Die Morde von Hamburg - Ole Hansen - E-Book
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Die Morde von Hamburg E-Book

Ole Hansen

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Beschreibung

Hamburgs bester Privatdetektiv ermittelt wieder: Der fesselnde Krimi-Sammelband »Die Morde von Hamburg« von Ole Hansen als eBook bei dotbooks. Ihn kann nichts erschüttern: Jeremias Voss, ehemals GSG 9, nach einem Unfall aus dem Dienst ausgeschieden und nun Privatermittler in Hamburg. In seinem neuesten Fall muss Voss im Rotlichtmilieu ermitteln: In einem stadtbekannten Etablissement wurden eine junge Frau und ihr Freier mitten im Akt ermordet. Die Polizei, die sonst gerne Hand in Hand mit Voss zusammenarbeitet, verhält sich in diesem Fall geradezu verdächtig bedeckt – und eine heiße Spur führt ihn ausgerechnet mitten in Hamburgs beste Kreise … Egal, ob der Privatermittler im ältesten Gewerbe der Welt ermittelt, er inkognito an Bord eines Kreuzfahrtschiffes einen Erpresser verfolgt oder er einem brutalen Killer der Hamburger Unterwelt nachjagt – Jeremias Voss hat einen sechsten Sinn, um Spuren zu entdecken, die alle anderen übersehen! Der Sammelband mit drei Bestsellern von Ole Hansen – nordisch frisch und spannend bis zur letzten Seite! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Krimi-Sammelband »Die Morde von Hamburg« von Ole Hansen enthält die drei Bestseller »Jeremias Voss und die unschuldige Hure«, »Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod« und »Jeremias Voss und der Tote in der Wand«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1004

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Über dieses Buch:

Ihn kann nichts erschüttern: Jeremias Voss, ehemals GSG 9, nach einem Unfall aus dem Dienst ausgeschieden und nun Privatermittler in Hamburg. In seinem neuesten Fall muss Voss im Rotlichtmilieu ermitteln: In einem stadtbekannten Etablissement wurden eine junge Frau und ihr Freier mitten im Akt ermordet. Die Polizei, die sonst gerne Hand in Hand mit Voss zusammenarbeitet, verhält sich in diesem Fall geradezu verdächtig bedeckt – und eine heiße Spur führt ihn ausgerechnet mitten in Hamburgs beste Kreise … Egal, ob der Privatermittler im ältesten Gewerbe der Welt ermittelt, er inkognito an Bord eines Kreuzfahrtschiffes einen Erpresser verfolgt oder er einem brutalen Killer der Hamburger Unterwelt nachjagt – Jeremias Voss hat einen sechsten Sinn, um Spuren zu entdecken, die alle anderen übersehen!

Der Sammelband mit drei Bestsellern von Ole Hansen – nordisch frisch und spannend bis zur letzten Seite!

Über den Autor:

Ole Hansen, geboren in Wedel, ist das Pseudonym des Autors Dr. Dr. (COU) Herbert W. Rhein. Er trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde. Heute wohnt der Autor in Oldenburg an der Ostsee.

Von Ole Hansen sind bei dotbooks bereits die folgenden eBooks erschienen:

Die Jeremias-Voss-Reihe:

»Jeremias Voss und die Tote vom Fischmarkt. Der erste Fall«

»Jeremias Voss und der tote Hengst. Der zweite Fall«

»Jeremias Voss und die Spur ins Nichts. Der dritte Fall«

»Jeremias Voss und die unschuldige Hure. Der vierte Fall«

»Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod. Der fünfte Fall«

»Jeremias Voss und der Tote in der Wand. Der sechste Fall«

»Jeremias Voss und der Mörder im Schatten. Der siebte Fall«

»Jeremias Voss und die schwarze Spur. Der achte Fall«

»Jeremias Voss und die Leichen im Eiskeller. Der neunte Fall«

»Jeremias Voss und der Tote im Fleet. Der zehnte Fall«

Die Marten-Hendriksen-Reihe:

»Hendriksen und der mörderische Zufall. Der erste Fall«

»Hendriksen und der Tote aus der Elbe. Der zweite Fall«

»Hendriksen und der falsche Mönch. Der dritte Fall«

»Hendriksen und der Tote auf hoher See. Der vierte Fall«

»Hendriksen und der falsche Erbe. Der fünfte Fall«

Weitere Bände einer neuen Reihe an Kriminalromanen mit dem Top-Ermittler Arne Klaasen sind in Vorbereitung.

Unter Herbert Rhein veröffentlichte der Autor bei dotbooks auch die folgenden eBooks:

»Todesart: Nicht natürlich. Gerichtsmediziner im Kampf gegen das Verbrechen.«

»Todesart: Nicht natürlich. Mit Mikroskop und Skalpell auf Verbrecherjagd.«

***

eBook-Sammelband-Originalausgabe Oktober 2020

Copyright © der Originalausgabe von »Jeremias Voss und die unschuldige Hure« 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe von »Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod« 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe von »Jeremias Voss und der Tote in der Wand« 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / martindeja / Maxim Khytra / Mvolodymyr

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-495-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Morde von Hamburg« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Ole Hansen

Die Morde von Hamburg

Drei Kriminalromane in einem eBook

dotbooks.

Ole HansenJeremias Voss und die unschuldige Hure

Der vierte Fall

Gehüllt in eine verführerische Parfümwolke stolziert Jeremias Voss’ neuster Fall in sein Büro. Dr. Dörte Paulsen, Betreiberin des Edelbordells »Palais d‘Amour« beauftragt ihn mit der Ermittlung eines Doppelmords in ihrem Etablissement. Eines der Mädchen und ein Freier wurden mitten im Akt ermordet. Die Identität des Freiers ist unbekannt, Dr. Paulsen weiß nur, dass er Mitglied der besseren Gesellschaft Hamburgs war. Mehr als willig macht sich Jeremias Voss an die Ermittlungen im »Palais« und stößt dabei schnell auf ungewohnte Hindernisse: Die Polizei, die sonst Hand in Hand mit ihm arbeitet, ist in diesem Fall auffällig schweigsam …

Kapitel 1

Jeremias Voss saß am Schreibtisch in seiner Jugendstilvilla am Mittelweg in Hamburg, die Beine auf dem Tisch und die Füße über Kreuz. In der einen Hand hielt er die Tageszeitung und in der anderen einen Becher mit dampfendem Kaffee. Hinter ihm nagte Nero, sein Hund, schmatzend an einem Schinkenknochen, den Vera ihm mitgebracht hatte.

Voss genoss die Ruhe. Kein Termin sollte ihn an diesem Morgen stören. Er las die Zeitung nicht wirklich, sondern überflog nur die Artikel auf der Suche nach einem Mord, Raub oder anderen Verbrechen, zu dessen Aufklärung seine Expertise erforderlich sein könnte. Als privater Ermittler konnte er sich, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die Fälle aussuchen. Nicht umsonst galt er als der erfolgreichste, aber auch teuerste Privatdetektiv in Hamburg. Sein Name war weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.

Als er nichts Interessantes fand, warf er die Zeitung in den Papierkorb und schloss die Augen. So brauchte er sich nicht mit den drei Stapeln Papier auf dem Schreibtisch zu beschäftigen, die Vera Bornstedt, seine hübsche Assistentin, dort hingelegt hatte.

Vera war die Seele des Büros und Expertin für Recherchen im Internet. Sie war seit der Stunde null bei ihm, zunächst als Sekretärin, dann als Assistentin und seit knapp drei Jahren als Mädchen für alles. Er vertraute ihr blind, und sie verehrte ihn. Trotzdem siezten sie sich nach wie vor. Nicht, weil Voss es so wollte, sondern auf Veras Wunsch hin. Sie war glücklich verheiratet, hatte einen 17-jährigen Sohn und wollte das Glück ihrer Familie nicht aufs Spiel setzen, denn sie war fest davon überzeugt, dass es vom Duzen nur noch ein kleiner Schritt war, bis sie im Bett landeten. Und das wollte sie nicht.

Es klopfte, und Vera trat ein.

»Chef, wir haben Kundschaft. Eine Dame möchte Sie sprechen.«

Voss sah sie missmutig an. »Können Sie das nicht erledigen? Ich habe jetzt keine Lust, mich zu unterhalten.«

»Natürlich könnte ich das, aber ich bin überzeugt, Sie würden es lieber selbst tun.«

Voss’ Laune sank noch eine Stufe tiefer. Trotzdem fragte er aus reiner Neugier: »Worum handelt es sich denn?«

»Das will Sie nur mit Ihnen besprechen.«

»Sagen Sie ihr, ich sei schwer beschäftigt und es sei Ihre Aufgabe zu klären, ob die Anliegen der Klienten in unseren Arbeitsbereich fallen oder … ach, sagen Sie, was Sie wollen, nur wimmeln Sie sie ab. Ich habe heute keine Lust, irgendetwas zu tun.«

»Das brauchen Sie nicht zu betonen, man sieht es überdeutlich. Aber ich glaube, Chef, wenn Sie die Dame erst gesehen haben, dann werden Sie sie um nichts in der Welt versäumen wollen.«

Voss nahm die Füße vom Tisch und beugte sich interessiert vor. »Ist sie so schön?«

»Schön?« Vera tat, als müsste sie überlegen, dann sagte sie: »Schön? Nicht direkt. Aber eine Erscheinung. Chef. So etwas haben Sie noch nicht gesehen.«

»Überredet. Schicken Sie sie herein. Aber wehe, sie haut mich nicht vom Stuhl.«

»Sofort, Chef. Hier ist übrigens ihre Karte.«

Sie reichte ihm eine Visitenkarte. Sie war aus blasslila Büttenpapier und mit kräftigen, bordeauxroten Buchstaben bedruckt. Er las:

Dr. Dörte Paulsen

Unternehmerin

Schlosshotel Breden

24375 Bredenbüttel

Es folgten Telefonnummern, Mobilfunknummer, eMail und Internetadresse.

