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Der Glaube an Gott, Marias Erscheinung, wundersame Zeichen, Sagen und Legenden aus der Bibel - ist das alles wahr, oder nur eine Marketing-Idee? Was sagt die Wissenschaft dazu? Die Legenden der Bibel und deren Mythen werden heute wie mehr denn je bemüht. Die Kirche muss ihren Ruf wieder aufpolieren. Missbrauch von Minderjährigen, von Ordensschwestern und Messdienern haben das Image angekratzt und für massenhafte Kirchenaustritte gesorgt. Die römisch-katholische Kirche beruft sich traditionell auf die Gründung durch Jesus Christus selbst, insbesondere auf das sogenannte "Felsenwort" an den Apostel Petrus. Ob historisch tatsächlich von einem eigentlichen Kirchengründungsakt Jesu Christi ausgegangen werden kann, ist auch unter römisch-katholischen Theologen umstritten. Meist wird in heutiger Ekklesiologie ein Zusammenwirken von vorösterlichen Wurzeln (Jesu endzeitliche Sammlung des Gottesvolkes), einem österlichen Impuls (Kirche als Gemeinschaft derer, die dem auferstandenen Jesus Christus nachfolgen) und pfingstlicher Geistgabe (Kirche als Gemeinschaft, in der der Heilige Geist gegenwärtig ist) als Ursprung der Kirche angesehen. Und wie ist das mit den Legenden?
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Seitenzahl: 292
Walter Brendel
Die Mythen der Bibel
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Inhalt
Impressum
Einleitung
In göttlicher Mission
Wenn die Mutter Gottes zu den Menschen spricht
Das Rätsel um die Wundmale Christi
Die Bibel anhand des Alten Testaments
Das Rätsel um die Bundeslade
Babylon
Der Garten Eden
Die Sintflut
Sodom und Gomorrha
Der Auszug aus Ägypten
Die Schlacht von Jericho
David gegen Goliath
Quellen
Der Glaube an Gott, Marias Erscheinung, wundersame Zeichen, Sagen und Legenden aus der Bibel - ist das alles wahr, oder nur eine Marketing-Idee? Was sagt die Wissenschaft dazu?
Die Legenden der Bibel und deren Mythen werden heute wie mehr denn je bemüht. Die Kirche muss ihren Ruf wieder aufpolieren. Missbrauch von Minderjährigen, von Ordensschwestern und Messdienern haben das Image angekratzt und für massenhafte Kirchenaustritte gesorgt.
Die römisch-katholische Kirche beruft sich traditionell auf die Gründung durch Jesus Christus selbst, insbesondere auf das sogenannte „Felsenwort“ an den Apostel Petrus (Mt 16,18–19 EU). Ob historisch tatsächlich von einem eigentlichen Kirchengründungsakt Jesu Christi ausgegangen werden kann, ist auch unter römisch-katholischen Theologen umstritten. Meist wird in heutiger Ekklesiologie ein Zusammenwirken von vorösterlichen Wurzeln (Jesu endzeitliche Sammlung des Gottesvolkes), einem österlichen Impuls (Kirche als Gemeinschaft derer, die dem auferstandenen Jesus Christus nachfolgen) und pfingstlicher Geistgabe (Kirche als Gemeinschaft, in der der Heilige Geist gegenwärtig ist) als Ursprung der Kirche angesehen.
Um die Jahre 30 bis 33 geht man daher von der Entstehung der ersten Gemeinden, also der Urkirche, aus. Die römisch-katholische Kirche betrachtet sich mit dieser Urkirche in ununterbrochener Kontinuität stehend und nimmt auch die direkte Gründung durch Jesus Christus in Anspruch. Sie sieht diesen Zusammenhang institutionell, insofern die christliche Gemeinde von Rom traditionell als Gründung des Apostels Petrus angesehen wird und der Papst als Bischof von Rom direkter Nachfolger Petri ist.
Das Selbstverständnis als mit der Urkirche in ununterbrochener Tradition stehend ist keine römisch-katholische Besonderheit, auch andere christliche Konfessionen berufen sich auf diese Tradition. Inwiefern dieses Selbstverständnis berechtigt ist oder nicht, war lange Zeit Gegenstand polemischer Kontroversen unter den Konfessionen und ist heute ein wesentlicher Punkt des ökumenischen Dialogs.
Die Menschen der Antike liebten Fantasiegeschichten. Über Götter und Fabelwesen, über Ungeheuer und Kugelmenschen. In der Bibel geht es etwas anders zu. Mutter Gaia (Erde) hat es so gewollt. Sie reicht ihrem Sohn Kronos die Sichel. Der wartet, bis sich Vater Uranos (Himmel) bei seinem nächsten Liebesakt über die Gaia ausbreitet. Dann schwingt Kronos das scharfe Eisen und trennt Uranos' Penis ab. Im hohen Bogen fällt er zu Boden. Blut fließt auf die Erde. Ihm entsteigen die Erinnyen, die Rachegöttinnen.
Unmöglich, ohne jeden erzieherischen Wert fand der Philosoph Platon diese Erzählung! Der Mythos von Kronos wird sogar noch wüster. Später vergewaltigt er seine Schwester Rheia. Sie gebiert Kinder und setzt sie ihm auf die Knie. Doch er frisst sie alle auf. Ihr nächstes Kind, Zeus, versteckt Rheia auf Kreta und gibt Kronos stattdessen einen in Windeln gewickelten Stein zum Fraß. Zeus wächst heran, und schließlich besiegt er Kronos, der erst den Stein und dann die übrigen Kinder wieder ausspeien muss.
