Die Liebe Christi drängt ins Leben -  - E-Book

Die Liebe Christi drängt ins Leben E-Book

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Beschreibung

Jochen Cornelius-Bundschuh, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Baden, gelingt es in seinen Predigten, eine Theologie erfahrbar zu machen, die lebendig und lebensnah die biblischen Erzählungen mit den Fragen, Herausforderungen und Gefährdungen des 21. Jahrhunderts verbindet. Das Buch versammelt Predigten von Jochen Cornelius-Bundschuh – Predigten zum Kirchenjahr, zu besonderen Anlässen, zu gesellschaftlichen Themen, zu persönlichen Lebenssituationen, aber auch zu kontrovers diskutierten Streitfragen. Jede Predigt hat ihren konkreten Anlass und ihren Ort, für die sie jeweils entstanden sind. Und dennoch weisen die Predigten über Ort und Zeit hinaus und ermutigen zum Leben und zum Glauben. Sie bringen zur Sprache, was Menschen in ihrem Alltag, aber auch in besonderen Lebenssituationen bewegt.

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Annegret Brauch/André Kendel (Hg.)

Die Liebe Christi drängt ins Leben

Predigten von Jochen Cornelius-Bundschuh

Mit einer Abbildung

Vandenhoeck & Ruprecht

Wir danken der Evangelischen Landeskirche in Baden für die finanzielle Unterstützung bei diesem Buchprojekt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Hans Brosch, 1986, ohne Titel© Hanna und Paul Gräb-StiftungInnenabbildung: © David Groschwitz, ekiba

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99407-9

Inhalt

Vorwort

Vorwort der Herausgebenden

Kurzvita von Jochen Cornelius-Bundschuh

I DURCH DAS KIRCHENJAHR

Wie soll ich dich empfangen? Predigt zum Ersten Advent – Matthäus 21,1–11

Freudenbotschaft! Predigt zum Weihnachtsfest – Jesaja 52,7–10

Wie das »Fürchte dich nicht« sich im Alltag bewährt. Predigt zum Letzten Sonntag nach Epiphanias – Markus 4,35–41

Gottes Großzügigkeit nährt unsere Zuversicht! Predigt zum Sonntag Sexagesimä – Lukas 8,4–15

In der Hoffnung leben. Predigt zum Sonntag Reminiscere – Römer 5,1–5

Gemeinsam aufbrechen und die Müden stärken. Predigt zum Sonntag Palmarum – Jesaja 50,4–9

Das Kreuz in der Mitte. Predigt zum Karfreitag – 2. Korinther 5,14–21

Ostern macht Mut zum Aufbruch ins Helle. Predigt zum Ostersonntag –1. Samuel 2,1–10

Die Freude über das »Ja« Gottes erfüllt die Welt. Predigt zum Sonntag Jubilate – Sprüche 8,22–36

Hoffnungsvoll und hellhörig in Gottes Schöpfung. Predigt in der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen vor Pfingsten – Römer 8,14.18–22.24

Pfingsten – das Fest der Begeisterung

Im Glanz der Sonne der Gerechtigkeit wandeln! Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis – Jesaja 2,1–5

Den Glauben ins Leben ziehen! Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis – Apostelgeschichte 6,1–7

Dankbarkeit gibt der Welt ein neues Gesicht! Predigt zum Erntedankfest –1. Timotheus 4,4–5

Frieden denken! Predigt zum 21. Sonntag nach Trinitatis – Jeremia 29,1–14

Der eine Gott, der Leben schafft! Predigt zum Reformationsfest – 5. Mose 6,4–9

Ein Lockruf zur Umkehr! Predigt zum Buß- und Bettag – Römer 2,1–10

II THEMEN UND ANLÄSSE

Drei Samen für Europa. Predigt zum Sonntag Sexagesimä – Apostelgeschichte 16,9–15

Mitten im Leben glauben lernen. Predigt zum siebzigsten Todestag von Dietrich Bonhoeffer

Der Stille eine Stimme – dem Dunkel ein Gesicht! Predigt zum vierzigjährigen Bestehen der Telefonseelsorge Freiburg – 1. Könige 19,4–16

Niemand wird euch aus meiner Hand reißen! Predigt zur Woche für das Leben – Johannes 10,11.27–28

Das Beten und der Sonntagsschutz. Predigt zum 1. Mai am Sonntag Rogate –1. Timotheus 2,1–6a

Erkenntnis durch Gottesfurcht. Predigt zur Konstituierung des Landtags Baden-Württemberg 2016 – 2. Timotheus 1,7

Einstimmen in das neue Lied der Gerechtigkeit! Predigt zum internationalen Gottesdienst auf dem Kirchentag – Psalm 98

Genug! Sieben evangelische Impulse für eine gerechte und enkeltaugliche Ökonomie. Impuls zu »nachhaltig gut leben – Wirtschaftsentwicklung unter begrenzten Ressourcen«

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie! Predigt zum Stadtgeburtstag – Jeremia 29,4–7

Frieden braucht Versöhnung! Predigt zum Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren – 2. Korinther 5,17–20

Loslassen und die Fülle entdecken. Predigt zur Aussendung in den Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst – Matthäus 9,35–10,10