Voss sah seine Assistentin mit gerunzelter Stirn an, doch Vera grinste nur anzüglich und ging zur Tür.

»Frau Dr. Paulsen, Herr Voss lässt bitten.« Sie hielt der Besucherin die Tür auf.

Das Erste, was durch die Tür kam, war eine Wolke Parfüm, wahrscheinlich angesogen vom offenen Fenster neben dem Schreibtisch. Nero hob seinen mächtigen Kopf, schnüffelte, knurrte und wandte sich wieder seinem Knochen zu. Der Duftwolke folgte eine Frau, mittelgroß, schlank, schwarze Haare, breiter Mund, ausgeprägte Oberweite und mit einem Gesicht, das durch reichliches, aber gekonnt aufgelegtes Make-up keine Schätzung des Alters zuließ. Ein kantiges Kinn und der intensive Blick aus zwei tiefblauen Augen deuteten auf Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen hin. Am auffälligsten aber war ihre Kleidung. Über einem schwarzen T-Shirt trug sie eine rote Lacklederjacke, die farblich auf ihre schwarze Haarfarbe abgestimmt war. Der enge Rock war ebenfalls aus rotem Lackleder. Die Strümpfe waren schwarz, genauso wie das T-Shirt und die Lackledertasche in ihrer Hand. Die High Heels an den Füßen waren wiederum rot. Das Einzige nicht Rote oder Schwarze an ihr war eine Perlenkette, die eng um den schlanken Hals lag.

Bei ihrem Eintreten erhob sich Voss und ging ihr zwei Schritte entgegen. »Ich bin Jeremias Voss.« Er reichte ihr die Hand und wurde vom inneren Kreis der Duftwolke umfangen. Meine Kleidung muss nachher wohl in die Reinigung, dachte er, während sie sich die Hände schüttelten. Er war angenehm überrascht, denn Dr. Paulsen hatte einen für eine Frau festen Händedruck. Ihre langen, schlanken Finger hätten das nicht vermuten lassen.

»Dörte Paulsen«, erwiderte sie.

Voss rückte ihr den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch zurecht. »Bitte nehmen Sie Platz.«

»Danke.«

Sie setzte sich in den Besuchersessel und zog ihren Rock über die Knie.

Vera stand an der Tür und fächelte sich mit einer Hand demonstrativ Luft zu. Nero, der keine Manieren kannte und nur auf sein Wohl bedacht war, stand auf und verließ mit dem Knochen im Maul das Zimmer.

Voss nickte Vera zu und wies sie an, sich auf ihren üblichen Platz neben dem Schreibtisch zu setzen.

»Frau Dr. Paulsen, bevor wir auf Ihr Anliegen zu sprechen kommen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Frau Bornstedt, meine Assistentin, an der Besprechung teilnehmen wird. Wir ersparen uns dadurch Missverständnisse. Sind Sie damit einverstanden?«

»Selbstverständlich, Herr Voss.«

»Gut, nachdem das geklärt ist, was haben Sie auf dem Herzen?«

Dr. Paulsen überlegte einige Augenblicke. Dann hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen. »Es ist wohl am besten, wenn ich ohne Umschweife zur Sache komme.«

»So ist es«, bestätigte Voss.

Dr. Paulsen beachtete die Bemerkung nicht, sondern fuhr fort: »Ich möchte, dass Sie einen Doppelmord aufklären.«

Voss sah zu Vera. Die zuckte mit den Schultern zum Zeichen, dass sie nichts von einem Doppelmord in Hamburg gehört hatte.

»Doppelmord, hier in Hamburg?«, erkundigte sich Voss.

»Nein, im Palais d’Amour.«

»Palais d’Amour?« Wieder schaute er zu seiner Assistentin, doch die zuckte nur wieder mit den Schultern. »Sie müssen meine Unwissenheit entschuldigen, aber ein Palais d’Amour kenne ich nicht. Wo liegt denn dieser Palast der Liebe?«

»Kennen Sie das Schlosshotel Breden?«, fragte Dr. Paulsen statt einer Antwort.

»Meinen Sie das Schlosshotel, das auf Ihrer Geschäftskarte als Adresse steht?«

»Genau das meine ich.«

Voss schüttelte den Kopf. »Bedaure, auch das …«

»Chef, ich hab’s. Es stand in der Zeitung und wurde auch im Fernsehen gebracht. Wurden auf dem Schloss nicht ein älterer Mann und eine jüngere Frau ermordet? Wenn ich mich recht erinnere, wurde bereits ein Verdächtiger festgenommen.«

»Genau deshalb bin ich hier«, sagte Dr. Paulsen. »Es ist übrigens kein Verdächtiger, sondern eine Verdächtige.«

»Und Sie erwarten von mir, dass ich die Morde aufkläre, wenn ich Sie richtig interpretiere?«

»Ja, genau das möchte ich«, bestätigte Dr. Paulsen.

»Das ergibt doch keinen Sinn. Wenn die Polizei schon eine Verdächtige festgenommen hat, was soll ich dann noch tun?«

»Ich glaube nicht, dass die Festgenommene etwas mit dem Mord zu tun hat. Meiner Meinung nach war sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Jeder, der sie kennt, wird Ihnen versichern, dass sie gar nicht fähig ist, einen Mord zu begehen.«

Voss konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. »Werte Frau Dr. Paulsen, jeder ist zu einem Mord fähig, wenn die Voraussetzungen stimmen.«

»Aber nicht Susanne. Die bringt es ja nicht einmal fertig, eine Mücke auf ihrem Arm zu erschlagen.«

»Ist besagte Susanne Ihre Tochter oder eine Verwandte?«

»So gut wie.«

Voss sah sie kopfschüttelnd an. »Das müssen Sie mir erklären. Entweder ist sie mit Ihnen verwandt, oder sie ist es nicht. Oder wollen Sie damit sagen, dass Sie sie adoptiert haben?«

»Nein, natürlich nicht. Sie ist eines meiner Mädchen, und für die fühle ich mich verantwortlich.«

»So kommen wir nicht weiter«, sagte Voss entschlossen. »Am besten, Sie fangen von vorn an und erklären uns, was passiert ist, wo es passiert ist, weswegen die Frau als Verdächtige festgenommen wurde, was für eine Rolle Sie bei dem Fall spielen, und alles, was sonst noch relevant ist.«

Dr. Paulsen nickte. »Gut, fangen wir mit mir an. Ich habe Volkskunde in Kiel studiert und darin auch promoviert. Das ist aber eine brotlose Kunst. Wenn man nicht gerade das Glück hat, an der Uni eine Assistentenstelle zu bekommen und sich später für eine Professur qualifiziert, kann man sich davon nicht ernähren.«

»Was hat Sie denn dazu veranlasst, ein solches Fach zu studieren?«, fragte Voss, um gleich darauf reumütig zu sagen: »Entschuldigen Sie, das geht mich natürlich nichts an. Es ist reine Neugier. Vergessen Sie’s.«

Dr. Paulsen lächelte. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ich kann Ihre Neugier verstehen. Der Grund war Liebe. Gymnasiastenliebe. Mein Freund wollte unbedingt Volkskunde studieren, und ich blöde Kuh folgte ihm. Am Ende des Studiums hat er mich wegen einer Psychologieprofessorin sitzen lassen. Ich habe mich danach mit allen möglichen Arbeiten über Wasser gehalten. Mein Tätigkeitsfeld reichte von Putzfrau über Kassiererin, Fremdenführerin bis hin zur Taxifahrerin. Dann starb mein Vater, und ich erhielt von meinem Bruder mein Erbteil ausgezahlt, verbunden mit der Forderung, dem Werkstor unserer Firma keinen Schritt näher als 100 Meter zu kommen. Die Forderung wäre gar nicht notwendig gewesen, denn ich hatte nie vor, in die Chemiefirma einzusteigen. Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich wie mein Bruder Chemie studiert. Aber das Geld versetzte mich in die Lage, meinen eigenen Betrieb aufzubauen. Jetzt geht es mir gut. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich kaufmännisches Talent besitze. Alles lief bestens bis zu diesem verdammten Doppelmord. Bei der besonderen Ausrichtung meines Unternehmens können die Morde zur Katastrophe werden. Polizei in meinen Räumen – ich darf gar nicht daran denken.«

»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen, Frau Dr. Paulsen?«

»Selbstverständlich. Doch nennen Sie mich nicht immer Dr. Paulsen. Die Zeiten liegen schon so lange zurück, dass ich mich kaum noch daran erinnere, mal promoviert zu haben. Nennen Sie mich einfach Dörte. Und nun zu Ihrer Frage, Herr Voss. Ich bin eine Puffmutter und besitze ein exklusives Bordell. Schockiert?«

Voss verbarg seine Verblüffung hinter einem Lächeln. »Schockiert? Nein – nur überrascht. Ich hätte Ihren Beruf nicht erraten. Ich glaube, jetzt verstehe ich. Sie betreiben auf Schloss Breden dieses Palais d’Amour – richtig?«

»Richtig, mit einer kleinen Ergänzung. Das ganze Schloss gehört mir. Ich habe es gekauft und zu einem Hotel ausgebaut. Das Palais d’Amour befindet sich in einer der früheren Scheunen. Es ist ein Privatclub, zu dem man nur nach Empfehlung von mindestens zwei Mitgliedern Zutritt hat. Es gibt ein paar Ausnahmen, doch die tun hier nichts zur Sache. Eine zweite Scheune wurde von mir zu einem Tagungs- und Schulungszentrum umgebaut.«

Voss quittierte Dörte Paulsens Worte mit einem anerkennenden Nicken und dachte: Tolles Konzept. Mit dem Schulungszentrum füllt sie ihr Hotel, und mit dem Hotel lockt Sie die Kunden für das Palais an. Clever, die Frau, wirklich clever.

