Die Küstenkommissarin – Tod in der Bucht - Jonas Brandt - E-Book

Die Küstenkommissarin – Tod in der Bucht E-Book

Jonas Brandt

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Beschreibung

Ein Fall für Kommissarin Frida Beck: In den Tiefen der Ostsee ruhen tödliche Geheimnisse In der Hohwachter Bucht liegt ein lebloser Mann in voller Taucherausrüstung. War es ein Unfall oder Mord? Frida Beck und Deniz Yilmaz nehmen die Ermittlung im mondänen Niendorfer Tauchclub auf. Wie sich herausstellt, bietet der Club illegale Touren zu historischen Wracks an. Die Kommissarin vermutet, dass der Tote Kunstschätze geschmuggelt hat und mit einem Konkurrenten aneinandergeraten ist. Doch als kurz darauf eine weitere Tote gefunden wird, muss Frida erkennen, dass sie einer falschen Spur gefolgt ist …

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Die Küstenkommissarin – Tod in der Bucht

Der Autor

JONAS BRANDT ist im Norden Deutschlands aufgewachsen. Er arbeitet als Lehrer und reist gern, wobei ihn das Schreiben stets begleitet. Immer wieder zieht es ihn an Deutschlands Küsten, wo er seine klugen Kommissare mit Vorliebe ermitteln lässt.

Von Jonas Brandt ist in unserem Hause bereits erschienen: Die Küstenkommissarin · Der Tote am Leuchtturm

Jonas Brandt

Die Küstenkommissarin – Tod in der Bucht

Ostsee-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage März 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, München (Himmel); © Mark Gerum / getty images (fliegende Möwe); © fhm / getty images (sitzende Möwe); © Joe Regan / getty images (Küste, Steg, Meer)Autorenfoto: © Privat E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2682-5

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Epilog

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

»Die Meteorologen sprechen vom heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen«, erklärte Nils und nahm einen Schluck Flens, ohne auf die Fruchtfliege zu achten, die dabei vom Glasrand in seinen Mund wanderte.

»Das schallt uns nun schon seit Tagen auf allen Kanälen entgegen«, erwiderte sein Chef Fiete Andersen. »Als ob die Medien uns das schöne Wetter nicht gönnen würden.«

»Manchen kann es ja gar nicht heiß genug sein«, bemerkte Thea kichernd und tätschelte Nils’ Oberarm.

»Die Schweißarbeiten an den Booten fallen einem bei der Hitze jedenfalls nicht gerade leichter.« Nils blickte zu den Werfthallen auf der anderen Seite des Niendorfer Hafens.

»Urlaubsreif kannst du ja noch nicht sein«, entgegnete Fiete. »Sonst würdest du den alten Rautenberg nicht um Sonderaufträge anbetteln.«

»Für die Ausflüge nach Kopenhagen opfere ich meine Wochenenden gern«, sagte Nils und drückte das Kreuz durch. »Der Rautenberg vertraut mir.«

Frida Beck blieb stumm und reckte das Kinn ein wenig nach vorn, um die Brise auszukosten, die gerade aufkam. In zwei Stunden würde sie wieder in ihrer aufgeheizten Lübecker Neubauwohnung liegen und mit dem Schlaf ringen, dachte sie und lauschte auf die Geräusche des nahe gelegen Hafens. Dort plätscherte das Wasser leise gegen die Schiffsrümpfe, klapperte das Takelwerk der Jachten und drückte eine Ausflugsbarkasse ihre Kautschukisolierung quietschend an der Kaimauer platt. Genüsslich sog sie die Meeresluft ein. Der Geruch von Salzwasser, Dieselmotor und Fischernetzen vermischte sich mit der herben Note des frisch gezapften Flensburgers, das vor ihr auf dem Tisch stand, warm wurde und Nils’ Stimme im Laufe des Abends schon um eine ganze Oktave angehoben hatte.

Frida blickte in die Gesichter ihrer Begleiter und versuchte, Interesse an dem heiteren Small Talk vorzuspielen. Sie fragte sich, wieso ihre Schwester Thea sie in letzter Zeit so oft einlud. Das hatte sie in den Jahren davor nicht getan. Vielleicht wollte Thea sie ja mit Nils’ Chef Fiete verbandeln. Seine grünen Augen und der graue Fünftagebart machten ihn nicht unattraktiv. Allerdings war er mit Mitte fünfzig ein paar Jährchen zu alt für sie.