Erzählungen (griechisch: Mythen) wie diese dürften Unverständige und Kinder eigentlich gar nicht hören, lässt Platon seinen Lieblingsdenker Sokrates sagen. Wer genötigt werde, sie doch zu erzählen, dürfe nur wenige Zuhörer zulassen! Sie müssten Verschwiegenheit versprechen! Und geopfert haben, "und zwar nicht bloß ein Schwein, sondern ein großes und schwer zu erschwingendes Opfer - damit es möglichst wenige zu hören bekämen".
Dennoch nahmen Juden und Christen Platons Mythenkritik begeistert auf. Kein Wunder: Göttersagen wie die der alten Griechen gibt es in der Bibel nicht. Fabelwesen wie das Meeresungeheuer Leviathan und der Urdrache Rahab treten nur am Rande auf. Engel in Gestalt überirdischer Wesen kommen (abgesehen von den Legenden um Jesu Geburt) eher selten vor. Richtig fantastisch wird es erst in den Visionen der Propheten und apokalyptischen Seher. So sind eben Visionen.
Mythos heißt übersetzt Erzählung. Mythen sind Science-Fiction der Antike. Sie geben Einblicke in menschliche Abgründe. Sie erzählen von dem zu sinnlosem Tun verdammten Sisyphus und vom unausweichlichen Schicksal des Ödipus, der den Vater töten und die Mutter heiraten muss. Sie sind Konzentrate menschlicher Grenzerfahrungen - an keine historische Zeit gebundene, erdachte Geschichten.
In diesem Sinne sind die biblischen Erzählungen keine Mythen. Denn sie beanspruchen, erlebte Geschichte zu erzählen. Nicht wie Historiker sie heute erforschen: objektiv und auf nachprüfbare Fakten gestützt. Die biblischen Erzähler ergreifen Partei, sie belehren und bewerten, manche berichten von großen Verheißungen. Und was sie berichten, ist oft so von Legenden überwuchert, dass der historische Anlass kaum noch zu erkennen ist.
Mose führt ein riesiges Volk aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit und hält dabei einen Pharao mit seinem ganzen Heer zum Narren. Natürlich ist die Schilderung maßlos übertrieben, nichts davon findet sich in den ägyptischen Annalen wieder. Dennoch hatte sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Ursprung in einer realen Begebenheit - als Gesetzlose und Sklaven dem Machtbereich des Pharaonenreiches entkamen.
Vvon einer traditionellen Bedeutung als Erzählung von Göttern, Heroen und anderen Gestalten und Geschehnissen aus vorgeschichtlicher Zeit bis hin zu Mythos als Berühmtheit, Objekt der Verehrung und Bewunderung, Ideal, Wunschbild, unzutreffendes, verklärendes Bild, Leitbild, politischer Glaube, Ideologie usw.. Mythos gehört − auch in der Bibelwissenschaft − noch immer zu den „slippery words“ Ziel bibelwissenschaftlicher Mythosforschung ist ein der Sprachwelt, der literarischen Art und Struktur, dem Inhalt und der Funktion biblischer Texte gemäßes Verstehen dessen, was in einem heutigen Verstehenshorizont − nicht schon im Sinne der primären Verfasser, ihrer Lebens- und Denkwelt bzw. ihrer Traditionen − als „mythische“ Phänomene und Dimensionen in biblischen Texten bezeichnet werden kann.
Doch lesen Sie selbst:
3000 Jahre Weltgeschichte zwischen Glaube, Mysterien, Liebe, Hoffnung, und Wissenschaft – Religion soll seit jeher eines: Halt geben. Woran sich der Mensch bindet, kann unterschiedlicher Natur sein; die Palette reicht von Götter- und Gottesvorstellungen über politische Weltbilder und zwischenmenschliche Beziehungen bis zum Kult und Materielles. Gibt es überhaupt jemanden, der an gar nichts glaubt? Ohne diesen Nihilismus gleich wieder zur Religion zu erheben? Das mag sich alles recht philosophisch anhören, daher ist es uns ein Anliegen, die Welt des Übernatürlichen greifbar zu machen: 3000 Jahre Geschichte ziehen in diesen Buch an uns vorüber, eine spannende Gratwanderung zwischen Theologie, Naturwissenschaft und übersinnlichen Phänomenen, ohne die keine Religion auszukommen scheint. Propheten, Wunder und Dämonen – wo kein Licht, da keine Dunkelheit. Wir pilgern nach Lourdes und durch das Alte Testament, wir zeigen was hinter Marienkult und der blutigen Stigmata an Fragwürdigen steckt. Aufschlussreiche Informationen in Zeiten, in den die Suche nach Gott boomt.
Begleiten Sie uns, verehrte Leserinnen und Leser auf diesem Weg. Lernen Sie die Legenden kennen und die Meinung der Wissenschaft. Wir wollen die Welt des Wissens um neue, faszinierende Perspektiven erläutern.
Der Begriff „Gott“ kommt aus dem althochdeutschen Begriff „ got: anrufen“, höchstes Wesen. Im Monotheismus ist Gott der Schöpfer der Welt, dem die Attribute Unendlichkeit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit, Güte, Wissen (Allwissenheit) und Macht (Omnipotenz) zugeschrieben werden (Schöpfung). In vielen Religionen werden Gott menschliche Gefühle und Charaktereigenschaften zugesprochen wie Willen, Liebe, Zorn und Vergebung (Anthropomorphismus).
Der französische Philosoph, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal (1623-1662) vertrat die Ansicht, dass der Mensch nur mit Hilfe der intuitiven Logik des Herzens (Logique du coeur) dazu in der Lage sei, Gott zu erfassen.
Blaise Pascal stellte den „Gott der Philosophen” als bloße abstrakte Idee dem „Gott des Glaubens” als einer erfahrbaren, lebendigen Realität gegenüber. Nikolaus von Kues war der Überzeugung, dass Gott nur durch mystische Vereinigung erfasst werden könnte und betonte das „Zusammenfallen der Gegensätze” in Gott.
