopfte. Ridge hat den größten Teil seines Lebens für Captain Sorley gearbeitet – er hielt viel von dem alten Mann. Irgend’ne Teufelei wird in den Sümpfen ausgeheckt, und Ridge wollte den Captain davor warnen. So erklär ich mir das.«

»Ihn vor was warnen?«

»Wissen wir nicht«, räumte McBride ein. »Deshalb sind wir ja alle auf der Hut. Vielleicht ’n Aufstand.«

Dieses eine Wort reichte aus, um Furcht im Herzen jedes Bewohners von Canaan zu entfachen. Die Schwarzen hatten sich 1845 erhoben, und der blutige Terror dieser Revolte war nicht vergessen, ebenso wenig wie die drei Aufstände davor, als die Sklaven rebelliert und Feuer und Tod vom Tularoosa bis zu den Ufern des Black River verbreitet hatten. Die Furcht vor einem schwarzen Aufstand lauerte unauslöschlich in den Tiefen dieses vergessenen Landstrichs; schon die Kinder sogen sie mit der Muttermilch in sich auf.

»Was bringt dich auf den Gedanken, dass es ein Aufstand sein könnte?«, fragte ich.

»Zum Beispiel, dass die Neger alle die Felder verlassen haben. Sind samt und sonders nach Goshen gegangen. Hab seit ’ner Woche keinen Neger mehr in Grimesville gesehen. Die Stadtneger sind verschwunden.«

In Canaan treffen wir immer noch eine Unterscheidung, die aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammt. ›Stadtneger‹ sind die Nachfahren der Hausdiener der alten Zeit, und die meisten von ihnen leben in oder unweit von Grimesville. Es sind nicht viele, verglichen mit der Masse der ›Sumpfneger‹, die sich auf kleine Farmen entlang der Bäche oder am Rand der Sümpfe verteilen oder die schwarze Stadt Goshen am Tularoosa. Sie sind die Nachkommen der Feldarbeiter von früher. Unberührt von den Segnungen der Zivilisation, welche den Hausdienern eine gewisse Kultiviertheit verliehen haben, sind sie so primitiv geblieben wie ihre afrikanischen Vorfahren.

»Wo sind die Stadtneger hin?«, fragte ich.

»Weiß keiner. Sind vor ’ner Woche verschwunden. Verstecken sich wahrscheinlich unten am Black River. Wenn wir gewinnen, werden sie zurückkommen. Wenn nicht, verkriechen sie sich in Sharpsville.«

Ich fand seinen nüchternen Tonfall etwas beunruhigend – als sei der Aufstand bereits eine erwiesene Tatsache.

»Und was habt ihr unternommen?«, wollte ich wissen.

»Gab nicht viel, was wir tun konnten«, gestand er. »Die Neger haben noch nichts offen unternommen, bis auf den Mord an Ridge Jackson – und wir können nicht beweisen, wer es getan hat oder warum. Die haben nichts weiter angestellt, als sich zu verziehen. Aber das ist sehr verdächtig. Wir sind uns fast sicher, dass Saul Stark dahintersteckt.«

»Wer ist dieser Kerl?«

»Hab dir schon alles gesagt, was ich weiß. Er hat die Erlaubnis bekommen, sich in dieser alten, verlassenen Hütte am Neck einzunisten. Er ist ’n großer schwarzer Teufel, der besser Englisch spricht, als ich’s von ’nem Neger eigentlich hören will. Aber er war immer höflich und respektvoll. Drei oder vier große schwarze Burschen aus South Carolina hatte er bei sich und ’n braunes Frauenzimmer, von dem wir nicht wissen, ob sie seine Tochter, Schwester oder Frau oder was auch immer ist. Er ist nur das eine Mal in Grimesville gewesen, und ’n paar Wochen, nachdem er nach Canaan kam, fingen die Neger an, sich komisch zu verhalten. Einige von den Jungs wollten rüber nach Goshen reiten und die Sache ein für alle Mal klären, aber das wär ’n zu großes Risiko gewesen.«

Ich wusste, dass er an eine grausige Geschichte dachte, die wir von unseren Großvätern gehört hatten. Einst war eine Strafexpedition aus Grimesville in dem dichten Gestrüpp um Goshen herum, das damals eine Zuflucht für entflohene Sklaven bot, überfallen und abgeschlachtet worden, während zeitgleich eine andere Bande Grimesville verwüstete, das wegen dieser leichtfertigen Unternehmung schutzlos dalag.

»Kann sein, dass wir alle Männer brauchen, um Saul Stark zu erwischen«, meinte McBride. »Und wir wagen’s nicht, die Stadt ungeschützt zu lassen. Aber vielleicht werden wir’s bald müssen – hallo, was ist das?«

Wir waren aus den Bäumen herausgekommen und ritten jetzt nach Grimesville hinein, dem gesellschaftlichen Zentrum des weißen Lebens in Canaan. Alles andere als ein protziger Ort: Holzhäuser, ordentlich und weiß gestrichen, herrschten vor. Kleine Hütten scharten sich um große, altmodische Gebäude, in denen sich die ungehobelte Aristokratie jener Hinterwäldlerdemokratie eingenistet hatte. Alle ›Pflanzer‹-Familien lebten ›in der Stadt‹. ›Das Land‹ wurde bewohnt von ihren Pächtern und den kleinen unabhängigen Farmern, weißen wie schwarzen.

Eine kleine Holzhütte stand neben der Stelle, an der sich die Straße aus dem dichten Wald schlängelte. Stimmen erklangen aus der Hütte, laut und drohend, und vor der Tür erwartete uns ein großer, schlaksiger Mann mit einem Gewehr in der Hand.