Oder wollte Thea ihr einfach nur vorführen, wie glücklich sie mit ihrem neuen Liebhaber war? Alle zwei Minuten gab sie ihrem Freund einen dicken Schmatzer mitten aufs Gesicht. Ein klein wenig verwunderlich fand Frida die Begeisterung für Nils schon. Er war nicht sonderlich groß, hatte schmale Schultern und frisierte sein dünnes, dunkelblondes Haar unter Zuhilfenahme von reichlich Haargel nach vorn über die Stirn. Männer, die das taten, wirkten auf Frida oft so, als hätten sie nicht nur ihre fortschreitende Glatze zu verbergen, sondern auch andere Unzulänglichkeiten. Obwohl sie Nils erst einige Male begegnet war, hatte Frida bereits eine Unzahl davon registriert. Die auffälligste war wohl sein Drang, sich ständig in den Vordergrund spielen zu müssen. Heute Abend trieb er es besonders weit. Das lag wohl auch daran, dass sein Chef Fiete Andersen neben ihm saß. Und natürlich am Flens.

Plötzlich störte eine Stimme vom Nachbartisch ihre Gedanken. Frida lauschte konzentriert.

»Ich habe es vorhin auf Twitter gelesen … Da steht: Bei einer Bundeswehrübung in der Kieler Bucht haben mehrere Fehlschüsse ins Wasser verheerende Umweltschäden angerichtet. Angeblich haben die Soldaten Granaten mit zeitverzögerten Zündern verwendet.«

Während Frida sich fragte, in welchem Augenblick Nils das Gespräch des Nachbartisches kapern würde, da er sicher auch zu dieser Sache eine Meinung hatte, klirrte irgendwo eine Scheibe. Daraufhin ließ ein donnerndes Gebrüll die Tischgesellschaft zusammenzucken.

»Da ist aber jemand wütend«, stellte Frida fest.

»Das kam aus dem Vereinshaus des Tauchclubs«, erklärte Fiete und zeigte auf ein Gebäude, das auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens lag, direkt neben der Rautenberg-Werft.

»Ich werde mal nachsehen.« Frida stand auf. Sie griff nach ihrer Tasche und zog ihre Polizeiweste hervor. Nach kurzem Zögern legte sie auch ihre Dienstwaffe an.

»Ich komme mit!«, sagte Nils und erhob sich. Dabei stieß er gegen den Tisch. Ein Glas fiel um, und Bier tropfte auf den Terrassenboden.

»Ich kläre das besser allein«, entgegnete Frida, drückte ihn wieder zurück in seinen Sitz und eilte zu dem Gebäude, an dessen Fassade in blauen Lettern »Nordic Octopus – Tauchclub Niendorf« stand. Sie stieg über ein paar Glasscherben, drückte die Tür auf und trat in einen Schankraum. Zwei Männer lehnten an einem Tresen, an dessen Ende sich eine hölzerne Galionsfigur mitsamt Bugspriet erhob. Ein Strahler sorgte dafür, dass der bunt angemalte Poseidon mit Dreizack so wirkte, als würde er sich jeden Moment in Bewegung setzen. Dahinter saßen zwei junge Frauen an einem kleinen Tisch, hielten die leuchtenden Rechtecke ihrer Smartphones in den Händen und unterhielten sich aufgeregt. Eine von ihnen drehte sich um und blickte in den halbdunklen Raum hinein, wo gerade eine Gestalt durch eine schmale Tür verschwand.

»Guten Abend! Ich bin von der Polizei und wollte mich mal umsehen.« Kaum hatte Frida ihren Satz zu Ende gesprochen, vernahm sie ein Poltern in ihrem Rücken.

»Lass mich mal!«, ertönte Nils’ Stimme. Dann schob sich der Freund ihrer Schwester an ihr vorbei. »Ich kenne den Laden doch.«

»Hier gibt es nichts zu sehen!«, rief einer der Anwesenden und stellte sich Nils in den Weg. Die Bewegung war derart plötzlich erfolgt, dass Nils keine Zeit mehr zum Ausweichen hatte und die beiden Männer gegeneinanderstießen. Der Zusammenprall ging fließend in einen überraschend kräftigen Stoß über, mit dem Nils den Mann nach achtern katapultierte.

»Stopp! Nils, verschwinde hier!«, rief Frida und stürzte sich auf den Freund ihrer Schwester. Während sie die Arme um ihn schlang, sah sie aus den Augenwinkeln, wie der nach hinten gestoßene Mann versuchte, sich irgendwo abzustützen, jedoch mit beiden Händen ins Leere griff und schließlich mit der Galionsfigur kollidierte. Diese wankte kurz und stürzte dann mit einem lauten Krachen auf den Tisch, an dem die beiden Frauen mit den Handys saßen.

»Hilfe!«, schrie eine von ihnen und sprang zur Seite. Dann waren nur noch schrille Schreie zu vernehmen.

Nils und die anwesenden Männer stürmten zu der Holzfigur, stemmten sie in die Höhe und zerrten die zweite Frau darunter hervor. Zwischen ihren blonden Haaren quoll das Blut hervor.

