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"Die Macht der Drei" ist ein technisch-wissenschaftlicher Zukunftsroman. Die nahe Zukunft: Das Britische Weltreich droht zu zerfallen, der Konflikt mit den USA spitzt sich zu. Schließlich erklären die Briten den USA den Krieg. In diesem Moment greift die "Macht der Drei ein": Drei Männer mit einer neuartigen, gefährlichen Waffe, dem telenergetischen Strahler. Dieser verleiht ihnen ungeheure Macht. Die Zukunft der Menschheit hängt von diesen drei Männern ab. Nach einem Vorabdruck in der Zeitschrift "Die Woche" erschien der Roman 1922 beim Berliner Scherl-Verlag erstmals in Buchform. Wie auch die anderen Romane und Geschichten Dominiks wurde "Die Macht der Drei" bei Veröffentlichungen nach 1945 teilweise erheblich gekürzt bzw. zensiert. Lesen Sie hier erstmalig die vollständige und kommentierte Originalfassung von 1922. Mit einem illustrierten Vorwort des Verfassers. Null Papier Verlag
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Hans Dominik
Die Macht der Drei
Kommentierte Originalfassung
Hans Dominik
Die Macht der Drei
Kommentierte Originalfassung
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954187-04-1
null-papier.de/346
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Der Autor
Zum Buch
Vorwort zum 96. bis 100. Tausend
Buch I
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Buch II
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Buch III
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Hans Dominik war der Pionier des utopischen Romans in Deutschland und einer der erfolgreichsten deutschen Populärschriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1872 in Zwickau geboren und starb 1945 während des Kriegsendes in Berlin. Neben Science-Fiction hat Dominik auch Sachbücher und Artikel mit technisch-wissenschaftlichen Inhalten verfasst.
Seine Jugendjahre wie auch den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Berlin. Am Gymnasium in Gotha begegnete er dem Lehrer Kurd Laßwitz (http://null-papier.de/author/kurd-lasswitz/), selbst ein früher Verfasser utopischer Romane. Man kann davon ausgehen, dass diese Begegnung nicht ohne Einfluss auf Dominik und sein späteres Werk blieb.
Ab 1893 studierte Hans Dominik an der Technischen Hochschule Berlin Maschinenbau und Eisenbahntechnik. Später war er für mehrere Unternehmen im Bereich der Großindustrie und des Bergbaus tätig, u.a. auch für Siemens.
Nach 1901 machte er sich als Fachautor selbständig. Für Auftraggeber aus der Industrie verfasste er Werbebroschüren und Prospekte. Seine Leidenschaft galt aber der aufkommenden Science-Fiction Literatur oder besser den „technischen Abenteuerromanen“, wie diese in Deutschland noch genannt wurden. Dominik war auch abseits der Literatur sehr umtriebig, er gründete ein Unternehmen und erhielt mehrere Patente auf dem Gebiet der Automobiltechnologie.
Sein erster utopischer Roman „Die Macht der Drei“ erschien 1922 als Fortsetzungsgeschichte und wurde kurz darauf als Buch veröffentlicht. Ab 1924 widmete sich Dominik ganz der Schriftstellerei, in Jahresabständen erschienen weitere Romane.
Neben den reinen Abenteuergeschichten für eine erwachsene Leserschaft veröffentlichte er auch die (immer noch sehr stark vom technischen Fortschritt eingefärbten) Jugendgeschichten um den Aufstieg des John Workman vom Zeitungsjungen zum Millionär: „John Workmann, der Zeitungsboy“ (1925).
Die wichtigsten Werke:
Die Macht der Drei, 1921
Die Spur des Dschingis-Khan, 1923
Atlantis, 1924/25
Der Brand der Cheopspyramide, 1925/26
Das Erbe der Uraniden, 1926/27
König Laurins Mantel (Alternativtitel: Unsichtbare Kräfte), 1928
Kautschuk, 1929/30
Befehl aus dem Dunkel, 1932/33
Der Wettflug der Nationen. Prof.-Eggerth-Serie. Teil 1, 1932/33
Ein Stern fiel vom Himmel. Prof.-Eggerth-Serie. Teil 2, 1933
Das stählerne Geheimnis, 1934
Atomgewicht 500, 1934/35
Himmelskraft, 1937
Lebensstrahlen, 1938
Land aus Feuer und Wasser. Prof.-Eggerth-Serie. Teil 3, 1939
Treibstoff SR. (Alternativtitel: Flug in den Weltenraum oder Fahrt in den Weltraum.) 1939/40
„Die Macht der Drei“ ist ein technisch-wissenschaftlicher Zukunftsroman.
Die nahe Zukunft: Das Britische Weltreich droht zu zerfallen, der Konflikt mit den USA spitzt sich zu. Schließlich erklären die Briten den USA den Krieg. In diesem Moment greift die „Macht der Drei ein“: Drei Männer mit einer neuartigen, gefährlichen Waffe, dem telenergetischen Strahler. Dieser verleiht ihnen ungeheure Macht. Die Zukunft der Menschheit hängt von diesen drei Männern ab.
Nach einem Vorabdruck in der Zeitschrift „Die Woche“ erschien der Roman 1922 beim Berliner Scherl-Verlag erstmals in Buchform. Wie auch die anderen Romane und Geschichten Dominiks wurde „Die Macht der Drei“ bei Veröffentlichungen nach 1945 teilweise erheblich gekürzt bzw. zensiert.
Lesen Sie hier erstmalig die vollständige und kommentierte Originalfassung von 1922.
Mit einem illustrierten Vorwort des Verfassers.
Erfüllte Prophezeiungen
Wer es unternimmt, die technische Entwicklung auf Jahrzehnte vorauszusagen, muß die Zeichen seiner eigenen Zeit zu deuten wissen. Mit hellseherischer Begabung muß er die großen praktischen Entwicklungsmöglichkeiten voraussehen, welche die fortschreitende Vertiefung der Naturerkenntnis in sich birgt. Den zarten Keimen, die unter pfleglicher Forschung in unsern physikalischen und chemischen Laboratorien sprießen, muß er es früher als alle anderen ansehen, ob sie nur bescheidene Blumen für den Garten der Wissenschaft liefern oder ob über kurz oder lang weltbeschattende Bäume aus ihnen erwachsen werden.
Mehr als jede vorhergehende Epoche ist unsere Zeit für solche Voraussagen geeignet. Haben uns doch die letzten zwei Jahrzehnte neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse gebracht, die Ausblicke von überwältigender Schönheit und Größe in die Zukunft gewähren.
Das Bild der Weltschöpfung, noch unheimlich und verworren im neunzehnten Jahrhundert, hat sich in unseren Tagen zur harmonischen Einheit entwickelt. Kraft und Stoff, die beiden Gegenpole einer früheren dualistischen Naturanschauung, sind in unserer fortgeschrittenen Erkenntnis wesenseins geworden, und diese Erkenntnis bedeutet die Morgenröte eines neuen energetischen Zeitalters. Eines Zeitalters, das sich zu unserer Steinkohlen- und Dampfmaschinenzeit etwa verhalten dürfte wie diese zu der Epoche der Steinzeit und Höhlenmenschen.
Aber wer in der großen Menge derer, welche die Naturwissenschaften nicht von Berufs wegen treiben, weiß Genaueres um dieses neue Wissen und um die riesenhaften Möglichkeiten, die in ihm verschlossen liegen? Wer von ihnen ahnt etwas davon, daß die technische Physik unserer Tage schon mit starker Hand an den Felsen klopft, aus dem kommenden Geschlechtern die mächtige Quelle der Atomenergie zufließen soll und bald vielleicht auch fließen wird? Ein Kraftborn, der millionenfach mächtiger ist als die Energiequelle der Steinkohlenwärme, auf der unsere ganze heutige Zivilisation beruht.
Derjenige aber, der darum weiß und davon schreibt, befindet sich heute etwa in der Lage eines Mannes, der zur Zeit des Siebenjährigen Krieges ein kommendes Jahrhundert der Dampfmaschinen und der Starkstromtechnik vorausgesagt hätte und am Ende seines Jahrhunderts gefragt worden wäre, wie es denn nun eigentlich um die Erfüllung seiner Prophezeiung stünde. Der so Gefragte hätte damals wohl antworten können, daß Mister Watt in England recht schöne Fortschritte im Bau der Feuermaschine gemacht und ein wichtiges Patent auf die Ausnutzung der Dampfexpansion genommen habe und daß einem gewissen Professor Galvani in Bologna die Entdeckung ganz merkwürdiger elektrischer Erscheinungen geglückt sei. Aber ob der Mann mit solcher Antwort viel Glück gehabt hätte, ob ihm seine Zeitgenossen von 1791 beispielsweise geglaubt hätten, daß von den zuckenden Froschschenkeln Galvanis ein direkter Weg zu den Riesenkraftwerken des zwanzigsten Jahrhunderts führt, ist zumindest zweifelhaft.
Doch vielleicht schenkt man nach diesen Erfahrungen vergangener Generationen dem Autor heute ein wenig leichter Glauben, wenn er es unternimmt, in romanhafter Form jene großen Möglichkeiten zu schildern, die nach seiner Überzeugung das Antlitz der Erde und die Lebensformen der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten von Grund auf umgestalten werden. Freilich vollziehen sich solche einschneidenden Wandlungen nicht von heute auf morgen. Dauerte es doch auch noch zwei Menschenalter nach der grundlegenden Erfindung von James Watt, bis die Dampfkraft in Europa Allgemeingut der Wirtschaft wurde. Währte es doch noch ein halbes Jahrhundert, nachdem Werner Siemens die Dynamomaschine erfunden hatte, bis die elektrische Energie sich wirklich in jeden Haushalt ergoß.
Mit ähnlichen Zeiträumen werden wir daher rechnen müssen, bevor alles das, was der Wissende heute bereits sicher kommen sieht, restlos verwirklicht wird. Wer es trotzdem unternimmt, von kommenden technischen Dingen zu schreiben, muß es sich gefallen lassen, daß seine Prophezeiungen zunächst bezweifelt oder in das Gebiet der Utopie verwiesen werden.