»Kommen wir auf die Morde zurück. Wer ist ermordet worden? Geben Sie mir nur einen groben Überblick. Ins Detail gehen wir, wenn ich den Auftrag annehme.«

Dörte Paulsen überlegte einige Augenblicke und sagte dann: »Der Getötete war Stammgast bei uns. Seinen Namen kenne ich nicht, denn wir lassen uns von den Gästen natürlich keine Ausweise zeigen. Die ermordete Frau war Karin … Karin Hanke. Beide wurden mit mehreren Messerstichen getötet.«

»Wann war das?«

»Am Zwölften, so gegen zehn Uhr. Zu unserer Hauptgeschäftszeit.«

»Ich nehme an, Sie meinen zehn Uhr abends.«

»Natürlich. Morgens ist um diese Zeit nur das Reinigungsteam unterwegs.«

»Wo wurden die Leichen gefunden?«

»In einem unserer Räume. Zimmer 14. Beide waren unbekleidet, lagen auf dem Bett und hatten offenbar gerade gevögelt.«

»Mitten beim Ficken?«, fragte Voss ungläubig.

»Ja, der Mann lag noch auf Karin. Er hatte mehrere Messerstiche im Rücken, und Karin war der Hals aufgeschnitten worden. Es war ein scheußlicher Anblick. Ich habe jetzt noch Albträume.« Dörte Paulsen schüttelte sich bei dem Gedanken.

»Möchten Sie einen Kaffee oder ein Glas Wein? Sie können auch einen Cognac bekommen.«

Sie schaute Vera dankbar an. »Einen Kaffee und einen Cognac könnte ich wohl vertragen.«

Vera sah ihren Chef fragend an. Der nickte zustimmend.

»Woher wusste man, dass sie mit einem Messer ermordet wurden?«, fragte Voss. Er wollte Dörte Paulsen keine Zeit zum Nachdenken geben.

»Die Einstiche waren deutlich zu sehen.«

»Wer war das Opfer?«

»Das kann ich Ihnen, wie schon erwähnt, nicht sagen.«

»Sie kennen Ihre Stammkunden nicht? Das erscheint mir merkwürdig.«

»Muss es nicht. Das versteht kaum jemand, aber es ist so. Ich kenne nur ganz wenige – nur die, denen es egal ist, ob sie erkannt werden oder nicht.«

»Tut mir leid, Dörte, wenn ich nachhake, aber ich muss die Wahrheit wissen. Nur so kann ich Ihnen helfen. Wenn Sie eine Frage nicht beantworten wollen, dann sagen Sie es, aber lügen Sie mich nicht an, denn das könnte zu völlig falschen Ermittlungsergebnissen führen und katastrophal für Sie oder die Angeklagte enden.« Voss’ Stimme klang hart, und seine Augen musterten Dörte Paulsen mit einem unerbittlichen Blick. »Sollte ich feststellen, dass Sie mir nicht die Wahrheit sagen, lege ich den Fall sofort nieder, und Sie verlieren den Vorschuss, den Sie uns, wenn ich den Fall übernehme, zahlen müssen.«

Dörte Paulsen hielt seinem Blick stand. »Ich lüge nicht! Ich bin mir bewusst, was es bedeutet, wenn ich Ihnen etwas vorlüge. Auch wenn ich eine Puffmutter bin, bedeutet das nicht, dass ich dumm bin oder die Lage, in der sich mein Unternehmen befindet, nicht klar erkenne.«

Voss’ Gesichtszüge entspannten sich, und seine Stimme nahm wieder einen konzilianten Ton an. »Gut, nachdem wir das geklärt haben, könnten Sie mir vielleicht erklären, wieso Sie Ihre Klientel nicht kennen?«

»Selbstverständlich, aber dazu muss ich etwas ausholen und Ihnen meine Geschäftsphilosophie erklären.«

Vera kam mit Kaffee und Cognac herein und servierte sie Dörte Paulsen und ihrem Chef. Für sich selbst hatte sie nur Kaffee mitgebracht. Alkohol zu dieser Vormittagsstunde war für sie ein absolutes No-Go.

»Sie müssen wissen, Herr Voss …«

»Nennen Sie mich Jeremias, und ich denke, auf das Sie können wir auch verzichten«, unterbrach sie Voss.

»Einverstanden, Jeremias. Also, du musst wissen«, fuhr Dörte fort, nachdem sie ihm und Vera zugeprostet hatte, »das Palais d’Amour ist ein Nobeletablissement. Alles nur vom Feinsten. Entsprechend hoch sind auch die Preise. Also kommt meine Klientel aus der oberen Schicht der Gesellschaft, wobei ich nicht die Bildung meine, sondern die Finanzen. Da diese Personen vielfach in der Öffentlichkeit stehen, legen sie äußersten Wert auf Diskretion. Um ihnen die Angst, erkannt zu werden, zu nehmen, tragen alle Besucher Gesichtsmasken. Ob sie die Masken im Zimmer abnehmen, ist ihre Sache. Der Ermordete hat es jedenfalls nicht getan.«

»Und die Tote? Tragen deine Mädels auch Masken?«

»Das bleibt ihnen überlassen. Karin trug keine.«

»Wer hat die Toten gefunden?«

»Susanne. Susanne Matthes. Sie wurde später als Tatverdächtige festgenommen.«

»Warum?«

»Wenn ich das wüsste. Soweit ich es mitbekommen habe, wurde Blut an ihren Händen und Kleidern gefunden, ihre Fingerabdrücke waren auf dem Messer, und sie hasste Karin, weil sie ihr den Kunden ausgespannt hatte. Zuvor wollte er nur von Susanne bedient werden. Was sie sicher am meisten ärgerte, war, dass sie keine großzügigen Trinkgelder mehr bekam.«

»Kann jeder die Zimmer betreten?«

»Jeder, der an Bruno, unserem Sicherheitschef, vorbeikommt, und das sind nur die Kunden und die Mädchen. Die Türen zu den Zimmern bleiben schon aus Sicherheitsgründen unverschlossen, damit wir, wenn jemand um Hilfe klingelt, schnell zu den Mädchen gelangen können.«

Voss schwieg einige Augenblicke, während er sich überlegte, wie er den Fall anpacken sollte. Dann sah er Dörte entschlossen an.

»Ich übernehme deinen Fall. Die finanzielle Seite erledige bitte mit Frau Bornstedt. Ich werde dich in Zukunft noch mit etlichen Fragen belästigen, genauso wie dein Personal. Gibt es in der Nähe des Schlosses einen Gasthof, in dem ich übernachten kann?«

»Du kannst im Schlosshotel wohnen.«

»Das klingt gut. Geh davon aus, dass ich dein Angebot annehme. Du musst allerdings in Kauf nehmen, dass ich meinen Hund mitbringe.«

»Meinst du das Biest, das mich missachtet hat, als ich den Raum betrat?«

»Genau den. Er ist ein Muster an Friedfertigkeit, außer jemand versucht, ihn von seinem Herrn zu trennen.«

»Na gut, jetzt ist sowieso schon alles egal.«

»Ach, noch eine Frage, bevor du gehst. Warum engagierst du dich so für diese Susanne?«

Dörte Paulsen hatte sich schon halb erhoben und setzte sich wieder.

»Das hat mehrere Gründe. Ich will hier nicht auf alle eingehen. Wir können uns darüber unterhalten, wenn du nach Bredenbüttel kommst. Der Unterhalt des Schlosses kostet ein Heidengeld. Ich kann es mir wirtschaftlich nicht leisten, dass mein Unternehmen in Verruf kommt, und ein Mord im Haus kann tödlich sein für das Geschäft. Ein Mord, begangen von einem meiner Mädchen, kommt einem geschäftlichen Selbstmord gleich. Außerdem kann Susanne keiner Fliege etwas zuleide tun. Wütend werden, ja, aber jemanden umbringen – niemals. Für die Polizei ist dieser Fall gelöst, für mich nicht. Deshalb brauche ich dich, damit der wahre Täter gefasst wird, bevor noch größerer Schaden entsteht.«

»Deine Situation ist mir jetzt klar. Ich werde mein Bestes tun, um den Fall zu lösen.«

Kapitel 2

Als Dörte Paulsen gegangen war, riss Vera alle Fenster auf und wedelte mit einem Handtuch Frischluft in den Raum.

»Ich denke, Chef, Sie werden sich umziehen müssen, sonst wird jeder denken, Sie wären ein Transvestit.«

Voss schnüffelte an seinem Pullover. »Ich glaube, Sie haben recht. Doch bevor ich das tue, besprechen wir, wie wir weiter verfahren. Hat sie etwas zu unseren Honorarvorstellungen gesagt?«

»Nicht ein Wort. Völlig kaltblütig blätterte sie 5000 Euro in lila Scheinen auf den Tisch. Ich denke, ich sehe nicht recht. Die Frau scheint ganz schön tough zu sein. Ich möchte bloß wissen, woher sie wusste, wie hoch wir die Vorauszahlung festlegen.«

»Eine interessante Frage. Ich werde es schon herausfinden.«

»Chef, ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Irgendwie klingt das Ganze unheimlich. Und dann … dass Sie da auch noch wohnen wollen, unter den vielen Frauen, das gefällt mir ganz und gar nicht.«

Voss grinste. »Endlich mal ein Auftrag, der viele Freuden verspricht.«

»Chef, ich finde das gar nicht witzig. Sie wissen doch selbst, dass Sie keiner schönen Frau widerstehen können.«

»Das stimmt nicht. Ihnen habe ich über die ganzen Jahre hinweg widerstanden.«

»Chef!«

»Ich weiß, Vera, ich weiß. Es war nicht meine Widerstandskraft, sondern Ihre, die alles vereitelte.«

»Chef, jetzt reicht’s! Noch eine solche Bemerkung, und ich kündige.« Vera war ernsthaft böse.

