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Jeder kennt das schmerzhafte Gefühl von persönlichen Verletzungen, sei es in einer Beziehung, im Freundeskreis oder im beruflichen Umfeld. Ulla Peffermann-Fincke und Rainer Fincke zeigen einen Weg zu einer gesunden Robustheit, ohne selbst an Feinfühligkeit zu verlieren. Sie möchten Mut machen, mit den eigenen Verletzungen umgehen zu lernen. Wichtig ist dabei, einen Weg zu finden, sie einerseits nicht zu verleugnen, sich aber andererseits aus der Opferrolle zu befreien und aus der eigenen Schwachheit Stärke zu entwickeln. Dieses Buch bietet praktische Übungen, Bildbetrachtungen, Impulse und andere kreative Möglichkeiten, um an seelischen Verletzungen zu wachsen und ein befreites Leben zu führen.
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Seitenzahl: 153
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018
ISBN 978-3-7365-0154-6
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0603-9
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Lektorat: Marlene Fritsch
Illustrationen: Mascha Greune
Gestaltung: Dr. Matthias E. Gahr
www.vier-tuerme-verlag.de
Rainer FinckeUlla Peffermann-Fincke
Die Kunst sich (nicht) verletzen zu lassen
Vier-Türme-Verlag
Vorwort
Ohne seelische Verletzung durch das Leben zu gehen – wer möchte das nicht? Viele Ratgeber versprechen, dass dies möglich sei. Aber ist es das wirklich? Unserer Meinung nach nur begrenzt. In diesem Buch möchten wir daher mit einem ehrlichen Blick auf das Thema Verletzungen schauen.
Wie kommt es, dass ich so verletzlich bin? Welche Ursache haben meine Verletzungen? In welchen Fällen kann ich mich schützen? Themen, die offensichtlich viele Menschen beschäftigen. Mit Verletzungen sind wir alle, mal mehr, mal weniger, konfrontiert, und wir wünschen uns, möglichst unversehrt davonzukommen. Deshalb ist es gut, sich schützen zu können und die Kunst zu beherrschen, sich möglichst nicht verletzen zu lassen. Gleichzeitig ahnen wir, dass manche Verletzungen unumgänglich sind. Dann ist die Frage: Wie gehe ich damit um?
Es gibt tatsächlich auch eine Kunst, sich verletzen zu lassen. Dazu müssen wir uns auf eine tiefere, spirituelle Ebene einlassen. Dieser Weg kann uns Räume eröffnen, Verletzungen anzunehmen, zu ertragen und durch sie verwandelt zu werden. Wir laden Sie ein, diesen Weg der Transformation für sich zu entdecken.
Darüber hinaus möchten wir Sie anregen, Ihre eigenen Kraftquellen zu erkunden. Wir sind davon überzeugt, dass in jedem von uns Fähigkeiten, Begabungen und Kräfte schlummern, die im Umgang mit Verletzungen hilfreich sind.
Menschen, die mit den Höhen und Tiefen des Lebens gut umgehen können, bezeichnet man als Lebenskünstler. Dieses Buch möchte Ihnen Anregungen an die Hand geben, Verletzungen handhabbar zu machen, daran zu reifen und in diesem Sinn ein Lebenskünstler zu werden!
Ulla Peffermann-Fincke, Rainer Fincke
EinführungKraft und Gnade
Wenn man sich mit dem Thema »Verletzungen« beschäftigt, gibt es viele Möglichkeiten, sich Informationen zu beschaffen und sich auf den neusten Stand zu bringen, was die Forschungen dazu angeht. Wir wissen heute immer mehr über die Psyche des Menschen, um die Zusammenhänge und Wechselwirkung von Körper, Geist und Seele, aber dieses Wissen allein ist noch keine Garantie dafür, dass die Verletzungen, die wir spüren, auch heilen. Denn zu wissen, ich sollte joggen, reicht nicht aus – ich muss schon loslaufen! Allein das Wissen, ich sollte ein Konfliktgespräch führen, reicht nicht aus – ich muss anfangen zu reden, die Kommunikation aufnehmen.