Das ist auch dem Verfasser dieser Zeilen mit seinen technischen Zukunftsromanen bisweilen so gegangen, und er muß es den dahinrauschenden Jahrzehnten überlassen, die Wahrheit seiner Prophezeiungen zu erweisen. Doch neben jenen ganz großen Wandlungen, deren Ablauf Menschenalter beansprucht, vollzieht sich schneller ein technischer Fortschritt im kleinen, dessen Erscheinungen gewissermaßen die Staffage zu der Haupthandlung bilden. Davon aber ist in den dreizehn Jahren, die vergingen, seitdem der erste Roman dieser Reihe, »Die Macht der Drei«, geschrieben wurde, nun doch schon vieles in Erfüllung gegangen, und es lohnt sich wohl, im einzelnen einmal zu prüfen, was davon bereits Wahrheit wurde.
In dem genannten Roman wird unter anderem ein Sportfest des englischen Aero-Klubs am Solent beschrieben. Es heißt dort:
»Man schob in das Programm ein Wettfliegen mit motorlosen Flugzeugen ein. Nach dem pomphaften Schauspiel der Luftflotte und dem dämonischen der Tauchflieger kam die Idylle. Von der höchsten Spitze der Uferklippen segelten die einzelnen Flieger ab. Wie die Schmetterlinge gaukelten sie mit geblähten Tragflächen in der Luft. Hingen oft ganz bewegungslos an derselben Stelle, um dann plötzlich die Flügel zu recken und sich wie Albatrosse in weiten Kreisen in die Höhe zu schrauben.«
Diese Zeilen wurden im Frühjahr 1921 geschrieben, als sich die Versuche mit motorlosen Flugzeugen noch im allerersten Anfangsstadium befanden und die längste Flugdauer für ein motorlosen Flugzeug nur wenige Minuten betrug. Daß man nicht nur in den starken Aufwinden an der Wasserkuppe im Rhöngebirge, sondern fast überall und viele Stunden hindurch mit Segelflugzeugen in der Luft bleiben könne, lag damals noch außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und Erkenntnis. Wie sich die Segelfliegerei aber inzwischen entwickelt hat, ist allgemein bekannt, und der Autor darf sich, da der Rekord des Segelfluges heute bei achtundvierzig Stunden liegt, eine erfüllte Prophezeiung gutschreiben.
1000 Kilometer Stundengeschwindigkeit
In dem gleichen Roman besitzt die amerikanische Armee Höhenflugzeuge (Rapid Flyers), die in der dünnen Stratosphäre mit 1000 Kilometer Stundengeschwindigkeit verkehren. Der Schnelligkeitsrekord der üblichen Flugzeuge stand, als das Buch geschrieben wurde, bei 300 Stundenkilometer. Heute, zwanzig Jahre später, hat er die 700 Kilometer bereits überschritten. Außerdem aber sind in Deutschland (Junkers) und Frankreich Höhenflugzeuge fertiggestellt, die alle wesentlichen Merkmale der im Roman geschilderten haben. In der Tat ist die Entwicklung der Stratosphären-Flugzeuge schon sehr weit vorgeschritten, und sie werden bald ihre 1000 Stundenkilometer erreichen. Auch diese zweite Prophezeiung dürfte also unmittelbar vor der Erfüllung stehen.
Die unverstandene Wellenlänge
In demselben Roman sagt einer der Helden: »Ich muß leider weiter. Geben Sie telephonischen Bericht! Wellenlänge der Regierungsflugzeuge! Ich gehe nach Washington.«
Diese Stelle wurde 1921 von vielen Lesern überhaupt nicht verstanden, und es wurde dem Verfasser sogar nahegelegt, sie in der Buchausgabe fortzulassen. Aber damals gab es ja auch noch keinen Rundfunk und nicht acht Millionen Hörer in Deutschland, die ihre Empfangsapparate täglich auf die Wellenlängen der verschiedenen Sender einstellen. Heute weiß natürlich jeder, daß die Regierungsflugzeuge Empfänger an Bord führen, die auf eine bestimmte Wellenlänge eingestellt sind, um jederzeit Nachrichten aufnehmen zu können. Also auch die dritte Prophezeiung ist im Laufe zweier Jahrzehnte Wirklichkeit geworden.
Schließlich wären aus jenem Roman noch die »Transatlantiks« zu erwähnen, große Überseeflugzeuge, die einen fahrplanmäßigen Verkehr zwischen den Vereinigten Staaten und England unterhalten. Damals mußte etwas Derartiges reichlich utopisch erscheinen. Heute haben wir einen regelmäßigen Flugdienst nach Südamerika, und Do X, der bekannte Dornier-Riesenwal, darf als Vorläufer der »Transatlantiks« gelten, womit Prophezeiung Vier als erfüllt anzusehen ist. Schließlich wählen die Flugschiffe des Romans für den Verkehr zwischen Amerika und Europa den kürzesten Weg über Grönland. Inzwischen hat v. Gronau praktisch bewiesen, daß dieser Weg in der Tat der beste und bequemste ist; also auch hier eine erfüllte Voraussage.
Politische Prophezeiungen
In dem Roman »Die Macht der Drei« wird ein Präsident-Diktator der Vereinigten Staaten geschildert, der einen bolschewistischen Aufstand des amerikanischen Ostens mit eiserner Hand niedergeworfen hat und eine fast unumschränkte Gewalt besitzt. Als dieser Roman geschrieben wurde, standen die Vereinigten Staaten im Zeichen der Prosperity und wußten nichts von Kommunismus. Wer es damals gewagt hätte, kommunistische Lehren in der Union zu predigen, hätte die besten Aussichten gehabt, seine Tage als Greis in einem Zuchthaus zu beschließen. Mehr als kühn war es damals, von einem solchen Aufstand zu sprechen, und wie sehr ist doch das Unwahrscheinliche inzwischen in den Bereich der Möglichkeit gerückt.
Von einer Weltkrise sondergleichen wurde die amerikanische Prosperity verschlungen. Zu Zehntausenden unternahmen Verzweifelte Hungermärsche nach der Bundeshauptstadt. Nur mit Waffengewalt, mit Tränengas und Maschinengewehren konnte ein offener Aufstand unterdrückt werden, und auf der andern Seite zwang die außergewöhnliche Zeit dazu, dem amerikanischen Präsidenten heute bereits Vollmachten zu geben, die kaum noch hinter denjenigen des Präsident-Diktators in der »Macht der Drei« zurückstehen.
Die vierte Teilung Polens wurde schließlich in der »Macht der Drei« vorausgesagt. Auch sie wurde inzwischen Tatsache.
Einen japanischen und chinesischen Block bilden in dem Roman »Die Spur des Dschingis-Khan« die beiden gelben Reiche des Fernen Ostens. Ganz unmöglich, völlig unwahrscheinlich mußte eine solche Entwicklung vor zehn Jahren erscheinen, als dieser Roman entstand. Heute sehen wir das übervölkerte japanische Reich eine chinesische Provinz nach der andern erobern und seinem Machtbereich angliedern. Sehen gleichzeitig, wie es in dem Roman vorausgesagt wurde, Rußland und die übrigen weißen Mächte unfähig, diese Entwicklung mit Waffengewalt aufzuhalten. Wie lange noch, und der große gelbe Block wird Wirklichkeit sein, von dem aus ein neuer Dschingis-Khan vielleicht den Vormarsch nach Westen antreten könnte. Hier wie in der Union hat eine knappe Zeitspanne genügt, um das damals so Unwahrscheinliche wirklichkeitsnah werden zu lassen.
An den Gran Chaco mag noch erinnert sein, in dem sich ein Teil der Ereignisse des Romans »Das Erbe der Uraniden« abspielt. Vor zwölf Jahren, als »Das Erbe der Uraniden« geschrieben wurde, war der Gran Chaco, jenes weite fruchtbare Präriengebiet, ein geographischer Begriff und eigentlich nur den Fachgelehrten näher bekannt. Inzwischen trat es in den Brennpunkt machtpolitischer Auseinandersetzungen zwischen den südamerikanischen Republiken, und ein langer mörderischer Krieg wurde um dies Gebiet geführt. Diese Beispiele mögen zeigen, daß auch die politische Zukunftsentwicklung in vielen Einzelheiten richtig vorausgesehen wurde.
Wann wird die Menschheit die Atomenergie beherrschen?
Es bleibt die letzte, größte Frage zu beantworten: Wird es der Technik gelingen, jene Energiequelle zum Fließen zu bringen, die ihr die Physik in den Atomen nachgewiesen hat? Eine wundersame Wandlung hat ja unser Wissen um die Atome während der letzten beiden Jahrzehnte, besonders unter dem Einfluß der Radiumforschung durchgemacht. Zu vollkommenen Sonnensystemen wurden jene kleinsten und letzten Bausteine der Schöpfung, in denen die Atome der negativen Elektrizität, die Elektronen, um den aus positiven Elektrizitätsteilchen aufgebauten Atomkern wie um eine Sonne kreisen. Und man lernte weiter, daß es möglich ist, die Kerne der Atome unter Energiegewinnung zu zertrümmern, ähnlich etwa wie auch Schießpulver Energie abgibt, wenn man es verpuffen läßt.
Vor einem Menschenalter begannen die ersten tastenden Versuche auf diesem Gebiet. Die mit großer Geschwindigkeit aus dem Radium herausgeschleuderten Heliumkerne, die sogenannten Alpha-Strahlen, ließen Ramsay und andere auf stark verdünnte Gase in einer Röhre wirken, und nach längerer Einwirkung gelang ihnen durch die Spektralanalyse der Nachweis, daß die Atome schwerer Gase wirklich von den Heliumgeschossen zerschlagen wurden. Für die physikalische Theorie war es ein unerhörter Triumph, für die Praxis nur ein bescheidener Anfang.
