Die Nordsee - Heinrich Heine - E-Book

Die Nordsee E-Book

Heinrich Heine

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Beschreibung

Ein Gedichtzyklus, der wie "Die Heimkehr" in Heines "Buch der Lieder" erschien und zu seinem Frühwerk gezählt wird: Die Gedichte kreisen um die Nordsee mit all ihren Besonderheiten. Heine zeichnet ein atmosphärisches Bild mit Gedichten wie "Sonnenuntergang", "Abenddämmerung" oder "Sturm", in denen man das Meer und die Natur förmlich spüren kann.-

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Heinrich Heine

Die Nordsee

Saga

Die NordseeCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1826, 2020 Heinrich Heine und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726539370

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Erste Abteilung

Huldigung

Ihr Lieder! Ihr meine guten Lieder!

Auf! auf! und wappnet Euch!

Lasst die Trompeten klingen,

und hebt mir auf den Schild

dies junge Mädchen,

das jetzt mein ganzes Herz

beherrschen soll, als Königin.

Heil dir! du junge Königin!

Von der Sonne droben

reiss ich das strahlend rote Gold,

und webe draus ein Diadem

für dein geweihtes Haupt.

Von der flatternd blauseidnen Himmelsdecke,

worin die Nachtdiamanten blitzen,

schneid ich ein kostbar Stück,

und häng es dir, als Krönungsmantel,

um deine königliche Schulter.

Ich gebe dir einen Hofstaat

von steifgeputzten Sonetten,

stolzen Terzinen und höflichen Stanzen;

als Läufer diene dir mein Witz,

als Hofnarr meine Phantasie,

als Herold, die lachende Träne im Wappen,

diene dir mein Humor.

Aber ich selber, Königin,

ich kniee vor dir nieder,

und huldgend, auf rotem Sammetkissen,

überreiche ich dir

das bisschen Verstand,

das mir aus Mitleid noch gelassen hat

deine Vorgängerin im Reich.

Abenddämmerung

Am blassen Meeresstrande

sass ich gedankenbekümmert und einsam.

Die Sonne neigte sich tiefer, und warf

glührote Streifen auf das Wasser,

und die weissen, weiten Wellen,

von der Flut gedrängt,

schäumten und rauschten näher und näher –

ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,

ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen;

dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen –

mir war, als hört ich verschollne Sagen,

uralte, liebliche Märchen,

die ich einst, als Knabe,

von Nachbarskindern vernahm,

wenn wir am Sommerabend,

auf den Treppensteinen der Haustür,

zum stillen Erzählen niederkauerten,

mit kleinen, horchenden Herzen

und neugierklugen Augen; –

während die grossen Mädchen,

neben duftenden Blumentöpfen,

gegenüber am Fenster sassen,

Rosengesichter,

lächelnd und mondbeglänzt.

Sonnenuntergang

Die glühend rote Sonne steigt

hinab ins weit aufschauernde,

silbergraue Weltmeer;

Luftgebilde, rosig angehaucht,

wallen ihr nach; und gegenüber,

aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern,

ein traurig todblasses Antlitz,

bricht hervor der Mond,

und hinter ihm, Lichtfünkchen,

nebelweit, schimmern die Sterne.

Einst am Himmel, glänzten,

ehlich vereint,

Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,

und es wimmelten um sie her die Sterne,

die kleinen, unschuldigen Kinder.

Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,

und es trennte sich feindlich

das hohe, leuchtende Ehpaar.

Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,

ergeht sich dort oben der Sonnengott,

ob seiner Herrlichkeit

angebetet und vielbesungen

von stolzen, glückgehärteten Menschen.

Aber des Nachts,

am Himmel, wandelt Luna,

die arme Mutter.

mit ihren verwaisten Sternenkindern,

und sie glänzt in stummer Wehmut,

und liebende Mädchen und sanfte Dichter

weihen ihr Tränen und Lieder.

Die weiche Luna! Weiblich gesinnt,

liebt sie noch immer den schönen Gemahl.

