Die Malerin - Boban Lapcevic - E-Book

Die Malerin E-Book

Boban Lapcevic

4,9

Beschreibung

In dieser Sammlung von stilistisch und thematisch vielfältigen Erzählungen beschreibt der Autor tiefgründige Gedanken und anregende Fragestellungen. Mit einer romantischen und doch treffenden Art wird beispielsweise in "Die Malerin" das Zusammenspiel von Traum und Wirklichkeit thematisiert. Die teils melancholischen und ehrlichen Charaktere beschreiben in verschiedenen Erlebnissen ihre Sichtweise auf alltägliche Situationen. Besonders jene Träumer, die gerne gedanklich abschweifen, werden sich in diesem Buch wiederfinden und zu Hause fühlen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 62

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Die Malerin

Der Fussballfan

Als ich glücklich war

Das Ungeheuer vor der Tür

Der Zigeuner im Park

Massoud

Caresse le rêve

König Petar

Schmetterlinge

Drei Geschichten

Der einsame Wolf

Fahrkarte zum Glück

Niederlage

Fragmente

Vergeudetes Leben

Für die Leute, die heimlich zuhören

DIE MALERIN

Ich fiel. Immer tiefer. Die Wolken um mich herum waren dunkelgrau und formlos. Während der Boden, den ich noch nicht klar erkennen konnte, immer näherkam, steigerte sich meine Angst, bis ich von Panik erfasst schweißüberströmt aufwachte.

Als wäre es nicht genug, an Schlaflosigkeit zu leiden, plagten mich zu allem Überfluss Träume jeglicher Art. »Träume vom Fallen deuten oft auf Verlust von Selbstvertrauen und schlimme Veränderungen auf dem zukünftigen Lebensweg hin«, hatte mich einmal jemand wissen lassen. Ich stand auf und ging zum Fenster. Die Sonne war vor Kurzem aufgegangen und strahlte erst schwach, als ich meinen Blick nach draußen schweifen ließ. Ich wohnte seit ein paar Tagen in einem kleinen Zweizimmer-Appartement in Belgrad. Ich hatte mir eine Auszeit von der Arbeit genommen und hoffte auf andere Gedanken zu kommen, mich meiner trübsinnigen Verfassung zu widersetzen – wenigstens für eine Weile. Übermannte mich die Schwermut, ging ich runter zur Sava und schaute über das schillernde Wasser. Dabei dachte ich oft an das Gestern und selten an das Morgen. Auf der anderen Flussseite lagen vereinzelt veraltete Fischerboote vertäut und unzählige Bäume verzierten den Strand. Hier verweilte ich gerne, rauchte Zigaretten, beobachtete Leute, während mir oft ein Zitat Jean Pauls durch den Kopf ging: »Wer an die Vergangenheit denkt, sieht zu Boden; wer an die Zukunft denkt, sieht zum Himmel.«

Dieselben Worte waren auf der Vorderseite meines Notizheftes, von mir einst aufgeschrieben. Ich trug das Heft immer mit mir, um gelegentlich meine Gedanken festzuhalten.

Es war Herbst. Gleichwohl blendete mich die Sonne und mein Blick richtete sich selten gen Himmel …

Ich stand nicht alleine da in der Stadt, sondern pflegte Umgang zu einem jungen Geschichtsprofessor, der mir unzählige Vorschläge machte, etwas zu unternehmen, um meine Melancholie loszuwerden. Zu mehr als einem Kaffee in abgelegenen Restaurants ließ ich mich nicht hinreißen. Eines Tages schlug er mir vor, mich mit einer seiner Freundinnen, einer Malerin, bekannt zu machen. Ich war nicht in Stimmung für neue Bekanntschaften, doch hatte mich die Malerei seit jeher fasziniert, und so sagte ich zu.

In den Romanen, die ich las, begann die Beschreibung einer Frau oft mit dem Satz »Sie ist keine Schönheit, aber …«, nur um ihr Aussehen dann doch im Detail zu schildern. Die Beschreibung der Malerin könnte ich beim besten Willen nicht mit diesem Satz beginnen. Sie war eine Schönheit, hatte ein reizendes Gesicht, in dem die Nasenspitze ein ganz klein wenig nach oben zeigte. Ihre großen Augen waren kastanienbraun. Was ins Auge stach, obwohl schwach erkennbar, waren Muttermale in ihrem Gesicht. Zwei oberhalb ihrer vollen, rosa Lippen und zwei links auf der Wange. Das Haar, schwarz, mittellang, prachtvoll anzusehen. Auch ihr Körper war makellos – allem voran ihr Busen.

Die Idee meines Freundes war, mich als neues Fotomodell zu empfehlen, also verabredeten wir uns kurzerhand zur ersten Sitzung.

Das Atelier, das sie sich gemietet hatte, war nicht weit von meinem Appartement entfernt. Sie empfing mich in einem schlichten weißen Kleid. Nach einer kurzen Begrüßung führte sie mich zu einem Korbsessel in der Mitte des schwach beleuchteten Raumes. Abgesehen von der Staffelei stand nur der Korbsessel im Zimmer. Sogleich fing sie an, Farbe auf die Leinwand aufzutragen, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sie warf nur einen kurzen interessierten Blick auf mein Notizheft, sagte jedoch nichts, daher versuchte ich eine Unterhaltung zu beginnen.