Deutsche waren es, die Physiker Brasch und Lange, welche diese Versuche auf einer anderen, aussichtsreicheren Basis weiterführten. Nicht mehr mit den verhältnismäßig langsam fliegenden Alpha-Strahlen, sondern mit frei fliegenden Elektronen, die bis zu dreiviertel Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, suchten sie die Atomkerne der schwereren Elemente zu treffen und zu zertrümmern. Das Radium sendet in seiner Beta-Strahlung auch solche Elektronen aus, aber sie schufen sich diese Strahlung unabhängig von den natürlichen radioaktiven Substanzen in ihren Blitzröhren selber.
Riesenhafte Spannungen von Millionen von Volt waren nötig, um den Elektronen in der Röhre diese Geschwindigkeit zu verleihen. Spannungen, welche die Elektrotechnik vorerst noch nicht liefern und bändigen konnte. Da zogen sie in die gewitterreiche Gegend am Monte Generoso in der Schweiz, fingen dort die Blitze in Luftdrähten und leiteten die eingefangenen Spannungen von mehreren Millionen Volt in ihre Röhre. Sie erhielten dabei Atomzertrümmerungen, die bewiesen, daß sie sich auf dem richtigen Wege befanden. Das war vor zwölf Jahren.
Große Fortschritte
Eine Zeitlang sah sich die Technik dies Experiment mit Blitzen mit an, aber nicht sehr lange. Dann trat sie mit eigenen neuen Hochspannungsquellen und dazu passenden Blitzröhren auf den Plan. Während diese Zeilen geschrieben werden, gehen solche Apparate, die Spannungen von sieben Millionen Volt sicher erzeugen und beherrschen, ihrer Vollendung entgegen, und jeder kommende Monat dürfte uns neue Fortschritte dieser Zertrümmerungstechnik bringen. Einwandfrei wurde bei den bisherigen Versuchen bereits ein Energiegewinn festgestellt in dem Sinn, daß die Trümmerstücke eines getroffenen Atoms mit größerer lebendiger Kraft weiterflogen, als sie die treffende Kugel besaß.
Für die Leistungsfähigkeit der neuen Blitzröhren spricht besser als alles andere eine einfache Zahl: Die Beta-Strahlung, das heißt die Energie der in einer solchen Röhre frei fliegenden Elektronen, ist gleichwertig derjenigen, die eine Radiummenge von 50 Tonnen liefern würde. Erinnert man sich dabei, daß die gesamte heute in menschlichem Besitz befindliche, über zahllose Laboratorien und Krankenhäuser der ganzen Welt verteilte Radiummenge wenig mehr als zwei Kilogramm beträgt, so wird die Größe des Erreichten klar.
Trotzdem handelt es sich auch bei den neuesten Arbeiten mit diesen Blitzröhren vorläufig immer noch um recht subtile Laboratoriumsversuche, bei denen die Ergebnisse oft nur mit Hilfe der feinsten Meßmethoden festgestellt werden können. Von dem idealen Zustand, daß man irgendwo einen Schalter knipst und danach die Atomenergie ebenso zu fließen beginnt wie heute der elektrische Strom und ebenso wie dieser unsere Öfen heizt und unsere Lampen zum Leuchten bringt, sind wir natürlich noch sehr weit entfernt. Aber es war ja auch ein langer und oft recht dornenvoller Weg von den zuckenden Froschschenkeln Galvanis und den primitiven Zink-Kupfer-Elementen Voltas bis zu den Turbo-Dynamos unserer Tage. Das Wesentliche bleibt, daß die Entwicklung in der vorausgesagten Richtung weitergeht und der Beobachter den Fortschritt festzuhalten vermag. Und dieser Fortschritt war während der letzten fünfzehn Jahre so groß, daß noch einmal fünfzehn Jahre uns vielleicht schon bis dicht an das Ziel bringen können.
Wo liegt das Ziel?
Eine unscheinbare Formel der modernen Physik zeigt uns das letzte Ziel. Wenn es gelingt, Materie im Gewicht von einem Kilogramm auf dem Wege der Atomzertrümmerung restlos zu vernichten, so daß sie aus der Schöpfung verschwindet, so muß dafür nach dem energetischen Äquivalent eine Energiemenge von neuntausend Billionen Meterkilogramm austreten, eine Energiemenge, die einer Wärmemenge von 21 Billionen Kalorien entspricht. Wollte man diese Wärmemenge durch einen Verbrennungsvorgang gewinnen, so müßte man drei Millionen Tonnen Steinkohle verbrennen. Das wäre die Ladung von 150.000 Großgüterwagen oder von 1500 langen Kohlenzügen zu je 800 Achsen.
Die gleiche Energiemenge liegt aber nach unserer neuen Erkenntnis in einem Stückchen Materie verschlossen, das man bequem in der Hand halten kann. Wie nach der morgenländischen Sage der König Salomo gefährliche Geister in kupferne Flaschen bannte, so wurden bei irgendeinem Schöpfungsakt einmal unvorstellbar große Energiemengen in Form von Materie festgelegt. Hier die Siegel zu lösen und die gebannte Energie wieder frei fließen zu lassen, wird das Ziel einer kommenden Technik sein. Ein nicht leichtes, vielleicht sogar ein gefährliches Ziel, denn nicht in vernichtendem Ausbruch darf die befreite Energie dahinrasen. Nützlich und dem Menschen dienstbar wird sie fließen müssen. Dann aber wird ihr reicher Strom ein neues Zeitalter befruchten. Ein Zeitalter, in dem der alte Erdball der Menschheit zu klein wird und sie ihren Pfad zu anderen Gestirnen lenkt.
Und die Weltraumrakete?
In einem, höchstens zwei Menschenaltern wird die neue gewaltige Quelle der Atomenergie uns willig fließen. Viele Jahrhunderte früher jedenfalls, als unsere Kohlenvorräte einmal erschöpft sind.
Und auch die Rakete, jenes Mittel eines künftigen Weltraumverkehrs, wird stetig weiterentwickelt. Man begann mit pyrotechnischen Treibsätzen und arbeitet heute bereits mit wirksameren flüssigen Brennstoffen und wird die Weltraumschiffe eines kommenden Zeitalters mit der Atomenergie treiben, sobald einmal deren Beherrschung der Menschheit gelungen ist. Die Entwicklung wird und muß diesen Weg gehen, denn all die mannigfachen verblüffenden und so oft bezweifelten physikalisch-technischen Voraussagen, welche in Zukunftsromanen des Autors die tragende Unterlage bilden, wurden ja nicht auf blauen Dunst hin gemacht, sondern unter genauer Berücksichtigung des bisher von der Wissenschaft Erforschten und Erkannten. Daß sie eines Tages ebenso volle Wirklichkeit werden, wie es so manches andere in diesen Romanen Vorausgesagte bereits geworden ist, das ist die feste Überzeugung des Verfassers.
Hans Dominik
Das Mysterium von Sing-Sing! Spezialtelegramm: »Sing-Sing, 16. Juni, 6 Uhr morgens. Dreimal auf dem elektrischen Stuhl! Dreimal versagte der Strom! Beim dritten Mal zerbrach die Maschine. Der Delinquent unversehrt.«
Gellend schrien die New Yorker Zeitungsboys die einzelnen Stichworte der Sensationsnachricht den Tausenden und aber Tausenden von Menschen in die Ohren, die in der achten Morgenstunde des Junitages von den überfüllten Fährbooten ans Land geworfen wurden und den Schächten der Untergrundbahnen entquollen, um an ihre Arbeitsstätten zu eilen. Fast jeder aus der tausendköpfigen Menge griff in die Tasche, um für ein Fünfcentstück eines der druckfeuchten Blätter zu erstehen und auf der Straße oder im Lift die außergewöhnliche Nachricht zu überfliegen.
Nur die wenigsten in der großstädtischen Menge hatten eine Ahnung davon, daß an diesem Tage weit draußen im Zuchthaus des Staates New York eine Elektrokution auf die sechste Morgenstunde angesetzt war. Solche Hinrichtungen interessierten das New Yorker Publikum nur, wenn berühmte Anwälte monatelang um das Leben des Verurteilten gekämpft hatten oder wenn bei der Hinrichtung etwas schief ging. Es geschah wohl gelegentlich, daß ein Delinquent lange Viertelstunden hindurch mit dem Strom bearbeitet werden mußte, bis er endlich für das Seziermesser der Ärzte reif war. Und auch unter dem Messer war dann noch bisweilen der eine oder der andere wieder schwer röchelnd erwacht.
Aber die Yankees hatten niemals allzuviel Aufhebens von solchen Vorkommnissen gemacht. Schon damals nicht, als das Land noch von Präsidenten geleitet wurde, die man alle vier Jahre neu wählte. Viel weniger jetzt, wo es unter der eisernen Faust des Präsident-Diktators Cyrus Stonard stand.
Unter der Faust jenes Cyrus Stonard, der nach dem ersten verlorenen Kriege gegen Japan den Aufstand des bolschewistisch gesinnten Ostens gegen den Bürgerlichen Westen mit eiserner Strenge niedergeschlagen und dann den zweiten Krieg gegen Japan siegreich durchgeführt hatte. Die unbeschränkten Vollmachten des Präsident-Diktators nötigten auch die amerikanischen Zeitungen zu einiger Zurückhaltung in allen die Regierung und Regierungsmaßnahmen betreffenden Notizen.
Etwas Besonderes mußte passiert sein, wenn die sämtlichen New Yorker Zeitungen diesem Ergebnis übereinstimmend ihre erste Seite widmeten und mit der Ausgabe von Extrablättern fortfuhren. Noch ehe die letzten Exemplare der eben erschienenen Ausgabe ihre Käufer gefunden hatten, stürmte eine neue Schar von Zeitungsboys mit der nächsten Ausgabe der Morgenblätter den Broadway entlang.
