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Die Mars-Chroniken über eine Folge von Reisen, die Erdbewohner zum Mars bringen erst Raumfahrer, dann Pioniere, dann Außenseiter und schließlich die Überlebenden des letzten Weltkriegs auf der Erde , sind längst ein Klassiker der Sciencefiction.
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Seitenzahl: 395
Ray Bradbury
Die Mars-Chroniken
Roman in Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Thomas Schlück
Titel der 1950 bei Doubleday & Company, Inc.,
New York, erschienenen Originalausgabe:
›The Martian Chronicles‹
Copyright ©1946, 1948, 1949, 1950, 1958 by Ray Bradbury
Die deutsche Erstausgabe erschien 1972 unter dem Titel
›Mars-Chroniken‹ im Marion von Schröder Verlag, Hamburg und Düsseldorf
Der Text folgt der 1997 vom Autor überarbeiteten und neudatierten Fassung, welche neu die Kapitel ›Die Feuerballons‹ (ursprünglich enthalten in Der illustrierte Mann, deutsch von Peter Naujack) und ›Die Wildnis‹ (ursprünglich enthalten in Die goldenen Äpfel der Sonne, deutsch von Margarete Bormann) enthält
Die Übersetzung wurde 2008 für die Ausgabe Ray Bradbury, ›Space Opera in drei Bänden‹, überarbeitet
Die Einführung von Ray Bradbury erscheint hier erstmals deutsch, übersetzt von Hans-Christian Oeser
Das Gedicht ›There Will Come Soft Rains‹ wurde dem Buch Flame and Shadow von Sara Teasdale entnommen
Copyright ©1920, 1948 by The Macmillan Company
Abdruck mit freundlicher Genehmigung
Umschlagzeichnung von Edward Gorey
Mit freundlicher Genehmigung des
Edward Gorey Charitable Trust, New York
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright ©2015
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 20863 4 (16.Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60750 5
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5]In Liebe und Dankbarkeit
für Maggie / Marguerite,
die dieses Manuskript vor langer Zeit,
1949, getippt hat.
Und für
Norman Corwin
und WALTER I. BRADBURY,
wunderbare Freunde und Geburtshelfer
[7]Green Town, irgendwo auf dem Mars;
Mars, irgendwo in Ägypten [13]
Eine Einführung von Ray Bradbury
Chronologie
Januar 2030Raketensommer [20]
Rocket Summer
Februar 2030Ylla [22]
Ylla
August 2030Die Sommernacht [42]
The Summer Night
August 2030Die Männer von der Erde [46]
The Earth Men
März 2031Der Steuerzahler [70]
The Taxpayer
April 2031Die Dritte Expedition [72]
The Third Expedition
Juni 2032…so hell des Mondes Pracht [99]
– and the Moon Be Still As Bright
[8]August 2032Die Siedler [140]
The Settlers
Dezember 2032Der grüne Morgen [142]
The Green Morning
Februar 2033Die Heuschrecken [150]
The Locusts
August 2033Nächtliche Begegnung [152]
Night Meeting
Oktober 2033Das Ufer [166]
The Shore
November 2033Die Feuerballons [168]
The Fire Balloons
Februar 2034Interim [199]
Interim
April 2034Die Musiker [200]
The Musicians
Mai 2034Die Wildnis [203]
The Wilderness
Juni 2034Da oben, mitten in der Luft [218]
Way in the Middle of the Air
2035–2036Das Nennen der Namen [239]
The Naming of Names
April 2036Usher II [241]
Usher II
August 2036Die Alten [266]
The Old Ones
[9]September 2036Der Marsianer [267]
The Martian
November 2036Der Kofferladen [288]
The Luggage Store
November 2036Schlechte Saison [291]
The Off Season
November 2036Die Zuschauer [310]
The Watchers
Dezember 2036Die stummen Städte [313]
The Silent Towns
April 2057Die langen Jahre [330]
The Long Years
August 2057Sanfte Regen werden kommen [347]
There Will Come Soft Rains
Oktober 2057
[11]»Es ist gut, das Staunen neu zu erlernen«,
sagte der Philosoph.
»Die Raumfahrt hat uns alle
[13]Green Town, irgendwo auf dem Mars; Mars, irgendwo in Ägypten
Eine Einführung
»Sagen Sie mir nicht, was ich tue; ich will’s nicht wissen!«
Das sind nicht meine Worte. Sondern die meines Freundes, des italienischen Filmregisseurs Federico Fellini. Als dieser Szene um Szene seine Drehbücher verfilmte, weigerte er sich, die neuen Aufnahmen anzuschauen, die von der Kamera eingefangen und am Ende eines jeden Drehtags im Labor entwickelt wurden. Er wollte, dass seine Szenen mysteriöse provocateurs blieben, die ihn zur Weiterarbeit verführten.
So verhielt es sich auch, für den Großteil meines Lebens, mit meinen Erzählungen, Theaterstücken und Gedichten. Und so verhielt es sich mit den Mars-Chroniken in den Jahren kurz vor meiner Heirat 1947. Sie gipfelten in der Überraschung des rasant fertiggestellten Werkes im Sommer 1949. Was als Gelegenheitsarbeit, als »Asides« oder als innerer Monolog über den Roten Planeten begonnen hatte, glich im Juli und August jenes Jahres dem Aufplatzen eines überreifen Granatapfels: Jeden Morgen hastete ich an meine Schreibmaschine, um herauszufinden, welche ungewöhnlichen neuen Dinge meine Muse zu liefern gewillt war.
[14]Hatte ich eine solche Muse? Und habe ich schon immer an dieses mythische Geschöpf geglaubt? Nein. Am Anfang, in der High School, und nachher, als ich an einer Straßenecke stand und Zeitungen verkaufte, tat ich, was die meisten Schriftsteller zu Beginn ihrer Laufbahn tun: Ich eiferte meinen Vorgängern nach, ich imitierte meine Zeitgenossen und beraubte mich so jeder Möglichkeit, Wahrheiten zu entdecken, die unter meiner Haut und hinter meinen Augen schlummerten.
Obwohl ich eine Reihe sehr guter unheimlicher oder phantastischer Geschichten geschrieben habe, die veröffentlicht wurden, als ich Mitte zwanzig war, habe ich nichts daraus gelernt. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich eine Menge guter Dinge in meinem Kopf aufwirbelte und sie auf dem Papier eingefangen hatte. Meine eigenartigen Geschichten waren lebendig und wirklich. Meine Zukunftsgeschichten waren leblose Roboter, mechanisch und unbeweglich.
Was mich befreite, war Winesburg, Ohio von Sherwood Anderson. In meinem vierundzwanzigsten Jahr ließ ich mich irgendwann von diesen Figuren überwältigen, die ihr Leben auf halberleuchteten Veranden und in düsteren Dachstuben jener immerzu herbstlichen Stadt zubrachten. »Guter Gott«, rief ich. »Wenn ich ein Buch schreiben könnte, das nur halb so gut ist wie dieses, aber auf dem Mars spielt – wie unglaublich wäre das!«
Ich stellte eine Liste möglicher Schauplätze und Charaktere in jener fernen Welt zusammen, dachte mir Titel aus, begann ein Dutzend Geschichten und brach sie wieder ab, dann legte ich sie zu den Akten und vergaß sie. Oder bildete mir ein, sie vergessen zu haben.