Søren Kierkegaard verstand Gott als „Paradoxon”. Der Theologe Paul Tillich bezeichnete Gott als „Seinsgrund” und als „das, was uns unmittelbar angeht”. Gott wird einerseits als transzendent (übersinnlich) betrachtet, wobei sein Anderssein, seine Unabhängigkeit von der Weltordnung und seine Macht über die Weltordnung betont werden. Andererseits wird er als immanent angesehen, d. h. er ist in der Welt gegenwärtig und greift in das Weltgeschehen ein (siehe Theismus, Deismus). Während die monotheistischen Religionen Gott als den Einen verehren, als das höchste Wesen, das alle Dinge umfasst, geht der Polytheismus von einer Vielzahl verschiedener Götter aus.
Das Judentum, das Christentum und der Islam, die auf die Tradition des Alten Testaments zurückgehen, glauben an den einen personalen und transzendenten Gott.
Michelangelo: Die Erschaffung Adams Michelangelo malte seine Erschaffung Adams 1510. Sie ist Teil seiner Ausschmückung der Sixtinischen Kapelle
Im Alten Testament ist die Welt nicht die Emanation Gottes, sondern das Produkt seines Willens. Da Gott nicht erfasst werden kann, ist es verboten, sich ein gegenständliches Bild von ihm zu machen. Obwohl Gott nicht der Welt angehört, trägt er menschliche Züge: Er macht Versprechungen und spricht Drohungen aus, er empfindet Zorn und sogar Eifersucht. Als seine wesentlichen Merkmale werden jedoch Gerechtigkeit, Gnade, Wahrheit und Beständigkeit angesehen, wobei er metaphorisch als König, Richter und Hirte bezeichnet wird. Darüber hinaus ist Jahwe ein lebendiger Gott, dessen Einzigartigkeit in dem Gebot „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!” zum Ausdruck kommt.
Der Gott, zu dem Jesus betete, war der Gott des Alten Testaments. Während seines Lebens wurde Jesus vermutlich als heiliger Mann angesehen, aber bereits im 1. Jahrhundert erhoben ihn die Christen in die göttliche Sphäre. Da dies zu Spannungen mit der jüdischen monotheistischen Tradition führte, entstand die Lehre vom dreieinigen Gott, der Trinität. Der Gott des Alten Testaments wurde für die Christen der Vater, während Jesus selbst, der Christus, als der fleischgewordene Sohn bzw. als das fleischgewordene Wort (Logos) gesehen wurde, als die Manifestation Gottes innerhalb der endlichen Ordnung. Der Heilige Geist, der seinen Ursprung nach der westlichen Kirche in Vater und Sohn hat, für die Ostkirche jedoch nur im Vater (siehe Filioque), ist die immanente Präsenz und Tätigkeit Gottes in der Schöpfung. Die christliche Theologie spricht zwar von den drei „Personen” der Dreieinigkeit, bezeichnet damit jedoch die drei Seinsarten des einen Gottes.
Von den drei auf dem Alten Testament basierenden Religionen ist der Monotheismus im Islam am stärksten ausgeprägt. Wie den Juden so ist es auch den Muslimen verboten, Gott in irgendeiner Form abzubilden. Die zentrale Aussage des Islam lautet: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.” Allah besitzt sieben elementare Attribute: Leben, Wissen, Macht, Wille, Gehörsinn, Gesichtssinn und Sprache, wobei die letzten drei nicht in anthropomorphem Sinne zu verstehen sind.
Sein Wille ist absolut, und alles, was geschieht, ist durch ihn vorherbestimmt. „Im Anfang war das Wort“, heißt es im Johannesevangelium, „und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Der Glaube ist so alt wie Sprache und Verstand. Ist Religion also ein angeborenes Streben nach Erkenntnis?
Bei den alten Griechen war alles noch übersichtlich: Im Himmel saßen Götter mit menschlichen Eigenschaften, die zur Jagd und manchmal mit verheirateten Damen fremd gingen, die sich liebten und hasten, von schönen, manchmal auch hässlichem Aussehen waren. Die Unsterblichen wohnten dem Olymp, dem höchsten Berg Griechenlands, waren verantwortlich für Böses und Gutes, das sich auf der Erde ereignete, für Blitz und Donner, aber auch für fruchtbaren Boden. Und die Sterblichen auf der Erde konnten sich in ihnen wiedererkennen.
Heule kümmert sich auf unserem Planeten ein einziger Gott um mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung - seien es Christen, Moslems oder Juden. Dieser „Gott“ (Christentum), „Allah“ (Islam) oder „Jahwe“ (Judentum) ist allwissend, weise und gütig, kann aber auch zornig werden, wenn der Mensch noch andere Gottheiten verehrt oder seine Gebote missachtet. Er ist ein „eifersüchtiger Gott“, wie er von sich im Zweiten Gebot sagt. Er hat die Welt erschaffen, die Natur, die Tiere und den Menschen.
Doch dieser Gott ist unsichtbar, er hat keine Gestalt und keinen Wohnsitz. Ob er, wie der griechische Göttervater Zeus, Sturmfluten und Sonnenschein erzeugt. Glück und Elend über die Menschen bringt, weiß man nicht so recht. Man muss dennoch an ihn glauben, denn Gott existiert in den Köpfen vieler Gläubiger.