»Wenn Sie mir so drohen, dann bin ich still. Das Büro kann ich mir ohne Sie nicht vorstellen. Also zur Sache. Sie werden gleich im Internet stöbern und alles heraussuchen, was über Schloss Breden und das Palais d’Amour zu finden ist. Ich werde meinen Spezi beim Hamburger Tageblatt anrufen. Mal sehen, was er über den Doppelmord gehört hat. Morgen früh werde ich nach Bredenbüttel fahren und versuchen, unseren Lebensunterhalt zu verdienen.«

Während Vera sich im Vorzimmer an den Computer setzte, um im Internet zu stöbern, griff Voss zum Telefon und rief Knut Hansens Durchwahl beim Tageblatt an.

Mit dem kleinen, korpulenten und äußerst gerissenen Knut Hansen verband ihn eine Art freundschaftliches Zweckbündnis. Hansen besorgte Informationen aus der Gerüchteküche, und er verschaffte ihm im Gegenzug die Möglichkeit, als Erster über die Ergebnisse seiner Ermittlungen zu berichten. Hansen war mit seiner Dynamik und Schlitzohrigkeit für den Beruf des Reporters wie geschaffen. Sobald er ins Rollen kam – Voss stellte sich das immer bildlich vor –, hielt ihn nichts mehr auf. In dieser Beziehung waren sie seelenverwandt. Sie verfolgten ihr Ziel wie Bulldoggen. Einmal zugebissen, ließen sie sich nicht mehr abschütteln, auch nicht durch Drohungen oder Bestechungsversuche. Und noch eine Eigenschaft hatten sie gemeinsam: Sie hatten keinen Respekt vor Autoritäten oder sogenannten hochgestellten Persönlichkeiten.

Wider Erwarten hatte Voss Glück. Hansen nahm das Telefon persönlich ab.

»Moin, Knut, was ist denn mit dir los? Bist du arbeitslos geworden, weil du jetzt schon in der Redaktion rumgammelst?«

»Ha ha, hat ja nicht jeder so einen faulen Job wie du. Arbeitest alle Jubeljahre einmal und knöpfst dafür deinem Klientel so viel ab, wie ich in zwei Jahren verdiene.« Knut Hansens Stimme klang gekränkt, doch Voss wusste, dass ihn nichts kränken oder beleidigen konnte. Wurde er zur Vordertür rausgeworfen, quetschte er sich zur Hintertür wieder rein.

»Hast du ’ne Story für mich? Ich könnt mal wieder so ’n richtigen Kracher gebrauchen.«

»Lieber Kurt, wie du weißt, läuft es so nicht. Erst musst du was liefern, dann sehen wir weiter.«

»Aber du hast was auf Lager?«

»Möglich. Zunächst brauche ich jedoch ein paar Auskünfte.«

»Wenn daraus eine Story wird, bekomme ich sie zuerst. Versprochen?«

»Versprochen.«

»Dann schieß los. Was willst du wissen?«

»Sag dir der Name Schloss Breden etwas?«

Einen Augenblick war es still in der Leitung, dann sagte Hansen: »Nee, nicht wirklich. Ist da was mit?«

Voss überhörte die Frage. »Und Palais d’Amour?«

»Davon hab ich schon mal was gehört. Ist ein Edelpuff nördlich von Hamburg. Ich glaube, in der Nähe von Bad Segeberg. Hatte aber noch nie damit zu tun. Ist es das, woran du arbeitest?«

»Quatsch, du solltest wissen, dass ich dir keine Information über meine Arbeit gebe.«

»Schon gut, schon gut, man kann’s ja mal versuchen. Wenn du willst, kann ich mich ja mal bei meinen Kollegen umhören.«

»Tu das. Ich habe noch eine andere Frage. Hast du etwas von einem Doppelmord in oder bei Bredenbüttel gehört? Ist erst vor kurzem passiert.«

»Klar, aber darüber gibt es nicht viel zu berichten. Der Mann wurde nicht identifiziert, und die Frau war wohl ein Flittchen. Da die Täterin noch am gleichen Abend festgenommen wurde, hat sich für uns nichts Spektakuläres ergeben. Das Einzige, was mich irritiert, ist, dass die Polizei nur dürftige Informationen liefert. Da die Morde nicht in Hamburg passiert sind und keine Drogen, Falschgeld oder Mädchenhandel mit im Spiel sind, ist unser Interesse gleich null. Weißt du mehr darüber?«

»Du versuchst es doch immer wieder. Wenn ich etwas wüsste, dann hätte ich doch nicht gefragt.«

»Stimmt auch wieder.«

»Dann man tschüss.«

»Vergiss die Story nicht.«

Voss legte den Hörer auf.

»Haben Sie schon was herausgefunden?«, rief er zu Vera hinüber.

»Chef, ich sitze doch erst seit zwei Sekunden am PC«, rief sie zurück. »Ich bin zwar schnell, aber hexen kann ich nicht.«

»Schon gut, schon gut.«

Voss stand auf, nahm seinen Windbreaker vom Garderobenständer und zog ihn an. Nero ließ ihn nicht aus den Augen.

»Woll’n wir spazieren gehen?«

Nero schoss in die Höhe und sprang wie verrückt durchs Büro. Nichts tat er lieber, als mit seinem Herrn auszugehen.

Voss legte ihm ein Geschirr um und nahm ihn an die Leine. Leine war nicht ganz das richtige Wort, denn sie bestand aus einem sechsfach geflochtenen Lederriemen, mit dem man ein Auto abschleppen könnte. Der Riemen war auch nötig, denn Nero bestand aus 55 Kilo Muskeln und Knochen. Wenn er sich über ein Hindernis ärgerte, dann machte er sich nicht die Mühe, es zu umgehen, sondern rannte es einfach um. Er war nicht gerade eine Schönheit, Voss’ Freunde hielten ihn sogar für ausgesprochen hässlich. Dieser Eindruck wurde durch sein breites Maul, die eingedrückte Schnauze, die wulstige Stirn, die Augenfalten und den grimmigen Blick hervorgerufen. Einige von Voss’ Bekannten schüttelten die Köpfe darüber, dass ein kultivierter Mann wie er sich so einen Gefährten hielt. Der offensichtlich an Geschmacksverirrung Leidende quittierte die Bemerkungen nur mit einem Grinsen – und klärte sie auch nicht darüber auf, dass nicht er den Hund ausgesucht hatte, sondern der Hund ihn.

Es war in Istanbul gewesen. Voss hatte dort die entführte Tochter eines Hamburger Reeders aufgespürt und sie ihrer überglücklichen Mutter übergeben. Da er noch einen Tag länger in der Stadt bleiben musste, vertrieb er sich die Zeit, indem er über einen der vielen Märkte schlenderte. Das wütende Geschrei eines Mannes ließ ihn neugierig innehalten. Augenblicke später spürte er etwas Warmes an den Beinen. Ein kräftiger Welpe hatte sich hinter ihnen versteckt, eine Wurst im breiten Maul, eine weitere hing herunter. Fast gleichzeitig drängte sich ein stämmiger Fleischer durch die Menschen. Die Rechte mit dem Fleischermesser erhoben, sah er aus, als würde er Amok laufen. Als er Voss und den Welpen sah, stürzte er auf die beiden zu.

»Hab ich dich endlich erwischt«, schrie er wutentbrannt und wollte den Welpen packen. Voss gebot dem wütenden Mann mit einer energischen Handbewegung Einhalt und erfuhr mithilfe der Übersetzungskünste der Umstehenden, dass der Fleischer nichts Gutes mit dem Wurstdieb vorhatte. Voss hatte Mitleid mit der armen Kreatur und bot dem Fleischer einen Zwanzigeuroschein für die gestohlenen Würste an. Es waren die beiden teuersten Würste, die er je gekauft hatte. Der Fleischer steckte den Geldschein ein, drehte sich um und ging. Sicherlich hielt er den Deutschen für verrückt. Voss kümmerte sich nicht weiter um den geretteten Welpen, sondern schlenderte weiter. Der Hund folgte ihm, während er seine Würste hinunterschlang. Voss scheuchte ihn davon, aber der Hund, in dessen Stammbaum sich jeder Straßenköter Istanbuls verewigt zu haben schien, ließ sich nicht abschrecken. Er folgte seinem Wohltäter auf Schritt und Tritt. Voss versuchte, ihn einigen Marktbesuchern anzudrehen, doch niemand wollte diese Ausgeburt an »Schönheit« haben. Schließlich versprach er einem Standbetreiber 50 Euro, wenn er den Hund bei sich behalten und gut für ihn sorgen würde. Der Handel wurde unter Zeugen mit einem Handschlag besiegelt, und der neue Besitzer band den Welpen zur Sicherheit mit einer kräftigen Schnur an seinem Stand fest. Voss war froh, seinen lästigen Begleiter los zu sein, verließ den Markt, überquerte eine Hauptverkehrsstraße und machte sich auf den Weg zu seinem Hotel. Er war noch nicht weit gekommen, als er ein Keuchen hinter sich vernahm. Er drehte sich um und sah den Welpen mit hängender Zunge angerannt kommen. Sobald er ihn erreicht hatte, begann alles zu wedeln, Kopf, Körper und Schwanz. In diesem Augenblick begann eine Männerfreundschaft.