[15]Denn die Muse ist hartnäckig. Sie lebt fort, auch wenn man sie vernachlässigt; sie wartet darauf, dass man ihr Luft verschafft oder dass man stirbt, ohne ihr zum Ausdruck verholfen zu haben. Ich hatte die Aufgabe, mich selbst davon zu überzeugen, dass die Geschichten nicht nur ein Mythos waren, sondern eine intuitive Wesenheit, die ich wachrütteln musste, damit sie in Zungen sprach und aus meinen Fingerspitzen quoll.
Während der nächsten paar Jahre schrieb ich eine Reihe marsianischer pensées, eine Art shakespearesches »Asides«, mäandernde Gedanken, ausgedehnte Nachtvisionen, Halbträume vor der Morgendämmerung. Die Franzosen, so etwa Saint-John Perse, praktizieren dies meisterhaft. Es handelt sich um jeweils einen Absatz – halb Poesie, halb Prosa–, der sich auf nicht mehr als hundert Wörter beläuft oder aber eine ganze Seite einnimmt, und zwar zu jedem Thema, heraufbeschworen vom Wetter, von der Zeit, einer architektonischen Fassade, gutem Wein, gutem Essen, dem Ausblick auf das Meer, schnellen Sonnenuntergängen oder einem langen Sonnenaufgang. Aus diesen Elementen erbricht man einzigartige Wortknäule oder hilflos faselnde hamletartige Monologe.
Jedenfalls legte ich meine pensées ohne besonderes System oder irgendeinen Plan an und begrub sie mit zwei Dutzend anderen Erzählungen.
Dann geschah etwas Erfreuliches. Norman Corwin, der beste Rundfunkautor und -regisseur, bestand darauf, dass ich New York besuchte, um mich »entdecken« zu lassen. Gehorsamst fuhr ich mit dem Bus nach Manhattan, dümpelte im YMCA vor mich hin und traf Walter Bradbury (keine [16]Verwandtschaft), den wunderbaren Lektor von Doubleday, der mir zu verstehen gab, ich hätte einen unsichtbaren Gobelin gewirkt. »All diese marsianischen Geschichten«, legte er mir nahe, »könnten Sie die nicht mit Nadel und Faden zu den Mars-Chroniken verweben?«
»Mein Gott«, flüsterte ich. »Winesburg, Ohio!«
»Wie bitte?«, fragte Walter Bradbury.
Tags darauf lieferte ich den Entwurf zu den Chroniken bei Walter Bradbury ab, dazu ein Konzept für Der illustrierte Mann. Ich fuhr mit dem Zug nach Hause, in der Brieftasche fünfzehnhundert Dollar, mit denen ich die Miete (dreißig Dollar im Monat) zwei Jahre im Voraus bezahlen und unserer ersten Tochter auf die Welt helfen konnte.
Die Mars-Chroniken erschienen im späten Frühjahr 1950. Es gab kaum Besprechungen. Lediglich Christopher Isherwood bekränzte mich mit Lorbeeren, als er mich Aldous Huxley vorstellte, der sich beim Tee vorbeugte und sagte: »Wissen Sie, was Sie sind?«
Sagen Sie mir nicht, was ich tue, dachte ich, ich will’s nicht wissen!
»Sie«, sagte Huxley, »sind ein Dichter.«
»Ich will verdammt sein«, sagte ich.
»Nein, Sie sind gesegnet«, sagte Huxley.
Wahrhaftig, genetisch gesegnet.
Und der Segen liegt in diesem Buch begründet.
Wird man darin Blutspuren von Sherwood Anderson finden? Nein. Dessen überwältigender Einfluss hatte sich längst in meinen Schaltkreisen aufgelöst. Vielleicht begegnen Sie ein paar Geistererscheinungen aus Winesburg, Ohio in dem anderen Band mit Erzählungen, die vorgeben, ein Roman zu [17]sein: Löwenzahnwein. Aber es sind keine Spiegelbilder. Andersons Grotesken waren scheußliche Wasserspeier auf den Dächern der Stadt; meine sind in der Mehrzahl Collies, alte Jungfern, die sich in Soda-Bars verlieren, und ein Junge, der überempfindlich ist gegenüber toten Straßenbahnwagen, verlorenen Kumpel und Colonels aus dem Bürgerkrieg, die im Meer der Zeit abgesoffen sind oder trunken vor Erinnerungen. Die einzigen Scheusale auf dem Mars sind Marsianer, die als meine Verwandten aus Green Town getarnt sind und sich verstecken, bis sie die wohlverdiente Strafe ereilt.
Sherwood Anderson hätte nicht gewusst, wie man am Abend des Unabhängigkeitstages mit Feuerballons umgeht. Ich entzündete sie und ließ sie auf dem Mars und in Green Town aufsteigen, in beiden Büchern sind sie beheimatet und brennen leise vor sich hin. Sie brennen dort noch immer und spenden gerade genug Licht, dass man dabei lesen kann.
Vor etwa achtzehn Jahren erstellte ich eine Bühnenfassung von Die Mars-Chroniken für das Wilshire Boulevard Theater. Sechs Straßenzüge weiter, im Los Angeles Art Museum, war die Wanderausstellung zum ägyptischen Tutanchamun zu sehen. Ich pendelte zwischen Tut und Theater, Theater und Tut, und mir fiel die Kinnlade herab.
»Mein Gott«, sagte ich, als ich auf die goldene Maske Tutanchamuns starrte, »das ist ja Mars.«
»Mein Gott«, sagte ich, als ich meinen Marsianern auf der Bühne zusah, »das ist ja Ägypten mit Tutanchamuns Geistern.«
So wurden vor meinen Augen und in meinem verwirrten Gemüt alte Mythen erneuert, neue Mythen in Papyrus eingewickelt und mit glänzenden Masken bedeckt.
[18]Ohne es zu wissen, stand ich die ganze Zeit in Tuts Nachfolge, hatte die Hieroglyphen der Roten Welt verfasst und daran geglaubt, sogar in vom Staub befreiten Vergangenheiten die Zukunft gedeihen lassen zu können.
Wenn all dies zutrifft, wie kommt es dann, dass Die Mars-Chroniken so oft als Sciene-Fiction bezeichnet werden? Die Bezeichnung passt nicht. In dem ganzen Buch gibt es nur eine Geschichte, die den Gesetzen der Physik gehorcht: »Sanfte Regen werden kommen«. Dies war eines der ersten Häuser virtueller Realität, die sich in den letzten paar Jahren mitten unter uns eingerichtet haben. 1950 hätte dieses Haus eine ruinöse Summe gekostet. Heute, mit der Ankunft von Computer, Internet, Fax, Tonband, Walkmen mit Kopfhörern und Widescreen-TV, wären seine Zimmer für wenig Geld mit dem nächsten großen Elektromarkt vernetzt.
Nun gut, was also sind die Chroniken? Sie sind der aus seinem Grab auferstandene König Tutanchamun, als ich drei war, die nordische Edda, als ich sechs war, und die römisch-griechischen Götter, die mich in ihren Bann schlugen, als ich zehn war: purer Mythos. Ginge es um praktische, technologie-orientierte Sciene-Fiction, wäre das Buch längst am Straßenrand verrostet. Da es sich jedoch um eine selbstdefinierende Sage handelt, sind selbst die arriviertesten Physiker des California Institute of Technology bereit, die trügerische Sauerstoffatmosphäre zu atmen, die ich dem Mars verpasst habe. Naturwissenschaften und Maschinen können einander aus dem Gefecht schlagen oder abgelöst werden. Der Mythos, den man in Spiegeln erblickt und den man nicht berühren kann, lebt fort. Wenn er nicht unsterblich ist, so scheint es doch fast so.