Information ist wichtig und ein erster Schritt; nur, was mir bewusst ist, kann ich verändern. Neben der Information braucht es aber die Kraft zur Transformation, zur Verwandlung. Das gilt auch für Verletzungen, denn dann können vielleicht irgendwann aus Tränen Perlen werden.
Kraftquellen
Wie finde ich die Kraft, die Energie und den Mut, etwas zu tun oder auch zu lassen, jedenfalls etwas zu verändern? Letztlich, indem ich die Kraftquellen in mir entdecke und aus ihnen schöpfe.Kraftquellen sind etwas sehr Individuelles. Jeder Mensch ist einzigartig und deshalb sind auch Fähigkeiten und Begabungen unterschiedlich ausgeprägt. Kraftquellen sind zum Bespiel in der Natur zu finden, in der Musik, in der Kunst, im Glauben, in Beziehungen, also in ganz unterschiedlichen Bereichen. Aber wie diese entdeckt und konkret gelebt werden, das sieht bei jedem Menschen anders aus. Sich selbst auf die Spur zu kommen, zu entdecken, was mich persönlich stark macht, das ist wie eine Schatzsuche. Tröstlich ist, dass es für jeden einen »Schatz im Acker« gibt.
Gnade – geschenkte Möglichkeiten
Gnade ist ein schwieriger Begriff, weil so viele ambivalente Aspekte in diesem Wort mitschwingen: Güte, Barmherzigkeit, Liebe, Geborgenheit und Gelassenheit, aber auch Abhängigkeit, Demut und Unterwürfigkeit. Gnade ist etwas, das empfangen wird, sie ist – positiv verstanden – ein Geschenk, wir können sie nicht »machen«. Deshalb ist für Menschen einer Gesellschaft, die gewohnt ist, die Dinge im Griff zu haben und zu kontrollieren, eine rezeptive, empfangende Haltung zunächst befremdlich. Gleichzeitig spüren wir die Sehnsucht, nicht alles selbst schaffen zu müssen, Verbindung zu einer größeren Kraft zu haben, der wir uns anvertrauen können, die uns trägt, der wir uns im Positiven unterordnen können; dass in uns das Bewusstsein wächst: Es kann mir nichts passieren, egal, was geschieht, ich werde getragen und gehalten.
Bezogen auf Verletzungen bedeutet das, dass mich beispielsweise eine Trennung nicht »umhaut«, eine schwere Diagnose mich nicht innerlich zerstört; dass ich gelassen und vertrauensvoll mein Schicksal annehmen kann.
Ich kann und darf mich entspannen, Verantwortung abgeben und mich überlassen. Dazu muss ich mich immer wieder für diese größere Kraft öffnen, die wir Gott nennen können. Dies ist kein einmaliges Empfangen, sondern eine Haltung, die ich einüben kann. Übungswege sind sehr individuell, ich kann mich Gott auf unterschiedliche Weise nähern. Der je eigene Weg ist wiederum von meiner Persönlichkeit, von meinen Vorlieben und Stärken, aber auch von meinen Schwächen und Abneigungen abhängig. Letztlich muss ich meinen ganz persönlichen Weg zu dieser Kraft finden – und vielleicht auch für mich herausfinden, wie ich sie nennen möchte und welche Rolle sie in meinem Leben spielt, welchen Stellenwert sie darin hat. Denn es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.
Transformation
Transformation bedeutet beides: Ich erkenne und tue mein Bestes – und ich lasse geschehen, ich lasse mich verwandeln. Wenn ich einerseits die Kraft in mir spüre, Selbstvertrauen entwickle und mutig meinen Weg gehe und mich andererseits als Teil eines Ganzen fühle, mich Gott anvertrauen kann, dann bin ich nicht Opfer, sondern gestalte mein Leben. Darum geht es: dass mich meine Verletzungen nicht lähmen, sondern ich eine Perspektive habe und gut mit mir umgehen kann.