Voss ging wie gewöhnlich den Klosterstieg hinunter, überquerte den Harvesterhuder Weg und bog dann nach links auf den Fußweg. Eine Zeit lang schlenderten sie an der Außenalster entlang, das heißt, Voss schlenderte, während Nero bei jedem Baum, Strauch oder sonstigen Erhebung stehen blieb, um seine Markierung zu setzen. Nach einer Weile nahm Voss auf einer Parkbank Platz und blickte auf die Alster. Die Ruder- und Segelboote, die an diesem Vormittag bereits unterwegs waren, nahm er kaum wahr. Dazu dachte er viel zu intensiv an den Fall, den er erst vor einer Stunde übernommen hatte. Er besaß die Fähigkeit, sich so zu konzentrieren, dass er alle Einflüsse um sich herum ausschalten konnte. Er hatte sich das mühsam antrainiert. Als er sich wieder entspannte, wusste er, wie er vorgehen wollte. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und gab auf dem Internetdisplay die Nummer der Polizeidirektion Neumünster ein. Als sie sich meldete, verlangte er, den Kriminalbeamten zu sprechen, der den Mordfall in Bredenbüttel bearbeitete. Er wurde auf Warten geschaltet. Nach einer ziemlich langen Zeit meldete sich die freundliche Polizeibeamtin, mit der er gesprochen hatte, wieder.

»Herr Voss, Kriminalhauptkommissar Strüver ist nicht im Hause. Tut mir leid.«

»Könnte ich vielleicht seinen Vertreter sprechen?«

»Tut mir leid, auch der ist außer Haus.«

»Gibt es sonst jemanden, der mir etwas über den Mordfall mitteilen kann?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, aber sicher wissen Sie, dass bei laufenden Verfahren grundsätzlich keine Auskünfte erteilt werden.«

»Können Sie mir denn wenigstens sagen, welcher Staatsanwalt den Fall bearbeitet?«

»Da kann ich Ihnen auch nicht helfen. Ich weiß es nicht.«

Frustriert schaltete Voss das Smartphone aus. Er musste unwillkürlich an Knut Hansens Worte denken. Hatte er nicht gesagt, dass die offiziellen Dienstellen wenig mitteilsam waren, wenn es um Informationen über den Mordfall in Bredenbüttel ging?

Sein nächster Versuch war die Staatsanwaltschaft in Neumünster. Hier wurde er mit einem Staatsanwalt Milbach verbunden. Und es erging ihm nicht anders als bei der Polizeidirektion. Er wurde kurz abgefertigt mit dem Hinweis, dass über laufende Verfahren keine Auskünfte gegeben würden. Nicht einmal der Name des Verteidigers wurde ihm genannt.

»Dascha gediegen«, sagte er zu sich selbst. Immer, wenn er sich über etwas wunderte, verfiel er ins Hamburgische.

Nero riss ihn im wahrsten Sinne des Wortes aus seinen Gedanken. Er hatte eine Pudeldame entdeckt – einen Königspudel. Wie ihr Frauchen war sie ganz in Weiß gekleidet, ihr Trippelschritt hatte sich dem ihrer Begleiterin angepasst, und die Nase war genauso hoch erhoben. Wahrscheinlich war sie gerade in der biologischen Verfassung, die Rüden den Kopf verdrehte. Nero sprang auf und hätte im Bemühen, der Dame seine Dienste aufzuzwingen, Voss beinahe von der Bank gerissen. Er konnte sich gerade noch mit dem Ellenbogen an der Rückenlehne der Bank festklemmen, die Leine packen und Nero mit einem herrischen Befehl zur Ordnung rufen. So sehr die Leidenschaft Nero auch den Kopf vernebelte, er gehorchte aufs Wort und setzte sich mit weit heraushängender Zunge, alle Muskeln angespannt, neben seinen Herrn.

Voss tat es beinahe leid. Es hätte ihn gefreut, wenn die so hochnäsig dahinstolzierende Königspudeldame mal zwischen die Beine eines ganzen Kerls gekommen wäre. Das Gesicht der weiß gekleideten Dame hätte er zu gern gesehen. Auf die Scherereien, die dem Liebesakt gefolgt wären, konnte er jedoch verzichten, also war es besser, Nero aus der Gefahrenzone zu bringen.

Er stand auf und verließ das Alsterufer auf dem gleichen Weg, den sie gekommen waren.

Vera, der er von dem Erlebnis erzählte, zeigte keine weibliche Solidarität, sondern bedauerte den armen Nero und kraulte ihm zum Trost den mächtigen Kopf.

Im Internet hatte sie nicht viel über Schloss Breden herausgefunden. Das Land war 1210 den Grafen von Breden als Lehen vom dänischen König übergeben worden. Seitdem war es im Besitz des Geschlechts der Bredens gewesen. 2003 hatte der letzte Erbe das Land verkauft. Das Schloss mit den Nebengebäuden und einem Areal von zehn Hektar hatte niemand haben wollen. Da die Erben schon seit Jahren in Australien lebten und weder Lust noch Geld hatten, das Schloss zu erhalten, hatten sie es schließlich für einen Euro verschleudert. Und auch da hatten sie noch etliche Jahre warten müssen, bis sich jemand fand, der ihnen die Bürde abnahm. Die jetzige Besitzerin hatte die Anlage zu einem Hotel mit drei separaten Tagungsräumen und einem Nachtclub umgebaut, so stand es bei Google.

Voss nutzte den Rest des Tages, um liegengebliebene Büroarbeiten zu erledigen. Er hasste diese Schreibtischarbeit, doch Vera hatte darauf bestanden. Nach ihrer Ansicht gehörte zu einem florierenden Unternehmen auch eine funktionsfähige Administration. Auf die Frage »Wo ist der Vorgang?« sollte man nicht erst einen Stapel Papier durchwühlen müssen, sondern ihn auf Anhieb in einem Ordner finden.

Kapitel 3

Im Büro des Generalstaatsanwalts fand eine Krisensitzung statt. Es ging um den Doppelmord in Bredenbüttel.

Die Teilnehmer der Konferenz waren neben dem Staatssekretär im Justizministerium, Mathias Weiden, Generalstaatsanwalt Wulfen, der zu diesem Gespräch eingeladen hatte, der Leitende Oberstaatsanwalt von Neumünster, Dr. Breuer, sowie Kriminalhauptkommissar Strüver, Leiter der Abteilung für Tötungsdelikte der Polizei Neumünster.

»Es ist eine verdammte Schweinerei, die mir da zu Ohren gekommen ist«, fluchte Staatssekretär Weiden. »Wie konnte es passieren, dass Frau Dr. Paulsen einen Privatdetektiv aufsuchte? Ist Ihnen nicht klar, was das bedeutet? Wir haben in drei Monaten Wahl. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sich dieser Fall zu einem Skandal auswächst.« Sein Kopf war rot vor Wut.

»Wie sicher ist es überhaupt, dass Paulsen Jeremias Voss in Hamburg aufgesucht hat?«

Alle Augen blickten Kriminalhauptkommissar Strüver an. Dem war anzusehen, wie unwohl er sich in Gegenwart der hochrangigen Teilnehmer fühlte. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

»Absolut sicher, Herr Generalstaatsanwalt«, sagte er und fügte erklärend hinzu: »Kriminalobermeister Haase hat sie überwacht.«

»Ein zuverlässiger Mann?«, wollte der Generalstaatsanwalt wissen.

»Ein sehr kompetenter Kriminalbeamter. Er ist ein alter, ähm, Hase auf dem Gebiet der Personenüberwachung.«

»Hoffentlich«, sagte der Generalstaatsanwalt zweifelnd und schoss dann die nächste Frage ab, diesmal gerichtet an den Leitenden Oberstaatsanwalt. »Wer hat die Überwachung überhaupt angeordnet?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Ich nicht und auch keiner aus meinem Büro.«

»Das wird ja immer schlimmer«, warf Staatssekretär Weiden ein. »Wieso wurde sie dann überwacht?«

Strüver hob die Hand zum Zeichen, dass er etwas sagen wollte.

»Was ist, Strüver?« Die zusammengekniffenen Augenbrauen des Generalstaatsanwalts zeigten, dass er mit der Maßnahme nicht einverstanden war.

»Herr Generalstaatsanwalt, ich habe die Überwachung veranlasst. Staatsanwalt Milbach hatte angeordnet, dass die Personen, die von der Tat erfahren hatten, vergattert werden sollten, über die Morde nicht zu reden. Der betroffene Personenkreis wurde von mir persönlich über die Schweigepflicht belehrt. Frau Dr. Paulsen äußerte sich mir gegenüber, dass sie sich nicht den Mund verbieten lassen würde. Ich machte ihr während eines Gesprächs, das wir in meinem Büro unter vier Augen führten, wiederholt deutlich, dass jede Äußerung über den Fall gegenüber Dritten die Ermittlungen behindern würde. Obwohl sie zugab, dass sie dies verstehe, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sich daran halten würde. Deshalb ließ ich sie durch Kriminalobermeister Haase überwachen. Das Ergebnis der Überwachung rechtfertigt die Maßnahme, denke ich.« Die letzten beiden Worte fügte er beinahe trotzig hinzu.

»Wer ist dieser Jeremias Voss?«, wollte der Staatssekretär wissen und sah den Leitenden Staatsanwalt an.