[19]Schließlich:
Sagen Sie mir nicht, was ich tue; ich will’s nicht wissen!
[20]Januar 2030 Raketensommer
Eben noch war es ein richtiger Ohio-Winter: Die Türen waren geschlossen, die Fenster verriegelt, die Scheiben blind vom Frost, Eiszapfen rahmten jedes Dach, Kinder rutschten auf Skiern die Hänge hinab, Hausfrauen bewegten sich schwerfällig wie große schwarze Bären durch die vereisten Straßen.
Doch dann strich eine gewaltige Hitzewelle über die kleine Stadt dahin. Eine Sturzflut heißer Luft; es war, als habe jemand die Tür zu einem Backofen aufgestoßen. Die Hitze wogte zwischen den Häusern und Büschen und Kindern. Die Eiszapfen fielen herab, zerbrachen und begannen zu schmelzen. Die Türen flogen auf. Die Fenster wurden hochgeschoben. Die Kinder schälten sich aus ihren Wollsachen. Die Hausfrauen warfen ihre Bärenhaut ab. Der Schnee schmolz und legte die grünen Rasenflächen vom letzten Sommer frei.
Raketensommer. In den offenen, lüftenden Häusern riefen es sich die Leute zu. Raketensommer. Die warme Wüstenluft wischte den Frosthauch an den Fenstern, radierte die kunstvollen Muster weg. Skier und Schlitten waren plötzlich nutzlos. Der Schnee, der aus dem kalten Himmel auf die Stadt herabfiel, wurde zu warmem Regen, ehe er den Boden berührte.
[21]Raketensommer. Die Leute lehnten sich aus ihren tropfenden Veranden und beobachteten den sich rötenden Himmel.
[22]Februar 2030 Ylla
Sie wohnten in einem Haus aus Kristallsäulen auf dem Planeten Mars am Rande eines leeren Meers, und jeden Morgen konnte man Frau K sehen, wie sie die goldenen Früchte aß, die an den kristallenen Wänden wuchsen, oder das Haus putzte mit magnetischem Staub, den sie händeweise ausstreute und der dann vom heißen Wind davongetragen wurde und den ganzen Schmutz mitnahm. Des Nachmittags, wenn das versteinerte Meer warm und reglos lag und die Weinbäume starr im Hof standen und die ferne kleine marsianische Knochenstadt sich eingekapselt hatte und niemand mehr vor die Tür trat, dann konnte man Herrn K in seinem Zimmer sehen, wie er in einem metallenen Buch mit ausgestanzten Hieroglyphen las, über die er wie ein Harfenspieler mit der Hand hinwegstrich. Die Berührung seiner Finger ließ eine sanfte, alte Stimme aus dem Buch erklingen, die von Zeiten erzählte, als das Meer noch rote Dämpfe an seine Ufer warf und längst vergessene Helden mit Metallinsekten und elektrischen Spinnen in die Schlacht gezogen waren.
Herr und Frau K lebten seit zwanzig Jahren am Rande des toten Meers, und ihre Vorfahren hatten in demselben Haus gewohnt, das sich seit zehn Jahrhunderten drehte und sich wie eine Blume stets der Sonne zuwandte.
[23]Herr und Frau K waren nicht alt. Sie hatten die hellbraune Haut aller Marsianer, die gelben Münzaugen und die sanften melodischen Stimmen. Früher hatte es ihnen Spaß gemacht, Feuerbilder zu malen oder in den Kanälen zu schwimmen, wenn die Weinbäume sie mit grüner Flüssigkeit füllten, oder im Sprechzimmer vor den blauen Phosphor-Porträts zu sitzen und sich bis zum Morgengrauen zu unterhalten.
Jetzt waren sie nicht glücklich.
An diesem Morgen stand Frau Kzwischen den Säulen und verfolgte, wie sich der Wüstensand erhitzte, zu gelbem Wachs verschmolz und den Horizont auszulöschen schien.
Etwas würde geschehen.
Sie wartete.
Sie beobachtete den blauen Marshimmel, als rechnete sie jeden Augenblick damit, dass er sich zusammenziehen und ein schimmerndes Wunder auf dem Sand absetzen könnte.
Nichts geschah.
Des Wartens müde, ging sie zwischen den beschlagenen Säulen spazieren. Ein feiner Regen strömte von den ausschwingenden Enden der Säulen herab, kühlte die ausgedörrte Luft und fiel sanft auf Frau K. An solchen heißen Tagen schien man in einem Bach zu waten; auf den Fußböden im Haus zogen sich überall schimmernde, kühle Ströme dahin. Leise war zu hören, wie ihr Mann in seinem Zimmer geduldig das Buch spielte; seine Finger wurden der alten Gesänge niemals müde. Insgeheim wünschte sie sich, dass er eines Tages wieder einmal so viel Zeit mit ihr verbringen und sie wie eine kleine Harfe halten und berühren würde – so viel Zeit, wie er seinen unglaublichen Büchern widmete.
Aber nein. Sie schüttelte den Kopf, eine unmerkliche, [24]verzeihende Bewegung. Die Lider senkten sich sanft über ihre goldenen Augen. Die Ehe machte die Leute alt und einander zur Gewohnheit, auch wenn man noch jung war.
Sie legte sich in einen Stuhl, der sich ihrer Form anpasste, während sie sich zurechtlegte. Nervös kniff sie die Augen zusammen.
Da ereignete sich der Traum.
Ihre braunen Finger zitterten, hoben sich, griffen in die Luft. Einen Augenblick später fuhr sie erschreckt und schwer atmend hoch.
Hastig blickte sie sich um, als erwarte sie, jemanden zu sehen. Sie schien enttäuscht, als der Raum zwischen den Säulen leer war.
Ihr Mann erschien in der dreieckigen Tür. »Hast du gerufen?«, fragte er gereizt.
»Nein!«, rief sie.
»Ich dachte, ich hätte dich aufschreien hören.«
»Ach, wirklich? Ich bin fast eingeschlafen und habe geträumt.«
»Am helllichten Tage? Das passiert dir aber nicht oft.«
Sie saß da, als habe ihr der Traum einen Schlag ins Gesicht versetzt. »Seltsam, wie seltsam«, murmelte sie. »Der Traum.«
»So?« Es zog ihn offensichtlich zu seinem Buch zurück.
»Ich habe von einem Mann geträumt.«
»Einem Mann?«
»Einem großen Mann, ein Meter dreiundachtzig groß.«
»Wie absurd – ein Riese, ein missgebildeter Riese!«
»Irgendwie–«, sie wählte ihre Worte vorsichtig, »sah er recht normal aus. Obwohl er so groß war. Und er hatte – oh, [25]ich weiß, du wirst das für albern halten – er hatte blaue Augen!«
»Blaue Augen! Du lieber Himmel!«, rief Herr K. »Was du dir alles zusammenträumst! Vielleicht hatte er auch noch schwarzes Haar, wie?«
»Woher weißt du das?« Sie war aufgeregt.
»Ich hab nur die unwahrscheinlichste Farbe genommen«, erwiderte er ungerührt.