Gottes Ja ist kräftiger als unser Nein! Predigt zum Rittertag des Johanniterordens – Matthäus 15,21–28

Von der Kraft des gemeinsamen Glaubens. Predigt zum Semesterbeginn – Markus 2,1–12

Gottes Bewegung des Friedens aufnehmen! Predigt zum Gedenken an die Eröffnung des Konstanzer Konzils 1414 – Micha 4,1–5

Lasst euch versöhnen mit Gott! Predigt zum Gedenktag der Reichspogromnacht – 2. Korinther 5,17–6,2

»Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.« Predigt zur Eröffnung der Tagung der Landessynode – Matthäus 10,34–39

III GEISTLICHE IMPULSE

So ist Gott! Andacht zum Jahresbeginn 2016 – Jesaja 66,13

Barmherzigkeit ist eine Kraft Gottes zum Leben! Andacht zum Jahresbeginn 2021 – Lukas 6,36

Richte uns auf, Gott! Geistliches Wort zum Sonntag Judika

It’s gonna get better! Predigt zum Abschluss des Gospelkirchentages 2018 – 1. Korinther 16,13–14

Der dreifache Horizont der Diakonie. Geistlicher Impuls zu Micha 6,8

»Komm herüber und hilf uns!« – Kirchen gestalten das gemeinsame Haus Europa. Impuls zum Badischen Ökumenetag 2018 209

Freiheit als Verantwortung. Andacht zu Galater 5,1–6

Menschlich – Gerecht – Beteiligt! Zur Eröffnung der südbadischen Sozialtage 2017

Verzeichnis der biblischen Texte

Vorwort

»Die Liebe Christi drängt ins Leben« – kürzer, als es der Titel dieses Buches mit Predigten von Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh zum Ausdruck bringt, kann man nicht formulieren, was die Grundlage bischöflichen Wirkens ist. Christus schwebt nicht als heilige Größe irgendwo über dem Leben, sondern er wirkt mitten im Leben. Er ist gegenwärtig in all dem, was Menschen in ihren Alltagszusammenhängen, aber auch in besonderen Lebenssituationen bewegt. Es sind verschiedene Anlässe, die in diesen ganz unterschiedlichen Predigten ihren Ausdruck finden. Festliche Anlässe sind es genauso wie persönliche Lebenssituationen, aber auch kontrovers diskutierte Streitfragen, in denen die Öffentlichkeit nach Orientierung sucht.

Dass zur Verabschiedung eines Bischofs ein Buch mit seinen Predigten erscheint, ist eine Geste, die über das öffentliche Wirken von Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh hinausweist. Allzu oft werden in den Medien nur diejenigen bischöflichen Äußerungen öffentlich gemacht, die direkte politische Stellungnahmen enthalten. Ihre geistliche Verwurzelung versteht man aber oft nur, wenn solche politischen Äußerungen mit dem Kontext zusammengelesen werden, dem sie entnommen sind. Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh hat sich immer wieder engagiert in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet. Seine Positionierungen werden in diesem Predigtband in ihrer tiefen geistlichen Verwurzelung explizit erkennbar. Schon allein dafür hat sich die Arbeit der Zusammenstellung dieses Buches gelohnt. Dafür danke ich allen, die dazu beigetragen haben. Aber vor allem danke ich Jochen Cornelius Bundschuh für sein Wirken als Bischof, aus dem so viel Segen für so viele Menschen erwachsen ist. Die in diesem Buch jetzt neu zugänglichen Predigten sind ein starkes Zeugnis für diesen Segen.

Heinrich Bedford-Strohm, von 2014 bis 2021 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Vorwort der Herausgebenden

Im vorliegenden Band ist eine Auswahl der Predigten von Landesbischof Professor Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh zusammengestellt, die er seit 2014 aus unterschiedlichen Anlässen in unterschiedlichen Kontexten gehalten hat. Jede Predigt hat ihren konkreten Anlass und ihren Ort, für die sie entstanden sind; diese sind jeweils am Ende der Predigt vermerkt.

Gleichwohl weisen diese Predigten über Ort und Zeit hinaus. Sie sind Ermutigungen zum Leben und Glauben. Sie wollen den Glauben ins Leben ziehen. In ihnen wird eine Theologie erfahrbar, die lebendig und lebensnah die biblischen Erzählungen mit den Fragen, Herausforderungen und Gefährdungen des 21. Jahrhunderts verbindet. In ihnen breitet sich die gute Nachricht, die Botschaft von Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung für die Menschen und diese Welt aus. Mitten im Leben, gerade auch in den Ambivalenzen, wird diese erfahrbar, öffnet Augen, Herz und Sinn für Gottes neue Welt. Die Predigten zeigen konkrete Schritte, die sich ergeben, wenn wir uns von Gottes Bewegung in diese Welt mitreißen und begeistern lassen.

Der Band gliedert sich in drei Teile. Der erste folgt dem Kirchenjahr und der jeweils vorgeschlagenen Perikope. Der zweite greift bei unterschiedlichen Anlässen stärker gesellschaftliche Themen auf und zeigt, wie christlicher Glaube heute konkret Gestalt gewinnt und so Gesellschaft und Politik herausfordern kann. Im dritten Teil finden sich kurze geistliche Impulse, die zum Nach- und Weiterdenken anregen.