»Woher kommst du?«

»Aus Aleksandrovac«

»Ah, da ist es schön, da war ich mal. Die Stadt ist doch für ihren Wein- und Obstbau bekannt?« »Hm, schon.«

Sie fing an zu malen, während mir immer wärmer wurde. Ihre Teilnahmslosigkeit war wohl eine charakterliche Veranlagung, oder hatte es andere Gründe? Nachdenklich beobachtete ich sie bei der Arbeit, beim eleganten Führen des Pinsels. Den Kopf gesenkt, zeigte sie keine Regung, außer wenn sie mich, in regelmäßigen Abständen, konzentriert aber mit ruhigem Blick ansah, um sogleich weiter zu malen. Die Stunde verging wie im Flug. Sie bat mich am nächsten Tag zur selben Zeit wieder zu kommen, um das Porträt abzuschließen.

Da ich wusste, dass ich ohnehin nicht einschlafen konnte, richtete ich nach der Sitzung meine Schritte zum Fluss. Ich fühlte mich frisch und erholt, auf der Höhe meiner Kräfte. Die Mondstrahlen ließen den Fluss noch schöner glänzen als am Tag.

Als ich einige Stunden später im Bett lag, nickte ich sofort ein. Ich war überrascht, als ich erst am späten Nachmittag aufwachte. Ich hatte durchgeschlafen und fühlte mich ausgezeichnet. Gleichwohl fand ich es unerträglich, im Zimmer zu verweilen. Einmal mehr trieb es mich zum Fluss. Ich blickte in den von dicken Wolken verdeckten Himmel und dachte an Jean Paul. Es gab nichts Schönes für mich zu sehen, außer einzelnen Sonnenstrahlen, die sich trotzig einen Weg durch die Wolken bahnten. Bald senkte sich die Dämmerung über das Land. Bäume und Straßenlaternen hoben sich aber unnatürlich scharf vom Halbdunkel ab. Es wurde Zeit, mich auf den Weg zu machen.

Wie am Vortag verzog die Malerin keine Miene. Ich versuchte eine Unterhaltung zu beginnen, doch ihre Antworten waren lustlos und nichtssagend. Obwohl sie nicht arrogant wirkte, beunruhigte mich ihre abweisende Gleichgültigkeit.

Am Ende des Abends war ich sehr begierig darauf, das Bild zu sehen, wahrscheinlich könnte ich dann mit einem Kompliment ein richtiges Gespräch beginnen.

»Kann ich das Bild sehen?«

»Ich bin noch nicht fertig. Morgen sollte es soweit sein.«

Ich fand mich damit ab und verabschiedete mich freundlich. Sie nickte nur mit dem Kopf, doch ich erkannte ein schwaches Lächeln und die Muttermale oberhalb ihrer Lippen schienen mir in dem Moment größer als sonst.

Ich erwachte gegen elf Uhr. Womöglich war es mir im Bett zu warm geworden, denn ich fand mich auf dem Teppich wieder. Besorgniserregender war jedoch der Traum, den ich vor dem Erwachen gehabt hatte.

Ich war einen endlosen Korridor entlanggelaufen, an der Seite einer Frau, die ich nicht kannte, noch je gesehen hatte. Ich fragte mich, wer sie sein möge, suchte vergeblich nach ihrem Ursprung, doch kam mir keine Erinnerung und plötzlich stand ich alleine vor einer braunen Holztür. Als ich eintrat, erkannte ich umgehend das Atelier, doch es fehlte der Korbsessel. Nur die Staffelei stand einsam und beharrlich in der Mitte. Eine endlose Neugier erfüllte mich, es musste mein Porträt sein. Doch als ich davor trat, blickte ich auf eine alte, leere Leinwand. Voller Wut und Enttäuschung, die Enttäuschung schien mir tausendmal schlimmer, packte ich die Leinwand mit beiden Händen und zerriss sie in winzig kleine Stücke. Auch vor der Staffelei machte ich keinen Halt, zerbrach die Holzstückchen, bevor ich auf den Boden niedersank und auf weiteren Kampf verzichtete. Ich schloss die Augen. Eine Ewigkeit, die zweifellos nur eine Minute dauerte, verging; langsam öffnete ich wieder die Augen. Alles war verschwunden. Es wurde immer dunkler und die Luft stickiger. Ich fühlte mich dem Tode nahe … da fuhr ich aus dem Schlaf auf.

Das Warten auf den Abend wurde zur regelrechten Tortur. Ich erwog, spazieren zu gehen. Doch der bloße Gedanke daran reichte meinen Nerven, sie waren nicht einmal mehr einem harmlosen Gang ins Freie gewachsen. Ich beschloss, früher zum Atelier zu gehen, traf die Malerin jedoch nicht an. Während ich vor dem Hauseingang auf und ab schritt, wurde es allmählich dunkel. Doch sie kam nicht.