Es gibt Verletzungen, vor denen ich mich schützen kann; deshalb ist es gut und ratsam, Schutzmechanismen zu entwickeln. Andere Verletzungen sind unvermeidbar und treffen uns oft aus heiterem Himmel. Dann braucht es – wie auf der körperlichen Ebene – eine gute Behandlung, einen Weg der Heilung.
Es ist wie mit den Rosen: Die meisten Menschen mögen sie und nehmen die Dornen in Kauf, weil sie zur Rose dazugehören – es gibt sie nicht ohne. Wir lassen die Dornen nicht außer Acht, damit wir nicht verletzt werden, aber unsere Aufmerksamkeit wird angezogen von der Schönheit der Blüte.
Genauso können wir unser Leben sehen: Schwierigkeiten und Verletzung sollten und können wir nicht ignorieren, sie tun weh. Aber gleichzeitig hat das Leben so viele schöne Seiten zu bieten, auf die wir unseren Blick richten können. Es gibt so vieles, für das wir dankbar sein können, und so vieles, was es noch an Schönem zu entdecken gilt. Dafür offen zu bleiben, auch wenn wir wissen, dass wir wieder verletzt werden können, bedeutet, das Leben in seiner ganzen Fülle zu genießen oder anzunehmen.
Kränkungen und Verletzungen alsPhänomen der vernetzten Kommunikationsgesellschaft
Wo Menschen miteinander in Kontakt sind, gibt es nicht nur ein freundliches Miteinander, sondern auch Konflikte. Das liegt neben dem ökonomischen, sozialen und persönlichen Druck, der auf uns ausgeübt wird, auch an den verschiedenen Persönlichkeiten in unserem Umfeld. Mit dem einen oder anderen »Typ« kommen wir besser zurecht. Mit anderen verbindet uns eine »herzliche Abneigung«. Andere sind uns egal.
Mobbing, Kränkungen, Machtkämpfe, die offen oder unter der Decke geführt werden, gab es schon in früheren Zeiten. In der ständischen Gesellschaft war Willkür der herrschenden Klasse gegenüber Untergebenen und Bediensteten gang und gäbe. Welche Kränkungen und Verletzungen dadurch entstanden sind, kann man nur erahnen. In diesen Zeiten nahm man sie jedenfalls einfach stoisch hin. Psychologische Hilfe gab es noch nicht.
Heute sind wir sensibel geworden, nicht nur für unsere körperliche, sondern auch für unsere psychische Gesundheit. In den letzten vierzig Jahren wurden in Deutschland flächendeckend Ehe-,Familien- und Lebensberatungsstellen eingerichtet. Viele neue Therapieformen werden inzwischen sogar von den Krankenkassen akzeptiert. Dennoch reichen diese Hilfestellungen offenkundig nicht aus. Bei unseren Kursen und in der seelsorgerlichen Praxis erleben wir immer wieder, dass viele Menschen eine große psychische Belastung empfinden, die sich zum Beispiel in Depressionen und Burnout-Erfahrungen widerspiegeln. Diese Belastung durch Kränkungen, Verletzungen, Mobbing finden wir heutzutage vor allem in folgenden Bereichen:
» Schule/Studium
» Arbeit
» Ehe und Familie
Schule/Studium
Nach neusten Zahlen rechnet man mit 500.000 Kinder- und Jugendlichen, die Opfer von Mobbing geworden sind an Deutschlands Schulen (DPA-Meldung am 19.4.2017). Bei insgesamt 10 Millionen Schülern sind das 5 Prozent. Dabei geht es gehörig zur Sache, meint Mechthild Schäfer, Mobbing-Expertin und Entwicklungspsychologin an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität. Dies gilt besonders für das Cybermobbing in den sozialen Netzwerken. Das Schlimme ist, dass diese Art des Mobbings eben nicht mehr auf die reine Zeit in der Schule begrenzt ist, wie dies früher der Fall war, sondern auch danach weitergeht. Den ganzen Tag. Die ganze Nacht. Und eben auch, wenn man selbst gar nicht online ist.
»Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen«, so Mechthild Schäfer, »dass die ›lieben Kleinen‹ sich oft unsanktioniert eines Instrumentariums bedienen, für das man – wenn man strafmündig ist und angezeigt würde – durchaus ins Gefängnis wandern kann.«
Wer Opfer von Cybermobbing ist, also gefälschte oder diskriminierende Aussagen und Bilder von sich im Internet findet, kann solche Angstzustände bekommen, dass er nicht mehr in die Schule geht.
Dem Mobbing sind dabei nicht nur Jugendliche ausgesetzt, sondern erschreckend oft auch Lehrer. Jeder Sechste klagt über Attacken in der Schule, zeigen neue Studien. Manche Pädagogen fürchten ihre Schüler sowie deren Eltern – und die eigenen Kollegen. In meiner Gemeinde habe ich bei einem Schulbesuch in einer Grundschule zum Beispiel folgende Situation erlebt: Eine Lehrerin kommt weinend ins Klassenzimmer und berichtet, dass ein Schüler vor ihren Augen die Schultasche eines Schülers genommen hat und den Inhalt aus dem Fenster kippte. Wie gesagt, vor den Augen der Lehrerin, die natürlich verbal den Schüler ermahnte, der sich aber nicht darum kümmerte, was die Lehrerin sagte. Ein Kollege bot sich an, mal in die Klasse zu gehen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Aber das geht natürlich nicht, denn dann würde ihr sämtliche Autorität verloren gehen. Die Lehrerin war nicht mehr fähig, weiterzuarbeiten und ließ sich für eine Woche krankschreiben.
Wir wollen nicht pauschalisieren. Es gibt viele Lehrerinnen und Lehrer, die mit großem Engagement, mit Kompetenz und Freude ihre Arbeit tun. Aber man darf die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass gerade für sensible Menschen das Arbeitsfeld »Schule« nicht einfach ist.
Arbeit
Natürlich gibt es sie noch, die gute Kollegenschaft, aus der sich auch private Kontakte entwickeln. Aber vielfach werden auch gerade in großen Firmen viele Menschen gemobbt, sie fühlen sich gekränkt, verletzt. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2016 sagten 72 Prozent der 30- bis 40-Jährigen, dass sie das Gefühl hätten, dass ihr Arbeitsfeld stressiger geworden sei. 63 Prozent aller Arbeitnehmer gaben an, schon einmal gemobbt worden zu sein, zum Beispiel durch Vorenthaltung von Informationen.
Woran erkennt man Mobbing in der Arbeitswelt? Man kann vor allem sechs Faktoren unterscheiden:
1. Vorenthalten von Informationen
2. Schlechtmachen vor anderen
3. Verbreiten von Lügen
4. »Ins Messer laufen lassen«
5. Nichtbeachtung
6. Fehlinformation
Alle sechs Faktoren kommen immer wieder vor und greifen unsere Seele an. Ein Beispiel aus unserer Praxis: Eine 50-jährige Ingenieurin hatte eine leitende Stellung in einem ostdeutschen Stahlwerk inne. Sie machte ihre Sache gut, wurde belobigt vom alten Chef, der aber dann in den Ruhestand ging. Der neue Chef hatte von Anfang an eine Antipathie gegen die Frau, hielt offenbar allgemein nicht viel von Ingenieurinnen. Schritt für Schritt wurde sie aus den E-Mail-Verteilerlisten gelöscht. Es wurden Lügen über sie in Umlauf gebracht. Sie wurde bewusst fehlinformiert. Sie spürte immer deutlicher: Der neue Chef will sie loswerden, obwohl sie ihre Arbeit gut bewältigt. Doch gegen die Macht der Vorgesetzten hat man wenig Möglichkeiten. Die Ingenieurin versuchte, ein positives Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten aufzubauen. Aber sie fanden einfach keinen Draht zueinander. Stattdessen bekam ihr Selbstbewusstsein ständig massive Dämpfer. Schließlich verließ sie die Firma schweren Herzens und zog in eine andere Stadt, 500 Kilometer von ihrem bisherigen Zuhause entfernt. Die Folge: Sie kannte niemanden vor Ort, fühlte sich oft einsam und haderte mit dem Schicksal.