»Das Rätsel von Sing-Sing! Sing-Sing, 6 Uhr 25 Minuten. Elektrische Station von Sing-Sing zerstört. Der Verurteilte heißt Logg Sar. Herkunft unbekannt. Kein amerikanischer Bürger! Zum Tode verurteilt wegen versuchter Sprengung einer Schleuse am Panamakanal!«
»Sing-Sing, 6 Uhr 42 Minuten. Der Verurteilte entflohen! Die Riemen, mit denen er an den Stuhl gefesselt war, zerschnitten!«
»Sing-Sing, 6 Uhr 50 Minuten. Ein Zeuge als Komplice! Allem Anschein nach ist der Delinquent mit Hilfe eines der zwölf Zeugen der Elektrokution entflohen.«
»Sing-Sing, 7 Uhr. Letzte Nachrichten aus Sing-Sing. Im Auto entflohen! Ein unglaubliches Stück! Durch Augenzeugen festgestellt, daß der Delinquent, kenntlich durch seinen Hinrichtungsanzug, in Begleitung des Zeugen Williams in ein vor dem Tor stehendes Auto gestiegen. Fuhren in rasender Fahrt davon. Jede Spur fehlt. Gefängnisverwaltung und Polizei ratlos.« Mit kurzem scharfem Ruck blieb ein Auto stehen, das in den Broadway an der Straßenecke einbog, wo das Flat Iron Building seinen grotesken Bau in den Äther reckt. Der Insasse des Wagens riß einem der Boys das zweite Extrablatt aus der Hand und durchflog es, während das Auto in der Richtung nach der Polizeizentrale weiterrollte. Ein nervöses Zucken lief über die Züge des Lesenden. Es war ein Mann von unbestimmtem Alter. Einer jener menschlichen Zeitlosen, bei denen man nicht sagen kann, ob sie vierzig oder sechzig Jahre alt sind. Vor dem Gebäude der Polizeizentrale hielt der Wagen. Noch ehe er völlig stand, sprang der Insasse hinaus und eilte über den Bürgersteig der Eingangspforte zu. Seine Kleidung war offensichtlich in einem erstklassigen Atelier gefertigt. Doch hatten alle Künste des Schneiders nicht vermocht, Unzulänglichkeiten der Natur vollständig zu mildern. Ein scharfer Beobachter mußte bemerken, daß die rechte Schulter ein wenig zu hoch, die linke Hüfte etwas nach innen gedrückt war, daß das linke Bein beim Gehen leicht schleifte. Er trat durch die Pforte. Hastig kreuzte er die verzweigten Korridore, bis ihm an einer doppelten Tür ein Policeman in den Weg trat. Der typische sechsfüßige Irländer mit Gummiknüppel und Filzhelm. »Hallo, Sir! Wohin?« Ein unwilliges Murren war die Antwort des eilig Weiterschreitenden. »Stop, Sir!« Breit und massig schob der irische Riese sich ihm in den Weg und hob den Gummiknüppel in nicht mißzuverstehender Weise. Heftig riß der Besucher eine Karte aus seiner Tasche und übergab sie dem Beamten. »Zum Chef, sofort!« Mehr noch als das herrisch gesprochene Wort veranlaßte der funkelnde Blick den Policeman, mit großer Höflichkeit die Tür zu öffnen und den Fremden in ein saalartiges Anmeldezimmer zu geleiten. »Edward F. Glossin, medicinae doctor« stand auf dem Kärtchen, das der Diener dem Polizeipräsidenten MacMorland auf den Schreibtisch legte. Der Träger des Namens mußte ein Mann von Bedeutung sein. Kaum hatte der Präsident einen Blick auf die Karte geworfen, als er sich erhob, aus der Tür eilte und den Angemeldeten in sein Privatkabinett geleitete. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor?« »Haben Sie Bericht aus Sing-Sing?« »Nur, was die Zeitungen melden.« »Bieten Sie alles auf, um der Entflohenen habhaft zu werden. Wenn die Polizeiflieger nicht ausreichen, fordern Sie Armeeflieger an! Ihre Vollmacht langt doch für die Anforderung?« »Jawohl, Herr Doktor!« »Die Flüchtigen müssen vor Einbruch der Dunkelheit gefaßt sein. Das Staatsinteresse erfordert es. Sie haften dafür.« »Ich tue, was ich kann.« Der Polizeichef war durch den ungewöhnlich barschen Ton des Besuchers verletzt, und dies Gefühl klang aus seiner Antwort heraus. Dr. Glossin runzelte die Stirn. Antworten, die nach Widerspruch und Verklausulierungen klangen, waren nicht nach seinem Geschmack. »Hoffentlich entspricht Ihr Können unseren Erwartungen. Sonst … müßte man sich nach einem Mann umsehen, der noch mehr kann. Lassen Sie nach Sing-Sing telephonieren! Professor Curtis soll hierherkommen. Ihnen in meiner Gegenwart Bericht über die Vorgänge erstatten.« Der Präsident ergriff den Apparat und ließ die Verbindung herstellen. »Wann kann Curtis hier sein?« »In fünfzehn Minuten.« Dr. Glossin strich sich über die hohe Stirn und durch das volle, kaum von einem grauen Faden durchzogene dunkle Haupthaar, das glatt nach hinten gestrichen war. »Ich möchte bis dahin allein bleiben. Könnte ich…« »Sehr wohl, Herr Doktor. Wenn ich bitten darf…« Der Präsident öffnete die Tür zu einem kleinen Kabinett und ließ Dr. Glossin eintreten. »Danke, Herr Präsident… Daß ich es nicht vergesse! 200.000 Dollar Belohnung dem, der die Flüchtlinge zurückbringt. Lebendig oder tot!« »200.000…?« MacMorland trat erstaunt einen Schritt zurück. »200.000, Herr Präsident! Genau, wie ich sagte. Anschläge mit der Belohnung in allen Städten!« Der Präsident zog sich zurück. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als plötzlich alle Straffheit aus den Zügen Dr. Glossins wich und einem erregten, sorgenden Ausdruck Platz machte. Mit einem leichten Stöhnen ließ er sich in einen Sessel fallen und bedeckte mit der Rechten die Augen, während die Linke nervös über das narbige Leder der Lehne glitt. Wie unter einem inneren Zwange kamen abgerissene Worte halb geflüstert und stoßweise von seinen Lippen. »Stehen die Toten wieder auf?… Bursfelds Sohn! Kein Zweifel daran… Wer rettete ihn…? Wer war dieser Williams? Der Vater selbst…? Nur der besäße die Macht, ihn zu retten… Er war es sicher nicht … Die Riegel des Towers sind fester als die von Sing-Sing… Wer wüßte noch um die geheimnisvolle Macht …? Ah, Jane…! Sie könnte es offenbaren. Der Versuch muß gemacht werden… Unmöglich, jetzt noch nach Trenton zu fahren … Ich muß bis zum Abend warten … Ein unerträglicher Gedanke. Acht Stunden in Ungewißheit …« Der Sprecher fuhr empor und warf einen Blick auf sein Chronometer. »Ruhe, Ruhe! Noch zehn Minuten für mich.« Einem kleinen Glasröhrchen entnahm er sorgfältig abgezählt zwei winzige weiße Pillen und verschluckte sie. Beinahe momentan wich die nervöse Spannung aus seinen gequälten Zügen und machte einer friedlichen Ruhe Platz. Seine Gedanken wanderten rückwärts. Bilder aus einer ein Menschenalter zurückliegenden Vergangenheit zogen plastisch an seinem Geiste vorüber … Die großen Bahnbauten damals in Mesopotamien im ersten Jahrzehnt nach dem Weltkriege. Ein kleines Landhaus am Ausläufer der Berge … Eine blonde Frau in weißem Kleide mit einem spielenden Knaben im Arm … Wie lange, wie unendlich lange war das her, daß er Gerhard Bursfeld, den ehemaligen deutschen Ingenieuroffizier, aus seinem kurdischen Zufluchtsort hervorgelockt und für die mesopotamischen Bahn- und Bewässerungsbauten gewonnen hatte. Damals, als Hände und Köpfe im Zweistromlande knapp waren. Gerhard Bursfeld war dem Rufe zu solcher Arbeit gern gefolgt. Mit ihm kamen sein junger Knabe und sein blondes Weib Rokaja Bursfeld, die schöne Tochter eines kurdischen Häuptlings und einer zirkassischen Mutter. Ein glückliches Leben begann. Bis Gerhard Bursfeld die große gefährliche Erfindung machte. Bis Edward Glossin, in Liebe zu der blonden Frau entbrannt, den Freund und seine Erfindung an die englische Regierung verriet … Gerhard Bursfeld verschwand hinter den Mauern des Towers. Sein Weib entfloh mit dem drejährigen Knaben. In die Berge nach Nordosten. Ihre Spur war verloren. Und Edward Glossin war der betrogene Betrüger. Mit ein paar tausend Pfund speiste ihn die englische Regierung für ein Geheimnis ab, dessen Wert ihm unermeßlich schien … Die Züge des Träumers nahmen wieder die frühere Spannung an. Der Klang einer elektrischen Glocke ertönte. Der Doktor erhob sich und ging straff aufgerichtet in das Kabinett des Polizeichefs. Kurz begrüßte er den Ankömmling Professor Curtis aus Sing-Sing und fragte: »Wie ist es möglich gewesen, daß die Apparatur versagte?« Stockend und nervös gab der Professor seinen Bericht. »Uns allen ganz unbegreiflich! Auf 5 Uhr 30 Minuten war die Elektrokution des Raubmörders Woodburne angesetzt. Sie ging glatt vonstatten. Um 5 Uhr 40 Minuten lag der Delinquent bereits auf dem Seziertisch. Die Maschine wurde stillgesetzt und um 5 Uhr 55 Minuten wieder angelassen. Punkt 6 Uhr brachte man den zweiten Delinquenten und schnallte ihn auf den Stuhl. Er trug den vorschriftsmäßigen Hinrichtungsanzug mit dem Schlitz im rechten Beinkleid. Die Elektrode wurde ihm um den Oberschenkel gelegt. Zwei Minuten nach sechs senkte sich die Kupferhaube auf seinen Kopf. Im Hinrichtungsraum stand der Gefängnisinspektor mit den zwölf vom Gesetz vorgeschriebenen Zeugen. Der Elektriker des Gefängnisses hatte seinen Platz an der Schalttafel, den Augen des Delinquenten verborgen. 