Göttervater: Auf dem Gemälde "Jupiter und Thetis“ (1811, von Jean-Auguste-Dominique Ingres) bittet die Meeresnymphe Thetis den obersten Gott um Waffen für ihren Sohn Achilles - der sterbliche Halbgott spielt in der griechischen Mythologie eine entscheidende Rolle im Trojanischen Krieg. Nach der Eroberung Griechenlands durch die Römer übernahmen diese viele Elemente der antiken hellenischen Kultur - so betrachtete man den römischen Jupiter als identisch mit dem griechischen Zeus
Seit der Mensch existiert, beschäftigen ihn diese grundlegenden Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich, gibt es ein Paradies, gibt es eine Hölle? Was geschieht nach dem Tod? Gibt es ein Weilerleben danach? Hat der Mensch eine Seele? Diese Fragen verunsichern und ängstigen. Der Mensch sucht deshalb nach einem Halt, nach jemandem, der ihm Erklärungen bietet. Hier setzt die Religion an - ob christlich, jüdisch, islamisch, hinduistisch, buddhistisch oder konfuzianisch.
Generationen von Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen haben sich mit diesem Thema beschäftigt. Seit Charles Darwin (1809 - 1882) seine Evolutionstheorie aufstellte, scheint zumindest die Herkunft des Menschen geklärt: Er ist ein naher Verwandter des Affen. Der Religionswissenschaftler Peter Antes zieht ein Resümee:
Gottvater: Dem Alten Testament zufolge gibt es nur noch einen Gott, der die Welt und die Menschen wie ein Handwerker nach seinem Bilde schuf und diesen dann Leben einhauchte. Das Bild zeigt „Die Erschaffung Adams“ (1511/12) von Michelangelo Buonarroti - Ausschnitt aus einem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan
„Die Wissenschaft hat den Menschen vom Gefühl der Angst und des Ausgeliefertseins befreit, und der Glaube an etwas Höheres scheint für viele in Mitteleuropa erloschen zu sein (...}. Religion und die Hinwendung zu Gott beschränken sich somit (...) auf Grenzsituationen des menschlichen Daseins, auf Situationen von unheilbarer Krankheit. Todesnähe oder Tod sowie auf Naturkatastrophen, schwere Unfälle oder Verbrechen, die den Menschen die Sprache verschlagen. In solchen Fällen bieten oft Religionen ihre Dienste an.“
Mittlerweile haben sich auch Hirnforscher der Sache angenommen: Vielleicht kann man ja eine biologische Erklärung für das Phänomen „Glauben“ finden. Der gebürtige Inder und Neurologe Vilayanur Ramachandran, der an der University of California lehrt, ist sicher, ein „Gottesmodul“ im menschlichen Gehirn gefunden zu haben. Beim Meditieren, das scheint erwiesen, werden bestimmte Bereiche der Schläfenlappen im Gehirn stärker als üblich aktiviert. Das Überraschende: Die Wissenschaftler stellten diese Hyperaktivität sowohl bei buddhistischen Mönchen als auch bei katholischen Nonnen fest, wenn sie meditierten oder beteten.
Ramachandran hat auch herausgefunden, dass in Momenten der Meditation oder des intensiven Betens die Gehirnfunktionen jenen ähneln, die ein Epileptiker bei einem Anfall hat. Viele derart Erkrankte sprechen von “Visionen“ die sie „gesehen“ und empfunden haben. Dies wäre auch eine Erklärung dafür, warum manchen Gläubigen die Muttergottes erschienen ist oder Heilige zu ihnen gesprochen haben. Und wenn jemand „im Gebet versunken“ ist so befindet er sich wohl in einem tranceähnlichen Zustand.
Martin Urban legt die Erkenntnisse der Forscher so aus: „Unser Weltbild hat also sehr viel mit den natürlichen Funktionen unseres Gehirns .zu tun. Denn im Menschen ist beides angelegt, sowohl das Bedürfnis zu beobachten als auch das Bedürfnis zu interpretieren. Beides gilt sowohl für den Blick nach außen wie für den nach innen. Der Mensch will die Welt verstehen und sich selbst (...). Er sucht also Antworten auf die Frage nach dem Warum und damit nach dem Sinn seines Lebens.“
Lebenslust: In einem fantastischen Götterhimmel schwelgen die „obersten Zehntausend“ bei reichlich Speis und Trank in ihrem antiken Paradies. So stellte sich zumindest der Maler Giulio Romano um 1532 das "Bankett der Götter“ vor (Fresko im Palazzo del Te in Mantua). Für die alten Griechen hatten die Unsterblichen oft sehr menschliche Eigenschaften; sie konnten so zornig, eifersüchtig, missgünstig, aber auch liebend und mildtätig sein wie ihre sterblichen Spiegelbilder auf Erden. Die Götter wohnten auf dem Olymp und waren für Glück und Unglück der Menschen verantwortlich
Während bei Ägyptern, Griechen und Römern noch viele Götter für alles zuständig waren, was an guten wie schlechten Dingen passierte, ist es erstmals bei der Religion der Israeliten und später der Juden nur ein Gott. Diese Glaubensausrichtung geht auch auf das Christentum und den Islam über. Neu ist die „Erfindung“ der Israeliten allerdings nicht: In ihrer Religion finden sich Elemente, die wohl aus Ägypten und Persien stammen. Unter Pharao Echnaton (1353 - 1336 v.Chr.) entstand zum Beispiel am Nil ein kurzlebiger Ein-Licht-Gott-Kult, und in Persien predigte Zarathusura (um 630 – 553 v. Chr.) eine stark monotheistisch geprägte Religion. Diese Ein-Goll-Religion mache das Glauben noch schwieriger, ja komplizierter. Der „Herr“, der nicht fassbar ist, macht Dinge, die gut, aber oft auch böse sind. Da er der einzige Gott ist, gibt es außer den Christen nur noch Heiden: der Islam unterscheidet zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Noch heute meinen viele Christen, die Nicht-Christen bekehren zu müssen - wobei oft die indigene Kultur der „Heiden“ auf der Strecke bleibt.
