Die Kiste der Beziehung - Ralf Husmann - E-Book

Die Kiste der Beziehung E-Book

Ralf Husmann

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Beschreibung

Zusammen lachen und zusammenraufen! Tragikomische Geschichten über die Zweisamkeit Ramona und Rainer haben eine Beziehung. Und eine Beziehungskiste, in die ihre Erinnerungsstücke wandern: die Eierschalen vom ersten gemeinsamen Frühstück, genauso wie die Geschirrscherben vom ersten gemeinsamen Streit. Jetzt ist die Kiste voll, und die beiden erinnern sich, an die guten und die sehr guten Zeiten (»Ob eine Beziehung stabil ist, entscheidet sich nicht im Bett, sondern im Baumarkt ...«), aber auch daran, wie sie sich mehrfach auseinander- und wieder zusammengerauft haben: »Das Geheimnis einer guten Beziehung ist nämlich nicht, dass man die gleichen Sachen mag, sondern dass man die gleichen Sachen scheiße findet.« Die erfolgreichen Stromberg-Autoren Sonja Schönemann und Ralf Husmann zeigen: Beziehungen sind immer noch der beste Grund, über Frauen und Männer zu lachen. »Ein spitzen Buch für alle Geschlechter!« Christoph und Maria Herbst

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Seitenzahl: 298

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Ralf Husmann | Sonja Schönemann

Die Kiste der Beziehung

Wenn Paare auspacken

FISCHER E-Books

Das Vorwort

Männer und Frauen sind wie Essig und Öl: Bringt man sie zusammen, dann hat man den Salat. Beziehungsweise die Beziehung. So wie Rainer und Ramona. Sie sind seit ein paar Jahren zusammen und haben schon mehr Höhen und Tiefen erlebt als der DAX. Andenken an ihre gemeinsame Zeit legen die beiden in eine Kiste. Ihre Beziehungskiste. Darin landen Souvenirs von guten und schlechten Tagen und Nächten. Ein Sex-Bingo, an das er sich nicht erinnern kann, ein Foto von ihrem Hintern, an das sie sich nicht erinnern will, Scherben der Schale, die sie ihm an den Kopf geworfen hat, beim ersten Streit, an den sich beide nur zu gut erinnern, aber das natürlich höchst unterschiedlich. Was auch immer passiert ist – wenn Paare auspacken, kommt die Wahrheit auf den Tisch. Beziehungsweise beide Wahrheiten …

Unsere Beziehungskiste ist aus Pappe. Mit Lederimitat überzogen. Keine Ahnung, wo die herkommt …

Ich weiß genau, wo die herkommt!

Klar. Meine Freundin weiß nämlich alles und alles besser. Sie kann sich auch an alles erinnern …

Im Gegensatz zu dir. Deswegen haben wir ja die Kiste.

Das ist doch jetzt Quatsch, natürlich erinnere ich mich auch an Sachen …

Wo haben wir uns zum ersten Mal geküsst?

Ich wusste nicht, dass das hier ein Quiz wird.

Wo haben wir uns zum ersten Mal geküsst?

Ramona, das ist jetzt wirklich albern!

Ich warte …

Herrgott, zum ersten Mal geküsst haben wir uns, nachdem wir Bowling spielen waren, mit Jana und –

Falsch!

Ich meine geküsst im Sinne von gefumm-

Deiner Meinung nach hatten wir nach dem Bowlingabend mit Jana und Sven zum ersten Mal Sex??

Nicht?

Du bist ja noch schlechter, als ich dachte …

Ich weiß, wann wir das letzte Mal Sex hatten …

Lenk jetzt nicht ab! Aber du weißt noch, wo wir uns das erste Mal gesehen haben?

Hallo?! Ich bin ja nicht doof … Zum ersten Mal gesehen haben wir uns wegen Willi.

Wem?

Äh, Walter …

Das ist hoffentlich ’n Witz!

Irgendwas mit »W« auf jeden Fall …

Mann, Mann, Mann! Komm, mach mal die Kiste auf.

Die Sache mit dem ersten Treffen

Es heißt, das Schicksal schickt einem in den dunkelsten Stunden einen Engel, damit man nicht so allein ist mit dem Schmerz.

An diesem speziellen Tag war aber wohl gerade kein Engel frei, oder das Schicksal fand, dass in meinem Fall auch ein Rainer reicht.

Der Tag, an dem Rainer auf der Bildfläche erschien, war jedenfalls derselbe Tag, an dem Werner starb. Werner war sanft und sensibel, und ich liebte ihn.

Eigentlich war ich mit Werner nur zum Arzt gegangen, weil seine Augen in der letzten Zeit eine leicht gelbliche Farbe angenommen hatten. Ich hatte ihn zu mir geholt, weil Janosch mich nicht mehr liebte. Janosch war ein Mann und also ein doofer Klotz, der mich verlassen hatte.

Frauen bewältigen Trennungen mit neuen Frisuren, Outfits und/oder Alkohol. Wenn das alles nichts bringt, muss ein Haustier her. Darum holte ich mir Werner von der Tierhilfe. Werner war still, anschmiegsam und wartete auf mich, wenn ich nach Hause kam. Er war also ganz anders als Janosch. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass sich beide selbst nichts zu essen machen konnten. Ich war mir sicher, dass es mit Werner besser laufen würde als mit Janosch. Werner wird bei mir bleiben, bis dass der Tod uns scheidet, dachte ich.

»Ja, wie ich vermutet habe, die Nieren sind völlig im Eimer, da kann man nichts mehr machen. Trinkt er in letzter Zeit mehr als sonst?«, fragte der Tierarzt.