»Na, jedenfalls war es tatsächlich schwarz!«, rief sie. »Und er hatte eine sehr weiße Haut; oh, er war wirklich ganz außergewöhnlich! Er trug eine seltsame Uniform, und er kam vom Himmel herab und hat sich freundlich mit mir unterhalten.« Sie lächelte.
»Vom Himmel – was für ein Unsinn!«
»Er kam in einem Metallding, das in der Sonne glitzerte«, erinnerte sie sich. Sie schloss die Augen, um das Bild wieder heraufzubeschwören. »Im Traum sah ich den Himmel, und da blitzte etwas wie eine Münze, die man in die Luft geworfen hat, und plötzlich wurde es größer und kam sanft herab und landete, ein langes silbernes Ding, rund und fremd. Und an der Seite des Silberdings öffnete sich eine Tür, und der große Mann kam heraus.«
»Wenn du mehr arbeiten würdest, hättest du keine so albernen Träume.«
»Es war aber ein ganz angenehmer Traum«, erwiderte sie und lehnte sich zurück. »Ichwusste ja überhaupt nicht, dass ich so viel Phantasie habe. Schwarzes Haar, blaue Augen und weiße Haut! Was für ein seltsamer Mann, und doch – ganz gutaussehend.«
»Wunschdenken.«
[26]»Du bist gemein. Ich hab ihn mir nicht absichtlich ausgedacht; er ist mir nur so in den Sinn gekommen beim Schlummern. Es war nicht wie ein Traum, ganz unerwartet und irgendwie anders. Er schaute mich an und sagte: ›Ich bin mit meinem Schiff vom dritten Planeten gekommen, ich heiße Nathaniel York…‹«
»Ein blöder Name; das ist doch überhaupt kein Name«, wandte ihr Mann ein.
»Natürlich ist es ein blöder Name, es ist doch auch nur ein Traum«, erklärte sie leise. »Und er sagte: – ›Wir haben die erste Reise durch das All gemacht. Wir sind nur zu zweit, mein Freund Bert und ich.‹«
»Noch so einblöder Name.«
»Und er sagte: ›Wir kommen aus einer Stadt auf der Erde; das ist der Name unseres Planeten‹«, fuhr Frau K fort. »Ja, das hat er gesagt: ›Erde‹. Das war der Name. Und er sprach eine fremde Sprache. Irgendwie verstand ich ihn aber. Telepathie vielleicht.«
Herr K wandte sich ab, doch sie hielt ihn zurück. »Yll?«, rief sie leise. »Fragst du dich manchmal, ob – nun, ob es auf dem dritten Planeten Menschen gibt?«
»Auf dem dritten Planeten kann es kein Leben geben«, erwiderte der Mann geduldig. »Unsere Wissenschaftler sagen, dass es dort in der Atmosphäre viel zu viel Sauerstoff gibt.«
»Aber wäre es nicht faszinierend, wenn es wirklich Lebewesen gäbe? Und wenn sie in einer Art Schiff durch das All reisten?«
»Wirklich, Ylla, du weißt, wie sehr ich diese Gefühlsduseleien hasse. Gehen wir lieber wieder an die Arbeit.«
Es war schon spät am Tag, als sie auf ihren Wanderungen [27]durch die flüsternden Regensäulen das Lied zu singen begann. Immer wieder begann sie die Melodie.
»Was ist das für ein Lied?«, fragte ihr Mann gereizt, als er sich zu ihr an den Feuertisch setzte.
»Ich weiß es nicht.« Sie blickte auf, erstaunt über sich selbst. Ungläubig hob sie die Hand an den Mund. Die Sonne ging unter. Mit dem nachlassenden Licht begann sich das Haus wie eine riesige Blume zu schließen. Ein Windhauch wehte zwischen den Pfeilern; der Feuertisch ließ seine silbrige Lava wild aufsprudeln. Der Wind spielte in ihrem rotbraunen Haar und summte ihr leise zu. Schweigend blickte sie über die blassen Weiten des Meeresgrunds, als ob sie sich an etwas erinnern wollte, ihre gelben Augen sanft und feucht. »›Trink mir nur mit den Augen zu, kein Wort brauchst du zu sagen‹«, sang sie sanft und langsam. »›Lass mir einen Kuss im Glas, nach Wein werd ich nicht fragen.‹« Dann summte sie und bewegte mit geschlossenen Augen ihre Hände kaum merklich im Wind. Schließlich war das Lied zu Ende.
Es war sehr schön.
»Noch nie gehört, das Lied. Hast du’s dir selbst ausgedacht?«, fragte er mit scharfem Blick.
»Nein. Ja. Nein, ich weiß es nicht, wirklich!« Sie stockte verwirrt. »Ich kenne nicht mal die Worte; sie kommen aus einer anderen Sprache!«
»Was für eine Sprache?«
Benommen ließ sie Fleischstücke in die simmernde Lava fallen. »Ich weiß es nicht.« Nach kurzer Zeit zog sie das Fleisch gar wieder heraus und stellte es auf einem Teller vor ihn hin. »Ist wohl nur etwas Verrücktes, das ich mir ausgedacht habe. Weiß auch nicht, warum.«
[28]Er schwieg. Er beobachtete, wie sie die Fleischstücke in das zischende Feuerbecken tauchte. Die Sonne war untergegangen. Langsam, ganz langsam kam die Nacht herein und erfüllte den Raum, verschluckte die Pfeiler und die beiden Gestalten, wie ein dunkler Wein, der bis zur Decke steigt. Nur der Schimmer der Silberlava erhellte schließlich noch ihre Gesichter.
Wieder begann sie das seltsame Lied zu summen.
Sofort sprang er von seinem Stuhl auf und verließ ärgerlich den Raum.
Später beendete er allein sein Abendessen.
Als er dann aufstand, reckte er sich, sah sie an und schlug gähnend vor: »Fliegen wir doch mit den Flammenvögeln in die Stadt heute Abend und sehen uns ein Stück an!«
»Das meinst du doch nicht ernst«, sagte sie. »Geht es dir gut?«
»Was ist denn so seltsam daran?«
»Wir sind seit sechs Monaten nicht mehr ausgegangen!«
»Ich halte es für eine gute Idee.«
»Auf einmal bist du so beflissen«, sagte sie.
»Sprich nicht so mit mir«, erwiderte er mürrisch. »Willst du oder willst du nicht?«
Sie schaute über die bleiche Wüste. Die weißen Zwillingsmonde gingen gerade auf. Kaltes Wasser umspielte ihre Zehen. Sie verspürte den ersten Anflug eines Zitterns. Am liebsten wollte sie nur dasitzen, schweigend, reglos, bis das Ereignis eintrat, das Ereignis, auf das sie den ganzen Tag gewartet hatte, das Ereignis, das nicht eintreten konnte, vielleicht aber würde. Ein Fetzen des Liedes ging ihr durch den Sinn.
[29]»Ich…«
»Wird dir guttun«, drängte er. »Komm schon.«
»Ich bin müde«, sagte sie. »Ein andermal.«
»Hier ist dein Schal.« Er reichte ihr eine Phiole. »Wir sind seit Wochen nicht mehr aus dem Haus gewesen.«
»Nur du – zweimal die Woche nach Xi-City.« Sie sah ihn nicht an.
»Geschäfte«, sagte er.