Gegen Abend, zitternd und bleich,

lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,

und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,

und möchte ihm ängstlich rufen: ,,Komm!

komm! die Kinder verlangen nach Dir –“

Aber der trotzige Sonnengott,

bei dem Anblick der Gattin, erglüht’ er

in doppeltem Purpur,

vor Zorn und Schmerz,

und unerbittlich eilt er hinab

in sein flutenkaltes Witwerbett.

Böse, zischelnde Zungen

brachten also Schmerz und Verderben

selbst über ewige Götter.

Und die armen Götter, oben am Himmel

wandeln sie, qualvoll,

trostlos unendliche Bahnen,

und können nicht sterben,

und schleppen mit sich

ihr strahlendes Elend.

Ich aber, der Mensch,

der niedrig gepflanzte, der Todbeglückte,

ich klage nicht länger.

Die Nacht am Strande

Sternlos und kalt ist die Nacht,

es gärt das Meer;

und über dem Meer, platt auf dem Bauch,

liegt der ungestaltete Nordwind,

und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,

wie’n störriger Griesgram, der gutgelaunt wird,

schwatzt er ins Wasser hinein,

und erzählt viel tolle Geschichten,

Riesenmärchen, todschlaglaunig,

uralte Sagen aus Norweg,

und dazwischen, weitschallend, lacht er und heult er

Beschwörungslieder der Edda,

auch Runensprüche,

so dunkeltrotzig und zaubergewaltig,

dass die weissen Meerkinder

hochaufspringen und jauchzen,

Übermut-berauscht.

Derweilen, am flachen Gestade,

über den flutbefeuchteten Sand

schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,

das wilder noch als Wind und Wellen.

Wo er hintritt,

sprühen Funken und knistern die Muscheln;

und er hüllt sich fest in den grauen Mantel,

und schreitet rasch durch die wehende Nacht: –

sicher geleitet vom kleinen Lichte,

das lockend und lieblich schimmert

aus einsamer Fischerhütte.

Vater und Bruder sind auf der See,

und mutterseelenallein blieb dort

in der Hütte die Fischertochter,

die wunderschöne Fischertochter.

Am Herde sitzt sie,

und horcht auf des Wasserkessels

ahnungssüsses heimliches Summen,

und schüttet knisterndes Reisig ins Feuer,

und bläst hinein,

dass die flackernd roten Lichter

zauberlieblich widerstrahlen

auf das blühende Antlitz,

auf die zarte, weisse Schulter,

die rührend hervorlauscht

aus dem groben, grauen Hemde,

und auf die kleine, sorgsame Hand,

die das Unterröckchen fester bindet

um die feine Hüfte.

Aber plötzlich, die Tür springt auf,

und es tritt herein der nächtige Fremdling;

liebesicher ruht sein Auge

auf dem weissen, schlanken Mädchen,

das schauernd vor ihm steht,

gleich einer erschrockenen Lilie;

und er wirft den Mantel zur Erde,

und lacht und spricht:

Siehst du, mein Kind, ich halte Wort,

und ich komme, und mit mir kommt

die alte Zeit, wo die Götter des Himmels

niedersteinen zu Töchtern der Menschen

und die Töchter der Menschen umarmten,

und mit ihnen zeugten

zeptertragende Königsgeschlechter

und Helden, Wunder der Welt.

Doch staune, mein Kind, nicht länger

ob meiner Göttlichkeit,

und ich bitte dich, koche mir Tee und Rum;

denn draussen wars kalt,

und bei solcher Nachtluft

frieren auch wir, wir ewigen Götter,

Und kriegen wir leicht den göttlichsten Schnupfen,

Und einen unsterblichen Husten.

Poseidon

Die Sonnenlichter spielten

über das weithinrollende Meer;

fern auf der Reede glänzte das Schiff,

das mich zur Heimat tragen sollte;

aber es fehlte an gutem Fahrwind,

und ich sass noch ruhig auf weisser Düne,

am einsamen Strand,

und ich las das Lied vom Odysseus,

das alte, ewig junge Lied,

aus dessen meerdurchrauschten Blättern

mir freudig entgegenstieg

der Atem der Götter,

und der leuchtende Menschenfrühling,

und der blühende Himmel von Hellas.