Ich kam inhaltlich nicht weiter als bis »… kann man nichts mehr machen«.

»Soll ich ihn danach hierbehalten, oder wollen Sie ihn mitnehmen?«

Wie »danach«? Wie »hierbehalten«?! Der doofe Klotz im Kittel war Arzt und Mann, also doppelt unsensibel. Deswegen sprach er auch noch von den 23,95 Euro, die mich das Einschläfern kosten würde.

Vollkommen unter Schock saß ich mit meinem gelbäugigen Kater im Wartezimmer und überlegte, wie ich mich angemessen von ihm verabschieden konnte. Ein letztes Mal sein Leibgericht? Aber Werner mochte am liebsten Innereien, und Nieren mit Nieren zu trösten brachte ich nicht fertig, schließlich bin ich eine Frau und somit sensibel. Während ich mich innerlich beglückwünschte, dass ich eine Frau und sensibel bin, aber stark genug, trotzdem nicht einfach hilflos in Tränen auszubrechen, sprach mich ein Typ mit einem riesigen weißen Hundekragen an, und es gab kein Halten mehr.

Ich weiß nicht mehr, was er sagte, aber allein dass er mich ansprach, öffnete sämtliche Schleusen. Beim Heulen haben Frauen ein genauso beschissenes Timing wie Männer beim Schlussmachen. Während ich Werner mit meinen Tränen bekleckerte, ahnte der nicht mal, dass der Katzenhimmel für ihn nur 23,95 Euro entfernt war. Kater sind eben auch nur Männer, und Männer sind wie Traumschiff-Folgen: alle gleich. Man wird nie überrascht. Aber beim Traumschiff gibt’s wenigstens immer ein Happy End, und sei es noch so blöd. Männer sind zwar auch oft blöd, aber manchmal überraschen sie am Ende und verlassen einen, wenn man nicht damit rechnet. Sei es wegen Nieren, wie Werner, oder wegen Yvonne, wie Janosch. Unfair, denn alleine war am Ende so oder so ich.

Der nächste Heulanfall galt mir selbst, was dazu führte, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich mir mehr leidtat als mein zukünftiger Ex-Werner. Deswegen musste ich noch mehr heulen. Wie viele Tränen hat eine Frau eigentlich? Ich würde bald mal nachtrinken müssen, dachte ich. Der Typ mit der Halskrause, der inzwischen neben mir saß, war sensibel genug, mich nicht beim Heulen zu unterbrechen. Er schwieg einfach, was ich ihm hoch anrechnete. Ein Mann, der an der richtigen Stelle schweigt, ist in freier Wildbahn so selten wie ein singendes Einhorn.

Kurz bevor ich komplett dehydrierte, fragte er mich auch noch: »Soll ich mit dir reingehen?« Unter meinem Tränenschleier konnte ich nicht erkennen, ob der Mann ganz gut oder ganz scheiße aussah, ich sah nur seine Augen, die mich aus dem großen, weißen Trichter voller Mitleid anschauten.

Er ging tatsächlich mit, als Werner eingeschläfert wurde. Die ganze Zeit stand er neben mir und war da. Auch danach, als ich einen hysterischen Anfall bekam, weil ich nicht wusste, wohin mit Werner. Rainer zahlte den Tierarzt, fuhr mit mir in den Stadtwald, wo er mit bloßen Händen und einer CD-Hülle von Santana ein Loch grub und Werner bestattete. Zwischen Männern und Frauen ist der Anfang und das Ende meist banal.

Rainer kaufte mir ein Eis, und wir gingen spazieren, bis ich wieder halbwegs geradeaus gucken konnte. Rainer war da, auch wenn ich ihn ständig Werner nannte. Vielleicht, weil er auch braune Augen hatte, mit winzigen gold-gelben Punkten drin. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Werner mir damit vom Katzenhimmel aus sagen wollte: »Der ist okay, den habe ich persönlich für dich abgenickt.« Und Rainer lachte nicht. Kein einziges Mal. Obwohl ich ihm zusammenhangslose Geschichten über meine tote Katze erzählte und danach einfach nur zusammenhangslose Geschichten. Er versuchte nicht, mir an die Wäsche zu gehen oder mir von seinem Job oder seinem Auto zu erzählen, er war, Wunder über Wunder, sanft und geduldig und hörte einfach nur zu. Wie ein Engel.

Manche Männer sehen aus. Das reicht. Die steigen aus einem Auto, gehen in eine Kneipe oder lehnen irgendwo rum, und jede Menge Frauenaugen fangen an zu sabbern. So ein Mann bin ich nicht. Noch nie bin ich irgendwo reingekommen und eine Frau hat sich nach mir umgedreht, ein Gespräch unterbrochen oder nervös an ihrem Outfit gezuppelt. Selbst meine Mutter hat in Ruhe weitergegessen, wenn ich in die Küche kam. Deswegen hab ich bislang weder in Discos oder Clubs noch auf lauten Partys und Konzerten eine Frau kennengelernt.

Ein Löwe, der feststellt, dass er in seinem Revier ums Verrecken keine Antilope erlegt, sagt aber nicht »Scheiß drauf, werd’ ich halt Vegetarier«. Er wartet auch nicht, bis ihm die dämlichste Antilope zufällig vor die Zähne fällt. Nein, er wechselt sein Jagdrevier. In meinem Fall hieß das: weg von Clubs und Kneipen, hin zu Sprach-, Aerobic- und sonstigen Kursen und, später dann, vor allem, hin zu Parks.