Dieser reichte die Frage an den Kriminalhauptkommissar weiter. »Ich glaube, Sie können uns dazu am meisten sagen, Strüver.«

»Ich denke schon«, antwortete der. »Ich habe mit meinen Kollegen in Hamburg gesprochen. Dort ist Jeremias Voss gut bekannt. Er gehört zu den erfolgreichsten Privatdetektiven der Hansestadt, arbeitet gewöhnlich eng mit der Polizei zusammen, gilt als loyal, zuverlässig und absolut unbestechlich. Er genießt bei den dortigen Kollegen großes Vertrauen, zumal einige seiner einstigen Kameraden dort bei der Polizei sind.«

»Wie soll ich das verstehen?«, fuhr Weiden ungehalten dazwischen.

»Jeremias Voss war ursprünglich bei der Hamburger Polizei«, antwortete Strüver ruhig und sachlich. Seine anfängliche Nervosität war verflogen. »Soweit ich informiert bin, ist er dort nach dem Abitur in den Polizeidienst eingetreten, hat zunächst Streifendienst geleistet, ist dann in den Kriminaldienst versetzt worden. Etwas später ging er zum SEK der Landespolizei Hamburg und darauf zur GSG 9, dem Sondereinsatzkommando des Bundes. Hier hat er eine Hubschrauberausbildung erhalten. Bei einer Geiselbefreiung ist er mit dem Hubschrauber abgestürzt und hat sich etliche Wirbel gestaucht. Er hatte großes Glück, denn sein Co-Pilot kam bei dem Absturz ums Leben. Nach monatelangem Krankenhausaufenthalt und verschiedenen Rehabilitationsmaßnahmen war er nur noch für den Innendienst tauglich. Er ließ sich aus Gesundheitsgründen pensionieren und machte ein Büro als Privatermittler auf.«

Der Staatssekretär wurde immer ungeduldiger, je mehr Strüver die Fähigkeiten des Privatdetektivs hervorhob.

»Jetzt reicht’s mit dem Loblied. Das alles interessiert mich nicht. Was ich wissen will, ist, wo er seine Leichen versteckt hat«, fuhr er Strüver unwirsch an.

»Mir wurde nichts berichtet«, antwortete der Kriminalhauptkommissar betont ruhig.

»Quatsch, jeder Mensch hat irgendwo etwas zu verheimlichen. Finden Sie es heraus. Ich will wissen, wo wir ihn packen können. Hetzen Sie die Steuerfahndung auf ihn, nehmen Sie sein Büro auseinander – tun Sie etwas. Sprechen Sie mit seinen ehemaligen Klienten. Vielleicht hat er mal jemanden betrogen oder nicht die gewünschten Daten geliefert oder Spesen verkehrt abgerechnet. Mensch, Strüver, lassen Sie sich was einfallen. Der Staat bezahlt Sie nicht umsonst.« Der Staatssekretär hatte sich in Rage geredet.

Aber auch Strüvers Augen funkelten gefährlich. Er war nicht bereit, sich von dem Politiker wie ein Schuljunge abkanzeln zu lassen.

»Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär? Ich soll so lange in Voss’ Leben herumstöbern, bis ich etwas gefunden habe, das Sie zu einem großen Vergehen aufblasen können? Ich darf Sie daran erinnern, Herr Staatssekretär, dass ich Kriminalhauptkommissar der Polizei Schleswig-Holsteins bin und meine Aufgabe darin besteht, Verbrechen aufzuklären und nicht ehrenhafte Bürger auszuspionieren.«

Weidens Gesicht war bei den Worten noch roter geworden, so dass man einen Herzinfarkt befürchten musste. Bevor er seinem Ärger Luft machen konnte, griff der Leitende Oberstaatsanwalt ein.

»Meine Herren, bitte, die Sache ist zu dringend und zu ernst, als dass wir uns Streitereien leisten können. Kriminalkommissar Strüver«, er wandte sich an den Leiter der Mordkommission, »niemand verlangt von Ihnen, dass Sie irgendetwas unternehmen, was gegen das Gesetz verstößt. Das Gesagte so auszulegen, ist nicht gerechtfertigt.« Jetzt blickte Dr. Breuer den Staatssekretär an. »Herr Weiden, ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass wir es nur der guten, vorausschauenden Ermittlung von Herrn Strüver zu verdanken haben, dass es bis jetzt nicht zu einer Katastrophe gekommen ist. Ich glaube, wir alle, vor allem aber Sie, Herr Staatssekretär, verdanken ihm viel, und wir sollten ihm Dank und Anerkennung aussprechen, was ich hiermit für meine Person und meine Dienststellen tue.«

»Sie haben recht, Dr. Breuer, ich schließe mich Ihren Worten an. Gute Arbeit, Herr Strüver«, sagte der Generalstaatsanwalt.

Staatssekretär Weiden nickte zustimmend, ohne den Kriminalhauptkommissar anzusehen, der perplex da saß und weder den plötzlichen Stimmungsumschwung noch die lobenden Worte verstand. Für Letztere bedankte er sich mit einer knappen Verbeugung. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass sich der Leitende Staatsanwalt auf eine geradezu geniale Weise schützend vor ihn gestellt hatte.

Dr. Breuer fuhr, ohne eine Pause einzulegen, fort. »Wir sollten uns genau überlegen, was wir in dieser mehr als delikaten Sache unternehmen wollen. Ich halte es für falsch, wenn wir Jeremias Voss unter die Lupe nehmen und in seinem Umfeld recherchieren. Wenn er so gut ist wie eben behauptet, dann wird er sehr schnell dahinter kommen, dass etwas im Gange ist, was mit seiner Person zusammenhängt. Und dann, meine Herren, haben wir genau die Situation, die wir vermeiden wollen. Er wird in einem solchen Fall nicht eher Ruhe geben, bis er herausgefunden hat, wer für die Nachforschungen verantwortlich ist, und dann ist der Skandal nicht mehr abzuwenden. Ich plädiere deshalb dafür, dass wir ihn in Ruhe lassen. Beobachten, wenn er bei seinen Nachforschungen gegen Gesetze verstößt, und auch dann nur, wenn es schwerwiegende Verstöße sind. Anders ausgedrückt, wir sollten in diesem mehr politischen Fall streng nach Recht und Gesetz vorgehen, auch wenn wir beides schon etwas gebeugt haben.«

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah den Staatssekretär an. Der wollte etwas sagen, doch der Generalstaatsanwalt ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Ich glaube, meine Herren, Kriminalhauptkommissar Strüvers Zeit ist zu wertvoll, als dass er hier noch weiter herumsitzt. Herr Strüver, ich bedanke mich ebenfalls für die gute Arbeit, die Sie geleistet haben. Machen Sie weiter so.«

Strüver erhob sich unverzüglich, verbeugte sich noch einmal und verließ den Konferenzraum. Ihm war klar, dass die hohen Herren ihn bei der Diskussion über das weitere Vorgehen nicht dabeihaben wollten. Ihm konnte es nur recht sein. Er ging zu seinem Auto und fuhr zurück zu seiner Dienststelle.

Die verbliebenen drei Herren diskutierten noch über eine Stunde über den Fall. Als sie sich endlich verabschiedeten, konnte man an der verärgerten Miene des Staatssekretärs erkennen, dass ihn das Ergebnis der Besprechung nicht befriedigt hatte.

Auch er ging zu seinem Dienstwagen, der direkt vor dem Eingangsportal zur Generalstaatsanwaltschaft parkte. Sein Fahrer sprang aus dem Wagen und öffnete ihm die Tür. Als er wieder hinter dem Steuer Platz genommen hatte, drehte er den Kopf nach hinten.

»Zum Ministerium?«

»Nein, zur Parteizentrale.«

Nach kurzer Fahrt dort angekommen, wies Mathias Weiden ihn an, den Wagen auf einen Parkplatz zu fahren.

»Es wird länger dauern. Wenn ich Sie brauche, rufe ich Sie an. Sie können in der Zwischenzeit in der Kantine essen, wenn Sie wollen, aber halten Sie sich abfahrbereit.«

»Jawohl, Herr Staatssekretär.«

Weiden ging vorbei an der bronzenen Büste des Gründers der Partei, der jeden Besucher der Parteizentrale kritisch zu mustern schien. Er fragte eine junge Dame, die an einem Computer arbeitete, ob Dr. Harnisch im Hause sei. Harnisch war der Generalsekretär der Partei – ein Mann, der alle Fäden in der Hand hielt und Dossiers über seine Gegner und Freunde führte. Er war der meist gehasste Mann in der Partei, doch wegen dieser Dossiers mochte sich niemand gegen ihn auflehnen, und so wurde er bei jeder Wahl mit über 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Allerdings machte er seine Arbeit gut und hatte die Partei fest im Griff.

Die Frage am Empfang war nur zur Ablenkung gedacht, denn Weiden wusste, dass Harnisch ihn erwartete. Er stieg das Treppenhaus in den ersten Stock empor. Die Ahnengalerie der Parteivorsitzenden beachtete er nicht. Im ersten Stock wandte er sich nach rechts und ging den Gang bis zum Ende. An der Tür, die den Korridor abschloss, klopfte er kurz an, öffnete sie und steckte den Kopf durch den Spalt. Als er sah, dass Harnisch außer Volker Lehmann keinen weiteren Besucher hatte, trat er ein. Diese Tür stand nur einigen wenigen Parteimitgliedern offen. Alle anderen hatten sich im Vorzimmer auf der rechten Seite des Flurs anzumelden. Hier saß der Zerberus der Partei, eine Frau um die 50, die schon viele Parteisekretäre hatte kommen und gehen sehen und die jedem ihrer Chefs gleichmäßig verantwortungsbewusst und loyal gedient hatte. Es gab nichts in der Partei, keine Personaldiskussion und auch kein Gerücht, über das Janett Mertens nicht informiert war. Es wäre nicht nötig gewesen, dass Weiden die Privattür benutzte, um seine Anwesenheit beim Parteisekretär geheim zu halten. Janett Mertens wusste nicht nur, wer ihren Chef aufsuchte, sondern auch, worum es bei diesem Gespräch ging. Woher, das war ihr Geheimnis.