»Du Trottel! Was fällt dir ein? Raus mit dir!«, fuhr Frida Theas betrunkenen Freund an, riss ihn mit beiden Händen hoch und schubste ihn so kräftig nach draußen, dass er fast gestürzt wäre. Anschließend setzte sie einen Notruf ab, während die beiden Männer aus dem Tauchclub die bewusstlose Frau zu reanimieren begannen.

»Ihr Puls ist weg!«, rief einer der beiden Helfer.

»Milena!« Die unverletzte Frau schrie mit einer Stimme, die Frida das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»Beruhigen Sie sich bitte!«, sagte Frida.

»Sie haben Milena getötet! Sie sind schuld!« Die Freundin der Verletzten streckte Frida ihr Handy entgegen. »Ich habe alles auf Kamera!«

2. Kapitel

Die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt, als Frida durch die schlafende Hansestadt rollte. Eine kleine Gruppe Nachtschwärmer grölte durch die Straße und erhielt als Antwort den Warnruf einer Möwe. Die Luft war noch frisch, und die drückende Hitze würde erst in ein paar Stunden einsetzen. Als Frida am Krankenhaus ankam und vom Rad stieg, war sie trotzdem durchgeschwitzt.

Im Wartebereich der notfallmedizinischen Abteilung herrschte ein reges Treiben. An der Herreninsel hatte es einen Busunfall gegeben, und Dutzende Angehörige liefen aufgeregt durch die Gänge, hingen an ihren Telefonen, wimmerten vor sich hin oder starrten resigniert ins Leere. Als Frida sich suchend nach einer freien Pflegekraft umsah, um sich nach Milena zu erkundigen, tippte ihr jemand auf die Schulter. Sie schnellte herum.

»Hey, Fiete!«

»Ich bin dem Krankenwagen hinterhergefahren«, sagte der Leiter der Niendorfer Werft. »Ich kenne Milena Rautenberg seit ihrer Geburt.«

»Und ich lag in meinem Bett und konnte einfach kein Auge zumachen«, antwortete Frida. »Sind Milenas Eltern auch hier?«

»Ihre Mutter hat mich geschickt.« Fiete rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Meine Chefin.«

»Was denkt die jetzt wohl von ihrem neuen Angestellten?«

»Ich würde Nils nicht die Schuld geben«, antwortete Fiete. »Außerdem weiß auch Frau Rautenberg, welcher Menschenschlag in dem Tauchclub verkehrt.«

»Ach, und welcher wäre das?«

»Alles Taugenichtse! Ironischerweise hat ausgerechnet Gravenhorst die Figur umgerissen. Das ist noch der mit dem meisten Anstand. Aber ehrlich gesagt will ich gerade nicht über diese Leute sprechen.«

»Das können wir auch gern nachholen«, entgegnete Frida. »Du scheinst ja einiges über sie zu sagen zu haben.«

»Wie du weißt, arbeite ich schon fast mein ganzes Leben lang in der Werft.« Fiete setzte sich hin. »Eigentlich wollte ich nicht dasselbe machen wie mein Vater, aber dann hatte er einen Unfall und konnte nicht mehr richtig zupacken. Das war der Moment, als der Rautenberg zu mir kam und mich fragte, ob ich nicht als Bootsbauerlehrling in der Niendorfer Werft anfangen wollte. Ich sagte zu, und sechs Jahre später übernahm ich die Leitung der Werft. Mittlerweile kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen. Und das Unternehmen braucht mich zum Glück noch.«

»Sieh mal!« Frida sprang auf, als sie einen vorbeieilenden Arzt erblickte. Ihre Hand wanderte in die Hosentasche, in der ihr Dienstausweis steckte. Doch in letzter Sekunde entschied sie sich anders und ließ ihn dort, wo er war. Mit ausgestreckten Armen versperrte sie dem Mediziner den Weg.

»Guten Morgen!«, sprach sie ihn an. »Ich brauche eine Auskunft zu Milena Rautenberg.«

»Sie sind eine Angehörige, nehme ich an?«, fragte er zurück. »Andernfalls darf ich Ihnen nämlich leider keine Auskunft erteilen.«

»Ich bin ihre beste Freundin und war dabei, als es passiert ist«, log Frida. »Ich will nur wissen, ob sie außer Gefahr ist.«

»Rautenberg, Rautenberg …«, murmelte er zerstreut. »Es sieht ernst aus. Aber ich muss auch schon wieder weiter.«

Frida drehte sich zu Fiete um. Seinem Gesichtsausdruck zufolge hatte er die Antwort auch gehört. Er schloss die Augen, seine Arme sanken hinab. Frida ließ sich auf den Sitz neben ihn fallen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Sie suchte nach den richtigen Worten, aber es wollte ihr nichts in den Sinn kommen. Ihr Blick blieb am Krankenhausfenster hängen, in dem sich ein Gesicht spiegelte. Blass, mit Augenringen, ausgewachsener Frisur und grauen Strähnen an den Schläfen. Es war ihr eigenes.