Denn die beste Methode, um Frauen kennenzulernen, ist ein Hund. Ein Hund ist ein viel besserer bester Freund als ein bester Freund. Für einen Mann ist ein Hund ein optimaler Knackarschersatz. Und das Beste ist: Nicht mal der Hund muss gut aussehen! Er muss einfach nur Hund sein. Schon wird man angesprochen. »Wie alt isser denn?«, »Darf ich den mal streicheln?« und so weiter. Lauter Fragen, die Frauen nicht mal einem Knackarsch stellen, jedenfalls nicht gleich nach dem Kennenlernen.

Deswegen lieh ich mir Moses aus. Moses war der Hund meiner Nachbarn und ein sehr dummer und deswegen zutraulicher schwarzer Retriever. Ein Mann mit Hund suggeriert der Frau, dass der in der Lage ist, sich um ein Lebewesen zu kümmern, und das ist schon mal nicht schlecht. Frauen sind emotional viel einfacher gestrickt, als sie denken. Ab Mitte zwanzig geht es immer um die Frage: »Mit wem kann man gut Vater, Mutter, Kind spielen?«

In der Erfolgsrate schlug Moses jedenfalls sämtliche Aerobic-Kurse und Internet-Kontaktbörsen um Längen, außerdem wollte er keinen Mitgliedsbeitrag, nur Trockenfutter. Vor allem hatte Moses nicht diese leicht verzweifelte Aura, die Kontaktbörsen ausstrahlen. Ich lernte durch Moses etliche Frauen kennen, blieb aber dennoch Single. Die guten Frauen haben Katzen, tröstete mich mein Freund Möhre.

»Frauen, die auf Hunde stehen, sind nicht die Frauen, auf die du stehst!« Das ist so wie mit Schalke und Dortmund. Passt einfach nicht zusammen.

Ich versuchte es trotzdem weiter mit Moses. Der war, wie gesagt, nicht der hellste, selbst für einen Hund, und so schlief er eines Mittags in der Sonne ein und holte sich einen satten Hundesonnenbrand an seinen empfindlichsten Teilen. Als er wieder aufwachte, war das Theater groß und wurde wohl auch abends nicht kleiner. Deswegen baten mich seine Besitzer am nächsten Tag, ob ich nicht Zeit hätte, zum Tierarzt zu gehen und erstens eine Salbe zu holen und zweitens einen Trichter, der verhindern sollte, dass Moses sich ständig die verbrannten Eier leckte.

Es gibt zwei Orte, an denen Frauen generell schutz- und hilflos sind: die Umkleidekabine einer Boutique und das Wartezimmer einer Tierarztpraxis. Da kann der Mann ungeheuer punkten, wenn er Sensibilität zeigt oder vortäuscht. Darauf reagiert die Frau so wie der Mann, wenn die Frau Interesse für Fußball zeigt oder vortäuscht. Nämlich mit Hormonausschüttung.

Sensibilität ist aber bei einem heterosexuellen Mann vergleichbar mit Zinsen für eine Geldanlage. Jeder weiß, was eine ungefähr realistische Größe ist. Fünf oder sechs Prozent, wenn es sehr gut läuft, auch mal sieben oder acht. Wer zwanzig oder mehr Prozent haben will, soll sich am Ende nicht wundern, dass er über den Tisch gezogen wurde. Beziehungsweise eben sie. Und schon gar nicht soll sie sich beim Schicksal darüber beschweren, dass alle Männer doofe Klötze sind.

Jedenfalls, die Frau, die da mit ihrer Katze auf dem Schoß im Wartezimmer saß, sah nicht so aus, als würde sie mich unter normalen Umständen ansprechen, weder in der Kneipe noch im Park. Sie sah nämlich sehr gut aus, und ich hatte Moses nicht dabei, nur seinen Trichterkragen, deswegen musste ich hier praktisch doppelt auffahren. Also legte ich mir den Kragen um. Humor kommt bei Frauen ja angeblich immer gut an. Humor bei Frauen ist wie Salz bei Suppen. Eine Prise zu viel, und schon verziehen sie das Gesicht. Kaum hatte ich einen Satz gesagt, fing sie auch schon an zu heulen. Es gab eine komplette Katzenwäsche für das Tier auf ihrem Schoß, so wurde losgeheult.

Ich war so konsterniert, dass ich eine Weile gar nichts mehr sagte. Und dann fiel mir nichts Besseres ein als: »Soll ich mit dir reingehen?« Ich stand daneben, als die komische Katze mit den komischen Augen eingeschläfert wurde, weswegen der Tierarzt mir das tote Vieh in die Hände drückte. Die Frau bekam einen hysterischen Anfall und sah erstaunlicherweise trotzdem noch gut aus, weswegen ich anbot, sie und die tote Mieze zu fahren. Vielleicht hatte Möhre ja recht.

Ich glaube, ich hab das Tier anschließend irgendwo verscharrt, und zwar mit einer CD-Hülle von Santana, einem der wenigen Überbleibsel meiner Ex-Freundin. Ich hab die CD gleich mitbegraben. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit der Katzenfrau reden sollte, so ganz ohne Moses. Ich überlegte kurz, die Klassiker wie Job oder Auto anzusprechen, aber ich kam nicht dazu, denn sie erzählte mir das Leben ihrer toten Katze nach. Wenn man eine Frau kennenlernt, gilt für sie dasselbe wie für Priester bei der Predigt: Reden lassen. Nicht unterbrechen. Schon gar nicht mit einer eigenen Meinung. Als sie sich beruhigt hatte, fragte sie völlig überraschend nach meiner Telefonnummer. Ich hatte eigentlich nichts gemacht, aber solche Geschenke muss man annehmen. Die werden höchst selten verteilt, von Engeln …

Die Sache mit dem Ex

Die Welt ist ein Dorf, und ich bin darin der gleichnamige Trottel. Ich hätte es wissen können. Ein Mann wechselt seine Freundinnen, aber nicht seine Stammkneipe beziehungsweise sein Revier. Weil der Mann nämlich vom Wolf abstammt, und der säuft auch immer mit demselben Rudel an derselben Tränke.