Die vielen neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die sozialen Medien, die Überwindung von Grenzen durch das Internet haben einerseits segensreiche Wirkung und demokratisieren Informationen. Zum anderen bieten sie neue Plattformen für Auseinandersetzungen, die es so bisher nicht gab. Im E-Mailverkehr kann man zum Beispiel ungeschützt seine Meinung über andere äußern. Man wägt nicht mehr jedes Wort ab, sondern »haut einfach mal einen Satz raus«. Aber was geschrieben ist, ist erst einmal in der Welt. Es kann nicht ungeschehen gemacht werden.
Ehe und Familie
Ein weiteres Feld bei der Zunahme von Verletzlichkeiten ist die Familie. Schon Anfang der 80er-Jahre hatten die evangelischen Familienbildungsstätten einen Slogan entwickelt, der auch heute noch Gültigkeit hat: »Familie leben lernen«. Dahinter stand die Erfahrung, dass die Familie ein immer komplexeres System bildet. Gerade in Großstädten haben sich ganz neue Familienkonstellationen gebildet. Jede zweite Ehe wird geschieden, die Ehepartner gehen neue Beziehungen ein, Kinder werden von verschiedenen Müttern und Vätern erzogen. Ein großes potenzielles Konfliktfeld. Das Thema »Patchworkfamilien« wird uns in den nächsten Jahren noch sehr beschäftigen. Hinzu kommen Familienkonstellationen, bei denen gleichgeschlechtliche Partner Kinder adoptieren. Über diese Form des Zusammenlebens gibt es kaum Erfahrungswerte.
Was wir deutlich machen möchten, ist: Die Verletzlichkeiten haben in den letzten fünfzig Jahren nicht ab-, sondern zugenommen. Viele Menschen, die sich gemobbt fühlen, empfinden nach neuen Untersuchungen ein allgemeines Misstrauen, sie leiden unter Nervosität, sozialem Rückzug und Ohnmachtsgefühlen.
Wir sind allerdings diesen Verletzungen nicht hilflos ausgeliefert. Wenn wir Ursache und Wirkung von Verletzungen besser verstehen und erkennen, welche Bedeutung unser Persönlichkeitsmuster dabei hat, können wir konstruktiver mit solchen Situationen umgehen. Darum geht es im folgenden Kapitel.
Wer bin ich? Meine persönliche Verletzlichkeit
Wenn ich Verletzungen verstehen möchte, ist es ratsam, mir selbst auf die Spur zu kommen: Wer bin ich? Wie bin ich? Wo stehe ich? Erst, wenn ich diese Fragen beantwortet habe, ergeben sich die nächsten Schritte. »Ein Schiff, das seinen Hafen nicht kennt, findet sein Ziel nicht.« Das gilt auch für den konstruktiven Umgang mit Verletzungen.
Selbstwahrnehmung als Voraussetzung für einen aktiven Umgang mit Verletzungen
Wenn ich für mich die Frage »Wer bin ich?« beantworten möchte, kann es hilfreich sein, auf vorhandene Konzepte zurückzugreifen, die anhand von Ähnlichkeiten und Unterschieden versuchen, Persönlichkeiten zu beschreiben. Aus dem Bedürfnis heraus, Menschen besser zu verstehen, entstanden solche Persönlichkeitstypologien.
