Die Leberfleckleserin von Ueckermünde - Herold zu Moschdehner - E-Book

Die Leberfleckleserin von Ueckermünde E-Book

Herold zu Moschdehner

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Beschreibung

In den 1970er Jahren beginnt die Geschichte der Leberfleckleserin aus Ueckermünde, einer kleinen Stadt in der DDR. Ihre Gabe ist außergewöhnlich: Sie kann aus den Flecken auf der Haut eines Menschen dessen Schicksal und innerste Geheimnisse lesen. Was als lokale Sensation beginnt, führt sie bald bis in die höchsten Kreise des Landes. Selbst Staatsoberhaupt Erich Honecker sucht ihren Rat, fasziniert von den Geschichten, die sie aus der Haut zu lesen vermag. Doch ihre Fähigkeit birgt mehr als nur das Wissen um verborgene Wahrheiten: Manche Leberflecken, glaubt sie, sind "Schicksalsflecken". Entfernt man einen dieser Flecken, verändert sich das Leben des Menschen unwiderruflich - als wäre ein unheilvoller Knoten gelöst. Die Geschichte einer einzigartigen Gabe, die Leben veränderte und die dunklen Geheimnisse der DDR aufdeckte.

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Seitenzahl: 67

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Die Leberfleckleserin von Ueckermünde

Das Geheimnis einer Frau, die das

Schicksal in der Haut las

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Das erste Zeichen

Kapitel 3: Die Schicksalsflecken und die

Kapitel 4: Die Schicksalslinien werden dunkler

Kapitel 5: Die Begegnung mit dem Unbekannten

Kapitel 6: Die Schatten der Flecken

Kapitel 7: Das Vermächtnis der Fleckleserin

Kapitel 8: Die Prüfung des Schicksals

Kapitel 9: Die Rückkehr ins Licht

Kapitel 10: Die Stimme des Haffs

Kapitel 11: Das Vermächtnis der Fleckleserin

Vorwort

Die Geschichte der Fleckleserin von Ueckermünde führt uns an den Rand des Sichtbaren, dorthin, wo das Offensichtliche mit dem Geheimnisvollen verschmilzt. Lotte, die Protagonistin, sieht in den Flecken der Menschen nicht bloße Pigmentierungen, sondern Fenster zu ihren innersten Gefühlen, ihren Ängsten, Hoffnungen und längst vergessenen Erinnerungen. Diese Flecken sind stille Chronisten von Schicksal und Wandel, von Schmerz und Vergebung, sie erzählen von der tiefen Verbindung, die die Menschen mit der Natur und den unsichtbaren Kräften um sie herum haben.

Das Buch entführt uns in eine Welt, in der Haut und Seele untrennbar verbunden sind. Durch Lottes Gabe wird das Lesen der Flecken zu einer Reise in das Innere der Menschen und zu einem Dialog mit der Natur. Es ist eine Gabe, die sie lehrt, Schicksale zu deuten und auf eine besondere Weise zu heilen. In der Stille des Haffs, das zu ihrem treuen Begleiter wird, findet Lotte die Kraft und Weisheit, die Gabe des Flecklesens anzunehmen und weiterzugeben.

Dies ist mehr als die Geschichte einer Gabe. Es ist ein Einblick in die geheimen Wege, die unsere Leben miteinander verflechten und uns stets an etwas Größeres erinnern, das uns verbindet.

Möge die Geschichte der Fleckleserin auch Ihnen eine Erinnerung daran sein, dass unsere Zeichen und Spuren mehr sind als sie scheinen – dass sie Erinnerungen, Verbindungen und eine stille Poesie in sich tragen, die es zu entdecken lohnt.

Im Geiste des Haffs und der Fleckleserin wünsche ich Ihnen eine aufmerksame und inspirierende Reise in die Welt der Flecken und der Geschichten, die sie erzählen.

Kapitel 1: Das erste Zeichen

In einem kleinen Hinterzimmer eines unscheinbaren Hauses in Ueckermünde, nahe der alten Apotheke an der Marktstraße, saß die kleine Lotte auf einem hölzernen Hocker und blickte neugierig auf den Rücken ihrer Mutter.

Lotte war gerade zehn Jahre alt und hatte sich angewöhnt, die Pigmentflecken auf der Haut ihrer Mutter zu zählen. Es war ein seltsames Spiel, das sie selbst nicht recht erklären konnte. Die Flecken schienen sie zu rufen, zu locken, als hätten sie eine Geschichte zu erzählen. Und so saß sie an diesem Abend, während das Licht der alten Deckenlampe schummrig durch das Zimmer schien und die Schatten der Möbel in seltsame Formen verwandelte, wie hypnotisiert.

Lotte begann wie immer, die kleinen, runden Flecken auf dem Rücken ihrer Mutter zu zählen.

Doch diesmal, als sie den Fleck oberhalb des rechten Schulterblattes erreichte, blieb sie wie angewurzelt sitzen. Es war nicht nur der Fleck selbst, der sie faszinierte, sondern die Anordnung.

Es war, als würde eine Linie von Flecken vom rechten Schulterblatt bis zur linken Hüfte eine Art Muster bilden, ein Zeichen, das Lotte nicht begreifen konnte, das aber eine sonderbare Schwere hatte. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte den Blick nicht abwenden.