Als Ramona vorschlug, mal in die Notaufnahme zu gehen, hätte ich also eigentlich wissen müssen, was mich erwartet. Die Notaufnahme hieß früher Bar Celona und ist der Laden, in dem Ramona und ihr Ex sich kennengelernt hatten. Das sagt eigentlich alles. Wer in Läden mit lustigen Namen geht, gehört in jeder Hinsicht zum Bodenpersonal. Vor allem wenn er selbst einen lustigen Namen hat. Wie Janosch. Und entsprechend sah der Typ auch aus. Ein Mann der Marke »Hauptsache gesund und die Haare liegen«, hässlich wie Dosenobst, wenn man mich fragt. Objektiv gesehen wie Hitler, wo sich nachher auch alle gefragt haben, wie sie je auf so einen reinfallen konnten. Optisch jedenfalls hatte der gar nichts. Ein Gesicht wie ein Treteimer.

Dazu muss man wissen, dass ich nicht eifersüchtig bin. Das lohnt sich nicht. Eifersucht ist für Leute mit Selbstbewusstseinsdefizit. Insofern bin ich in der Beurteilung von anderen Männern neutral wie die Schweiz. Ganz unabhängig davon, ob sie vor viereinhalb Jahren mal ihre Zunge und andere Körperteile in meine Freundin gesteckt haben oder nicht. Das kann ich abstrahieren. Aber ich merke natürlich an der Art, wie einer »Hallo« sagt, woran ich bin. Und so wie Ramonas Ex-Janosch »Hallo« sagte, war klar, dass dieser Gehirnclown eine schwere Unwucht in der Hirse hatte. Ganz vorurteilslos ausgedrückt. Denn auch der döfste Hilfswolf packt der Frau vom aktuellen Leitwolf nicht dauernd auf die Tatze und grinst dabei wie ein Tänzer im MDR-Fernsehballett.

Und wieso hat einer, der so heißt wie ein Kinderbuch, auch noch eine »Agentur für Kommunikation«? Was ist das überhaupt? Hat’s zu ’ner richtigen Werbeagentur nicht gereicht oder wie? Jedenfalls ist das kein Thema, über das man stundenlang reden kann. Zumindest nicht mit mir. Aber auf eigene Faust eine Schlägerei anzuzetteln ist auch nicht so mein Ding. Ich bin nicht so primitiv, dass ich denke, auf diese Art ließe sich was ausdrücken. Ich war also den ganzen Abend über einsilbiger als Marcel Marceau. Ich hab gesessen, getrunken und mir das Geschwätz angehört. Es war wie Weihnachten zu Hause. Auf keinen Fall wollte ich diesem geistigen Geisterfahrer die Genugtuung geben, mich provoziert zu haben.

Kaum waren Ramona und ich wieder zu Hause, hieß es, ich sei innerlich aus Holz. Emotional vor Jahren ausgestorben, seelisch verödet wie die Innenstadt von Osnabrück. Jede Frau dieser Welt wolle zumindest ein klitzekleines Anzeichen von Eifersucht bei ihrem Typen sehen, schrie Ramona, wohingegen ich ihrem Ex sogar noch einen »Orgasmus« ausgegeben hätte. Sie sei drauf und dran, dasselbe zu tun, schrie sie, aber ohne Getränke. Es hatte keinen Sinn, ihr zu erklären, was ich von Männern halte, die in Bars mit lustigen Namen Getränke mit lustigen Namen bestellen. Es hatte keinen Sinn, ihr zu sagen, dass ich mir kurz vorgestellt hatte, ihm eine Handvoll Popel in seinen bunten Drink zu bröseln. Ramona knallte mit Türen, und ich guckte Boxen.

Ich musste mal wieder feststellen: Frauen haben überhaupt keine Vorstellung vom männlichen Innenleben. Nur weil ich nicht eifersüchtig bin, bin ich noch lange kein Gefühlslegastheniker. Ganz im Gegenteil. Aber ein Wolf ist nun mal keine Ente, die dauernd schnattert. Ein Wolf ist einsam. Und heult. Wenn keiner guckt …

Männer denken, dass Frauen Krieg, Gewalt und Schlägertypen verabscheuen. So sehe ich das auch, außer es geht um mich.

Wenn ich für einen Kerl der Grund wäre, warum er sich prügelt, dann würd ich den anfeuern! Nur innerlich natürlich, nach außen wär’s mir vermutlich peinlich, aber wer weiß? Bislang macht’s ja keiner.

In jedem Fall bin ich nicht völlig gegen eine Kneipenschlägerei, und das müsste mein feiner Herr Freund eigentlich auch wissen, schließlich nicke ich seit Jahren zustimmend bei jedem Film, in dem Männer sich wegen einer Frau prügeln und metzeln. Ich hab sogar schon mehrfach erwähnt, dass auch der Trojanische Krieg wegen einer Frau geführt wurde. Aber Film ist Fiktion und Troja Mythos.

In echt saß Rainer in der Notaufnahme und sah seelenruhig zu, wie mein Ex sich in Eigenwerbung erging, mir literweise Getränke ausgab und mich sogar vor Rainers Augen anfasste. Aber im Nachhinein wunderte der sich, dass ich enttäuscht von ihm war. Von ihm »als Mann«. Genauso hatte ich das in meiner Wut formuliert, weil ich dachte, das sei die Höchststrafe.