Manchmal, so scheint es, kann man an Gott verzweifeln oder ihn in Frage stellen. Denn er verlangt viel von seinen Gläubigen. "Der Priester“, schrieb der Atheist und Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 - 1900), „herrscht durch die Erfindung der Sünde.“
Dazu hat der Gott der katholischen Kirche ein Sündenregister parat:
Es gibt schwere Vergehen (Todsünde) und leichtere (lässliche Sünde). Bei den Ersteren droht dem Verstorbenen die Hölle, wo man, so die Vorstellung im Mittelalter, unsäglichen Qualen ausgesetzt ist. Die "lässlichen Sünden“ muss der Katholik im „Fegefeuer“ büßen. Ähnliches kennt auch der Protestantismus. Alle Sünden können aber schon im irdischen Leben vergeben werden - heute geschieht das durch die Beichte beim Geistlichen. Doch das war nicht immer so: Den Erlass der Sündenstrafen konnte der Sündige lange Zeit auch durch die Zahlung von Geld erlangen. Der besonders in der Renaissancezeit ausgeprägte Ablasshandel (zur Finanzierung des Neubaus der Peterskirche in Rom) führte letztlich zur Reformation.
Das Sündenverständnis hat auch mit Sexualität zu tun, glauben die Wissenschaftler herausgefunden zu haben. Dazu Martin Urban: „Das Christentum hat wie das Judentum (...) und der Islam die orientalisch-patriarchalische Gesellschaftsstruktur übernommen, und dies, obwohl es in der christlichen Urgemeinde zunächst anders aussah und Jesus selbst die Vorurteile seiner Zeit gegen Frauen nicht hegte. Das Herrschaftsinstrument „Sünde“, mit dem die Gläubigen in Angst gehalten werden sollen, wird deshalb in den monotheistischen Religionen bis heute vorzugsweise von Männern und auf die Sexualität bezogen definiert.“
Festzustellen bleibt, dass die katholische Kirche ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität hat. Da gibt es einmal die Lehre von Maria, die als Jungfrau ihren Sohn empfangen und geboren hat. Das muss man als Katholik glauben, ob einem das als absurd erscheint oder nicht. 1854 legte dies Papst Pius IX. in einem Dogma fest. Dogmen sind in der katholischen Kirche unumstößliche Glaubensgrundsätze. 1870 beschloss derselbe Papst in einem weiteren Dogma die Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er in höchster Lehrgewalt spricht und entscheidet.
Christophorus mit dem Jesuskind auf der Schulter ist der Schutzheilige der Reisenden (Mitteltafel eines Triptychons von Hans Memling, 1484). Die Heiligenverehrung ist im Volk beliebt
Und dann gibt es noch die Heiligen, die Mittler und Fürsprecher hei Gott sein sollen. Der Islam kennt Märtyrer, denen die Aufnahme in das Paradies garantiert ist. In der katholischen Religion gibt es lausende von Märtyrern, Heiligen und Seligen, sie alle hüben entweder Wunder vollbracht oder sich für ihren Glauben geopfert. Viele von ihnen sind für irdische Probleme zuständig: Christophorus beschützt die Reisenden und die Autofahrer, Florian soll Brandkatastrophen verhindern. Hubertus ist der Heilige der Jäger, und Nepomuk kümmert sich um die Brücken. Papst Johannes Paul II.
der medienbewusste Prediger aus Polen, hat allein in seiner Amtszeit 482 irdische Frauen und Männer zu Heiligen erhoben - so viele wie noch kein Pontifex vor ihm.
Wer einmal im bayerischen Wallfahrtsort Altötting gewesen ist und dort all die weggeworfenen Krücken, Prothesen und Votivtafeln bestaunt hat - auf Letzteren wird oft in einfacher, fast kindlicher Sprache beschrieben, wie sieh das „Wunder" der Heilung ereignete, kommt unweigerlich ins Grübeln. Warum lässt Gott Nebengeschäfte zu, bei denen geweihtes Wasser, Amulette und Muttergottesfiguren an die Gläubigen verkauft werden und für einen guten Umsatz ähnlich dem Ablasshandel sorgen? Warum hat er seinen Sohn Jesus nicht erneut zum Ausmisten dieses Tempels geschickt?
Reliquien werden verehrt, Bruchstücke von Knochen oft, Fetzen von Tüchern, Teile von Holzkreuzen, an denen Märtyrer starben - gibt es also neben dem christlichen Gott noch andere Personen und Dinge, die man verehren kann? Götzen etwa im Sinne der Bibel?
Jungfrau Maria, der Heilige Geist, das Paradies, die Hölle, die Sünden, die Auferstehung, Heilige - der gläubige Katholik scheint viel Geisteskraft und Fantasie zu benötigen, um all das auf einen (irdischen) Nenner zu bringen. Glauben, ohne etwas beweisen zu können, ist das Grundprinzip der Ein-Gott-Religionen. Das ist wie mit dem „Urknall“, der das Universum, so erklären es uns die Astrophysiker, hat entgehen lassen. Viele glauben daran, ohne die Zusammenhange überhaupt verstehen zu können. Warum soll man also nicht auch glauben, dass ein Gott in sieben Tagen unsere Erde geschaffen hat?
Der protestantische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, er wurde noch kurz vor Kriegsende am 9 April 1945 im KZ Flossenburg von den Nazis ermordet, schrieb in einem Brief aus dem Gefängnis: „Die Religiösen sprechen von Gott, wenn menschliche Erkenntnis (manchmal schon aus Denkfaulheit) zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen - es ist eigentlich immer der Deus ex machina, den sie aufmarschieren lassen, entweder zur Scheinlösung unlösbarer Probleme oder als Kraft bei menschliche tu Versagen ...“
Gott also als Problemlöser für alles. Sollten Sie aber einmal mit der Problemlösung von Gott nicht einverstanden sein und wollen ihn verklagen, dann denken Sie daran, dass er keine ladefähige Anschrift besitzt.