Wir wünschen den Leserinnen und Lesern spannende Entdeckungen, überraschende Ermutigungen und Freude am und mit dem Evangelium!

Karlsruhe, November 2021

Annegret Brauch, André Kendel

Kurzvita von Jochen Cornelius-Bundschuh

Jochen Cornelius-Bundschuh wurde am 30. Juli 1957 in Fulda geboren, wo er 1976 auch das Abitur ablegte. Der Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes studierte Theologie in Göttingen, Tübingen sowie in Edinburgh und wurde 1988 mit einer Arbeit über »Liturgik zwischen Tradition und Erneuerung« promoviert. Im gleichen Jahr beendete er sein Vikariat in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und wurde ordiniert.

Nach sechs Jahren als Hochschulassistent in Göttingen wechselte Jochen Cornelius-Bundschuh 1995 auf eine Pfarrstelle in Fuldabrück und habilitierte sich 2000 mit der Schrift »Kirche des Wortes – Homiletisch interessierte Beiträge zu Predigt und Gemeinde«. Von 2001 bis 2009 wirkte er als Direktor des Predigerseminars in Hofgeismar (Kurhessen-Waldeck), 2008 wurde er zum außerplanmäßigen Professor für Praktische Theologie in Göttingen berufen. 2009 wechselte Jochen Cornelius-Bundschuh als Leiter der Abteilung Theologische Ausbildung und Prüfungsamt in die Evangelische Landeskirche in Baden. 2010 übernahm er zusätzlich eine außerplanmäßige Professur für Praktische Theologie in Heidelberg. Seit dem 1. Juni 2014 ist er Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Cornelius-Bundschuh ist seit 1986 mit Pfarrerin Ulrike Bundschuh verheiratet. Das Paar hat drei Kinder und zwei Enkelkinder.

I

DURCH DAS KIRCHENJAHR

Wie soll ich dich empfangen?

Predigt zum Ersten Advent – Matthäus 21,1–11

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttieres.«

Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: »Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!«

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.1

Liebe Festgemeinde,

»wie soll ich dich empfangen und wie begegne ich dir?« Das ist die Frage des ersten Advents! Jesus steht vor den Toren der Stadt und will einziehen. Damals in Jerusalem. Damals vor fünfzig Jahren bei der Einweihung dieser Kirche und heute am Vorabend des Ersten Advents 2018. Wir sind gefragt: Wie wir Jesus empfangen? Wie wir ihm Raum geben in unserer Kirche, in unserer Stadt – und in unseren Herzen?

Fünfzig Jahre Markuskirche im Freiburger Westen: Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihrem Jubiläum. Wir feiern eine Kirche in der Stadt, eine Kirche mit und für die Menschen im Stadtteil. Eine adventliche Kirche, die Jesus Raum gibt, damit er in unsere Wirklichkeit einzieht.

I

»Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttieres.« (Matthäus 21,5)

Das ist ein einprägsames Bild, wie Jesus da auf einem Esel einzieht. Als Kaiser Wilhelm II. um die letzte Jahrhundertwende Jerusalem besuchte, ließ er ein Stadttor vergrößern, damit er auf einem Pferd aufrecht und reitend einziehen konnte. Er wollte seine Macht und die Bedeutung Deutschlands im Nahen Osten demonstrieren.

Wenn Sie sich dagegen Jesus auf dem kurzbeinigen Esel vorstellen, besonders eindrücklich war das nicht. Die Beine schlenkern knapp über dem Erdboden, das grauhaarige Lasttier trottelt vor sich hin, der Reiter schaukelt hin und her. Das ist doch kein König! Was kann ich von so einem erwarten? Das ist, wie wenn der Papst in diesen Tagen bei der G20-Konferenz in seinem Heimatland mit einem Fiat 500 vorfahren würde. Kann so einer Kriege stoppen, Gewalttäter zur Vernunft bringen, Flüchtlingen ihre Heimat zurückgeben? Kann so einer Klimagerechtigkeit schaffen?

Ja, Jesus, der Eselsreiter, kann das. Er bringt einen neuen Himmel und eine neue Erde mit sich. In ihm hat die Zukunft ein neues Gesicht bekommen. Ein Kind, das im Stall und nicht im Palast geboren wird, ein Kind, das fliehen muss, wie heute so viele in Syrien, im Jemen – dieses Kind rettet die Welt. Darauf vertrauen wir. Ein junger Mann, der durch die Dörfer und Städte zieht und Menschen Mut macht, sie aufrichtet, sie zurückholt in die Gemeinschaft. Er hat das Gesicht dieser Erde verändert. Ein Mensch, der nicht um Anerkennung und Macht kämpft, sondern um der anderen willen von sich selbst absieht und sich selbst zurücknimmt: Der Eselsreiter eröffnet uns eine neue Welt!