»Komm rein, Mathias«, sagte Dr. Harnisch, »du kommst spät. Ich hatte dich schon vor einer halben Stunde erwartet. Du weißt doch, wie gedrängt mein Kalender ist.«

Er drückte auf die grüne Taste der internen Kommunikationsanlage und wies die Vorzimmerdame an, dass er in der nächsten halben Stunde nicht gestört werden wollte. Dann wandte er sich wieder an Mathias Weiden.

»Wie du siehst, konnte ich Volker überreden, an der Besprechung teilzunehmen. Als Wahlkampfleiter muss er über alles, was Einfluss auf die Wahl nehmen kann, informiert sein.«

Der Staatssekretär gab Volker Lehmann die Hand. »Gut, dass du kommen konntest. Heute Morgen hatte ich den Eindruck, du wolltest nach Flensburg.«

»Wollte ich auch, aber dein Bericht über die Konferenz mit den Juristen erschien mir wichtiger. Ich hoffe, du hast zur Abwechslung mal gute Nachrichten für uns.«

Weiden schüttelte resigniert den Kopf. »Ich fürchte nicht. Ich glaube, wir müssen darauf verzichten, die Juristen mit ins Boot zu holen. Auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, scheinen sie sich auf den Rechtsstandpunkt zurückzuziehen. Wenn ihr mich fragt, dann habe ich das Gefühl, sie wollen nur ihren Arsch retten, falls uns die ganze Scheiße um die Ohren fliegt. Was unsere Lage aber noch komplizierter und auch gefährlicher macht, ist, dass die blöde Kuh von Paulsen einen Privatdetektiv engagiert hat.«

In Stichworten beschrieb er den Verlauf der Konferenz. Seine beiden Parteifreunde hörten mit steinernen Mienen zu.

»Feige Bande«, platzte es aus Volker Lehmann heraus, als er den Bericht beendet hatte. Als Wahlkampfleiter hatte er nur den Sieg der Partei bei den Landtagswahlen in drei Monaten im Kopf. Alles, was den Erfolg verhindern könnte, fasste er als persönlichen Angriff auf seine Person auf. Schließlich versprach er sich bei einem Sieg einen lukrativen Ministerposten, und dafür war er bereit, alles zu tun – wenn nötig, auch über die sprichwörtlichen Leichen zu gehen. Mit dieser Auffassung hatte er im Generalsekretär einen Gleichgesinnten gefunden. Den Staatssekretär dagegen hielt er für einen Wackelkandidaten. Machogehabe, solange es nicht die Sicherheit seiner Person und Stellung betraf, doch wenn es kritisch wurde, traute er ihm kein Stehvermögen zu. Der typische moderne Politiker – Opportunist: laut schreien, wenn es keine Konsequenzen hatte, aber wenn das Kind in den Brunnen gefallen war, noch lauter schreien: »Ich habe davon nichts gewusst, ich bin es nicht gewesen, ich hatte immer schon meine Bedenken.« Er, Lehmann, war dagegen gewesen, ihn mit ins Boot zu holen, doch Harnisch meinte, es wäre gut, wenn jemand dabei wäre, der Einfluss auf die Staatsanwaltschaften nehmen konnte. Außerdem hatte er genügend Material, mit dem er Weiden zwingen konnte, bei der Stange zu bleiben. Es war Lehmann jedoch gelungen, den Generalsekretär davon zu überzeugen, dass alle wichtigen Entscheidungen nur unter vier Augen getroffen werden sollten.

»Fluchen hilft uns nicht weiter, Volker«, sagte Harnisch. »Wir müssen überlegen, wie es weitergehen soll.«

»Wie ist denn der augenblickliche Sachstand?«, fragte Lehmann. »Soweit ich Mathias’ Bericht verstanden habe, funktioniert unser Plan, die Staatsanwaltschaft einzubinden, nicht. Ihnen den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, wenn etwas schief läuft, können wir damit vergessen. Sehe ich das richtig, Mathias?«

»Ich denke schon«, antwortete der, »aber ich kann immer noch Druck dahingehend ausüben, dass keine Informationen an die Presse gegeben werden und der Fall auch sonst auf Sparflamme gehalten wird. Der Generalstaatsanwalt als politischer Beamter dürfte am ehesten zu beeinflussen sein. Er weiß, dass wir ihn loswerden können, wenn er nicht gefügig ist.«

»Aber nur, wenn es einen triftigen Grund gibt«, gab Volker Lehman zu bedenken.

»Der Grund sollte uns keine Sorgen bereiten«, sagte der Generalsekretär. »Er hat eine Leiche im Keller, die wir jederzeit ausgraben können. Warum wohl hätte ich unseren Abgeordneten empfohlen, für seine Ernennung zu stimmen?« Dr. Harnisch grinste vielsagend. »Bei mir läuft alles wie geplant. In der Wohnung unserer Verdächtigen wurde Heroin gefunden, damit kann die Staatsanwaltschaft sie in Untersuchungshaft behalten, und wir haben sie unter Kontrolle.«

»Davon stand aber nichts im Untersuchungsbericht«, sagte der Staatssekretär erstaunt.

»Du bist mal wieder nicht auf dem Laufenden, mein lieber Mathias. Du solltest deinen Laden besser in Schuss haben, denn dann wüsstest du, dass in der Wohnung eine erneute Durchsuchung stattgefunden hat, bei der das Rauschgift gefunden wurde«, sagte Harnisch ironisch, während Lehmann verächtlich lächelte.

Der Staatssekretär zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. »Ist das etwa auf eurem Mist gewachsen?«

»Was denkst du denn? Eigentlich hätte dir das einfallen können, aber du bliebst ja passiv, anstatt uns bei der Sache zu helfen. Auch das mit dem Rechtsanwalt musste ich regeln. Jetzt hat sie einen Anwalt, der in Fachkreisen einen guten Ruf genießt, aber den ich unter Kontrolle habe. Er möchte nämlich liebend gern Generalstaatsanwalt werden, und Wulfen geht ja nächstes Jahr in Pension.«

»Wieso weiß ich nichts davon? Hast du es gewusst, Volker?«, fragte Weiden und sah Letzteren argwöhnisch an. Der antwortete mit einem Nicken.

Der Staatssekretär erhob sich wütend. »Wenn das so ist und ihr es nicht für nötig haltet, mich zu informieren, dann bin ich hier wohl überflüssig.« Er drehte sich vehement um, wobei der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, umfiel. Er beachtete es nicht, sondern verließ eiligen Schritts das Büro. Die Tür fiel hinter ihm mit einem Krachen ins Schloss.

»War das klug, ihn so zu verärgern?«, fragte Volker Lehmann.

»Wie wären wir ihn anders losgeworden? Du hast doch selbst gesagt, dass wir besser ohne ihn dran wären.«

»Das schon, aber so drastisch? Er könnte uns in seiner Wut gefährlich werden.«

Dr. Harnisch winkte ab. »Wohl kaum. Erstens will er in der neuen Regierung wieder Staatssekretär oder noch besser Minister werden, und zweitens hat er sich ein paar Dinge in der Vergangenheit geleistet, die, wenn sie bekannt werden, für ihn sehr peinlich werden könnten. Also mach dir keine Sorgen. Er ist ein Angsthase, der sich eher in sein Loch verkriecht, als uns zu schaden. Jetzt kannst du mal sehen, wie vorteilhaft es ist, wenn man seine Wackelkandidaten gut kennt.«

Lehmann sah ihn nachdenklich an. »Hast du etwa auch über mich Material gesammelt?«

Harnisch ging nicht auf die Frage ein, sondern brachte ein anderes Thema aufs Tapet.

Volker Lehmann zeigte nicht, dass er über den Themenwechsel verstimmt war. Er nahm sich jedoch vor, seinerseits eine Akte »Dr. Harnisch« anzulegen. Eigentlich hätte ich das längst tun sollen, dachte er. Die erste Notiz für die Akte wäre die Antwort auf die Frage, die er jetzt zu stellen beabsichtigte.

»Was mir mehr Sorgen macht, als ich vorhin zeigen wollte, ist der Privatdetektiv Jeremias Voss, oder was denkst du?«

Der Parteisekretär winkte ab. »Brauchst du nicht. Ist alles in sicheren Gewässern.«

»Wie meinst du das?«

»Ich habe dafür gesorgt, dass er entschärft wird. Mehr brauchst du darüber nicht zu wissen. Würde dich nur belasten.«

Volker Lehmann nickte. »Du hast recht. Je weniger ich weiß, desto besser. Ich habe sowieso keine Zeit mehr, über das Thema zu diskutieren. Ich muss den Ministerpräsidenten auf den TV-Auftritt vorbereiten. Mach’s gut, Manfred.«

»Du auch, Volker.«

***

Sobald der Wahlkampfmanager sein Büro erreicht hatte, rief er seine persönliche Sekretärin, Vertraute und Geliebte herein.

»Schreib mir bitte eine Aktennotiz. Keine Kopien und keine Hinweise darüber im Computer.«

Sie sah ihn groß an. Als er nichts weiter sagte, verstand sie, was das bedeutete, und nahm den Schreibblock, den sie immer mit sich führte, zur Hand.