»Howdy, Esau!«, grüßte er. »Donnerwetter, wenn das mal nicht Kirby Buckner ist! Schön, dich zu sehen, Kirby.«

»Was gibt’s, Dick?«, fragte McBride.

»Haben ’nen Neger in der Hütte, versuchen, ihn zum Reden zu bringen. Bill Reynolds hat ihn bei Tagesanbruch am Stadtrand rumschleichen sehen und sich geschnappt.«

»Wer ist es?«, wollte ich wissen.

»Tope Sorley. John Willoughby sucht gerade nach ’ner Schwarznatter.«

Mit einem erstickten Fluch sprang ich vom Pferd und betrat die Hütte, gefolgt von McBride. Ein halbes Dutzend Männer in Stiefeln und mit Revolverhalftern standen um eine armselige Gestalt herum, die auf einem alten, wackeligen Bett kauerte. Tope Sorley – seine Vorfahren hatten in Sklavenzeiten den Namen ihrer Besitzerfamilie angenommen – bot einen bemitleidenswerten Anblick. Seine Haut war aschfahl, seine Zähne klapperten krampfartig und immer wieder verdrehte er die Augen, sodass man nur das Weiße sehen konnte.

»Da ist Kirby!«, rief einer der Männer, als ich mich durch die Gruppe drängte. »Ich wette, er bringt diesen Halunken zum Plaudern!«

»Und hier kommt John mit der Schwarznatter!«, rief ein anderer, und ein Schauder fuhr durch Tope Sorleys zitternden Körper.

Ich schob den Griff der Peitsche, die mir übereifrig in die Hand gedrückt wurde, beiseite.

»Tope«, sagte ich, »du hast jahrelang auf einer der Farmen meines Vaters gearbeitet. Hat dich jemals ein Buckner anders behandelt als anständig?«

»Nein, Sir«, kam die schwache Antwort.

»Wovor hast du dann Angst? Warum redest du nicht? Etwas geht in den Sümpfen vor. Du weißt es, und ich möchte, dass du uns davon erzählst – warum die Stadtneger alle weggelaufen sind, warum Ridge Jackson getötet wurde und warum die Sumpfneger sich so merkwürdig verhalten.«

»Und was für Teufeleien dieser verfluchte Saul Stark drüben am Tularoosa ausheckt!«, rief einer der Männer.

Bei der Erwähnung von Stark schien Tope in sich zusammenzusinken.

»Kann ich nich’«, schauderte er. »Er steckt mich in ’n Sumpf!«

»Wer?«, drängte ich. »Stark? Ist Stark ein Voodoo-Mann?«

Tope schob seinen Kopf zwischen die Hände und gab keine Antwort. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Tope«, sagte ich, »wenn du redest, werden wir dich beschützen. Wenn du nicht redest, glaube ich nicht, dass Stark dich übler behandeln kann, als diese Männer es tun werden. Jetzt spuck’s aus – was geht hier vor?«

Er richtete seine verzweifelten Augen auf mich.

»Ihr müsst mich hierbleiben lassen«, jammerte er. »Un’ mich beschützen un’ mir Geld geben, damit ich wegkann, wenn der Ärger vorbei is.«

»Das werden wir tun«, versprach ich ohne Zögern. »Du kannst hier in dieser Hütte bleiben und später nach New Orleans oder wohin auch immer gehen.«

Er gab auf, und die Worte sprudelten nur so von seinen bleichen Lippen.

»Saul Stark is ’n Voodoo-Mann. Er is hergekommen, weil’s hier weit im Hinterland is. Er will alle Weißen in Canaan umbring’n ...«

Ein Knurren erhob sich unter den Männern wie aus den Kehlen eines Wolfsrudels, das Gefahr wittert.

»Er will sich zum König von Canaan machen. Hat mich heute Morgen zum Kundschaften geschickt, ob Mistah Kirby durchgekommen is. Hat Männer geschickt, die ihm auf ’m Weg auflauern sollten, weil er wusste, dass Mistah Kirby zurück nach Canaan kommt. Neger machen Voodoo am Tularoosa, schon seit Wochen jetzt. Ridge Jackson wollt’s Captain Sorley sagen, also sin’ Starks Neger ihm gefolgt un’ ham ihn umgebracht. Hat Stark ziemlich wütend gemacht. Er wollte Ridge nich’ umbringen; er wollte ihn in ’n Sumpf stecken mit Tunk Bixby und ’n andern.«

»Was meinst du damit?«, fragte ich ihn.

Weit draußen in den Wäldern erklang ein seltsam schrilles Kreischen, fast wie der Schrei eines Vogels. Aber einen solchen Vogel hatte man nie zuvor in Canaan gehört. Tope reagierte mit einem angstvollen Aufschrei und sank noch mehr in sich zusammen. Wie gelähmt vor Angst kauerte er auf dem Bett.

»Das war ein Signal!«, rief ich. »Einige von euch sollten nachsehen.«

Ein halbes Dutzend Männer hastete auf meinen Vorschlag hinaus, und ich widmete mich erneut dem Versuch, Tope weitere Informationen zu entlocken. Aber es kam mir sinnlos vor; eine entsetzliche Angst versiegelte seine Lippen. Zitternd wie ein verwundetes Tier lag er da und schien die Fragen nicht einmal zu hören. Niemand schlug mehr den Einsatz der Schwarznatter vor; jeder konnte sehen, dass sich der Mann vor lauter Entsetzen nicht rühren konnte.

Mit leeren Händen kehrte der Suchtrupp zurück. Sie hatten niemanden gesehen, und der dicke Teppich aus Kiefernnadeln verbarg alle Fußspuren. Die Männer schauten mich erwartungsvoll an. Als Colonel Buckners Sohn wurde von mir erwartet, dass ich die Führung übernahm.