Maria kann theoretisch jeden erscheinen – ob Aposteln, Ordensfrauen oder Teenagern. Doch nicht nur die Menschen, auch die Orte an denen sie den Sterblichen Botschaften übermittelt, verändern sich. Wir stellen ein Wunder auf den Prüfstand, an das noch heute viele Christen glauben wollen.
Maria fährt zum Himmel. Gemälde von Mateo Cerezo (1626 -1666)
Medjugorje, 26. Juni 1981. Heiß ist es in Jugoslawien. Seit zwei Tagen soll hier an einem Berg einigen Jugendlichen die Jungfrau Maria erscheinen. Das zieht viele Dorfbewohner an. Sie sei gekommen, um die ganze Welt zu bekehren und zu versöhnen, soll die Gottesmutter zu der 15-jährigen Ivanka sagen. Die Menge, die das Wunder weder sieht noch hört, fordert ein Zeichen. Das lehnt die Jungfrau mit den Worten „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ ab. Am Ende fügt sie noch hinzu:
„Macht Frieden mit Gott, macht Frieden untereinander. Dazu müsst ihr glauben, beten, fasten und beichten.“
Was ist hier passiert? Erscheint Maria tatsächlich noch 2000 Jahre nach ihrem irdischen Leben? Wem und warum? Welche Botschaft bringt sie? Was sagen Skeptiker zu solchen mysteriösen Vorgängen. die jährlich Millionen Menschen an Orte wie Lourdes, Fatima oder Medjugorje pilgern lassen? Und wer war eigentlich Maria? Über ihre Vorgeschichte berichtet die Bibel nichts, dafür liefert das Protoevangelium des Jakobus aus dem 2. Jahrhundert eine Legende:
Marias Eltern Anna und Joachim waren lange kinderlos, was in jener Zeit als „Fluch“ angesehen wurde. Deshalb wies der Hohepriester Joachims Altaropfer zurück. Schließlich verkündete ein Engel dem Paar doch noch Nachkommen. Maria wurde geboren. Im Neuen Testament erfahren wir, dass Maria, als sie schon mit Josef verlobt war, der Engel Gabriel erschien. Er sagte: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir.“ Sie erschrak, doch der Engel sprach weiter: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade vor Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, den sollst du Jesus nennen. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David (Bezug auf die Offenbarung des Johannes 22,16; Jesus sagt hier: >Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids<) geben, und er wird über das Haus Jakob (das Volk Israel; d. A.) ewig König sein und sein Reich kein Ende haben.“
Maria fragte, wie das geschehen solle. „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten: darum wird auch das Kind heilig genannt werden und Gottes Sohn“, erklärte der Engel (Lukas 1, 26-38). Maria brachte Jesus in einem Stall in Betlehem zur Welt, danach spielte sie keine große Rolle mehr. Am Ende, kurz vor der Kreuzigung, entdeckte Jesus seine Mutter „und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte“. Er sprach noch einmal kurz mit Maria, auf Johannes weisend: „Siehe, dies ist dein Sohn.“ Danach sagte er zu dem Jünger: „Siehe, das ist deine Mutter.“ Und von der Stunde nahm sie der Jünger zu sich (Johannes 19,25- 27). Der Überlieferung nach ging Maria mit Johannes nach Ephesus, heute ein Ruinenfeld beim türkischen Selcuk. Eine andere Geschichte sagt, dass sie in Jerusalem blieb. Beide Orte werden als ihre Sterbeorte verehrt. In Ephesus soll sich ihr letztes Wohnhaus befinden, das die selige Anna Katharina Emmerick (1774-1824) „geschaut“ hat. Tatsächlich fand man bei Ausgrabungen eine Ruine, die der Beschreibung in etwa entsprach.
War Maria wirklich eine Jungfrau? Wozu wird dann Josefs Ahnenreihe im Neuen Testament aufgezählt? Und warum ist in den alten Fassungen der Bibel noch von „Geschwistern Jesu“ die Rede? Streitbare Theologen wie Gerd Lüdemann vertreten die Auffassung, dass Jesus aus einer vorehelichen Zeugung stamme, vielleicht sogar aus einer Vergewaltigung. Die Bibel liefert keine Aussagen dazu. Matthäus verweist zwar auf Jesaja 7,14, als er schildert, wie ein Engel Josef davon überzeugte, die schwangere Maria nicht zu verlassen (Matthäus 1. 18-25).
Dort steht aber ursprünglich gar nichts von einer Jungfrau, sondern es heißt, „eine junge Frau (hebr. alma) wird schwanger werden und einen Sohn gebären und ihn Immanuel nennen“. Erst in der griechischen Bibelübersetzung „Septuaginta“ aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., die Matthäus benutzt hat, wird das hebräische Wort alma mit parthenos (Jungfrau) übersetzt. Doch das, worauf es ankommt, ist etwas anderes, erklärt der Theologe Wolfgang Beinert: „Der Sohn Gottes wird ohne Zutun eines Menschen geschaffen. Maria ergreift die Hand, die sich ihr bietet. Die Erlösung kommt rein von Gott her. Es handelt sich um eine Neuschöpfung in Solidarität.“ Dafür ist die Vorstellung von der Jungfrauengeburt natürlich wichtig.
Übrigens war sie in der Antike nicht unüblich. Auch Kaiser wie Alexander oder Augustus sollen von Göttern abstammen. Die katholische Kirche trieb diesen Gedanken aber noch weiter. Maria soll selbst unbefleckt empfangen worden, vor, während und nach der Geburt von Jesus jungfräulich geblieben und leiblich auferstanden sein.