Entweder lag ich mit dieser Einschätzung komplett daneben, oder mein Kerl hatte sich seinen Penis nur angeklebt, denn dazu kam von ihm gar nichts. »Wenn du meinst …«, war alles, was ich aus seinem Gesicht zu dem Thema hörte. Ich glaub, so sauer war ich nicht mehr seit der Absetzung von Melrose Place. Was glaubt der eigentlich, dachte ich, wie sicher er mich in der Tasche hat?!

»Wenn ein Mann nicht eifersüchtig ist, macht er sich nichts aus der Frau.« So lautet eine alte Wahrheit über Männer. Eine noch ältere Wahrheit über Frauen hingegen geht so: »Wenn die Frau nichts davon hat, glaubt sie nicht an alte Wahrheiten.«

»Janosch ist mein EX-FREUND!«, versuchte ich die Sachlage deshalb für Rainer noch mal klarzustellen. »Janosch hatte SEX mit mir, jahrelang, und gar nicht mal schlechten, und ICH hab IHN verlassen«, log ich, »und sehr offensichtlich findet ER auch nach über vier Jahren noch, dass man sich für mich mal ’n bisschen anstrengen kann, während DU da gesessen hast, als wäre ER schwul und ICH deine Schwester!«

Wenn man als Frau beim Thema »Sex mit dem Ex« nicht wahnsinnig übertreibt, sieht der aktuelle Freund sich völlig unbegründet schon auf dem Siegertreppchen.

Doch auch auf diese dezente Aufforderung, sich zu erklären oder zumindest zu verteidigen, kam nichts. Nicht mal ein Witz über Janoschs Namen oder Rainers üblicher Hinweis auf seine Kriegsdienstverweigerung vor tausend Jahren oder darauf, dass er bei einem Schulhofgerangel in der Grundschule mal irgendeinem Tonti die Zahnspange verbogen hatte.

Wahrscheinlich hatte gerade in irgendeinem Männermagazin gestanden, dass Schweigen maskulin ist, und er setzte das jetzt an der unpassendsten Stelle aller Zeiten ein. Rainers Reaktion war jedenfalls: Bier aufmachen, Fernseher an, Boxen gucken.

Ich war kurz vor Schnappatmung. Also: Bier wegnehmen und selber trinken, Fernbedienung wegnehmen und Boxen ausmachen. »Du redest jetzt mit mir, Freundchen.« Aber er wollte tatsächlich den Kampf sehen. Und ich doch bestimmt auch, sagte Rainer, ich könne mir ja vorstellen, dass die beiden sich um mich prügeln, das wär dann doch genau mein Ding.

Ich stampfte meinen Protest so fest wie möglich mit meinen hohen Absätzen ins neue, teure Echtholzparkett in Richtung Schlafzimmer. Weil Rainer Macken im Parkett aufregen. Mir doch egal, dass auch ich das zur Hälfte bezahlt (und verlegt) hatte.

Ich rief die erstbeste Freundin an und ließ mich lang und breit über meinen eifersuchtslosen Freund aus, dem ich offenbar völlig am Arsch vorbei ging. Zwei Sätze später waren wir beim Thema Janosch und der Frage, ob der immer noch so lustig wär wie früher. »Sogar noch lustiger als Rainer«, bestätigte ich, »außerdem hat er jetzt eine eigene Kommunikationsagentur.« Wir wussten beide nicht, was das genau ist, waren aber beeindruckt. Anschließend fand ich viele neue Worte für den Vorwurf, dass Rainer nicht eifersüchtig war …

Als er eine Stunde später ins Bett kam, war ich kurz davor, wieder an Wunder zu glauben. Nicht nur, dass mein Kerl sich bei mir für sein Verhalten in der Kneipe entschuldigte. Er gab sogar zu, dass ich es wert bin, jeden Typen ungespitzt in den Boden zu wemmsen, der mir seine Hand auf die Hand legt und so »Hallo« zu mir sagt wie Janosch. Ich verstand die Welt nicht mehr. Irgendwas musste ich gesagt haben, das ihn umgestimmt hatte. Ich hatte die Zauberformel gefunden, die Männer verändert und nicht Viagra heißt. Sollte ich drauf kommen, was es war, würde ich viel Geld und Ruhm ernten … leider kam ich nicht drauf, und nach so einem eindeutigen Sieg fragt man ja den Verlierer nicht, was genau ihn erledigt hat.

Kurz vorm Einschlafen, locker zehn Minuten nach dem Versöhnungssex, kam dann doch noch was von ihm. Geflüstert, leise, fast unhörbar. »Du findest aber jetzt nicht ernsthaft, dass der Janosch lustiger ist als ich, oder …?«

Ach, deswegen steht auf diesem ollen Bierdeckel hier »6 x Orgasmus« …

Was hast du denn gedacht? Dass das ein Gutschein ist?

Nee, wobei das wär natürlich nicht schlecht, dann hätten wir schon ein Programm für heute Abend …

Süß, aber sechs Mal für einen Mann deines Alters heißt, du müsstest mindestens fünf Mal vortäuschen.

Hallo?! Ich bin in den besten Jahren!

Das denken Männer in jedem Alter. Aber apropos »Jugend vortäuschen«, schau mal, was ich hier habe: Konzertkarten!

Oh, ich erinnere mich …

Die Sache mit den Konzerten

Indianer kennen keinen Schmerz. Männer schon. Der Schmerz ist ein Indianer, der sich unauffällig anschleicht, einen umzingelt und am Marterpfahl langsam mürbemacht. Es kommt ganz automatisch, wenn man die Mitte Dreißig  überschritten hat.