»So?«, flüsterte sie vor sich ihn.
Aus der Phiole strömte eine Flüssigkeit, verwandelte sich in einen blauen Nebel und legte sich ihr um den Hals.
Die Flammenvögel warteten wie ein Häufchen glühender Kohlen auf dem kühlen glatten Sand. Die weiße Plane, die durch tausend grüne Bänder mit den Vögeln verbunden war, blähte sich im Nachtwind und flappte leise.
Ylla lehnte sich auf der Plane zurück, und auf ein Kommando ihres Mannes sprangen die Vögel brennend in den dunklen Himmel. Die Bänder strafften sich, die Plane wurde angehoben. Pfeifend glitt der Sand unter ihnen dahin; die blauen Hügel trieben vorüber, und ihr Haus blieb zurück, die regnenden Säulen, die Blumen in ihren Käfigen, die singenden Bücher, die flüsternden Bäche am Boden. Sie sah ihren Mann nicht an. Sie hörte seine Kommandos an die Vögel, die wie zehntausend glühende Funken höher stiegen, rotgelbe Feuerwerkskörper am Himmel, die brennend durch den Wind fegten und die Plane wie ein Blütenblatt hinter sich herzogen.
Sie schaute nicht zu den toten alten Schachbrettstädten hinab, die unter ihnen vorüberglitten, und auch nicht zu den [30]alten Kanälen, die voller Leere und Träume waren. Über ausgetrocknete Flüsse und ausgetrocknete Seen flogen sie dahin wie ein Schatten des Monds, wie eine brennende Fackel.
Sie blickte die ganze Zeit in den Himmel.
Ihr Mann sagte etwas.
Sie betrachtete den Himmel.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
»Was?«
Er atmete langsam aus. »Du könntest mir ruhig zuhören.«
»Ich habe nachgedacht.«
»Ich habe dich eigentlich nicht für eine Naturfreundin gehalten«, sagte er »aber heute scheint dich der Himmel sehr zu interessieren!«
»Er ist sehr schön.«
»Ich überlege gerade«, sagte der Mann langsam, »dass ich heute Abend vielleicht Hulle anrufen sollte. Ich möchte mit ihm arrangieren, dass wir in die Blauen Berge fahren – nur etwa eine Woche. Ist bloß so ein Gedanke…«
»Die Blauen Berge!« Sie hielt sich mit einer Hand am Rand der Plane fest und wandte sich hastig zu ihm um.
»Ist ja bloß ein Vorschlag.«
»Wann willst du losfahren?«, fragte sie zitternd.
»Ich habe mir gedacht, dass wir vielleicht morgen früh gleich… Du weißt, man soll den Tag früh beginnen«, sagte er so beiläufig wie möglich.
»Aber wir fahren doch sonst nie so früh im Jahr!«
»Na ja, dieses eine Mal, ich dachte mir eben…« Er lächelte. »Es wird uns sicher guttun, mal vonallem [31]wegzukommen. Frieden und Stille – du weißt schon. Du hast doch nicht etwa andere Pläne? Wir fahren doch, ja?«
Sie atmete tief ein, zögerte einen Augenblick und erwiderte dann: »Nein.«
»Was?« Sein Aufschrei erschreckte die Vögel. Die Plane ruckte.
»Nein«, sagte sie entschlossen. »Ein für alle Mal. Ich komme nicht mit.«
Er betrachtete sie, und beide schwiegen. Sie wandte sich ab.
Die Vögel flogen weiter, zehntausend Feuerbrände im Wind.
In der Morgensonne, die durch die Kristallsäulen schimmerte, begann sich der Nebel aufzulösen, auf dem Ylla schlief. Die ganze Nacht hatte sie so über dem Boden geschwebt, gestützt von dem weichen Nebel, der beim Schlafengehen aus den Wänden zu strömen begann. Die ganze Nacht hatte sie auf diesem stillen Fluss geschlafen wie ein Boot in einer lautlosen Flut. Jetzt wurde der Nebel aufgezehrt, er sank herab und setzte sie schließlich am Ufer des Erwachens ab.
Sie öffnete die Augen.
Ihr Mann stand über sie gebeugt. Er schien schon stundenlang dort gestanden und sie beobachtet zu haben. Sie wusste nicht, warum, aber sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen.
»Du hast schon wieder geträumt!«, sagte er. »Du hast im Schlaf gesprochen, so dass ich nicht schlafen konnte. Du solltest wirklich mal zum Arzt gehen.«
[32]»Mir fehlt nichts.«
»Du hast aber im Schlaf eine ganze Menge geredet!«
»Wirklich?« Sie setzte sich auf.
Die Morgendämmerung lag kalt im Zimmer. Ylla lag da, ein graues Licht umgab sie.
»Was hast du denn geträumt?«
Sie musste einen Augenblick überlegen. »Das Schiff. Es ist wieder vom Himmel herabgekommen und gelandet, und der große Mann kam heraus und unterhielt sich mit mir, erzählte mir lustige Sachen und lachte, es war sehr nett.«
Herr K berührte eine Säule. Warmes Wasser sprang dampfend hervor und verdrängte die Kühle. Sein Gesicht verriet keine Regung.
»Und dann«, fuhr sie fort, »hat mir der Mann mit dem seltsamen Namen Nathaniel York gesagt, dass ich schön wäre – und hat mich geküsst.«
»Ha!«, rief der Mann und wandte sich ruckartig ab, seine Kiefer mahlten.
»Es ist doch nur ein Traum«, sagte sie schmunzelnd.
»Deine dummen Frauenträume interessieren mich nicht!«
»Du benimmst dich wie ein Kind.« Sie ließ sich zurücksinken auf die wenigen Reste des Nebels. Einen Augenblick später lachte sie leise. »Mir ist noch mehr von dem Traum eingefallen«, gestand sie.
»Na, was denn? Los, sag schon!«, rief er.
»Yll, du bist ja ganz aufgebracht.«
»Sag’s!«, verlangte er. »Du darfst keine Geheimnisse vor mir haben!« Mit dunklem, starrem Gesicht beugte er sich über sie.
»So habe ich dich noch nie erlebt«, erwiderte sie halb [33]erschreckt, halb amüsiert. »Es ist doch nichts weiter passiert. Dieser Nathaniel York hat mir nur gesagt – na ja, er hat mir gesagt, dass er mich in seinem Schiff mitnehmen würde, hinauf in den Himmel und zurück zu seinem Planeten. Das ist natürlich alles Unsinn.«
»Unsinn – allerdings!« Er schrie fast. »Du hättest dich hören sollen – wie du dich bei ihm eingeschmeichelt und mit ihm geflirtet und mit ihm gesungen hast – die ganze Nacht hindurch, Himmel noch eins! Du hättest dich nur mal hören sollen!«
»Yll!«
»Wann landet er? Wann kommt er mit seinem verdammten Schiff?«
»Yll, sprich leiser.«
»Leise – verdammt!« Er beugte sich verkrampft über sie. »Und wie war das in deinem Traum«, er packte ihr Handgelenk, »das Schiff ist drüben im Grünen Tal gelandet, oder? Antworte!«
»J-ja, aber…«
»Und es landet heute Nachmittag, nicht wahr?«, drängte er.