Damit war sie keine „normale“ Frau mehr. Reiner als alle anderen sollte sie sein, frei von der Erbsünde, die Eva, die Urmutter aller Menschen, in die Welt gebracht hat. Symbolisiert wird das auf Bildern häufig durch ihre Kleidung, die blau wie der himmlische Gott oder weiß wie das Licht ist, das für Reinheit und Vollkommenheit steht. Maria ist die wichtigste Heilige der katholischen Kirche. In der Position der „Himmelskönigin“ trägt sie sogar Züge einer Göttin.
Zum ersten Mal erschien Maria (noch zu ihren Lebzeiten) angeblich 41 n. Chr. im spanischen Saragossa auf einer Säule. Sie beauftragte dort den Apostel Jakobus mit dem Bau einer Kirche (Gemälde von Nicolas Poussin, 1629/30)
Psychoanalytiker wie C. G. Jung sahen sie als Archetypen der Mutter, zu dem auch heidnische Göttinnen wie Isis und Astarte gehören. Der Mutterarchetyp steht für die Vorstellung einer gebärenden, beschützenden Frau, hat aber auch negative Aspekte in Form der verschlingenden Mutter.
Dazu der Mariologie Wolfgang Beinert: „Analogie ist nicht gleich Genealogie. Maria weist zwar Ähnlichkeiten mit Isis auf, ist aber nicht aus ihr hervorgegangen. Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit waren für die Menschen zu jeder Zeit wichtige Themen. (...) Sie ist aber keine Göttin, sondern ein Mensch. Die Verehrungsformen sind nicht unähnlich, weil wir nicht so viele Möglichkeiten haben, unsere Liebe zu jemandem auszudrücken.“
Spätestens seit dem frühen Mittelalter wurde Maria um Fürbitte gebeten. Wallfahrten, Wunder und Reliquienkult waren wichtige Elemente der Volksfrömmigkeit. Als Madonna mit dem Christkind tröstete Maria junge Mütter, als Pieta mit dem toten Jesus auf dem Schoß alle Leidenden. Unter ihrem weiten Mantel barg sie als „Schutzmantelmadonna“ die Gläubigen. Wunder sind in Zusammenhang mit ihr dann keine Seltenheit mehr, wenn man etwas nachhilft.
Die schwarze Madonna von Tschenstochau soll bei einem Schwedenüberfall auf Polen 1655 die Geschosse der Angreifer abgelenkt haben. Zum Dank ernannte der polnische König Johann II. Kasimir Maria zur Patronin des Landes.
An Wallfahrtsorten wie etwa Altötting finden sich besonders zu den Marienfesten viele Pilger ein: Am 8. September wird die Geburt Marias gefeiert, die Verkündigung der Empfängnis am 25. März und Marias Tod und ihre Himmelfahrt am 15. August. Orte, an denen man Wunder erlebt haben will, konkurrieren um die Gunst der Pilger mit Orten, an denen Maria selbst erschienen sein soll. Oft mischt sich auch beides.
Weit über 900 Erscheinungen soll es in den letzten 2000 Jahren gegeben haben, und es werden immer mehr: Allein im 20. Jahrhundert soll Maria 455 Mal gesichtet worden sein. Sie erschien nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika, Asien und Amerika. Allerdings ist eine entsprechend geprägte Umgebung dafür notwendig. Genauer: Die „Seher“ sollten römisch-katholisch, orthodox oder koptisch orientiert sein.
Ekstatische Jungfrau: Die Ordensschwester Anna Katharina Emmerick (1774-1824) durchlitt 12 Jahre Iang jeden Freitag den Leidensweg Christi, bekam die Wundmale Jesu und hatte Visionen - auch zur Gottesmutter Maria. Gemälde von Gabriel Cornelius von Max, 1885
In Guadalupe in Mexiko soll Maria sich 1531 dem Indio Juan Diego auf dem Berg Tepeyac gezeigt haben. Als er daraufhin zum Bischof ging, entstand auf seinem Mantel auf unerklärliche Weise ein Bild Marias. Der Mantel ist noch erhalten, Guadalupe wurde einer der größten Marienwallfahrtsorte der Welt. 1968 soll Maria über der koptisch-orthodoxen Kirche von AI-Zeitun am Rande von Kairo erschienen sein.
Hunderttausende Menschen waren Zeugen der Lichtzeichen am Himmel. 1973 soll sie der Novizin Agnes Sagasawa in Akita in Japan mehrere Botschaften überbracht haben. Zum ersten Mal hat Maria 41 n. Chr. dem Apostel Jakobus in Spanien eine Nachricht übermittelt, so die Legende. Sie thronte in Saragossa auf einer Säule und trug ihm auf, eine Kirche zu errichten. Zu dieser Zeit lebte Maria allerdings noch in Jerusalem oder Ephesus. Die Erscheinung weist jedenfalls auf die Umstände hin, unter denen Maria in den nächsten 1700 Jahren meistens auftauchen sollte: Es ging in ihren Botschaften um die Gründung von Kirchen, Kapellen, Klöstern und Orden. In vielen Fällen erschien sie Männern, oft waren es Kleriker. Im Jahr 1110 bewegte sie Bernbard von Clairvaux, sich dem spirituellen Leben zu widmen. Thomas Becket verkündete sie seinen Märtyrertod. Sie unterstützte Dominikus bei der Ordensgründung der Dominikaner und im Kampf gegen die Katharer. Bis heute verbreitet der Orden besonders das Rosenkranzgebet, das Maria als Waffe gegen die Feinde des wahren Glaubens empfohlen haben soll.