Ich jedenfalls brauche so langsam Ganzkörper-Viagra. Ich kann nicht mehr stehen. Ramona und ich waren neulich auf einem Rock-Konzert, und ich hatte schon nach der Vorgruppe Rückenschmerzen. Beim Hauptact drängte Ramona nach vorn zur Bühne und ich nach hinten zur Theke, weil die Band aus tätowierten jungen Kerlen bestand und die Thekenbesatzung aus tätowierten jungen Frauen.

Das ist die offizielle Wahrheit. Die wirkliche Wahrheit ist, dass ich inständig hoffte, an der Theke gäbe es Barhocker oder irgendwas anderes zum Sitzen. Gab es nicht. Dafür allerdings schenkte mir eine der strubbeligen Thekenfrauen eine als Lächeln verkleidete Versautheit. Eine Art Gesichtsdessous. Sie zog sich mit Blicken aus. Ich lächelte sparsam zurück, so wie ich es bei Steve McQueen gelernt habe. Die kunstvoll verstrubbelte Frau beugte sich vor und sprach mich an. Und zwar mit dem Satz: »Kann ich Ihnen helfen?«

Ein Satz wie eine Faust. Mit diesem Satz haben sich Simone Rethel und Jopie Heesters kennengelernt. »Kann ich Ihnen helfen?« Als stünde ich hilflos an der Straßenkreuzung. »Ich werd’ dir helfen, Struwwelpetra!«, dachte ich fluchend duzend zurück und sagte zu ihr: »Machste mir ’n Bier?« Lässig, locker, jugendlich.

Sie konterte ungerührt mit: »Wollen Sie ’n alkoholfreies?« Weniger eine Frage als eine Empfehlung. So wie die erfahrene Nutte den Opa fragt, ob er sich den ganzen Stress mit dem Sex wirklich noch mal zumuten will, weil sie keinen Bock hat, dass ihr der Alte im Bett abkratzt. In der Frage der Thekenschlampe schwang auch die leichte Sorge mit, dass mich ein echtes Bier in Kombination mit der lauten Musik womöglich aus den Schuhen haut. Mein zynisches »Haben Sie auch Milch?« wurde einfach ignoriert. Ich bekam ein warmes Bier ohne Schaum und ohne Lächeln. Und gab kein Trinkgeld.

Zwischen Theke, Tür und Toilette standen andere Männer an den Wänden und sahen mir ähnlich. Alle wippten ein bisschen. Es war schwer zu sagen, ob es ein Frühstadium von Hospitalismus war oder ein Spätstadium von Tanzen. Mitteleuropäische Männer sollen nicht tanzen. Da dürfen Südeuropäer sogar noch eher Staatshaushalte verwalten, Amerikaner Kochbücher schreiben und Japaner jodeln. Wenn der Deutsche tanzt, sieht es immer so aus, als würde er einfach nur falsch marschieren. Ich hoffte jedenfalls inständig, einer von den wippenden Wandhaltern würde umfallen und ein Stück Wand freimachen. Mein Rücken war schwer anlehnungsbedürftig. Die Plakate an den Wänden bewarben künftige Konzerte, und ich kannte keine der Bands. Nicht eine. Nie gehört. Ein junger Bursche kam vorbei, trug zottelige Haare und einen Parka. Einen Parka! Wie die Mods in Quadrophenia, nur in Braun, gefüttert und uncool, und ich dachte, wo hat der Typ denn seine Zeitmaschine geparkt, bis wenige Minuten später ein zweiter Zottel mit Parka vorbeikam, und dann noch einer. Parkazottel schienen jetzt hip zu sein. Ich kam mir vor wie Benjamin Button, nur umgekehrt: Ich alterte!!

Die Musik war jetzt tatsächlich laut. Nebel waberte. Der gesamte Laden wurde in rotes Licht getaucht. Ich versuchte mich mit meinem Nebenmann über die Parkazottel lustig zu machen, aber er kannte Quadrophenia nur von seinem Vater. Es war gruselig, es war der Horror. Vermutlich spielten da vorn die Stephen Kings of Leon. Ich war mir sicher, nach dem Konzert würde ich den Gürtel über dem Bauchnabel tragen, gesunde Schuhe aus Wildleder und eine beige Übergangsjacke. Ich würde den ZDF-Fernsehgarten gucken, wandern wollen und von früher schwärmen.

Jungs können sich ihre Väter nie als Jugendliche vorstellen. Und Männer denken nie darüber nach, dass sie eines Tages selbst aufhören, jung zu sein. Zumindest körperlich. Das ist der Mick Jagger in uns. Ich wusste, während ich noch auf einem Rockkonzert stehe, baut man mir zu Hause bereits einen Treppenlift in die Bude.

Dann kam Ramona verschwitzt auf mich zu und schrie mir ins Ohr, warum ich denn so verdattert aussähe. »Der kleine Rainer möchte bitte aus dem Rentnerparadies abgeholt werden!«, schrie ich zurück. Ramona lachte, wofür ich ihr sehr dankbar war. Sie habe genug gehört, schrie sie, und meinte Gott sei Dank die Band. Etwas später saßen wir. Im Auto. Der Spuk war vorbei. Ich konnte schon fast über mich selbst lachen. Wie ich es denn gefunden hätte, fragte Ramona. Ich sagte irgendwas und hörte mich erst im Nachhinein. Wir könnten ja demnächst auch mal in die Philharmonie gehen, sagte ich offenbar, die sei nämlich bestuhlt.

Ich kann mit Musik nichts anfangen. Musik und Hunde unterteile ich in zwei Kategorien: »stört« und »stört nicht«. Freiwillig kommt mir beides nur selten ins Haus.