6 Uhr 3 Minuten schlug er auf einen Wink des Sheriffs den Schalthebel ein … Ich will gleich bemerken, daß dies die letzte authentische Zeitangabe aus Sing-Sing ist. Um 6 Uhr 3 Minuten sind alle Uhren in der Anstalt mit magnetisierten Eisenteilen stehengeblieben. Die weiteren Zeitangaben in den Zeitungen stammen vom New Yorker Telegraphenamt …« Dr. Glossin wippte nervös mit einem Fuß. Der Professor fuhr fort. »In dem Augenblick, in dem der Elektriker den Strom auf den Delinquenten schaltete, blieb die Dynamomaschine, wie von einer Riesenfaust gepackt, plötzlich stehen. Sie stand und hielt ebenso momentan auch die mit ihr gekuppelte Dampfturbine fest. Mit ungeheurer Gewalt strömte der Frischdampf aus dem Kessel gegen die stillstehenden Turbinenschaufeln. Es war höchste Zeit, daß der Maschinenwärter zusprang und den Dampf abstellte. Während alledem saß der Delinquent ruhig auf dem Stuhl und zeigte keine Spur einer Stromwirkung. Erst später ist mir das eigenartige Verhalten des Verurteilten wieder in die Erinnerung gekommen. Er schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Aber sobald er in den Hinrichtungsraum geführt wurde, kehrte eine leise Röte in seine bis dahin todblassen Züge zurück. Als die Maschine das erstemal versagte, glaubte ich die Spur eines befriedigten Lächelns auf seinen Zügen zu bemerken. Gerade so als ob er diesen für uns alle so überraschenden Zwischenfall erwartet habe. Als die Maschine zum zweitenmal angelassen wurde, verstärkte sich diese rätselhafte Heiterkeit. Er verfolgte unsere Arbeiten, als ob es sich für ihn nur um ein wissenschaftliches Experiment handle. Beim drittenmal kam das Unglück. Die Maschinisten hatten die Turbine auf höchste Tourenzahl gebracht. Sie lief mit dreitausend Umdrehungen, und die elektrische Spannung stand fünfzig Prozent über der vorgeschriebenen Höhe. Es gab einen Ruck. Die Achse zwischen Dynamo und Turbine zerbrach. Die Turbine, plötzlich ohne Last, ging durch. Ihre Schaufelräder zerrissen unter der ins Ungeheuere gesteigerten Zentrifugalkraft. Der Kesselfrischdampf quirlte und jagte die Trümmer unter greulichem Schleifen und Kreischen durch die Abdampfleitung in den Kondensator. Als der Dampf abgestellt war, fühlten wir alle, daß wir haarscharf am Tode vorbeigegangen waren …« Der Polizeichef flüsterte ein paar Worte mit dem Doktor. Dann fragte er den Professor: »Haben Sie eine wissenschaftliche Erklärung für die Vorgänge?« »Nein, Herr! Jede Erklärung, die sich beweisen ließe, fehlt. Höchstens eine Vermutung. Die Magnetisierung sämtlicher Uhren deutet darauf hin, daß in den kritischen Minuten ein elektromagnetischer Wirbelsturm von unerhörter Heftigkeit durch die Räume von Sing-Sing gegangen ist. Es müssen extrem starke elektromagnetische Felder im freien Raum aufgetreten sein. Sonst wäre es nicht zu erklären, daß sogar die einzelnen Windungen der großen Stahlfelder in der Zentraluhr vollständig magnetisch zusammengebacken sind. Ein fürchterliches elektromagnetisches Gewitter muß wohl stattgefunden haben. Aber damit wissen wir wenig mehr.« Eine Handbewegung des Doktors unterbrach die wissenschaftlichen Erörterungen des Professors. »Wie war die Flucht möglich?« Der Bericht darüber war lückenhaft. »Als die Turbine im Nebenraum explodierte, suchten alle Anwesenden instinktiv Deckung. Ein Teil warf sich zu Boden. Ein Teil flüchtete hinter die Schalttafel. Etwa zwei Minuten dauerte das nervenzerreißende Heulen und Quirlen der Trümmerstücke in der Dampfleitung. Als endlich der Dampf abgestellt und Ruhe eingetreten war, merkte man, daß der Delinquent verschwunden war. Die starken Ochsenlederriemen, die ihn hielten, waren nicht aufgeschnallt, sondern mit einem scharfen Messer durchschnitten. Die Flucht mußte in höchster Eile in wenigen Sekunden ausgeführt worden sein. Erst zehn Minuten später wurde es bemerkt, daß auch einer der Zeugen fehlte.« Das war alles, was Professor Curtis berichten konnte. Dr. Glossin zog die Uhr. »Ich muß leider weiter! Leben Sie wohl, Herr Professor.« Er trat, von dem Polizeichef begleitet, auf den Gang. »Wenden Sie alle Maßnahmen an, die Ihnen zweckmäßig erscheinen. In spätestens drei Stunden erwarte ich Meldung, wie es möglich war, daß ein falscher Zeuge der Elektrokution beiwohnte. Geben Sie telephonischen Bericht! Wellenlänge der Regierungsflugzeuge! Ich gehe nach Washington.« Ein Läuten des Telephons im Zimmer des Präsidenten rief diesen hinweg. Unwillkürlich trat Dr. Glossin mit ihm in den Raum zurück. »Vielleicht eine gute Nachricht?« Der Präsident ergriff den Hörer. Erstaunen und Spannung malten sich auf seinem Gesicht. Auch Dr. Glossin trat näher. »Was ist?« »Ein Armeeflugzeug verschwunden. R.F.c.1 vom Ankerplatz entführt.« »Weiter, weiter!« Der Doktor stampfte auf den Boden. »Wer war es?« Er drang auf den Präsidenten ein, als wollte er ihm den Hörer aus der Hand reißen. MacMorland hatte seine Ruhe wiedergefunden. Kurz und knapp klangen seine Befehle in den Trichter. »Der Staatssekretär des Krieges ist benachrichtigt?… Gut! So wird von dort aus die Verfolgung geleitet werden. Wie sehen die Täter aus?… Hat man irgendwelche Vermutungen?… Wie? Was?… Englische Agenten? Sind das leere Redensarten oder hat man Anhaltspunkte?… Was sagen Sie? Allgemeine Meinung?… Redensarten! Die Herren Chopper und Watkins werden gleich herauskommen und die Nachforschungen leiten. Ihren Anordnungen ist Folge zu leisten!« Der Präsident eilte zum Schreibtisch, warf ein paar Zeilen aufs Papier und übergab sie seinem Sekretär. Dann wandte er sich seinen Besuchern zu. »Ein ereignisreicher Morgen! Innerhalb weniger Stunden zwei Vorfälle, wie sie mir in meiner langen Dienstzeit noch nicht vorgekommen sind … Die Meinung, daß die Engländer dahinterstecken, scheint mir nicht ganz unbegründet zu sein. R.F.c.1 ist der neueste Typ der Rapid Flyers. Erst vor wenigen Wochen ist es geglückt, durch eine besondere Verbesserung die Geschwindigkeit auf tausend Kilometer in der Stunde zu bringen. R.F.c. heißt die verbesserte Type. c.1 ist das erste Exemplar der Type. Ich hörte, daß es erst vor drei Tagen in Dienst gestellt wurde. Die nächsten Exemplare brauchen noch Tage, um für die Probefahrt fertig zu werden. Der Gedanke, daß die englische Regierung sich das erste Exemplar angeeignet hat, liegt natürlich sehr nahe … Es sei denn …« »Was meinen Sie, Herr Präsident?« Die Stimme Glossins verriet seine Erregung. »Es sei denn, daß …« MacMorland sprach langsam wie tastend »… daß ein Zusammenhang zwischen der Entführung des Kreuzers und der Flucht jenes Logg Sar bestände. Was meinen Sie, Herr Professor?« »Ich bin versucht, das letztere für das richtige zu halten. Es ist ausgeschlossen, mit gewöhnlichen Mitteln ein Luftschiff wie R.F.c.1 von dem streng bewachten Flugplatz am hellichten Tage zu entführen.« »Was ist Ihre Meinung, Herr Doktor?« »Ich … ich übersehe die ganze Sachlage zu wenig. Trotzdem, Herr Präsident, werden Sie guttun, sich umgehend mit dem Kriegsamt in Verbindung zu setzen und Ihre Maßnahmen für beide Fälle im Einvernehmen und engsten Zusammenwirken mit diesem zu treffen. Guten Morgen, meine Herren.«
MacMorland und Professor Curtis waren allein im Saale des Polizeipräsidiums zurückgeblieben.
»Ein lebhafter Tag heute!«
MacMorland sprach die Worte mit einer gewissen Erleichterung. Der Vorfall mit dem Flugzeug mußte die Sorge der Regierung auf einen anderen Punkt lenken.
Professor Curtis griff sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Der zweite Vorfall ist beinahe noch mysteriöser als der erste. Bedenken Sie!… Der neueste schnellste Kreuzer der Armee. Auf einem Flugplatz hinter dreifachen mit Hochspannung geladenen Drahtgittern. Schärfste Paßkontrolle. Fünfhundert Mann unserer Garde als Platzbewachung. Es geht mir über jedes Verstehen, wie das geschehen konnte.«
Der Polizeichef war mit seinen Gedanken schon wieder bei dem Falle, der sein Ressort anging.
»Warum war dieser Logg Sar zum Tode verurteilt? Wir von der Polizei wissen wieder einmal nichts. Sicherlich ein Urteil des Geheimen Rats.«
Der Professor nickte.
»In dem Einlieferungsschein für Sing-Sing stand: ›Zum Tode verurteilt wegen Hochverrats, begangen durch einen verbrecherischen Anschlag auf Schleusen am Panamakanal.‹ Die Unterschrift war, wie Sie richtig vermuteten, die des Geheimen Rats.«
»Ich will gegen diese Institution nichts sagen. Sie hat sich in kritischen Zeiten bewährt, in denen das Staatsschiff zu scheitern drohte. Aber … Menschen bleiben Menschen, und bisweilen scheint es mir … ich möchte sagen … das heißt, ich werde lieber nicht …«
Professor Curtis lachte.