Das war das Letzte, was sie sah, bevor ihr die Augen zufielen.

Die Morgensonne glitzerte auf der ruhigen See, und eine laue Brise strich durch die Blätter der Sanddornsträucher am Dünenrand. Es war noch früher Vormittag, aber die Sonne brannte bereits unerbittlich. Der junge Mann zog sich die Sandalen aus. Seine Füße versanken im warmen Sand. Er sah nach seinem vierbeinigen Begleiter, dessen Nase es zu den silbrigen Blüten des Strandhafers hinzog. Ein anderer Hund musste in der Nähe seine Duftmarke hinterlassen haben. Aber vielleicht vertrocknete dort auch irgendwo ein toter Fisch.

»Hierher, Kurti!«, rief der Spaziergänger seinen Zwerg­dackel und zog sanft an der Leine. »Wir gehen ans Wasser.«

Der Hund gehorchte und folgte dem Herrchen hinab ans Ufer. Dann trotteten sie langsam gen Norden. Je mehr sie sich Putlos näherten, desto weniger Menschen waren zu sehen. Als sie den Weissenhäuser Strand schließlich hinter sich gelassen hatten, ließ der Mann sich in den Sand fallen, schlug sich Kurtis Leine um die Beine, zog eine gelbe Plastikflasche hervor, drückte sich eine Ladung Sonnencreme in die Handfläche und schmierte sich das Gesicht ein.

»Komm, Kurti!«, sagte er und gab seinem Hund etwas zu trinken. Anschließend erhob sich der Mann und ging bis zu den Knöcheln ins Wasser. Sein Hund folgte ihm nur zögerlich. Und kaum hatte er den nassen Sand unter den Füßen, begann er zu knurren. Der Spaziergänger sah sich um, legte Kurti die Leine an und kraulte ihm den Nacken. Doch er wollte sich nicht beruhigen lassen. Sein Knurren wurde heftiger, und er begann, an der Leine zu zerren. Es zog ihn ins Wasser. Wahrscheinlich trieb dort irgendwo ein verendeter Meeresbewohner.

»Du bleibst hier!«, rief der Mann, machte kehrt und zog den Hund zurück auf den Strand. »Heute gibt es keine Schweinereien mit toten Flundern.«

Doch es half nichts, den Dackel drängte es weiterhin in Richtung Wasser. Allmählich ging sein Knurren in aufgeregtes Bellen über. Sie würden sich wohl eine andere Stelle suchen müssen, irgendetwas stimmte hier nicht.

»Nun komm schon, Kurti!«, forderte er seinen Begleiter auf und ließ seinen Blick über das Wasser gleiten.

Dann erfassten seine Augen zwei längliche, graue Gegenstände, die im knietiefen Wasser dümpelten. Waren das nicht Taucherflaschen? Und was hing da noch unten dran? War das etwa ein Mensch?

Frida öffnete die Augen. Ihr Nacken schmerzte, und Fiete schnarchte neben ihr auf der Sitzreihe. Die Strahlen der Vormittagssonne brachten seine grauen Bartstoppeln zum Leuchten, seine Augenlider zitterten nervös. Sollte sie ihn wecken? In ihrer Hosentasche vibrierte es. Frida fischte ihr Smartphone heraus und blinzelte aufs Display. Es war bereits nach zehn. Und ihr Vorgesetzter rief an.

»Moin! Wie war dein Sonntag bis jetzt?«, begrüßte Thilo Björnsen sie zögerlich.

»Ich mag es nicht, wenn deine Stimme so doppeldeutig klingt«, antwortete sie leise, während sie sich von dem schlafenden Fiete entfernte. »Was weißt du bereits über die gestrigen Ereignisse in Niendorf?«

»Ich lasse dir den Vortritt«, erklärte Thilo. »Aber im Netz war bereits etwas zu lesen.«

»Das war ja klar«, erwiderte Frida.

»Ich begnüge mich auch mit einer Schnellversion am Telefon, weil heute Sonntag ist. Den Rest kannst du mir morgen im Büro berichten.«

»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Frida blickte zu dem schlafenden Fiete. Bei Nils? Bei dem Kerl, der unerkannt aus dem Tauchclub geflohen war? Bei diesem Gravenhorst? Oder doch bei der verletzten Milena Rautenberg? »Also gut, die Geschichte begann in einem Restaurant …«

»Ups! Sorry! Warte mal, Frida!«, ging Thilo dazwischen. »Ich bekomme gerade einen Anruf aus der Zentrale herein. Ich rufe dich gleich zurück, ja?«

»Alles klar.« Frida legte auf und blickte ratlos um sich, als eine junge Pflegerin auf sie zukam. Ihre weiße Uniform strahlte im Sonnenlicht, und sie lächelte. Frida vermutete, dass sie ihre Schicht erst angetreten haben musste und nichts von der Aufregung der vergangenen Nacht mitbekommen hatte.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Frau.