Als Teenager habe ich natürlich auch auf Partys zu Musik getanzt, aber damals habe ich auch hinterm Schulhof geraucht und mit Edding Anarchie-Zeichen auf meinen Rucksack gemalt. Das gehörte einfach dazu, alle haben das gemacht, und als ich erwachsen wurde, beschloss ich, das mit dem Rauchen, der Anarchie und dem Tanzen lieber zu lassen.

Mir ist bewusst, dass das eine ziemlich unpopuläre Aussage für eine Frau ist. Frauen sind ja für bestimmte Musik die Hauptzielgruppe. Eine ganze Menge sogenannter schlechter Musiker wären arbeitslos, wenn es keine Frauen gäbe. Kuschelrock zum Beispiel ist so was wie Eierlikör für die Ohren, also ein reines Frauenthema. Aber ich brauche keine Musik. Weder im Supermarkt noch in Fahrstühlen oder beim Joggen. Das ist meine extrem unpopuläre Wahrheit. Und unpopuläre Wahrheiten sind nichts für Männer. Die kommen damit nicht klar. Deswegen hatte ich Rainer ganz am Anfang unserer Beziehung nur mitgeteilt, dass Musik »nicht so meins« ist. Er hatte das für sich so abgespeichert, dass ich keinen Musikgeschmack habe, aber mir war es recht, solange er mich nur nicht auf Konzerte schleppte. Konzerte sind für mich der absolute Horror. Es ist voll, es ist laut, und nach einer Stunde stinken alle, weil irgendwann auch der größte Grobmotoriker meint, er könne tanzen.

In diesem Fall hatte ich allerdings keine Wahl, weil meine älteste Freundin Birgit und ein paar Leute aus meiner Heimatstadt schon vor Monaten angekündigt hatten, dass an diesem Abend The Cambricks spielen würden. »Unsere Band, Ramona, da müssen wir hin! Die haben wir schon gesehen, als die noch gar nicht bekannt waren!« Für mich war die Band auch jetzt noch völlig unbekannt. Leider konnte ich mich aus der Nummer nicht so einfach rausreden, denn ich hatte keinem je erzählt, dass ich Musik doof finde. Ich war früher mit auf Konzerte gegangen, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und hatte bald eine sehr innige Beziehung zu Ohrstöpseln. Ich erfand sogar die Ausrede von einem »Loch im Trommelfell«, um mein Verhalten so cool wie möglich zu erklären.

Als Birgit vor Monaten begeistert von »unserer Band« berichtete, war es also für mich einfacher, große Freude zu heucheln und Tickets für Rainer und mich zu bestellen, als zwanzig Jahre zu spät die Wahrheit zu beichten.

Rainer dagegen hatte wirklich gute Laune, im Gegensatz zu mir kannte er die Band sogar. Ich hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Vielleicht hatte ich ihm durch meine Konzertverweigerungshaltung einen Teil seines Freizeitvergnügens genommen. Ich nahm mir vor, überzeugend so zu tun, als wären The Cambricks meine Helden und Konzerte das beste Entertainment seit den Gladiatorenkämpfen. Ich hatte vorher sogar im Internet Best Of TheCambricks runtergeladen, damit ich wenigstens ein paar Refrains mitsingen konnte. Grundsatzregel für Aktivitäten mit Männern: Gute Vorbereitung ersetzt echtes Interesse. Immer.

Als wir ankamen, war der Saal noch ziemlich leer. Offenbar waren The Cambricks einen noch weniger erfolgreichen Karriereweg gegangen als all die anderen Bands, denen ich früher nicht zugehört hatte. Die Musik ging los, und ich war wieder verlogene 16 und jubelte in Richtung Bühne. Sekunden später fiel mir auf, dass mich alle, inklusive Rainer, merkwürdig anguckten und etwas von »selten dämlicher Vorband« brummten. Nun, ich hatte über ein Vierteljahrhundert in Bezug auf Musik gelogen, da konnte ich jetzt nicht damit aufhören, schon aus Prinzip nicht. Also verteidigte ich die Vorgruppe aufs Heftigste und stürmte mit einem »Ihr habt ja alle keine Ahnung von Musik!« nach vorne, wo ich die nächste halbe Stunde so tat, als wäre ich Fan. Der einzige Fan, wohlgemerkt. Der Sänger war sich nicht ganz sicher, ob er von mir verarscht oder angehimmelt wurde, aber wir machten beide weiter mit unserer jeweiligen Show: Er tat so, als wäre er Musiker, und ich tat so, als wäre mir das nicht egal. Ich hatte schon etlichen Männern vorgemacht, dass sie spitze im Bett sind, dagegen war das hier Pillepalle.

Es wurde voller, die unbekannte Vorgruppe ging, die unbekannte Hauptgruppe kam. Es wurde laut, alles »rockte«, und ich tat weiter so, als würde ich dazugehören. Ich fand mich zwischen Rainer und meinen Leuten von früher wieder, die wippten, rauchten, abwechselnd Bier holten und zwischendurch riefen: »Hammer, oder? Wie früher, voll geil!« Birgit fand sogar, der Sänger sei »eine noch coolere Sau« als damals. Ich tat so, als fände ich das auch, und sang die zwei Sätze Liedtext mit, die ich auswendig gelernt hatte. Birgit hielt anerkennend beide Daumen hoch, und ich wollte schrecklich gern nach Hause. Die Bässe taten mir in den Ohren weh, der Sänger hatte eine Wampe, und alles grölte, tanzte und stank vor sich hin. Es war wirklich genau wie früher. Nur dieses Mal ohne Ohrenstöpsel.