»Wir Leute von der Wissenschaft sind immun. Sagen Sie ruhig, daß dieser Logg Sar die Panamaschleusen wahrscheinlich niemals in seinem Leben gesehen hat und daß der geheime Rat ihn aus ganz anderen Gründen zum Teufel schickt.«
MacMorland fuhr zusammen. Die Worte des Professors waren schon beinahe Hochverrat. Aber Curtis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Lassen wir den Delinquenten. Er ist doch längst über alle Berge. Aber brennend gern möchte ich etwas Genaueres über Doktor Glossin erfahren. Sie wissen, man munkelt allerlei …«
MacMorland überlegte einen Augenblick.
»Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß ich auf Ihre unbedingte Verschwiegenheit rechnen könnte, würde ich selbst das wenige, das ich weiß, für mich behalten. Um mit dem Namen anzufangen, so habe ich begründete Zweifel, ob es der seiner Eltern war. Seinen wahren Namen kennt außer ihm selbst vielleicht nur der Präsident-Diktator. Seinen Papieren nach ist er Amerikaner. Aber als ich zum erstenmal seine Bekanntschaft machte, glaubte ich bestimmt, starke Anklänge schottischen Akzents in seiner Sprache zu bemerken.«
»Wann und wo war das?« fragte Curtis gespannt.
»Die Gelegenheit war für Doktor Glossin nicht gerade ehrenvoll. Vor zwanzig Jahren. Während des ersten japanischen Krieges. Ich hatte einen Posten bei der politischen Polizei in San Franzisko. Kalifornien war von japanischen Spionen überschwemmt. Die Burschen machten uns Tag und Nacht zu schaffen. Es war auch klar, daß ihre Unternehmungen von einer Stelle aus geleitet wurden. Einer meiner Beamten brachte mir den Doktor, den er unter höchst gravierenden Umständen verhaftet hatte. Aber es war ihm schlechterdings nichts zu beweisen. Hätten wir damals schon den Geheimen Rat gehabt, wäre die Sache wahrscheinlich anders verlaufen. So blieb nichts weiter übrig, als ihn laufen zu lassen.
In der nach unserer Niederlage ausbrechenden Revolution soll er … ich bemerke ›soll‹ … ein Führer der Roten gewesen sein. Zu beweisen war auch hier nichts. Jedenfalls war er einer der ersten, die ihre Fahnen wechselten. Als Cyrus Stonard an der Spitze des in den Weststaaten gesammelten weißen Heeres die Revolution mit blutiger Hand niederschlug, war Doktor Glossin bereits in seiner Umgebung. Er muß dem Diktator damals wertvolle Dienste geleistet haben, denn sein Einfluß ist seitdem fast unbegrenzt.«
MacMorland unterbrach seinen Bericht, um sich dem Ferndrucker zuzuwenden.
»Hallo, da haben wir weitere Meldungen über R.F.c.1. Versuchen Sie Ihren Scharfsinn, Herr Professor. Vielleicht können Sie das Rätsel lösen. Der Bericht lautet: R.F.c.1 stand um sieben Uhr morgens zur Abfahrt bereit. Drei Monteure und ein Unteroffizier waren an Bord. Der Kommandant stand mit den Ingenieuren, die an der Fahrt teilnehmen sollten, dicht dabei. Zwei Minuten nach sieben erhob sich das Flugschiff ganz plötzlich. Seine Maschinen sprangen an. Es flog in geringer Höhe über einen neben dem Flugplatz liegenden Wald. Etwa fünf Kilometer weit. Man nahm auf dem Platz an, daß die Maschinen versehentlich angesprungen seien und die Monteure das Flugzeug hinter dem Wald wieder gelandet hätten. Ein Auto brachte den Kommandanten und die Ingenieure dorthin. Vom Flugzeug keine Spur. Die Monteure in schwerer Hypnose behaupten, es habe nie ein Flugzeug R.F.c.1 gegeben. Sie sind zur Zeit in ärztlicher Behandlung«
MacMorland riß den Papierstreifen ab und legte ihn vor dem Professor auf den Tisch.
»Das ist das Tollste vom Tollen. Was sagen Sie dazu?«
Der Polizeichef lief aufgeregt hin und her. Auch Professor Curtis konnte sich der Wirkung der neuen Nachricht nicht entziehen.
»Sie haben recht, Herr Präsident. Es ist ein tolles Stück. Aber Gott sei Dank fällt es nicht in das Ressort von Sing-Sing und geht mich daher wenigstens beruflich nichts an.
Es wird Sache der Armee sein, wie sie ihren Kreuzer wiederbekommt. Lieber noch ein paar Worte über Doktor Glossin. Ich hatte schon viel von ihm gehört. Heute habe ich ihn das erstemal gesehen. Wo wohnt er? Wie lebt er? Was treibt er?«
»Sie fragen viel mehr, als ich beantworten kann. Hier in New York besitzt er ein einfach eingerichtetes Haus in der dreihundertsechzehnten Straße. Daneben hat er sicher noch an vielen anderen Orten seine Schlupfwinkel …«
»Ist er verheiratet?«
»Nein. Obgleich er keineswegs ein Verächter des weiblichen Geschlechts ist. Mir ist manches darüber zu Ohren gekommen … Na, gönnen wir ihm seine Vergnügungen, wenn sie auch manchem recht sonderlich vorkommen mögen.«
»Hat er sonst gar keine Leidenschaften?«
»Ich weiß, daß er Diamanten sammelt. Auserlesene schöne und große Steine.«
»Nicht übel! Aber ein bißchen kostspielig das Vergnügen. Verfügt er über so große Mittel?«
MacMorland zuckte mit den Achseln.
»Es entzieht sich meiner Beurteilung. Ein Mann in seiner Stellung, mit seinem Einfluß kann wohl … lieber Professor, ich habe schon viel mehr gesagt, als ich sagen durfte und wollte. Lassen wir den Doktor sein Leben führen, wie es ihm beliebt. Es ist am besten, sowenig wie möglich mit ihm zu tun zu haben. Da Sie gerade hier sind, geben Sie mir, bitte, über die Vorgänge in Sing-Sing einen kurzen Bericht für meine Akten. Wir können nachher zusammen frühstücken.«
Wie griechischer Marmor glänzten die Mauern des Weißen Hauses zu Washington in der grellen Mittagsonne. Aber ein dunkles Geheimnis barg sich hinter den schimmernden Mauern. Lange und nachdenklich hafteten die Blicke der Vorübergehenden auf den glatten, geraden Flächen des Gebäudes.
Die politische Spannung war bis zur Unerträglichkeit gestiegen. Jede Stunde konnte den Ausbruch des schon lange gefürchteten Krieges mit dem englischen Weltreich bringen. Die Entscheidung lag dort hinter den breiten Säulen und hohen Fenstern des Weißen Hauses.
In dem Vorzimmer des Präsident-Diktators saß ein Adjutant und blickte aufmerksam auf den Zeiger der Wanduhr. Als diese mit leisem Schlag zur elften Stunde ausholte, erhob er sich und trat in das Zimmer des Präsidenten.
»Die Herren sind versammelt, Herr Präsident.«
Der Angeredete nickte kurz und beugte sich wieder zum Schreibtisch, wo er mit dem Ordnen verschiedener Papiere beschäftigt war. Ein Mann mittleren Alters. Eine Art militärischen Interimsrockes umschloß den hageren Oberkörper. Auf einem langen, dünnen Halse saß ein gewaltiger Schädel, dessen vollkommen haarlose Kuppel sich langsam hin und her bewegte. Aus dem schmalen durchgeistigten Aszetengesicht blitzten ein Paar außerordentlich große Augen, über denen sich eine zu hohe und zu breite Stirn weit nach vorn wölbte.
Das war Cyrus Stonard, der absolute Herrscher eines Volkes von dreihundert Millionen. Als er sich jetzt erhob und langsam, beinahe zögernd der Tür zuschritt, bot er äußerlich nichts von jenen Herrscherfiguren, die in der Phantasie des Volkes zu leben pflegen. Nur das geistliche Kleid fehlte, sonst hätte man ihn wohl für eine der fanatischen Mönchsgestalten aus den mittelalterlichen Glaubenskämpfen der katholischen Kirche ansehen können.
Er durchschritt das Adjutantenzimmer und betrat einen langgestreckten Raum, dessen Mitte von einem gewaltigen, ganz mit Plänen und Karten bedeckten Tisch ausgefüllt war. In der einen Ecke des Saales standen sechs Herren in lebhaftem Gespräch. Die Staatssekretäre der Armee, der Marine, der auswärtigen Angelegenheiten und des Schatzes, die Oberstkommandierenden des Landheeres und der Flotte. Sie verstummten beim Eintritt des Diktators. Cyrus Stonard ließ sich in den Sessel am Kopfende des Tisches nieder und winkte den anderen, Platz zu nehmen.
»Mr. Fox, geben Sie den Herren Ihren Bericht über die auswärtige Lage.«
Der Staatssekretär des Auswärtigen warf einen kurzen Blick auf seine Papiere.
»Die Spannung mit England treibt automatisch zur Entladung. Seitdem Kanada sich mit uns in einem Zollverband zusammengefunden hat, sind die Herren an der Themse verschnupft. Die Bestrebungen im australischen Parlament, nach kanadischem Muster mit uns zu verhandeln, haben die schlechte Laune in Downing Street noch verschlechtert. England sieht zwei seiner größten und reichsten Kolonien auf dem Wege natürlicher Evolution zu uns kommen. In Australien geht die Entwicklung langsamer vor sich, seitdem der japanische Druck verschwunden ist. Aber auch dort ist sie unaufhaltbar, wenn es der englischen Macht nicht vorher gelingt, uns niederzuwerfen …«
Ein spöttisches Lächeln glitt über die Züge des Flottenchefs.