Diese Kirche erzählt viele Geschichten davon, wie Jesus einzieht. Wie er Menschen Mut macht und tröstet. Wie er Menschen zu einer Entscheidung hilft: Soll ich das machen? Wie gehen wir in unserer Ehe miteinander weiter? Da ist es gut, wenn die Kirche offen ist, dass man einen Raum der Stille und der Einkehr hat, zum Innehalten. Ihre Kirche ist »erst« fünfzig Jahre alt, aber an ihren Mauern und Fenstern, den Bildern und Bänken, dem Altar und dem Taufstein haften solche Erfahrungen. Wessen Kind ist in dieser Kirche getauft worden? Wer von Ihnen wurde hier konfirmiert, getraut? Oder hat vielleicht schon eine Jubelkonfirmation in dieser Kirche gefeiert?

Jesus zieht ein – und wir begegnen ihm, auf ganz vielfältige, manchmal sehr persönliche Weise. Matthäus war das wichtig. Deshalb ist er der einzige Evangelist, der Jesus nicht nur auf einem Esel reiten lässt, sondern auf einer Eselin und ihrem Füllen. Ob er auf der Eselin saß und das Jungtier mit sich führte – oder umgekehrt?

Auf jeden Fall ist Platz, mit ihm unterwegs zu sein. Jesus will mitnehmen. Er will zusammenführen: die Generationen und Geschlechter, verschiedene Kulturen, Religionen und Nationen. Jesus bringt alle zusammen, die manche zurzeit wieder mit Gewalt auseinander sortieren wollen, um »Unseres« gegen »die da« zu sichern. Jesus setzt auf den gemeinsamen Weg; neben ihm ist noch Platz auf einem Esel: für die, die schon immer engagiert dabei sind, aber eben auch für die, die es schwer haben mit dem Glauben. Die Bürgerglocke in Ihrem Turm steht für mich für diese Offenheit und Weltzugewandtheit von Jesus. Sie ruft alle! Sie sagt allen den neuen Himmel und die Erde an. Sie lädt alle ein, sich mit Jesus auf den Weg zu machen.

II

Jesus zieht bei uns ein. »Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig« (Matthäus 21,5)! Der Eselsreiter verändert uns, unsere Kirche und unsere Welt. Nicht durch eine Machtdemonstration, sondern sanftmütig. Für Matthäus ist das eine der wichtigsten Eigenschaften von Jesus.

Was bedeutet sanftmütig? Wer sanftmütig ist, sucht die Verständigung mit den anderen. Er oder sie will sich nicht durchsetzen, sondern hört genau zu und fragt nach: Was brauchst du? Was können wir füreinander und für andere tun? Was wollen wir miteinander erreichen? Sanftmut lädt anderen keine Lasten auf, sondern entlastet. »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. […] denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.« (Matthäus 11,28 f.)

Sanftmütig kommt Jesus in die Welt und verändert sie; sanftmütig sollen wir ihm nachfolgen. »[…] die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.« (Markus 10,42 ff.)

Eine Kirche der Sanftmut ermöglicht es, Verletzungen, Kränkungen und Trauer anzusprechen. In ihr gehen die Menschen respektvoll und gewaltfrei miteinander um. Denn die, die sich in dieser Kirche der Sanftmütigen treffen, glauben, dass ihnen in ihren Geschwistern Jesus Christus begegnet, gerade auch in denen, die ihnen fremd sind und über die sie sich manchmal oder öfter ärgern. Trotzdem zusammenhalten und gerade im Konflikt verbinden, das sind wichtige Aufgaben der Kirche der Sanftmütigen.

Das ist eine deutliche Zeitansage am Beginn des neuen Kirchenjahres: Gott kommt sanftmütig in die Welt und lässt uns sanft und mutig miteinander leben. Wir wollen eine lebendige Kirche sein, die sich umschaut und mitten im Leben steht, mitten im Stadtteil. Die sich einmischt in die Nachbarschaft. Eine Kirche, die auch die fernen Nächsten im Blick hat. Heute Morgen haben wir in Stuttgart die sechzigste Aktion »Brot für die Welt« eröffnet. Eine adventliche Kirche hat Hoffnung und Brot für die Welt. Wie Jesus verfolgt sie sanft, aber beharrlich und mit klarer Ausrichtung in vielen kleinen Schritten ihr Ziel: mutig und sanft einen gerechten Frieden auf dieser Erde auszubreiten.

In Ihrer Chronik habe ich gelesen, wie wichtig Ihnen die Diakonie hier in der Gemeinde immer war. »Einer, eine trage des andern Last!« (Galater 6,2) heißt es deshalb als Inschrift auf Ihrer zweiten Glocke, der Diakonie-Glocke. Entschieden hat sich die Gemeinde für den Frieden eingesetzt, den Grünen Gockel eingeführt und sich schon in den neunziger Jahren für Flüchtlinge engagiert. Und jetzt wieder!

Wer auf einen sanftmütigen König und Retter wartet, dem sind die Menschen nicht gleichgültig, die bei uns Zuflucht suchen. Die Not der anderen betrifft uns im Kern unseres Glaubens und verändert unser Miteinander in der Gemeinde. Ganz praktisch durch Zusammenrücken und Aufeinander-Rücksicht-Nehmen, durch Begegnungen zwischen Konfirmandinnen und Konfirmanden und Flüchtlingskindern, durch konkrete Hilfen; vor allem aber geistlich: indem wir erleben, wie Jesus Christus uns zusammenführt, unsere Herzen verändert und wir ihn im Anderen entdecken.