»Ja, ja, ich glaube schon, ja, aber doch nur in einem Traum!«
»Nun« – er schleuderte ihre Hand weg–, »zumindest sagst du die Wahrheit. Ich habe jedes Wort gehört, das du im Schlaf gesagt hast. Du hast vom Tal gesprochen und auch von der Landezeit.« Schwer atmend trat er zwischen die Säulen wie ein Mann, der von einem Blitz geblendet ist. Langsam beruhigte er sich. Sie sah ihn an, als wäre er verrückt. Schließlich stand sie auf und trat hinter ihn. »Yll«, flüsterte sie.
[34]»Mir fehlt nichts.«
»Du bist krank.«
»Nein.« Er rang sich ein müdes Lächeln ab. »Nur kindisch. Verzeih mir, Liebling.« Er gab ihr einen Klaps auf den Arm. »Ich habe in der letzten Zeit zu viel gearbeitet. Es tut mir leid. Ich leg mich wohl am besten ein wenig hin.«
»Du warst ganz außer dir.«
»Es ist alles wieder in Ordnung. Alles.« Er atmete aus. »Vergessen wir die Sache. Weißt du, ich habe da gestern einen Witz über Uel gehört, den ich dir erzählen wollte. Was hältst du davon, das Frühstück zu machen, während ich den Witz erzähle? Und von dem anderen reden wir nicht mehr.«
»Es war doch nur ein Traum.«
»Natürlich.« Er küsste sie mechanisch auf die Wange. »Nur ein Traum.«
Gegen Mittag stand die heiße Sonne hoch am Himmel, und die Hügel flimmerten in ihrem Licht.
»Fährst du nicht in die Stadt?«, fragte Ylla.
»In die Stadt?« Er hob leicht die Augenbrauen.
»An dem Tag fährst du doch sonst immer.« Sie rückte einen Blumenkäfig auf seinem Podest zurecht. Die Blumen bewegten sich und öffneten ihre hungrigen gelben Mäuler.
Er schloss sein Buch. »Nein. Es ist zu heiß und außerdem zu spät.«
»Oh.« Sie beendete ihre Arbeit und ging zur Tür. »Bin bald wieder zurück.«
»Moment mal, wohin willst du?«
Rasch war sie in die Tür getreten. »Zu Pao. Sie hat mich eingeladen.«
[35]»Heute?«
»Ich habe sie lange nicht mehr besucht. Ist ja nicht weit.«
»Drüben im Grünen Tal, nicht wahr?«
»Ja, nur ein kleiner Spaziergang, wirklich nicht weit. Ich dachte, ich…« Sie beeilte sich.
»Es tut mir leid, wirklich«, sagte er und lief ihr nach, um sie zurückzuholen, und machte dabei ein Gesicht, als bedauerte er seine Vergesslichkeit sehr. »Ich hab’s völlig vergessen. Ich habe Dr.Nlle für heute Nachmittag eingeladen.«
»Dr.Nlle!« Sie näherte sich wieder der Tür.
Er nahm ihren Ellenbogen und zog sie langsam ins Haus zurück.
»Ja.«
»Aber Pao…«
»Pao kann warten, Ylla. Wir müssen uns um Nlle kümmern.«
»Nur ein paar Minuten…«
»Nein, Ylla.«
»Nein?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Außerdem ist es ziemlich weit zu Pao. Bis ganz hinüber durchs Grüne Tal und dann am großen Kanal entlang und noch weiter hinab, nicht wahr? Und es wird sehr heiß werden, und Dr.Nlle würde sich so freuen, dich zu sehen. Na?«
Sie sagte nichts. Sie wollte aufstehen und davonlaufen. Sie wollte aufschreien. Aber sie saß nur still auf ihrem Stuhl, bewegte langsam die Finger und betrachtete sie ausdruckslos, gefangen.
»Ylla?«, flüsterte er. »Du bleibst doch hier, nicht wahr?«
»Ja«, sagte sie nach langem Schweigen. »Ich bleibe hier.«
[36]»Den ganzen Nachmittag?«
Ihre Stimme war matt. »Den ganzen Nachmittag.«
Der Tag war schon weit fortgeschritten, und Dr.Nlle hatte sich noch immer nicht sehen lassen. Yllas Mann schien das nicht sonderlich zu überraschen. Als es schon ziemlich spät wurde, murmelte er etwas, trat an einen Schrank und holte eine Waffe heraus, eine lange gelbliche Röhre, an deren einem Ende sich Druckkammern und ein Abzug befanden. Er wandte sich um und trug jetzt eine Maske vor dem Gesicht, eine ausdruckslose gehämmerte Maske aus Silber – die Maske, die er immer trug, wenn er seine Gefühle verbergen wollte, die Maske, die sich den hageren Linien seines Kinns, seiner Wangen und seiner Stirn so wunderbar anpasste. Die Maske glänzte im Licht, und er hielt die Waffe in den Händen und betrachtete sie. In ihr summte es unablässig, wie ein Insektengesurr. Horden goldener Bienen konnten mit einem schrillen Kreischen hinausgeschossen werden. Entsetzliche goldene Bienen, die zustachen, ihr Gift spritzten und dann leblos wie Samenkörner in den Sand fielen.
»Wohin gehst du?«, fragte sie.
»Was?« Er lauschte auf das bösartige Summen aus den Druckkammern. »Wenn sich Nlle so verspätet, sehe ich nicht ein, dass ich noch länger auf ihn warte. Ich gehe ein wenig auf die Jagd. Bin bald zurück. Du bleibst doch hier, oder?« Die Silbermaske schimmerte.
»Ja.«
»Und sag Dr.Nlle, dass ich bald zurückkomme. Bin nur auf der Jagd.«
Die Dreieckstür schloss sich. Seine Schritte verhallten.
[37]Sie beobachtete ihn, wie er durch den Sonnenschein stapfte, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann machte sie sich an ihre Hausarbeit, streute magnetischen Staub aus und pflückte die neuen Früchte von den Kristallwänden. Sie arbeitete schnell und konzentriert, doch gelegentlich drifteten ihre Gedanken ab, und sie ertappte sich dabei, wie sie das seltsame schöne Lied sang und an den Kristallsäulen empor zum Himmel starrte.
Sie hielt den Atem an, stand ganz still und wartete.
Es kam näher.
Jeden Augenblick konnte es so weit sein.
Es war wie an den Tagen, da man ein Gewitter kommen hörte. Zunächst die erwartungsvolle Stille und ein leiser atmosphärischer Druck durch das Wetter, das in Schichten und Schatten und Dunstfetzen über das Land blies. Die Veränderung erzeugte einen Druck in den Ohren, und manwar gefangen in Erwartung des aufziehenden Sturms. Man begann zu zittern, der Himmel fleckig verfärbt; die Wolken verdichteten sich, die Berge nahmen eine metallische Tönung an. Die Blumen in ihren Käfigen stießen leise warnende Seufzer aus. Man spürte es im Haaransatz kribbeln. Irgendwo im Haus sang die sprechende Uhr: »Zeit, Zeit, Zeit, Zeit…«, ganz leise, nicht lauter, als wenn Wassertropfen auf Samt fallen.
Und dann das Gewitter. Die elektrischen Entladungen, der dunkle Niederschlag und die widerhallende Schwärze schlossen alles ein, für ewig.
So fühlte es sich jetzt an. Ein Sturm zog herauf, doch der Himmel war klar. Blitze lagen in der Luft, doch es war keine Wolke zu sehen.