»In Asien und Südamerika stoßen unsere Handelsinteressen schwer mit den englischen zusammen. Der letzte Aufstand im Jangtsekiangtale war mit englischem Gelde inszeniert. Die Afrikanische Union hält bei aller Wahrung ihrer politischen Selbständigkeit wirtschaftlich fest zu England und läßt nur englische Waren ins Land. Unser letzter Versuch, einen Handelsvertrag mit der Afrikanischen Union abzuschließen, ist gescheitert. Meines Erachtens treiben die Dinge einer schnellen Entscheidung entgegen. Die Entführung von R.F.c.1 gibt einen geeigneten Anlaß. Seit zwei Stunden tobt unsere Presse gegen England.«
Cyrus Stonard hatte während des Vortrages mechanisch allerlei Schnörkel und Ornamente auf den vor ihm liegenden Schreibblock gezeichnet.
»Wie denken Sie über die Entführung des R.F.c.1?«
Er heftete seine Augen auf den Flottenchef Admiral Nichelson.
»In der Nähe der Station sind zwei englische Agenten ergriffen worden. Sie leugnen jede Teilnahme.«
»Es gibt Mittel, solche Leute zum Reden zu bringen.«
»Sie hatten den Strick um den Hals und schwiegen.«
»Es gibt wirksamere Mittel … Wie lange kann sich R.F.c.1 in der Luft halten?«
»Die Tanks waren für zwölf Stunden gefüllt. Genug, um in voller Dunkelheit zu landen, wenn es nach Osten geht. Unsere Kreuzer über dem Nordatlantik sind benachrichtigt. Eine Landung in England müßte noch bei Helligkeit erfolgen und würde gemeldet werden.«
»Sie halten es für sicher, daß die Entführung auf Betreiben der englischen Regierung erfolgt ist?«
»Ganz sicher!«
»Hm … der Gedanke liegt nahe … vielleicht zu nahe … Und die anderen Herren …? Meinen dasselbe … hm! Hoffentlich, nein sicherlich haben Sie unrecht.«
Die Staatssekretäre sahen den Diktator fragend an.
»Der letzte Gamaschenknopf sitzt noch nicht! Ich werde erst losschlagen, wenn ich weiß, daß er sitzt. Das heißt, meine Herren …« Die Stimme des Sprechenden hob sich. »R.F.c.1 mag in Gottes Namen in England landen. Für unser Volk wird es verborgen bleiben, bis es soweit ist. Wie weit ist die Verteilung unserer U-Kreuzer durchgeführt?«
»Die ganze Kreuzerflotte liegt auf dem Meridian von Island vom sechzigsten bis zum dreißigsten Breitengrad gleichmäßig verteilt.«
Admiral Nichelson erhob sich, um die Lage der Kreuzerflotte an einem großen Globus zu erklären.
»Wo stehen die Luftkreuzer?«
»Die leichte Beobachtungsflotte zwischen Island und den Färöern. Die Panzerkreuzer liegen seit drei Tagen auf dem grönländischen Inlandeis.«
»Die G-Flotte …«
»Die Schiffe auf Grönland sind damit ausgerüstet.«
Nur dieser Staatsrat wußte um das Geheimnis, daß die neuen Luftkreuzer mit Bomben versehen waren, die nach dem Abwurf Milliarden und aber Milliarden von Pest- und Cholerakeimen in die Luft wirbelten.
Man hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Bakterienkrieg im großen auszuprobieren. Aber die amerikanischen Fachleute versprachen sich viel davon.
»Die P-Flotte …«
Ein sardonisches Lächeln lief über die sonst so unbeweglichen Züge des Diktators, als er das Wort aussprach. Seit mehr denn Jahresfrist lagen englische Banknoten im Betrage von Hunderten von Milliarden Pfund Sterling in den geheimen Gewölben des amerikanischen Staatsschatzes. Von der Tausendpfundnote an bis hinab zu den kleinsten Beträgen. Alles so vorzüglich gefälscht und nachgedruckt, daß die Bank von England selbst diese Noten für echt halten mußte. Die Aufgabe der P-Flotte war es, sofort bei Kriegsausbruch diese Unmengen englischen Papiergeldes über die ganze Welt zu verstreuen, wo Engländer Handel trieben und englisches Geld Kurs hatte. Die Tätigkeit dieser Flotte mußte das englische Geldwesen in wenigen Tagen vollkommen zerrütten.
Aber die P-Flotte war noch ein schwereres Staatsgeheimnis als die G-Flotte. Die englischen Agenten hatten nur herausbekommen, daß sie für Propagandazwecke bestimmt sei und im Falle eines Krieges in großen Massen die zuerst von Woodrow Wilson1 in die Kriegführung zivilisierter Nationen eingeführten Traktätchen über den feindlichen Linien abzuwerfen hätte.
»Die P-Flotte übt zwischen Richmond und Norfolk«, sagte Admiral Nichelson trocken.
Jedermann im Saale wußte, daß dieser Standort fünfzehn Flugminuten von den Gewölben des Staatsschatzes entfernt war.
Cyrus nahm das Wort von neuem.
»Wie lange wird es noch dauern, bis unsere Unterwasserstation an der afrikanischen Küste vollkommen gesichert ist? Die Frist ist bereits seit einer Woche abgelaufen.«
Bei diesen nicht ohne Schärfe gesprochenen Worten erhob sich der Flottenchef unwillkürlich.
»Die Schwierigkeiten waren größer als vorauszusehen war, Herr Präsident.«
»Können Sie ein bestimmtes Datum angeben?«
»Nein. Doch dürfte es auf keinen Fall länger als bis zum Ablauf dieses Monats dauern.«
»Hm … dann also, meine Herren … dann wird man R.F.c.1 zur geeigneten Zeit in England landen sehen.«
Ein Adjutant trat ein und flüsterte dem Präsidenten ein Wort ins Ohr.
»Gut, ich komme.«
Der Präsident erhob sich, die Sitzung war beendet.
Thomas Woodrow Wilson (1856-1924): Präsident der USA von 1913-1921, Friedensnobelpreis 1919 <<<
Aus dem blauen Mittagshimmel schoß ein silbern schimmernder Punkt auf das Weiße Haus in Washington zu, wurde größer, zeigte die schnittigen Formen eines Regierungsflugzeugs und landete sanft auf dem Dach des Gebäudes. Als einziger Passagier verließ Dr. Edward F. Glossin die Maschine. Den linken Fuß beim Gehen leicht nachziehend, schritt er an den martialischen Gestalten der Leibgarde vorbei. Auf den Treppenabsätzen und in den Korridoren standen die baumlangen blonden Kerle aus den westlichen Weizenstaaten in ihren malerischen Uniformen. Sie hielten die Wache um den Präsident-Diktator wie früher die Grenadiere der Potsdamer Garde um die preußischen Könige oder die Eisenseiten um Oliver Cromwell.1
Im Vorzimmer traf der Doktor den Adjutanten des Diktators und ließ sich melden. Nur eine knappe Minute, und der Diktator trat aus dem Sitzungssaale und stand vor ihm. Nach flüchtigem Gruß hieß er ihn in sein Arbeitszimmer mitkommen.
»Wer ist Logg Sar?«
Dr. Glossin fühlte die unbestimmte Drohung, die in der Frage lag, und trat einen Schritt zurück.
»Logg Sar ist … Silvester Bursfeld.«
Tiefes Erstaunen malte sich auf den Zügen Stonards. »Bursfeld … der im englischen Tower gefangen saß?« »Nein, sein Sohn. Der Vater hieß Gerhard.«
»Mein Gedächtnis ist gut. Sie haben mir von einem Sohn Gerhard Bursfelds nie gesprochen. Warum nicht?«
»Ich weiß es selbst erst seit drei Monaten.«
»Und ich erfahre es erst heute?«
Cyrus Stonard trat dicht an den Doktor heran. Ein Blick traf ihn, der sein Gesicht noch um eine Nuance blasser werden ließ.
»Erklären Sie!«
»Es war vor ungefähr drei Monaten … Ich hielt mich einige Zeit in Trenton auf, um in meinem Laboratorium im Hause einer Mrs. Harte an einem Versuch zu arbeiten. Eines Tages kommt ein junger Ingenieur, der in den Staatswerken von Trenton beschäftigt ist, zu Mrs. Harte und erkundigt sich nach ihren Familienverhältnissen. Dabei stellt sich heraus, daß der verstorbene Mann der Mrs. Harte ein Stiefbruder von Gerhard Bursfeld war.«
»Ihre Erzählung scheint darauf hinauszuwollen, daß der junge Ingenieur der Sohn von Gerhard Bursfeld ist. Warum nannte er sich Logg Sar?«
»Auf Logg Sar lauten seine Papiere. Für die Welt und für ihn beruht alles andere auf Vermutungen. Für mich ist der Beweis erbracht.«
»Liefern Sie ihn mir!«
»Sie erinnern sich an meinen früheren Bericht über die Sache, Herr Präsident. Heute kenne ich seine Fortsetzung. Nachdem Gerhard Bursfeld die unfreiwillige Reise nach England gemacht hat, verschwindet er für immer im Tower. Sein Weib flieht mit ihrem kleinen Knaben in die kurdischen Berge. Unterwegs schließt sie sich einer Karawane an: Kaufleute, Priester und was sonst in Karawanen nach Mittelasien zieht. Die junge Frau ist den Strapazen des langen Weges nicht gewachsen. Irgendwo auf der Strecke zwischen Bagdad und Kabul wurde sie später bestattet. Ein tibetanischer Lama, der in sein Kloster zurückkehrt, nimmt sich der Sterbenden an. Ihm übergibt sie ihren Knaben, macht ihm zur Not dessen Namen verständlich …«
»Etwas schneller, wenn’s beliebt, Herr Doktor!«
»Der Lama nimmt den Knaben mit in sein Kloster Pankong Tzo und erzieht ihn in den Lehren Buddhas. Als der Knabe vierzehn Jahre alt ist, besucht eine Expedition schwedischer Gelehrter das Kloster. Der junge Europäer fällt auf. Von einem der Mitglieder der Expedition, dem Ethnologen Olaf Truwor, wird er mit nach Schweden genommen, wird mit dessen Sohn zusammen erzogen, wird wie dieser Ingenieur …«
Cyrus Stonard hatte während des Berichtes mechanisch allerlei Arabesken gemalt, wie es seine Gewohnheit war. Jetzt warf er den Bleistift unwillig auf das vor ihm liegende Papier.