»Ich guck mal, wo mein Macker mit dem Bier bleibt!«, brüllte ich Birgit ins Ohr und kämpfte mich zurück durch die kleine Menge. Hoffentlich war er noch da und stand nicht mit einer der Thekenschlampen im Kloflur! Ich hatte wirklich nicht die Kraft, mir jetzt auch noch eine Eifersuchtsszene für sein Ego aus den Rippen zu lügen. Stattdessen lehnte Rainer an der Wand und sah cool aus. Ich war unglaublich stolz auf ihn. MEIN Kerl! Steht nicht mitten im Mob und tut so, als ob er gleichzeitig stinken und tanzen kann. Mein Kerl steht einfach nur da und ist cool. Rainer grinste mich an, und ich schrie ihm entgegen, dass wir von mir aus auch nach Hause fahren könnten.

Auf der Rückfahrt nahm ich mir vor, Rainer zuliebe in Zukunft wenigstens zweimal im Jahr mit ihm auf ein Konzert zu gehen. Die Dankbarkeit in seinen Augen nach dem Konzert hatte mir zu verstehen gegeben, wie viel ihm Musik bedeutete: So etwas gehört einfach zu einer guten Beziehung: die Interessen des Partners auch mal hemmungslos über die eigenen stellen.

Okay, das mag jetzt eine seltsame Frage sein, auf die es aber hoffentlich eine ganz logische Antwort gibt: Wieso ist mein Impfpass hier in der Kiste? Ramona?

Ou. Ach, guck. Da ist der …

Ja, hier ist der … ich hatte den schon gesucht. Was macht der in unserer Kiste? Ist da zufällig auch mein Sozialversicherungsausweis drin? Den such ich nämlich auch schon seit Jahren …

Nein, dein Sozialversicherungsausweis ist nicht da drin. Dafür bin ich ja auch nicht verantwortlich.

Ah. Aber für meinen Impfpass bist du –

Oh ja!

Darf ich fragen, wieso?

Weil ich »Mama, Teil 2« bin.

Die Sache mit dem Schwiegereltern-Kennenlernen

Mit den Eltern meiner jeweiligen Freunde bin ich immer gut klargekommen. Die Väter mögen mich, weil ich unkompliziert bin, grillen kann und kein Glas zum Flaschenbier brauche, und die Mütter sind beim ersten Treffen im Normalfall einfach nur froh, dass ich weder schwanger noch drogenabhängig bin und trotzdem freiwillig mit ihrem Sohn zusammenlebe.

Zugegeben, diese Erfahrungen fallen alle eher in die Zeit, als ich zwischen 16 und 25 Jahre alt war, aber wieso sollte sich das ändern? Ich war also ziemlich gelassen, als Rainer mir mitteilte, dass seine Mutter uns beide zum Abendessen eingeladen hatte. Auf meine Frage, wie seine Eltern denn so sind, hatte Rainer mir bisher immer versichert: »Ganz normal.« Und da ich Rainer zu dem Zeitpunkt noch nicht so gut kannte, glaubte ich ihm. Ich erwartete einen Braten, vorsichtige Neugierde und eventuell noch eine abschließende Runde Trivial Pursuit oder alte Dias gucken, je nachdem, ob es Rainers Eltern wichtiger war, dass ich was im Kopf oder Geduld hatte.

Rainers Eltern haben eine Reihenhaushälfte und einen Gartenzwerg mit Schubkarre im Vorgarten, außerdem war das Türschild über der Klingel selbstgebastelt. Ich sagte nichts dazu, schließlich war ich nicht hier, um zu richten, sondern um zu gefallen. Das schien mir auch zu gelingen, denn das Erste, was Rainers Vater sagte, nachdem er mich gefühlte zehn Minuten von oben bis unten gemustert hatte, war ein durchaus wohlwollendes »Ja guck. Geht doch.«

Dabei nickte er Rainer zu.

»Geht doch«, hat mein Vater immer gesagt, wenn ich statt der üblichen Vier Minus aus Versehen mal eine Zwei in Mathe nach Hause gebracht hatte. Ich verbuchte seine Aussage für mich also so, dass ich besser war als meine Vorgängerinnen, und mehr kann man vom ersten Treffen nicht verlangen. Wenn man als neue Freundin zum ersten Mal die Schwiegereltern kennenlernt, ist sowieso nur die Mutter wichtig.

Und Rainers Mutter verhielt sich so, wie ich es erwartet und Rainer es angekündigt hatte: ganz normal.

Sie begrüßte mich freundlich, sah so aus, wie Mütter eben aussehen, und war danach sofort wieder in der Küche verschwunden, um »schnell nach dem Braten« zu sehen. Das würde ein glatter Durchmarsch für mich werden.

Im Wohnzimmer stand eine Armee von gerahmten Fotos der Familie im Wandel der Zeiten, was für mich vor allem deshalb interessant war, weil ich hier auch zum ersten Mal Rainers Exfreundin sah. Arm in Arm mit Rainer lächelte sie mich zufrieden vom Kaminsims an. Als Rainers Mutter mit den Klößen aus der Küche kam, sagte sie sofort: »Hans, ich hab dir doch gesagt, du sollst das für heute weglegen!« Vorwurfsvoll.

»Hast du gar nicht«, brummte Hans darauf zurück und sah mich dann grinsend an.

»Hat sie gar nicht«, flüsterte er mir zu, und in dem Moment sah er so dermaßen aus wie Rainer, dass mich das von der Frage wegbrachte, wieso Rainers Mutter das Foto nur »für heute« weglegen wollte. Rainer sagte zu all dem gar nichts, fummelte aber das Foto aus dem Rahmen und steckte es in sein Portemonnaie. Bis er meinen Blick sah. Da nahm er das Foto wieder raus, knüllte es zusammen und warf es in der Küche weg.