Manchmal fragt die Stadt oder der Stadtteil dann auch wie die Menge damals: »Wer ist der?« Und warum lauft ihr ihm nach? Und wir antworten mit denen, die sich damals von seinem Gottvertrauen und seiner Sanftmut haben anstecken lassen: »Jesus ist der Prophet aus Nazareth in Galiläa«, das Gesicht Gottes. Er überwindet unsere Angst und ermutigt uns dazu, im aufrechten Gang den gerechten Frieden zu suchen: »Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.« (Matthäus 5,5)

III

Jesus zieht auf einem Esel reitend in Jerusalem ein. Sanft und mutig zeigt er uns Gottes Gesicht. Auf dem zweiten Esel ist Platz, mit ihm zu reiten, für die, die schlecht zu Fuß sind. Alle anderen ruft Jesus, ihm zu Fuß zu folgen. Der, der sanftmütig ist, will nicht allein sein und sich nicht allein durchkämpfen. Er will mit uns und allen, die im Dunkel sind, gemeinsam zur Krippe gehen. Damit Flüchtlinge wieder Mut schöpfen und Obdachlose die Kälte gut überstehen; damit Zerstrittene sich versöhnen; damit diese Erde in ihrer Schönheit und Vielfalt für unsere Kinder und Kindeskinder bewahrt wird.

Jesus traut uns etwas zu. So wie den Freundinnen und Freunden, die damals mit ihm nach Jerusalem gezogen sind. Obwohl sie vieles nicht verstanden haben, was er getan hat; obwohl sie manchmal überhaupt nicht sanftmütig waren, sondern sich lauthals und auch hinterrücks stritten, wer der Größte ist; obwohl sie eingeschlafen sind, als er sie bat, mit ihm zu wachen; obwohl sie ihn am Ende verraten. Diesen schwachen Gesellen und uns traut Jesus zu, der Welt die gute Botschaft zu bringen. Jesus traut uns das zu und lässt uns nicht allein mit diesem Auftrag. »Und siehe, ich bin bei euch alle Tage«, heißt es am Ende des Matthäusevangeliums (28,20).

Wie stärkt uns der Geist Jesu? Bevor die Freundinnen und Freunde mit Jesus in die Stadt einziehen, halten sie gemeinsam inne und bereiten sich vor auf das, was ihnen bevorsteht. Dafür brauchen wir unsere Kirchen, diese Kirche: als Ort des Innehaltens, um Kraft und Klarheit zu gewinnen, um über die Bibel nachzudenken und sich stärken zu lassen mit Brot und Wein. Um zu erleben, wie uns der Geist Christi trägt und bewegt und ausrichtet.

Dafür sind die anderen wichtig, die mit mir singen und beten und manchmal, wenn mir die Worte im Halse stecken bleiben, auch für mich. In dieser Gemeinschaft im Gottesdienst, im Gesprächskreis, im gemeinsamen Engagement erfahren wir, dass wir von Gottes Güte getragen sind, wie Jesus vom Esel. Dass wir darauf vertrauen können, dass wir im Geist Gottes heute gemeinsam Wege in der Nachfolge Jesu finden werden, auch wenn sie zurzeit manchmal hinter Struktur- und Liegenschaftsdebatten versteckt zu sein scheinen.

Die adventliche Bewegung Gottes in unsere Welt nimmt uns mit und führt uns zueinander und zu Gott. Das ist der Grundton, auf dem alles aufbaut, was wir dann in unserer Kirche, in Gruppen und Kreisen tun. Deshalb ist die schwerste größte Glocke in Ihrem schlanken, hoch aufragenden Turm die Glocke des Gebets. Ihr Klang stärkt unser Gottvertrauen und erinnert uns immer wieder an die Menschenfreundlichkeit Gottes. Gott will das Leben. Gott freut sich über unsere Gebete und Lieder. Gottes Sohn wird Mensch, damit wir als Menschen miteinander auf dieser Erde leben und einstimmen in das große »Hosianna, gelobt sei, der da kommt, im Namen des dreieinigen Gottes. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!«

Gottesdienst zum fünfzigjährigen Jubiläum der Markuskirche in Freiburg am 1.12.2018 (Vorabend zum Ersten Advent).

 

1Matthäus 21,1–11; Luther 1984.

Freudenbotschaft!

Predigt zum Weihnachtsfest – Jesaja 52,7–10

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander; denn sie werden’s mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.

Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.2

Liebe Festgemeinde,

ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest! Wir feiern die Geburt Jesu im Stall in Bethlehem: Endlich ist er da, der Freudenbote in finsteren Zeiten. Er bringt einen neuen Glanz in unsere Welt und unsere Herzen. »Wie lieblich sind die Füße des Freudenboten!« (Jesaja 52,7)

Gerade in diesen Tagen warten wir auf seine Botschaft, die Frieden verkündigt und Gutes predigt. Die uns herausholt aus der Trauer, den Sorgen und Fragen des zu Ende gehenden Jahres, die uns tröstet. Alle, die an die Krippe treten, sollen fröhlich werden. Sie sehen das Kind, sie hören Gottes Friedensboten: einfache Leute wie die, die damals die Schafe gehütet haben, ebenso wie die wohlhabenden und gebildeten Menschen, die von weither kamen, weil die Sterne sie nach Bethlehem geführt hatten. Alle stimmen ein in den Jubel der Engel, in den uns Bachs Weihnachtsoratorium heute Morgen schon kraftvoll mit hineingenommen hat: »Ehre sei dir, Gott, gesungen, Dir sei Lob und Dank bereit’.« (BWV 248 V)

I

Ein Kind als Freudenbote in finsteren Zeiten! Das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft. Sie gaukelt uns nichts vor; sie übertüncht nicht die Konflikte und die Sorgen, mit denen wir leben. Sie macht uns Mut in der Furcht, die uns ergriffen hat; sie gibt uns in den Herausforderungen unseres Alltags Kraft.

Die drei Weisen dachten: »Der Freudenbote wird im Königspalast geboren.« Da gehört ein neuer Herrscher hin; in ein wunderbares Bett, schon als Kind ausgestattet mit allen Zeichen der Macht, mit der Fähigkeit, seinen Willen auch mit Gewalt durchzusetzen.

Aber Gottes Liebe zu den Menschen und dieser Erde zeigt sich gerade da, wo das Leben gefährdet ist: durch Krankheit, durch Einsamkeit, durch ungerechte Verhältnisse. Gerade da will Gott »der Menschen Wohlfahrt erneuen«! Deshalb wird Christus im Stall und nicht im Palast geboren; deshalb kommt er so verletzlich und angewiesen auf uns in unsere Welt.

Seine Freudenbotschaft gilt der alten Dame, die heute nicht von der Familie ihrer Nichte besucht werden kann, mit der sie sonst jedes Jahr Weihnachten gefeiert hat, weil das Heim, in dem sie lebt, einen Coronafall hatte und jetzt alle in Quarantäne sind. Nun wartet sie auf Anrufe und freut sich, dass sie seit dem Sommer einen Laptop hat – und durch eine junge Frau aus der Gemeinde gelernt hat zu skypen. Jesu Freudenbotschaft gilt der Familie, die in diesem Jahr zum ersten Mal Zeit hat, Weihnachten zu feiern, weil ihr Restaurant geschlossen ist – und deshalb gleichzeitig in großen Sorgen ist. »Wie wird es nächstes Jahr weitergehen, werden wir das wirtschaftlich überstehen?« Gefreut haben sie sich, dass so viele Stammkunden geschrieben oder angerufen haben: »Wir kommen wieder nächstes Jahr und freuen uns schon auf gutes Essen.«

Das Kind in der Krippe tröstet und stärkt uns in unserem Alltag. Der Freudenbote macht uns froh und mutig, diese Freude weiterzugeben. So wie die Hirten aufbrechen und die gute Nachricht überall weitererzählen, so wie die drei weisen Menschen wieder in ihre Länder zurückgehen und die Freudenbotschaft mitnehmen, die das Weihnachtsoratorium besingt: Gottes »Glanz all Finsternis verzehrt; die trübe Nacht in Licht verkehrt.« (BWV 248 V)

II

Die Freudenbotschaft trifft aber auch auf Widerstände. Herodes ist einer, der vor Jesu Gegenwart erschrickt, denn seine Macht wird durch dieses Kind und seine Freudenbotschaft gefährdet. Wo das Licht des Friedens leuchtet, werden auch die Schatten sichtbar, die Ungerechtigkeit und Unfrieden werfen: der Eigennutz; das »Immermehr-haben-Wollen«; das Leben »auf Kosten der nachfolgenden Generationen und unserer Mitwelt«. Viele spüren, dass es so mit unserem Lebensstil und unserem Wirtschaften nicht weitergehen wird; viele fürchten, dass Corona dazu führt, dass arm und reich noch weiter auseinanderfallen, dass unser Zusammenhalt gefährdet ist und die Abstände weiterwachsen, dass die Einsamkeit zunimmt. So rückt für manche die Freudenbotschaft in weite Ferne: »Ach, wenn wird die Zeit erscheinen? Ach, wenn kömmt der Trost der Seinen?« (BWV 248 V)

Dagegen singt der Freudenbote an: »Schweigt, er ist schon wirklich hier!« (BWV 248 V) Entdeckt ihn in den Freundlichkeiten, mit denen Menschen einander in diesen Tagen Mut machen und sich um die kümmern, die es schwer haben. In dem Engagement, mit dem das medizinische Personal bis an die Grenzen seiner Kräfte und manchmal darüber hinaus für die Kranken da ist, mit dem die Pflegenden sich um die Menschen in Einrichtungen kümmern. Überall da erklingt die Freudenbotschaft schon, wird spürbar, wie Gott tröstet und stärkt, erleben wir, was Bach besingt: »Mein Liebster herrschet schon.« (BWV 248 V)

III

Die Freudenbotschaft wird auf einem hohen Berg laut und breitet sich weit über die Erde aus. Sie erfreut nicht nur uns, sondern alle Welt. »Mein Heiland, du, du bist das Licht, das auch den Heiden scheinen sollen« (BWV 248 V). Dafür stehen insbesondere die weisen Menschen, die aus verschiedenen Kontinenten kommen und dieses Licht wieder mit zurücknehmen. Dafür steht die Aktion »Brot für die Welt«!