»Glauben Sie im Ernst, Herr Doktor, daß irgendein Anwalt in den Staaten auf Ihre Erzählung hin einen Erbschaftsprozeß übernehmen würde?«
»Nur noch einen kurzen Augenblick Geduld, Herr Präsident. Die Kette schließt sich Glied an Glied. Auf einer Rheinreise, die er nach dem Abschluß seiner Studien macht, wird Logg Sar von einem alten Ehepaar angesprochen, dem seine überraschende Ähnlichkeit mit Gerhard Bursfeld auffällt. Die alten Leute sind mit Gerhard Bursfeld verwandt, haben ihn genau gekannt und sind von dieser Ähnlichkeit ebenso überrascht … wie ich es war, als Logg Sar mir das erstemal vor die Augen trat. Ich glaubte damals, Gerhard Bursfeld so vor mir zu sehen, wie er dreißig Jahre früher in Mesopotamien vor mir gestanden hat. Die alten Leute machen Logg Sar darauf aufmerksam, daß ein Stiefbruder Gerhard Bursfelds in Trenton lebt. Logg Sar findet im weiteren Laufe seiner Ingenieurkarriere eine Stellung in den Trentonwerken. Er erinnert sich der Mitteilungen der alten Leute und spricht bei Mrs. Harte vor. Ihr Mann ist tot. Ein Bild von Gerhard Bursfeld findet sich im Hause. Die Ähnlichkeit ist überzeugend.«
Cyrus Stonard blickte den Erzähler durchdringend an.
»Sie tischen mir da eine sehr romantische, aber wenig beglaubigte Geschichte auf. Es fehlt nur noch das berühmte Muttermal, und die Sache könnte in Harpers Weekly stehen. Herr Doktor, ich wünsche von Ihnen schlüssige Beweise und keine Phantastereien. Haben Sie irgendeinen wirklichen Beweis, daß Logg Sar und Silvester Bursfeld identisch sind?«
Dr. Glossin spielte seinen Trumpf aus.
»Ein Wort schließt die Kette: Logg Sar.«
»Was soll das heißen?«
»Logg Sar bedeutet im Tibetanischen das Jahresende. Den letzten Tag des Jahres. Den Tag, den die christliche Religion dem Silvester geweiht hat. Die sterbende Mutter hat dem fremden Priester verständlich zu machen versucht, was der Name ihres Kindes bedeutet. Das Jahresende. Der christliche Name wurde vergessen. Seine tibetanische Übersetzung ergab den neuen Namen, unter welchem der Knabe in Pankong Tzo verblieb.«
»Das ist kein Beweis für mich, Herr Doktor. Und ich glaube … für Sie auch nicht.«
Dr. Glossin trat einen Schritt näher an den Diktator heran.
»Mein letzter Beweis, ein zwingender Beweis! Er kennt das Geheimnis seines Vaters. Es ist ihm überkommen, er hat es ausgebaut in einem Maße, daß …«
Die feinen Flügel der Adlernase des Diktators zitterten. Zwei lotrechte Falten zogen sich zwischen seinen Augenbrauen zusammen, als er den Satz des Doktors vollendete:
»… daß er unser werden oder verschwinden muß, wie seinen Vater die Engländer verschwinden ließen.«
»Das erstere ist wohl nicht mehr möglich.«
»Nach dem Experiment in Sing-Sing … ich glaube, daß Gründe vorhanden sind, die mir gestatten, Ihr Konto damit zu belasten, Herr Doktor! Finden Sie einen Weg, auf dem sich die andere Möglichkeit bewerkstelligen läßt?«
Cyrus Stonard warf dem Doktor einen Blick zu, der diesen erschauern ließ. Ein Wink des Diktators, und er war selbst aus der Liste der Lebenden gestrichen, fand vielleicht schon in wenigen Stunden selbst sein Ende auf dem Stuhl in Sing-Sing.
Cyrus Stonard ließ die Lider sinken und fuhr ruhig fort: »Wie sind Sie hinter sein Geheimnis gekommen?«
Der Doktor schöpfte tief Atem und begann stockend zu erzählen:
»Sein Gesicht war mir vom ersten Tage an verhaßt. Auch sonst hatte ich Grund, seine Anwesenheit im Hause Harte unangenehm zu empfinden …«
»Hm! Hm … so … weiter!«
»Er bat mich, mein Laboratorium in meiner Abwesenheit benutzen zu dürfen. Ich erlaubte es ihm. Beim Fortgehen sorgte ich dafür, daß zehntausend Volt an den Tischklemmen lagen, während der zugehörige Spannungsmesser nur hundert Volt anzeigte. Ich kam wieder, um eine Leiche zu finden, und sah ihn unversehrt aus dem Hause treten. Das Lächeln eines Siegers auf den Lippen, der soeben einen großen Erfolg errungen hat. Da wußte ich, daß Silvester Bursfeld der rechte Sohn seines Vaters ist. Er mußte wissen, daß ich ihm die Falle gestellt hatte. Ich durfte mich nicht mehr vor seinen Augen zeigen. Drei Tage später verschwand er … Unauffällig, wie es üblich ist. Spezialgericht. Elektrokution. Ich glaubte, der Fall sei erledigt. Was weiter geschah, wissen Sie, Herr Präsident.«
»Haben Sie in seinen Papieren gründlich nachgesucht?«
»In jedem Winkelchen. Es sind keine Aufzeichnungen über die Erfindung vorhanden. Ich war dreimal in seinen Räumen. Jedes Stück Papier wurde umgedreht und studiert.«
»Sie haben selbst gesucht … Lassen Sie unsere Polizei suchen! Die versteht es vielleicht besser; Herr Doktor … zum zweiten Punkt unserer Besprechung. Wer hat R.F.c.1 genommen?«
»Ich würde sagen, sicherlich englische Agenten, wenn ich nicht …«
»Wenn Sie nicht …«
»Wenn ich nicht nach den Vorgängen dieses Morgens fürchten müßte, daß Silvester Bursfeld allein oder mit Komplicen in unserem schnellsten Kreuzer nach … nach Schweden oder nach Tibet fährt«
»Allein ist ausgeschlossen! Komplicen? Wer sind sie?«
»Ich weiß es nicht … Bis jetzt noch nicht. Einer dieser Komplicen ist bestimmt der Zeuge Williams. Von dem dritten, der das Auto steuerte, wissen wir nur, daß er braunhäutig ist …«
»Es ist anzunehmen, daß die drei zusammenbleiben werden. Drei sind leichter in der Welt zu finden als einer. Nehmen Sie die politische Polizei zu Hilfe und suchen Sie. Das Finden liegt in eigenstem Interesse … Suchen Sie, Herr Doktor Glossin!«
Dr. Glossin stand in unsicherer Haltung vor dem Diktator. Zum erstenmal hatte er die ihm anvertrauten so ungeheuer weitreichenden Vollmachten für die Zwecke einer Privatrache angewendet. Die Blankette und Vollmachten, die er in den Händen hielt, machten es ihm leicht, den jungen Ingenieur aufheben zu lassen. Bis dahin war alles in Ordnung.
Aber daß er den Gefangenen sofort auf den elektrischen Stuhl brachte, entsprach nicht der Staatsräson. Solche Leute bewahrte Cyrus Stonard nach bewährter Methode an festen Orten auf und suchte hinter ihre Schliche zu kommen. Dr. Glossin raffte sich zusammen.
»Ich bitte Sie, den Entschluß über Krieg oder Frieden um etwa fünf Stunden aufzuschieben. So lange, bis ich wieder hier bin.«
»Warum?«
»Weil ich dann sicher sagen kann, ob Logg Sar und seine Gefährten das Flugschiff genommen haben oder nicht.«
»Und wenn es mir aus anderen Gründen gefiele, daß englische Agenten das Schiff genommen haben? Die Zeit ist reif! Der Zwischenfall könnte mir gelegen kommen.«
»Ich beschwöre Eure Exzellenz. Keine bindenden Entschlüsse, bevor wir nicht klar sehen.«
»Was klar sehen?«
»Wohin die Erfindung gegangen ist. Logg Sar im Bunde mit England … dann können wir den Kampf nicht wagen.«
Der Diktator schüttelte abweisend das Haupt.
»Der Sohn wird sich hüten, sich mit den Mördern seines Vaters zu verbinden.«
»Ich hoffe es. Aber Sicherheit ist mehr wert als Vermutung. In wenigen Stunden kann ich Sicherheit haben. Hat er R.F.c.1 nicht genommen, so ist er noch in den Staaten, und wir haben die Möglichkeit, ihn zu fassen. Solange er frei ist, bleibt er eine Macht, die wir fürchten müssen.«
Ein Schweigen von zwei Minuten. Dann sagte Cyrus Stonard: »Ich erwarte Ihre Mitteilung im Laufe der nächsten drei Stunden. Unsere Presse soll ihre Schmähungen gegen England bis auf weiteres unterlassen. Versuchen Sie auf jede Weise des Erfinders habhaft zu werden. Vermeiden Sie Spannungen mit anderen europäischen Staaten. Wir wollen dem Gegner keine Bundesgenossen werben.«
Eine Handbewegung des Präsident-Diktators, und Dr. Glossin war entlassen.
Oliver Cromwell (1599-1658) war Lordprotektor von England, Schottland und Irland während der kurzen republikanischen Periode der britischen Geschichte. <<<
Hinter dichten Bäumen verborgen, efeuumsponnen, stand in der Johnson Street zu Trenton das Häuschen, welches Mrs. Harte mit ihrer Tochter Jane bewohnte. Die Nähe der großen Staatswerke konnte man hier vollkommen vergessen. Die roten Backsteinhäuser der Straße lagen ausnahmslos in geräumigen Gärten. Die Straße selbst war reichlich zehn Minuten von den Werken mit ihrem geräuschvollen Verkehr entfernt. Sie lag auf der entgegengesetzten Seite des Ortes und mündete in einen schönen von Nordwesten her unmittelbar an das Städten stoßenden Laubwald.