Die einfachste und populärste Einteilung von Menschen ist in introvertierte oder extrovertierte Persönlichkeiten. Weitere Modelle beschreiben vier oder fünf Persönlichkeitstypen.
Je differenzierter die Einteilungen werden, umso mehr stoßen sie auf Widerstand und Kritik, da es an immer kleinere Schubladen erinnert, in die Menschen hineingesteckt werden – und aus denen sie nicht mehr herauskommen!
Jeder Mensch ist einzigartig. Das ist unumstritten. Diese Tatsache schließt aber nicht aus, dass es Beobachtungen von gleichen und unterschiedlichen Charaktermerkmalen gibt und somit Zuordnungen berechtigt sind. Aber trotzdem ist jeder Introvertierte einzigartig und jeder extrovertierte Mensch ebenso.
Gerade wenn es um Verletzungen geht, ist es hilfreich zu sehen, dass unterschiedliche Menschen an unterschiedlichen Stellen verletzbar sind – es gibt sehr verschiedene »wunde Punkte«. Situationen und Ereignisse, die manche sehr tief und lange verletzt haben, sind für andere kein Problem, sie sind schnell darüber hinweg oder haben sie nicht einmal als verletzend erlebt.
Wenn ich mich nun im Spiegel einer Typologie besser verstehen kann und meine verletzliche Seite genauer kennenlerne, kann ich mich zum einen früher und besser schützen. Zum anderen kann ich genauer hinschauen, woher diese Verletzlichkeit rührt, und mich dieser Seite meiner Persönlichkeit besonders widmen.
Jeder kennt die Erfahrung, sich mit manchen Menschen sofort verbunden zu fühlen, die »gleiche Sprache« zu sprechen, die gleiche »Wellenlänge« zu haben oder sich einfach gut zu verstehen. Andere Menschen wiederum verunsichern, sind einem fremd oder machen mich sogar wütend. Unabhängig davon, ob Menschen einem vertraut oder fremd erscheinen – Verletzungen und Enttäuschungen können in beiden Fällen vorkommen.
Ich bin die verletzte Person und es ist gut, mich wahrzunehmen und zu verstehen; es ist aber auch äußerst hilfreich, in der Situation den anderen, der als »Täter« empfunden wird, zu verstehen, seine Persönlichkeit und Beweggründe. Dazu dienen Persönlichkeitsmodelle.
Persönlichkeitstypologie: Das Enneagramm
Gerade im Hinblick auf das Thema »Verletzungen« haben wir gute Erfahrungen mit dem Enneagramm als Instrument der Selbsterkenntnis gemacht. Deshalb soll an dieser Stelle kurz darauf eingegangen werden.
Das Enneagramm beschreibt neun Persönlichkeitsmuster. Die Ursprünge dieser Persönlichkeitstypologie sind nicht eindeutig geklärt. Es ist ein sehr altes Modell, das im Christentum zur Anwendung kam, aber auch in anderen Traditionen zu finden ist. Die neun Muster lassen sich in Dreiergruppen einteilen, wodurch der Zugang vereinfacht wird. Hier unterscheidet man die sogenannten Herz-, Kopf- und Bauchtypen. Für unser Thema ist interessant, dass in jeder Triade ein Grundbedürfnis im Vordergrund steht. Jeder Typus einer Triade versucht, auf unterschiedliche Art und Weise diesem Bedürfnis gerecht zu werden. In Folgenden können wir die Verhältnisse nur grob skizzieren. Wir verweisen auf die Enneagramm-Literatur im Anhang.
Herz-Zentrum
Bei den Herz-Typen oder im Herz-Zentrum (die Persönlichkeitsmuster 2, 3 und 4) geht es um das Bedürfnis nach Beziehung, Anerkennung, Resonanz. Es dreht sich um die Fragen: Mag der andere mich? Werde ich gesehen, anerkannt, verstanden?