Davon zeugt auch der Weihnachtsappell von immerhin 245 Bundestagsabgeordneten aus fünf Fraktionen, die unsere Regierung dazu auffordern, endlich etwas für die Menschen zu tun, die auf ihrer Flucht in den griechischen Lagern hängen geblieben sind und dort unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben müssen. So viele deutsche und europäische Städte sind bereit, sie aufzunehmen; so viele Menschen wollen Verantwortung übernehmen und da sein für die, die Hilfe brauchen. Sie wollen wie die Späher im Predigttext, den Friedensboten begleiten und seine Botschaft weitergeben.

Sie spüren: Im Licht aus der Krippe wird scheinbar Unmögliches möglich. Menschen öffnen ihre Herzen und tragen das Licht weiter, mit ihren Worten und ihrem Tun, mit dem kleinen Friedenslicht aus Bethlehem, mit ihrem Eintreten für die, die nicht für sich sorgen können, mit ihrem Trost für die Traurigen. Versöhnung wird möglich, wo Streit und Hass herrscht. Flüchtlinge, die Schreckliches erlebt haben, finden eine neue Heimat. Denn auch und gerade die Trümmer sollen jubeln, ruft der Freudenbote uns zu; auch das, was wir kaum tragen konnten im zu Ende gehenden Jahr, auch das ist gut aufgehoben im Glanz aus der Krippe.

IV

»Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt.« (Jesaja 52,7) Ein neuer Schein breitet sich aus der Krippe über die Welt aus. Wir erleben in diesem Kind, wie reichlich Gottes Segen in unsere Welt fließt. Wie dieses Kind unser Herz mit seinem Glanz erfüllt: »Jesu, ach so komm zu mir!« (BWV 248 V) und »Mach uns zu Kindern des Lichtes.«

Gottesdienst in der Christuskirche in Karlsruhe am 25.12.2020.

 

2Jesaja 52,7–10; Luther 2017.

Wie das »Fürchte dich nicht« sich im Alltag bewährt

Predigt zum Letzten Sonntag nach Epiphanias – Markus 4,35–41

Liebe Gemeinde!

»Fürchte dich nicht!« Für mich fassen diese drei Worte die christliche Botschaft kurz und bündig zusammen. »Fürchte dich nicht!« Schon bei der Geburt von Jesus rufen die Engel diese gute Nachricht den Hirten zu. Von da ab breitet Jesus diese Botschaft überall aus, wo er hinkommt: wenn er Einsame und Ausgeschlossene zu sich an den Tisch lädt; wenn er Kranke gesund macht; wenn er Ängstlichen Mut macht, ihren Lebensauftrag anzunehmen.

In allem, was Jesus damals tut, in allem, was der Geist Jesu bis heute in dieser Welt bewegt, immer klingt diese Zusage mit, wie ein Glockenton, der unser Leben begleitet: »Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir!« (Jesaja 43,1; Basisbibel 2021) Deshalb hören wir diese Worte auch bei jeder Taufe; sie sind das Leitwort für christliches Leben, wie unterschiedlich es auch immer verlaufen mag. Gott spricht: »Fürchte dich nicht! Ich bin mit dir!«

I

Auf dem Weg durch das Leben geht es manchmal rau zu. Plötzlich habe ich das Gefühl: Ich stehe allein da. Der Boden wird mir unter den Füßen weggezogen. Ich verliere meinen Halt.

Jesus kennt diese Erfahrungen. Er redet nicht über die Sorgen der Menschen hinweg. Er versucht nicht, den Menschen ihr Leid und ihre Schrecken auszureden. Im Gegenteil: Jesus schaut hin, wo Menschen in Not sind. Er geht bewusst zu ihnen. Gerade zu denen, die nicht für sich selbst sorgen können. Gerade zu denen, die gefangen sind in ihrer Angst, so bedrängt von dem Schweren, das sie erlebt haben, dass sie gar nicht mehr hören können, wenn ihnen jemand zuruft: »Fürchte dich nicht!« Jesus geht hin, auch und gerade wenn Menschen zweifeln: Ist Gott wirklich für mich da?

Ich habe Ihnen heute eine biblische Geschichte mitgebracht, die davon erzählt, wie stürmisch es auf dem Weg durch das Leben zugehen kann. Eine Geschichte, in der wir hören, wie groß die Furcht werden kann und wie klein der Glaube. Und wie Jesus trotzdem verlässlich da ist und die Furcht vertreibt.

Die Stillung des Sturmes

Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!3

II

Wenn der Glaube hilfreich sein soll, muss er sich in unseren Lebensgeschichten und in unserem Alltag bewähren, nicht nur bei schönem Wetter, sondern gerade auch in Krankheit und in stürmischen Zeiten.

Das Boot mit Jesus und den Jüngern legt bei schönem Wetter ab. Jesus hat viel geredet. Er hat Menschen ermutigt, gesund gemacht und gestärkt. Erschöpft legt er sich nun schlafen. Seine Freunde sitzen im Boot und reden über all das, was sie gerade mit Jesus erlebt haben. Aufregende Zeiten!