[38]Ylla bewegte sich durch das atemlose wartende Sommerhaus. Jeden Augenblick konnte ein Blitz vom Himmel herabzucken; es würde einen Donnerschlag geben, eine Rauchwolke, dann Stille, Schritte auf dem Weg, ein Klopfen an der Kristalltür, und sie würde losrennen, um aufzumachen…
Ylla, du spinnst!, spöttelte sie über sich selbst. Was für wildes Zeug denkt sich dein hohler Kopf aus?
Und dann geschah es.
Die Hitze eines großen Feuers wogte durch die Luft. Ein wirbelndes, sausendes Geräusch. Ein metallisches Blitzen am Himmel,.
Ylla schrie auf.
Sie rannte durch die Säulen, riss die Tür auf und starrte zu den Hügeln hinüber. Jetzt war nichts mehr zu sehen.
Sie wollte schon den Hügel hinabstürzen, als sie sich Einhalt gebot. Sie musste ja hierbleiben, sie durfte das Haus nicht verlassen. Der Doktor kam zu Besuch, und ihr Mann würde ärgerlich sein, wenn sie davonlief.
So wartete sie in der Tür mit erhobener Hand, ihr Atem ging rasch. Sie starrte angestrengt zum Grünen Tal hinüber, aber es war nichts zu erkennen.
Dumme Frau. Du und deine Phantasie, dachte sie. Sie ging wieder ins Haus. Das war doch nur ein Vogel, ein Blatt, ein Windhauch oder ein Fisch im Kanal. Setz dich hin und ruh dich aus.
Sie setzte sich.
Ein Schuss.
Ganz deutlich und schrill, das Geräusch der Insektenwaffe.
Sie zuckte dabei zusammen.
[39]Es kam von weit her. Nur ein Schuss. Die schnellen summenden Bienen in der Ferne. Ein Schuss. Und jetzt ein zweiter, präzise und kalt, wieder weit entfernt.
Sie fuhr erneut zusammen, und aus irgendeinem Grund sprang sie auf und schrie und schrie und wollte nie wieder aufhören zu schreien. Ganz außer sich stürzte sie durch das Haus und riss wieder die Tür auf.
Die Echos erstarben, waren verklungen.
Stille.
Mit bleichem Gesicht wartete sie im Hof, fünf Minuten lang.
Schließlich ging sie langsam und mit gesenktem Kopf durch die säulenumstandenen Räume, berührte hier und dort einen Gegenstand, ihre Lippen zitterten. Sie saß allein im dunkel werdenden Weinraum und wartete. Mit dem Rand ihres Schals begann sie ein bernsteinfarbenes Glas zu polieren.
Und dann, noch weit entfernt, das Geräusch von knirschenden Schritten auf dünnen kleinen Steinen.
Sie erhob sich und blieb in der Mitte des stillen Raumes stehen. Das Glas entglitt ihren Fingern, zerschellte am Boden.
Die Schritte hielten vor der Tür.
Sollte sie etwas sagen? Sollte sie rufen »Komm herein, oh, komm herein«?
Sie machte ein paar Schritte in Richtung der Tür.
Die Schritte kamen die Rampe herauf. Eine Hand drehte den Türgriff.
Sie lächelte.
Die Tür öffnete sich. Ihr Lächeln erstarb.
[40]Es war ihr Mann. Seine Silbermaske glänzte matt.
Er betrat den Raum und sah sie nur einen Augenblick lang an. Dann ließ er die Druckkammern der Waffe aufschnappen, leerte zwei tote Bienen auf den Boden aus, zertrat sie und stellte die leere Waffe in einer Ecke ab, während sich Ylla bückte und immer wieder erfolglos versuchte, die Glasstücke aufzulesen. »Was hast du gemacht?«, fragte sie.
»Nichts«, sagte er mit abgewandtem Gesicht. Er setzte die Maske ab.
»Aber die Waffe – ich hab dich schießen hören. Zweimal.«
»Hab nur ein wenig gejagt. Ab und zu hat man Lust darauf. Ist Dr.Nlle gekommen?«
»Nein.«
»Moment mal.« Er schnippte ärgerlich mit den Fingern. »Jetzt fällt’s mir ein. Er wollte ja erst morgen Nachmittag kommen. Wie dumm von mir.«
Die beiden setzten sich zu Tisch. Sie starrte ihr Essen an, und ihre Hände rührten sich nicht. »Was ist los?«, fragte er, ohne den Blick von den Fleischstückchen zu nehmen, die er in die brodelnde Lava tauchte.
»Ich weiß nicht. Ich habe keinen Hunger«, sagte sie.
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht. Ich bin einfach nicht hungrig.«
Ein Windhauch erhob sich am Himmel; die Sonne ging unter. Der Raum war klein und plötzlich von Kälte erfüllt.
»Ich versuche mich zu erinnern«, sagte sie, in dem stillen Raum ihrem abweisenden, hoch aufgerichteten, goldäugigen Mann gegenübersitzend.
»An was?« Er schlürfte seinen Wein.
»An das Lied. An das schöne Lied.« Sie schloss die Augen [41]und summte eine Melodie, aber es war nicht das Lied. »Ich hab’s vergessen. Und irgendwie will ich es nicht vergessen. Es ist etwas, an das ich mich immer erinnern möchte.« Sie bewegte die Hände, als könnte ihr der Rhythmus helfen, sich das Ganze wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich kann mich nicht erinnern.« Sie begann zu weinen.
»Warum weinst du denn?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich bin traurig und weiß nicht, warum; ich weine und weiß nicht, warum – aber ich weine.«
Sie barg den Kopf in den Händen, und ihre Schultern zuckten, wieder und wieder.
»Morgen ist alles wieder gut«, sagte er.
Sie sah ihn nicht an; sie schaute nur auf die leere Wüste hinaus und auf die hell schimmernden Sterne, die jetzt am schwarzen Himmel erschienen, und weit weg war das Geräusch des Windes zu hören und des Wassers, das sich in den langen Kanälen bewegte. Zitternd schloss sie die Augen.
»Ja«, sagte sie. »Morgen ist alles wieder gut.«
[42]August 2030 Die Sommernacht
Auf den steinernen Galerien standen die Menschen in kleinen Gruppen zusammen – Gruppen, die man nur noch als Schatten zwischen den blauen Hügeln erkennen konnte. Die Sterne und der schimmernde Doppelmond des Mars überfluteten sie mit sanftem Abendlicht. Außerhalb des marmornen Amphitheaters erstreckten sich in der dunklen Ferne kleine Städte und Villen. Seen, deren regloses Wasser silbrig leuchtete, und Kanäle glitzerten von Horizont zu Horizont. Es war ein sommerlicher Abend auf dem friedlichen, ruhigen Planeten Mars. Auf den grünen Weinkanälen trieben Boote, so zierlich wie bronzene Blumen. In den langen, endlosen Siedlungen, die sich wie ruhige Schlangen über die Hügel zogen, lagen Liebende müßig flüsternd in ihren kühlen Nachtbetten. Die letzten Kinder rannten durch fackelerleuchtete Gassen, in den Händen goldene Spinnen, die ihre Netzschleier auswarfen. Da oder dort wurde ein spätes Abendbrot bereitet an Tischen, in denen Lava silbrig und leise sprudelte. In den Amphitheatern der Städte auf der Nachtseite des Mars fanden sich braunhäutige Marsianer ein, um mit ihren Goldmünzenaugen erwartungsvoll auf die Bühnen zu blicken, von denen Musiker angenehme Melodien wie Blütenduft in die ruhige Luft steigen ließen.