»Ich wollte mich nach einer gewissen Milena Rautenberg erkundigen.«

»Frau Rautenberg hat das Krankenhaus doch bereits vor Stunden verlassen.«

»Aber lag sie nicht heute früh noch mit schweren Verletzungen auf der Intensivstation?« Frida rieb sich die verschlafenen Augen.

»Soweit ich weiß, hat sie lediglich ein leichtes Schädeltrauma und ein paar Prellungen erlitten«, antwortete die Pflegerin. »Damit konnte sie das Krankenhaus getrost wieder verlassen. Außerdem hat ihre Familie ja sicher einen Privatarzt, der sie zu Hause überwachen kann. Ihrem Instagram-Account zufolge geht es ihr jedenfalls schon wieder ziemlich gut.«

»Wie bitte?«

»Milena Rautenberg hat über hunderttausend Follower.« Die junge Frau runzelte die Stirn, als müsste sie Frida erst erklären, was Instagram überhaupt sei. »Also, Sie verstehen doch, oder?«

»Ja, ja, schon klar. Aber als ich vor ein paar Stunden einen Arzt gefragt habe, meinte der, sie sei noch nicht über den Berg«, erwiderte Frida verwundert. »Wie passt das zusammen?«

»Letzte Nacht herrschte hier das reinste Chaos«, erklärte die Pflegerin. »Womöglich hat er einfach zwei Patienten verwechselt. Wir haben tatsächlich fast eine junge Frau verloren. Sie liegt noch im Koma. Aber sie heißt nicht Milena Rautenberg. Das kann ich Ihnen versichern.«

»Danke«, murmelte Frida.

Kaum war die junge Frau in einem Krankenzimmer verschwunden, rief Thilo erneut an.

»Weißt du, was ich gerade erfahren habe?«, meldete sich Frida und prustete sogleich die guten Neuigkeiten heraus. »Milena Rautenberg ist gar nicht mehr im Krankenhaus! Und ich warte hier wie bescheuert!«

»Dann hast du ja jetzt Zeit für einen Strandausflug, oder?«, unterbrach Thilo sie.

»Jetzt bin ich aber mal gespannt«, meinte Frida.

»Vor etwa einer halben Stunde wurde der Leichnam eines Tauchers in der Nähe des Weissenhäuser Strands gefunden«, fuhr er fort. »Identität unklar.«

»Todesursache?«

»Auch unbekannt. Offenbar war er in der Hohwachter Bucht tauchen und ist dort verunglückt. Merkwürdig ist allerdings, dass niemand ihn als vermisst gemeldet hat und es keine Begleiter gab, kein Boot, keine Spuren an Land, nichts.«

»Ich übernehme das.«

»Deniz weiß auch Bescheid. Nur für den Fall, dass du zu kaputt bist.«

»Für einen Spaziergang am Meer wird es reichen«, erwiderte sie, während sie das Krankenhaus verließ, den tief und fest schlafenden Fiete zurücklassend. »Sag Deniz, dass ich ihn an der Dienststelle treffe.«

3. Kapitel

Ab dem Weissenhäuser Strand folgten sie einem Feldweg. Im Osten lag die hellblaue Ostsee unter einem diesig-weißen Sommerhimmel. Im Westen erstreckte sich eine leicht angegilbte Auwiese, die an einem hohen Zaun jäh endete. Dahinter begann der Truppenübungsplatz Putlos.

»Wir sind schon wieder die Letzten«, bemerkte Frida, als sie zu den Kollegen am Tatort hinübersah.

»Mach dir nicht immer solchen Stress, Frida!«, sagte Deniz Yilmaz, nahm seinen Kaffeebecher aus der Halterung, klopfte sich die Brötchenkrümel vom T-Shirt und klemmte sich seine widerspenstigen schwarzen Locken hinters Ohr. »Und schau mir nicht immer auf den Bauch!«

»Das tue ich doch gar nicht!«, protestierte Frida. Als sie ausgestiegen war, roch sie den Sandstrand und das Meer. Eine leichte Brise fuhr ihr ins Haar. Hinter ihr zirpten die Grillen. Wann hatte sie eigentlich zum letzten Mal am Strand gelegen?

»Der Chef hat mir neulich klargemacht, dass ich abnehmen muss. Das war schon deprimierend genug«, erzählte Deniz. Auf seinen vollen Wangen zeichnete sich ein Lächeln ab. Mit einem übertriebenen Ächzen hievte er sich aus dem Wagen. »Er meinte, ich soll mir ein Beispiel an dir nehmen.«

»Ich würde es eher umgekehrt sehen.« Frida sah an sich he­runter. »Was soll schon gut sein an so einem Hungerhaken wie mir?«

»Und mit den Kilos kommt auch die Gelassenheit.« Deniz zwinkerte ihr zu.