Dann zieht ein Sturm auf. Auf dem See Genezareth kann das Wetter schnell wechseln, so wie am Bodensee. Wo eben noch alles klar schien und das Wasser ruhig, da herrscht nun der Schrecken. Ein Sturmwind peitscht die Wellen immer höher. Das Boot schwankt hilflos im Wasser. Kein Land mehr in Sicht; keine Orientierung mehr. Schon schwappt Wasser ins Boot.

Die Bibel ist realistisch: So schnell kann sich das Leben ändern! Du wirst krank. Du verlierst die Arbeit. Du stehst allein da. Kein Boden mehr unter den Füßen; das Wasser steht dir bis zum Hals. »Als ihre Seele vor Angst verzagte, als sie taumelten und wankten wie Betrunkene und wussten keinen Rat mehr.« (Psalm 107,26–27) Vorhin haben wir gemeinsam diese Worte gebetet, mit denen Menschen ihr Leben in stürmischen Zeiten beschreiben.

Wird sich der Glaube da bewähren? Oder ist er nur etwas für schönes Wetter und ruhige See? Wo ist Gott? Jesus liegt einfach da und schläft. Seelenruhig! Als würde ihn das alles nichts angehen und nichts ausmachen.

III

So wie die Psalmbeter »dann zum Herrn schrien in ihrer Not« (Psalm 107,38), so machen es die Freundinnen und Freunde Jesu auf dem Schiff. Sie wecken ihn. Sie rütteln ihn auf: »Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?« (Markus 4,38) Ist dir das alles egal? Dass wir hier elendig im Sturm untergehen und ertrinken? Das kann doch nicht wahr sein!

Zum Glauben gehören die Zweifel. Zum Glauben gehört es aber auch, um Gottes Aufmerksamkeit zu ringen. Genau das tun die Freundinnen und Freunde Jesu, die mit ihm auf dem Schiff sind. Sie bitten und drängen Jesus: »Tu etwas, lass uns nicht im Stich. Du hast uns doch versprochen, bei uns zu sein und mit uns zu gehen. Du hast doch zu uns gesagt: ›Fürchtet euch nicht!‹ Gerade haben wir am Ufer noch erlebt, wie du mit deiner Kraft Menschen neuen Mut gemacht hast. Wie sich Freude ausgebreitet hat. Wie neue Gemeinschaft entstanden ist. Und nun soll alles vorbei sein? Jesus, tu etwas!«

Wenn wir in Not geraten, ist das oft wie bei einem Trichter. Immer enger wird unsere Welt. Die Ängste und Sorgen wachsen; niemand scheint uns mehr zu verstehen. Da waren doch noch andere Boote mit hinausgefahren. Sie sind ganz aus dem Blick geraten. Angst und Not machen einsam, fixieren uns auf uns selbst.

Hier auf dem Boot ist das anders. Die Freundinnen und Freunde Jesu sind auch im Zweifel und in der Angst zusammen, nicht allein. Sie teilen ihre Angst, sie versinken nicht in ihrer Einsamkeit, sondern ringen gemeinsam um Gottes Beistand. Gemeinsam rütteln sie Jesus wach.

Genau dazu ist Kirche da. Miteinander und füreinander nach Wegen durch den Sturm zu suchen. Einander in der Angst beizustehen und füreinander zu beten. Miteinander Jesus zu drängen, dass Gott unsere Not nicht übersieht und vergisst, sondern neue Wege öffnet und bahnt. Wir brauchen einander, um uns wechselseitig im Glauben zu stärken, um Gott gemeinsam in den Ohren zu liegen, um gemeinsam zu spüren, wie Gott uns trägt und gemeinsam neue Wege zu entdecken.

IV

Jesus lässt sich wecken! »Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.« (Markus 4,39)

Mit Vollmacht führt Jesus die Menschen aus ihrer Not. Er stillt das Ungewitter. Die Wellen legen sich. Gottes Geist breitet sich über den See aus; da verlieren die Mächte des Todes ihre Kraft. Ein Wunder! Die Menschen werden gerettet – sie verlieren ihre Angst und werden in ihrem Glauben gestärkt. Gottes Macht ist stärker als der Sturm. Gottes Geist überwindet Krankheit und Tod, macht uns heil.

»Und sie wurden froh« (Psalm 107,30), haben wir mit dem Psalm gebetet. Froh, weil ihre Angst überwunden wurde und sie neuen Mut bekommen haben. Sie haben erfahren, dass Gottes Zusage gilt: »Fürchte dich nicht!« Sie haben auf dem stürmischen Meer erlebt, dass sie sich darauf verlassen können: Der Glaube trägt nicht nur bei schönem Wetter, sondern auch durch die tiefen Täler und die schlimmen Stürme.

V

Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jesus spricht seine Freundinnen und Freunde noch einmal auf ihren Glauben an: »Wasseid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?« (Markus 4,40) Noch einmal stellt er Glaube und Furcht streng gegeneinander. Aber für uns ist das nicht leicht, uns so ganz auf Gott zu verlassen; immer wieder holt uns die Furcht ein.

Und am Ende heißt das. Doch »sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!«