[43]Auf einer Bühne sang eine Frau.
Unruhe entstand im Publikum.
Sie brach ab und fasste sich mit der Hand an die Kehle. Sie nickte den Musikern zu, und sie fingen noch einmal von vorn an.
Die Musiker spielten, und sie sang, und diesmal seufzte das Publikum auf und beugte sich vor; einige Männer standen überrascht auf, und ein winterlicher Hauch fuhr durch das Amphitheater. Denn das Lied, das die Frau jetzt sang, war seltsam, erschreckend und fremd. Gegen ihren Willen strömten ihr die Worte von den Lippen, und sie sang:
Sie geht in Schönheit, gleich der Nacht
In wolkenlosem Sternenlicht;
Des Schattens und des Lichtes Pracht
Eint sich in ihrem Angesicht…
Die Sängerin hielt sich die Hände vor den Mund. Fassungslos stand sie da.
»Was sind das für Worte?«, fragten die Musiker.
»Was ist das für ein Lied?«
»Was ist das für eine Sprache?«
Und als sie dann noch einmal auf ihren goldenen Hörnern zu spielen begannen, ertönte wieder die seltsame Musik und schwebte langsam über das Publikum dahin, das jetzt aufsprang und laut durcheinanderredete.
»Was ist los mit dir?«, fragten sich die Musiker gegenseitig.
»Was spielst du da für eine Melodie?«
»Was für eine Melodie hast du denn gespielt?«
[44]Die Frau weinte und lief von der Bühne, und das Publikum verließ dasAmphitheater. Auch in den anderen Marsstädten war Ähnliches passiert. Kälte war hereingebrochen, wie weißer Schnee, der vom Himmel herabschwebt.
In den dunklen Gassen, unter den Fackeln, sangen die Kinder:
…sitzen unterm Holderbusch
rufen alle: Husch, husch, husch.
»Kinder!«, riefen verschiedene Stimmen. »Was ist das für ein Vers? Wo habt ihr den gelernt?«
»Er ist uns einfach eingefallen, so ganz plötzlich. Sind nur so Wörter, die wir nicht verstehen.«
Türen wurden zugeschlagen, die Straßen lagen leerverlassen. Über den blauen Hügeln ging ein grüner Stern auf.
Überall auf der Nachtseite des Mars erwachten Liebende und hörten ihren Geliebten zu, die in der Dunkelheit lagen und vor sich hinsummten.
»Was ist das für eine Melodie?«
Und in tausend Villen, mitten in der Nacht, erwachten Frauen, schreiend. Tränen rannen ihnen über das Gesicht, und sie mussten getröstet werden. »Ruhig, ruhig, schlaf wieder ein. Was ist denn los? Hast du geträumt?«
»Morgen früh wird etwas Schreckliches passieren.«
»Es kann nichts passieren. Alles ist in Ordnung.«
Ein hysterisches Schluchzen. »Es kommt näher und näher und immer näher!«
»Uns kann nichts passieren. Was sollte schon sein? Schlaf jetzt. Schlaf.«
[45]Es war ruhig am frühen Marsmorgen, ruhig wie in einem kühlen schwarzen Brunnen; die Sterne glitzerten im Wasser der Kanäle, alle Räume angefüllt vom Atemhauch – die Kinder zusammengerollt, ihre Spinnen in den geschlossenen Händen, die Liebenden Arm in Arm–, die Monde waren untergegangen, die Fackeln erkaltet, die Amphitheater verlassen.
[46]August 2030 Die Männer von der Erde
Jemand klopfte an die Tür und schien nicht wieder aufhören zu wollen. Frau Ttt riss die Tür auf. »Bitte?«
»Sie sprechen ja Englisch!«Der Mann draußen war verblüfft.
»Ich spreche, was ich spreche«, sagte sie.
»Wunderbares, deutliches Englisch!« Der Mann trug eine Uniform. In seiner Begleitung waren drei Männer, abgekämpft, aber lächelnd, von oben bis unten schmutzig.
»Was wollen Sie?«, fragte Frau Ttt.
»Sie sind eine Marsianerin!«Der Mann lächelte. »Die Bezeichnung kennen Sie natürlich nicht. Sie wird auf der Erde gebraucht.« Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf seine Männer. »Wir kommen von der Erde. Ich bin Captain Williams. Wir sind gerade auf dem Mars gelandet. Und da wären wir nun, die Zweite Expedition! Es hat auch mal eine Erste Expedition gegeben, aber wir wissen nicht, was aus ihr geworden ist. Jedenfalls sind wir jetzt hier. Und Sie sind die erste Marsianerin, die wir treffen!«
»Marsianerin?« Sie hob die Augenbrauen.
»Ich will damit sagen, Sie leben auf dem vierten Planeten von der Sonne, stimmt’s?«
»Ist ja wohl klar«, schnappte sie und musterte die Männer.
[47]»Und wir« – er legte eine dicke, rote Hand an die Brust–, »wir kommen von der Erde. Stimmt’s, Leute?«
»Jawohl, Sir!« Im Chor.
»Das hier ist der Planet Tyrr«, sagte sie. »Falls Sie den richtigen Namen verwenden wollen.«
»Tyrr, Tyrr.« Der Captain lachte atemlos. »Was für ein schöner Name! Aber meine liebe Frau, wie kommt es, dass Sie so perfekt Englisch sprechen?«
»Ich spreche ja gar nicht. Ich denke«, sagte sie. »Telepathie! Guten Tag!« Und sie knallte die Türe zu.
Im nächsten Augenblick klopfte der schreckliche Mann schon wieder.
Sie stieß die Tür auf. »Was ist jetzt?«, fragte sie. Der Mann stand noch immer dort, verwirrt, und versuchte zu lächeln. Er breitete die Hände aus. »Ich glaube, Sie verstehen nicht recht…«
»Was?«, schnappte sie.
Der Mann sah sie überrascht an. »Wir kommen von der Erde!«
»Ich hab keine Zeit«, sagte sie. »Ich muss noch kochen und saubermachen und nähen und so. Sie müssten wohl mit meinem Mann, Mr.Ttt, sprechen; er ist oben in seinem Arbeitszimmer.«
»Ja«, sagte der Mann von der Erde verwirrt und blinzelte. »Auf jeden Fall, dann sprechen wir eben mit Herrn Ttt.«
»Er hat zu tun.« Wieder knallte sie die Türe zu.
Jetzt war das Klopfen von einer geradezu unverschämten Lautstärke.
»Nun hören Sie aber mal!«, rief der Mann, als die Tür wieder aufgestoßen wurde. Er trat schnell über die Schwelle, [48]als wollte er sie überraschen. »So behandelt man doch keine Besucher!«
»Der ganze Dreck auf meinem sauberen Fußboden!«, rief sie. »Hinaus mit Ihnen! Wenn Sie ins Haus wollen, müssen Sie sich erst die Stiefel abputzen!«
Der Mann sah bestürzt auf seine schmutzigen Stiefel. »Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für solche Kleinigkeiten«, sagte er. »Ich meine«, sagte er, »wir sollten das doch feiern!« Er sah sie lange an, als hoffte er, sein Blick werde ihr Verständnis wecken.