Ab Mitte des 13. Jahrhunderts erschien Maria zunehmend Frauen, vor allem Nonnen, die später als Mystikerinnen in die Geschichte eingingen. 1250 besuchte sie Mechthild von Hackeborn und später ihre Schwester Gertrud, die beide im Zisterzienserinnenkloster in Helfta (bei Eisleben) lebten. Maria versprach dem, der sie mit den Worten „0 strahlende Lilie der Dreifaltigkeit, 0 hellglänzende Rose der himmlischen Anmut“ begrüßte, dass sie ihm bei seinem Tod Trost gewähren wolle. Birgitta von Schweden sagte sie über das Letzte Gericht: „Wehe den sich Verhärtenden! Barmherzigkeit für alle, die sich demütigen!“
Die schwarze Madonna im bayerischen Altötting kennt das Geheimnis der Gnade. Die 64 Zentimeter hohe, gotische Statue aus Lindenholz ist das Kultobjekt von Deutschlands größtem Marienwallfahrtsort. Papst Benedikt XVI. betete hier 2006 - und legte seinen Bischofsring vor der Figur nieder
Später erschien Maria immer häufiger Frauen und Kindern aus dem einfachen Volk, die Marias Worte meist in einer Art Trancezustand empfingen. Ihre Botschaften veränderten sich: War sie vorher eher eine geduldige Trösterin, warnte sie nun vor drohenden Katastrophen.
Der Theologe Beinert erklärt das so: „Die Französische Revolution war ein großer Schock für die Gläubigen. Dass Gott so etwas zuließ, so meinte man, würde darauf hindeuten, dass die Endzeit angebrochen sei. Es gab wirtschaftliche Krisen, dazu kam ein zunehmender moralischer Verfall. Die Ängste wurden auf die Erscheinungen projiziert. Hilfreich war, dass man den Eindruck hatte, doch etwas tun zu können. Wenn genügend Buße geleistet würde, könnte Maria Gott noch in den Arm fallen.“
Populär wurde eine Erscheinung nur, wenn sie auf ein Umfeld stieß, das den Botschaften Marias gegenüber aufgeschlossen war. Der Historiker David Blackbourn verweist auf ein Schema, nach dem die neuzeitlichen Erscheinungen verlaufen: Eine ungebildete Seherin aus dem Volk, die mit Armut. Krankheit oder Vernachlässigung konfrontiert ist, bekommt eine Botschaft mitgeteilt. Es fließt Heilwasser, und ein Heiligtum soll gebaut werden, gleichzeitig kommt es zu feindseligen Reaktionen der Zivilbehörden und des Ortspfarrers. Dennoch pilgern immer mehr Menschen zu dem Ort, Wunderheilungen geschehen und schließlich wird ein offizieller Kult eingerichtet.
Diesem Muster entspricht Lourdes, das im Jubiläumsjahr 2008 sechs Millionen Pilger erwartet. Maria begegnet einem in dieser kleinen Stadt in den Pyrenäen auf Schritt und Tritt. Heiligenbilder, Figuren in allen Größen und Rosenkränze gibt es an jeder Ecke. Der Ort lebt von den Menschen, die darauf hoffen, hier Heilung zu erlangen. 67 anerkannte Wunderheilungen sind verzeichnet, und viele Menschen empfinden eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden nach einem Besuch in Lourdes. Dazu Beinert: „Heute weiß man von den psychosomatischen Ursachen vieler Krankheiten. Wenn jemand sich nun von Gott angenommen fühlt, kann es sein, dass seine Symptome verschwinden. Biblisch betrachtet kommt es auf die körperliche Gesundung aber gar nicht an. Jesus sagte mehrfach nach Heilungen: >Dein Glaube hat dir geholfen.< Das Wunder ist ein Appell an den Glauben, ein Zeichen Gottes.“
Begonnen hat alles damit, dass Maria der 14-jährigen Bernadette Soubirous (1844-1879) vom 11. Februar bis zum 16. Juli 1858 insgesamt 18 Mal in der Grotte von Massabielle erschienen sein soll. Bernadettes Familie war sehr arm. Das Kind, das unter Asthma litt, suchte mit anderen Kindern Holz, als es beim Durchqueren eines Baches etwas Ungewöhnliches entdeckte: „Ich sah eine weiß gekleidete Dame: Sie trug ein weißes Kleid und einen weißen Schleier, einen blauen Gürtel und auf jedem Fuß eine gelbe Rose“, erzählte sie später. Diese schaute sie lange an und bedeutete ihr, den Rosenkranz zu beten, Dann verschwand sie.
Immer mehr Gläubige begleiteten Bernadette zur Grotte. „Buße! Buße! Buße! Beten Sie zu Gott für die Sünder! Küssen Sie die Erde zur Buße für die Sünder!“, forderte die „Dame“ von Bernadette; und eine Kapelle wünschte sie sich auch an diesem Ort.
Später sollte das Mädchen das schlammige Quellwasser trinken, was sie tat. Die Quelle floss immer stärker und sprudelt mittlerweile mit 122400 Litern pro Tag. Analysen haben nichts Besonderes ergeben, aber das Wasser hat Trinkwasserqualität.
Schon am 26. Februar 1858 geschah das erste Wunder: Ein Steinbrecher wurde von einem Augenleiden befreit. Der Ortspfarrer hielt Bernadette zunächst für verrückt. Doch nachdem die „Dame“ auf Bernadettes Frage nach ihrem Namen „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“ geantwortet hatte, änderte er seine Auffassung. Papst Pius IX. hatte 1854 das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis verkündet, was Bernadette nicht wissen konnte. 1862 erkannte auch der zuständige Bischof die Erscheinung als echt an. Bernadette trat in ein Kloster ein. Sie hat von dem heilsamen Ort wenig profitiert. Nach einem Leben voller Krankheiten starb sie im Alter von nur 35 Jahren. Wahrscheinlich war das viele Wasser aus der Quelle doch nicht so gut. Aber wie viele Heilige vor ihr hat sie ihr Leid klaglos ertragen. Schließlich halle ihr die „Dame“ versprochen, sie nicht „in dieser Welt glücklich zu machen, wohl aber in der anderen“.