»Kann losgehen.«

»Schreib: Streng geheim. Gedächtnisprotokoll über die Besprechung vom – heutiges Datum – im Büro des Parteisekretärs Dr. Harnisch. Teilnehmer: Dr. Harnisch, Volker Lehmann und Mathias Weiden, in Klammern: zeitweise.«

Dank seines guten Gedächtnisses vermochte er, das Gespräch nahezu wörtlich wiederzugeben.

Kapitel 4

Jeremias Voss war später losgefahren, als er ursprünglich geplant hatte. Die Einweisung Veras hatte länger gedauert. Das lag nicht an ihr, sondern daran, dass sie Urlaub gehabt hatte und dadurch nicht auf dem Laufenden war. Bevor er losfuhr, hatte er sie beauftragt herauszufinden, welcher Staatsanwalt den Doppelmord in Bredenbüttel bearbeitete. Er selbst beabsichtigte, auf dem Weg nach Bredenbüttel über Neumünster zu fahren und sich beim Staatsanwalt nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen.

Er platzierte Nero auf dem Rücksitz und schnallte ihn an, etwas, wogegen sich Nero auch nach vier Jahren noch sträubte. Es machte ihm nichts aus, stundenlang in einem engen Raum zu liegen, aber angebunden zu werden, das widerstrebte seinem Freiheitsdrang sehr.

Um den Hauptverkehr zu vermeiden, fuhr Voss zunächst nach Norden Richtung Eppendorf, bog links ab nach Lokstedt und folgte der Bundesstraße 447 nach Stelling, bog dort auf die Bundesstraße 4, um nach wenigen 100 Metern auf die Autobahn A7 nach Norden zu fahren. Er hatte sich gerade in den dichten Verkehr eingefädelt, als sein Handy klingelte. Er drückte auf den Empfangsknopf der Freisprechanlage und meldete sich.

»Hallo, Chef«, sagte Vera, »wo befinden Sie sich gerade?«

»Auf der Autobahn, kurz hinter Stelling.«

»Und? Viel Verkehr?«

»Es geht. Haben Sie etwas herausgefunden?«

»Ja, deshalb rufe ich an. Der zuständige Staatsanwalt heißt Milbach.«

»Danke, Vera, das ging ja schnell. Mit dem hatte ich schon zu tun. Machen Sie es gut. Ich melde mich, sobald ich auf Schloss Breden eingetroffen bin.«

»Halt, Chef, legen Sie nicht auf. Ich habe noch etwas für Sie. Ich dachte, ich erkundige mich auch gleich nach dem Kriminalbeamten, der die Ermittlungen durchführt. Er heißt Strüver, ist Kriminalhauptkommissar und Leiter der Abteilung für Tötungsdelikte bei der Polizei in Neumünster.«

»Super, Vera, wie immer haben Sie mitgedacht. Was würde ich nur ohne Sie tun?«

»Das, Chef, weiß ich auch nicht.«

Voss lachte und drückte auf die Aus-Taste. Der leicht ironische, scherzhafte Ton war typisch für Vera. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass er ihn nicht mehr missen wollte.

Mit der Adresse der Staatsanwaltschaft im Navi gelangte er zügig ans Ziel. Ein Problem bereitete ihm allerdings die Parkplatzsuche. Er fuhr die angrenzenden Straßen ab und fand schließlich einen Platz, in den er seinen SUV hineindrücken konnte. Aber es ging nur schräg, so dass die Rückfront etwas auf die Fahrbahn hinausragte. In der Hoffnung, dass ihn keine übereifrige Politesse aufschreiben würde, ließ er den Wagen so stehen. Als Nächstes schnallte er Nero los, der seine Freiheit dazu nutzte, sich zwischen den Vordersitzen hindurchzuquetschen und es sich auf dem Fahrersitz bequem zu machen. Voss gab ihm den Befehl »Pass auf« und ging dann zur angegebenen Adresse zurück. Er hatte den Wagen nicht abgeschlossen. Mit Nero im Auto würde es niemand wagen, eine Tür zu öffnen.

Er betrat das Gebäude und sagte zum Pförtner: »Ich möchte zu Staatsanwalt Milbach.«

»Worum geht es?«

»Um den Doppelmord in Bredenbüttel. Wären Sie so freundlich zu fragen, ob er mich empfangen kann?«

»Wen darf ich melden?«

Voss war über die Freundlichkeit, mit der er behandelt wurde, erstaunt. Er gab dem Beamten seine Visitenkarte. Der las sie, und als er sah, dass der Besucher ein Privatermittler war, verschwand die Freundlichkeit aus dem Gesicht. Er griff zum Telefon und sagte: »Hier ist ein Privatdetektiv, der Staatsanwalt Milbach sprechen möchte.«

Er hörte einige Augenblicke zu, dann legte er den Hörer auf. »Der Staatsanwalt ist zurzeit nicht zu sprechen. Er ist in einer Konferenz.«

Da er offenbar die Unterhaltung für beendet hielt, wandte er sich wieder den Papieren zu, die vor ihm auf dem Tresen lagen.

Voss wollte sich nicht abspeisen lassen und setzte schon zu einer Erwiderung an, als er es sich anders überlegte und grußlos ging.

Zurück bei seinem SUV, jagte er Nero auf den Rücksitz und schnallte ihn trotz seines Protests an. Sein nächstes Ziel war die Kriminalpolizei. Die Adresse gab er ins Navi ein.

Im Kriminalamt erging es ihm nicht anders als bei der Staatsanwaltschaft. »Kriminalhauptkommissar Strüver hat das Haus verlassen«, teilte ihm der Beamte am Empfang mit.

***

Der Doppelmord von Bredenbüttel zeigte nach Ansicht von Dr. Breuer, dem Chef der Staatsanwaltschaft, eine Entwicklung, bei der normale Polizeiarbeit versagen musste. Wie groß die politische Dimension dieses Falls war, hatte die Konferenz beim Generalstaatsanwalt deutlich gemacht. Aus Erfahrung wusste er, dass überall dort, wo sich die Politik in rechtsstaatliche Abläufe einmischte, die Gefahr eines Skandals groß war. Um Schaden von sich und seiner Behörde abzuwenden, hatte er beschlossen, sich stärker als sonst üblich in den Fall einzubringen. Staatsanwalt Milbach war zu jung, um die politischen Fallgruben zu erkennen, und Kriminalhauptkommissar Strüver war ein guter Ermittler, besaß aber keinerlei Gespür für politische Sachzwänge.

Der Staatsanwalt und der Kriminalpolizist saßen im Dienstzimmer des Leitenden Oberstaatsanwalts bei einer Tasse Kaffee. Dr. Breuer hatte zu Beginn der Besprechung darauf hingewiesen, dass bei den Ermittlungen nach den Buchstaben des Gesetzes vorgegangen werden müsste. Die täglichen Berichte waren noch penibler als gewöhnlich zu erstellen. Jede Maßnahme war zwischen den Beteiligten vorab abzustimmen. Bei Unklarheiten war er einzuschalten. Nach den mahnenden Worten wollte er wissen, wie es hatte passieren können, dass das Rauschgift nicht bei der ersten Durchsuchung der Wohnung der Verdächtigen gefunden worden war.

Kriminalhauptkommissar Strüver wollte antworten, doch Staatsanwalt Milbach kam ihm zuvor.

»Wir erhielten einen anonymen Hinweis, dass die Tatverdächtige mit Drogen handelt, nicht in großem Stil, eher als Kleindealer, aber immerhin.«

»Und? Wurden Drogen gefunden?«

»Ja. Zehn Päckchen mit Heroin und eine Schachtel mit 100 Tabletten Ecstasy.«

»Wurde die Wohnung beim ersten Mal nicht gründlich durchsucht?« Breuer richtete die Frage direkt an Strüver.

»Sie wurde gründlich untersucht«, antwortete der bestimmt.

»Wieso wurden die Drogen dabei nicht gefunden?«

»Die Wohnung wurde von uns nicht nach Drogen untersucht, sondern nach Hinweisen auf das Motiv für den Mord. Bei dieser Untersuchung hätten wir die Drogen nur durch Zufall entdecken können, denn sie steckten in der Schaumstofffüllung eines Sofakissens. Die viereckige Füllung war so präpariert worden, dass sich Drogen in einem Hohlraum verstauen ließen. Sie wurden auch bei der zweiten Untersuchung nur gefunden, weil ein Drogenspürhund eingesetzt wurde.«

Staatsanwalt Milbach fügte hinzu: »Wir haben uns natürlich gefragt, ob jemand die Drogen nachträglich dort platziert haben könnte, um die Tatverdächtige zusätzlich zu belasten. Wir sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall gewesen sein kann, da das Polizeisiegel unbeschädigt war. Durch die Fenster konnte niemand eindringen, denn die Wohnung liegt im fünften Stock eines zehnstöckigen Hochhauses.«

Dr. Breuer nickte. »Wo befindet sich die Tatverdächtige jetzt?«, fragte er nach einigen Augenblicken des Nachdenkens.

Wieder war es Milbach, der antwortete. »Weiterhin in Untersuchungshaft.«

»Gut, meine Herren, dann wäre es das für heute. Denken Sie an meine Eingangsworte. Es werden keine Auskünfte über den Fall erteilt. Weder an die Presse noch an einen Privatdetektiv namens Jeremias Voss. Wenn sich jemand damit nicht zufriedengibt, verweisen Sie ihn an mein Büro.« Er erhob sich zum Zeichen, dass die Besprechung beendet war.