Plötzlich sprach die Mutter, ohne sich umzudrehen: „Lotte, was siehst du denn da? Was starrst du mich so an?“ Lotte wollte antworten, doch ihre Stimme war wie verschwunden. Sie wusste nicht, wie sie das Gefühl beschreiben sollte, das in ihr aufstieg – eine Mischung aus Angst, Faszination und einer seltsamen Gewissheit, dass sie etwas Wichtiges entdeckt hatte.

Am nächsten Tag in der Schule konnte sie die Gedanken an den Fleck und das Muster nicht abschütteln. Ueckermünde lag im sanften Licht des späten Frühlings, und durch die Fenster der alten Schule am Haff schien die Sonne in langen Streifen auf die Holzbänke. Doch Lotte war nicht bei der Sache. Die Flecken, das Muster, der dunkle Fleck oberhalb des Schulterblatts – all das beschäftigte sie wie ein Rätsel, das gelöst werden wollte. Sie konnte die Muster und Formen kaum aus dem Kopf bekommen, als wären sie ein Buch, das darauf wartete, gelesen zu werden.

Am Nachmittag, nachdem der Unterricht beendet war, entschloss sie sich, ihre Großmutter aufzusuchen. Die alte Dame lebte allein in einem kleinen Haus nahe der St. Marienkirche, die mit ihrem hohen Turm das Stadtbild von Ueckermünde prägte. Die Großmutter war eine Frau von ungewöhnlicher Weisheit und tiefer Stille, und Lotte hatte oft das Gefühl, dass sie die Antworten auf Fragen kannte, die niemand sonst beantworten konnte. Sie klopfte an die Tür und wartete, bis die Großmutter ihr ein herzliches Lächeln schenkte und sie hereinschickte.

„Großmutter, kann ich dir etwas fragen?“ begann Lotte zögerlich. Die alte Dame, die sich gerade eine dampfende Tasse Tee eingegossen hatte, nickte nur und lud Lotte ein, sich neben sie zu setzen. „Ich habe etwas an Mama gesehen… etwas auf ihrem Rücken. Ihre Leberflecken… sie haben ein Muster gebildet. Es sah aus, als würden sie eine Geschichte erzählen.“

Die Großmutter lächelte still, nahm einen Schluck Tee und sah Lotte aufmerksam an. „Ach, mein Mädchen,“ sagte sie schließlich, „Leberflecken haben seit jeher ihre eigenen Geschichten.

Manche glauben, sie tragen unser Schicksal in sich. Hast du noch nie bemerkt, dass die Flecken bei manchen Menschen auf ganz besondere Weise verteilt sind?“

Lotte schüttelte den Kopf, doch innerlich wusste sie, dass die Großmutter recht hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihr diese besondere Aufmerksamkeit für Leberflecken bewusst geworden war, doch sie fühlte, dass es etwas war, das tief in ihr lag.

„Weißt du, Lotte,“ fuhr die Großmutter fort, „früher hat man geglaubt, dass jeder Mensch mit einem Geburtsfleck auf die Welt kommt. Die Weisen sagten, dieser Fleck liege oft auf dem rechten Arm, nahe der Hand, und sei das Zeichen unserer Geburt. Doch manchmal… gibt es Flecken ohne das dunkle Melanin. Sie sind die außergewöhnlichen Flecken, die besonderen Zeichen. Sie verraten das Schicksal, das schwer auf einem Menschen lastet, und manchmal – aber das ist nur selten – lassen sie sich verändern.“

Lotte lauschte gebannt und hatte das Gefühl, als öffne sich vor ihr eine Tür zu einem geheimen Wissen, das nur wenige Menschen kannten.

„Großmutter, kannst du mir mehr darüber erzählen? Ich will alles wissen,“ flüsterte sie.

Die Großmutter nickte nachdenklich und legte Lottes kleine Hände in ihre. „Weißt du, Lotte, Ueckermünde hat eine lange Geschichte. Hier, an der Ostsee, gibt es viele Geheimnisse, die die Menschen nie ganz durchschaut haben. Manche sagen, dass die Meeresluft und das Salz die Haut verändern und die Flecken reifen lassen wie alte Karten. Diese Flecken sprechen zu denen, die zuhören können. Und ich glaube, dass du vielleicht die Gabe hast, das zu sehen.“

Das Gespräch mit der Großmutter ließ Lotte in den kommenden Wochen nicht mehr los. Immer wieder kam sie zurück zu den Gedanken an die Leberflecken, an die Muster und die Geschichten, die sie zu erzählen schienen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten neugierigen Freundinnen und später sogar ihre Lehrerin von ihrem ungewöhnlichen Talent erfuhren. Sie zeigte, was sie sah: Der eine Fleck bedeutete Glück, der andere eine lange Reise, und wieder ein anderer wies auf ein baldiges Wiedersehen mit einem geliebten Menschen hin. Es war, als könnte sie in den dunklen Pigmenten und feinen Linien etwas erkennen, was den anderen verborgen blieb.

Eines Tages wurde ihre Mutter krank, und Lotte sah in den Flecken auf ihrem Rücken eine dunkle Vorahnung. Sie erkannte eine ungewöhnliche Form, eine abweichende Farbe, die ihr bis dahin nicht aufgefallen war. Die Mutter wurde ins Krankenhaus am Rand von Ueckermünde gebracht, das damals die einzige Klinik der Stadt war. Die Ärzte entdeckten eine Infektion, doch Lotte wusste tief in ihrem Herzen, dass der Fleck an der Schulter die Wurzel des Übels war.