»Ich weiß. Die würde mir ganz guttun«, antwortete Frida und zeigte in Richtung Wasser. »Du als Taucher müsstest die Stelle doch kennen, oder?«

»Dort liegt der Wesseker Graben, der sich vom Eitzgrund fast bis nach Fehmarn zieht. Er verläuft parallel zur Küste und reicht vereinzelt bis zu dreißig Meter tief hinunter. Sofern keine Schießübungen stattfinden, kann man da auch tauchen. Allerdings gibt es außer ein paar Seenadeln nicht viel zu sehen. Ich kenne jedenfalls keinen Taucher, der sich um die Stelle reißt«, sagte Deniz.

Nach ein paar Schritten kamen sie am Flatterband an, das quer über den Strand gespannt war. Dahinter erkannte Frida einen blonden Wuschelkopf. Er gehörte Lasse Diekmann von der Kriminaltechnik. Direkt neben ihm erblickte sie Doktor Andreani, die Lübecker Rechtsmedizinerin. Sie hatte die Kapuze ihres weißen Schutzanzugs abgesetzt. Vermutlich wegen der Hitze. Die beiden standen so nah beiei­nander, dass eine Strähne ihres langen Haares Lasses Gesicht streifte. Fridas Augen wanderten weiter zu dem uniformierten Kollegen vom Revier Heiligenhafen und schließlich zu den Füßen des Toten. Sie steckten noch in Taucherflossen.

»Hi«, brummte Lasse.

»Lange nicht gesehen«, erwiderte Frida. Sie verspürte ein Stechen in der Brust, als sie das Grübchen auf seiner unrasierten Wange sah. Warum war ihr Kontakt bloß abgebrochen? Hatten sie beide nicht einmal mehr gewollt?

»Hallo zusammen!«, grüßte Doktor Andreani gut gelaunt und stülpte sich die Kapuze wieder über den Kopf.

»Wer hat ihn gefunden?«, fragte Deniz.

»Er dort hinten.« Lasse deutete auf einen jungen Mann am Dünenrand, der auf einen Zwergdackel starrte. Neben ihm stand ein Notarzt. »Angeblich hat er versucht, den Toten wiederzubeleben.«

»Es deutet alles auf Tod durch Ertrinken hin«, schob Andreani hinterher. Mit einem Schritt nach hinten gab sie den Blick auf die Leiche frei.

»Lasst mal sehen.« Frida beugte sich nach vorn. Dann stockte ihr der Atem. »Ich kenne diesen Mann.«

»Wie bitte?«, stieß Deniz hervor.

»Er war gestern in eine Keilerei in Niendorf verwickelt.«

»Das erspart uns ja einiges an Arbeit«, bemerkte Deniz und nahm einen Schluck Kaffee.

»Sein Name lautete Veit Gravenhorst, und er war wohl erfahrener Sporttaucher«, murmelte Frida.

»Ein Profi dürfte hier nicht so schnell verunglücken«, erwiderte Deniz. »Die Hohwachter Bucht ist eigentlich recht übersichtlich.«

»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich so gut mit den Tauchgründen in der Kieler Bucht auskennen, Herr Yilmaz«, bemerkte Andreani.

»Kommissar Yilmaz war mehrere Jahre bei den Polizeitauchern in Kiel.« Frida blickte stolz auf ihren Kollegen.

»Und mittlerweile passe ich nicht mal mehr in meinen Neoprenanzug«, sagte Deniz, strich sich stirnrunzelnd über den Wanst und deutete dann auf den Toten. »Was hat der Zeuge zu dem Atemregler gesagt? Steckte er noch im Mund des Toten, als er ihn hier fand? Können Sie etwas dazu sagen, Herr Hartwich?«

»Das habe ich ihn auch gefragt«, schaltete sich der Heiligenhafener Polizeihauptmeister Klaas Hartwich in das Gespräch ein. »Er meinte, der Schlauch habe schon herausgehangen, als er ihn gefunden hat.«

»Und was genau hat er anschließend getan? Wissen wir das?«, erkundigte sich Frida, während sie neugierig zu dem jungen Mann hinübersah. »Wir sollten ihn noch einmal anhören.«

»Er steht unter Schock«, gab Andreani zu bedenken. »Von einer weiteren Befragung rate ich momentan ab.«

»Soweit ich weiß, hat er die DLRG-Leute vom Weissenhäuser Strand gerufen, weil er glaubte, der Mann würde noch leben«, antwortete Hartwich.

»Vermutlich ist er aber bereits leblos hier angespült worden«, bemerkte Andreani.