Mein edles Herz begleitete treulich

den Sohn des Laertes, in Irrfahrt und Drangsal,

setzte sich mit ihm, seelenbekümmert,

an gastliche Herde,

wo Königinnen Purpur spinnen,

und half ihm lügen und glücklich entrinnen

aus Riesenhöhlen und Nymphenarmen,

folgte ihm nach in kümerische Nacht,

und in Sturm und Schiffbruch,

und duldete mit ihm unsägliches Elend.

Seufzend sprach ich: ,,Du böser Poseidon,

dein Zorn ist furchtbar,

und mir selber bangt

ob der eignen Heimkehr.“

Kaum sprach ich die Worte,

da schäumte das Meer,

und aus den weissen Wellen stieg

das schiffbekränzte Haupt des Meergotts,

und höhnisch rief er:

„Fürchte dich nicht, Poetlein!

Ich will nicht im geringsten gefährden

dein armes Schiffchen,

und nicht dein liebes Leben beängstgen

mit allzu bedenklichem Schaukeln.

Denn du, Poetlein, hast nie mich erzürnt,

du hast kein einziges Türmchen verletzt

an Priamos heiliger Feste,

kein einziges Härchen hast du versengt

am Aug meines Sohns Polyphemos,

und dich hat niemals ratend beschützt

die Göttin der Klugheit, Pallas Athene.“

Also rief Poseidon

und tauchte zurück ins Meer;

und über den groben Seemannswitz

lachten unter dem Wasser

Amphitrite, das plumpe Fischweib,

und die dummen Töchter des Nereus.

Erklärung

Herangedämmert kam der Abend,

wilder toste die Flut,

und ich sass am Strand, und schaute zu

dem weissen Tanz der Wellen,

und meine Brust schwoll auf wie das Meer,

und sehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh

nach dir, du holdes Bild,

das überall mich umschwebt,

und überall mich ruft,

überall, überall,

im Sausen des Windes, im Brausen des Meers,

und im Seufzen der eigenen Brust.

Mit leichtem Rohr schrieb ich in den Sand:

„Agnes, ich liebe dich!“

Doch böse Wellen ergossen sich

über das süsse Bekenntnis,

und löschten es aus.

Zerbrechliches Rohr, zerstiebender Sand,

zerfliessende Wellen, euch trau ich nicht mehr!

Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,

und mit starker Hand, aus Norwegs Wäldern,

Reiss ich die höchste Tanne,

und tauche sie ein

in des Ätnas glühenden Schlund, und mit solcher

feuergetränkten Riesenfeder

schreib ich an die dunkle Himmelsdecke:

„Agnes, ich liebe dich!“

Jedwede Nacht lodert alsdann

dort oben die ewige Flammenschrift,

und alle nachwachsende Enkelgeschlechter

lesen jauchzend die Himmelsworte:

„Agnes, ich liebe dich!“

Nachts in der Kajüte

Das Meer hat seine Perlen,

der Himmel hat seine Sterne,

aber mein Herz, mein Herz,

mein Herz hat seine Liebe.

Gross ist das Meer und der Himmel,

doch grösser ist mein Herz,

und schöner als Perlen und Sterne

leuchtet und strahltmeine Liebe.

Du kleines, junges Mädchen,

komm an mein grosses Herz;

mein Herz und das Meer und der Himmel

vergehn vor lauter Liebe.

*

An die blaue Himmelsdecke,

wo die schönen Sterne blinken,

möcht’ ich pressen meine Lippen,

pressen wild und stürmisch weinen.

Jene Sterne sind die Augen

meiner Liebsten, tausendfältig

schimmern sie und grüssen freundlich

aus der blauen Himmelsdecke.

Nach der blauen Himmelsdecke,

nach den Augen der Geliebten,

heb’ ich andachtsvoll die Arme,

und ich bitte und ich flehe:

,,Holde Augen, Gnadenlichter,

oh, beseligt meine Seele,

lasst mich sterben und erwerben

euch und euren ganzen Himmel!“

*

Aus den Himmelsaugen droben

fallen zitternd lichte Funken

durch die Nacht, und meine Seele

dehnt sich liebeweit und weiter.

Oh, ihr Himmelsaugen droben!

Weint euch aus in meine Seele,

dass von lieben Sternentränen

überfliesset meine Seele.

*

Eingewiegt von Meereswellen