»Die Driftströmung könnte ihn angetrieben haben«, erklärte Deniz mit einer Armbewegung in Richtung Meer. »In den Morgenstunden war der Wind auch noch etwas stärker.«

»Warum ist er mit dem ganzen Gerödel nicht untergegangen?« Der Polizeihauptmeister aus Heiligenhafen kratzte sich am Kinn. »Finden Sie das nicht seltsam?«

»Dafür ist das Archimedische Prinzip verantwortlich«, entgegnete Deniz und grinste. »Wenn das Gewicht des verdrängten Wassers höher ist als das der Gasflaschen, dann gibt es einen Auftrieb.«

»Und aus welchem Grund ertrinkt ein Profitaucher, wenn er eine gefüllte Pressluftflasche und eine funktionstüchtige Ausrüstung dabeihat?«, fragte Frida.

»Herzinfarkt, Schlaganfall, Kreislaufkollaps«, mutmaßte Andreani. »Er könnte auch eine Ohnmacht erlitten und sich dabei unbeabsichtigt das Mundstück aus dem Mund gerissen haben. Auch die Dekompressionskrankheit ist nicht auszuschließen. Allerdings stirbt man daran nicht so schnell.«

»Bei der geringen Tauchtiefe können wir eine Dekompressionskrankheit als alleinige Todesursache wohl ausschließen«, erklärte Deniz. »Außerdem war der Mann ja angeblich ein Profi.«

»Genaues werden wir erst erfahren, wenn ich mal hi­neingesehen habe«, stellte Andreani fest.

»Ich würde auch die komplette Ausrüstung zur Untersuchung ins Labor schicken, inklusive der Gasmischung«, meldete sich Lasse zu Wort.

»Tu ruhig mal was für dein Geld!« Andreani stieß dem Kriminaltechniker kichernd mit dem Ellenbogen in die Hüfte. Lasses Blick wanderte daraufhin verstohlen zu Frida. Sein Mund öffnete sich leicht, als wollte er etwas sagen. Doch es kam nichts.

»Apropos! Wären Sie so lieb und würden für uns herausfinden, ob dieser Gravenhorst Familie hatte?«, forderte Frida Hartwich auf. »Wir müssen ihn natürlich noch durch die Angehörigen identifizieren lassen.«

»Alles klar, Frau Beck!«, erwiderte der Schutzpolizist und drehte ab.

»Wenn Sie jemanden aus Gravenhorsts Familie ausfindig gemacht haben, informieren Sie mich bitte. Wir entscheiden dann, wer hinfährt«, rief Frida ihm hinterher. Niemand überbrachte gern Todesnachrichten. Aber meistens fand sich ein Kollege aus dem zuständigen Revier, der die Betroffenen kannte. Während Frida dem Uniformierten hinterherblickte, machte sie zwei Transporter der Bundeswehr hinter den Dünen aus. »Die Feldjäger sind auch da?«

»Wahrscheinlich untersuchen sie immer noch den Zwischenfall auf dem Truppenübungsplatz Putlos, direkt nebenan.« Lasse deutete auf den Zaun, der in fünfzig Meter Entfernung stand. »Das ging ja rauf und runter in den Nachrichten.«

»Ich habe davon gehört«, murmelte Frida. »War das nicht eine gemeinsame Gefechtsübung mit den dänischen Streitkräften?«

»Wovon sprechen Sie, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Andreani.

»Von dort drüben wurden ein paar Granaten in die Ostsee gefeuert. Dummerweise hatten die Geschosse zeitverzögerte Zünder. Sie sanken also auf den Boden hinab, explodierten dort und richteten einen riesigen Umweltschaden an«, führte Lasse aus. »Da zufällig gerade ein paar Leute vom Naturschutzbund auf Vogelzählung in der Nähe waren, wurde die Sache gleich ganz groß ausgeschlachtet. In der Zeitung hieß es, das Ökosystem sei irreparabel beschädigt worden und so weiter. Das ist bis ganz nach oben gegangen.«

»Das wird hoffentlich auch aufgearbeitet«, entgegnete Doktor Andreani. »Wir sollten die Natur einfach in Ruhe lassen. Ich verstehe auch nicht, warum das Tauchen an dieser Stelle überhaupt noch erlaubt ist?«

»Man könnte auch fragen, ob das Geballer am Strand sein muss«, hielt Frida dagegen.

4. Kapitel

Am Himmel zeigte sich nicht eine Wolke, und die warme Meeresbrise schmeckte nach Sonntag, auch wenn dieser für Frida längst zum Arbeitstag geworden war. Linker Hand von ihr erhoben sich die gewaltigen Hallen der Rautenberg-Werft, rechts schlängelte sich ein asphaltierter Weg entlang, der ein paar Meter weiter zur breiten Strandpromenade wurde und bis nach Timmendorf führte. Da das Tor offen stand, betrat Frida das Gelände des Tauchcenters, ohne zu zögern. In der Hofmitte knisterte der Motor eines gewaltigen Hummer-Geländewagens in der Sonne. Frida passierte zwei leere Bootsanhänger, ein paar Tauchgasflaschen und eine Befüllungsanlage. Über einem großen Gestell hingen ein paar trockene Taucheranzüge. Die Häuserfront bot zwei Eingänge. Den einen kannte Frida von gestern Abend bereits. Er führte direkt in das Vereinslokal. Die andere Tür war mit einem »Mitglieder«-Schild versehen. Eine verrauchte Stimme erklang in ihrem Rücken. »Brauchen Sie etwas?«

»Moin!« Frida drehte sich um. »Beck, Mordkommission Lübeck.«

Sie sah sich einer Frau Anfang fünfzig gegenüber, die mindestens einen Kopf kleiner war als sie. Ihre Haut war sonnengegerbt, die silbergrauen Haare waren zu einem Bürstenschnitt aufgestellt, und zwischen ihren Fingern qualmte eine Zigarette. Sie trug eine eng anliegende Hose mit Leopardaufdruck und ein goldenes Synthetikoberteil, dessen Anblick Frida Unbehagen verursachte. An sämtlichen Hand- und Fußgelenken der Frau klimperten unzählige Reifen und Kettchen.

»Wegen gestern Abend?«, fragte die Raucherin.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«, erkundigte sich Frida mit einem Lächeln.

»Jeska Haker, Geschäftsführerin des Unternehmens, dessen Gelände Sie gerade betreten haben.« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, als ob sie damit ihren Machtanspruch unterstreichen wollte. »Auf Instagram hab ich gesehen, dass es der kleinen Rautenberg wieder blendend geht.«

»Deswegen bin ich nicht hier«, erklärte Frida. »Veit Gravenhorsts Leiche wurde heute am Weissenhäuser Strand gefunden, und soweit ich weiß, ist er hier Mitglied.«

»Wie bitte?« Frau Haker drückte ihre Zigarette in einem übervollen Aschenbecher aus. Dann zog sie sich einen Stuhl heran. Es sah so aus, als wollte sie Platz nehmen. Doch sie blieb stehen. »Was soll das heißen?«

»Er trug eine Taucherausrüstung. Offensichtlich war er heute Morgen in der Hohwachter Bucht tauchen.« Frida blickte sich auf dem kleinen Hof um. »Wissen Sie, mit wem er unterwegs gewesen sein könnte?«

»Sollte ich?« Haker schüttelte den Kopf, nestelte sich eine neue Zigarette aus ihrer Schachtel und begann, sie zwischen den Fingerspitzen hin und her zu rollen.

»Aber der Name Veit Gravenhorst ist Ihnen offenbar ein Begriff?«, setzte Frida spitz hinzu.

»Er hat auf Honorarbasis für uns gearbeitet«, antwortete Frau Haker und zündete sich ihre Zigarette an. »Als Lehrer und Tauchguide.«

»Waren Sie befreundet?«

»Was soll diese Frage?«, erwiderte Jeska Haker unwirsch. »Glauben Sie etwa, ich hätte etwas mit dem Unfall zu tun?«

»Woher wissen Sie, dass es ein Unfall war?«

»Was soll es denn sonst gewesen sein?«, gab Haker zurück.

»Tja, das wird sich wohl erst noch zeigen«, murmelte Frida. »Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich mich ein wenig umsehe.«

»Wie Sie meinen.« Frau Haker zog eine Augenbraue in die Höhe.

»Ich würde gern mit dem Clubhaus anfangen«, sagte Frida.

»Da geht es lang.« Die Haker zeigte auf den gläsernen Eingangsbereich.

»Danke.«

Drinnen ließ Frida den Blick durch den Schankraum schweifen. Die Galionsfigur stand wieder auf ihrem Platz, und die Spuren der Rangelei waren beseitigt. Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf eine Wand, an der zahlreiche gerahmte Bilder von Schiffen hingen.

»Der Chef hatte die Idee, die Bilder gesunkener Schiffe aufzuhängen«, ertönte plötzlich eine Stimme, die jedoch nicht Jeska Haker gehörte. Frida drehte sich um und blickte in wässrig-blaue Augen. Wie seltene Edelsteine leuchteten sie in einem von tiefen Falten zerfurchten Gesicht. »Das Schiff direkt vor Ihrer Nase heißt Thielbek. Die britische Luftwaffe hat es für einen Truppentransport der Nazis gehalten und gnadenlos versenkt. Aber in Wirklichkeit handelte es sich um ein schwimmendes Konzentrationslager mit Tausenden von jüdischen Häftlingen. Alle tot. Moin übrigens!«

»Das ist Willy, unser Mädchen für alles«, bemerkte Jeska Haker, die Frida nach drinnen gefolgt war, und steckte sich eine neue Zigarette an. »Er redet viel.«

»Ich war fünf Jahre alt, als die Thielbek sank«, fuhr der Alte fort. »Meine älteren Brüder mussten im Sommer fünfundvierzig die Leichen vom Strand einsammeln und in Massengräbern verscharren.«